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BAG, Ur­teil vom 20.03.2012, 9 AZR 529/10

   
Schlagworte: Urlaub, Diskriminierung: Alter, TVöD, Diskriminierung: Urlaub
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 9 AZR 529/10
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 20.03.2012
   
Leitsätze:

1. Die Regelung in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD, wonach Beschäftigte nach der Vollendung ihres 40. Lebensjahres in jedem Kalenderjahr Anspruch auf 30 Arbeitstage Urlaub haben, während der Urlaubsanspruch bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres nur 26 Arbeitstage und bis zur Vollendung des 40. Lebensjahres nur 29 Arbeitstage beträgt, beinhaltet eine unmittelbare, nicht gerechtfertigte Diskriminierung wegen des Alters.


2. Der Verstoß der in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD angeordneten Bemessung des Urlaubs nach Altersstufen gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters kann für die Vergangenheit nur beseitigt werden, indem der Urlaub der wegen ihres Alters diskriminierten Beschäftigten in der Art und Weise „nach oben“ angepasst wird, dass auch ihr Urlaubsanspruch in jedem Kalenderjahr 30 Arbeitstage beträgt.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Eberswalde, Urteil vom 8.7.2009 - 3 Ca 140/09
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24.3.2010 - 20 Sa 2058/09
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


9 AZR 529/10
20 Sa 2058/09
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Ber­lin-Bran­den­burg

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

20. März 2012

UR­TEIL

Brüne, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläge­rin, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Be­klag­ter, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­ons­be­klag­ter,

hat der Neun­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 20. März 2012 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Brühler, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Krasshöfer und Dr. Suckow so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Preuß und Neu­mann-Red­lin für Recht er­kannt:
 


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1. Auf die Re­vi­si­on der Kläge­rin wird das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ber­lin-Bran­den­burg vom 24. März 2010 - 20 Sa 2058/09 - auf­ge­ho­ben.

2. Die Be­ru­fung des Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ebers­wal­de vom 8. Ju­li 2009 - 3 Ca 140/09 - wird zurück­ge­wie­sen und der Te­nor die­ses Ur-teils zur Klar­stel­lung neu ge­fasst:


Es wird fest­ge­stellt, dass der Kläge­rin für die Jah­re 2008 und 2009 je­weils ein wei­te­rer Ur­laubs­tag als Er­satz­ur­laub zu­steht.

3. Der Be­klag­te hat auch die Kos­ten der Be­ru­fung und der Re­vi­si­on zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten darüber, ob die Kläge­rin in den Jah­ren 2008 und 2009 An­spruch auf je­weils 29 oder 30 Ur­laubs­ta­ge hat­te.


Die am 27. Ok­to­ber 1971 ge­bo­re­ne Kläge­rin ist seit dem 1. Sep­tem­ber 1988 bei dem be­klag­ten Land­kreis als An­ge­stell­te mit ei­ner re­gelmäßigen wöchent­li­chen Ar­beits­zeit von 40 St­un­den in der Fünf­ta­ge­wo­che beschäftigt. Auf das Ar­beits­verhält­nis fin­det kraft bei­der­sei­ti­ger Ta­rif­bin­dung der Ta­rif­ver­trag für den öffent­li­chen Dienst vom 13. Sep­tem­ber 2005 in der Fas­sung des Ände­rungs­ta­rif­ver­trags Nr. 2 vom 31. März 2008 (TVöD) An­wen­dung. Die­ser be­stimmt ua.:


㤠26
Er­ho­lungs­ur­laub


(1) Beschäftig­te ha­ben in je­dem Ka­len­der­jahr An­spruch auf Er­ho­lungs­ur­laub un­ter Fort­zah­lung des Ent­gelts (§ 21). Bei Ver­tei­lung der wöchent­li­chen Ar­beits­zeit auf fünf Ta­ge in der Ka­len­der­wo­che beträgt der Ur­laubs­an­spruch in je­dem Ka­len­der­jahr bis zum voll­ende­ten 30. Le­bens­jahr 26 Ar­beits­ta­ge,

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bis zum voll­ende­ten 40. Le­bens­jahr 29 Ar­beits­ta­ge und nach dem voll­ende­ten 40. Le­bens­jahr 30 Ar­beits­ta­ge.

Maßge­bend für die Be­rech­nung der Ur­laubs­dau­er ist das Le­bens­jahr, das im Lau­fe des Ka­len­der­jah­res voll­endet wird. Bei ei­ner an­de­ren Ver­tei­lung der wöchent­li­chen Ar­beits­zeit als auf fünf Ta­ge in der Wo­che erhöht oder ver­min­dert sich der Ur­laubs­an­spruch ent­spre­chend. Ver­bleibt bei der Be­rech­nung des Ur­laubs ein Bruch­teil, der min­des­tens ei­nen hal­ben Ur­laubs­tag er­gibt, wird er auf ei­nen vol­len Ur­laubs­tag auf­ge­run­det; Bruch­tei­le von we­ni­ger als ei­nem hal­ben Ur­laubs­tag blei­ben un­berück­sich­tigt. Der Er­ho­lungs­ur­laub muss im lau­fen­den Ka­len­der­jahr gewährt und kann auch in Tei­len ge­nom­men wer­den.


...

§ 27
Zu­satz­ur­laub

(1) Beschäftig­te, die ständig Wech­sel­schicht­ar­beit nach § 7 Abs. 1 oder ständig Schicht­ar­beit nach § 7 Abs. 2 leis­ten und de­nen die Zu­la­ge nach § 8 Abs. 5 Satz 1 oder Abs. 6 Satz 1 zu­steht, er­hal­ten


a) bei Wech­sel­schicht­ar­beit für je zwei zu­sam­menhängen­de Mo­na­te und

b) bei Schicht­ar­beit für je vier zu­sam­menhängen­de Mo­na­te ei­nen Ar­beits­tag Zu­satz­ur­laub.


(2) Im Fal­le nicht ständi­ger Wech­sel­schicht- oder Schicht­ar­beit (z. B. ständi­ge Ver­tre­ter) er­hal­ten Beschäftig­te des Bun­des, de­nen die Zu­la­ge nach § 8 Abs. 5 Satz 2 oder Abs. 6 Satz 2 zu­steht, ei­nen Ar­beits­tag Zu­satz­ur­laub für

a) je drei Mo­na­te im Jahr, in de­nen sie über­wie­gend Wech­sel­schicht­ar­beit ge­leis­tet ha­ben, und

b) je fünf Mo­na­te im Jahr, in de­nen sie über­wie­gend Schicht­ar­beit ge­leis­tet ha­ben.

...

(4) Zu­satz­ur­laub nach die­sem Ta­rif­ver­trag und sons­ti­gen Be­stim­mun­gen mit Aus­nah­me von § 125 SGB IX wird nur bis zu ins­ge­samt sechs Ar­beits­ta­gen im Ka­len­der­jahr gewährt. Er­ho­lungs­ur­laub und Zu­satz­ur­laub (Ge­samt­ur­laub) dürfen im Ka­len­der­jahr zu­sam­men 35 Ar­beits­ta­ge

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nicht über­schrei­ten. Satz 2 ist für Zu­satz­ur­laub nach den Absätzen 1 und 2 hier­zu nicht an­zu­wen­den. Bei Beschäftig­ten, die das 50. Le­bens­jahr voll­endet ha­ben, gilt ab­wei­chend von Satz 2 ei­ne Höchst­gren­ze von 36 Ar­beits­ta­gen; § 26 Abs. 1 Satz 3 gilt ent­spre­chend.
...“


Mit Schrei­ben vom 5. No­vem­ber 2008 mach­te die Kläge­rin ge­genüber dem Be­klag­ten ei­nen jähr­li­chen Ge­samt­ur­laub in Höhe von 30 Ta­gen für das Jahr 2008 und die Zu­kunft nach dem TVöD gel­tend. Der Be­klag­te lehn­te die Gewährung von 30 Ur­laubs­ta­gen vor der Voll­endung des 40. Le­bens­jah­res der Kläge­rin un­ter Hin­weis auf die Ver­bind­lich­keit der Re­ge­lung des § 26 Abs. 1 TVöD mit Schrei­ben vom 28. No­vem­ber 2008 ab. Die Kläge­rin hat dar­auf­hin mit Schrift­satz vom 11. Fe­bru­ar 2009 die vor­lie­gen­de Kla­ge er­ho­ben.


Sie hat die An­sicht ver­tre­ten, sie ha­be auch vor der Voll­endung ih­res 40. Le­bens­jah­res An­spruch auf jähr­lich 30 und nicht nur 29 Ur­laubs­ta­ge. Die an das Le­bens­al­ter an­knüpfen­de Staf­fe­lung des ta­rif­li­chen Ur­laubs­an­spruchs sei ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters. Die in der Ta­rif­re­ge­lung ent­hal­te­ne Un­gleich­be­hand­lung jünge­rer Ar­beit­neh­mer sei nicht durch § 10 AGG ge­recht­fer­tigt. Im Übri­gen würden die ge­sund­heit­li­chen Wir­kun­gen zusätz­li­chen Ur­laubs zur Ver­mei­dung bei­spiels­wei­se von Stres­ser­schei­nun­gen am Ar­beits­platz auch in der me­di­zi­ni­schen Li­te­ra­tur kon­tro­vers dis­ku­tiert.


Die Kläge­rin hat zu­letzt be­an­tragt 


fest­zu­stel­len, dass ihr für die Jah­re 2008 und 2009 je­weils ein Ur­laubs­tag als Er­satz­ur­laub zu­steht.

Der Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen. Die­se sei be­reits un­zulässig, da das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO nöti­ge Fest­stel­lungs­in­ter­es­se feh­le. Sch­ließlich sei die Kla­ge auch un­be­gründet. Die Al­ters­stu­fen­re­ge­lung des § 26 Abs. 1 TVöD sei durch ei­nen sach­li­chen Grund nach § 10 AGG ge­recht­fer­tigt. Die Fest­le­gung ei­nes Min­dest­al­ters für die Gewährung von 30 Ur­laubs­ta­gen pro Ka­len­der­jahr stel­le ei­ne be­son­de­re Beschäfti­gungs­be­din­gung zum Schutz älte­rer Beschäftig­ter bzw. ei­ne Min­dest­an­for­de­rung an das Al­ter für
 


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ei­nen mit der Beschäfti­gung ver­bun­de­nen Vor­teil dar, der zur Er­rei­chung ei­nes le­gi­ti­men Ziels an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sei. Älte­re Ar­beit­neh­mer sei­en mit zu­neh­men­dem Al­ter auf­grund be­ruf­li­cher Be­las­tun­gen länger krank. Um die­sen Um­stand Rech­nung zu tra­gen, hätten die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en mit der Re­ge­lung in § 26 Abs. 1 TVöD auf das verstärk­te Er­ho­lungs­bedürf­nis älte­rer Ar­beit­neh­mer re­agiert und de­ren Leis­tungsfähig­keit stärken wol­len. Der As­pekt des Ge­sund­heits­schut­zes älte­rer Ar­beit­neh­mer sei da­her ge­eig­net, die Un­gleich­be­hand­lung jünge­rer Beschäftig­ter zu recht­fer­ti­gen. Sch­ließlich würde auch ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung kei­ne An­glei­chung „nach oben“ zur Fol­ge ha­ben.


Das Ar­beits­ge­richt hat der Kla­ge statt­ge­ge­ben. Auf die Be­ru­fung des Be­klag­ten hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt das erst­in­stanz­li­che Ur­teil ab­geändert und die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt die Kläge­rin die Wie­der­her­stel­lung der statt­ge­ben­den Ent­schei­dung des Ar­beits­ge­richts. Der Be­klag­te be­an­tragt, die Re­vi­si­on der Kläge­rin zurück­zu­wei­sen.

Ent­schei­dungs­gründe

A. Die zulässi­ge Re­vi­si­on ist be­gründet. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge zu Un­recht ab­ge­wie­sen. Die Kla­ge ist be­gründet. Die Kläge­rin hat An­spruch auf die gel­tend ge­mach­ten Er­satz­ur­laubs­ta­ge.


I. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat zu Recht an­ge­nom­men, dass die Fest­stel­lungs­kla­ge zulässig ist. Die Kläge­rin hat ein recht­li­ches In­ter­es­se dar­an, durch das Ge­richt fest­stel­len zu las­sen, ob ihr für die Jah­re 2008 und 2009 je­weils ein Ur­laubs­tag als Er­satz­ur­laub zu­steht (§ 256 Abs. 1 ZPO). Der grundsätz­li­che Vor­rang der Leis­tungs­kla­ge steht der Zulässig­keit ei­ner Kla­ge, mit der ein Ar­beit­neh­mer den Um­fang des ihm zu­ste­hen­den Ur­laubs ge­richt­lich fest­ge­stellt ha­ben will, nicht ent­ge­gen (vgl. BAG 12. April 2011 - 9 AZR 80/10 - Rn. 13 bis 15, EzA BUrlG § 7 Nr. 123).
 


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II. Die Kla­ge ist be­gründet. Die Kläge­rin hat ge­gen den Be­klag­ten für den ihr in den Jah­ren 2008 und 2009 je­weils ver­wei­ger­ten 30. Ur­laubs­tag gemäß § 280 Abs. 1, § 286 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1 BGB An­spruch auf je­weils ei­nen Tag Er­satz­ur­laub. Die Ur­laubs­staf­fe­lung des § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD verstößt ge­gen die §§ 1, 3 Abs. 1 AGG. Denn sie gewährt Beschäftig­ten, die das 30., aber noch nicht das 40. Le­bens­jahr voll­endet ha­ben, ei­nen um ei­nen Tag kürze­ren Ur­laub. Sie ist des­halb nach § 7 Abs. 1 und Abs. 2 AGG iVm. § 134 BGB un­wirk­sam. Dies hat zur Fol­ge, dass die Kläge­rin auch vor der Voll­endung ih­res 40. Le­bens­jah­res in je­dem Ka­len­der­jahr An­spruch auf 30 Ur­laubs­ta­ge hat­te. Ihr steht für die Jah­re 2008 und 2009 je­weils noch ein Tag Er­satz­ur­laub zu, weil der Be­klag­te ihr in die­sen Jah­ren nur je­weils 29 Ur­laubs­ta­ge gewähr­te.


1. Nach § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD stan­den der am 27. Ok­to­ber 1971 ge­bo­re­nen Kläge­rin in den Jah­ren 2008 und 2009 je­weils 29 Ur­laubs­ta­ge zu. Erst nach dem voll­ende­ten 40. Le­bens­jahr gewährt ihr die­se Ta­rif­re­ge­lung ei­nen jähr­li­chen Ur­laubs­an­spruch von 30 Ar­beits­ta­gen. Die­se an das Le­bens­al­ter an­knüpfen­de Staf­fe­lung der Ur­laubs­dau­er verstößt ge­gen das Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung in § 7 Abs. 1 iVm. § 1 AGG. Sie ist als sach­lich nicht nach den §§ 8, 10 AGG ge­recht­fer­tig­te un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung we­gen des Al­ters gemäß § 7 Abs. 2 AGG iVm. § 134 BGB un­wirk­sam. Zur Be­sei­ti­gung die­ser Dis­kri­mi­nie­rung ist ei­ne An­pas­sung auf 30 Ur­laubs­ta­ge er­for­der­lich.


2. Zu­tref­fend ha­ben die Vor­in­stan­zen die Re­ge­lung in § 26 Abs. 1 TVöD am AGG ge­mes­sen. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG gel­ten die Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bo­te der §§ 1, 7 AGG auch für die in kol­lek­tiv­recht­li­chen Ver­ein­ba­run­gen ge­re­gel­ten Beschäfti­gungs- und Ar­beits­be­din­gun­gen. Un­ter sol­chen Be­din­gun­gen sind al­le Umstände zu ver­ste­hen, auf­grund de­rer und un­ter de­nen die Ar­beits­leis­tung zu er­brin­gen ist (vgl. BAG 13. Ok­to­ber 2009 - 9 AZR 722/08 - Rn. 54, BA­GE 132, 210). Zu den Beschäfti­gungs- und Ar­beits­be­din­gun­gen gehört da­mit auch der Ur­laub. Der Um­stand, dass die Re­ge­lung in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 Buchst. b TVöD be­reits am 1. Ja­nu­ar
 


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2006 und so­mit schon vor dem AGG vom 14. Au­gust 2006 in Kraft ge­tre­ten ist, steht dem nicht ent­ge­gen. Die für die Jah­re 2008 und 2009 gel­tend ge­mach­te Be­nach­tei­li­gung durch § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD ist erst nach In­kraft­tre­ten des AGG am 18. Au­gust 2006 ein­ge­tre­ten. Da § 33 Abs. 1 AGG in­so­weit kei­ne Über­g­angs­re­ge­lung enthält, fin­det die­ses Ge­setz auch dann An­wen­dung, wenn die Be­nach­tei­li­gung auf ei­nem vor In­kraft­tre­ten des AGG ab­ge­schlos­se­nen Ta­rif­ver­trag be­ruht. Es kommt al­lein auf den Zeit­punkt der Be­nach­tei­li­gungs­hand­lung an (BAG 16. De­zem­ber 2008 - 9 AZR 985/07 - Rn. 33, BA­GE 129, 72).


3. Die Ur­laubs­staf­fe­lung in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD enthält ei­ne auf dem Merk­mal des Al­ters be­ru­hen­de Un­gleich­be­hand­lung der Beschäftig­ten, die das 30. bzw. das 40. Le­bens­jahr nicht voll­endet ha­ben. Das ist ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung jünge­rer Ar­beit­neh­mer we­gen des Al­ters iSv. § 3 Abs. 1 AGG.


a) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG liegt ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung vor, wenn ei­ne Per­son we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung erfährt, als ei­ne an­de­re Per­son in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on erfährt, er­fah­ren hat oder er­fah­ren würde. Beim Al­ter han­delt es sich um ei­nen in § 1 AGG ge­nann­ten Grund, wo­bei un­ter Al­ter das Le­bens­al­ter zu ver­ste­hen ist. Dies folgt aus dem ge­setz­li­chen Wort­laut und auch aus der Ge­set­zes­be­gründung (BT-Drucks. 16/1780 S. 31; BAG 13. Ok­to­ber 2009 - 9 AZR 722/08 - Rn. 49, BA­GE 132, 210; 22. Ja­nu­ar 2009 - 8 AZR 906/07 - Rn. 36, BA­GE 129, 181). Der für ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung er­for­der­li­che Kau­sal­zu­sam­men­hang ist be­reits dann ge­ge­ben, wenn die Be­nach­tei­li­gung an ei­nen oder meh­re­re in § 1 AGG ge­nann­te Gründe an­knüpft oder da­durch mo­ti­viert ist (vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 32; BAG 13. Ok­to­ber 2009 - 9 AZR 722/08 - Rn. 50, aaO).


b) Die­se Vor­aus­set­zung ist erfüllt. § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD sieht für Beschäftig­te bei ei­ner Fünf­ta­ge­wo­che in je­dem Ka­len­der­jahr ei­nen Ur­laubs­an­spruch bis zum voll­ende­ten 30. Le­bens­jahr in Höhe von 26 Ar­beits­ta­gen, bis zum voll­ende­ten 40. Le­bens­jahr in Höhe von 29 Ar­beits­ta­gen und erst nach



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dem voll­ende­ten 40. Le­bens­jahr in Höhe von 30 Ar­beits­ta­gen vor. Die Höhe des Ur­laubs­an­spruchs nach § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD knüpft da­mit in al­len Stu­fen un­mit­tel­bar an das Le­bens­al­ter der Beschäftig­ten an. Da­nach ha­ben Beschäftig­te wie die Kläge­rin, die zwar das 30. Le­bens­jahr, aber noch nicht das 40. Le­bens­jahr voll­endet ha­ben, in je­dem Jahr nur An­spruch auf 29 statt auf 30 Ur­laubs­ta­ge. Sie wer­den eben­so wie die un­ter 30-Jähri­gen im Ver­gleich zu den Beschäftig­ten, die das 40. Le­bens­jahr voll­endet ha­ben, hin­sicht­lich der Höhe des Ur­laubs­an­spruchs we­gen ih­res ge­rin­ge­ren Al­ters ungüns­ti­ger be­han­delt.


4. Die­se Un­gleich­be­hand­lung ist nicht ge­recht­fer­tigt. 


a) Bei ihr han­delt es sich nicht um ei­ne nach § 8 AGG zulässi­ge un­ter­schied­li­che Be­hand­lung we­gen be­ruf­li­cher An­for­de­run­gen. Die Ur­laubs­staf­fel des § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD knüpft nicht an die Art der aus­zuüben­den Tätig­keit oder die Be­din­gun­gen ih­rer Ausübung an. Sie stellt nicht auf die Art der aus­zuüben­den Tätig­keit ab und be­an­sprucht da­mit Gel­tung für al­le dem TVöD un­ter­fal­len­den Beschäftig­ten.


b) Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Lan­des­ar­beits­ge­richts ist die Un­gleich­be­hand­lung auch nicht nach § 10 AGG sach­lich ge­recht­fer­tigt (so eben­falls die herr­schen­de Mei­nung in der Li­te­ra­tur, vgl. Linck/Schütz FS Lei­ne­mann, S. 181 f.; Fie­berg in Fürst GKÖD Bd. IV Stand Ja­nu­ar 2012 E § 26 TVöD Rn. 22; AGG/Voigt 3. Aufl. § 10 Rn. 33; Mei­nel/Heyn/Herms AGG 2. Aufl. § 10 Rn. 42b; Adom­eit/Mohr AGG 2. Aufl. § 10 Rn. 105; Ka­man­ab­rou NZA Bei­la­ge 3/2006, 138, 144; Hock/Kra­mer/Schwerdtle ZTR 2006, 622, 623 mwN; Wul­fers/ Hecht ZTR 2007, 475, 478; vgl. fer­ner be­reits zu § 48 BAT: Lüde­ritz Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung durch Al­ters­gren­zen S. 156). § 10 Satz 1 AGG lässt ei­ne un­ter­schied­li­che Be­hand­lung we­gen des Al­ters un­ge­ach­tet der Re­ge­lung des § 8 AGG zu, wenn sie ob­jek­tiv und an­ge­mes­sen und durch ein le­gi­ti­mes Ziel ge­recht­fer­tigt ist. Zu­dem müssen die Mit­tel zur Er­rei­chung die­ses Ziels nach § 10 Satz 2 AGG an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sein. Ent­ge­gen der An­sicht des Be­klag­ten ist die an das Le­bens­al­ter an­knüpfen­de Dif­fe­ren­zie­rung in § 26



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Abs. 1 TVöD nicht sach­lich ge­recht­fer­tigt, weil sie ei­nem ge­stei­ger­ten Er­ho­lungs­bedürf­nis älte­rer Beschäftig­ter Rech­nung trägt und de­ren Ge­sund­heit schützen will. Da­bei kann da­hin­ste­hen, ob und ge­ge­be­nen­falls un­ter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen das Ziel des Ge­sund­heits­schut­zes ei­ne un­ter­schied­li­che Be­hand­lung recht­fer­ti­gen würde. Die Ta­rif­vor­schrift ver­folgt die­ses Ziel schon nicht.


aa) Die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ha­ben das mit der in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD ge­re­gel­ten Ur­laubs­staf­fe­lung ver­folg­te Ziel nicht aus­drück­lich ge­nannt. Nennt ei­ne Re­ge­lung oder Maßnah­me kein Ziel, müssen zu­min­dest aus dem Kon­text ab­ge­lei­te­te An­halts­punk­te die Fest­stel­lung des hin­ter der Re­ge­lung oder der Maßnah­me ste­hen­den Ziels ermögli­chen, um die Le­gi­ti­mität des Ziels so­wie die An­ge­mes­sen­heit und die Er­for­der­lich­keit der zu sei­ner Er­rei­chung ein­ge­setz­ten Mit­tel ge­richt­lich über­prüfen zu können. Da­bei können nach der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs der Eu­ropäischen Uni­on die so­zi­al­po­li­ti­schen Zie­le als le­gi­tim an­ge­se­hen wer­den, die im all­ge­mei­nen In­ter­es­se ste­hen. Der­je­ni­ge, der ei­ne Un­gleich­be­hand­lung vor­nimmt, muss den na­tio­na­len Ge­rich­ten in ge­eig­ne­ter Wei­se die Möglich­keit zur Prüfung einräum­en, ob mit der Un­gleich­be­hand­lung ein Ziel an­ge­strebt wird, das die Un­gleich­be­hand­lung un­ter Be­ach­tung der Zie­le der Richt­li­nie 2000/78/EG recht­fer­tigt (vgl. EuGH 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Con­cern Eng­land] Rn. 45 ff., Slg. 2009, I-1569; BAG 26. Mai 2009 - 1 AZR 198/08 - Rn. 36 ff., BA­GE 131, 61). Denn das na­tio­na­le Ge­richt hat zu prüfen, ob die Re­ge­lung oder Maßnah­me ein rechtmäßiges Ziel iSd. Art. 6 Abs. 1 Un­terabs. 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG ver­folgt. Glei­ches gilt für die Fra­ge, ob die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en als Norm­ge­ber an­ge­sichts des vor­han­de­nen Wer­tungs­spiel­raums da­von aus­ge­hen durf­ten, dass die gewähl­ten Mit­tel zur Er­rei­chung die­ses Ziels an­ge­mes­sen und er­for­der­lich wa­ren (vgl. EuGH 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Con­cern Eng­land] Rn. 49 ff., aaO; vgl. auch BAG 13. Ok­to­ber 2009 - 9 AZR 722/08 - Rn. 57, BA­GE 132, 210).


bb) Die Re­ge­lung in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD dient nicht dem Schutz älte­rer Beschäftig­ter iSv. § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG. Die­se ge­setz­li­che Re­ge­lung
 


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kon­kre­ti­siert das le­gi­ti­me Ziel, nämlich ua. die Si­cher­stel­lung des Schut­zes älte­rer Beschäftig­ter, wo­bei die­ser Schutz auch die Fest­le­gung be­son­de­rer Ar­beits­be­din­gun­gen ein­sch­ließen kann. Aus ei­ner ta­rif­li­chen Ur­laubs­staf­fe­lung, die - wie die in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD - den Beschäftig­ten be­reits nach Voll­endung des 30. Le­bens­jah­res drei wei­te­re Ur­laubs­ta­ge und dann nach Voll­endung des 40. Le­bens­jah­res letzt­mals ei­nen zusätz­li­chen Ur­laubs­tag gewährt, lässt sich nicht ab­lei­ten, dass die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ei­nem ge­stei­ger­ten Er­ho­lungs­bedürf­nis älte­rer Beschäftig­ter Rech­nung tra­gen woll­ten und das Ziel ver­folg­ten, den Schutz älte­rer Beschäftig­ter iSd. § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG si­cher­zu­stel­len. Wenn sich auch ei­ne ge­naue Schwel­le für die Zu­ord­nung zu den älte­ren Ar­beit­neh­mern we­der die­ser Re­ge­lung selbst noch Art. 6 Abs. 1 Un­terabs. 2 Buchst. a der Richt­li­nie 2000/78/EG ent­neh­men lässt, so ist die­se frei­lich an der Ziel­set­zung (vgl. zu die­ser Däubler/Bertz­bach/Brors 2. Aufl. § 10 Rn. 42) aus­zu­rich­ten. Ei­nen ar­beits­markt­po­li­ti­schen Zweck ver­folgt zB § 417 Abs. 1 SGB III, wo­nach Ar­beit­neh­me­rin­nen und Ar­beit­neh­mer, die das 50. Le­bens­jahr voll­endet ha­ben und ih­re Ar­beits­lo­sig­keit durch Auf­nah­me ei­ner ver­si­che­rungs­pflich­ti­gen Beschäfti­gung be­en­den oder ver­mei­den, un­ter den in der Vor­schrift ge­nann­ten Vor­aus­set­zun­gen An­spruch auf Leis­tun­gen der Ent­gelt­si­che­rung ha­ben. Die­se Re­ge­lung der Ent­gelt­si­che­rung be­zweckt, die Ar­beits­lo­sig­keit älte­rer Ar­beit­neh­mer ab­zu­bau­en und ih­ren An­teil an der er­werbstäti­gen Bevölke­rung zu erhöhen (vgl. BT-Drucks. 17/1945 S. 17). Im Ver­gleich zu der in § 417 Abs. 1 SGB III ge­nann­ten Al­ters­grup­pe setzt sich die durch die Ur­laubs­staf­fel in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD begüns­tig­te Beschäftig­ten­grup­pe, der ein Ur­laubs­an­spruch von jähr­lich 30 Ar­beits­ta­gen ein­geräumt wird, nicht aus­nahms­los aus älte­ren Beschäftig­ten zu­sam­men. Viel­mehr gehören ihr al­le Beschäftig­ten ab Voll­endung des 40. Le­bens­jah­res an. Der Se­nat hat be­reits ent­schie­den, dass ein Ar­beit­neh­mer je­den­falls ab Voll­endung des 31. Le­bens­jah­res of­fen­sicht­lich kein älte­rer Beschäftig­ter iSv. § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG ist (BAG 13. Ok­to­ber 2009 - 9 AZR 722/08 - Rn. 55, BA­GE 132, 210).

cc) Ein le­gi­ti­mes Ziel iSd. § 10 AGG er­gibt sich ent­ge­gen der An­nah­me des Lan­des­ar­beits­ge­richts auch nicht aus § 10 Satz 3 Nr. 2 AGG. Da­nach kann ei­ne
 


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zulässi­ge un­ter­schied­li­che Be­hand­lung we­gen des Al­ters auch die Fest­le­gung von Min­dest­an­for­de­run­gen an das Al­ter für be­stimm­te mit der Beschäfti­gung ver­bun­de­ne Vor­tei­le ein­sch­ließen. Die­se Re­ge­lung be­stimmt selbst kein le­gi­ti­mes Ziel, son­dern be­schreibt nur ein mögli­ches Mit­tel, mit der ein auf an­de­re Wei­se zu le­gi­ti­mie­ren­des Ziel ge­recht­fer­tigt wer­den kann (vgl. ErfK/Schlach­ter 12. Aufl. § 10 AGG Rn. 6), so­fern es er­for­der­lich und an­ge­mes­sen iSd. § 10 Satz 2 AGG ist.


dd) Die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ver­fol­gen ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Be­klag­ten nicht das Ziel des Ge­sund­heits­schut­zes älte­rer Ar­beit­neh­mer.


(1) Das mit der Ur­laubs­staf­fe­lung des § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD ver­folg­te Ziel lässt sich nicht mit aus­rei­chen­der Deut­lich­keit aus dem Wort­laut des § 26 TVöD ent­neh­men. § 26 TVöD nor­miert aus­weis­lich sei­ner Über­schrift den Er­ho­lungs­ur­laub. Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 TVöD ha­ben Beschäftig­te in je­dem Ka­len­der­jahr An­spruch auf Er­ho­lungs­ur­laub un­ter Fort­zah­lung des Ent­gelts. § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD legt die Dau­er die­ses Er­ho­lungs­ur­laubs fest. Der Be­griff des Er­ho­lungs­ur­laubs wird da­bei nicht näher de­fi­niert und ist dem BUrlG ent­lehnt, auf das § 26 Abs. 2 TVöD im Übri­gen ver­weist. Der Er­ho­lungs­ur­laub nach dem BUrlG soll nach der Ge­set­zes­be­gründung dem so­zi­al­po­li­ti­schen An­lie­gen der Er­hal­tung und Wie­der­auf­fri­schung der Ar­beits­kraft der Ar­beit­neh­mer die­nen (vgl. den schrift­li­chen Be­richt des Bun­des­tags­aus­schus­ses für Ar­beit, BT-Drucks. IV/785; Be­gründung des von der Frak­ti­on der CDU/CSU ein­ge­brach­ten Ent­wurfs ei­nes Bun­des­ur­laubs­ge­set­zes, BT-Drucks. IV/207). Durch den Er­ho­lungs­ur­laub wird dem Ar­beit­neh­mer die Möglich­keit ge­si­chert, für ei­ne be­stimm­te Dau­er im Jahr, die ihm ein­geräum­te Frei­zeit zur selbst­be­stimm­ten Er­ho­lung zu nut­zen (st. Rspr., vgl. BAG 20. Ju­ni 2000 - 9 AZR 405/99 - zu II 2 b bb 1 der Gründe, BA­GE 95, 104; 8. März 1984 - 6 AZR 600/82 - zu II 5 b der Gründe, BA­GE 45, 184; eben­so st. Rspr. des EuGH zum Jah­res­ur­laub nach Art. 7 Abs. 1 der Richt­li­nie 2003/88/EG, EuGH 22. No­vem­ber 2011 - C-214/10 - [KHS] Rn. 31, AP Richt­li­nie 2003/88/EG Nr. 6 = EzA EG-Ver­trag 1999 Richt­li­nie 2003/88 Nr. 7; 20. Ja­nu­ar 2009 - C-350/06 und
 


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C-520/06 - [Schultz-Hoff] Rn. 25, Slg. 2009, I-179). Wenn ei­ne Ta­rif­re­ge­lung die Ur­laubs­dau­er nach dem Le­bens­al­ter staf­felt, liegt die An­nah­me na­he, die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en hätten ei­nem mit zu­neh­men­dem Al­ter ge­stei­ger­ten Er­ho­lungs­bedürf­nis älte­rer Beschäftig­ter Rech­nung tra­gen wol­len. Die Re­ge­lung in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD recht­fer­tigt ei­ne sol­che An­nah­me frei­lich nicht, son­dern schließt sie aus.


(2) Das folgt be­reits aus dem In­halt der Re­ge­lung. Die Ta­rif­vor­schrift räumt den Beschäftig­ten schon ab dem 30. Le­bens­jahr drei wei­te­re Ur­laubs­ta­ge ein. Dafür, dass die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en von ei­nem so deut­lich ge­stei­ger­tem Er­ho­lungs­bedürf­nis be­reits nach der Voll­endung des 30. Le­bens­jah­res aus­ge­gan­gen sind, fehlt je­der An­halts­punkt. Ge­gen ei­ne sol­che An­nah­me spricht auch, dass die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en den Beschäftig­ten nach der Voll­endung des 40. Le­bens­jah­res letzt­mals nur ei­nen wei­te­ren Ur­laubs­tag gewährt und da­von ab­ge­se­hen ha­ben, ein ge­stei­ger­tes Er­ho­lungs­bedürf­nis des Beschäftig­ten in der Zeit bis zum Er­rei­chen des ge­setz­lich fest­ge­leg­ten Al­ters für den Be­zug der Re­gel­al­ters­ren­te (§ 33 Abs. 1 Buchst. a TVöD) zu berück­sich­ti­gen. Hätten die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ein ge­stei­ger­tes Er­ho­lungs­bedürf­nis älte­rer Beschäftig­ter vor Au­gen ge­habt, hätten sie nicht ei­nem 30-Jähri­gen ei­nen ge­genüber ei­nem 29-jähri­gen Beschäftig­ten um drei Ta­ge länge­ren Ur­laub gewährt, nach der Voll­endung des 40. Le­bens­jah­res des Beschäftig­ten ei­ne we­sent­lich ge­rin­ge­re Stei­ge­rung des Er­ho­lungs­bedürf­nis­ses an­ge­nom­men und für die Zeit da­nach bis zum Er­rei­chen des ge­setz­lich fest­ge­leg­ten Al­ters für den Be­zug der Re­gel­al­ters­ren­te ein zu­neh­men­des Er­ho­lungs­bedürf­nis des Beschäftig­ten über­haupt nicht mehr berück­sich­tigt (vgl. Wul­fers/Hecht ZTR 2007, 475, 478). Auch das Schrift­tum nimmt ganz über­wie­gend an, dass ei­ne ta­rif­li­che Ur­laubs­staf­fe­lung nicht schon auf die Voll­endung des 30. bzw. des 40. Le­bens­jah­res ab­stel­len darf, wenn sie ei­nem ge­stei­ger­ten Er­ho­lungs­bedürf­nis älte­rer Beschäftig­ter Rech­nung tra­gen will (vgl. Fie­berg in Fürst GKÖD Bd. IV E § 26 TVöD Rn. 22; Tem­pel­mann/Stens­lik DStR 2011, 1183, 1186; Rich­ter Be­nach­tei­li­gung we­gen des Al­ters im Er­werbs­le­ben S. 170; Mei­nel/Heyn/Herms § 10 Rn. 42b; AGG/Voigt § 10 Rn. 33; Hey AGG § 10 Rn. 28; Ka­man­ab­rou NZA
 


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Bei­la­ge 3/2006, 138, 144; Hock/Kra­mer/Schwerd­le ZTR 2006, 622, 623; Linck/Schütz FS Lei­ne­mann S. 181 f.; Sen­ne Aus­wir­kun­gen des eu­ropäischen Ver­bots der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung auf das deut­sche Ar­beits­recht S. 269; Ber­tels­mann ZESAR 2005, 242, 246). Selbst wenn die Er­ho­lungs­bedürf­tig­keit von Ar­beit­neh­mern mit zu­neh­men­dem Le­bens­al­ter stei­gen soll­te (zwei­felnd Däubler/Bertz­bach/Brors § 10 Rn. 50; aA Wal­ter­mann NZA 2005, 1265, 1269), hätte es mit dem Schutz älte­rer Ar­beit­neh­mer nichts zu tun, be­reits mit dem 30. Le­bens­jahr ei­ne ers­te Verlänge­rung des Ur­laubs­an­spruchs um drei Ta­ge und die zwei­te und zu­gleich letz­te Verlänge­rung um ei­nen wei­te­ren Ur­laubs­tag be­reits mit Voll­endung des 40. Le­bens­jah­res vor­zu­se­hen (so auch Fie­berg in Fürst GKÖD Bd. IV E § 26 TVöD Rn. 22; Adom­eit/Mohr § 10 Rn. 105; so be­reits zu § 48 BAT: Lüde­ritz Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung durch Al­ters­gren­zen S. 156). Es fehlt in bei­den Stu­fen an dem er­kenn­ba­ren Schutz Älte­rer. Die Verlänge­rung des Ur­laubs­an­spruchs be­reits mit dem voll­ende­ten 30. Le­bens­jahr lässt sich kaum mit der Er­hal­tung der Leis­tungsfähig­keit Älte­rer be­gründen. Auch mit der Voll­endung des 40. Le­bens­jah­res hat ein Beschäftig­ter re­gelmäßig al­len­falls die Mit­te sei­nes Er­werbs­al­ters er­reicht (vgl. auch Lüde­ritz Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung durch Al­ters­gren­zen S. 156). Hätten die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en gemäß der An­sicht des Be­klag­ten ein ge­stei­ger­tes Er­ho­lungs­bedürf­nis älte­rer Beschäftig­ter berück­sich­ti­gen wol­len, hätten sich die gewähl­ten Al­ters­gren­zen nicht an dem mit dem Al­ter zu­neh­men­den Er­ho­lungs­bedürf­nis ori­en­tiert und wären willkürlich.


(3) Ge­ra­de die­ser Um­stand bestätigt, dass die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en mit der Re­ge­lung in § 26 TVöD we­der den Schutz der Ge­sund­heit be­zweck­ten noch ei­nem ge­stei­ger­ten Er­ho­lungs­bedürf­nis älte­rer Beschäftig­ter Rech­nung tra­gen woll­ten. Hätten sie die­se Zie­le ver­folgt, hätte es na­he ge­le­gen, ge­ra­de für die älte­ren Beschäftig­ten, zB die Grup­pe der über 50- oder über 60-jähri­gen Beschäftig­ten, die Dau­er des Er­ho­lungs­ur­laubs zu verlängern. Bei die­ser Per­so­nen­grup­pe ist ein al­ters­be­dingt ge­stei­ger­tes Er­ho­lungs­bedürf­nis eher nach­voll­zieh­bar. Ein sol­ches Schutz­bedürf­nis für die über 50-Jähri­gen ha­ben die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en aber nur hin­sicht­lich der Be­schränkung der Höchst­dau­er des Ge­samt­ur­laubs bei be­son­ders be­las­ten­den Ar­bei­ten (Schicht- und Wech­sel-
 


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schicht) ge­se­hen. Das folgt aus § 27 Abs. 4 Satz 4 TVöD. Da­nach erhöht sich ab die­sem Le­bens­al­ter die ma­xi­mal er­reich­ba­re Ge­samt­ur­laubs­dau­er von jähr­lich 35 auf 36 Ar­beits­ta­ge.


(4) Die Ta­rif­ge­schich­te bestätigt, dass die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en mit der Ur­laubs­staf­fel nicht ei­nem mit dem Le­bens­al­ter stei­gen­den Er­ho­lungs­bedürf­nis Rech­nung tra­gen woll­ten. Be­reits seit dem In­kraft­tre­ten des BAT wur­de die Ur­laubs­dau­er an das Le­bens­al­ter ge­knüpft (§ 48 Abs. 1 BAT). Sie stei­ger­te sich auch nach dem voll­ende­ten 30. Le­bens­jahr und nach dem voll­ende­ten 40. Le­bens­jahr. In­ner­halb der Le­bens­al­ters­stu­fen verlänger­te sich die Ur­laubs­dau­er teil­wei­se nach Vergütungs­grup­pen. Je höher der An­ge­stell­te ein­grup­piert war, je länger war sein Ur­laubs­an­spruch. Dies zeigt, dass nicht der Er­ho­lungs­zweck maßge­bend für die Ur­laubs­dau­er sein soll­te. Der Ur­laub wur­de viel­mehr als Qua­si-Ge­gen­leis­tung für die Ar­beits­leis­tung ge­re­gelt. Nur so lässt sich die nor­mier­te Abhängig­keit der Ur­laubs­dau­er von der Vergütungs­grup­pe erklären. Es kann des­halb nicht an­ge­nom­men wer­den, die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en hätten bei An­ge­stell­ten in höhe­ren Vergütungs­grup­pen ein ge­stei­ger­tes Er­ho­lungs­bedürf­nis aus­glei­chen wol­len. Die Dif­fe­ren­zie­rung re­sul­tiert viel­mehr aus der über­kom­me­nen Auf­fas­sung, der Ur­laub wer­de „ver­dient“.

5. Die Dis­kri­mi­nie­rung der Kläge­rin kann nur durch die Ver­pflich­tung des Be­klag­ten be­sei­tigt wer­den, der Kläge­rin für die Jah­re 2008 und 2009 je­weils ei­nen Er­satz­ur­laubs­tag zu gewähren. Zwar folgt aus § 7 Abs. 2 AGG nur, dass die dis­kri­mi­nie­ren­de Re­ge­lung un­wirk­sam ist. Auch wird vom Se­nat nicht ver­kannt, dass es sich bei § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD um ein Stu­fen­sys­tem han­delt, so­dass grundsätz­lich kei­ne Stu­fe als die von den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en als „übli­che“ Ur­laubs­dau­er ge­woll­te an­ge­se­hen wer­den kann. Je­doch kann die Be­sei­ti­gung der Dis­kri­mi­nie­rung vor­lie­gend nur durch ei­ne An­pas­sung „nach oben“ er­fol­gen.


a) Grundsätz­lich ist es Auf­ga­be der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en, ei­ne be­nach­tei­li­gungs­freie Re­ge­lung zu tref­fen, wofür ih­nen ver­schie­de­ne Möglich­kei­ten zu Verfügung ste­hen. Doch schei­det ei­ne Aus­set­zung des Rechts­streits un­ter
 


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Frist­set­zung zur Lücken­sch­ließung durch die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en selbst von vorn­her­ein aus (aM Fie­berg in Fürst GKÖD Bd. IV E § 26 TVöD Rn. 23). Nach der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs der Eu­ropäischen Uni­on sind für den Fall, dass ge­setz­li­che oder ta­rif­ver­trag­li­che Re­ge­lun­gen ei­ne mit der Richt­li­nie un­ver­ein­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung vor­se­hen, die na­tio­na­len Ge­rich­te ge­hal­ten, die Dis­kri­mi­nie­rung auf je­de denk­ba­re Wei­se und ins­be­son­de­re da­durch aus­zu­sch­ließen, dass sie die Re­ge­lung für die nicht be­nach­tei­lig­te Grup­pe auch auf die be­nach­tei­lig­te Grup­pe an­wen­den, oh­ne die Be­sei­ti­gung der Dis­kri­mi­nie­rung durch den Ge­setz­ge­ber, die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en oder in an­de­rer Wei­se ab­zu¬war­ten (vgl. so be­reits zur Richt­li­nie 76/207/EWG: EuGH 20. März 2003 - C-187/00 - [Kutz-Bau­er] Rn. 75, Slg. 2003, I-2741). Auch nach Art. 9 Abs. 3 GG in Ver­bin­dung mit dem Verhält­nismäßig­keits­grund­satz wäre ei­ne Aus­set­zung grundsätz­lich al­len­falls zur Be­sei­ti­gung ei­ner Dis­kri­mi­nie­rung für die Zu­kunft ge­bo­ten (vgl. BAG 10. No­vem­ber 2011 - 6 AZR 148/09 - Rn. 28, NZA 2012, 161). Vor­lie­gend geht es je­doch um die Be­sei­ti­gung ei­ner Dis­kri­mi­nie­rung in der Ver­gan­gen­heit.


b) Die Be­nach­tei­li­gung der Kläge­rin kann nicht auf an­de­re Wei­se für die Jah­re 2008 und 2009 aus­ge­schlos­sen wer­den. Ein Rück­griff auf den noch un­ter­halb der Ein­gang­stu­fe des § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD lie­gen­den ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laub gemäß den §§ 1, 3 BUrlG in Höhe von 20 Ar­beits­ta­gen bei ei­ner Fünf­ta­ge­wo­che ist hier­zu nicht ge­eig­net (aM Wul­fers/Hecht ZTR 2007, 475, 483; Brei­er/Das­sau/Kie­fer/Lang/Lan­gen­brinck TVöD Stand Fe­bru­ar 2012, § 26 Rn. 163.5). Der von den §§ 1, 7 AGG bzw. Art. 6 der Richt­li­nie 2000/78/EG ver­folg­te Zweck, Be­nach­tei­li­gun­gen zu ver­hin­dern oder zu be­sei­ti­gen, würde nicht er­reicht. Da dis­kri­mi­nie­ren­de Maßnah­men oder Ver­ein­ba­run­gen nicht hin­ge­nom­men und ih­re Fort­wir­kung nicht ak­zep­tiert wer­den darf (vgl. ErfK/Schlach­ter § 7 AGG Rn. 5), ist auch nicht auf die Ein­gangs­stu­fe des § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD mit 26 Ur­laubs­ta­gen ab­zu­stel­len. Hätte die Kläge­rin nur An­spruch auf die ers­te Stu­fe der Ur­laubs­staf­fel, fehl­te es an ei­ner Sank­ti­on, die ei­nen tatsächli­chen und wirk­sa­men Rechts­schutz gewährt und ab­schre­cken­de
 


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Wir­kung hat (vgl. zu die­sem As­pekt: BAG 10. No­vem­ber 2011 - 6 AZR 148/09 - Rn. 18 ff., NZA 2012, 161).

c) Hin­ge­gen ist ei­ne An­pas­sung „nach oben“ zur Be­sei­ti­gung ei­ner Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung im Ein­klang mit der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs der Eu­ropäischen Uni­on ge­recht­fer­tigt, wenn auf an­de­re Wei­se die Dis­kri­mi­nie­rung nicht be­ho­ben wer­den kann, weil der Ar­beit­ge­ber den Begüns­tig­ten für die Ver­gan­gen­heit die Leis­tung nicht mehr ent­zie­hen kann (vgl. ausführ­lich: BAG 10. No­vem­ber 2011 - 6 AZR 148/09 - Rn. 20 ff., NZA 2012, 161). Dies ist vor­lie­gend der Fall. Der den begüns­tig­ten Beschäftig­ten in den Jah­ren 2008 und 2009 gewähr­te Ur­laub von jähr­lich 30 Ar­beits­ta­gen kann nicht rück­wir­kend auf 29 oder 26 Ar­beits­ta­ge be­grenzt wer­den. Die als Ur­laub be­reits gewähr­te Frei­zeit ist nicht kon­di­zier­bar.

d) Sch­ließlich steht der An­pas­sung „nach oben“ auch nicht § 15 Abs. 3 AGG ent­ge­gen. Da­nach ist der Ar­beit­ge­ber bei der An­wen­dung kol­lek­tiv­recht­li­cher Ver­ein­ba­run­gen nur dann zur Entschädi­gung ver­pflich­tet, wenn er vorsätz­lich oder grob fährlässig han­delt. Die­se Be­stim­mung be­zieht sich al­lein auf die im­ma­te­ri­el­le Entschädi­gung nach § 15 Abs. 2 AGG (vgl. BAG 10. No­vem­ber 2011 - 6 AZR 148/09 - Rn. 38, NZA 2012, 161; ErfK/Schlach­ter § 15 AGG Rn. 13) und verhält sich nicht zur Be­sei­ti­gung ei­ner Dis­kri­mi­nie­rung durch ei­ne den Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bo­ten genügen­de Re­ge­lung.


e) Der Be­klag­te kann auch kei­nen Ver­trau­ens­schutz in An­spruch neh­men. In den Jah­ren 2008 und 2009 galt be­reits das am 18. Au­gust 2006 in Kraft ge­tre­te­ne AGG. Die­ses nimmt Dau­er­schuld­verhält­nis­se und da­mit auch Ar­beits­verhält­nis­se eben­so we­nig wie Ta­rif­verträge aus, die vor dem In­kraft­tre­ten des AGG be­reits ab­ge­schlos­sen wa­ren. Über­g­angs­vor­schrif­ten oder Ver­trau­ens­schutz­re­ge­lun­gen sind in­so­weit in § 33 AGG nicht vor­ge­se­hen. Gemäß § 1 AGG ist ua. Ziel die­ses Ge­set­zes, Be­nach­tei­li­gun­gen aus Gründen des Al­ters nicht nur zu ver­hin­dern, son­dern auch zu be­sei­ti­gen. Die da­mit ein­her­ge­hen­de un­ech­te Rück­wir­kung ist zulässig. Der zeit­li­che Gel­tungs­be­reich wird je nach La­ge der Verhält­nis­se im Ein­zel­fall nur durch den Grund­satz des Ver­trau-
 


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ens­schut­zes be­schränkt (vgl. so be­reits zu § 81 Abs. 2 SGB IX aF: BAG 16. De­zem­ber 2008 - 9 AZR 985/07 - Rn. 38, BA­GE 129, 72). Dies setzt je­doch in je­dem Fall das Vor­lie­gen ei­nes schutzwürdi­gen Ver­trau­ens vor­aus, das vor­lie­gend nicht ge­ge­ben ist, selbst wenn man die Grundsätze zum Ver­trau­ens­schutz bei un­ech­ter Rück­wir­kung von Ge­set­zen an­wen­det. Nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts ist der Grund­satz des Ver­trau­ens­schut­zes nur dann ver­letzt, wenn die vom Ge­setz­ge­ber an­ge­ord­ne­te un­ech­te Rück­wir­kung zur Er­rei­chung des Ge­set­zes­zwecks nicht ge­eig­net oder er­for­der­lich ist oder wenn die Be­stands­in­ter­es­sen der Be­trof­fe­nen die Verände­rungs­gründe des Ge­setz­ge­bers über­wie­gen (vgl. BVerfG 10. Au­gust 2006 - 2 BvR 563/05 - Rn. 14, BVerfGK 9, 28). Zum ei­nen dient das AGG der Um­set­zung von EU-Richt­li­ni­en zum Schutz vor Dis­kri­mi­nie­rung im Be­reich Beschäfti­gung und Be­ruf und enthält in­so­weit ins­be­son­de­re im Be­reich der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung uni­ons­recht­lich ver­an­ker­te not­wen­di­ge und be­deu­ten­de Re­ge­lun­gen. Zum an­de­ren wäre ein Ver­trau­en in den Fort­be­stand der an­ge­wand­ten ta­rif­ver­trag­li­chen Re­ge­lun­gen nicht schutzwürdig. Denn die Richt­li­nie 2000/78/EG wur­de schon im Jahr 2000 er­las­sen und stellt in Art. 16 Buchst. b aus­drück­lich klar, dass die Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bo­te auch auf ta­rif­ver­trag­li­che Be­stim­mun­gen An­wen­dung fin­den. Nach Art. 18 der Richt­li­nie 2000/78/EG war die­se zu­dem spätes­tens zum 2. De­zem­ber 2006 in na­tio­na­les Recht um­zu­set­zen. Der Be­klag­te muss­te eben­so wie die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en da­mit rech­nen, dass ta­rif­ver­trag­li­che Re­ge­lun­gen auch am Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung ge­mes­sen wer­den. Des­halb konn­te der Be­klag­te nicht dar­auf ver­trau­en, dass auch nach In­kraft­tre­ten des AGG die Ur­laubs­staf­fel­re­ge­lung des § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD zulässig war, zu­mal in der Ge­set­zes­be­gründung zum AGG die An­knüpfung an das bloße Le­bens­al­ter als Min­dest­gren­ze für mit der Beschäfti­gung ver­bun­de­ner Vor­tei­le nicht un­kri­tisch ge­se­hen wur­de (vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 36) und im Schrift­tum nicht nur ver­ein­zelt die Un­wirk­sam­keit des § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD we­gen Ver­s­toßes ge­gen das Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung an­ge­nom­men wur­de (vgl. Fie­berg in Fürst GKÖD Bd. IV E § 26 TVöD Rn. 22 mwN; Ka­man­ab­rou NZA Bei­la­ge 3/2006, 138, 144; Hock/Kra­mer/Schwerdtle
 


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ZTR 2006, 622, 623 mwN; so be­reits zu § 48 Abs. 1 BAT: Lüde­ritz Al­ters­dis­kri-mi­nie­rung durch Al­ters­gren­zen S. 156).


6. Die Kläge­rin hat An­spruch auf Er­satz­ur­laub gemäß § 280 Abs. 1, § 286 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1 BGB. Die Rest­ur­laubs­ansprüche für die Jah­re 2008 und 2009 wa­ren man­gels Vor­lie­gens ei­nes Über­tra­gungs­grun­des nach § 26 Abs. 1 Satz 6 TVöD iVm. § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG zum 31. De­zem­ber des je­wei­li­gen Jah­res ver­fal­len. Die­sen Un­ter­gang hat der Be­klag­te zu ver­tre­ten, weil er sich mit der Gewährung des Ur­laubs in Ver­zug be­fand.


a) Die tat­be­stand­li­chen Vor­aus­set­zun­gen ei­nes Scha­dens­er­satz­an­spruchs aus Ver­zug gemäß § 280 Abs. 1, § 286 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1 BGB lie­gen vor. Die Kläge­rin hat­te in den Jah­ren 2008 und 2009 An­spruch auf je­weils 30 Ur­laubs­ta­ge. Nach der ständi­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts wan­delt sich der Ur­laubs­an­spruch in ei­nen Scha­dens­er­satz­an­spruch um, der auf Gewährung von Er­satz­ur­laub als Na­tu­ral­re­sti­tu­ti­on ge­rich­tet ist, wenn der Ar­beit­ge­ber den recht­zei­tig ver­lang­ten Ur­laub nicht gewährt und der Ur­laub auf­grund sei­ner Be­fris­tung verfällt (BAG 11. April 2006 - 9 AZR 523/05 - Rn. 24, AP BUrlG § 7 Über­tra­gung Nr. 28 = EzA BUrlG § 7 Nr. 116).

b) Die Kläge­rin mach­te mit Schrei­ben vom 5. No­vem­ber 2008 un­ter der Über­schrift „Gel­tend­ma­chung von Ur­laubs­ansprüchenUr­laub in Höhe von 30 Ta­gen nach dem TVöD gel­tend und bat zu­dem, den Ur­laubs­an­spruch auch für die Zu­kunft ent­spre­chend an­zu­pas­sen. Da­hin­ge­stellt blei­ben kann, ob dies schon ein kon­kre­tes Ver­lan­gen be­inhal­tet hat, den Ur­laub in den Jah­ren 2008 und 2009 zu gewähren. Nach der Recht­spre­chung des Se­nats ist hierfür zu­min­dest er­for­der­lich, dass der Ar­beit­ge­ber nach den Grundsätzen des § 133 BGB da­von aus­ge­hen muss, der Ar­beit­neh­mer wünsche ab ei­nem be­stimm­ten Zeit­punkt Er­ho­lungs­ur­laub (vgl. BAG 17. No­vem­ber 2009 - 9 AZR 745/08 - Rn. 45; 11. April 2006 - 9 AZR 523/05 - Rn. 28, AP BUrlG § 7 Über­tra­gung Nr. 28 = EzA BUrlG § 7 Nr. 116). Maßge­bend ist, dass der Be­klag­te mit Schrei-
 


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ben vom 28. No­vem­ber 2008 erklärt hat, er leh­ne den An­trag auf Verlänge­rung des Ur­laubs „auf 30 Ta­ge vor Er­rei­chen des 41. Le­bens­jah­res“ ab, weil der Kläge­rin nach dem für ihn ver­bind­li­chen § 26 Abs. 1 TVöD der­zeit nur 29 Ur­laubs­ta­ge zustünden. Aus ob­jek­ti­ver Empfänger­sicht lag dar­in ei­ne ernst-haf­te und endgülti­ge Erfüllungs­ver­wei­ge­rung des Be­klag­ten als Schuld­ner des Ur­laubs­an­spruchs, die gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB ei­ne Mah­nung der Kläge­rin ent­behr­lich mach­te (vgl. BAG 31. Ja­nu­ar 1991 - 8 AZR 462/89 - zu II der Gründe). Denn der Be­klag­te gab mit die­sem Schrei­ben vor Ab­lauf des Ur­laubs­jah­res 2008 klar zu er­ken­nen, dass er nicht be­reit sei, im lau­fen­den Jahr mehr als 29 Ta­ge Ur­laub zu gewähren. Hin­sicht­lich des wei­te­ren Ur­laubs­tags für das Jahr 2009 folgt der Ver­zug des Be­klag­ten zu­dem dar­aus, dass er je­den­falls mit dem An­trag auf Kla­ge­ab­wei­sung vom 24. April 2009 und so­mit vor Ab­lauf des Ur­laubs­jah­res 2009 zu er­ken­nen ge­ge­ben hat, den wei­te­ren Ur­laubs­tag auch im Jahr 2009 nicht gewähren zu wol­len. Dar­in lag eben­so sei­ne ernst­haf­te und endgülti­ge Erfüllungs­ver­wei­ge­rung als Schuld­ner des Ur­laubs­an­spruchs, die gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB ei­ne Mah­nung der Kläge­rin eben­falls ent­behr­lich mach­te (vgl. BAG 17. Mai 2011 - 9 AZR 197/10 - Rn. 14, EzA TVG § 4 Me­tall­in­dus­trie Nr. 138; 31. Ja­nu­ar 1991 - 8 AZR 462/89 - zu II der Gründe).

B. Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1 ZPO. 


Brühler 

Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Suckow ist we­gen El­tern­zeit ver­hin­dert, sei­ne Un­ter­schrift bei­zufügen. Brühler 

Krasshöfer

Preuß 

Neu­mann-Red­lin

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