HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 07/19

Eu­ro­pa­rechts­wid­ri­ge Ar­beits­zei­ten bei der Feu­er­wehr

Was tun bei Ver­wei­ge­rung der 48-St­un­den­wo­che?: In ei­ni­gen Bun­des­län­dern ent­spre­chen die Ar­beits­zei­ten für Feu­er­wehr­be­am­te im­mer noch nicht den Vor­ga­ben der Ar­beits­zeit­richt­li­nie
Europafahne Eu­ro­pa ist weit weg - den­ken man­che Dienst­herrn beim The­ma Ar­beits­zeit

22.06.2009. Die Richt­li­nie 2003/88/EG des Eu­ro­päi­schen Par­la­ments und des Ra­tes vom 04.11.2003 (Richt­li­nie 2003/88/EG) - "Ar­beits­zeit­richt­li­nie" - schreibt in Art.6 Buch­sta­be b vor, dass die Mit­glied­staa­ten die er­for­der­li­chen Maß­nah­men tref­fen müs­sen, da­mit die durch­schnitt­li­che Ar­beits­zeit der Ar­beit­neh­mer pro Sie­ben­ta­ges­zeit­raum 48 St­un­den ein­schließ­lich der Über­stun­den nicht über­schrei­tet.

Die­se Re­ge­lung war schon in der na­mens­glei­chen Vor­gän­ger­richt­li­nie vom 23.11.1993 (Richt­li­nie 93/104/EG des Ra­tes vom 23.11.1993) ent­hal­ten und als de­ren Be­stand­teil bin­nen drei Jah­ren, d.h. bis zum 13.12.1996 in na­tio­na­les Recht um­zu­set­zen.

Au­ßer­dem hat der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof (EuGH) in vie­len Ent­schei­dun­gen der ver­gan­ge­nen Jah­re auch den al­ler­letz­ten Zwei­fel dar­an aus­ge­räumt, dass Be­reit­schafts­dienst­zei­ten in vol­lem Um­fang als Ar­beits­zei­ten an­zu­se­hen sind. Und selbst­ver­ständ­lich gel­ten die recht­li­chen Vor­ga­ben der Ar­beits­zeit­rich­li­nie auch für Feu­er­wehr­be­am­te (EuGH, Be­schluss vom 14.07.2005, Rs. C-52/04 - Per­so­nal­rat der Feu­er­wehr Ham­burg).

Trotz­dem se­hen die ar­beits­zeit­li­chen Re­ge­lun­gen für Be­am­te der Be­rufs­feu­er­wehr in ei­ni­gen Bun­des­län­dern im­mer noch aus, als gä­be es kei­ne Ar­beits­zeit­rich­li­nie und kei­nen EuGH. Für die Be­trof­fe­nen stellt sich da­her die Fra­ge nach ih­ren recht­li­chen Mög­lich­kei­ten, ge­rin­ge­re Be­reit­schafts­dienst­zei­ten und/oder ei­ne bes­se­re Be­zah­lung der ge­leis­te­ten Mehr­ar­beit durch­zu­set­zen.

Un­zu­rei­chen­de Um­set­zung der Ar­beits­zeit­richt­li­nie im Be­reich der Be­rufs­feu­er­weh­ren

Seit dem im Jah­re 2000 er­gan­ge­nen SI­MAP-Ur­teil des EuGH steht fest, dass Be­reit­schafts­dienst­zei­ten in vol­lem Um­fang als Ar­beits­zei­ten im Sin­ne des EU-Ar­beits­zeit­rechts, d.h. der Ar­beits­zeit­rich­li­nie gel­ten (EuGH, Ur­teil vom 03.10.2000, Rs. C-303/98 - SI­MAP).

Und die Schutz­nor­men die­ser Richt­li­nie sind wie erwähnt nach ei­nem Be­schluss des EuGH vom 14.07.2005 (Rs. C-52/04 - Per­so­nal­rat der Feu­er­wehr Ham­burg) auch auf Feu­er­wehr­be­am­te an­zu­wen­den. Auch Tätig­kei­ten, die von Ein­satz­kräften ei­ner staat­li­chen Feu­er­wehr aus­geübt wer­den, fal­len in der Re­gel in den An­wen­dungs­be­reich der Ar­beits­zeit­richt­li­ni­en, so dass die wöchent­li­che Höchst­ar­beits­zeit von 48 St­un­den ein­sch­ließlich der Be­reit­schafts­dienst­zei­ten auch für Feu­er­wehr­be­am­te gilt.

Die Bun­desländer, in de­ren Ver­ant­wor­tungs­be­reich die Fest­set­zung der Ar­beits­zei­ten der Lan­des­be­am­ten und zu­gleich auch die Or­ga­ni­sa­ti­on der Be­rufs­feu­er­weh­ren fällt, ha­ben bis­lang nur in ei­ni­gen Fällen die Kon­se­quen­zen aus den vor­ste­hen­den eu­ro­pa­recht­li­chen An­for­de­run­gen an das na­tio­na­le Ar­beits­zeit­recht ge­zo­gen.

Zwar schreibt das Ar­beits­zeit­ge­setz (Arb­ZG) die 48-St­un­den­wo­che als Kon­se­quenz der sonntägli­chen Ar­beits­ru­he (§ 9 Arb­ZG) und des Acht­stun­den­tags (§ 3 Arb­ZG) im Grund­satz fest, doch gilt das Arb­ZG nur für Ar­beit­neh­mer und nicht für Be­am­te. Und da­her fin­den sich in ei­ni­gen Bun­desländern im­mer noch Ar­beits­zeit­re­ge­lun­gen (wie zum Bei­spiel in Ber­lin die Ar­beits­zeit­ver­ord­nung vom 16.02.2004, GVBl S.516), die es er­lau­ben, die re­gelmäßige wöchent­li­che Ar­beits­zeit der Be­am­ten auf über 50 St­un­den fest­zu­le­gen, wenn die Ar­beit ganz oder teil­wei­se in Be­reit­schafts­dienst be­steht.

Die Fra­ge, wel­che Rech­te (Feu­er­wehr-)Be­am­te ha­ben, wenn sie wei­ter­hin "be­harr­lich" über 48 St­un­den pro Wo­che hin­aus zum (Be­reit­schafts-) Dienst her­an­ge­zo­gen wer­den, ist in der letz­ten Zeit mehr­fach ge­richt­lich ent­schie­den wor­den.

Gibt es ei­nen An­spruch auf Frei­zeit­aus­gleich oder auf Über­stun­den­vergütung?

Die Lan­des­be­am­ten­ge­set­ze se­hen - wie auch der für Bun­des­be­am­te gel­ten­de § 72 BBG - vor, dass der Be­am­te da­zu ver­pflich­tet ist, oh­ne Vergütung über die re­gelmäßige wöchent­li­che Ar­beits­zeit hin­aus Dienst zu tun, wenn zwin­gen­de dienst­li­che Verhält­nis­se dies er­for­dern und sich die Mehr­ar­beit auf Aus­nah­mefälle be­schränkt.

Über­steigt die an­ge­ord­ne­te oder ge­neh­mig­te Mehr­ar­beit al­ler­dings fünf St­un­den im Mo­nat, so ist im all­ge­mei­nen Frei­zeit­aus­gleich zu gewähren. Ist die­ser aus zwin­gen­den Gründen nicht möglich, "kann" für ei­nen Zeit­raum von bis zu 480 St­un­den im Jahr ei­ne Vergütung gewährt wer­den.

Hierfür wie­der­um gibt es ei­ne zu § 48 Bun­des­be­sol­dungs­ge­setz er­las­se­ne Ver­ord­nung der Bun­des­re­gie­rung, nämlich die Ver­ord­nung über die Gewährung von Mehr­ar­beits­vergütung für Be­am­te (BM­VergV).

§ 3 Abs.1 MVergV er­laubt ei­ne "Über­stun­den­vergütung" aber nur dann,

  • wenn mehr als fünf St­un­den Mehr­ar­beit pro Mo­nat ge­leis­tet wur­den,
  • wenn die Mehr­ar­beit schrift­lich an­ge­ord­net oder ge­neh­migt wur­de und
  • wenn ein Frei­zeit­aus­gleich aus zwin­gen­den dienst­li­chen Gründen in­ner­halb ei­nes Jah­res nicht möglich ist. Außer­dem kann ei­ne Mehr­ar­beits­vergütung für höchs­tens 480 St­un­den pro Jahr ge­leis­tet wer­den (§ 3 Abs.2 MVergV).

Gestützt auf die­se Re­ge­lun­gen hat die ver­wal­tungs­ge­richt­li­che Recht­spre­chung bis­lang fol­gen­de Grundsätze auf­ge­stellt:

Im all­ge­mei­nen gibt es kei­nen An­spruch auf zusätz­li­che Be­zah­lung von rechts­wid­rig an­ge­ord­ne­ter Ar­beits­zeit, da An­spruchs­grund­la­ge hierfür al­lein § 3 Abs.1, 2 MVergV sei. Die­se Re­ge­lung setzt aber die schrift­li­che An­ord­nung oder Ge­neh­mi­gung der Mehr­ar­beit vor­aus, was ei­ne Er­mes­sens­ent­schei­dung im Ein­zel­fall meint und nur bei rechtmäßiger Her­an­zie­hung zum Dienst denk­bar ist. Die ge­ne­rel­le und rechts­wid­ri­ge Dienst­ge­stal­tung erfüllt die Vor­aus­set­zun­gen von § 3 MVergV da­her nicht.

Aus die­sen Gründen müss­te man kon­se­quen­ter­wei­se auch ei­nen An­spruch auf Frei­zeit­aus­gleich ab­leh­nen, da auch die­ser gemäß den be­am­ten­ge­setz­li­chen Be­stim­mun­gen vor­aus­setzt, dass die Mehr­ar­beit im Ein­zel­fall und in rechtmäßiger Wei­se "an­ge­ord­net" oder "ge­neh­migt" wur­de - und auch das ist bei all­ge­mein rechts­wid­ri­gen Dienst­zei­ten nicht der Fall. Hier je­doch macht die Recht­spre­chung seit ei­nem Ur­teil des BVerwG vom 28.05.2003 (2 C 27/02) ei­ne Aus­nah­me:

Der An­spruch des Be­am­ten auf Frei­zeit­aus­gleich bei ge­ne­rell un­rechtmäßiger Her­an­zie­hung zur Ar­beit soll sich aus dem Prin­zip von "Treu und Glau­ben" er­ge­ben, falls sich die un­rechtmäßige Her­an­zie­hung zum Dienst auf mehr als fünf St­un­den pro Mo­nat beläuft (OVG NRW, Ur­teil vom 13.10.2005, 1 A 2724/04, Rn.101; VG Göttin­gen, Ur­teil vom 01.02.2006, 3 A 172/04, Rn.52; OVG Saar­louis, Ur­teil vom 19.07.2006, 1 R 20/05, 1.a) der Gründe; VG Mag­de­burg, Ur­teil vom 26.09.2006, 5 A 412/05, Rn.27; VG Bre­men, Ur­teil vom 24.04.2007, 6 K 1008/04).

Was können Be­trof­fe­ne tun?

Es ist den Be­trof­fe­nen da­zu zu ra­ten, schrift­lich ei­nen Aus­gleich von Mehr­ar­beit zu be­an­tra­gen, falls die Mehr­ar­beit un­ter Ein­schluss von Be­reit­schafts­diens­ten die Gren­ze von 48 St­un­den pro Wo­che über­steigt. Der Aus­gleich für die jen­seits die­ser Gren­ze lie­gen­den Wo­chen­stun­den ist in Form von Frei­zeit­aus­gleich, hilfs­wei­se bei ent­ge­gen­ste­hen­den dienst­li­chen Gründen in Form von Mehr­ar­beits­vergütung zu be­an­tra­gen.

Ei­ne Mehr­ar­beits­vergütung ist in der bis­lang veröffent­lich­ten Recht­spre­chung zwar noch nicht zu­ge­spro­chen wor­den, doch ist auch die Zu­er­ken­nung des für den Dienst­herrn fi­nan­zi­ell "harm­lo­se­ren" Frei­zeit­aus­gleichs sys­tem­wid­rig, d.h. mit den o.g. Rechts­vor­schrif­ten an sich nicht ver­ein­bar.

Je­den­falls dann, wenn der aus "Treu und Glau­ben" fol­gen­de Frei­zeit­aus­gleich aus dienst­li­chen Gründen nicht möglich ist, müss­te das Prin­zip von Treu und Glau­ben auch ei­nen An­spruch auf Mehr­ar­beits­vergütung her­ge­ben (vgl. an­deu­tungs­hal­ber OVG NRW, Ur­teil vom 13.10.2005, 1 A 2724/04, Rn.85: "in ers­ter Li­nie").

Soll­te dem An­trag nicht ent­spro­chen wer­den, kann der Dienst­herr auf Zah­lung von Mehr­ar­beits­vergütung, hilfs­wei­se auf Gewährung von Frei­zeit­aus­gleich ver­klagt wer­den.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 7. Dezember 2016

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de