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Lohnwucher: Tariflohnerhöhungen können Lohnwucher bedingen
13.07.2009. Viele Arbeitnehmer können mangels vertraglicher Bezugnahme auf einen Tarifvertrag keinen Tariflohn verlangen, da sie keiner Gewerkschaft angehören oder ihr Arbeitgeber nicht tarifgebunden ist, d.h. weder Mitglied eines Arbeitgeberverbandes ist noch selbst mit einer Gewerkschaft einen Tarifvertrag abgeschlossen hat. Falls es unter solchen Umständen keinen für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag gibt, der fachlich und räumlich einschlägig ist, können Löhne zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Prinzip „frei“ ausgehandelt werden.
Wo jedoch genau die Grenzen für diese Art von Vertragsfreiheit liegen und wann der so ausgehandelte Lohn als "Wucher" zu bezeichnene ist hatte unlängst das Bundesarbeitsgericht (BAG) zu entscheiden: BAG mit Urteil vom 22.042009, 5 AZR 436/08.
- Über welche Rechtsfrage hat das Bundesarbeitsgericht entschieden?
- Welcher Sachverhalt lag dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts zugrunde?
- Wie hat das Bundesarbeitsgericht entschieden?
Über welche Rechtsfrage hat das Bundesarbeitsgericht entschieden?
Diese Freiheit hat allerdings Grenzen, und zwar nach unten hin. Unterschreitet nämlich die von den Arbeitsvertragsparteien ausgehandelte Bezahlung einen räumlich und fachlich einschlägigen Lohntarifvertrag um mehr als ein Drittel, liegt nach der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte ein Anhaltspunkt für Lohnwucher im Sinne von § 138 Abs.1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) vor. Der Tariflohn ist dann die Messlatte für die Beantwortung der Frage, ob Leistung (Arbeit) und Gegenleistung (Lohn) möglicherweise in einem so unangemessenen Verhältnis stehen, dass die Vergütungsvereinbarung als „sittenwidrig“ im Sinne von § 138 Abs. 1 BGB anzusehen ist.
Liegt Lohnwucher vor, führt dies nicht etwa zur Unwirksamkeit des gesamten Arbeitsvertrags, sondern nur zur Nichtigkeit der „sittenwidrigen“ Lohnvereinbarung. Diese wird, da es keine geltende vertragliche Vergütungsregelung mehr gibt, gemäß § 612 Abs.2 BGB durch den Tariflohn oder, falls ein einschlägiger Tarifvertrag nicht vorhanden ist, durch die ortsübliche Vergütung ersetzt.
Bislang nicht klar entschieden war in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG), ob eine Vergütungsvereinbarung, die zum Zeitpunkt ihrer Vereinbarung bzw. beim Abschluss des Arbeitsvertrags nicht als wucherisch zu bewerten ist, aufgrund von Tariflohnerhöhungen im Laufe der Zeit wucherisch werden kann. Anders gesagt: Kommt es für die Beurteilung, ob eine Vergütung mehr als zwei Drittel unter dem Tariflohn liegt, (nur) auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses an oder (auch) auf die weitere Zeit des Leistungsaustausches bzw. der Vertragsdurchführung?
Zu dieser Frage hat das BAG mit Urteil vom 22.042009 (5 AZR 436/08) Stellung genommen.
Welcher Sachverhalt lag dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts zugrunde?
Die aus Portugal stammende und der deutschen Sprache nicht oder nicht gut mächtige Klägerin war seit 1992 in dem Gartenbaubetrieb des beklagten Arbeitgebers in Hamburg Stapelfeld als ungelernte Hilfskraft beschäftigt. Der vereinbarte Stundenlohn der Klägerin betrug 6,00 DM netto, ab dem 01.01.2002 3,25 Euro netto. Beide Parteien des Arbeitsvertrags sind nicht tarifgebunden. Die Klägerin hatte je nach saisonalem Bedarf teilweise erheblich über den gesetzlichen Grenzen der zulässigen Arbeitszeit hinausgehende Arbeitszeiten zu bewältigen. Teilweise arbeitete sie monatlich bis zu 352 Stunden.
Sie und ihr ebenfalls aus Portugal stammender Mann und ihre zwei minderjährigen Kinder lebten auf dem Grundstück der Gärtnerei in einem abgetrennten Teil eines Gewächshauses, den sie unentgeltlich nutzen konnten. Die Nut-zungsmöglichkeit erstreckte sich auch auf ein Stück Gartenfläche zum Eigenanbau von Gemüse.
Mit ihrer vor dem Arbeitsgericht Hamburg erhobenen Klage verlangt die Klägerin für die Zeit von Dezember 1999 bis Mai 2002 eine Nachzahlung von knapp 37.000,00 EUR. Zur Begründung meint die Klägerin, die ihr gewährte Vergütung sei wucherisch gering, wobei sie sich zum Vergleich auf die tarifliche Vergütung bezieht. Das Arbeitsgericht Hamburg wies die Klage ab (Urteil vom 04.05.2007, 26 Ca 241/02).
Auch das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamburg gab dem Arbeitgeber recht, d.h. es wies die Berufung der Klägerin ab (Urteil vom 17.04.2008, 1 Sa 10/07). Zur Begründung wertet das LAG die an die Klägerin gezahlte Monatsvergütung und die dafür geleisteten Arbeitsstunden aus und errechnet so einen Stundenlohn im Umfang von etwa 63 bis über 70 Prozent des Tariflohns. Zu der Vergütung kommt nach Ansicht des LAG der Wert der der Klägerin ohne Bezahlung zur Verfügung gestellten Wohnung.
Da der vereinbarte Lohn nach Ansicht des LAG zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht sittenwidrig gering war, prüft das Gericht im weiteren, ob der beklagte Arbeitgeber im weiteren Verlauf gegen eine etwaige Pflicht zur Lohnanpassung entsprechend der Tariflohnentwicklung verstoßen haben könnte.
Hintergrund dieser Fragestellung ist die Rechtsauffassung des LAG, dass es für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit allein auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses ankomme. In der nachfolgenden Zeit der Vertragsdurchführung muss die Sittenwidrigkeitsgrenze daher nach Ansicht des LAG offensichtlich unterschritten werden, da der Arbeitgeber ja nur in einem solchen Fall einen ausreichenden Anhaltspunkt für eine Pflicht zur Vertragsanpassung hat.
Im Ergebnis wies das LAG die Klage daher unter Berücksichtigung der der Klägerin eingeräumten Sachleistungen, insbesondere einer Wohngelegenheit auf dem Betriebsgelände, ab.
Wie hat das Bundesarbeitsgericht entschieden?
Das BAG hob das Urteil des LAG Hamburg auf und verwies den Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes an das LAG zurück.
Auch unter Einbeziehung der Sachbezüge betrug die der Klägerin gezahlte Stundenvergütung im Klagezeitraum nach Ansicht des BAG weniger als 2/3 der tariflichen Stundenvergütung. Da die Urteilsgründe noch nicht vorliegen, sind die vom BAG hierzu angestellten Überlegungen bzw. Berechnung des BAG, die von denen des LAG Hamburg abweichen, derzeit nicht recht nachvollziehbar. Nach Ansicht des BAG verdeutlichten die „Gesamtumstände“ des vorliegenden Falls, namentlich die gesetzwidrig hohen und unregelmäßigen Arbeitszeiten die Ausbeutung der Klägerin.
Maßgebend für die Feststellung der Sittenwidrigkeit der Vergütung ist nach Ansicht des BAG der Vergleich mit der tariflichen Stunden- oder Monatsvergütung ohne Zulagen und Zuschläge, wobei die besonderen Umstände des Falles zu berücksichtigen sind. Eine bei Abschluss des Arbeitsvertrags auf dieser Bewertungsgrundlage nicht zu beanstandende Vergütung kann, so das BAG, durch die Entwicklung des Tariflohns wucherisch werden. Infolgedessen trifft den Arbeitgeber die Obliegenheit, die Tarifentwicklung bzw. die Entwicklung des ortsüblichen Vergleichslohns zu beobachten.
Festzuhalten ist damit, dass es nach Ansicht des BAG nicht nur auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ankommt, sondern auch die nachfolgende Zeit der Vertragsdurchführung.
Für die erneute Verhandlung der Angelegenheit gab das BAG dem LAG mit auf den Weg, die Üblichkeit des Lohns in den Gartenbaubetrieben der Region zu ermitteln und festzustellen, ob der Beklagte das Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung gekannt hatte.
Fazit: Auf das Argument der Sittenwidrigkeit gestützte Lohndifferenzklagen sind auch künftig aus Arbeitnehmersicht keine leichte Aufgabe, da der Vergleich zwischen der gezahlten Vergütung und dem Tariflohn, wie das BAG nochmals betont hat, allein nicht ausreicht, sondern zusätzlich darzulegen ist, dass der Tariflohn in der jeweiligen Branche und Region auch gezahlt wird, d.h. eine tatsächliche „gelebte“ Bedeutung hat und daher als Vergleichsmaßstab herangezogen werden kann. Mit einer bloßen Tarifrecherche und anschließender Betätigung eines Taschenrechners ist es also nicht getan.
Immerhin ist künftig klar, dass es auf den Leistungsaustausch während der gesamten Zeit einer sittenwidrig geringen Vergütung des Arbeitnehmers ankommt und nicht etwa nur auf den möglicherweise schon Jahr und Tag zurückliegenden Zeitpunkt der Vergütungsvereinbarung.
In rechtlicher Hinsicht ist interessant, wie das BAG diese Auffassung begründen wird. Die Argumente, die das LAG Hamburg für die Maßgeblichkeit des Vertragsabschlusses anführt, sind nicht ganz von der Hand zu weisen. Immerhin geht es bei § 138 BGB um die Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts, d.h. im Falle des Lohnwuchers um die Sittenwidrigkeit der Vergütungsvereinbarung.
Nähere Informationen finden Sie hier:
- Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 22.042009, 5 AZR 436/08
- Landesarbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 17.04.2008, 1 Sa 10/07
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Hinweis: In der Zwischenzeit, d.h. nach Erstellung dieses Artikels, hat das Gericht seine Entscheidungsgründe schriftlich abgefasst und veröffentlicht. Die Entscheidungsgründe im Volltext finden Sie hier:
Letzte Überarbeitung: 6. Mai 2014
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