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BAG, Ur­teil vom 01.07.1993, 2 AZR 25/93

   
Schlagworte: Fragerecht des Arbeitgebers, Schwangerschaft, Diskriminierung: Geschlecht
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 2 AZR 25/93
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 01.07.1993
   
Leitsätze: 1. Die Frage nach der Schwangerschaft vor Einstellung einer Arzthelferin ist ausnahmsweise dann sachlich gerechtfertigt, wenn sie objektiv dem gesundheitlichen Schutz der Bewerberin und des ungeborenen Kindes dient (im Anschluß an Senatsurteil vom 15. Oktober 1992 - 2 AZR 227/92 - AP Nr 8 zu § 611a BGB, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen).
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Reutlingen
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
   

2 AZR 25/93
2 Sa 52/92 Ba­den-Würt­tem­berg


Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

1. Ju­li 1993

Ur­teil

Jatz,
Reg.-As­sis­ten­tin
als Ur­kunds­be­am­ter In Sa­chen
der Geschäfts­stel­le

hat der Zwei­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts in der Sit­zung vom 1. Ju­li 1993 gemäß S 128 Abs. 2 ZPO durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter Hil­le­brecht, die Rich­ter Bit­ter und Bröhl so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Schul­ze und Be­cker­le für Recht er­kannt:


Die Re­vi­si­on der Kläge­rin ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ba­den-Würt­tem­berg vom

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5. Au­gust 1992 - 2 Sa 52/92 - wird auf ih­re Kos­ten zurück­ge­wie­sen.

Von Rechts we­gen!


Tat­be­stand:


Die Kläge­rin be­warb sich mit Brief vom 5. Ok­to­ber 1991 als Mit­ar­bei­te­rin um ei­ne Voll­zeit­beschäfti­gung bei dem Be­klag­ten, der ei­ne Pra­xis für La­bo­ra­to­ri­ums­me­di­zin be­treibt und gleich­zei­tig Fach­arzt für Mi­kro­bio­lo­gie und In­fek­ti­ons­e­pi­de­mio­lo­gie ist. Bei der aus­ge­schrie­be­nen Stel­le han­del­te es sich um die­je­ni­ge ei­ner Sach­be­ar­bei­te­rin in der Pfor­te. Die an die­sem Ar­beits­platz zu ver­rich­ten­de Tätig­keit be­steht vor­wie­gend dar­in, Pro­ben ent­ge­gen­zu­neh­men, die zwecks Un­ter­su­chung in der Pra­xis des Be­klag­ten an­ge­lie­fert wer­den. Die Pro­ben ent­hal­ten zum Teil in­fek­tiöses Ma­te­ri­al, wer­den von der Sach­be­ar­bei­te­rin aus­ge­packt, wo­bei Blutröhr­chen zen­tri­fu­giert, geöff­net und mit Fil­tern ver­se­hen wer­den; auch wird Ser­um ab­pi­pet­tiert. Die Ar­beit muß mit Hand­schu­hen und un­ter Ver­wen­dung ei­nes Mund­schut­zes aus­geführt wer­den.

Am 28. Ok­to­ber 1991 fand sich die Kläge­rin zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch beim Be­klag­ten ein, auf­grund des­sen sie ab 4. No­vem­ber 1991 ein­ge­stellt wer­den soll­te. Der Kläge­rin wur­de bei die­ser Ge­le­gen­heit der vor­be­rei­te­te Text ei­nes An­stel­lungs­ver­tra­ges nebst An­hang I und II aus­gehändigt. Nach dem An­hang I erklärt die Mit­ar­bei­te­rin, daß sie nicht schwan­ger sei; falls sie ei­ne Schwan­ger­schaft mit 100 Ei­ger Si­cher­heit nicht aus­sch­ließen könne, erkläre sie sich be­reit, zur ei­ge­nen Si­cher­heit auf Kos­ten

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des Be­klag­ten ei­nen Schwan­ger­schafts­test im Ser­um ma­chen zu las­sen. An­hang II, ein Ein­stel­lungs­fra­ge­bo­gen, ent­hielt un­ter II 6 für weib­li­che Be­wer­ber die Fra­ge: Sind sie in an­de­ren Umständen, ge­ge­be­nen­falls in wel­chem Mo­nat? Die Kläge­rin, die schwan­ger war, wo­von sie seit 7. Ok­to­ber 1991 Kennt­nis hat­te, gab den Ver­trag nebst den An­la­gen, von ihr und ih­rer Mut­ter als Er­zie­hungs­be­rech­tig­ter un­ter dem 29. Ok­to­ber 1991 un­ter­zeich­net, an den Be­klag­ten zurück. Die im Ein­stel­lungs­fra­ge­bo­gen auf­geführ­te Fra­ge hat­te sie mit "Nein" be­ant­wor­tet. Die Kläge­rin nahm ih­re Ar­beit am 4. No­vem­ber 1991 auf. Nach­dem dem Be­klag­ten ei­ne vom 14. No­vem­ber 1991 da­tie­ren­de Ar­beits­unfähig­keits­be­schei­ni­gung zu­ge­gan­gen war, aus der sich die Tat­sa­che der Schwan­ger­schaft der Kläge­rin er­gab, kündig­te der Be­klag­te das An­stel­lungs­verhält­nis frist­los, hilfs­wei­se or­dent­lich und focht zu­gleich den ge­schlos­se­nen Ar­beits­ver­trag we­gen arg­lis­ti­ger Täuschung an.

Die Kläge­rin hat zu­letzt noch die Un­wirk­sam­keit der vom Be­klag­ten erklärten An­fech­tung gel­tend ge­macht und die An­sicht ver­tre­ten, die Fra­ge nach dem Be­ste­hen ei­ner Schwan­ger­schaft im Ein­stel­lungs­fra­ge­bo­gen sei un­zulässig ge­we­sen. Das gel­te auch im Hin­blick auf die Tätig­keit an dem von ihr aus­geübten Ar­beits­platz. Sie be­strei­te, daß es sich um ei­nen gefähr­li­chen Ar­beits­platz han­de­le, auf dem höchs­te An­ste­ckungs­ge­fahr be­ste­he. Der Be­klag­te ha­be sie auch an­der­wei­tig ein­set­zen können.

Die Kläge­rin hat zu­letzt noch be­an­tragt

fest­zu­stel­len, daß das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en durch die An­fech­tungs­erklärung vom

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18. No­vem­ber 1991 nicht be­en­det wor­den sei, son­dern über den 18. No­vem­ber 1991 hin­aus fort­be­ste­he.

Der Be­klag­te hat mit sei­nem Kla­ge­ab­wei­sungs­an­trag gel­tend ge­macht, die Fra­ge nach dem Be­ste­hen ei­ner Schwan­ger­schaft sei zulässig ge­we­sen, weil ei­ne schwan­ge­re Ar­beit­neh­me­rin we­gen der ge­ge­be­nen An­ste­ckungs­ge­fahr auf dem in Fra­ge ste­hen­den Ar­beits­platz nicht ha­be beschäftigt wer­den dürfen. Die Kläge­rin sei als Ar­beits­kraft in der Pro­be­n­an­nah­me und nicht für an­de­re Tätig­kei­ten ein­ge­stellt wor­den.

Das Ar­beits­ge­richt hat - so­weit für die Re­vi­si­ons­in­stanz von Be­lang - die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat nach
Ver­neh­mung der Zeu­gin L die Be­ru­fung der Kläge­rin zurück­ge­wie­sen. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt die Kläge­rin ih­ren Kla­ge­an­trag wei­ter.

Ent­schei­dungs­gründe :

Die Re­vi­si­on der Kläge­rin ist nicht be­gründet. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat zu Recht ent­schie­den, das Ar­beits­verhält­nis sei auf­grund der An­fech­tung des Be­klag­ten (§ 123 BGB) be­en­det.

I. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat sei­ne Ent­schei­dung im we­sent­li­chen wie folgt be­gründet: Das Ar­beits­verhält­nis ha­be auf­grund der An­fech­tung des Be­klag­ten we­gen arg­lis­ti­ger Täuschung nach § 123 Abs. 1 BGB sein En­de ge­fun­den, weil die Kläge­rin die Fra­ge nach
 


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schon des­halb, weil sich auf den frag­li­chen Ar­beits­platz nur weib­li­che In­ter­es­sen­ten be­wor­ben hätten und männ­li­che Be­wer­ber oh­ne­hin nicht ein­ge­stellt wor­den wären. Da­von ab­ge­se­hen sei aber Mo­tiv des Be­klag­ten für die Wei­ge­rung, ei­ne schwan­ge­re Mit­ar­bei­te­rin ein­zu­stel­len, nicht de­ren Schwan­ger­schaft ge­we­sen, son­dern die Gefähr­dung der Ge­sund­heit der Ar­beit­neh­me­rin und des un­ge­bo­re­nen Kin­des. Denn an dem frag­li­chen Ar­beits­platz in der Pfor­te würden un­strei­tig an­ste­ckungs­gefähr­den­de Pro­ben ent­ge­gen­ge­nom­men, an­ge­lie­fer­te Blutröhr­chen zen­tri­fu­giert, geöff­net, mit Fil­tern ver­se­hen und da­bei sei Ser­um ab­zu­pi­pet­tie­ren. We­gen der In­fek­ti­ons­ge­fahr müsse die Ar­beit mit Hand­schu­hen und Mund­schutz aus­geführt wer­den. Selbst wenn kei­ne höchs­te An­ste­ckungs­ge­fahr be­ste­he, weil mit Hand­schu­hen und Mund­schutz zu ar­bei­ten sei, sei das Mo­tiv des Be­klag­ten für die Fra­ge nach dem Be­ste­hen ei­ner Schwan­ger­schaft an­er­ken­nens­wert. Die zulässi­ger­wei­se ge­stell­te Fra­ge ha­be die Kläge­rin wil­lent­lich wahr­heits­wid­rig be­ant­wor­tet, den Be­klag­ten al­so arg­lis­tig getäuscht.

II. Die­se Ausführun­gen las­sen auch im Hin­blick auf die neue­re Recht­spre­chung des Se­nats im Ur­teil vom 15. Ok­to­ber 1992 (- 2 AZR 227/92 - AP Nr. 8 zu § 611 a BGB, auch zur Veröffent­li­chung in der Amt­li­chen Samm­lung des Ge­richts vor­ge­se­hen), die das Lan­des­ar­beits­ge­richt noch nicht kann­te, kei­nen Rechts­feh­ler er­ken­nen.

1. Der Se­nat hat in die­sem Ur­teil un­ter Auf­ga­be sei­ner frühe­ren Recht­spre­chung im Ur­teil vom 20. Fe­bru­ar 1986 (- 2 AZR 244/85 - BA­GE 51, 167 = AP Nr. 31 zu § 123 BGB) im An­schluß an die Recht­spre­chung des Eu­ropäischen Ge­richts­ho­fes in des­sen Ur­teil vom 8. No­vem­ber 1990 (Rechts­sa­che C 177/88 - Eu­GHE 1990, 3941 = AP
 


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Nr. 23 zu Art. 119 EWG-Ver­trag) ent­schie­den, die Fra­ge nach der Schwan­ger­schaft vor Ein­stel­lung ei­ner Ar­beit­neh­me­rin ent­hal­te in der Re­gel ei­ne un­zulässi­ge Be­nach­tei­li­gung we­gen des Ge­schlechts und ver­s­toße da­mit ge­gen das Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bot des § 611 a BGB, und zwar gleichgültig, ob sich nur Frau­en oder auch Männer um den Ar­beits­platz bewürben; der Se­nat hat aber gleich­zei­tig und un­ter Be­zug­nah­me auf Ziff. 14 des frag­li­chen EuGH-Ur­teils an­ge­merkt, das Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bot gel­te für den Ar­beit­ge­ber nur hin­sicht­lich ei­ner von ihm "für ge­eig­net be­fun­de­nen Be­wer­be­rin" (sie­he zu II 2 c der Gründe). Die Berück­sich­ti­gung die­ses Um­stan­des geht dar­auf zurück, daß ein Ver­s­toß ge­gen Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 der EWG-Richt­li­nie 76/207 des Ra­tes vom 9. Fe­bru­ar 1976 zur Ver­wirk­li­chung des Grund­sat­zes der Gleich­be­hand­lung von Männern und Frau­en hin­sicht­lich des Zu­gangs zur Beschäfti­gung, zur Be­rufs­bil­dung und zum be­ruf­li­chen Auf­stieg so­wie in be­zug auf die Ar­beits­be­din­gun­gen (Abl. EG L 39 S. 40) nur dann vor­liegt, wenn der Ar­beit­ge­ber mit ei­ner von ihm für ge­eig­net be­fun­de­nen Be­wer­be­rin ei­nen Ar­beits­ver­trag nur dann nicht ab­sch­ließen will, wenn er auf­grund der Schwan­ger­schaft (fi­nan­zi­el­le) Nach­tei­le zu befürch­ten glaubt; der Eu­ropäische Ge­richts­hof hat des­halb in der ge­nann­ten Ent­schei­dung - un­ter Ziff. 10, 11 und 12 - nach dem Mo­tiv des Ar­beit­ge­bers ge­fragt, das sei­ner Wei­ge­rung zu­grun­de liegt, ei­ne schwan­ge­re Ar­beit­neh­me­rin ein­zu­stel­len.

Mit Rück­sicht dar­auf und in An­wen­dung des § 611 a Abs. 1 Satz 2 BGB hat auch der Se­nat (aaO, zu II 2 c der Gründe) ge­prüft, ob die da­ma­li­ge Kläge­rin für die an­ge­streb­te Tätig­keit nicht ge­eig­net war (Art. 2 Abs. 2 der Richt­li­nie) bzw. ob die Ar-


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beit­ge­ber­maßnah­me die Art der vom Ar­beit­neh­mer aus­zuüben­den Tätig­keit zum Ge­gen­stand hat­te und ei­ne be­stimm­te körper­li­che Ei­gen­schaft (Ge­schlecht) un­ver­zicht­ba­re Vor­aus­set­zung für die Art der vom Ar­beit­neh­mer aus­zuüben­den Tätig­keit war. Wenn dies der Fall sei, z. 13. wenn die an­ge­streb­te Tätig­keit ei­ner Arzt­hel­fe­rin von ei­ner schwan­ge­ren Ar­beit­neh­me­rin über­haupt nicht auf­ge­nom­men wer­den könne oder dürfe, feh­le es an ei­ner Ge­schlechts­be­nach­tei­li­gung. Hier ist ergänzend dar­auf hin­zu­wei­sen, daß die Richt­li­nie "... nicht den Vor­schrif­ten zum Schutz der Frau, ins­be­son­de­re bei Schwan­ger­schaft und Mut­ter­schutz, ent­ge­gen" steht, Art. 2 Abs. 3 der EWG-Richt­li­nie 76/207.

2. An der im Ur­teil vom 15. Ok­to­ber 1992 (- 2 AZR 227/92 - AP, aaO = DB 1993, 435) ver­tre­te­nen Auf­fas­sung hin­sicht­lich der be­schrie­be­nen Aus­nah­me vom Ver­s­toß ge­gen das Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bot hält der Se­nat fest. Zu­min­dest in­so­weit wird in der bis­her be­kannt ge­wor­de­nen Li­te­ra­tur zu der Se­nats­ent­schei­dung kei­ne Kri­tik geäußert, son­dern eher über den Aus­nah­me­fall hin­aus un­ter be­stimm­ten Umständen die Fra­ge nach der Schwan­ger­schaft für ge­recht­fer­tigt ge­hal­ten (vgl. Busch­beck-Bülow, BB 1993, 360; Eh­rich, DB 1993, 431, 434; Schie­fer, DB 1993, 38, 40; Zel­ler, BB 1993, 219). Ins­be­son­de­re Eh­rich (aaO) un­ter­streicht, ein Ver­s­toß ge­gen das Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bot lie­ge nicht vor, wenn aus­nahms­wei­se sach­li­che, bil­li­gens­wer­te Gründe für die Fra­ge bestünden, was je­den­falls dann der Fall sei, wenn der zu be­set­zen­de Ar­beits-platz dem Ka­ta­log der Beschäfti­gungs­ver­bo­te nach § 4 MuSchG un­ter­lie­ge. Eben die­se Auf­fas­sung hat der Se­nat in sei­ner Ent­schei­dung vom 15. Ok­to­ber 1992 (vgl. AP, aaO, zu II 2 c der Gründe,
 

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m.w,N. zur Li­te­ra­tur) ver­tre­ten. Ei­ne sol­che Aus­nah­me­si­tua­ti­on liegt an­ders als bei dem vom Se­nat (aa0) sei­ner­zeit über­prüften Sach­ver­halt nach den Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts im Streit­fall vor.

a) Al­ler­dings kann der Haupt­be­gründung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, die Fra­ge nach der Schwan­ger­schaft sei schon des­halb nicht un­zulässig, weil sich nach dem Er­geb­nis der Be­weis­auf­nah­me nur Frau­en um den Ar­beits­platz be­wor­ben hätten, nicht zu­ge­stimmt wer­den, nach­dem der Se­nat die ent­spre­chen­de Recht­spre­chung zur so­ge­nann­ten ge­spal­te­nen Lösung (je nach Be­wer­ber­kreis; vgl. BA­GE 51, 167 = AP Nr. 31 zu § 123 BGB), auf die sich das Lan­des­ar­beits­ge­richt noch stützt, im neu­en Ur­teil vom 15. Ok­to­ber 1992 (- 2 AZR 227/92 - AP, aaO) aus­drück­lich auf­ge­ge­ben hat. Dar­an hält der Se­nat fest, wo­bei sich ei­ne Aus­ein­an­der­set­zung mit dem neue­ren Schrift­tum schon des­halb erübrigt, weil der Zweit­be­gründung des Lan­des­ar­beits­ge­richts je­den­falls in der Grund­aus­sa­ge zu­ge­stimmt wer­den kann.


b) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat in sei­ner wei­te­ren Be­gründung aus­geführt, Mo­tiv des Be­klag­ten für die Wei­ge­rung, die Kläge­rin im Fal­le der Schwan­ger­schaft ein­zu­stel­len, sei nicht de­ren Schwan­ger­schaft, son­dern die Gefähr­dung der Ge­sund­heit der Kläge­rin und ih­res un­ge­bo­re­nen Kin­des ge­we­sen, denn die Kläge­rin ha­be un­strei­tig an der Pfor­te an­ge­lie­fer­te Pro­ben ent­ge­gen­zu­neh­men und zu be­ar­bei­ten ge­habt; auch wenn kei­ne höchs­te An­ste­ckungs­ge­fahr be­ste­he, so ha­be doch die Kläge­rin Hand­schu­he und Mund­schutz tra­gen müssen, wo­mit er­kenn­bar wer­de, daß der Be­klag­te ei­ne mögli­che
 


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Gefähr­dung der Ge­sund­heit der Schwan­ge­ren und ih­res un­ge­bo­re­nen Kin­des ha­be ver­mei­den wol­len.

Die­se auf tatsächli­chen Fest­stel­lun­gen be­ru­hen­de Würdi­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts wird nicht mit ei­ner er­heb­li­chen, for­mel­len Rüge an­ge­grif­fen, im Ge­gen­teil: Die Re­vi­si­on führt sel­ber aus, das Be­ru­fungs­ge­richt stel­le auf ein Mo­tiv des Be­klag­ten für die Fra­ge nach dem Be­ste­hen ei­ner Schwan­ger­schaft ab, in­dem es ihm ab­neh­me, es sei ihm le­dig­lich dar­um ge­gan­gen, ei­ne mögli­che Gefähr­dung der Ge­sund­heit der Schwan­ge­ren und ih­res un­ge­bo­re­nen Kin­des zu ver­mei­den. Wenn die Re­vi­si­on dies jetzt nicht gel­ten las­sen, son­dern um­ge­kehrt dem Be­klag­ten an­las­ten will, sein Mo­tiv, kei­ne schwan­ge­re Frau ein­zu­stel­len, sei die Furcht vor fi­nan­zi­el­len Fol­gen des ge­setz­li­chen Mut­ter­schut­zes ge­we­sen, hätte sie die Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts in re­vi­si­ons­er­heb­li­cher Form an­grei­fen müssen. Das ist in­des­sen nicht ge­sche­hen.

c) Im übri­gen kommt es nach der Auf­fas­sung des Se­nats nicht ent­schei­dend auf das Mo­tiv des Be­klag­ten zu sei­ner Fra­ge an, son­dern dar­auf, ob die­se ob­jek­tiv durch sach­li­che Gründe ge­recht­fer­tigt, d. h., zulässi­ger­wei­se ge­stellt war. Das ist aber des­we­gen an­zu­neh­men, weil sie zu­min­dest auch dem Schutz der Kläge­rin und ih­res un­ge­bo­re­nen Kin­des dien­te. Auch in den Tat­sa­chen­in­stan­zen hat die Kläge­rin nie be­strit­ten, daß sie bei der ar­beits­ver­trag­lich fest­ge­leg­ten Tätig­keit in der Pfor­te Hand­schu­he und Mund­schutz tra­gen mußte. Wenn das Lan­des­ar­beits­ge­richt im Hin­blick auf die vom Be­klag­ten de­tail­liert auf­geführ­ten ein­zel­nen Tätig-



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kei­ten auf ei­ne An­ste­ckungs­ge­fahr schloß, ist dies re­vi­si­ons­recht­lich nicht zu be­an­stan­den. An­de­ren­falls müßte man da­von aus­ge­hen, das Tra­gen von Hand­schu­hen und Mund­schutz bei der Entg­gen­nah­me der Pro­ben mit teil­wei­se in­fek­tiösem Ma­te­ri­al sei überflüssig. Das will aber of­fen­sicht­lich selbst die Kläge­rin nicht be­haup­ten. Wenn dem aber so ist, war die Kläge­rin für die von ihr an­ge­streb­te Tätig­keit in der Pra­xis des Be­klag­ten in ih­rem schwan­ge­ren Zu­stand nicht ge­eig­net; sie soll­te viel­mehr aus ge­recht­fer­tig­ter ärzt­li­cher Vor­sicht mit der von ihr an­ge­streb­ten Tätig­keit aus ge­sund­heit­li­chen Gründen nicht beschäftigt wer­den.

Die Fra­ge nach der Schwan­ger­schaft dien­te vor­lie­gend mit­hin ge­ra­de dem Schutz der Schwan­ge­ren, so daß die Fra­ge nach der Schwan­ger­schaft richt­li­ni­en­gemäß ist (Art. 2 Abs. 3 der EWG-Richt­li­nie 76/207) und auch nicht ge­gen § 611 a BGB verstößt. Da­zu hat der Se­nat be­reits ent­schie­den (Ur­teil vom 21. Fe­bru­ar 1991 - 2 AZR 449/90 - AP Nr. 35 zu § 123 BGB, zu II 4 i der Gründe), ein Ver­s­toß ge­gen § 611 a BGB lie­ge nicht vor, wenn die un­ter­schied­li­che Be­hand­lung von männ­li­chen und weib­li­chen Ar­beit­neh­mern durch sach­li­che Gründe ge­recht­fer­tigt wer­de. Dies ist vor­lie­gend we­gen der u. a. im ge­sund­heit­li­chen In­ter­es­se der Be­wer­be­rin lie­gen­den Fra­ge nach ih­rer Schwan­ger­schaft der Fall. Da­bei ist nach den Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts auch da­von aus­zu­ge­hen, daß für den Be­klag­ten die Ein­stel­lung ei­ner weib­li­chen Per­son an der Pfor­te un­ver­zicht­ba­re Vor­aus­set­zung für die­se Tätig­keit war. Nach den nicht mit ei­ner Re­vi­si­onsrüge an­ge­grif­fe­nen Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts war dies schon

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Ge­gen­stand der Aus­schrei­bung und später auch, wie die Zeu­gin L be­kun­det ha­be, der er­folg­ten Ein­stel­lung; männ­li­che Be­wer­ber um die­se Stel­le ha­be es nicht ge­ge­ben. Die un­ter­schied­li­che Be­hand­lung in der Fra­ge nach der Schwan­ger­schaft - für ei­nen männ­li­chen Be­wer­ber würde sie na­tur­be­dingt nicht gel­ten - be­trifft mit­hin ge­ra­de die Art der von der be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­me­rin aus­zuüben­den Tätig­keit als Sach­be­ar­bei­te­rin in ei­ner Pra­xis für La­bo­ra­to­ri­ums­me­di­zin.

d) Der Se­nat teilt in­so­fern die Auf­fas­sung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, daß es da­hin­ge­stellt blei­ben kann, ob es dem Be­klag­ten auf­grund von § 4 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 6 MuSchG so­gar aus­drück­lich ver­bo­ten wäre, ei­ne schwan­ge­re Ar­beit­neh­me­rin an dem Ar­beits­platz in der Pfor­te mit der Ent­ge­gen­nah­me von ge­sund­heits­gefähr­den­den Pro­ben zu beschäfti­gen. Denn die Fra­ge nach der Schwan­ger­schaft war je­den­falls zur Ver­mei­dung ei­ner Ge­sund­heits­gefähr­dung ge­recht­fer­tigt.

Dies war - un­abhängig von der Mo­ti­va­ti­on des Be­klag­ten - ein ob­jek­tiv und sach­lich be­gründe­tes An­lie­gen. Denn über die Beschäfti­gungs­ver­bo­te des § 4 MuSchG hin­aus sind be­son­de­re Beschäfti­gungs­be­schränkun­gen zu­guns­ten wer­den­der Mütter in der Ver­ord­nung über gefähr­li­che Stof­fe (Ge­fahr­stoff­ver­ord­nung) vom 26. Au­gust 1986 (BGBl. 1 S. 1470) nie­der­ge­legt (vgl. da­zu auch Bul­la/ Buch­ner, MuSchG, 5. Aufl., § 4 Rz 13; Mei­sel/Sow­ka, Mut­ter­schutz, 3. Aufl., § 4 Rz 7, 7 a; Zmarz­lik/Zip­pe­rer/Vie­then, MuSchG, 6. Aufl., § 4 Rz 2, 8 b, 8 c). So ist in § 26 Abs. 5 Satz 3 die­ser Ver­ord­nung be­stimmt, daß der Ar­beit­ge­ber wer­den­de Mütter nicht beschäfti­gen darf mit Stof­fen, Zu­be­rei­tun­gen oder Er­zeug-



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nis­sen, die ih­rer Art nach er­fah­rungs­gemäß Krank­heits­er­re­ger über­tra­gen können, wenn sie den Krank­heits­er­re­gern aus­ge­setzt sind. Dem ent­spricht es, daß in §§ 17, 19 der Ver­ord­nung ge­re­gelt ist, der Ar­beit­ge­ber ha­be ge­eig­ne­te persönli­che Schutz­ausrüstun­gen zur Verfügung zu stel­len, wenn die Ar­beit­neh­mer den Ein­wir­kun­gen un­ter an­de­rem von Krank­heits­er­re­gern aus­ge­setzt sind. Ei­ner sol­chen Ge­fahr trägt im übri­gen die Be­rufs­krank­hei­ten­ver­ord­nung (BKVO) vom 20. Ju­ni 1968 in der zu­letzt durch Ver­ord­nung vom 22. März 1988 geänder­ten Fas­sung da­durch Rech­nung, daß in Nr. 3101 der An­la­ge 1 In­fek­ti­ons­krank­hei­ten als Be­rufs­krank­heit an­er­kannt wer­den, wenn der Ver­si­cher­te in ei­nem La­bo­ra­to­ri­um tätig oder durch ei­ne an­de­re Tätig­keit der In­fek­ti­ons­ge­fahr in ähn­li­chem Maße be­son­ders aus­ge­setzt war. Sch­ließlich wird auch im zwei­ten Be­richt der Ar­beits­grup­pe der Deut­schen Ver­ei­ni­gung zur Bekämp­fung der Vi­rus­krank­hei­ten e. V. zur Beschäfti­gung Schwan­ge­rer in me­di­zi­ni­schen La­bo­ra­to­ri­en (Bun­des­ge­sund­heits­bl. 1988, 24) emp­foh­len, wer­den­de Mütter nicht mit dem Aus­pa­cken u. a. von men­sch­li­chem Un­ter­su­chungs­ma­te­ri­al und nicht mit vor­be­rei­ten­den Ar­bei­ten mit die­sem Ma­te­ri­al zu beschäfti­gen (Be­richt D I 5), und die­se dürf­ten kein Blut ent­neh­men und ent­nom­me­nes Blut erst nach Zen­tri­fu­ga­ti­on und Tren­nung in Plas­ma etc. wei­ter ver­ar­bei­ten (Be­richt D I 6). Das Aus­pa­cken von Pro­ben, Öff­nen und Zen­tri­fu­gie­ren von Blutröhr­chen und Ab­pi­pet­tie­ren von Ser­um gehört aber un­strei­tig zum Auf­ga­ben­be­reich der Kläge­rin. Wenn der Be­klag­te sich an­ge­sichts der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt fest­ge­stell­ten In­fek­ti­ons­gefähr­dung auf die­se Vor­schrif­ten und Emp­feh­lun­gen mit Recht be­ru­fen kann, muß es als sach­lich ge­recht­fer­tigt an­er­kannt

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wer­den, wenn er bei der Ein­stel­lung der Kläge­rin nach der Schwan­ger­schaft frag­te.

3. War je­doch die Fra­ge nach der Schwan­ger­schaft aus­nahms­wei­se zulässig, so mußte die Kläge­rin sie wahr­heits­gemäß be­ant­wor­ten. Dies hat sie - wie das Lan­des­ar­beits­ge­richt wei­ter fest­ge­stellt hat - vorsätz­lich nicht ge­tan, so daß der Be­klag­te arg­lis­tig zum Ab­schluß des Ar­beits­ver­tra­ges be­stimmt wor­den und dem­gemäß zur An­fech­tung nach § 123 BGB be­rech­tigt ist. Dem­nach ist die ge­gen die­se An­fech­tung ge­rich­te­te Kla­ge von den Vor­in­stan­zen zu Recht ab­ge­wie­sen wor­den.


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