HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

BAG, Be­schluss vom 15.10.2013, 1 ABR 31/12

   
Schlagworte: Betriebsrat: Arbeitskampf, Betriebsratsmitglied, Streikaufruf
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 1 ABR 31/12
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 15.10.2013
   
Leitsätze: Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, die Nutzung eines für dienstliche Zwecke eingerichteten E-Mail Accounts durch die bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer zu Zwecken des Arbeitskampfs zu dulden. Eine derartige Duldungspflicht folgt nicht aus Art. 9 Abs. 3 GG zum Schutz der individuellen Koalitionsfreiheit der Arbeitnehmer. Die Mobilisierung von Arbeitnehmern zur Streikteilnahme ist Aufgabe der jeweiligen Koalition und ihrer Mitglieder. Vom Arbeitgeber kann nicht verlangt werden, hieran durch Bereitstellung eigener Betriebsmittel mitzuwirken.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Berlin, Beschluss vom 14.07.2011, 1 BV 6960/11
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 31.01.2012, 7 TaBV 1733/11
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


1 ABR 31/12
7 TaBV 1733/11
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Ber­lin-Bran­den­burg

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am
15. Ok­to­ber 2013

BESCHLUSS

Met­ze, Ur­kunds­be­am­ter

der Geschäfts­stel­le

In dem Be­schluss­ver­fah­ren mit den Be­tei­lig­ten

1.

An­trag­stel­le­rin,

2. 

3.

Be­schwer­deführer und Rechts­be­schwer­deführer,

4.

Be­schwer­deführer und Rechts­be­schwer­deführer,
 

- 2 - 


hat der Ers­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der Anhörung vom 15. Ok­to­ber 2013 durch die Präsi­den­tin des Bun­des­ar­beits­ge­richts Schmidt, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Linck und Prof. Dr. Koch so­wie die eh­ren-amt­li­chen Rich­ter Hay­en und Rath für Recht er­kannt:


1. Auf die Rechts­be­schwer­de der Be­tei­lig­ten zu 3. und 4. wird der Be­schluss des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ber­lin-Bran­den­burg vom 31. Ja­nu­ar 2012 - 7 TaBV 1733/11 - teil­wei­se auf­ge­ho­ben.

Auf die Be­schwer­de der Be­tei­lig­ten zu 3. und 4. wird der Be­schluss des Ar­beits­ge­richts Ber­lin vom 14. Ju­li 2011 - 1 BV 6960/11 - teil­wei­se ab­geändert und wie folgt neu ge­fasst:

Dem Be­tei­lig­ten zu 4. wird auf­ge­ge­ben, es zu un­ter­las­sen, den ihm von der Ar­beit­ge­be­rin zu­ge­wie­se­nen per­so­nen­be­zo­ge­nen E-Mail Ac­count für die Ver­brei­tung ei­nes Streik­auf­rufs von ver.di zu nut­zen.

Die wei­ter­ge­hen­den Anträge der Ar­beit­ge­be­rin wer­den ab­ge­wie­sen.

2. Die wei­ter­ge­hen­de Be­schwer­de und Rechts­be­schwer­de des Be­tei­lig­ten zu 4. wer­den zurück­ge­wie­sen.

Von Rechts we­gen!

Gründe

A. Die Be­tei­lig­ten strei­ten über die Nut­zung dienst­li­cher E-Mail Ac­counts und Te­le­fon­an­schlüsse zu Streik­auf­ru­fen und während Streiks.

Die an­trag­stel­len­de Ar­beit­ge­be­rin be­treibt in B ein Kli­ni­kum mit ca. 870 Ar­beit­neh­mern. Be­tei­lig­ter zu 2. ist der dort gewähl­te Be­triebs­rat. Des­sen Vor­sit­zen­der war im Frühjahr 2011 der Be­tei­lig­te zu 3., der Be­tei­lig­te zu 4. war sei­ner­zeit stell­ver­tre­ten­der Be­triebs­rats­vor­sit­zen­der. Bei­de sind Mit­glie­der der Ge­werk­schaft ver.di.


- 3 -

Dem Be­triebs­rat ist von der Ar­beit­ge­be­rin ein E-Mail Ac­count nach dem Mus­ter „Be­triebs­rat@Ar­beit­ge­ber.de“ zu­ge­wie­sen. Die Be­tei­lig­ten zu 3. und 4. verfügen zu­dem über na­mens­be­zo­ge­ne E-Mail-Kon­ten, die nach dem Mus­ter „Vor­na­me.Nach­na­me@Ar­beit­ge­ber.de“ auf­ge­baut sind. Zusätz­lich sind ih­nen in den für die Be­triebs­rats­ar­beit zur Verfügung ge­stell­ten Büroräum­en Te­le­fon­an­schlüsse nebst Durch­wahl ein­ge­rich­tet wor­den. So­weit Beschäftig­te der Ar­beit­ge­be­rin über na­mens­be­zo­ge­ne E-Mail Ac­counts verfügen, ge­stat­tet die Ar­beit­ge­be­rin nach ei­ner An­ord­nung vom Sep­tem­ber 2010 aus­sch­ließlich ei­ne dienst­li­che Nut­zung.

Im Rah­men lau­fen­der Ta­rif­ver­hand­lun­gen rief der ver.di-Lan­des­ver­band Ber­lin-Bran­den­burg für den 13. April 2011 zu ei­nem Warn­streik im Kli­ni­kum der Ar­beit­ge­be­rin auf. Der Be­tei­lig­te zu 4. ver­brei­te­te den Streik­auf­ruf am 11. April 2011 im Kli­ni­kum über sei­nen na­mens­be­zo­ge­nen E-Mail Ac­count und rief die Mit­ar­bei­ter auf, an dem Streik teil­zu­neh­men. Er si­gnier­te die Mail mit den Wor­ten: „Für die ver.di Be­triebs­grup­pe“. Es folg­ten dann die Na­men der Be­tei­lig­ten zu 3. und 4. so­wie de­ren dienst­li­che Durch­wahl­num­mern und pri­va­te Mo­bil­fun­k­num­mern.

Die Ar­beit­ge­be­rin hat gel­tend ge­macht, ihr ste­he we­gen Ver­let­zung der Neu­tra­litäts­pflicht des Be­triebs­rats ein Un­ter­las­sungs­an­spruch ge­gen die wei­te­ren Be­tei­lig­ten zu. Sie hat - so­weit für das Rechts­be­schwer­de­ver­fah­ren noch von Be­deu­tung - be­an­tragt,


1. den Be­tei­lig­ten zu 3. und 4. auf­zu­ge­ben, es zu un­ter­las­sen, die dem Be­triebs­rat von der Ar­beit­ge­be­rin zur Verfügung ge­stell­ten sach­li­chen Mit­tel, ins­be­son­de­re die Te­le­fon­an­la­ge und die E-Mail Ac­counts für den Auf­ruf und die Durchführung ei­nes Streiks von ver.di zu nut­zen, ins­be­son­de­re im Streik­auf­ruf von ver.di die Durch­wahl­te­le­fon­num­mern der Be­tei­lig­ten zu 3. und 4. an­zu­ge­ben,


2. hilfs­wei­se fest­zu­stel­len, dass die Be­tei­lig­ten zu 3. und 4. es zu un­ter­las­sen ha­ben, die dem Be­triebs­rat von der Ar­beit­ge­be­rin zur Verfügung ge­stell­ten sach­li­chen Mit­tel, ins­be­son­de­re die Te­le­fon­an­la­ge und die E-Mail Ac­counts für den Auf­ruf und die Durchführung ei­nes Streiks von ver.di zu nut­zen, ins­be­son­de­re im Streik­auf­ruf von ver.di die Durch­wahl­te­le­fon­num­mern


- 4 -

der Be­tei­lig­ten zu 3. und 4. an­zu­ge­ben.


Die Be­tei­lig­ten zu 3. und 4. ha­ben An­trags­ab­wei­sung be­an­tragt und die Auf­fas­sung ver­tre­ten, die Ar­beit­ge­be­rin sei nach Art. 9 Abs. 3 GG ver­pflich­tet, die Nut­zung der Te­le­fon­an­la­ge und des E-Mail Ac­counts für ei­nen Streik­auf­ruf zu dul­den. Die­ser sei vom Be­tei­lig­ten zu 4. nicht als Mit­glied des Be­triebs­rats, son­dern als Ge­werk­schafts­mit­glied ver­brei­tet wor­den.


Das Ar­beits­ge­richt hat den ge­gen die Be­tei­lig­ten zu 3. und 4. ge­rich­te­ten Un­ter­las­sungs­anträgen der Ar­beit­ge­be­rin ent­spro­chen. Die ge­gen den zu 2. be­tei­lig­ten Be­triebs­rat ge­rich­te­ten Anträge hat es rechts­kräftig ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­schwer­den der Be­tei­lig­ten zu 3. und 4. zurück­ge­wie­sen. Mit ih­ren Rechts­be­schwer­den ver­fol­gen die­se ih­re Ab­wei­sungs­anträge wei­ter.


B. Die Rechts­be­schwer­den der Be­tei­lig­ten zu 3. und 4. sind zum Teil be­gründet. Den Anträgen der Ar­beit­ge­be­rin war nur in­so­weit zu ent­spre­chen, wie die­se vom Be­tei­lig­ten zu 4. ver­langt, es zu un­ter­las­sen, den ihm von der Ar­beit­ge­be­rin zu­ge­wie­se­nen per­so­nen­be­zo­ge­nen E-Mail Ac­count für die Ver­brei­tung ei­nes Streik­auf­rufs von ver.di zu nut­zen. Ih­re wei­ter­ge­hen­den Anträge sind un­be­gründet.


I. Ob das Ver­fah­ren in den Vor­in­stan­zen als Be­schluss­ver­fah­ren nach 9 § 80 Abs. 1 ArbGG in der rich­ti­gen Ver­fah­rens­art geführt wur­de, kann da­hin­ste­hen. Nach § 93 Abs. 2 iVm. § 65 ArbGG prüft das Rechts­be­schwer­de­ge­richt nicht, ob die Ver­fah­rens­art zulässig ist. Et­was an­de­res gilt nur dann, wenn das Ar­beits­ge­richt trotz aus­drück­li­cher Rüge nicht vor­ab durch Be­schluss, son­dern im Rah­men der Ent­schei­dung zur Haupt­sa­che über die Zulässig­keit der Ver­fah­rens­art (mit-)ent­schie­den hat (vgl. BAG 22. Mai 2012 - 1 ABR 11/11 - Rn. 9, BA­GE 141, 360). Ei­ne ent­spre­chen­de Rüge hat kei­ner der Be­tei­lig­ten er­ho­ben.


II. Der Be­triebs­rat ist auch nach der rechts­kräfti­gen Ab­wei­sung des ge­gen 10 ihn ge­rich­te­ten An­trags gemäß § 83 Abs. 3 ArbGG Be­tei­lig­ter des Be­schluss­ver­fah­rens. Durch die ge­gen zwei sei­ner Mit­glie­der noch anhängi­gen Anträge

- 5 - 


wird er in sei­ner Rechts­stel­lung un­mit­tel­bar berührt, da hier­bei um die Fra­ge ge­strit­ten wird, ob und in wel­chem Um­fang Be­triebs­mit­tel, die dem Be­triebs­rat nach § 40 Abs. 2 Be­trVG zur Verfügung ge­stellt sind, durch ein­zel­ne sei­ner Mit­glie­der außer­halb der Be­triebs­rats­ar­beit zu de­ren ko­ali­ti­onsmäßigen Betäti­gung ge­nutzt wer­den dürfen.

III. Die Anträge der Ar­beit­ge­be­rin sind in der ge­bo­te­nen Aus­le­gung zulässig.

1. Mit ih­rem Haupt­an­trag ver­folgt die Ar­beit­ge­be­rin ei­ne Mehr­zahl von An­trags­zie­len. Sie ver­langt von den Be­tei­lig­ten zu 3. und 4. je­weils, es zu un­ter­las­sen, die von ihr zur Verfügung ge­stell­ten sach­li­chen Mit­tel, ins­be­son­de­re die Te­le­fon­an­la­ge und die E-Mail Ac­counts für den Auf­ruf zu ei­nem Streik und des­sen Durchführung zu nut­zen so­wie die Durch­wahl ih­rer Te­le­fon­an­schlüsse im Streik­auf­ruf an­zu­ge­ben.


a) Der Ver­fah­rens­be­vollmäch­tig­te der Ar­beit­ge­be­rin hat in der Anhörung vor dem Se­nat klar­ge­stellt, dass sich das Un­ter­las­sungs­be­geh­ren nur auf die Nut­zung der sach­li­chen Mit­tel „Te­le­fon­an­la­ge“ und „E-Mail Ac­counts“ und nicht auch auf wei­te­re dem Be­triebs­rat nach § 40 Abs. 2 Be­trVG zur Verfügung ge­stell­ten Sach­mit­tel be­zieht. Der mit dem Wort „ins­be­son­de­re“ ein­ge­lei­te­te Teil des An­trags dient le­dig­lich der Kon­kre­ti­sie­rung des ei­gent­li­chen An­trags­be­geh­rens. Der An­trag er­fasst da­mit die den Be­tei­lig­ten zu 3. und 4. zu­ge­wie­se­nen dienst­li­chen Durch­wahl­num­mern und na­mens­be­zo­ge­nen be­trieb­li­chen E-Mail Ac­counts, nicht je­doch den Te­le­fon­an­schluss des Be­triebs­rats so­wie des­sen E-Mail Ac­count.


b) So­weit die Ar­beit­ge­be­rin von den Be­tei­lig­ten zu 3. und 4. ver­langt, es zu un­ter­las­sen, die be­zeich­ne­ten sach­li­chen Mit­tel „für den Auf­ruf ei­nes Streiks von ver.di zu nut­zen“, ist da­mit so­wohl die un­mit­tel­ba­re Auf­for­de­rung zur Streik­teil­nah­me in ei­ner E-Mail als auch die Ver­brei­tung ei­nes von ver.di ver­fass­ten Streik­auf­rufs ge­meint. Von dem An­trag wird da­ge­gen nicht die Ver­sen­dung von Streik­auf­ru­fen von ei­nem pri­va­ten E-Mail Ac­count un­ter Nut­zung ei­ge­ner Hard­ware er­fasst. Der An­trag zielt auf ei­ne Un­ter­las­sung von Störun­gen, die aus

- 6 -

dem Be­trieb der Ar­beit­ge­be­rin her­aus durch de­ren Ar­beit­neh­mer ver­ur­sacht wer­den, in­dem sich die­se der im An­trag be­zeich­ne­ten Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mit­tel der Ar­beit­ge­be­rin zur Ver­sen­dung von Streik­auf­ru­fen von ver.di be­die­nen. Es geht da­mit an­ders als in dem Sach­ver­halt, der dem Se­nats­ur­teil vom 20. Ja­nu­ar 2009 (- 1 AZR 515/08 - BA­GE 129, 145) zu­grun­de lag, nicht dar­um, die un­er­be­te­ne Ver­sen­dung von E-Mails durch ei­ne Ge­werk­schaft von außen an Ar­beit­neh­mer des Be­triebs zu un­ter­sa­gen.


c) So­weit die Ar­beit­ge­be­rin die Un­ter­las­sung der Nut­zung der E-Mail Ac­counts und der Te­le­fon­an­la­ge für die „Durchführung ei­nes Streiks“ be­an­tragt, hat sie dies schriftsätz­lich und in der Anhörung vor dem Se­nat da­hin erläutert, dass der Be­triebs­rat die­se Mit­tel nicht zu Streik­zwe­cken nut­zen dürfe. Wann das der Fall ist, hat sie je­doch nicht näher dar­ge­tan. Um dem Be­stimmt­heits­er­for­der­nis des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zu genügen, ist der An­trag des­halb weit aus­zu­le­gen und so zu ver­ste­hen, dass den Be­tei­lig­ten zu 3. und 4. auf­ge­ge­ben wer­den soll, die Nut­zung der Te­le­fon­an­la­ge und der E-Mail Ac­counts in al­len An­ge­le­gen­hei­ten zu un­ter­las­sen, die mit ei­nem Streik in Zu­sam­men­hang ste­hen.


d) Das im An­trag for­mu­lier­te Be­geh­ren, es zu un­ter­las­sen, die Durch­wahl­num­mern „im Streik­auf­ruf“ an­zu­ge­ben, be­zieht sich er­sicht­lich auf die An­ga­be die­ser Ruf­num­mern in E-Mails, durch die Streik­auf­ru­fe an die Mit­ar­bei­ter der Ar­beit­ge­be­rin ver­sandt oder wei­ter­ge­lei­tet wer­den. Auf Nach­fra­ge hat die Ar­beit­ge­be­rin in der Anhörung vor dem Se­nat klar­ge­stellt, dass es sich in­so­weit um ei­nen Hilfs­an­trag zu dem An­trag han­delt, mit dem die Nut­zung der E-Mail Ac­counts für die Ver­sen­dung von Streik­auf­ru­fen un­ter­sagt wer­den soll. Der An­trag macht nur dann Sinn, wenn die von der Ar­beit­ge­be­rin vor­ran­gig be­gehr­te Un­ter­sa­gung der Nut­zung der E-Mail Ac­counts für die Auf­for­de­rung zur Teil­nah­me an ei­nem Streik so­wie die Ver­sen­dung von Streik­auf­ru­fen von ver.di un­be­gründet ist. In die­sem Fall sol­len die Be­tei­lig­ten zu 3. und 4. es je­den­falls un­ter­las­sen, in den E-Mails ih­re dienst­li­chen Durch­wahl­num­mern an­zu­ge­ben.

e) Der hilfs­wei­se an­ge­brach­te Fest­stel­lungs­an­trag ist nach dem Vor­brin­gen der Ar­beit­ge­be­rin nur für den Fall ge­stellt, dass der Un­ter­las­sungs­an­trag


- 7 -

we­gen feh­len­der An­spruchs­grund­la­ge ab­ge­wie­sen wird. Die Ar­beit­ge­be­rin woll­te in­so­weit der Recht­spre­chung des Sieb­ten Se­nats (BAG 17. März 2010 - 7 ABR 95/08 - BA­GE 133, 342) Rech­nung tra­gen. Der An­trags­in­halt selbst ent­spricht dem des Un­ter­las­sungs­an­trags.


2. Die so ver­stan­de­nen Anträge sind hin­rei­chend be­stimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

a) Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO sind Anträge, mit de­nen die Un­ter­las­sung von Hand­lun­gen ver­langt wird, so ge­nau zu be­zeich­nen, dass der In­an­spruch­ge­nom­me­ne im Fal­le ei­ner dem An­trag ent­spre­chen­den ge­richt­li­chen Ent­schei­dung ein­deu­tig er­ken­nen kann, was un­ter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen von ihm ver­langt wird. Für den In­an­spruch­ge­nom­me­nen muss auf­grund des Un­ter­las­sungs­ti­tels er­kenn­bar sein, wel­che Hand­lun­gen er künf­tig zu un­ter­las­sen hat, um sich rechtmäßig zu ver­hal­ten. Die Prüfung, wel­che Ver­hal­tens­wei­sen zu un­ter­las­sen sind, darf nicht durch ei­ne un­ge­naue An­trags­for­mu­lie­rung und ei­nen dem­ent­spre­chen­den ge­richt­li­chen Ti­tel aus dem Er­kennt­nis- in das Zwangs­voll­stre­ckungs­ver­fah­ren ver­la­gert wer­den. Al­ler­dings dürfen die An­for­de­run­gen in­so­weit auch nicht über­spannt wer­den, da an­dern­falls ef­fek­ti­ver Rechts­schutz ver­ei­telt würde. Zu­kunfts­ge­rich­te­te Ver­bo­te las­sen sich häufig nur ge­ne­ra­li­sie­rend for­mu­lie­ren. Die Not­wen­dig­keit ge­wis­ser Sub­sum­ti­ons­pro­zes­se im Rah­men ei­ner et­wa er­for­der­lich wer­den­den Zwangs­voll­stre­ckung steht da­her der Ver­wen­dung ausfüllungs­bedürf­ti­ger Be­grif­fe in ei­nem Un­ter­las­sungs­ti­tel und dem dar­auf ge­rich­te­ten An­trag nicht ge­ne­rell ent­ge­gen (vgl. BAG 20. No­vem­ber 2012 - 1 AZR 611/11 - Rn. 25 mwN).


b) Nach die­sen Grundsätzen genügen die Anträge in der er­folg­ten Aus­le­gung dem Be­stimmt­heits­ge­bot.

aa) Die dort auf­geführ­ten E-Mail Ac­counts und Te­le­fon­an­schlüsse sind hin­rei­chend kon­kret be­zeich­net. Es geht um die Te­le­fon­an­schlüsse, die den Be­tei­lig­ten zu 3. und 4. mit den Durch­wahl­num­mern 1... und 1... be­reit­ge­stellt wur­den, so­wie de­ren na­mens­be­zo­ge­ne E-Mail Ac­counts.


- 8 -

bb) In der ge­bo­te­nen Aus­le­gung ist auch hin­rei­chend deut­lich, was un­ter der Nut­zung zum Auf­ruf zu ei­nem Streik zu ver­ste­hen ist. Es geht um die Auf­for­de­rung zur Streik­teil­nah­me in ei­ner E-Mail so­wie die Ver­brei­tung von Streik­auf­ru­fen von ver.di un­ter Nut­zung des na­mens­be­zo­ge­nen E-Mail Ac­counts an die bei der Ar­beit­ge­be­rin beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer. Ent­spre­chen­des gilt für die Nut­zung der dienst­li­chen Te­le­fon­an­schlüsse mit der persönli­chen Durch­wahl­num­mer. Auch die­se sol­len nicht da­zu ge­nutzt wer­den, Streik­auf­ru­fe von ver.di ge­genüber den Mit­ar­bei­tern der Ar­beit­ge­be­rin be­kannt­zu­ge­ben. Mit dem Be­griff „Auf­ruf“ ist ei­ne nach Zeit­punkt, Ort und Teil­neh­mer­kreis näher be­zeich­ne­te Auf­for­de­rung zu ei­ner kon­kre­ten Ar­beits­kampf­maßnah­me ge­meint (BAG 20. No­vem­ber 2012 - 1 AZR 611/11 - Rn. 28). Was Streiks sind, ist im Ein­zel­fall oh­ne Wei­te­res fest­stell­bar. Hierüber be­steht zwi­schen den Par­tei­en auch kein Streit.


cc) Die Nut­zung der E-Mail Ac­counts und Te­le­fon­an­schlüsse bei der „Durchführung ei­nes Streiks“ ist hin­rei­chend be­stimmt, wenn sich die­ser Teil des An­trags auf das ge­sam­te Streik­ge­sche­hen be­zieht. In­so­weit han­delt es sich um ei­nen Glo­balan­trag. Dass hier­von auch nicht näher be­zeich­ne­te Ver­hal­tens­wei­sen er­fasst sein können, macht den An­trag nicht un­be­stimmt (vgl. BAG 20. Ja­nu­ar 2009 - 1 AZR 515/08 - Rn. 13, BA­GE 129, 145).

dd) In der ge­bo­te­nen Aus­le­gung hat die Ar­beit­ge­be­rin schließlich hin­rei­chend deut­lich von den Be­tei­lig­ten zu 3. und 4. hilfs­wei­se ver­langt, de­ren Durch­wahl­num­mern in E-Mails, mit de­nen Streik­auf­ru­fe von ver.di an die Mit­ar­bei­ter ver­brei­tet oder wei­ter­ge­lei­tet wer­den, nicht an­zu­ge­ben.


IV. Die so ver­stan­de­nen Anträge sind nur teil­wei­se be­gründet. Die von der Ar­beit­ge­be­rin ge­for­der­te Un­ter­las­sung folgt ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Lan­des­ar­beits­ge­richts nicht be­reits aus § 74 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 Be­trVG. Nach die­ser Be­stim­mung sind Maßnah­men des Ar­beits­kampfs zwi­schen Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat un­zulässig. Die Ver­let­zung die­ser Neu­tra­litäts­pflicht durch Mit­glie­der des Be­triebs­rats be­gründet kei­nen be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Un­ter­las­sungs­an­spruch der Ar­beit­ge­be­rin. Der an­ge­foch­te­ne Be­schluss er­weist sich in Be­zug auf den Be­tei­lig­ten zu 4. je­doch aus an­de­ren Gründen als teil­wei-


- 9 -

se rich­tig (§ 561 ZPO). Die­ser hat es gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB zu un­ter­las­sen, den ihm von der Ar­beit­ge­be­rin zu­ge­wie­se­nen per­so­nen­be­zo­ge­nen E-Mail Ac­count für die Ver­brei­tung von Streik­auf­ru­fen von ver.di zu nut­zen. Wei­ter­ge­hen­de Ansprüche der Ar­beit­ge­be­rin er­ge­ben sich al­ler­dings aus die­ser Be­stim­mung nicht.

1. Nach dem Wort­laut des § 74 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 Be­trVG sind Maßnah­men des Ar­beits­kampfs zwi­schen Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat „un­zulässig“. Ein Un­ter­las­sungs­ge­bot ist in die­ser Be­stim­mung nicht aus­drück­lich vor­ge­se­hen. Hier­ge­gen spre­chen auch der sys­te­ma­ti­sche Ge­samt­zu­sam­men­hang des Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­set­zes und die Kon­zep­ti­on des § 23 Be­trVG. Da­nach steht dem Be­triebs­rat bei gro­ben Verstößen des Ar­beit­ge­bers ge­gen be­triebs-ver­fas­sungs­recht­li­che Pflich­ten ein Un­ter­las­sungs­an­spruch zu, hin­ge­gen ist ein sol­cher zu­guns­ten des Ar­beit­ge­bers im Verhält­nis zum Be­triebs­rat und sei­nen ein­zel­nen Mit­glie­dern nicht ge­re­gelt. Viel­mehr be­gründen gro­be Pflicht­ver­let­zun­gen des Be­triebs­rats oder ein­zel­ner sei­ner Mit­glie­der nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Be­trVG be­triebs­ver­fas­sungs­recht­lich al­lein das Recht des Ar­beit­ge­bers, die Auflösung des Be­triebs­rats oder den Aus­schluss ei­nes Mit­glieds des Be­triebs­rats be­an­tra­gen zu können (BAG 17. März 2010 - 7 ABR 95/08 - Rn. 26 ff., BA­GE 133, 342; DKKW/Berg 13. Aufl. § 74 Rn. 89; Lo­bin­ger RdA 2011, 76, 80 Fn. 26; Schöne SAE 2011, 184, 186; eben­so be­reits Kon­zen Be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­che Leis­tungs­pflich­ten des Ar­beit­ge­bers, 1984 S. 68; aA Bau­er/Wil­lem­sen NZA 2010, 1089; Bur­ger/Rein NJW 2010, 3613; ErfK/Ka­nia 13. Aufl. § 74 Be­trVG Rn. 37; Reichold RdA 2011, 58). Ein sol­ches Verständ­nis ent­spricht auch dem Ge­set­zes­zweck des § 74 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 Be­trVG. Die­se Norm kon­kre­ti­siert und ergänzt das Ge­bot ver­trau­ens­vol­ler Zu­sam­men­ar­beit aus § 2 Abs. 1 Be­trVG (vgl. BT-Drucks. 6/1786 S. 46). Sie dient den In­ter­es­sen der Be­triebs­all­ge­mein­heit an der Si­che­rung ei­nes ge­ord­ne­ten Be­triebs­ab­laufs und dem Be­triebs­frie­den. Hier­durch wer­den den Be­triebs­par­tei­en kei­ne wech­sel­sei­ti­gen in­di­vi­du­el­len Rechts­po­si­tio­nen ver­mit­telt, die Ge­gen­stand ei­nes Un­ter­las­sungs­an­spruchs sein könn­ten (Kop­pen­fels-Spies FS Blau­rock S. 213, 221 f.).


- 10 -

2. Die Ar­beit­ge­be­rin kann ihr Un­ter­las­sungs­be­geh­ren auf § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB stützen. Nach die­ser Vor­schrift kann der Ei­gentümer ei­ner Sa­che, wenn sein Ei­gen­tum in an­de­rer Wei­se als durch Ent­zie­hung oder Vor­ent­hal­tung be­ein­träch­tigt wird, vom Störer die Be­sei­ti­gung der Be­ein­träch­ti­gung ver­lan­gen. Sind wei­te­re Be­ein­träch­ti­gun­gen zu be­sor­gen, kann er nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB auf Un­ter­las­sung kla­gen. Der An­wend­bar­keit von § 1004 BGB steht die be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­che Kon­zep­ti­on des § 23 Be­trVG, die bei gro­ben Amts­pflicht­ver­let­zun­gen des Be­triebs­rats oder ein­zel­ner sei­ner Mit­glie­der le­dig­lich die Möglich­keit der ge­richt­li­chen Auflösung des Be­triebs­rats oder den Aus­schluss ein­zel­ner sei­ner Mit­glie­der kennt, nicht ent­ge­gen (BAG 20. April 1999 - 1 ABR 72/98 - zu B II 2 a der Gründe, BA­GE 91, 210). Ein Verhält­nis der Spe­zia­lität zwi­schen bei­den Re­ge­lun­gen ist schon des­halb aus­ge­schlos­sen, weil sie un­ter­schied­li­chen Zwe­cken die­nen. Während § 23 Abs. 1 Be­trVG die be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­che Ord­nung im Verhält­nis des Ar­beit­ge­bers zum Be­triebs­rat und sei­ner Mit­glie­der gewähr­leis­tet, dient § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB dem pri­vat­recht­li­chen Schutz des Ei­gen­tums ge­genüber je­der­mann. Bei­de Nor­men un­ter­schei­den sich darüber hin­aus in ih­ren Vor­aus­set­zun­gen: Ein Un­ter­las­sungs­an­spruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB setzt ein Ver­schul­den des Störers nicht vor­aus; dem­ge­genüber er­for­dert § 23 Abs. 1 Be­trVG ei­ne gro­be Ver­let­zung be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­cher Pflich­ten, dh. re­gelmäßig ein vor­werf­ba­res Ver­hal­ten.

3. Die Vor­aus­set­zun­gen des § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB lie­gen in Be­zug auf den Be­tei­lig­ten zu 4. vor. Dies gilt un­abhängig da­von, ob ihm die Ar­beit­ge­be­rin die Kom­mu­ni­ka­ti­ons­tech­nik mit E-Mail Ac­count als Sach­mit­tel nach § 40 Abs. 2 Be­trVG oder als Ar­beits­mit­tel un­abhängig von sei­ner Tätig­keit als Be­triebs­rats­mit­glied zur Verfügung ge­stellt hat.

a) Han­del­te es sich um ein Sach­mit­tel iSv. § 40 Abs. 2 Be­trVG, konn­te der Be­tei­lig­te zu 4. den E-Mail Ac­count der Ar­beit­ge­be­rin nur für Be­triebs­rats­ar­beit nut­zen. Hier­zu zählt nicht die Ver­sen­dung von Streik­auf­ru­fen ei­ner Ge­werk­schaft. Da hier­mit die Mit­ar­bei­ter zu Ar­beits­nie­der­le­gun­gen mo­bi­li­siert wer­den sol­len, han­delt es sich um Maßnah­men des Ar­beits­kampfs. Sol­che sind je­doch


- 11 -

nach § 74 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 Be­trVG ge­genüber dem Ar­beit­ge­ber un­zulässig. Ei­ne der­ar­ti­ge Nut­zung der be­reit­ge­stell­ten Kom­mu­ni­ka­ti­ons­tech­nik außer­halb der Be­triebs­rats­ar­beit durch den Be­tei­lig­ten zu 4. be­ein­träch­tigt viel­mehr das Ei­gen­tums­recht der Ar­beit­ge­be­rin, auch nach­dem die­se im Sep­tem­ber 2010 aus­drück­lich an­ge­ord­net hat­te, dass das In­ter­net und E-Mail Sys­tem aus­sch­ließlich für dienst­li­che Zwe­cke ge­nutzt wer­den dürfe. Hier­zu war sie be­rech­tigt, weil sie von ih­rem Recht aus § 903 BGB Ge­brauch ge­macht hat, Art und Um­fang der Nut­zung ih­res Ei­gen­tums im Rah­men der be­ste­hen­den Rechts­ord­nung näher zu be­stim­men (vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 186/11 - Rn. 26). Da der Be­tei­lig­te zu 4. mit der Ver­sen­dung oder Ver­brei­tung von Streik­auf­ru­fen an Mit­ar­bei­ter kei­ne im Ar­beit­ge­ber­in­ter­es­se lie­gen­den dienst­li­chen Zwe­cke, son­dern persönli­che ko­ali­ti­ons­po­li­ti­sche Zie­le ver­folgt, nutzt er in die­sen Fällen den be­reit­ge­stell­ten E-Mail Ac­count be­stim­mungs­wid­rig und be­ein­träch­tigt da­durch das Ei­gen­tums­recht der Ar­beit­ge­be­rin aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB.


b) Der Un­ter­las­sungs­an­spruch rich­tet sich ge­gen den Störer. Hand­lungsstörer ist je­den­falls der­je­ni­ge, der die Be­ein­träch­ti­gung durch ei­ge­nes Han­deln un­mit­tel­bar be­wirkt hat (BAG 20. Ja­nu­ar 2009 - 1 AZR 515/08 - Rn. 30, BA­GE 129, 145). Da­nach ist der Be­tei­lig­te zu 4. pas­siv­le­gi­ti­miert, da er mit Mail vom 11. April 2011 den Streik­auf­ruf von ver.di an die bei der Ar­beit­ge­be­rin beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer ver­sandt hat.

c) In Be­zug auf den Be­tei­lig­ten zu 4. be­steht die nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB er­for­der­li­che Be­sorg­nis wei­te­rer Be­ein­träch­ti­gun­gen (sog. Wie­der­ho­lungs­ge­fahr).

aa) Wei­te­re Be­ein­träch­ti­gun­gen sind grundsätz­lich dann zu be­sor­gen, wenn die ob­jek­ti­ve Ge­fahr der er­neu­ten Be­ge­hung ei­ner kon­kre­ten Ver­let­zungs­hand­lung be­steht. Die Wie­der­ho­lungs­ge­fahr be­schränkt sich da­bei nicht auf die iden­ti­sche Ver­let­zungs­form, son­dern um­fasst al­le im Kern gleich­ge­la­ger­ten Ver­let­zungs­for­men (vgl. BAG 20. No­vem­ber 2012 - 1 AZR 611/11 - Rn. 79). Da­bei wird die Be­sorg­nis künf­ti­ger Rechts­ver­let­zun­gen durch be­reits er­folg­te Ver­let­zungs­hand­lun­gen grundsätz­lich in­di­ziert (vgl. BAG 20. No­vem­ber 2012 - 1 AZR 179/11 - Rn. 79). Ei­ne Wie­der­ho­lungs­ge­fahr ist nur dann aus­ge­schlos­sen,


- 12 -

wenn aus tatsächli­chen oder recht­li­chen Gründen kei­ne er­neu­te Ver­let­zungs­hand­lung zu er­war­ten ist (vgl. BAG 7. Fe­bru­ar 2012 - 1 ABR 77/10 - Rn. 15).


bb) Hier­nach be­steht auf­grund der be­reits er­folg­ten Be­ein­träch­ti­gung des Ei­gen­tums der Ar­beit­ge­be­rin durch den Be­tei­lig­ten zu 4. die Ge­fahr, dass die­ser auch zukünf­tig den ihm von der Ar­beit­ge­be­rin zur Verfügung ge­stell­ten E-Mail Ac­count zur Ver­sen­dung und Ver­brei­tung von Streik­auf­ru­fen ver­wen­den wird. Die Be­sorg­nis wei­te­rer Be­ein­träch­ti­gun­gen wird da­durch bestätigt, dass sich der Be­tei­lig­te zu 4. ge­richt­lich wie außer­ge­richt­lich ei­ner ent­spre­chen­den Be­rech­ti­gung wei­ter berühmt.


d) Der An­spruch der Ar­beit­ge­be­rin ist nicht nach § 1004 Abs. 2 BGB aus­ge­schlos­sen. Die­se ist nicht ver­pflich­tet, die Nut­zung ih­rer In­for­ma­ti­ons- und Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­tech­nik zu Zwe­cken des Ar­beits­kampfs zu dul­den. Ei­ne sol­che Dul­dungs­pflicht der Ar­beit­ge­be­rin folgt ins­be­son­de­re nicht aus Art. 9 Abs. 3 GG zum Schutz der in­di­vi­du­el­len Ko­ali­ti­ons­frei­heit des Be­tei­lig­ten zu 4.


aa) Nach § 1004 Abs. 2 BGB sind Ansprüche nach § 1004 Abs. 1 BGB aus­ge­schlos­sen, wenn der Ei­gentümer zur Dul­dung der Be­ein­träch­ti­gung ver­pflich­tet ist. Ei­ne Pflicht zur Dul­dung kann auf ge­setz­li­cher und/oder rechts­geschäft­li­cher Grund­la­ge be­ste­hen (da­zu MüKoBGB/Bal­dus 6. Aufl. § 1004 Rn. 199 ff.).

bb) Ei­ne Dul­dungs­pflicht der Ar­beit­ge­be­rin er­gibt sich nicht aus Art. 9 Abs. 3 GG. Des­sen Schutz­be­reich be­schränkt sich nicht auf Tätig­kei­ten, die für die Er­hal­tung und Si­che­rung des Be­stan­des der Ko­ali­ti­on un­erläss­lich sind, son­dern um­fasst al­le ko­ali­ti­ons­spe­zi­fi­schen Ver­hal­tens­wei­sen durch die Ko­ali­ti­on und ih­re Mit­glie­der (BVerfG 14. No­vem­ber 1995 - 1 BvR 601/92 - zu B I 1 und 2 der Gründe, BVerfGE 93, 352). Mit der Ver­sen­dung und Ver­brei­tung von Streik­auf­ru­fen nimmt der Be­tei­lig­te zu 4. als Mit­glied von ver.di sei­ne in­di­vi­du­el­le Ko­ali­ti­ons­frei­heit wahr. Da er hier­bei je­doch das Ei­gen­tum der Ar­beit­ge­be­rin in An­spruch nimmt, kol­li­diert sein Han­deln mit de­ren Rechts­po­si­tio­nen aus Art. 14 Abs. 1 GG. Zwi­schen die­sen kon­fli­gie­ren­den grund­recht­li­chen Gewähr­leis­tun­gen ist im We­ge ei­ner Güter­abwägung nach dem Grund­satz der prak­ti-


- 13 -

schen Kon­kor­danz ein scho­nen­der Aus­gleich mit dem Ziel ih­rer Op­ti­mie­rung her­bei­zuführen (BVerfG 7. März 1990 - 1 BvR 266/86 ua. - zu B II 2 a der Gründe, BVerfGE 81, 278; BAG 20. No­vem­ber 2012 - 1 AZR 179/11 - Rn. 114). Da­bei sind die kol­li­die­ren­den Grund­rech­te in ih­rer Wech­sel­wir­kung zu er­fas­sen und so zu be­gren­zen, dass sie möglichst weit­ge­hend wirk­sam wer­den (vgl. BAG 20. Ja­nu­ar 2009 - 1 AZR 515/08 - Rn. 38 - 40, BA­GE 129, 145).

cc) Hier­nach ist zu berück­sich­ti­gen, dass der Be­tei­lig­te zu 4. sei­ne in­di­vi­du­el­le Ko­ali­ti­ons­frei­heit im Zu­sam­men­hang mit der Mo­bi­li­sie­rung der Be­leg­schaft zur Teil­nah­me an ei­nem Streik in vielfälti­ger Wei­se wahr­neh­men kann. Ein ge­werk­schafts­zu­gehöri­ger Ar­beit­neh­mer kann in persönli­chen Gesprächen in Pau­sen und außer­halb des Be­triebs münd­lich oder schrift­lich auf Ar­beits­kol­le­gen ein­wir­ken. Die Nut­zung der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mit­tel des Ar­beit­ge­bers ein­sch­ließlich der von ihm er­stell­ten und ge­pfleg­ten elek­tro­ni­schen Adress­lis­ten für ge­werk­schaft­li­che An­lie­gen stellt für ihn in die­sem Zu­sam­men­hang zwar ei­ne höchst ef­fek­ti­ve, aber kei­nes­wegs die ein­zi­ge Möglich­keit ko­ali­ti­ons­spe­zi­fi­scher Betäti­gung dar. Zur Wahr­neh­mung die­ses Frei­heits­rechts ist er nicht auf die Nut­zung der ar­beit­ge­ber­sei­tig zur Verfügung ge­stell­ten be­trieb­li­chen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­in­fra­struk­tur an­ge­wie­sen. Auch wenn auf die­se Wei­se Streik­auf­ru­fe ei­ner Ge­werk­schaft schnel­ler und ziel­ge­rich­te­ter ver­brei­tet und so de­ren Kampf­kraft gestärkt wer­den kann, be­darf es kei­nes Rück­griffs auf Be­triebs­mit­tel der Ar­beit­ge­be­rin. Die Mo­bi­li­sie­rung von Ar­beit­neh­mern zur Streik­teil­nah­me ist Auf­ga­be der je­wei­li­gen Ko­ali­ti­on und ih­rer Mit­glie­der (vgl. BAG 24. April 2007 - 1 AZR 252/06 - Rn. 62, BA­GE 122, 134). Die­se ha­ben da­zu ih­re per­so­nel­len und sächli­chen Mit­tel ein­zu­set­zen. Der Ar­beit­ge­ber ist nicht ver­pflich­tet, hier­an durch Be­reit­stel­lung ei­ge­ner Be­triebs­mit­tel mit­zu­wir­ken.


dd) Et­was an­de­res folgt auch nicht aus den richter­recht­li­chen Grundsätzen zur ge­werk­schaft­li­chen Mit­glie­der­wer­bung durch E-Mails (vgl. da­zu BAG 20. Ja­nu­ar 2009 - 1 AZR 515/08 - BA­GE 129, 145). Der Ein­griff durch Wer­be­maßnah­men in geschütz­te Rechtsgüter der Ar­beit­ge­ber er­folgt in je­nen Fällen von außen durch die Ge­werk­schaft. Die­se nimmt hier­bei ih­re kol­lek­ti­ve Ko­ali­ti­ons­frei­heit wahr und be­dient sich ei­ge­ner Sach­mit­tel. Die durch die Über­sen-


- 14 -

dung von Wer­be­mails be­ding­te Be­ein­träch­ti­gung der Ar­beit­ge­ber­be­lan­ge ist zu­dem ei­ne an­de­re als die, die durch die vom Be­tei­lig­ten zu 4. ge­for­der­te Möglich­keit der Nut­zung von Be­triebs­mit­teln der Ar­beit­ge­be­rin zur Ver­sen­dung von Streik­auf­ru­fen der Ge­werk­schaft in ei­nem ge­gen die Ar­beit­ge­be­rin geführ­ten Streik entstünde. Hier­durch wird von der Ar­beit­ge­be­rin nicht ver­langt, an der ei­ge­nen streik­be­ding­ten Schädi­gung durch die Be­reit­stel­lung von Be­triebs­mit­teln mit­zu­wir­ken.


4. Der An­trag der Ar­beit­ge­be­rin ist un­be­gründet, so­weit sie ei­ne Un­ter­las­sungs­an­ord­nung für den Te­le­fon­an­schluss des Be­tei­lig­ten zu 4. ver­langt. Hierfür fehlt die er­for­der­li­che Wie­der­ho­lungs­ge­fahr (§ 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB). Die Nut­zung des E-Mail Ac­counts und der Te­le­fon­an­la­ge zur Wei­ter­lei­tung oder Be­kannt­ga­be von Streik­auf­ru­fen sind kei­ne kern­glei­chen Ver­let­zungs­hand­lun­gen. Da­ge­gen spricht schon, dass die Nut­zung des E-Mail Ac­counts deut­lich ef­fek­ti­ver, ein­fa­cher und schnel­ler ist als die Be­kannt­ga­be ei­nes Streik­auf­rufs per Te­le­fon­an­ruf. Al­lein aus der Nut­zung des E-Mail Ac­counts kann des­halb nicht ge­schlos­sen wer­den, der Be­tei­lig­te zu 4. wer­de auch die Te­le­fon­an­la­ge zu die­sen Zwe­cken nut­zen.


5. Das Ver­lan­gen der Ar­beit­ge­be­rin, dem Be­tei­lig­ten zu 4. auf­zu­ge­ben, sei­nen Te­le­fon­an­schluss und E-Mail Ac­count nicht für die Durchführung ei­nes Streiks zu nut­zen, ist un­be­gründet. Da der An­trag so zu ver­ste­hen ist, dass hier­mit vom Be­tei­lig­ten zu 4. ver­langt wird, die Nut­zung der Te­le­fon­an­la­ge und des E-Mail Ac­counts in al­len An­ge­le­gen­hei­ten zu un­ter­las­sen, die mit ei­nem Streik in Zu­sam­men­hang ste­hen, han­delt es sich um ei­nen Glo­balan­trag. Die­ser er­fasst al­ler­dings auch Fall­ge­stal­tun­gen, in de­nen die Nut­zung die­ser tech­ni­schen Mit­tel er­laubt ist. Die Ar­beit­ge­be­rin berück­sich­tigt nicht genügend, dass der Be­triebs­rat auch während ei­nes Ar­beits­kampfs mit al­len Rech­ten und Pflich­ten im Amt bleibt (BAG 13. De­zem­ber 2011 - 1 ABR 2/10 - Rn. 25, BA­GE 140, 113). Der Be­tei­lig­te zu 4. kann des­halb sei­nen Te­le­fon­an­schluss und E-Mail Ac­count auch dann nut­zen, wenn sich Ar­beit­neh­mer während des Ar­beits­kampfs an ihn in sei­ner Funk­ti­on als Be­triebs­rat in An­ge­le­gen­hei­ten wen­den, in


- 15 -

de­nen er wei­ter­hin als Be­triebs­rat han­deln kann oder er in sol­chen An­ge­le­gen­hei­ten tätig wird.

6. Der Hilfs­an­trag ist un­be­gründet. Der Fest­stel­lungs­an­trag ist im Um­fang der Ab­wei­sung des Haupt­an­trags aus den glei­chen Erwägun­gen wie die­ser un­be­gründet.


7. Die ge­gen den Be­tei­lig­ten zu 3. ge­rich­te­ten Anträge sind un­be­gründet. Die­ser ist nicht Hand­lungsstörer. Er hat le­dig­lich sein nachträgli­ches Ein­verständ­nis mit der Ver­brei­tung des Streik­auf­rufs durch den Be­tei­lig­ten zu 4. erklärt, je­doch nicht selbst dar­an mit­ge­wirkt. Ge­gen ihn käme da­her nur ein vor­beu­gen­der Un­ter­las­sungs­an­trag in Be­tracht. Die­ser stellt je­doch ei­nen an­de­ren Streit­ge­gen­stand dar (BAG 20. No­vem­ber 2012 - 1 AZR 611/11 - Rn. 80 f.). Wird

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 


zur Übersicht 1 ABR 31/12