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Un­ter­neh­mens­ein­heit­li­cher Be­triebs­rat

Er­furt er­schwert die Bil­dung ei­nes ein­heit­li­chen Be­triebs­rats in Groß­un­ter­neh­men mit meh­re­ren Be­trie­ben: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Be­schluss vom 24.4.2013, 7 ABR 71/11
Sitzung des Betriebsrats, Betriebsratsversammlung Ein Un­ter­neh­men - ein Be­triebs­rat?

06.07.2013. Das Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG) sieht vor, dass be­reits in recht klei­nen Be­trie­ben Be­triebs­rä­te als ört­lich gut er­reich­ba­re Ver­tre­tun­gen der Ar­beit­neh­mer zu bil­den sind. 

Das ist gut für die De­mo­kra­tie vor Ort, aber schlecht für die Pro­fes­sio­na­li­tät und Ef­fek­ti­vi­tät der Ar­beit des Be­triebs­rats in gro­ßen Un­ter­neh­men, die in meh­re­ren Städ­ten Be­trie­be un­ter­hal­ten und im­mer öf­ter wich­ti­ge Ent­schei­dun­gen zen­tral tref­fen.

Zwar müs­sen die ver­schie­de­nen ört­li­chen Be­triebs­rä­te ei­nes über­ört­li­chen Un­ter­neh­mens ei­nen Ge­samt­be­triebs­rat (GBR) bil­den, doch hat der GBR als ge­mein­sa­mer Aus­schuss der ört­li­chen Be­triebs­rä­te nur in sel­te­nen, ge­setz­lich ab­schlie­ßend ge­re­gel­ten Fäl­len et­was zu sa­gen (§ 50 Be­trVG).

Da­her sieht das Ge­setz die Mög­lich­keit vor, durch Ta­rif­ver­trag oder Be­triebs­ver­ein­ba­rung ei­nen un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rat zu grün­den (§ 3 Be­trVG). Dass ei­ne sol­che Ab­wei­chung vom ge­setz­li­chen Ver­tre­tungs­mo­dell nicht so ein­fach mög­lich ist, zeigt ei­ne ak­tu­el­le Ent­schei­dung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG): BAG, Be­schluss vom 24.4.2013, 7 ABR 71/11.

Wann dient ein un­ter­neh­mens­ein­heit­li­cher Be­triebs­rat der sach­ge­rech­ten Wahr­neh­mung der In­ter­es­sen der Ar­beit­neh­mer?

Gemäß § 3 Abs.1 Nr.1 a) Be­trVG ist die Bil­dung ei­nes un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rats durch Ta­rif­ver­trag oder Be­triebs­ver­ein­ba­rung möglich, wenn dies die Bil­dung von Be­triebsräten er­leich­tert (1. Al­ter­na­ti­ve) oder ei­ner sach­ge­rech­ten Wahr­neh­mung der In­ter­es­sen der Ar­beit­neh­mer dient (2. Al­ter­na­ti­ve).

Bei der An­wen­dung die­ser Vor­schrift stel­len sich vie­le Fra­gen, die vom Ge­setz nicht be­ant­wor­tet wer­den:

Wer ist zuständig für ei­ne sol­che Be­triebs­ver­ein­ba­rung - der GBR oder die ein­zel­nen Be­triebsräte vor Ort, die mit ei­ner sol­chen Ände­rung der Ver­tre­tungs­struk­tur ih­re Exis­tenz auf­ge­ben würden?

Falls der GBR zuständig ist - ha­ben dann die be­trof­fe­nen, vor­erst noch be­ste­hen­den Be­triebsräte ein Ve­to­recht, d.h. können sie durch ihr "nein" die Bil­dung ei­nes un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rats ver­hin­dern?

Da die Bil­dung ei­nes un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rats nur dann durch Be­triebs­ver­ein­ba­rung be­schlos­sen wer­den kann, wenn im Un­ter­neh­men kei­ne Ta­rif­verträge "gel­ten" (§ 3 Abs.2 Be­trVG), fragt sich, wie die­se Re­ge­lungs­sper­re aus­zu­le­gen ist: Gilt sie nur bei Ta­rif­bin­dung des Ar­beit­ge­bers oder auch schon dann, wenn im Un­ter­neh­men Ta­rif­verträge nur auf­grund ar­beits­ver­trag­li­cher Be­zug­nah­me an­ge­wandt wer­den?

Und schließlich: Was heißt ei­gent­lich "sach­ge­rech­te Wahr­neh­mung der In­ter­es­sen der Ar­beit­neh­mer"? Dient ein un­ter­neh­mens­ein­heit­li­cher Be­triebs­rat schon dann ei­ner sach­ge­rech­ten In­ter­res­sen­ver­tre­tung, wenn vie­le wich­ti­ge Ent­schei­dun­gen des Ar­beit­ge­bers auf zen­tra­ler Un­ter­neh­mens­ebe­ne ge­trof­fen wer­den, oder gehört zur "sach­ge­rech­ten" Ver­tre­tung auch die ört­li­che Nähe des Be­triebs­rats und der ver­tre­te­nen Ar­beit­neh­mer?

Zu die­sen Fra­gen hat das BAG in sei­nem Be­schluss vom 24.4.2013, 7 ABR 71/11 Stel­lung ge­nom­men.

Der Fall des BAG: Bun­des­weit täti­ges Un­ter­neh­men möch­te un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rat gründen - der Be­triebs­rat Süd ist dafür, der Be­triebs­rat Nord da­ge­gen

Im Streit­fall gab es in ei­nem deutsch­land mit meh­re­ren Stand­or­ten ver­tre­te­nen Un­ter­neh­men ei­nen Be­triebs­rat Süd und ei­nen Be­triebs­rat Nord, die je­weils für meh­re­re Stand­or­te zuständig wa­ren. Der Be­triebs­rat Süd ver­trat mehr Ar­beit­neh­mer als der Be­triebs­rat Nord und hat­te da­her im GBR das Sa­gen.

Im No­vem­ber 2009 be­schloss der GBR mit den Stim­men der vom Be­triebs­rat Süd ent­sand­ten Mit­glie­der ge­gen die Stim­men der vom Be­triebs­rat Nord ent­sand­ten Mit­glie­der den Ab­schluss der Be­triebs­ver­ein­ba­rung (BV) zur Bil­dung ei­nes un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rats. Trotz die­ser Be­triebs­ver­ein­ba­rung wur­den im im Frühjahr 2010 wie­der zwei ge­trenn­te Be­triebsräte gewählt, nämlich der Be­triebs­rat Süd und der Be­triebs­rat Nord.

Der Be­triebs­rat Nord fühl­te sich un­ter­ge­but­tert und ver­trat im fol­gen­den die An­sicht, die BV zur Bil­dung ei­nes un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rats sei un­wirk­sam.

Denn der GBR, so der Be­triebs­rat Nord, sei für den Ab­schluss ei­ner sol­chen BV gar nicht zuständig. Zu­min­dest ste­he ihm ein Ve­to­recht zu, da er bei ei­ner Wahl zu ei­nem un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rat sei­ne Exis­tenz ver­lie­ren würde. Außer­dem sei ei­ne Be­triebs­ver­ein­ba­rung wie die hier strei­ti­ge nach § 3 Abs.2 Be­trVG gar nicht zulässig, da der Ar­beit­ge­ber Ta­rif­verträge an­wen­de. Außer­dem die­ne die BV we­der ei­ner sach­ge­rech­ten Ver­tre­tung der Ar­beit­neh­mer noch der Er­leich­te­rung der Bil­dung von Be­triebsräten.

Dar­auf­hin zog das Un­ter­neh­men vor Ge­richt und be­an­trag­te die Fest­stel­lung, dass die um­strit­te­ne BV wirk­sam sei. Der Be­triebs­rat Süd schloss sich die­sem An­trag an. Das Ar­beits­ge­richt München hat den An­trag zurück­ge­wie­sen (Be­schluss vom 26.11.2010, 37 BV 73/10). Das LAG München da­ge­gen ent­schied zu­guns­ten des Ar­beit­ge­bers und des Be­triebs­rats Süd (Be­schluss vom 11.08.2011, 2 TaBV 5/11).

BAG: Bei der Prüfung der Sach­dien­lich­keit ei­nes un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rats kommt es auch auf die Ortsnähe der Be­triebs­ver­tre­tung an

Das BAG hob die Ent­schei­dung des LAG München auf und ver­wies den Pro­zess zurück an das LAG, um dem LAG Ge­le­gen­heit zu ge­ben, den Sach­ver­halt wei­ter auf­zuklären.

Denn ob ein un­ter­neh­mens­ein­heit­li­cher Be­triebs­rat hier im Streit­fall ei­ner sach­ge­rech­ten In­ter­res­sen­ver­tre­tung dient oder nicht, hängt ent­ge­gen den Über­le­gun­gen des LAG nicht nur von der Fra­ge ab, wo die we­sent­li­chen mit­be­stim­mungs­pflich­ten Ent­schei­dun­gen des Ar­beit­ge­bers ge­trof­fen wer­den. Viel­mehr kommt es auch dar­auf an, wie gut bzw. wie schlecht die Ar­beit­neh­mer in den Nie­der­las­sun­gen vor Ort ih­re Be­triebsräte er­rei­chen können. Die Ortsnähe des Be­triebs­rats ist dem­nach Be­stand­teil ei­ner "sach­ge­rech­ten" In­ter­es­sen­ver­tre­tung, so das BAG.

Ab­ge­se­hen da­von wies das BAG die Rechts­an­sich­ten des Be­triebs­rats Nord zurück:

  • Der GBR ist für den Ab­schluss ei­ner BV zur Bil­dung ei­nes un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rats zuständig.
  • Die in­fol­ge­des­sen künf­tig nicht mehr exis­ten­ten al­ten Be­triebsräte ha­ben kein Ve­to­recht.
  • Und für die Re­ge­lungs­sper­re des § 3 Abs.2 Be­trVG genügt es nicht, wenn der Ar­beit­ge­ber auf­grund ar­beits­ver­trag­li­cher Be­zug­nah­me­klau­seln Ta­rif­verträge an­wen­det, son­dern er muss auf­grund des Ta­rif­ver­trags­ge­set­zes ta­rif­ge­bun­den sein, d.h. als Par­tei ei­nes Fir­men­ta­rifs oder als Mit­glied ei­nes Ar­beit­ge­ber­ver­ban­des; das traf auf den hier kla­gen­den Ar­beit­ge­ber nicht zu.

Fa­zit: Zu ei­ner "sach­ge­rech­ten" In­ter­es­sen­ver­tre­tung durch den Be­triebs­rat gehört nicht nur, dass er in der Un­ter­neh­mens­zen­tra­le tätig ist und dort ei­nen möglichst gu­ten Draht zur Un­ter­neh­mens­lei­tung hat. Viel­mehr müssen Be­triebsräte auch vor Ort, d.h. in den ein­zel­nen Nie­der­las­sun­gen ei­nes überört­li­chen Un­ter­neh­mens für die Ar­beit­neh­mer gut er­reich­bar sein.

Für ei­nen un­ter­neh­mens­ein­heit­li­chen Be­triebs­rat sind Sprech­stun­den vor Ort im Be­trieb, die Be­sich­ti­gung von Ar­beitsplätzen und Be­triebs­ver­samm­lun­gen nur schwer um­zu­set­zen. Und auch das re­gelmäßige pesönli­che Zu­sam­men­tref­fen der Be­triebs­rats­mit­glie­der ist bei ei­nem Zen­tral-Be­triebs­rat er­schwert, wenn des­sen Mit­glie­der quer über die Re­pu­blik ver­teilt in ver­schie­de­nen Stand­or­ten ar­bei­ten.

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Letzte Überarbeitung: 15. September 2014

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