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ARBEITSRECHT
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ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 24|2022

Update Arbeitsrecht 24|2022 vom 30.11.2022

Entscheidungsbesprechungen

LAG Düsseldorf: Einvernehmliche Beendigung eines BEM kann Fehler bei der Durchführung heilen

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 17.05.2022, 14 Sa 825/21

Das BEM ist abgeschlossen, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einem beiderseits unterzeichneten BEM-Protokoll festhalten, dass der Arbeitnehmer wieder einsatzfähig ist und dass das BEM daher nicht weiter durchgeführt werden soll.

§ 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG); § 167 Abs.2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX)

Rechtlicher Hintergrund

Wenn ein Beschäftigter innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen arbeitsunfähig ist, muss der Arbeitgeber gemäß § 167 Abs.2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) mit den betrieblichen Arbeitnehmervertretungen sowie mit Zustimmung und Beteiligung des Beschäftigten die Möglichkeiten klären, wie die Arbeitsunfähigkeit überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen einer erneuten Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement - BEM). 

Arbeitgeber sollten ohne ein BEM oder (zumindest) ein BEM-Angebot besser keine krankheitsbedingte Kündigung aussprechen, wenn das gekündigte Arbeitsverhältnis durch § 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) geschützt ist, d.h. wenn der Arbeitnehmer länger als sechs Monate in einem Betrieb mit mehr als zehn Arbeitnehmern beschäftigt ist. Denn ohne BEM bzw. BEM-Angebot ist eine krankheitsbedingte Kündigung in aller Regel unwirksam.

Das gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber eigentlich aus krankheitsbedingten Gründen im Sinne von § 1 Abs.2 KSchG kündigen könnte, weil der Arbeitnehmer innerhalb der letzten drei Jahre länger als sechs Wochen pro Jahr krankheitsbedingt ausgefallen ist, und wenn die Ausfälle zu einer erheblichen Beeinträchtigung wirtschaftlicher und/oder betrieblicher Interessen des Arbeitgebers geführt haben. Denn auch in solchen Fällen, d.h. bei einer für den Arbeitgeber günstigen Ausgangslage, scheitert eine krankheitsbedingte Kündigung ohne vorheriges BEM bzw. BEM-Angebot vor Gericht meist.

Denn das BEM soll Möglichkeiten zutage fördern, wie Krankheitsausfälle künftig vermieden werden können. Daher gehen die Gerichte davon aus, dass die Parteien, hätten sie ein BEM durchgeführt, Alternativen zur krankheitsbedingten Kündigung ermittelt hätten. Klagt der Arbeitnehmer gegen eine Krankheitskündigung, die ohne BEM bzw. BEM-Angebot erklärt wurde, muss der Arbeitgeber beweisen, dass ein BEM im Streitfall mit Sicherheit keine milderen Mittel gegenüber der Kündigung aufgezeigt hätte. Diesen Nachweis können Arbeitgeber praktisch nie führen. 

In einem aktuellen Fall des Landesarbeitsgerichts (LAG) Düsseldorf ging es u.a. um die Frage, ob der Arbeitgeber seine BEM-Pflichten erfüllt hat, wenn die Parteien im Anschluss an ein einmaliges BEM-Gespräch übereinstimmend der Meinung sind, dass der Arbeitnehmer wieder voll einsatzfähig sei und daher das BEM „einvernehmlich beendet“ wird.

Sachverhalt

Ein seit August 2018 in einem Sicherheitsunternehmen mit über 1.000 Arbeitnehmern vollzeitig beschäftigter 26-jähriger Luftsicherheitsassistent wurde nach Durchführung eines BEM und nach Anhörung des Betriebsrats im Februar 2021 ordentlich aus krankheitsbedingten Gründen gekündigt, weil er im Jahr 2019 in neun Zeiträumen an insgesamt 36 Arbeitstagen und im Jahr 2020 in 13 Zeiträumen an insgesamt 82 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt war. 

Daher musste der Arbeitgeber, bei einem durchschnittlichen Bruttogehalt des Arbeitnehmers von 2.661,40 EUR, im Jahr 2019 3.053,64 EUR brutto und im Jahr 2020 6.955,50 EUR brutto Entgeltfortzahlung leisten.

Aufgrund einer schriftlichen BEM-Einladung fand im Oktober 2020 ein BEM-Gespräch statt. In dem darüber erstellten, von beiden Seiten unterschriebenen Protokoll hieß es u.a., dass das BEM-Verfahren „mit dem heutigen Tag einvernehmlich beendet“ worden sei, da der Arbeitnehmer „wieder voll einsatzfähig“ sei.

In dem Kündigungsschutzverfahren trug der Arbeitnehmer eine Vielzahl unterschiedlicher Krankheitsursachen vor. Dabei häuften sich Infektionen der Atemwege, Magen-Darm-Erkrankungen sowie Beschwerden des Rückens und Bewegungsapparates.

Das Arbeitsgericht Düsseldorf gab der Klage statt (Urteil vom 05.08.2021, 12 Ca 1365/21), u.a. da es den Ausfall im ersten Jahr des vor der Kündigung liegenden Beobachtungszeittraums („Referenzzeitraum“) als zu kurz ansah.

Entscheidung des LAG Düsseldorf

Das LAG hob das Urteil des Arbeitsgerichts auf und wies die Klage ab. Zur Begründung heißt es:

Die vom Arbeitsgericht in Abrede gestellte negative Gesundheitsprognose lag hier vor. Hier verweist das LAG u.a. darauf, dass der Kläger sich darauf beschränkt hatte, seine Ärzte kommentarlos von der Schweigepflicht zu entbinden, ohne dabei vorzutragen, dass sie seine gesundheitliche Entwicklung als positiv bewertet hätten. 

Bei einem für den Kläger maßgeblichen sog. 6/2-Schichtsystem, in dem auf sechs Arbeitstage immer zwei freie Tage folgen, ergibt sich, dass 75 Prozent der Kalendertage Arbeitstage sind, so dass auf sechs Wochen bzw. 42 Kalendertage (0,75 x 42 =) 31,5 Arbeitstage fallen. Da der Kläger bereits 2019 an 36 Arbeitstagen krank war, fehlte er somit bereits in diesem Jahr länger als sechs Wochen.

Der vom Arbeitgeber herangezogene (nur) zweijährige Referenzzeitraum war ausreichend, so das LAG unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG). Denn der im Regelfall vom BAG verlangte dreijährige Referenzzeitraum ist keine starre Regel. Je nach den Umständen des Einzelfalls kann auch ein kürzerer Beobachtungszeitraum für eine Prognose ausreichen (BAG, Urteil vom 10.11.2005, 2 AZR 44/05, Rn.24). 

Im Streitfall bestand das Arbeitsverhältnis bei Ausspruch der Kündigung noch keine drei Jahre, und außerdem gab es ab Sommer 2019 ab dem Übergang in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis einen starken Anstieg der Fehlzeiten. Außerdem lagen hier v.a. Erkrankungen im Bereich Atemwege, Magen-Darm und Rücken/Bewegungsapparat vor, und der Kläger hatte darauf verwiesen, dass er privat viel Stress gehabt habe. All dies rechtfertigt, so das LAG, die negative Gesundheitsprognose, dass es auch künftig zu Ausfällen von mehr als sechs Wochen pro Jahr kommen werde (LAG, Rn.63).

Schließlich beanstandet das LAG das Zusammentreffen der Parteien zu einem nur einmaligen BEM-Gespräch und die oberflächliche Besprechung der Gesundheitsprobleme des Klägers als unzureichend (LAG, Rn.88-90). Allerdings hatte der Kläger in Kenntnis der Ziele des BEM das bereits begonnene BEM vor Zielerreichung einvernehmlich mit dem Arbeitgeber abgebrochen bzw. abgeschlossen (LAG, Rn.88-90). Dies stellt das LAG dem Fall gleich, dass ein ordnungsgemäß zum BEM eingeladener Arbeitnehmer einem BEM von vornherein nicht zustimmt (LAG, Rn.93-100, Leitsatz 3). 

Praxishinweis

Das BAG hat bereits vor einem Jahr Hinweise zu der Frage gegeben, unter welchen Voraussetzungen ein BEM als abgeschlossen bzw. durchgeführt angesehen werden kann. Davon ist jedenfalls auszugehen, so das BAG, wenn die Parteien einvernehmlich das BEM abschließen oder wenn der Arbeitnehmer mit seiner weiteren Fortsetzung nicht einverstanden ist (BAG, Urteil vom 18.11.2021, 2 AZR 138/21, Rn.29, s. dazu Update Arbeitsrecht 06|2022).

Auf dieser Grundlage kam das LAG zu dem Ergebnis, dass der Arbeitgeber ausreichend viel dafür getan hatte, um im Rahmen eines BEM gemeinsam mit dem Arbeitnehmer Alternativen zu einer Kündigung aufzufinden. 

Das LAG hat die Revision zum BAG zugelassen, wo der Fall inzwischen liegt (Aktenzeichen des BAG: 2 AZR 252/22).

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 17.05.2022, 14 Sa 825/21

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.11.2021, 2 AZR 138/21

 

Handbuch Arbeitsrecht: Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM)

Handbuch Arbeitsrecht: Krankheit

Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung: Krankheitsbedingt

Handbuch Arbeitsrecht: Schwerbehinderung, schwerbehinderter Mensch

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