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ArbG Ham­burg, Ur­teil vom 02.03.2016, 27 Ca 443/15

   
Schlagworte: Bereitschaftsdienst, Mindestlohn
   
Gericht: Arbeitsgericht Hamburg
Aktenzeichen: 27 Ca 443/15
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 02.03.2016
   
Leitsätze:
Vorinstanzen:
   

Ar­beits­ge­richt Ham­burg


Ur­teil


Im Na­men des Vol­kes

In dem Rechts­streit

Geschäfts­zei­chen:
27 Ca 443/15

Verkündet am:
02.03.2016

Am­mon
An­ge­stell­te
als Ur­kunds­be­am­tin
der Geschäfts­stel­le

er­kennt das Ar­beits­ge­richt Ham­burg, 27. Kam­mer,
auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 2. März 2016
durch den Rich­ter am Ar­beits­ge­richt Dr. Ley­de­cker als Vor­sit­zen­den

eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin .....
eh­ren­amt­li­cher Rich­ter .....

für Recht:

1. Die Kla­ge wird ab­ge­wie­sen.

2. Die Kos­ten des Rechts­streits trägt der Kläger.

 

2

3. Der Wert des Streit­ge­gen­stan­des wird auf € 796,43 fest­ge­setzt.

4. Die Be­ru­fung wird ge­son­dert zu­ge­las­sen.

 

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T a t b e s t a n d :

Die Par­tei­en strei­ten um die Höhe der Vergütung für Be­reit­schafts­zei­ten.

Die Be­klag­te ist ein dia­ko­ni­sches Dienst­leis­tungs­un­ter­neh­men in der Ge­sell­schafts­form ei­ner ge­meinnützi­gen GmbH, die für Men­schen mit Be­hin­de­run­gen Leis­tun­gen im am­bu­lan­ten und sta­ti­onären Be­reich an­bie­tet. Sie gehört zur Evan­ge­li­schen Stif­tung A.

Der Kläger ist seit dem 02.04.2012 bei der Be­klag­ten als Hei­l­er­zie­hungs­pfle­ger in Teil­zeit mit 77,49 % ei­ner Voll­zeit­kraft beschäftigt, zu­letzt auf Ba­sis des Ar­beits­ver­trags vom 06.12.2013 (An­la­ge K 1, Bl. 6 f. d.A.). Ei­ne Voll­zeit­kraft ar­bei­tet bei der Be­klag­ten 2.020 Jah­res­stun­den. Auf das Ar­beits­verhält­nis fin­det nach Zif­fer 3 des Ar­beits­ver­trags der Kirch­li­che Ta­rif­ver­trag Dia­ko­nie (KTD) vom 15.08.2002 in der je­weils gel­ten­den Fas­sung und den die­sen ergänzen­den, ändern­den und er­set­zen­den Ta­rif­verträgen An­wen­dung. Der mo­nat­li­che Brut­to­lohn des Klägers be­trug im Jahr 2015 im Ja­nu­ar € 2.045,11 (Grund­lohn: € 1.965,92), im Fe­bru­ar € 1.999,63 (Grund­lohn: € 1.965,92), im März € 1.999,63 (Grund­lohn: € 1.965,92), im April € 2.168,32 (Grund­lohn: € 2.089,13), im Mai € 2.122,84 (Grund­lohn: € 2.089,13), im Ju­ni € 3.005,95 (Grund­lohn: € 2.089,13) und im Ju­li € 2.089,13 (Grund­lohn: € 2.089,13) (An­la­ge K 2, Bl. 10 ff. d.A.).

Der Kläger war gemäß Zif­fer 5 sei­nes Ar­beits­ver­trags in Ent­gelt­grup­pe 7 ein­grup­piert. Bis ein­sch­ließlich März 2015 war der Kläger in Stu­fe 1 ein­ge­stuft. Das St­un­den­ent­gelt be­trug aus­ge­hend von dem ta­rif­ver­trag­li­chen Brut­to­mo­nats­ent­gelt € 15,07 in Ent­gelt­grup­pe 7, Stu­fe 1. Ab April 2015 war der Kläger in Stu­fe 2 ein­ge­stuft, wo­durch sich sein St­un­den­ent­gelt aus­ge­hend von dem ta­rif­ver­trag­li­chen Brut­to­mo­nats­ent­gelt auf € 16,02 erhöhte. In der Zeit von Ja­nu­ar bis Ju­li 2015 wur­de der Kläger zu un­ter­schied­li­chen Be­reit­schafts­diens­ten im Um­fang von 5 bis 20 St­un­den pro Mo­nat ein­ge­teilt. Ins­ge­samt ab­sol­vier­te der Kläger in die­sem Zeit­raum 93 St­un­den Be­reit­schafts­diens­te (An­la­ge K 2, Bl. 10 ff. d.A.). § 11 Abs. 4 S. 1, 2 KTD sieht fol­gen­de Re­ge­lung zu Be­reit­schafts­diens­ten vor:

Be­reit­schafts­dienst in Kran­kenhäusern und Ein­rich­tun­gen der me­di­zi­ni­schen Re­ha­bi­li­ta­ti­on wird wie folgt fak­to­ri­siert:

I bei Ar­beits­leis­tun­gen
in­ner­halb des Be­reit­schafts­diens­tes von 0 - 30 % mit dem Fak­tor 0,50

 

4

II bei Ar­beits­leis­tun­gen
in­ner­halb des Be­reit­schafts­diens­tes von > 30 - 49 % mit dem Fak­tor 0,85

Al­le übri­gen Be­rei­che wer­den dem Be­reit­schafts­dienst der Stu­fe I und den da­zu­gehöri­gen Re­ge­lun­gen zu­ge­ord­net und der Be­reit­schafts­dienst wird mit dem Fak­tor 0,45 fak­to­ri­siert.“

Bei ei­nem Fak­tor von 0,45 er­gab sich für den Kläger für Be­reit­schafts­zei­ten bis ein­sch­ließlich März 2015 ein ta­rif­ver­trag­li­cher St­un­den­lohn in Höhe von € 6,78 und ab April 2015 in Höhe von € 7,21 gemäß § 11 Abs. 4 S. 2 KTD.

Wei­ter­hin ist in § 14 Abs. 1 KTD zu den Ent­gelt­grund­la­gen u.a. ge­re­gelt

Das Ent­gelt der Ar­beit­neh­me­rin wird nach der Ent­gelt­grup­pe und der Ent­gelt­stu­fe be­mes­sen. Es wird für den Ka­len­der­mo­nat (Ent­gelt­zeit­raum) be­rech­net. (…)

Der Kläger hat mit Schrift­satz vom 14.09.2015, ein­ge­gan­gen bei Ge­richt am 18.09.2015, und der Be­klag­ten zu­ge­stellt am 24.09.2015, Kla­ge er­ho­ben und wei­te­re Vergütung für die von ihm ge­leis­te­ten Be­reit­schafts­diens­te gel­tend ge­macht.

Der Kläger trägt vor, dass er so­gar in Ar­beits­be­reit­schaft ge­ar­bei­tet ha­be, weil er als Al­lein­ver­ant­wort­li­cher vor Ort durchgängig dar­auf ha­be ach­ten müssen, ob er von sich aus ha­be tätig wer­den müssen. Selbst wenn man da­von aus­gin­ge, dass es sich nicht um Ar­beits­be­reit­schaft, son­dern Be­reit­schafts­dienst hand­le, ver­s­toße die ta­rif­ver­trag­li­che Vergütung für den Be­reit­schafts­dienst ge­gen die Re­ge­lun­gen des Min­dest­l­ohn­ge­set­zes. Die Vergütung ei­ner je­den Zeit­stun­de hätte bei Ar­beits­be­reit­schaft, aber auch bei Be­reit­schafts­diens­ten gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 Mi­LoG mit € 8,50 brut­to ver­ein­bart wer­den müssen. Be­zugs­punkt sei da­bei je­de ein­zel­ne Ar­beits­zeit­stun­de. Zwi­schen Vol­l­ar­beits­zeit und Be­reit­schafts­zeit er­fol­ge ge­ra­de kei­ne Un­ter­schei­dung. Nicht ge­bo­ten sei ei­ne Durch­schnitts­be­trach­tung über ei­nen Ab­rech­nungs­zeit­raum. Außer­dem wäre an­de­ren­falls § 611 BGB nicht ein­ge­hal­ten, weil der ei­gent­lich ver­ein­bar­te St­un­den­lohn für die Vol­l­ar­beits­zeit bei ei­ner Durch­schnitts­be­trach­tung letzt­lich doch nicht ge­zahlt wer­den würde. Es würde zu ei­nem rück­wir­ken­den Ab­bau des zunächst er­dien­ten Ent­gelts kom­men. Die ta­rif­li­che Re­ge­lung sei im Er­geb­nis un­wirk­sam, so­dass der Kläger meint, ei­nen An­spruch auf sei­ne sons­ti­ge St­un­den­vergütung in Höhe von € 15,07 bis ein­sch­ließlich März und ab April 2015 in Höhe von € 16,02 zu ha­ben. Ei­ne Be­gren­zung auf den Min­dest­lohn könne dem Mi­LoG nicht ent­nom­men

 

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wer­den. Aus der Dif­fe­renz des ge­zahl­ten Be­reit­schafts­stun­den­lohns zu sei­nem sons­ti­gen St­un­den­lohn ergäben sich die mo­nat­li­chen Dif­fe­renz­beträge.

Der Kläger be­an­tragt:

Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, 796,43 EUR brut­to nebst Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz auf € 140,90 seit dem 01.02.2015, auf wei­te­re € 99,46 seit dem 01.03.2015, auf wei­te­re € 124,33 seit dem 01.04.2015, auf wei­te­re € 61,68 seit dem 01.05.2015, auf wei­te­re € 149,79 seit dem 31.05.2015, auf wei­te­re € 176,22 seit dem 01.07.2015 so­wie auf den Ge­samt­be­trag seit dem 01.08.2015 an den Kläger zu zah­len.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Die Be­klag­te trägt vor, dass es sich um Be­reit­schafts­diens­te ge­han­delt ha­be, weil sich die Be­woh­ner der Ein­rich­tung in der Re­gel selbständig ver­sor­gen würden und der Kläger nicht von sich aus ak­tiv wer­den müsse. Viel­mehr könne er nachts so­gar schla­fen, bis sich je­mand bei ihm mel­de. Sol­che Be­reit­schafts­zei­ten fie­len auch nicht un­ter den An­wen­dungs­be­reich des Mi­LoG, weil es sich nicht um Ar­beits­zeit im Sin­ne des § 1 Abs. 2 S. 1 Mi­LoG hand­le. Grund dafür sei, dass die Be­reit­schafts­zeit im Verhält­nis zur sons­ti­gen Ar­beits­zeit ei­ne an­de­re Leis­tung und so­mit ein „ali­ud“ dar­stel­le. Dies ergäbe sich auch aus § 2 Abs. 3 Pfle­ge­ArbbV, wo­nach Be­reit­schafts­zei­ten ar­beits­zeit­lich ge­rin­ger be­wer­tet wer­den können, wenn auch mit min­des­tens 25 %. Außer­dem sei der Kläger je­den­falls nicht min­dest­l­ohn­ge­setz­wid­rig be­zahlt wor­den, weil auf die mo­nat­li­che Durch­schnitts­vergütung ab­zu­stel­len sei. Sinn und Zweck des Mi­LoG sei, dass ein al­lein­ste­hen­der Voll­zeit­beschäftig­ter bei durch­schnitt­li­cher Wo­chen­ar­beits­zeit ein Mo­nats­ein­kom­men ober­halb der Pfändungs­gren­zen des § 850c Abs. 1 S. 1 ZPO er­lan­gen könne. Ei­ne ge­gen­tei­li­ge Be­wer­tung stünde auch an­de­ren Vergütungs­mo­del­len, wie dem Stück­lohn ent­ge­gen. Selbst wenn die Be­zah­lung nicht dem Mi­LoG ent­spre­chen würde, könne der Kläger nur € 8,50 pro Be­reit­schafts­ar­beits­stun­de ver­lan­gen, mit­hin die Dif­fe­renz sei­nes St­un­den­lohns zum Min­dest­lohn. Der Kläger könne je­den­falls nicht sei­nen sons­ti­gen St­un­den­lohn in Höhe von € 15,07, bzw. € 16,02 ver­lan­gen. Dies fol­ge auch aus § 3 S. 1 Mi­LoG, wo­nach Ver­ein­ba­run­gen, die den An­spruch auf Min­dest­lohn un­ter­schrei­ten, nur „in­so­weit“ un­wirk­sam sei­en.

 

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We­gen des wei­te­ren Sach­vor­tra­ges der Par­tei­en, ih­rer Be­weis­an­trit­te und der von ih­nen über­reich­ten Un­ter­la­gen so­wie ih­rer Rechts­ausführun­gen im Übri­gen wird ergänzend auf den ge­sam­ten Ak­ten­in­halt Be­zug ge­nom­men (§ 46 Abs. 2 ArbGG, § 313 Abs. 2 ZPO).

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

Die zulässi­ge Kla­ge ist un­be­gründet. Dem Kläger steht kein Zah­lungs­an­spruch zu.

I.

Die Kla­ge hat in der Sa­che kei­nen Er­folg. Der Kläger hat kei­nen An­spruch auf wei­te­re Lohn­zah­lun­gen für sei­ne ge­leis­te­ten Be­reit­schafts­diens­te.

1. Der Kläger kann sei­nen An­spruch nicht dar­auf stütz­ten, dass er Ar­beits­be­reit­schaft leis­tet und die­se nach dem KTD wie Vol­l­ar­beit zu vergüten sei. Bei der Tätig­keit des Klägers han­delt es sich im ar­beits­recht­li­chen Sin­ne nicht um Ar­beits­be­reit­schaft, son­dern Be­reit­schafts­dienst. Um ei­ne Vergütung für Ar­beits­be­reit­schaft gel­tend zu ma­chen, müss­te der Kläger dar­le­gen und ge­ge­be­nen­falls be­wei­sen, dass sei­ne Tätig­keit Ar­beits­be­reit­schaft und nicht Be­reit­schafts­dienst dar­stell­te. Un­ter Ar­beits­be­reit­schaft sind „Zei­ten wa­cher Acht­sam­keit im Zu­stan­de der Ent­span­nung" zu ver­ste­hen (BAG v. 30.01.1996 - 3 AZR 1030/94 -, Rn. 16, ju­ris mwN). Bei der Ar­beits­be­reit­schaft hat der Ar­beit­neh­mer von sich aus tätig zu wer­den, beim Be­reit­schafts­dienst „auf An­for­de­rung“ (BAG v. 19.11.2014 - 5 AZR 1101/12 -, Rn. 16, ju­ris mwN). Der Kläger hat kei­ne Tat­sa­chen sub­stan­ti­iert vor­ge­tra­gen, aus de­nen sich ergäbe, dass er Ar­beits­be­reit­schaft leis­tet. Er hat le­dig­lich pau­schal be­haup­tet, dass er in der ge­sam­ten Zeit sei­ner An­we­sen­heit sei­ne Auf­merk­sam­keit dar­auf rich­ten müsse, ob sei­ne Tätig­keit er­for­der­lich sei und von sich aus tätig wer­den müssen. Dem hat die Be­klag­te wi­der­spro­chen. Ins­be­son­de­re hat die Be­klag­te vor­ge­tra­gen, dass der Kläger nicht von sich aus ak­tiv wer­den müsse und er nachts auch schla­fen könne. Der Kläger müsse nachts kei­ne Rundgänge ma­chen, son­dern wer­de im Be­darfs­fall durch die Be­woh­ner ge­weckt. Sei­ne Be­haup­tung, er müsse von sich aus tätig wer­den, hat der Kläger hin­ge­gen nicht sub­stan­ti­iert.

2. Der An­spruch des Klägers auf ei­ne wei­te­re Vergütung folgt nicht aus § 611 BGB. Die Vergütung für die vom Kläger ge­leis­te­ten Be­reit­schafts­diens­te er­gibt sich aus § 11 Abs. 3, 4 KTD. Der Kläger ist nicht min­dest­l­ohn­ge­setz­wid­rig vergütet wor­den, § 3 S. 1, § 1 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Mi­LoG, so­dass ihm kei­ne wei­te­re Vergütung zu­steht.

a. Dem Kläger kann al­ler­dings nicht ent­ge­gen ge­hal­ten wer­den, dass Be­reit­schafts­diens­te be­reits nicht von § 1 Mi­LoG er­fasst würden. Ob Be­reit­schafts­zeit als Ar­beits­zeit im Sin­ne des

 

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Mi­LoG gilt, ist we­der im Ge­setz aus­drück­lich ge­re­gelt noch höchst­rich­ter­lich ent­schie­den. Ge­gen die Ein­ord­nung von Be­reit­schafts­zeit als Ar­beits­zeit wird an­geführt, dass ein Stu­fen­verhält­nis zur Vol­l­ar­beit bestünde, wo­bei das Mi­LoG nur „Ar­beits­leis­tung“ und da­mit kei­ne „Be­reit­schafts­ru­he- oder Be­reit­hal­te­zei­ten“ um­fas­se (Thüsing/Hütter, NZA 2015, 970 ff.; Rie­chert/Nim­mer­jahn, Min­dest­l­ohn­ge­setz 2015, § 1 Rn. 66 ff.). Sinn und Zweck des Mi­LoG sei es, wie man § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Mi­LoG ent­neh­men könne, „er­brach­te Ar­beits­leis­tung“ zu vergüten (Thüsing/Hütter, NZA 2015, 970, 972). Die­se Auf­fas­sung ist in­so­weit je­doch nicht über­zeu­gend. So­wohl Ar­beits­be­reit­schaft als auch Be­reit­schafts­dienst sind nach dem Mi­LoG zu vergüten (Lembke, NZA 2016, 1, 5 f.; Lak­ies, AuR 2016, 14, 15 f.). Ent­schei­dend für die An­wend­bar­keit des Mi­LoG ist nicht die In­ten­sität der Ar­beit, mit wel­cher der Ar­beit­ge­ber den Ar­beit­neh­mer be­traut, son­dern die Dis­po­ni­bi­lität der Zeit aus Ar­beit­neh­mer­sicht. In­so­weit ist die Recht­spre­chung des BAG zum Min­des­tent­gelt in der Pfle­ge­bran­che über­trag­bar. Da­nach zählt nicht nur je­de Tätig­keit zur vergütungs­pflich­ti­gen Ar­beits­zeit, die als sol­che der Be­frie­di­gung ei­nes frem­den Bedürf­nis­ses dient, son­dern auch ei­ne vom Ar­beit­ge­ber ver­an­lass­te Untätig­keit, während de­rer der Ar­beit­neh­mer am Ar­beits­platz oder ei­ner vom Ar­beit­ge­ber be­stimm­ten Stel­le an­we­send sein muss und nicht frei über die Nut­zung des Zeit­raums be­stim­men kann, er al­so we­der ei­ne Pau­se (§ 4 Arb­ZG) noch Frei­zeit hat (BAG v. 19.11.2014 - 5 AZR 1101/12 -, Rn. 16, ju­ris mwN; eben­so BAG v. 18.11.2015 - 5 AZR 814/14 -, Rn. 25, ju­ris). Bei der Be­reit­schafts­zeit muss sich der Ar­beit­neh­mer re­gelmäßig vor Ort auf­hal­ten und ist in­so­weit ein­ge­schränkt in sei­ner Le­bens­ge­stal­tung und hat ge­ra­de kei­ne ab­so­lu­te Frei­zeit. Er kann we­der über sei­ne Zeit, den Auf­ent­halts­ort oder sei­ne Ar­beits­kraft verfügen, so­dass es sich nicht nur um Ar­beits­zeit im Sin­ne des Arb­ZG, son­dern auch um sol­che Sin­ne des Mi­LoG han­delt. So­weit in der Li­te­ra­tur ver­tre­ten wird, man könne die Re­ge­lun­gen des Arb­ZG we­gen ei­nes an­de­ren Schutz­zwe­ckes nicht auf das Mi­LoG über­tra­gen, son­dern müsse auf das syn­al­lag­ma­ti­sche Aus­tausch­verhält­nis, al­so Leis­tung und Ge­gen­leis­tung, ab­stel­len (Thüsing/Hütter, NZA 2015, 970, 972), er­gibt sich für die Be­reit­schafts­zeit kein an­de­res Er­geb­nis. So­lan­ge sich der Ar­beit­neh­mer in­fol­ge des aus­geübten Di­rek­ti­ons­rechts des Ar­beit­ge­bers für ei­nen vor­ge­ge­be­nen Zeit­raum an ei­nem vor­ge­ge­be­nen Ort auf­hal­ten muss und der tatsächli­che Ar­beits­an­fall vom Zu­fall abhängt, be­steht ein syn­al­lag­ma­ti­sches Aus­tausch­verhält­nis. Im Er­geb­nis han­delt es sich dann um nach dem Mi­LoG zu vergüten­de Ar­beits­zeit. Vom ge­setz­ge­be­ri­schen Stand­punk (BT-Drs. 18/1558, S. 28) er­scheint es zu­min­dest un­wahr­schein­lich, dass Ar­beit­neh­mer, die aus­sch­ließlich oder weit über­wie­gend in Be­reit­schafts­diens­ten tätig sind, al­so im Rah­men ei­ner Voll­zeit­stel­le nicht über ih­re Zeit als Frei- oder an­der­wei­ti­ge Ar­beits­zeit verfügen können, vom Ge­set­zes­zweck der Si­che­rung ei­nes pau­scha­lier­tes Exis­tenz­mi­ni­um als Mo­nats­ein­kom­men aus­ge­nom­men wer­den sol­len. So­weit dar­auf ab­ge­stellt wird, dass es sich bei dem Be­reit­schafts­dienst um ei­ne an­de­re Leis­tung als die ei­gent­lich ver­trag­lich ge­schul­de­te han­delt, ver­mag auch die­ses Ar­gu­ment nicht zu über­zeu­gen. Für die An­wen­dung des Mi­LoG kann es nicht maßgeb­lich sein, wel­che

 

8

Ar­beits­leis­tung er­bracht wird, so­lan­ge die­se im Rah­men ei­ner ver­trag­lich ge­re­gel­ten Aus­tausch­be­zie­hung er­bracht wird. Ent­spre­chend ist das BAG zu dem Er­geb­nis ge­kom­men, dass Be­reit­schafts­diens­te dem Min­dest­lohn der Pfle­ge­bran­che un­ter­fal­len und grundsätz­lich ge­rin­ger vergütet wer­den können als Vol­l­ar­beit, je­doch nur so­weit ei­ne ge­son­der­te Vergütungs­re­ge­lung be­steht (BAG v. 19.11.2014 - 5 AZR 1101/12 -, Rn. 16, ju­ris). Ei­ne sol­che ge­son­der­te Vergütungs­re­ge­lung hat der Ge­setz­ge­ber erst mit der „Zwei­ten Ver­ord­nung über zwin­gen­de Ar­beits­be­din­gun­gen für die Pfle­ge­bran­che“ vom 27.11.2014 ge­schaf­fen. Ei­ne sol­che ge­son­der­te Vergütungs­re­ge­lung enthält das Mi­LoG hin­ge­gen nicht, so­dass kein Un­ter­schied zu ma­chen ist, ob Vol­l­ar­beit oder aber Be­reit­schafts­dienst zu vergüten ist.

b. Auch wenn Be­reit­schafts­diens­te als Ar­beits­zeit im Sin­ne des Mi­LoG an­zu­se­hen sind, war die Kla­ge gleich­wohl ab­zu­wei­sen. Der Kläger wur­de im Rah­men der vor­lie­gend ge­bo­te­nen mo­nat­li­chen Durch­schnitts­be­trach­tung ent­spre­chend des Mi­LoG vergütet.

Als Be­wer­tungs­maßstab für die Fra­ge der Ein­hal­tung des Min­dest­lohns ist in der Re­gel ei­ne mo­nat­li­che Durch­schnitts­be­trach­tung zum Fällig­keits­zeit­punkt und kei­ne St­un­den­be­trach­tung an­zu­stel­len (so die über­wie­gen­de Mei­nung in der Li­te­ra­tur: Lembke, NZA 2016, 1, 4; Lak­ies, AuR 2016, 14, 16; Thüsing/Hütter, NZA 2015, 970, 970; Sit­tard, NZA 2014, 951, 951; Bay­reu­ther, NZA 2014, 865, 867; Be­ckOK-Grei­ner, 38. Edi­ti­on, § 1 Mi­LoG Rn. 49 ff.; Rie­chert/Nim­mer­jahn, Min­dest­l­ohn­ge­setz, 2015, § 1 Rn. 31; wohl auch ErfK-Fran­zen, 16. Auf­la­ge 2016, § 1 Mi­LoG Rn. 5, 8; a.A. wohl Schu­bert/Jer­chel/Düwell, Das neue Min­dest­l­ohn­ge­setz, 1. Auf­la­ge 2014, Teil 2 Rn. 96 ff.). Hierfür spre­chen der Wort­laut, der Sinn und Zweck und die Sys­te­ma­tik des Min­dest­l­ohn­ge­set­zes.

Aus­gangs­punkt für die Aus­le­gung ei­ner Ge­set­zes­vor­schrift ist der in die­ser zum Aus­druck ge­kom­me­ne ob­jek­ti­vier­te Wil­le des Ge­setz­ge­bers, so wie er sich aus dem Wort­laut der Ge­set­zes­be­stim­mung und dem Sinn­zu­sam­men­hang er­gibt. Dem Ziel, den im Ge­setz ob­jek­ti­vier­ten Wil­len des Ge­setz­ge­bers zu er­fas­sen, die­nen die ne­ben­ein­an­der zulässi­gen, sich ge­gen­sei­tig ergänzen­den Me­tho­den der Aus­le­gung aus dem Wort­laut der Norm, ih­rem Sinn­zu­sam­men­hang, ih­rem Zweck so­wie aus den Ge­setz­ge­bungs­ma­te­ria­li­en und der Ent­ste­hungs­ge­schich­te (BGH v. 07.12.2011 - IV ZR 50/11 -, Rn. 14, ju­ris).

(1) Dem Wort­laut des Mi­LoG ist nicht aus­drück­lich zu ent­neh­men, auf wel­che Be­zugs­größe es für die Be­wer­tung an­kommt, ob der Min­dest­lohn ge­zahlt wor­den ist oder nicht. In § 1 Abs. 1 Mi­LoG ist le­dig­lich die Re­de da­von, dass je­de Ar­beit­neh­me­rin und je­der Ar­beit­neh­mer ei­nen An­spruch auf Zah­lung ei­nes Ar­beits­ent­gelts min­des­tens in Höhe des Min­dest­lohns hat. Hier­in wird kei­ner­lei Re­ge­lung da­zu ge­trof­fen, auf wel­chen Zeit­raum es an­kommt. Es ist nicht näher

 

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be­stimmt, ob das „Ar­beits­ent­gelt“ ein Ent­gelt für ei­ne St­un­de, ei­nen Tag, ei­nen Mo­nat oder ein Jahr meint.

§ 1 Abs. 2 S. 1 Mi­LoG sieht vor, dass der Min­dest­lohn ab dem 01.01.2015 € 8,50 brut­to je Zeit­stun­de beträgt. Auch wenn der Wort­laut der Vor­schrift da­mit die Zeit­stun­de als Be­rech­nungs­grund­la­ge vor­gibt, führt dies je­doch nicht zwin­gend da­zu, dass ei­ne rein stun­den­wei­se Be­trach­tung an­zu­stel­len ist oh­ne Berück­sich­ti­gung bei­spiels­wei­se mo­nats­wei­se zu be­stim­men­der Prämi­en oder Bo­ni. An­dern­falls hätte ein Ar­beit­neh­mer für je­weils 60 Mi­nu­ten Ar­beits­leis­tung ei­nen An­spruch dar­auf, den Min­dest­lohn aus­ge­zahlt be­kom­men, oh­ne bei­spiels­wei­se Tan­tie­me, die von ei­nem er­folg­rei­chen Geschäfts­ab­schluss abhängen, berück­sich­ti­gen zu können. Der Ar­beit­ge­ber hin­ge­gen wäre ver­pflich­tet, den Min­dest­lohn für je­de Ar­beits­stun­de iso­liert be­trach­tet aus­zu­zah­len. Dies würde je­doch die Fle­xi­bi­lität der Lohn­ge­stal­tung übermäßig ein­schränken, oh­ne dass dies von Sinn und Zweck des Mi­LoG ge­for­dert wäre. Ge­nau­so lässt es sich mit dem Wort­laut ver­ein­ba­ren, dass am En­de ei­nes Be­mes­sungs­zeit­raums der Ar­beit­neh­mer im Durch­schnitt für je­de ge­leis­tet Zeit­stun­de den Min­dest­lohn ver­dient ha­ben muss. Denn der Wort­laut lässt auch die Aus­le­gung zu, dass un­ter Berück­sich­ti­gung des je­wei­li­gen Ab­rech­nungs­zeit­raums der Ar­beit­neh­mer für je­de in dem Zeit­raum ge­leis­tet Zeit­stun­de ei­nen An­spruch auf Zah­lung des Min­dest­lohns je Zeit­stun­de hat. Auch ei­ne sol­che ex post-Be­trach­tung führt da­zu, dass der Ar­beit­neh­mer den Min­dest­lohn pro Zeit­stun­de iSd § 1 Abs. 2 Mi­LoG erhält.

(2) Nach dem Sinn und Zweck des Min­dest­l­ohn­ge­set­zes ist von ei­ner in der Re­gel mo­nat­li­chen Durch­schnitts­be­trach­tung aus­zu­ge­hen. Nach den Ge­set­zes­ma­te­ria­li­en woll­te der Ge­setz­ge­ber mit der Einführung ei­nes all­ge­mei­nen Min­dest­lohns die Ar­beit­neh­me­rin­nen und Ar­beit­neh­mer vor Nied­rigstlöhnen schützen, die bran­chenüberg­rei­fend als ge­ne­rell un­an­ge­mes­sen an­zu­se­hen sind (BT-Drs. 18/1558, S. 28, 34). Da­bei ist die Re­de da­von, dass es al­lein­ste­hen­den Voll­zeit­beschäftig­ten mit ei­ner durch­schnitt­li­chen Wo­chen­ar­beits­zeit mit ei­nem „Ar­beits­ent­gelt von brut­to 8,50 Eu­ro je Zeit­stun­de“ ermöglicht wer­den soll, dass ein Mo­nats­ein­kom­men ober­halb der Pfändungs­frei­gren­ze gemäß § 850c Abs. 1 S. 1 ZPO er­zielt wird (BT-Drs. 18/1558, S. 28). Ob­wohl auf das Ent­gelt für die Zeit­stun­de ab­ge­stellt wird, ist das Ziel des Ge­set­zes, dass ein auf die Si­tua­ti­on der Ar­beit­neh­me­rin­nen und Ar­beit­neh­mer zu­ge­schnit­te­nes pau­scha­lier­tes Exis­tenz­mi­ni­um als Mo­nats­ein­kom­men er­reicht wird. Hierfür ist es aber un­er­heb­lich, ob ein­zel­ne Ar­beits­stun­den mit we­ni­ger als € 8,50 brut­to vergütet wer­den, so­lan­ge im (Mo­nats-)Durch­schnitt die­ser Min­dest­stun­den­lohn er­reicht wird.

Dem Be­stre­ben, ein be­stimm­tes Min­dest­aus­kom­men zu schaf­fen, steht die Fest­le­gung ei­nes Min­dest­lohns nach Zeit­stun­den in § 1 Abs. 2 S. 1 Mi­LoG nicht ent­ge­gen. Zwar wäre ei­ne

 

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ge­setz­li­che Re­ge­lung zu ei­nem Min­dest­b­rut­to­mo­nats­lohn noch kon­kre­ter auf ein mo­nat­li­ches pau­scha­lier­tes Exis­tenz­mi­ni­mum ge­rich­tet ge­we­sen. Gleich­wohl ist auch über den Maßstab der Zeit­stun­de ein Min­dest­aus­kom­men re­gel­bar. Es er­leich­tert den Um­gang in der Pra­xis, weil nur ei­ne Ein­heit fest­ge­legt wer­den muss­te. Bei ei­nem Min­dest­b­rut­to­mo­nats­lohn hätte man noch die re­gelmäßige St­un­den­zahl be­stim­men müssen, um den vol­len An­spruch auf den Min­dest­b­rut­to­mo­nats­lohn zu er­hal­ten, mit­hin al­so ein bran­chen­un­abhängi­ges Norm­ar­beits­verhält­nis de­fi­nie­ren müssen. Ei­nem Min­dest­stun­den­lohn kommt zu­dem ein ge­wis­ser Grad an Ver­wal­tungs­ver­ein­fa­chung für die Pra­xis zu­gu­te. Auch bei der An­pas­sung der Höhe durch die Min­dest­lohn­kom­mis­si­on ist ei­ne Ver­hand­lung über ei­nen St­un­den­lohn ein­fa­cher, als über ei­ne Kom­bi­na­ti­on von Brut­to­mo­nats­lohn und mo­nat­li­cher St­un­den­zahl.

Aus­drück­lich wei­ter­hin zulässig ist nach der Ge­set­zes­be­gründung ei­ne Ver­ein­ba­rung von Stück- und Ak­kordlöhnen, bei de­nen ge­ra­de kein Zeit­lohn ver­ein­bart wird, wenn gewähr­leis­tet ist, dass der Min­dest­lohn für die ge­leis­te­ten Ar­beits­stun­den er­reicht wird (BT-Drs. 18/1558, S. 34; Lem­ke, NZA 2016, 1, 4). Ent­schei­dend für die Ver­ein­bar­keit mit dem Mi­LoG ist auch hier, dass am En­de ei­nes Re­fe­renz­zeit­raums über­prüft wird, ob im Durch­schnitt der Min­dest­lohn in Höhe von € 8,50 je Zeit­stun­de ge­zahlt wor­den ist. Ent­spre­chen­des muss auch bei Prämi­en und Tan­tie­men gel­ten, de­ren Vor­lie­gen und Höhe mo­nats­wei­se be­stimmt wird. Dem­ge­genüber würde die aus­sch­ließli­che St­un­den­be­trach­tung im Zeit­punkt der Leis­tung der Ar­beits­stun­de die Ge­stal­tungs­spielräume der Ver­trags- oder Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ein­engen, oh­ne dass dies von Sinn und Zweck des Mi­LoG, ein be­stimm­tes Min­dest­aus­kom­men zu schaf­fen, er­for­der­lich wäre.

Auch Über­stun­den­ab­gel­tungs­klau­seln sind nach über­wie­gen­der An­sicht mit dem Mi­LoG zu ver­ein­ba­ren, in­dem ei­ne Durch­schnitts­be­trach­tung an­ge­stellt wird (Rie­chert/Nim­mer­jahn, Min­dest­l­ohn­ge­setz 2015, § 1 Rn. 30 f., § 3 Rn. 8 f.; Lembke, NZA 2016, 1, 4; an­hand ei­nes Bei­spiels mit wöchent­li­cher Be­trach­tungs­wei­se: Be­ckOK-Hil­gen­stock, § 3 Mi­LoG, Rn. 7 ff.; Bay­reu­ther, NZA 2014, 865, 867; Sit­tard, NZA 2014, 951, 951). Nach der bis­he­ri­gen ständi­ger Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts ist ei­ne die pau­scha­le Vergütung von Über­stun­den re­geln­de Klau­sel zulässig, wenn sich aus dem Ar­beits­ver­trag selbst er­gibt, wel­che Ar­beits­leis­tun­gen in wel­chem zeit­li­chen Um­fang von ihr er­fasst wer­den sol­len (BAG v. 27.06.2012 - 5 AZR 530/11 -, Rn. 16, ju­ris mwN). Dies soll auch für Klau­seln gel­ten, bei de­nen ei­ne be­stimm­te An­zahl an Über­stun­den be­reits mit dem Brut­to­mo­nats­lohn ab­ge­gol­ten sein soll. Maßgeb­lich ist, dass der Min­dest­lohn im Ab­rech­nungs­zeit­raum auch un­ter Berück­sich­ti­gung der Über­stun­den ein­ge­hal­ten ist (vgl. ArbG Ham­burg v. 26.02.2014 - 27 Ca 388/13, Rn. 41, ju­ris, mwN). Ei­ne rein stun­den­wei­se Be­trach­tung würde auch hier da­zu führen, dass für die be­reits pau­schal ab­ge­gol­te­nen Über­stun­den der Min­dest­lohn nicht ge­zahlt wird, so­weit man das Grund­ge­halt le­dig­lich auf die re­guläre Ar­beits­zeit be­zieht. Würde die Einführung des Mi­LoG zur

 

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Un­wirk­sam­keit von Über­stun­den­ab­gel­tungs­klau­seln führen, würde auch dies deut­lich über das hin­aus­ge­hen, was der Ge­setz­ge­ber mit dem Mi­LoG re­geln bzw. gewähr­leis­ten woll­te. So­weit im Ab­rech­nungs­zeit­raum das Min­dest­aus­kom­men ge­si­chert ist, muss nach Sinn und Zweck des Mi­LoG nicht je­de Über­stun­de ein­zeln be­trach­tet mit dem Min­dest­lohn vergütet wer­den. Es genügt den An­for­de­run­gen des Mi­LoG, wenn das Ent­gelt im Ab­rech­nungs­zeit­raum im Durch­schnitt den Min­dest­lohn für je­de Ar­beits- und Über­stun­de er­reicht.

Bei ei­nem nach Mo­na­ten ver­ein­bar­ten Zeit­lohn, und kei­nem rei­nen St­un­den­lohn, wird die ver­ein­bar­te Brut­to­mo­nats­vergütung ein­sch­ließlich al­ler berück­sich­ti­gungsfähi­gen Vergütungs­be­stand­tei­le durch die in­di­vi­du­el­le re­gelmäßige mo­nat­li­che Ar­beits­zeit ge­teilt (LAG Köln v. 15.10.2015 - 8 Sa 540/15 -, ju­ris, nicht rechts­kräftig, anhängig BAG, Az: 5 AZR 716/15). Da­bei kann es kei­nen Un­ter­schied ma­chen, ob die Par­tei­en ei­nen Brut­to­mo­nats­lohn ver­ein­bart ha­ben oder ei­nen St­un­den­lohn, der mo­nat­lich und bei fes­ter St­un­den­zahl zur Aus­zah­lung kommt (a.A. wohl ErfK-Fran­zen, 15. Aufl. 2015, § 1 Mi­LoG Rn. 8). Ein sol­ches Vergütungs­mo­dell ist re­gelmäßig aus Trans­pa­renz- und Ver­gleichs­gründen ver­ein­bart und nicht, weil nach je­der Ar­beits­stun­de ei­ne Ab­rech­nung und Aus­zah­lung er­fol­gen soll. Dies kann aber letzt­lich of­fen blei­ben, da vor­lie­gend nach § 14 Abs. 1 KTD ein mo­nat­li­ches Ent­gelt ge­re­gelt ist, das für den Ka­len­der­mo­nat (Ent­gelt­zeit­raum) be­rech­net wird, und kein rei­ner St­un­den­lohn. Auch für den Be­reit­schafts­dienst enthält § 11 Abs. 3 KTD le­dig­lich ei­ne Fak­to­ri­sie­rung der Ar­beits­zeit, um den Mo­nats­ver­dienst zu be­rech­nen, mit­hin al­so kein aus­drück­lich ver­ein­bar­tes St­un­den­ent­gelt.

(3) Aus der sys­te­ma­ti­schen Aus­le­gung des Mi­LoG er­gibt sich eben­falls, dass ei­ne Durch­schnitts­be­trach­tung für den Ab­rech­nungs­zeit­raum an­zu­stel­len ist.

Ei­ne Durch­schnitts­be­trach­tung für die Er­mitt­lung des ge­zahl­ten Lohns in Höhe von € 8,50 folgt aus dem Zu­sam­men­hang mit der Fällig­keits­re­gel des § 2 Abs. 1 S. 1 Mi­LoG. Die Aus­zah­lungs­mo­da­litäten ermögli­chen ei­ne prak­ti­ka­ble und rechts­si­che­re Über­prüfung, ob der Min­dest­lohn ge­zahlt wor­den ist. Der Ar­beits­lohn ist ent­we­der zum Zeit­punkt der ver­ein­bar­ten Fällig­keit zu zah­len, § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Mi­LoG, oder spätes­tens am letz­ten Bank­ar­beits­tag (Frank­furt am Main) des Mo­nats, der auf den Mo­nat folgt, in dem die Ar­beits­leis­tung er­bracht wur­de, § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Mi­LoG. Zu die­sen Zeit­punk­ten wird der An­spruch auf Zah­lung ei­nes Ar­beits­ent­gelts min­des­tens in der Höhe des Min­dest­lohns aus § 1 Abs. 1 Mi­LoG fällig. Erst zu die­sem Zeit­punkt er­folgt in­so­fern die Ver­knüpfung des Ar­beits­ent­gelts - ggf. un­ter Berück­sich­ti­gung et­wai­ger an­re­chen­ba­rer Vergütungs­be­stand­tei­le - mit den ge­leis­te­ten Ar­beits­stun­den und dem Min­dest­lohn, die ei­ner Über­prüfung der Höhe des dann zu zah­len­den Ar­beits­ent­gelts zugäng­lich ist.

 

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Zu­sam­men­fas­send ist fest­zu­hal­ten, dass so­wohl nach Sinn und Zweck des Mi­LoG als auch nach der Sys­te­ma­tik der ver­trag­lich ge­re­gel­te Fällig­keits­zeit­raum - hilfs­wei­se der des § 2 Abs. 1 S. 1 Mi­LoG - maßgeb­lich für die Be­stim­mung ist, was un­ter „Min­dest­lohn“ iSd § 1 Abs. 1 Mi­LoG zu ver­ste­hen ist. Maßgeb­lich ist, dem­ent­spre­chend, ob für den Ab­rech­nungs­zeit­raum im Durch­schnitt min­des­tens der in § 1 Abs. 2 Mi­LoG ge­re­gel­te Lohn pro Zeit­stun­de ge­zahlt wird. Gemäß § 14 Abs. 1 S. 2 KTD wird das Ent­gelt für den Ka­len­der­mo­nat (Ent­gelt­zeit­raum) be­rech­net. Dem­ent­spre­chend ist die Be­zugs­größe zur Be­stim­mung des Min­dest­lohns vor­lie­gend auch der Ka­len­der­mo­nat. Die­ses Verständ­nis von § 1 Mi­LoG führt - ent­ge­gen der An­sicht des Klägers - auch nicht da­zu, dass ihm am En­de des Mo­nats „et­was weg­ge­nom­men“ wird, was er be­reits er­ar­bei­tet hat, da er wei­ter­hin das nach § 14 Abs. 1 KTD zu be­stim­men­de Mo­nats­ent­gelt erhält.

(4) Im Rah­men der Durch­schnitts­be­trach­tung des nach § 14 Abs. 3 KTD am letz­ten Werk­tag ei­nes Mo­nats fälli­gen Ent­gelts ist der Kläger nicht min­dest­l­ohn­ge­setz­wid­rig vergütet wor­den. Die jähr­li­che Ar­beits­zeit des Klägers be­trug 1.565 St­un­den (77,49 % ei­ner Voll­zeit­kraft, die 2.020 Jah­res­stun­den ar­bei­tet) und so­mit im Schnitt 133,44 mo­nat­li­che Ar­beits­stun­den (vgl. § 14 Abs. 4 KTD). Bei mo­nat­lich 133,44 Ar­beits­stun­den muss der Kläger bei ei­nem zur­zeit gel­ten­den Min­dest­lohn in Höhe von € 8,50 min­des­tens € 1.108,75 brut­to im Mo­nat ver­die­nen. Der Kläger ver­dien­te in dem gel­tend ge­mach­ten Zeit­raum vom Ja­nu­ar bis Ju­li 2015 mehr als € 1.108,75, nämlich mo­nat­lich zwi­schen € 1.999,63 und € 3.005,95. Auch un­ter Berück­sich­ti­gung der ge­leis­te­ten Be­reit­schafts­stun­den pro Mo­nat - die­se be­tru­gen zwi­schen fünf und zwan­zig St­un­den - hat der Kläger im je­wei­li­gen mo­nat­li­chen Durch­schnitt deut­lich mehr als € 8,50 brut­to pro St­un­de ver­dient, wo­bei der Kläger nicht gel­tend ge­macht hat, dass hier­bei Nacht- und Fei­er­tags­zu­schläge an­ge­rech­net wur­den, die nicht auf den Min­dest­lohn an­zu­rech­nen sind (vgl. BAG v. 16.04.2014 - 4 AZR 802/11 - Rn. 39, ju­ris). Mit­hin ste­hen dem Kläger für die Be­reit­schafts­diens­te kei­ne wei­te­ren Vergütungs­ansprüche zu.

II.

Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Die Ent­schei­dung über den Wert des Streit­ge­gen­stan­des be­ruht auf den Vor­schrif­ten der § 61 Abs. 1 ArbGG, §§ 3, 5 ZPO.

Die Zulässig­keit der Be­ru­fung er­gibt sich be­reits aus § 64 Abs. 2 lit. b ArbGG. Im Übri­gen war die Be­ru­fung nach § 64 Abs. 3 Nr. 1 ArbGG auf­grund grundsätz­li­cher Be­deu­tung zu­zu­las­sen, da die für die Ent­schei­dung maßgeb­li­che Fra­ge, wel­cher Be­trach­tungs­zeit­raum der Be­stim­mung des Min­dest­lohns gemäß § 1 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 Mi­LoG zu­grun­de­zu­le­gen ist, für ei­ne Viel­zahl von Ar­beits­verhält­nis­sen un­ter An­wen­dung des KTD von Be­deu­tung ist.

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