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LAG Ba­den-Würt­tem­berg, Ur­teil vom 13.08.2014, 4 Sa 12/14

   
Schlagworte: Massenentlassung, Kündigung
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Aktenzeichen: 4 Sa 12/14
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 13.08.2014
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Stuttgart, 25 Ca 3150/13
   

Aus­fer­ti­gung
Lan­des­ar­beits­ge­richt Ba­den-Würt­tem­berg
Ak­ten­zei­chen:
4 Sa 12/14
25 Ca 3150/13 ArbG Stutt­gart
(Bit­te bei al­len Schrei­ben an­ge­ben!)

Verkündet am 13.08.2014

Haupt

Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

Im Na­men des Vol­kes

Ur­teil

In der Rechts­sa­che

- Kläger/Be­ru­fungskläger-

Proz.-Bev.:

ge­gen

- Be­klag­ter/Be­ru­fungs­be­klag­ter -

Proz.-Bev.:

hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ba­den-Würt­tem­berg - 4. Kam­mer - durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt Stöbe, den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Fi­scher und den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Sto­cker auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 25.06.2014 für Recht er­kannt:

I. Auf die Be­ru­fung des Klägers wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Stutt­gart vom 17.12.2013 (25 Ca 3150/13) ab­geändert:

1. Es wird fest­ge­stellt, dass das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis nicht durch die Kündi­gung des Be­klag­ten vom 22.04.2013 auf­gelöst wur­de.

2. Der Be­klag­te hat die Kos­ten des Ver­fah­rens ers­ter In­stanz zu tra­gen.

II. Der Kläger hat die Kos­ten der Be­ru­fung zu tra­gen.

III. Die Re­vi­si­on wird für den Be­klag­ten zu­ge­las­sen.

 

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Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über die Wirk­sam­keit ei­ner or­dent­li­chen ar­beit­ge­ber­sei­ti­gen Kündi­gung.

Der am ge­bo­re­ne, le­di­ge und ge­genüber ei­nem Kind un­ter­halts­ver­pflich­te­te Kläger war seit 29.10.2007 beschäftigt als Ver­kehrs­flug­zeugführer bei der Fa. C. GmbH & Co. KG (nach­fol­gend: C.) auf der Grund­la­ge ei­nes An­stel­lungs­ver­tra­ges vom 29.10.2007 (Bl. 9-11 d. ArbG-Ak­te). Der Kläger be­zog zu­letzt ein durch­schnitt­li­ches mo­nat­li­ches Brut­to­ar­beits­ent­gelt in Höhe von 5.273,30 € .

Mit Wir­kung zum 01.09.2012 ging das Ar­beits­verhält­nis in Fol­ge ei­nes Be­triebsüber­gangs von der C. auf die O.E.G. GmbH (nach­fol­gend: O.) über. Die O. war ei­ne der ältes­ten deut­schen Re­gio­nal-flug­ge­sell­schaf­ten mit Sitz in B.. Mit Über­nah­me der C. wur­de der ad­mi­nis­tra­ti­ve Ver­wal­tungs­sitz der O. von B. nach F. ver­legt und dort die Zen­tra­le ein­ge­rich­tet.

Bei der C. war bis zum Be­triebsüber­gang für das Cock­pit­per­so­nal ei­ne Per­so­nal­ver­tre­tung ge­bil-det. Die­se Per­so­nal­ver­tre­tung wur­de ge­bil­det auf der Grund­la­ge ei­nes Ta­rif­ver­trags über die Per­so­nal­ver­tre­tung (TV-PV) im Sin­ne von § 117 Abs. 2 Be­trVG, wel­cher als Fir­men­ta­rif­ver­trag ab­ge-schlos­sen wur­de zwi­schen der C. und der Ge­werk­schaft Ver­ei­ni­gung Cock­pit. Die Ge­werk­schaft Ver­ei­ni­gung Cock­pit hat­te die­sen TV-PV je­doch be­reits zum 31.12.2007 gekündigt ge­habt. In ei­nem ge­mein­sa­men Un­ter­rich­tungs­schrei­ben über den Be­triebsüber­gang der C. zur O. vom 09.08.2012 (Bl. 39-47 d. LAG-Ak­te) führ­ten die bei­den Fir­men ge­genüber den Mit­ar­bei­tern un­ter Zif­fer IV. 5. aus:

„5. Per­so­nal­ver­tre­tun­gen
Bei C. sind durch Fir­men­ta­rif­ver­trag mit der Ver­ei­ni­gung Cock­pit ei­ne Per-so­nal­ver­tre­tung für das Cock­pit­per­so­nal und durch Fir­men­ta­rif­ver­trag mit der Ge­werk­schaft UFO ei­ne Per­so­nal­ver­tre­tung für das Ka­bi­nen­per­so­nal er­rich-tet. Bei­de Per­so­nal­ver­tre­tun­gen be­ste­hen nur, weil der je­wei­li­ge Fir­men­ta­rif-ver­trag ih­re Er­rich­tung für die im Flug­be­trieb beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer, das heißt das Cock­pit­per­so­nal und das Ka­bi­nen­per­so­nal, vor­sieht (§ 117 Abs. 2 Satz 1 Be­trVG) und C. Par­tei der Fir­men­ta­rif­verträge ist. O. ist an die von C. ge­schlos­se­ne Fir­men­ta­rif­verträge nicht ge­bun­den. Das be­deu­tet, dass bei O. kei­ne Per­so­nal­ver­tre­tung auf der Grund­la­ge die­ser Fir­men­ta­rif­verträge er­rich­tet wer­den kann. Das be­deu­tet, dass das Amt der be­ste­hen­den Per­so­nal­ver­tre­tun­gen für das Cock­pit­per­so­nal bzw. für das Ka­bi­nen­per­so­nal mit dem Über­g­angs­stich­tag en­det. Bei­de Per­so­nal­ver­tre­tun­gen hören

 

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so­mit mit dem Über­g­angs­stich­tag auf zu be­ste­hen und können ih­re Be­fug­nis­se nicht mehr ausüben. Die Mit­glie­der der Per­so­nal­ver­tre­tun­gen ha­ben ent­spre­chend § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG noch für ein Jahr ab dem Über­g­angs­stich­tag Son­derkündi­gungs­schutz.“

Ent­spre­chend die­ser Un­ter­rich­tung ent­fal­te­te die Per­so­nal­ver­tre­tung fort­an kei­ne be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­che Ak­ti­vitäten mehr.

Mit Be­schluss des Amts­ge­richts E. vom … (…) wur­de über das Vermögen der O. das In­sol­venz­ver­fah­ren eröff­net und der Be­klag­te zum In­sol­venz­ver­wal­ter be­stellt. Zu­gleich zeig­te der Be­klag­te Mas­seun­zuläng­lich­keit an. Der be­reits un­mit­tel­bar vor In­sol­ven­zeröff­nung ru­hend ge­stell­te Flug-be­trieb wur­de vom Be­klag­ten endgültig ein­ge­stellt. Der Be­klag­te be­schloss, den Be­trieb der O. still­zu­le­gen und setz­te die­ses auch um. Sämt­li­che Mit­ar­bei­ter des Bo­den­per­so­nals und des flie­gen­den Per­so­nals wur­den gekündigt.

Vor Aus­spruch der Kündi­gung zeig­te der Be­klag­te bei der Agen­tur für Ar­beit S./G. un­ter an­de­rem die be­ab­sich­tig­te (Mas­sen-) Ent­las­sung von 218 Mit­ar­bei­tern des flie­gen­den Per­so­nals an (Bl. 102-110 d. ArbG-Ak­te).

Ein Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren wur­de nicht durch­geführt.

Der Be­klag­te kündig­te das Ar­beits­verhält­nis mit dem Kläger mit Schrei­ben vom 09.04.2013 (Bl. 14-15 d. ArbG-Ak­te), dem Kläger zu­ge­gan­gen am 11.04.2013, „aus be­triebs­be­ding­ten Gründen gem. § 113 In­sO zum 30.06.2013“. Vor­sorg­lich kündig­te er mit die­sem Schrei­ben zum nächstmögli­chen Ter­min.

Mit Schrei­ben vom 23.04.2013 (Bl. 16 d. ArbG-Ak­te) wand­te sich der Be­klag­te er­neut an den Klä-ger. Dar­in heißt es:

„Sehr ge­ehr­ter Herr S.,

ich ha­be Ih­nen mit Schrei­ben vom 09.04.2013 ei­ne Kündi­gung aus­ge­spro­chen. Lei­der wur­de die da­bei die Kündi­gungs­frist falsch be­rech­net.
Bit­te be­trach­ten Sie die­ses Kündi­gungs­schrei­ben da­her als ge­gen­stands­los. Sie er­hal­ten in der An­la­ge ein neu­es Kündi­gungs­schrei­ben mit der rich­ti­gen Kündi­gungs­frist gem. § 113 In­sO.“

 

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Die­sem Schrei­ben war ein wei­te­res, nun­mehr auf den 22.04.2013 da­tier­tes Kündi­gungs­schrei­ben (Bl. 17-18 d. ArbG-Ak­te) an­gehängt, wel­ches dem Wort­laut des Schrei­bens vom 09.04.2013 ent­spricht, mit Aus­nah­me des Be­en­di­gungs­da­tums, wel­ches nun­mehr auf den 31.07.2013 an­ge­ge­ben wur­de.

Ge­gen die­se Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses er­hob der Kläger am 30.04.2013 ei­ne Kündi­gungs­schutz­kla­ge beim Ar­beits­ge­richt.

Der Kläger hielt die Kündi­gung für nicht so­zi­al ge­recht­fer­tigt. Außer­dem rügte er Mängel im Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge­ver­fah­ren. Er ver­trat die Auf­fas­sung, die zwei­te Kündi­gung vom 22.04.2013 sei nicht mehr von der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge ge­deckt. Er mein­te, der Be­klag­te hätte vor Aus­spruch die­ser er­neu­ten Kündi­gung er­neut ei­ne Mas­sen­ent­las­sung an­zei­gen müssen.

Der Kläger be­an­trag­te:

1. Es wird fest­ge­stellt, dass das Ar­beits­verhält­nis durch die Kündi­gung des Be­klag­ten mit Schrei­ben vom 22.04.2013 nicht auf­gelöst wor­den ist.

2. Hilfs­wei­se für den Fall des Ob­sie­gens in der ers­ten In­stanz bis zur Rechts­kraft:
Der Be­klag­te wird ver­ur­teilt, den Kläger bis zum rechts­kräfti­gen Ab­schluss des Kündi­gungs­schutz­ver­fah­rens zu un­veränder­ten Ar­beits­be­din­gun­gen als Flug­zeugführer wei­ter­zu­beschäfti­gen.

Der Be­klag­te be­an­trag­te,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Der Be­klag­te hielt die Kündi­gung we­gen vollständi­ger Be­triebs­still­le­gung für so­zi­al ge­recht­fer­tigt. Er mein­te, ei­ner er­neu­ten Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge hätte es nicht bedürft.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge mit Ur­teil vom 17.12.2013 ab­ge­wie­sen. Es hielt die Kündi­gung aus be­triebs­be­ding­ten Gründen we­gen Be­triebs­still­le­gung für so­zi­al ge­recht­fer­tigt. Mit Mit­ar­bei­tern, die im Rah­men der Ab­wick­lung noch Büro- oder Tech­nik­ar­beitsplätze in­ne­ge­habt hätten, sei der Kläger nicht ver­gleich­bar. Auch ei­ne er­neu­te Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge sei nicht er­for­der­lich ge­we­sen. Er­kenn­bar ha­be der Be­klag­te kei­ne neue Kündi­gungs­ab­sicht ge­habt, son­dern nur ein

 

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fal­sches Be­en­di­gungs­da­tum kor­ri­gie­ren wol­len. Ei­ne er­neu­te Durchführung des Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge­ver­fah­rens wer­de vom Norm­zweck des § 17 KSchG in ei­nem sol­chen Fall nicht ver­langt.

Die­ses Ur­teil wur­de der Kläger­sei­te am 23.01.2014 zu­ge­stellt. Ge­gen die­ses Ur­teil rich­tet sich die vor­lie­gen­de Be­ru­fung, die am 21.02.2014 beim Lan­des­ar­beits­ge­richt ein­ging und die am Mon­tag, dem 24.03.2014 be­gründet wur­de.

Der Kläger rügt ei­ne feh­ler­haf­te Rechts­an­wen­dung. Er meint, das Schrei­ben der Be­klag­ten vom 23.04.2013 könne nur so ver­stan­den wer­den, dass die ers­te Kündi­gung vom 09.04.2013 als ge-gen­stands­los ha­be an­ge­se­hen wer­den sol­len und ei­ne neue Kündi­gung ha­be aus­ge­spro­chen wer­den sol­len. Dann aber hätte es auch ei­ner er­neu­ten Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge be­durft.

Außer­dem ver­tritt der Kläger nun­mehr erst­ma­lig auch noch die Auf­fas­sung, dass die Kündi­gung we­gen ei­nes nicht durch­geführ­ten Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­rens gem. § 17 Abs. 2 KSchG un­wirk­sam sei. Der Per­so­nal­ver­tre­tung der C. hätte in zu­min­dest ent­spre­chen­der An­wen­dung von § 21 b Be­trVG ein Rest­man­dat ein­geräumt wer­den müssen. Im Rah­men die­ses Rest­man­dats hätte die­se be­tei­ligt wer­den müssen.

Der Kläger be­an­tragt,

das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Stutt­gart vom 17.12.2013, Az: 25 Ca 3150/13, ab­zuändern und fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en nicht durch die Kündi­gung des Be­klag­ten vom 22.04.2013 auf­gelöst wor­den ist.


Der Be­klag­te be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Er ver­tei­digt das ar­beits­ge­richt­li­che Ur­teil un­ter Wie­der­ho­lung und Ver­tie­fung sei­nes erst­in­stanz­li-chen Vor­brin­gens.

 

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Er meint, das Ar­beits­verhält­nis sei oh­ne­hin schon durch die ers­te Kündi­gung vom 09.04.2013, ggfs. mit um­ge­deu­te­ter Kündi­gungs­frist, be­en­det wor­den. Das Schrei­ben vom 23.04.2013 ha­be kein Fort­set­zungs­an­ge­bot be­inhal­tet. Je­den­falls ha­be der Kläger ein sol­ches nicht an­ge­nom­men.

Er meint außer­dem, ei­ne Per­so­nal­ver­tre­tung ha­be ab dem Be­triebsüber­gang auf die O. nicht mehr be­stan­den. Die Durchführung ei­nes Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­rens sei ihm des­halb gar nicht möglich ge­we­sen. Man­gels Bin­dung der O. an den oh­ne­hin be­reits mit Wir­kung zum 31.12.2007 be­en­de­ten TV-PV ha­be gar kei­ne recht­li­che Grund­la­ge für die Exis­tenz ei­ner Per­so­nal­ver­tre­tung mehr be­stan­den.

We­gen der Ein­zel­hei­ten des Sach- und Streit­stan­des wird gem. § 64 Abs. 7 ArbGG iVm. § 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO auf den In­halt der zwi­schen den Par­tei­en ge­wech­sel­ten Schriftsätze nebst An­la­gen, so­wie auf die Pro­to­kol­le der münd­li­chen Ver­hand­lun­gen ver­wie­sen.

Ent­schei­dungs­gründe

Die zulässi­ge Be­ru­fung ist be­gründet.

I.

Das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis wur­de nicht durch die al­lein noch strei­ti­ge Kündi­gung vom 22.04.2013 be­en­det. Zwar war ei­ne er­neu­te Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge nicht ge­bo­ten. Je­doch ist die tatsächlich er­stat­te­te Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge nicht ord­nungs­gemäß er­folgt. In der An­zei­ge fehl­te es an ei­ner Stel­lung­nah­me gem. § 17 Abs. 3 KSchG der über den Be­triebsüber­gang noch fort­be­ste­hen­den Per­so­nal­ver­tre­tung. Dies hat die Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung zur Fol­ge.


1. Streit­ge­genständ­lich ist nur noch die dem Kläger mit Schrei­ben vom 23.04.2013 zu­ge­lei­te­te Kündi­gung vom 22.04.2013, nicht (mehr) da­ge­gen die Kündi­gung vom 09.04.2013.

a) Ei­ne Kündi­gung wird als ein­sei­ti­ge, emp­fangs­bedürf­ti­ge Wil­lens­erklärung mit ih­rem Zu­gang beim Gekündig­ten wirk­sam. Sie kann da­her vom Kündi­gen­den nicht mehr ein­sei­tig zurück­ge­nom­men wer­den. Erklärt der Ar­beit­ge­ber ei­ne „Kündi­gungsrück­nah­me“, so liegt dar­in viel­mehr das An­ge­bot des Ar­beit­ge­bers auf Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses

 

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zu den bis­he­ri­gen Be­din­gun­gen (BAG 19. Au­gust 1982 - 2 AZR 230/80 - BA­GE 40, 56). Die Rechts­fol­gen der Rück­nah­me der Kündi­gung hängen da­von ab, wie sich der Ar­beit­neh­mer auf das An­ge­bot verhält. Er kann das An­ge­bot nach §§ 145 ff, BGB an­neh­men oder ab­leh­nen. Bei­des kann aus­drück­lich oder auf an­de­re Wei­se schlüssig er­fol­gen (Ha­ko/Gall­ner 4. Aufl. § 4 KSchG Rn. 80, 82).

b) Vor­lie­gend hat der Be­klag­te dem Kläger mit Schrei­ben vom 23.04.2013 mit­ge­teilt, die­ser sol­le das Kündi­gungs­schrei­ben vom 09.04.2013 als „ge­gen­stands­los“ be­trach­ten. Der Kläger er­hal­te an­lie­gend ein „neu­es Kündi­gungs­schrei­ben“. Der Be­klag­te bot dem Kläger hier­mit die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses an frei von der Kündi­gungs­last aus der Kündi­gung vom 09.04.2013, wenn­gleich un­ter er­neu­tem Aus­spruch ei­ner wei­te­ren Kündi­gung. Dass der Be­klag­te den Kläger von der Kündi­gungs­last aus der Kündi­gung vom 09.04.2013 be­frei­en woll­te und sich nur noch auf ei­ne Kündi­gung, nämlich die vom 22.04.2013 be­ru­fen woll­te, er­kann­te der Kläger. Er führ­te dies be­reits mit ursprüng­li­cher Kla­ge­schrift vom 29.04.2013 selbst in das Ver­fah­ren ein. Der Kläger ak­zep­tier­te die Ver­fah­rens­wei­se des Be­klag­ten und stell­te kon­se­quen­ter­wei­se auch nur ei­nen punk­tu­el­len Kündi­gungs­schutz­an­trag ne­ben ei­nem all­ge­mei­nen Fest­stel­lungs­an­trag, wenn­gleich ur-sprüng­lich die an­ge­grif­fe­ne Kündi­gung im punk­tu­el­len An­trag noch als ei­ne sol­che vom 09.04.2013 be­zeich­net wur­de, was dann im Kam­mer­ter­min am 17.12.2013 kor­ri­giert wur­de auf den 22.04.2013. Der Kläger nahm so­mit zu­min­dest kon­klu­dent das An­ge­bot des Be­klag­ten an, ihn frei von der Kündi­gungs­last der Kündi­gung vom 09.04.2013 je­den­falls über den 30.06.2013 hin­aus bis zum 31.07.2013 wei­ter­zu­beschäfti­gen. Erst die­ses neue Be­en­di­gungs­da­tum steht wie­der im Streit. Dies aber auf­grund der neu­en Kündi­gung vom 22.04.2013.

2. Die Kündi­gung vom 22.04.2013 ist aus drin­gen­den be­trieb­li­chen Gründen so­zi­al ge­recht­fer­tigt im Sin­ne von § 1 Abs. 2 KSchG. Auch die So­zi­al­aus­wahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG er­folg­te frei von Rechts­feh­lern. In­so­weit wird auf die Gründe des ar­beits­ge­richt­li­chen Ur­teils un­ter I. 1. a) bis c) Be­zug ge­nom­men. Die Kam­mer macht sich die­se Ausführun­gen aus­drück­lich zu ei-gen, § 69 Abs. 2 ArbGG. Die­se Ausführun­gen wur­den vom Kläger in der Be­ru­fung auch nicht mehr an­ge­grif­fen.

 

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3. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Klägers muss­te der Be­klag­te vor Aus­spruch der Kündi­gung vom 22.04.2013 nicht er­neut ei­ne Mas­sen­ent­las­sung an­zei­gen gemäß § 17 Abs. 1 KSchG.

a) Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG ist, be­vor ei­ne Mas­sen­ent­las­sung durch­geführt wird, al­so ei­ne ge­wis­se Min­dest­an­zahl an Ar­beit­neh­mern in­ner­halb von 30 Ka­len­der­ta­gen ent-las­sen wird, der Agen­tur für Ar­beit hierüber An­zei­ge zu er­stat­ten. Un­ter Ent­las­sung ist in uni­ons­recht­li­cher Aus­le­gung (EuGH 27. Ja­nu­ar 2005 - C-188/03 - Slg. 2005, I. - 885, Junk) die Erklärung der Kündi­gung zu ver­ste­hen (BAG 22. April 2010 - 6 AZR 948/08 - BA­GE 134, 176). Sinn und Zweck die­ser Re­ge­lung ist, in Übe­rein­stim­mung mit der RL 98/59/EG, Mas­sen­ent­las­sun­gen zu ver­mei­den oder je­den­falls ih­re Zahl zu be­schränken, be­zie­hungs­wei­se ih­re Fol­gen zu mil­dern. Nach Art. 4 Abs. 2 RL 98/59/EG soll die zuständi­ge Behörde, al­so die Agen­tur für Ar­beit, in die La­ge ver­setzt wer­den, nach Lösun­gen für die durch die be­ab­sich­tig­ten Mas­sen­ent­las­sun­gen auf­ge­wor­fe­nen Pro­ble­me zu su­chen (BAG 22. April 2010 aaO). Die durch ei­ne ord­nungs­gemäße Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge gemäß § 17 KSchG eröff­ne­te Kündi­gungsmöglich­keit wird je­doch mit der Erklärung die­ser Kündi­gung ver­braucht. Will der Ar­beit­ge­ber das Ar­beits­verhält­nis im zeit­li­chen Zu­sam­men­hang von 30 Ta­gen mit ei­ner wei­te­ren Mas­sen­ent­las­sung be­en­den, so be­darf es ei­ner er­neu­ten An­zei­ge, an­de­ren­falls nämlich der von §§ 17ff. KSchG ver­folg­te Zweck leer­lie­fe, Mas­sen­ent­las­sun­gen zu ver­mei­den oder de­ren Fol­gen zu mil­dern (BAG 22. April 2010 aaO).

Dies be­deu­tet je­doch nicht, dass stets bei ei­ner er­neu­ten Kündi­gung, die in­ner­halb von 30 Ka­len­der­ta­gen aus­ge­spro­chen wird, ei­ne er­neu­te Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge zu er­stat­ten wäre. Denn wie aus der zi­tier­ten Ent­schei­dung des BAG (BAG 22. April 2010 aaO) er­sicht­lich ist, der ein Fall zu­grun­de lag, in dem der dor­ti­ge Kläger zwei Mas­sen­ent­las­sungs­wel­len un­ter­fiel und des­halb zwei­mal gekündigt wur­de, ist ab­zu­stel­len auf ei­nen Mas­sen­ent­las­sungs­kon­text. Nur wenn die wei­te­re Kündi­gung im Zu­sam­men­hang mit ei­ner wei­te­ren Mas­sen­ent­las­sung erklärt wird, be­darf es auch ei­ner er­neu­ten Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge. Denn ver­bleibt es bei der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ein- und des­sel­ben Ar­beit­neh­mers, des­sen Ent­las­sung be­reits an­ge­zeigt wur­de, in­ner­halb des­sel­ben Mas­sen­ent­las­sungs­kon­tex­tes, so ist über die­se Ent­las­sung die Agen­tur für Ar­beit be­reits aus­rei­chend in Kennt­nis ge­setzt, um ins­be­son­de­re Ver­mitt­lungs­bemühung

 

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in Be­zug auf die­sen Ar­beit­neh­mer ent­fal­ten zu können. Der mit der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge ver­folg­te Zweck ist dann be­reits erfüllt.

b) Dar­aus folgt für den vor­lie­gen­den Fall, dass der Kläger qua­si als Ent­las­sung Nr. der Agen­tur für Ar­beit mit­ge­teilt wur­de. Die Ent­las­sung stand in ei­nem Mas­sen­ent­las­sungs-kon­text, nämlich der Ent­las­sung al­ler 218 Mit­ar­bei­ter des flie­gen­den Per­so­nals. Die noch­ma­li­ge Kündi­gung des Klägers (= Ent­las­sung) be­gründe­te kei­nen neu­en Mas­sen­ent-las­sungs­kon­text. Es blieb da­bei, dass der Kläger als Mit­ar­bei­ter Nr. zur Ent­las­sung an-stand ent­spre­chend der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge be­tref­fend den Mas­sen­ent­las­sungs-kon­text „Kündi­gung al­ler Mit­ar­bei­ter des flie­gen­den Per­so­nals“.

c) Dar­an ändert sich auch nichts da­durch, dass für den Kläger in der Mas­sen­ent­las­sungs-an­zei­ge als Be­en­di­gungs­da­tum (Ent­las­sungs­zeit­raum) der 30.06.2013 an­ge­ge­ben wur­de, die­ses Da­tum sich dann aber auf­grund der neu­en Kündi­gung auf den 31.07.2013 ver­schob.

Zwar gehört gem. § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG der Zeit­raum, in dem die Ent­las­sun­gen durch­geführt wer­den sol­len, zu den Muss­an­ga­ben der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge. Rich­tig ist auch, dass in­halt­li­che Feh­ler in die­sen Punk­ten in der Re­gel zur Rechts­un­wirk­sam­keit der Kündi­gung führen. Dies gilt je­doch dann nicht, wenn be­zo­gen auf den Zweck der An­zei­ge der Feh­ler oh­ne Aus­wir­kun­gen auf die Ent­schei­dung der Agen­tur für Ar­beit bleibt (LAG Ba­den-Würt­tem­berg 16. Sep­tem­ber 2010 - 9 Sa 33/10 - LA­GE KSchG § 17 Nr. 7). Ist aber der Haupt­zweck die Ermögli­chung ei­ner vor­aus­schau­en­den Ar­beits­ver­mitt­lung und an­de­rer Maßnah­men zur Ab­wen­dung der Fol­gen der Mas­sen­ent­las­sung (BAG 22. April 2010 aaO; LAG Ba­den-Würt­tem­berg 16. Sep­tem­ber 2010 aaO), so bleibt es oh­ne Aus­wir­kun­gen, wenn für die Ar­beits­ver­mitt­lung be­zo­gen auf ei­nen Ar­beit­neh­mer ein - in­so­fern für den Ar­beit­neh­mer und die Agen­tur für Ar­beit güns­ti­ge­rer - länge­rer Ent-lass­zeit­raum ein­geräumt wird.

4. Der Be­klag­te hätte aber die Per­so­nal­ver­tre­tung für das Cock­pit­per­so­nal gem. § 17 Abs. 2 KSchG von der be­ab­sich­tig­ten Mas­sen­ent­las­sung un­ter­rich­ten müssen. Da nach § 17 Abs. 3 KSchG die Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge nur wirk­sam ist, wenn ihr ei­ne Stel­lung­nah­me des Be­triebs­rats, bzw. hier der Per­so­nal­ver­tre­tung, bei­gefügt wird, liegt oh­ne ei­ne sol­che Un­ter­rich-

 

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tung auch kei­ne ord­nungs­gemäße An­zei­ge vor, was zur Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung führt (Ha­ko/Pfeif­fer 4. Aufl. § 17 KSchG Rn. 54).

Der Be­klag­te kann sich vor­lie­gend nicht dar­auf be­ru­fen, es hätte bei der O. ab Be­triebsüber-gang kei­ne Per­so­nal­ver­tre­tung mehr be­stan­den man­gels ta­rif­li­cher Grund­la­ge für die Bil­dung ei­ner sol­chen Per­so­nal­ver­tre­tung. Es gab nämlich noch ei­ne Grund­la­ge für den Fort­be­stand der Per­so­nal­ver­tre­tung auch über den Be­triebsüber­gang hin­aus.

a) Zwi­schen der C. und der Ge­werk­schaft Ver­ei­ni­gung Cock­pit be­stand ein auf der Grund-la­ge von § 117 Abs. 2 Be­trVG ge­schlos­se­ner TV-PV. Die­ser Ta­rif­ver­trag wur­de zwar von der Ver­ei­ni­gung Cock­pit mit Wir­kung zum 31.12.2007 gekündigt. Die­ser Ta­rif­ver­trag wirk-te je­doch gem. § 4 Abs. 5 TVG über den 31.12.2007 hin­aus nach und war auch Grund­la-ge für die erst kurz vor dem Be­triebsüber­gang bei der C. statt­ge­fun­de­nen Neu­wahl der Per­so­nal­ver­tre­tung.

Die ge­setz­li­che An­ord­nung der Nach­wir­kung be­trifft al­le Rechts­nor­men, al­so sol­che über In­halt, Ab­schluss und Be­en­di­gung von Ar­beits­verhält­nis­sen, als auch sol­che über be-trieb­li­che und be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­che Fra­gen und über ge­mein­sa­me Ein­rich­tun­gen der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en. Dies er­gibt sich nicht nur aus dem Wort­laut der all­ge­mei­nen For­mu­lie­rung des § 4 Abs. 5 TVG selbst, son­dern auch aus ei­nem Ver­gleich von § 4 Abs. 5 TVG mit § 4 Abs. 1 und 2 TVG. In den Absätzen 1 und 2 sind die ver­schie­de­nen Ar­ten ta­rif­ver­trag­li­cher Nor­men ein­zeln be­han­delt. Hätte § 4 Abs. 5 TVG die Nach­wir­kung nur auf ei­nen Teil der Rechts­nor­men be­schränken wol­len, hätte dies durch aus­drück­li­che Kenn­zeich­nung er­fol­gen müssen. Dar­aus folgt, dass ins­be­son­de­re auch be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­che Nor­men wie der TV-PV der Nach­wir­kung fähig sind (Däubler/Be­p­ler TVG 3. Aufl. § 4 Rn. 863; GK-Be­trVG/Fran­zen 10. Aufl. § 117 Rn. 14; ErfK/Fran­zen 14. Aufl. § 4 TVG Rn. 55; im Er­geb­nis auch: Löwisch/Rieb­le TVG 3. Aufl. § 4 Rn. 670).

So­weit zum Teil ei­ne Be­fris­tung der Nach­wir­kung befürwor­tet wird, um der Ge­fahr ei­ner ewi­gen Nach­wir­kung be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­cher Nor­men vor­zu­beu­gen (Löwisch/Rieb­le § 4 Rn. 672-675), wer­den die­se Be­den­ken je­den­falls bei Ta­rif­verträgen gem. § 117 Abs. 2 Be­trVG nicht ge­teilt. Denn zu be­ach­ten ist, dass gem. § 117 Abs. 1 Be­trVG die Re­ge­lun­gen des Be­trVG auf das flie­gen­de Per­so­nal nicht an­zu­wen­den sind,

 

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der Ge­setz­ge­ber aber durch­aus ei­ne Be­triebs­ver­fas­sung für die­sen Per­so­nen­kreis wünscht, le­dig­lich die Aus­ge­stal­tung den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en über­las­sen will. Die Her­aus­nah­me des flie­gen­den Per­so­nals aus der ge­setz­li­chen Be­triebs­ver­fas­sung hat­te al­lein sei­nen Grund und sei­ne (auch ver­fas­sungs­recht­li­che) Recht­fer­ti­gung in den Be­son­der­hei­ten der ar­beits­tech­ni­schen Zweck­set­zung des Flug­be­triebs, dem es ty­pi­scher­wei­se an der Orts­ge­bun­den­heit fehlt (BAG 20. Fe­bru­ar 2001 - 1 ABR 27/00 - BA­GE 97, 52; BAG 24. Ju­ni 2008 - 9 AZR 313/07 - AP Be­trVG 1972 § 117 Nr. 8). Ei­ne Recht­fer­ti­gung, oh­ne Ablösung durch ei­nen neu­en Ta­rif­ver­trag ei­ne be­ste­hen­de Be­triebs­ver­fas­sung für das flie­gen­de Per­so­nal zur Auflösung zu brin­gen, ist nicht er­sicht­lich (so im Er­geb­nis auch GK-Be­trVG/Fran­zen 10. Aufl. § 117 Rn. 15).

b) Die­ser nach­wir­ken­de Ta­rif­ver­trag galt aber nach dem Be­triebsüber­gang von der C. auf die O. bei der O. nicht schon des­halb fort, weil die O. in die Stel­lung als Ta­rif­ver­trags­par­tei nach § 3 Abs. 1 TVG ein­gerückt wäre. Bei ei­nem Be­triebsüber­gang gel­ten nämlich die Re­ge­lun­gen ei­nes Ta­rif­ver­trags nicht un­mit­tel­bar und zwin­gend auf kol­lek­tiv­recht­li­cher Ba­sis beim Er­wer­ber wei­ter.

aa) Ein sol­ches Einrücken in die Stel­lung ei­ner Ta­rif­ver­trags­par­tei wur­de noch vor dem am 21.08.1980 in Kraft ge­tre­te­nen Ar­beits­recht­li­chen EG-An­pas­sungs­ge­setz (BGBl. I., S. 1308) über­wie­gend ver­tre­ten, fin­det aber seit der No­vel­lie­rung und der da­mit ver­bun­de­nen Einfügung der Sätze 2-4 in § 613 a Abs. 1 BGB kei­ne Grund­la­ge mehr. Viel­mehr wur­de durch die Einfügung der Sätze 2-4 in § 613 a Abs. 1 BGB ei­ne Auf­fang­re­ge­lung ge­schaf­fen für den Fall, dass der Be­triebsüber­neh­mer an die bis­her gel­ten­den Ta­rif­verträge ta­rif­recht­lich nicht ge­bun­den ist. Da­mit liegt kei­ne plan­wid­ri­ge und des­halb der Ausfüllung durch die Recht­spre­chung zugäng­li­che Re­ge­lungslücke mehr vor. Nach § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB tritt der Be­triebs­er­wer­ber le­dig­lich in die Rech­te und Pflich­ten aus den be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis­sen ein; nur in­so­weit wird er Rechts­nach­fol­ger des Veräußerers. Die­ser Über­gang der Ar­beit­ge­ber­stel­lung in Be­zug auf die Ar­beits­verhält­nis­se kann die Ta­rif­ge­bun­den­heit an ei­nen Fir­men­ta-rif­ver­trag des Veräußerers nicht be­gründen. Denn die Ta­rif­ge­bun­den­heit des Ar­beit­ge­bers (§ 3 Abs. 1 TVG) an den Fir­men­ta­rif­ver­trag ba­siert auf sei­ner Stel­lung als Ta­rif­ver­trags­par­tei, nicht aber auf der als Par­tei des Ar­beits­ver­tra­ges. Gem. § 2 Abs. 1 TVG kann der ein­zel­ne Ar­beit­ge­ber Ta­rif­ver­trags­par­tei sein. Ta­rif­ver­trags­par­tei wird

 

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er aber erst durch den Ab­schluss ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges. Es gibt kei­ne Grund­la­ge dafür, dass von dem Über­gang der Ar­beit­ge­ber­stel­lung hin­sicht­lich der Ar­beits­verhält­nis­se gem. § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB auch die Stel­lung als Ta­rif­ver­trags­par­tei ei­nes Fir­men­ta­rif­ver­tra­ges er­fasst wird. Viel­mehr gilt die Auf­fang­re­ge­lung in § 613 a Abs. 1 Satz 2 bis Satz 4 für die Ta­rif­verträge oh­ne Un­ter­schei­dung zwi­schen Ver­bands- und Fir­men­ta­rif­verträgen (BAG 18. Ja­nu­ar 2012 - 7 ABR 72/10 - AP Be­trVG 1972 § 1 Ge­mein­sa­mer Be­trieb Nr. 33; BAG 22. April 2009 - 4 AZR 100/08 - BA­GE 130, 237; BAG 20. Ju­ni 2001 - 4 AZR 295/00 - AP TVG § 1 Be­zug­nah­me auf Ta­rif­verträge Nr. 18).

bb) Die­ser Auf­fas­sung wird mit be­acht­li­chen Ar­gu­men­ten ent­geg­net, bei § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB han­de­le es sich nur um ei­ne Auf­fang­re­ge­lung, die je­doch erst zum Tra-gen kom­me, wenn ei­ne kol­lek­ti­ve Wei­ter­gel­tung des Ta­rif­ver­tra­ges nach § 3 Abs. 1 TVG schei­te­re. Ver­blei­be es bei der be­trieb­li­chen Iden­tität auf Ar­beit­ge­ber­sei­te, ge-höre je­den­falls ein Fir­men­ta­rif­ver­trag ge­nau­so zum Nor­men­pro­gramm, wie die an­de-ren kol­lek­ti­ven Re­ge­lungs­in­stru­men­te in Ge­stalt von Be­triebs- und Ge­samt­be­triebs­ver­ein­ba­run­gen und gel­ten da­her kol­lek­tiv­recht­lich wei­ter (Däubler/Lo­renz TVG 3. Aufl. § 3 Rn. 176, 196; DKKW/Trümmer 14. Aufl. § 3 Be­trVG Rn. 224; Trit­tin in Bach­ner/Köstler/Ma­thießen/Trit­tin Ar­beits­recht bei Un­ter­neh­mensum­wand­lung und Be­triebsüber­gang 4. Aufl. § 5 Rn. 79 ff).

cc) Der Ge­gen­auf­fas­sung kann je­doch den­noch nicht ge­folgt wer­den. Denn schon die dem § 613 a BGB zu­grun­de lie­gen­de RL 2001/23/EG ist zwin­gend in Ein­klang mit Art. 16 GR-Char­ta und der dar­in ge­re­gel­ten un­ter­neh­me­ri­schen Frei­heit aus­zu­le­gen. Da­bei ist ins­be­son­de­re das Grund­recht auf ne­ga­ti­ve Ko­ali­ti­ons­frei­heit des Ar­beit­ge­bers zu be­ach­ten (EuGH 18. Ju­li 2013 - C - 426/11 AP RL 2001/23/EG Nr. 10, Alemo-Her­ron; EuGH 9. März 2006 - C - 499/04 - AP RL 77/187/EWG Nr. 2, Wer-hof). Ei­ne un­mit­tel­bar und zwin­gen­de Bin­dung an Re­ge­lun­gen ei­nes Fir­men­ta­rif­ver­trags, in des­sen Stel­lung als Ta­rif­ver­trags­par­tei gem. § 3 Abs. 1 TVG der Be­triebs­er­wer­ber einrücken würde, er­scheint in­so­weit zwar noch nicht pro­ble­ma­tisch. Wohl aber, wenn man über § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB den Er­wer­ber un­mit­tel­bar und zwin­gend an Re­ge­lun­gen ei­nes Ver­bands­ta­rif­ver­tra­ges bin­den woll­te, auf de­ren Abände­rung der Er­wer­ber man­gels Ver­bands­mit­glied­schaft kei­nen Ein­fluss hat. § 613 a

 

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Abs. 1 Satz 1 BGB aber un­ter­schied­lich aus­zu­le­gen, je nach­dem, ob es sich bei der Ta­rif­norm, die fort­gel­ten soll, um ei­ne sol­che aus ei­nem Fir­men­ta­rif­ver­trag oder um ei­ne sol­che aus ei­nem Ver­bands­ta­rif­ver­trag han­delt, er­scheint un­prak­ti­ka­bel und kann kaum ge­wollt sein.

c) Je­doch sind die Re­ge­lun­gen des TV-PV über § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB für die O. und so­mit letzt­lich auch für den Be­klag­ten ver­bind­lich ge­wor­den. Es be­stand so­mit auch nach dem Be­triebsüber­gang noch ei­ne recht­li­che Grund­la­ge für den Fort­be­stand der Per­so­nal­ver­tre­tung. Dies er­gibt sich aus ei­ner un­ter Berück­sich­ti­gung von Art. 6 Abs. 1 RL 2001/23/EG rich­li­ni­en­kon­for­men Aus­le­gung des § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB.

aa) Dem Be­klag­ten ist ein­zuräum­en, dass un­ter Zu­grun­de­le­gung der herr­schen­den Mei­nung zu § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB ei­ne Fort­gel­tung der be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Nor­men nicht an­ge­nom­men wer­den könn­te. Die­se herr­schen­de Mei­nung stellt sich nämlich wie folgt dar:

Von § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB wer­den auch Ta­rif­verträge er­fasst, die beim Veräußerer nur noch nach § 4 Abs. 5 TVG nach­wir­ken (BAG 27. No­vem­ber 1991 - 4 AZR 211/91 - BA­GE 69, 119; Däubler/Lo­renz TVG 3. Aufl. § 3 Rn. 197).

§ 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB be­wirkt zwar nur ei­ne ver­trags­recht­li­che Trans­for­ma­ti­on. Der Er­wer­ber ist an die trans­for­mier­ten Re­ge­lun­gen ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges aber in ei­ner Wei­se ge­bun­den, wie sie der Nach­bin­dung des aus ei­nem ta­rif­sch­ließen­den Ar­beit­ge­ber­ver­band aus­ge­tre­te­nen Ar­beit­ge­bers gem. § 3 Abs. 3 TVG ent­spricht. Die bis­lang nor­ma­tiv gel­ten­den Re­ge­lun­gen wer­den zwar In­halt des Ar­beits­verhält­nis­ses. Den­noch wird der Er­wer­ber bis zum Ab­lauf ei­nes Jah­res im Hin­blick auf die über­ge­gan­ge­nen Ar­beits­verhält­nis­se so ge­stellt, als sei er wie der Veräußerer an den nor­ma­ti­ven Teil des Ta­rif­ver­tra­ges ge­bun­den (BAG 22. April 2009 aaO). Es han­delt sich um kei­ne Trans­for­ma­ti­on kol­lek­ti­ven Rechts, son­dern um ei­ne Rechts­nach­fol­ge des Er­wer­bers in die kol­lek­tiv­recht­li­chen Bin­dun­gen des Veräußerers in Form ei­nes Suk­zes­si­ons­mo­dells (ErfK/Preis 14. Aufl. § 613 a BGB Rn. 112).

 

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Die­ses Einrücken in die kol­lek­tiv­recht­li­chen Bin­dun­gen kann aber le­dig­lich in In­halts­nor­men, Ab­schluss- und Be­en­di­gungs­nor­men er­fol­gen, nicht aber in be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Nor­men. Dies wird ab­ge­lei­tet aus Art. 3 Abs. 3 der RL 2001/23/EG. Da­nach hat der Er­wer­ber nämlich le­dig­lich die in ei­nem Kol­lek­tiv­ver­trag ver­ein­bar­ten Ar­beits­be­din­gun­gen in dem glei­chen Maße auf­recht zu er­hal­ten, wie sie im Kol­lek­tiv­ver­trag für den Veräußerer vor­ge­se­hen wa­ren. Auch § 613a Abs. 1 BGB spricht nur von ei­nem Ein­tre­ten in die Rech­te und Pflich­ten aus ei­nem Ar­beits­verhält­nis. Aus den Be­grif­fen „Ar­beits­be­din­gun­gen“ und „Ar­beits­verhält­nis“ wird ent­nom­men, dass § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB nur ei­nen In­di­vi­du­al­rechts­schutz be­wir­ke. Be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­che Fra­gen könn­ten nicht in ein Ein­zel­ar­beits­verhält­nis trans­for­miert wer­den (Löwisch/Rieb­le TVG 3. Aufl. § 3 Rn. 376; Ho­hen­statt in Wil­lem­sen/Ho­hen­statt/Sch­wei­bert/Seibt Um­struk­tu­rie­rung und Über­tra­gung von Un­ter­neh­men 3. Aufl. Kap. E Rn. 124; KR/Pfeif­fer 9. Aufl. § 613 a BGB Rn. 160; Stau­din­ger/An­nuß BGB (2011) § 613 a Rn. 210). Le­dig­lich in Ein­z­elfällen, wenn über be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­che Nor­men ein­zel­nen Ar­beit­neh­mern Rech­te ein­geräumt wer­den (zB Be­schwer­de­rech­te, Ein­sicht in die Per­so­nal­ak­te), die Nor­men sich so­mit un­mit­tel­bar auf das Ar­beits­verhält­nis aus­wir­ken, wird teil­wei­se auch ei­ne Trans­for­ma­ti­on be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­cher Ein­zel­nor­men befürwor­tet (ErfK/Preiss 14. Aufl. § 613 a BGB Rn. 118; KR/Pfeif­fer 9. Aufl. § 613 a BGB Rn. 160; Koch in Schaub Ar­beits­rechts­hand­buch 15. Aufl. § 119 Rn. 6).

bb) Die Rechts­fol­ge der herr­schen­den Mei­nung, nämlich der völli­ge Weg­fall ei­ner recht­li­chen Grund­la­ge ei­ner ta­rif­li­chen Be­triebs­ver­fas­sung für das flie­gen­de Per­so­nal bei Nicht­exis­tenz ei­ner er­satz­wei­sen ge­setz­li­chen Be­triebs­ver­fas­sung steht aber im Wi­der­spruch zur Re­ge­lung in Art. 6 Abs. 1 1. Un­ter­ab­satz RL 2001/23/EG. Da­nach soll nämlich bei Be­triebsübergängen, bei de­nen die be­trieb­li­che Iden­tität er­hal­ten bleibt, auch die Rechts­stel­lung und die Funk­ti­on der Ver­tre­tung der vom Über­gang be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer un­ter den glei­chen Be­din­gun­gen er­hal­ten blei­ben, wie sie vor dem Zeit­punkt des Über­gangs auf Grund von Rechts- und Ver­wal­tungs­vor­schrif­ten, aber auch auf­grund ei­ner Ver­ein­ba­rung (!), be­stan­den ha­ben, so­fern die Be­din­gun­gen für die Bil­dung der Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tung erfüllt sind. Das heißt, auch die auf­grund von Ver­ein­ba­rung, wie hier durch Ta­rif­ver­trag, be­gründe­ten Ver­tre­tungs­or­ga­ne sol­len nach ei­nem Be­triebsüber­gang fort­be­ste­hen. Der eu­ropäische Ge­setz­ge­ber will

 

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ge­ra­de aus­drück­lich und un­miss­verständ­lich den Fort­be­stand der auf­grund Ver­ein-ba­rung be­gründe­ten Per­so­nal­ver­tre­tun­gen (Däubler DB 2006, 666; DKKW/Trümmer 14. Aufl. § 3 TVG Rn. 226).

cc) Die­ser durch die herr­schen­de Mei­nung be­ding­te Weg­fall der ta­rif­lich ver­ein­bar­ten Be­triebs­ver­fas­sung beim Be­triebs­er­wer­ber kann je­doch nicht durch ei­ne ana­lo­ge An­wen­dung von § 3 Abs. 3 TVG auf­gelöst wer­den, wie dies ins­be­son­de­re von Däubler und Trümmer vor­ge­schla­gen wird (Däubler DB 2006, 666; DKKW/Trümmer 14. Aufl. § 3 TVG Rn. 226).

Zum Ei­nen wur­de ei­ne sol­che Ana­lo­gie vom BAG be­reits aus­drück­lich ab­ge­lehnt (BAG 18. Ja­nu­ar 2012 aaO), wenn auch we­nig kon­se­quent, da schließlich der Rechts­ge­dan­ke des § 3 Abs. 3 TVG vom BAG ge­ra­de dafür her­an­ge­zo­gen wur­de, um die fort­dau­ern­de kol­lek­tiv­recht­li­che Wir­kung der über § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB trans­for­mier­ten Ta­rif­nor­men zu be­gründen (BAG 22. April 2009). Ent­schei­dend er­scheint aber, dass über ei­ne Ana­lo­gie zu § 3 Abs. 3 TVG über­schießend ein Ein­griff in die ne­ga­ti­ve Ko­ali­ti­ons­frei­heit des Über­neh­mers statt­fin­den würde, der ge­ra­de ver­mie­den wer­den soll (EuGH 18. Ju­li 2013 aaO; EuGH 9. März 2006 aaO).

dd) Ge­bo­ten er­scheint aber zur Auflösung des Wi­der­spruchs ei­ne eu­ro­pa­rechts­kon­for­me Aus­le­gung des § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB da­hin­ge­hend, dass un­ter den Be­griff der Rech­te und Pflich­ten aus dem Ar­beits­verhält­nis, die durch Ta­rif­ver­trag ge­re­gelt sind, auch ei­ne ta­rif­lich ver­ein­bar­te Ein­bet­tung des Ar­beits­verhält­nis­ses in ei­ne funk­tio­nie­ren­de Per­so­nal­ver­tre­tung gehört.

Dies lässt sich auch gut aus der Sys­te­ma­tik der RL 2001/23/EG ab­lei­ten. Die Richt­li-nie geht schon in ih­ren Be­gründungs­erwägun­gen von der Selbst­verständ­lich­keit des Fort­be­stands der Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tun­gen aus. In den Be­gründungs­erwägun­gen Nr. 5 und 6 sind die Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tun­gen aus­drück­lich be­nannt.

Art. 6 RL 2001/23/EG steht eben­so wie Art. 3 die­ser Richt­li­nie in Ka­pi­tel II der Richt-li­nie, wel­ches über­schrie­ben ist mit „Wah­rung der Ansprüche und Rech­te der Ar­beit­neh­mer“. Das heißt, der Fort­be­stand der Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tung wird vom eu­ropäi-

 

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schen Ge­setz­ge­ber als ei­ne Wah­rung der Ansprüche und Rech­te der Ar­beit­neh­mer ge­se­hen, so­mit durch­aus auch in­di­vi­du­al­recht­lich. Art. 3 und 6 RL 2001/23/EG sind so­mit zu­sam­men zu le­sen. Art. 6 Abs. 1 RL 2001/23/EG stellt so­mit le­dig­lich ei­nen Spe­zi­al­fall des in Art. 3 Abs. 3 der Richt­li­nie ge­re­gel­ten Über­gangs der in ei­nem Kol­lek­tiv­ver­trag ge­re­gel­ten Ar­beits­be­din­gun­gen dar.

Ei­ne sol­che Sicht­wei­se wäre auch kom­pa­ti­bel mit der ge­gen­tei­li­gen Ent­schei­dung des BAG (BAG 18. Ja­nu­ar 2012 aaO) be­tref­fend die Ab­leh­nung der Trans­for­ma­ti­on der Nor­men ei­nes Zu­ord­nungs­ta­rif­ver­tra­ges gem. § 3 Be­trVG. Denn bei Zu­ord­nungs­ta­rif­verträgen gem. § 3 Be­trVG sind im Fal­le ei­nes Be­triebsüber­gangs die Re­ge­lun­gen über das Über­g­angs­man­dat gem. § 21 a Be­trVG ent­spre­chend an­zu­wen­den. An­sch­ließend er­folgt ein „Rück­fall“ auf die ori­ginäre ge­setz­li­che Be­triebs­ver­fas­sung mit der mögli­chen Neu­wahl ei­nes Be­triebs­rats. Die Rück­kehr zur ge­setz­li­chen Be­triebs­ver­fas­sung ist je­doch je­dem Ar­beit­neh­mer zu­mut­bar (Löwisch/Rieb­le TVG 3. Aufl. § 3 Rn. 377). Die Ab­leh­nung der Trans­for­ma­ti­on der Nor­men ei­nes Zu­ord­nungs­ta­rif­ver­tra­ges lässt sich dann auch über Art. 6 Abs. 1 2. Un­ter­ab­satz RL72001/23/EG be­gründen. Denn es exis­tie­ren an­der­wei­ti­ge na­tio­na­le ge­setz­li­che Re­ge­lun­gen zur Neu­be­stel­lung ei­nes Be­triebs­ra­tes.

An­ders stellt sich die Si­tua­ti­on aber im Fal­le wie dem vor­lie­gen­den dar, in de­nen we-gen der Re­ge­lung des § 117 Abs. 1 Be­trVG ein Rück­fall auf ei­ne ge­setz­li­che Be­triebs­ver­fas­sung aus­ge­schlos­sen ist.

d) Da so­mit noch ei­ne Grund­la­ge für den Fort­be­stand der Per­so­nal­ver­tre­tung be­stand, war die Per­so­nal­ver­tre­tung auch nach dem Be­triebsüber­gang noch im Amt. Sie wur­de vor Aus­spruch der Kündi­gung nicht gem. § 17 Abs. 2 KSchG kon­sul­tiert. Des­halb ist das Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge­ver­fah­ren nicht ord­nungs­gemäß er­folgt und die Kündi­gung un­wirk­sam.

5. Das Prüfungs­pro­gramm be­tref­fend die Ein­hal­tung des Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge­ver­fah­rens war - ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Be­klag­ten - nicht des­halb be­schränkt, weil das Ar­beits­ge­richt ei­nen Hin­weis nach § 6 Satz 2 KSchG er­teilt hat­te und die Nicht­durchführung des Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­rens erst­in­stanz­lich noch nicht gerügt wur­de. Denn der Kläger hat erst­in­stanz-

 

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lich be­reits die Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung we­gen Mängel im Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge­ver­fah­ren gel­tend ge­macht. Ge­nau­so wie es zB bei gel­tend ge­mach­ter Un­wirk­sam­keit ei­ner Be­triebs­rats­anhörung gem. § 102 Abs. 1 Satz 3 Be­trVG nicht dar­auf an­kom­men kann, aus wel­chen Gründen (zB Nicht­ein­hal­tung der Wo­chen­frist oder Falsch­in­for­ma­ti­on) letzt­lich die Be­triebs­rats­anhörung un­wirk­sam ist, kann es auch bei gel­tend ge­mach­ter Un­wirk­sam­keit we­gen Mängel im Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge­ver­fah­ren nicht dar­auf an­kom­men, wel­cher kon­kre­te ein­zel­ne Man­gel letzt­lich der durch­schla­gen­de ist.

II. Ne­ben­ent­schei­dun­gen

1. Die Kos­ten des Ver­fah­rens ers­ter In­stanz hat der Be­klag­te gem. § 91 Abs. 1 ZPO zu tra­gen. Der Be­klag­te ist vollständig un­ter­le­gen. Die Kos­ten der Be­ru­fung wa­ren gem. § 97 Abs. 2 ZPO aus­nahms­wei­se dem Kläger auf­zu­er­le­gen. Der Kläger hat zweit­in­stanz­lich erst­ma­lig vor­ge­bracht, dass zum Zeit­punkt des Be­triebsüber­gangs noch ei­ne Per­so­nal­ver­tre­tung be-stan­den ha­be. Er hat auch zweit­in­stanz­lich erst­ma­lig die Nicht­durchführung des Kon­sul­ta­ti-ons­ver­fah­rens gerügt. Le­dig­lich auf­grund die­ses neu­en Vor­brin­gens hat der Kläger ob­siegt.

2. Die Zu­las­sung der Re­vi­si­on be­ruht auf § 72 Abs. 2 Satz 1 ArbGG.

Rechts­mit­tel­be­leh­rung

1. Ge­gen die­ses Ur­teil kann d. Bekl. schrift­lich Re­vi­si­on ein­le­gen. Die Re­vi­si­on muss in­ner­halb ei­ner Frist von ei­nem Mo­nat, die Re­vi­si­ons­be­gründung in­ner­halb ei­ner Frist von zwei Mo­na­ten bei dem

Bun­des­ar­beits­ge­richt
Hu­go-Preuß-Platz 1
99084 Er­furt

ein­ge­hen.

 

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Bei­de Fris­ten be­gin­nen mit der Zu­stel­lung des in vollständi­ger Form ab­ge­fass­ten Ur­teils, spä-tes­tens aber mit Ab­lauf von fünf Mo­na­ten nach der Verkündung.

Die Re­vi­si­on und die Re­vi­si­ons­be­gründung müssen von ei­nem Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten un-ter­zeich­net sein. Als Pro­zess­be­vollmäch­tig­te sind nur zu­ge­las­sen:

a. Rechts­anwälte,
b. Ge­werk­schaf­ten und Ver­ei­ni­gun­gen von Ar­beit­ge­bern so­wie Zu­sam­men­schlüsse sol­cher Verbände für ih­re Mit­glie­der oder für an­de­re Verbände oder Zu­sam­men­schlüsse mit ver­gleich­ba­rer Aus­rich­tung und de­ren Mit­glie­der,
c. ju­ris­ti­sche Per­so­nen, die die Vor­aus­set­zun­gen des § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 ArbGG erfüllen.

In den Fällen der lit. b und c müssen die han­deln­den Per­so­nen die Befähi­gung zum Rich­ter­amt ha­ben.

2. Für d. Kläg. ist ge­gen die­ses Ur­teil ein Rechts­mit­tel nicht ge­ge­ben. Auf § 72a ArbGG wird hin-ge­wie­sen.

 

Stöbe

Fi­scher  

Sto­cker

 

Hin­weis:
Die Geschäfts­stel­le des Bun­des­ar­beits­ge­richts wünscht die Vor­la­ge der Schriftsätze in sie­ben­fa­cher Fer­ti­gung, für je­den wei­te­ren Be­tei­lig­ten ei­ne wei­te­re Mehr­fer­ti­gung.

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