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BAG, Ur­teil vom 23.09.2010, 6 AZR 330/09

   
Schlagworte: TV-Ärzte, Rufbereitschaft, Bereitschaftsdienst
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 6 AZR 330/09
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 23.09.2010
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Frankfurt, Urteil vom 13.02.2008, 22/3 Ca 5642/07
Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 6.02.2009, 3 Sa 751/08
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


6 AZR 330/09
3 Sa 751/08

Hes­si­sches
Lan­des­ar­beits­ge­richt

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am
23. Sep­tem­ber 2010

UR­TEIL

Gaßmann, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Be­klag­te, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Kläge­rin, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,


hat der Sechs­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 23. Sep­tem­ber 2010 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Fi­scher­mei­er, den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Brühler, die Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Spel­ge so­wie den eh­ren­amt-
 


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li­chen Rich­ter Dr. Au­gat und die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Stang für Recht er­kannt:


1. Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Hes­si­schen Lan­des­ar­beits­ge­richts vom 6. Fe­bru­ar 2009 - 3 Sa 751/08 - wird zurück­ge­wie­sen.


2. Die Be­klag­te hat die Kos­ten der Re­vi­si­on zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand


Die Par­tei­en strei­ten darüber, wie Ar­beits­leis­tun­gen der Kläge­rin während der Ruf­be­reit­schaft in den Mo­na­ten Au­gust 2006 bis Ja­nu­ar 2007 zu vergüten wa­ren.


Die Be­klag­te ist ei­ne Fach­kli­nik für Psych­ia­trie und Psy­cho­the­ra­pie. Die Kläge­rin ist bei ihr seit dem 1. April 2000 als Fachärz­tin für Neu­ro­lo­gie und Psych­ia­trie beschäftigt. Am 5. Ja­nu­ar 2001 wur­de sie zur Oberärz­tin der Ab­tei­lung „Am­bu­lan­te Be­hand­lung“ be­stellt. Auf das Ar­beits­verhält­nis fin­det seit dem 1. Au­gust 2006 der Ta­rif­ver­trag für Ärz­tin­nen und Ärz­te an kom­mu­na­len Kran­kenhäusern im Be­reich der Ver­ei­ni­gung der kom­mu­na­len Ar­beit­ge­ber­verbände vom 17. Au­gust 2006 (TV-Ärz­te/VKA) An­wen­dung. In die­sem Ta­rif­ver­trag heißt es ua.:

㤠10
Be­reit­schafts­dienst und Ruf­be­reit­schaft


...


(8) 1Der Arzt hat sich auf An­ord­nung des Ar­beit­ge­bers außer­halb der re­gelmäßigen Ar­beits­zeit an ei­ner dem Ar­beit­ge­ber an­zu­zei­gen­den Stel­le auf­zu­hal­ten, um auf Ab­ruf die Ar­beit auf­zu­neh­men (Ruf­be­reit­schaft). ...

...


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§ 11
Aus­gleich für Son­der­for­men der Ar­beit


(1) Die Ärz­tin/ Der Arzt erhält ne­ben dem Ent­gelt für die tatsächli­che Ar­beits­leis­tung Zeit­zu­schläge.

Die Zeit­zu­schläge be­tra­gen - auch bei teil­zeit-beschäftig­ten Ärz­tin­nen und Ärz­ten - je St­un­de

a) für Über­stun­den 15 v.H.,

b) für Sonn­tags­ar­beit 25 v.H.,

c) bei Fei­er­tags­ar­beit

- oh­ne Frei­zeit­aus­gleich 135 v.H.,


- mit Frei­zeit­aus­gleich 35 v.H.,

d) für Ar­beit am 24. De­zem­ber und am 31. De­zem­ber je­weils ab 6 Uhr 35 v.H.,


des auf ei­ne St­un­de ent­fal­len­den An­teils des Ta­bel­len­ent­gelts der Stu­fe 3 der je­wei­li­gen Ent­gelt­grup­pe; bei Ärz­tin­nen und Ärz­ten gemäß § 16 Buchst. c und d der höchs­ten ta­rif­li­chen Stu­fe.

...

(3) 1Für die Ruf­be­reit­schaft wird ei­ne tägli­che Pau­scha­le je Ent­gelt­grup­pe be­zahlt. ... 4Hinsichtlich der Ar­beits­leis­tung wird je­de ein­zel­ne In­an­spruch­nah­me in­ner­halb der Ruf­be­reit­schaft mit ei­nem Ein­satz im Kran­ken­haus ein­sch­ließlich der hierfür er­for­der­li­chen We­ge­zei­ten auf ei­ne vol­le St­un­de ge­run­det. 5Für die In­an­spruch­nah­me wird das Ent­gelt für Über­stun­den so­wie et­wai­ge Zeit­zu­schläge nach Ab­satz 1 ge­zahlt. ...
...“


Die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en des TV-Ärz­te/VKA ha­ben sich am 9. Ju­ni 2010 auf Eck­punk­te zur Ände­rung die­ses Ta­rif­ver­trags ge­ei­nigt. Die­se se­hen hin­sicht­lich der In­an­spruch­nah­me in­ner­halb der Ruf­be­reit­schaft vor, dass in § 11 Abs. 3 TV-Ärz­te/VKA rück­wir­kend zum 1. Ja­nu­ar 2010 fol­gen­der Satz 6 ein­gefügt wird:

„6Wird die Ar­beits­leis­tung in­ner­halb der Ruf­be­reit­schaft am Auf­ent­halts­ort im Sin­ne des § 10 Abs. 8 te­le­fo­nisch (z.B. in Form ei­ner Aus­kunft) oder mit­tels tech­ni­scher Ein­rich­tun­gen er­bracht, wird ab­wei­chend von Satz 4 die
 


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Sum­me die­ser Ar­beits­leis­tun­gen auf die nächs­te vol­le St­un­de ge­run­det und mit dem Ent­gelt für Über­stun­den so­wie et­wai­gen Zeit­zu­schlägen nach Ab­satz 1 be­zahlt.“


Die Be­klag­te ord­net für die Kläge­rin Ruf­be­reit­schaft an. Die­se ist bei der Be­klag­ten als te­le­fo­ni­scher Dienst ein­ge­rich­tet und ga­ran­tiert die Er­reich­bar­keit von Fachärz­ten 24 St­un­den am Tag, auch am Wo­chen­en­de. Die Kläge­rin war während der Ruf­be­reit­schaft bei psy­chi­schen Ir­ri­ta­tio­nen der Akut­pa­ti­en­ten, die sich nicht in der Kli­nik, son­dern zu Hau­se be­fan­den, die ein­zi­ge An­sprech­part­ne­rin. Ein Ein­satz während der Ruf­be­reit­schaft am Auf­ent­halts­ort ei­nes Akut­pa­ti­en­ten ist nur sehr sel­ten er­for­der­lich. Da es sich bei der Kli­nik der Be­klag­ten um ei­ne In­sti­tutsam­bu­lanz han­delt, ist ein Ein­satz in der Kli­nik während der Ruf­be­reit­schaft aus­ge­schlos­sen.

Die Kläge­rin wur­de in den Mo­na­ten Au­gust 2006 bis Ja­nu­ar 2007 ins­ge­samt 33,30 St­un­den während der Ruf­be­reit­schaft von Akut­pa­ti­en­ten te­le-fo­nisch in An­spruch ge­nom­men. Die Be­klag­te zahl­te ihr bis De­zem­ber 2006 die ta­rif­li­che Pau­scha­le für die Ruf­be­reit­schaft und vergüte­te darüber hin­aus die Zei­ten der te­le­fo­ni­schen In­an­spruch­nah­me der Kläge­rin während der Ruf­be­reit­schaft. Ab Ja­nu­ar 2007 er­hielt die Kläge­rin für die Ruf­be­reit­schaft nur noch die ta­rif­li­che Pau­scha­le. Die von der Be­klag­ten ge­zahl­te Vergütung für die te­le­fo­ni­schen In­an­spruch­nah­men der Kläge­rin wur­de mit Ent­gelt­ansprüchen der Kläge­rin ver­rech­net.


In ei­nem Rund­schrei­ben vom 19. März 2007 ver­trat der Kom­mu­na­le Ar­beit­ge­ber­ver­band Hes­sen ua. die An­sicht, ei­ne Ab­gel­tung der Ar­beits­leis­tung ei­nes Arz­tes während der Ruf­be­reit­schaft oh­ne Not­wen­dig­keit, das Kran­ken­haus auf­zu­su­chen, sei im TV-Ärz­te/VKA nicht ver­ein­bart.


Die Kläge­rin ist der Auf­fas­sung, die Be­klag­te ha­be ih­re tatsächli­che Ar­beits­leis­tung während der Ruf­be­reit­schaft in den Mo­na­ten Au­gust 2006 bis Ja­nu­ar 2007 gemäß § 11 Abs. 3 Satz 5 TV-Ärz­te/VKA mit dem Ent­gelt für Über­stun­den nebst den ta­rif­lich vor­ge­se­he­nen Zeit­zu­schlägen zu vergüten und des­halb 1.348,50 Eu­ro brut­to an sie zu zah­len. Aus der Re­ge­lung in § 11 Abs. 3 Satz 4 TV-Ärz­te/VKA fol­ge nicht, dass während der Ruf­be­reit­schaft nur mit
 


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ei­nem Ein­satz im Kran­ken­haus ver­bun­de­ne Ar­beits­leis­tun­gen zu vergüten sei­en.

Die Kläge­rin hat be­an­tragt, 


die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an sie 1.348,50 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen iHv. fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 1. Fe­bru­ar 2007 zu zah­len.


Die Be­klag­te hat zu ih­rem Kla­ge­ab­wei­sungs­an­trag die Auf­fas­sung ver­tre­ten, § 11 Abs. 3 Satz 4 TV-Ärz­te/VKA de­fi­nie­re die In­an­spruch­nah­me während der Ruf­be­reit­schaft. An die­se De­fi­ni­ti­on knüpfe § 11 Abs. 3 Satz 5 TV-Ärz­te/VKA an und be­gründe da­mit nur für Ar­beits­leis­tun­gen im Kran­ken­haus den Vergütungs­an­spruch.


Die Vor­in­stan­zen ha­ben der Kla­ge statt­ge­ge­ben. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt die Be­klag­te ihr Ziel der Kla­ge­ab­wei­sung wei­ter. Die Kläge­rin be­an­tragt, die Re­vi­si­on der Be­klag­ten zurück­zu­wei­sen.


Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ist un­be­gründet. Die Vor­in­stan­zen ha­ben der Kla­ge zu Recht statt­ge­ge­ben.


I. Der An­spruch der Kläge­rin auf Vergütung iHv. 1.348,50 Eu­ro brut­to für die te­le­fo­ni­sche In­an­spruch­nah­me während der Ruf­be­reit­schaft in den Mo­na­ten Au­gust 2006 bis Ja­nu­ar 2007 folgt aus § 11 Abs. 3 Satz 5 TV-Ärz­te/VKA. Die­se Ta­rif­vor­schrift be­stimmt, dass für die In­an­spruch­nah­me das Ent­gelt für Über­stun­den so­wie et­wai­ge Zeit­zu­schläge nach Ab­satz 1 ge­zahlt wer­den. Darüber, dass die Kläge­rin im Kla­ge­zeit­raum während der als te­le­fo­ni­scher Dienst ein­ge­rich­te­ten Ruf­be­reit­schaft ins­ge­samt 33,30 St­un­den durch An­ru­fe von Akut­pa­ti­en­ten in An­spruch ge­nom­men wur­de, be­steht kein Streit. Un­strei­tig ist auch die Höhe der Vergütung. Die Par­tei­en strei­ten nur darüber, ob der An­spruch auf Vergütung für die Ar­beits­leis­tung in­ner­halb der Ruf­be­reit­schaft nach
 


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§ 11 Abs. 3 Satz 5 TV-Ärz­te/VKA vor­aus­setzt, dass die In­an­spruch­nah­me im Kran­ken­haus er­folgt. Ent­ge­gen der An­sicht der Be­klag­ten ist dies nicht der Fall.


1. Al­ler­dings ist der Wort­laut der ta­rif­li­chen Re­ge­lung, auf den es nach ständi­ger Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts zunächst an­kommt (vgl. 19. Sep­tem­ber 2007 - 4 AZR 670/06 - Rn. 30, BA­GE 124, 110; 7. Ju­li 2004 - 4 AZR 433/03 - BA­GE 111, 204, 209; 9. Ok­to­ber 2003 - 6 AZR 512/02 - BA­GE 108, 72, 74), nicht ganz ein­deu­tig. We­der § 10 Abs. 8 Satz 1 noch § 11 Abs. 3 Satz 4 und Satz 5 TV-Ärz­te/VKA se­hen aus­drück­lich ei­ne Vergütung für die Auf­nah­me der Ar­beit außer­halb des Kran­ken­hau­ses vor. Die­se Ta­rif­vor­schrif­ten schließen ih­rem Wort­laut nach je­doch die Vergütung ei­ner in­ner­halb der Ruf­be­reit­schaft vom Arzt außer­halb des Kran­ken­hau­ses er­brach­ten Ar­beits­leis­tung auch nicht aus.


a) § 10 Abs. 8 Satz 1 TV-Ärz­te/VKA re­gelt, dass der Arzt sich auf An­ord­nung des Ar­beit­ge­bers außer­halb der re­gelmäßigen Ar­beits­zeit an ei­ner dem Ar­beit­ge­ber an­zu­zei­gen­den Stel­le auf­zu­hal­ten hat, um auf Ab­ruf die Ar­beit auf­zu­neh­men (Ruf­be­reit­schaft). Da­mit de­fi­niert die Be­stim­mung den Be­griff der Ruf­be­reit­schaft im Ta­rif­sin­ne und be­gründet zu­gleich die Ver­pflich­tung des Arz­tes zur Leis­tung von Ruf­be­reit­schaft. Da nach § 1 Abs. 1 TV-Ärz­te/VKA der Ta­rif­ver­trag ins­be­son­de­re für in Kran­kenhäusern beschäftig­te Ärz­tin­nen und Ärz­te gilt und die­se ih­re Pa­ti­en­ten in al­ler Re­gel in ei­nem Kran­ken­haus be­han­deln, auch dann, wenn die Pa­ti­en­ten dort nicht sta­ti­onär un­ter­ge­bracht sind, liegt es in der Na­tur der Sa­che, dass ein in ei­nem Kran­ken­haus beschäftig­ter Arzt die Ar­beit re­gelmäßig dort auf­zu­neh­men hat, wenn er in­ner­halb der Ruf­be­reit­schaft zur Ar­beits­auf­nah­me ab­ge­ru­fen wird.


b) § 11 Abs. 3 Satz 5 TV-Ärz­te/VKA be­stimmt, dass für die In­an­spruch­nah­me das Ent­gelt für Über­stun­den ge­zahlt wird nebst et­wai­gen Zeit­zu­schlägen nach Ab­satz 1. Die Wor­te „für die In­an­spruch­nah­me“ las­sen of­fen, an wel­chem Ort die Ar­beit vom Arzt in­ner­halb der Ruf­be­reit­schaft auf Ab­ruf auf­ge­nom­men wer­den muss. Ei­ne In­an­spruch­nah­me während der Ruf­be­reit­schaft setzt da­mit nach dem Wort­laut des § 11 Abs. 3 Satz 5 TV-Ärz­te/VKA nicht vor­aus, dass die Auf­nah­me der Ar­beit auf Ab­ruf an dem Ort er­folgt, an dem der Arzt sei­ne
 


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Ar­beits­leis­tung re­gelmäßig er­bringt. Es reicht viel­mehr aus, dass der Arzt in­ner­halb der an­ge­ord­ne­ten Ruf­be­reit­schaft auf ei­nen ent­spre­chen­den Ab­ruf des Ar­beit­ge­bers tatsächlich zur Ar­beits­leis­tung her­an­ge­zo­gen wird (vgl. zur Vorgänger­vor­schrift § 15 Abs. 6b BAT Se­nat 9. Ok­to­ber 2003 - 6 AZR 512/02 - BA­GE 108, 72, 74; 29. Ju­ni 2000 - 6 AZR 900/98 - BA­GE 95, 210, 213; 28. Ju­li 1994 - 6 AZR 76/94 - AP BAT § 15 Nr. 33 = Ez­BAT BAT § 15 Ruf­be­reit­schaft Nr. 4). Ei­ner In­an­spruch­nah­me steht auch nicht ent­ge­gen, dass die Be­klag­te die Kläge­rin nicht je­weils zu den Te­le­fon­gesprächen mit den Akut­pa­ti­en­ten ab­ge­ru­fen hat. Maßge­bend ist, dass die Be­klag­te die Ruf­be­reit­schaft als te­le-fo­ni­schen Dienst ein­ge­rich­tet hat, die Kläge­rin während der Ruf­be­reit­schaft für die Akut­pa­ti­en­ten als de­ren ein­zi­ge An­sprech­part­ne­rin te­le­fo­nisch er­reich­bar sein muss­te und bei psy­chi­schen Ir­ri­ta­tio­nen und An­ru­fen der Akut­pa­ti­en­ten mit die­sen am Te­le­fon Gespräche zu führen hat­te.


c) Ent­ge­gen der An­sicht der Be­klag­ten ha­ben die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en des TV-Ärz­te/VKA den Be­griff der In­an­spruch­nah­me in § 11 Abs. 3 Satz 4 TV-Ärz­te/VKA nicht ab­wei­chend vom all­ge­mei­nen Sprach­ge­brauch de­fi­niert und be­stimmt, dass der Arzt nur dann in­ner­halb der Ruf­be­reit­schaft im Ta­rif­sin­ne in An­spruch ge­nom­men wird, wenn die Ar­beits­leis­tung im Kran­ken­haus er­bracht wird. Sie ha­ben in die­ser Ta­rif­vor­schrift fest­ge­legt, dass hin­sicht­lich der Ar­beits­leis­tung je­de ein­zel­ne In­an­spruch­nah­me in­ner­halb der Ruf­be­reit­schaft mit ei­nem Ein­satz im Kran­ken­haus ein­sch­ließlich der hierfür er­for­der­li­chen We­ge­zei­ten auf ei­ne vol­le St­un­de ge­run­det wird. Da­mit ha­ben sie dem Wort­laut nach für den Re­gel­fall, der Auf­nah­me der Ar­beit durch ei­nen Kran­ken­haus­arzt im Kran­ken­haus, an­ge­ord­net, dass bei ei­nem Ein­satz im Kran­ken­haus nicht nur die Zeit der tatsächli­chen ärzt­li­chen Ar­beits­leis­tung zu vergüten ist, son­dern dass auch die er­for­der­li­chen We­ge­zei­ten so­wie die Zei­ten, die sich auf­grund der Auf­run­dung auf vol­le St­un­den er­ge­ben, zu vergüten sind. Es han­delt sich da­mit um ei­ne Vor­schrift zur Be­rech­nung des Ent­gelts für die Ar­beits­leis­tung bei ei­nem Ein­satz im Kran­ken­haus. Ein Wil­le der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en, dass tatsächli­che Ar­beits­leis­tun­gen ei­nes Arz­tes während der Ruf­be­reit­schaft, die nicht in ei­nem Kran­ken­haus er­bracht wer­den, nicht be­son­ders zu vergüten, son­dern mit der nach § 11 Abs. 3 Satz 1 TV-Ärz­te/VKA zu zah­len­den Pau­scha-


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le ab­ge­gol­ten sind, hat im Wort­laut des § 11 Abs. 3 Satz 4 TV-Ärz­te/VKA kei­nen Nie­der­schlag ge­fun­den. Das hat of­fen­sicht­lich auch die Be­klag­te zunächst so ge­se­hen und der Kläge­rin bis De­zem­ber 2006 die Zei­ten tatsäch­li­cher Ar­beits­leis­tung während der Ruf­be­reit­schaft vergütet.


2. Der ta­rif­li­che Ge­samt­zu­sam­men­hang der Re­ge­lung gibt ent­ge­gen der An­sicht der Be­klag­ten kein an­de­res Aus­le­gungs­er­geb­nis vor.

a) Die Sys­te­ma­tik und der Auf­bau der ta­rif­li­chen Re­ge­lung zwin­gen nicht zu dem Verständ­nis, dass nach § 11 Abs. 3 Satz 5 TV-Ärz­te/VKA nur während der Ruf­be­reit­schaft in ei­nem Kran­ken­haus er­brach­te Ar­beits­leis­tun­gen mit dem Ent­gelt für Über­stun­den nebst et­wai­gen Zeit­zu­schlägen zu vergüten sind. Es trifft zwar zu, dass die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en zunächst in § 11 Abs. 3 Satz 4 TV-Ärz­te/VKA fest­ge­legt ha­ben, wel­che Zei­ten bei ei­ner In­an­spruch­nah­me des Arz­tes im Kran­ken­haus bei der Be­rech­nung des Ent­gelts zu berück­sich­ti­gen sind, und erst da­nach in § 11 Abs. 3 Satz 5 TV-Ärz­te/VKA ge­re­gelt ha­ben, wie die In­an­spruch­nah­me während der Ruf­be­reit­schaft zu vergüten ist. Al­ler­dings ist der Schluss nicht zwin­gend, dass die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en des TV-Ärz­te/VKA da­mit ent­ge­gen dem übli­chen Auf­bau ge­setz­li­cher und ta­rif­li­cher Re­ge­lun­gen ei­ne Aus­nah­me­re­ge­lung ei­ner Grund­satz­re­ge­lung vor­an­ge­stellt hätten, wenn man die Vergütungs­pflicht für In­an­spruch­nah­men außer­halb des Kran­ken­hau­ses aus Satz 5 ent­neh­men würde. Denk­bar ist auch, dass die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en vor Au­gen hat­ten, dass ein Kran­ken­haus­arzt sei­ne Pa­ti­en­ten in al­ler Re­gel im Kran­ken­haus be­han­delt, und dass sie die Auf­nah­me der Ar­beit ei­nes Kran­ken­haus­arz­tes in ei­nem Kran­ken­haus auf ent­spre­chen­den Ab­ruf des Ar­beit­ge­bers des­halb nicht als Aus­nah­me­fall, son­dern als Re­gel­fall ver­stan­den ha­ben. Wenn sie bei ei­nem sol­chen Verständ­nis zunächst fest-ge­legt ha­ben, wel­che Zei­ten zu vergüten sind, und erst da­nach an­ge­ord­net ha­ben, wel­ches Ent­gelt für die­se Zei­ten zu zah­len ist, kann dar­aus nicht ab-ge­lei­tet wer­den, dass die tatsächli­che Ar­beits­leis­tung ei­nes Arz­tes in­ner­halb der Ruf­be­reit­schaft nicht zu vergüten ist, wenn der Arzt außer­halb ei­nes Kran­ken­hau­ses die Ar­beit auf­zu­neh­men und Ar­beits­leis­tun­gen zu er­brin­gen hat.
 


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b) Selbst wenn die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ent­spre­chend dem Verständ­nis der Be­klag­ten die Auf­nah­me der Ar­beit durch ei­nen Kran­ken­haus­arzt in ei­nem Kran­ken­haus während der Ruf­be­reit­schaft nach ent­spre­chen­dem Ab­ruf nicht als Re­gel­fall an­ge­se­hen ha­ben soll­ten, gölte nichts an­de­res. Sie ha­ben in § 10 Abs. 8 Satz 1 TV-Ärz­te/VKA die Pflicht des Arz­tes zur Auf­nah­me der Ar­beit be­gründet und sind in § 11 Abs. 1 TV-Ärz­te/VKA da­von aus­ge­gan­gen, dass der Arzt für je­de tatsächli­che Ar­beits­leis­tung Ent­gelt und un­ter den ge­nann­ten Vor­aus­set­zun­gen Zeit­zu­schläge erhält. Wenn sie von die­sem Grund­satz der Vergütung der tatsächli­chen Ar­beits­leis­tung hätten ab­wei­chen wol­len, hätten sie re­geln müssen, dass tatsächli­che Ar­beits­leis­tun­gen des Arz­tes außer­halb ei­nes Kran­ken­hau­ses mit der Pau­scha­le ab­ge­gol­ten sind, die für die Ruf­be­reit­schaft nach § 11 Abs. 3 Satz 1 TV-Ärz­te/VKA be­zahlt wird. Für ei­nen sol­chen übe­rein­stim­men­den Wil­len der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en fehlt al­ler­dings je­der An­halts­punkt, er kann ins­be­son­de­re nicht aus dem Rund­schrei­ben des Kom­mu­na­len Ar­beit­ge­ber­ver­ban­des Hes­sen vom 19. März 2007 ab­ge­lei­tet wer­den, wo­nach für vom Arzt während der Ruf­be­reit­schaft außer­halb des Kran­ken­hau­ses er­brach­te Ar­beits­leis­tun­gen im TV-Ärz­te/VKA kei­ne Vergütung ver­ein­bart ist.


c) Der Um­stand, dass die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en des TV-Ärz­te/VKA sich in der Eck­punk­te­ver­ein­ba­rung vom 9. Ju­ni 2010 ge­ei­nigt ha­ben, dass rück­wir­kend ab Ja­nu­ar 2010 te­le­fo­ni­sche In­an­spruch­nah­men während ei­ner Ruf­be­reit­schaft ad­diert, auf die je­weils nächs­te vol­le St­un­de ge­run­det und mit dem Ent­gelt für Über­stun­den zuzüglich et­wai­ger Zeit­zu­schläge vergütet wer­den, spricht nicht ge­gen das Aus­le­gungs­er­geb­nis. Er legt viel­mehr na­he, dass die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en te­le­fo­ni­sche In­an­spruch­nah­men in­ner­halb der Ruf­be­reit­schaft im Ver­gleich zur bis­he­ri­gen Rechts­la­ge im We­sent­li­chen nicht völlig an­de­ren Re­geln un­ter­wer­fen, son­dern nur klar­stel­len woll­ten, dass und mit wel­chem Um­fang (Auf­run­dung) auch ei­ne tatsächli­che In­an­spruch­nah­me des Arz­tes außer­halb des Kran­ken­hau­ses zu vergüten ist.

3. Sinn und Zweck der Re­ge­lung bestäti­gen das Aus­le­gungs­er­geb­nis. 


a) Die in § 11 Abs. 3 Satz 5 TV-Ärz­te/VKA ge­re­gel­te Vergütung stellt die Ge­gen­leis­tung für die Ar­beits­leis­tung des Arz­tes in­ner­halb der Ruf­be­reit­schaft


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dar. Ist die Ruf­be­reit­schaft wie bei der Be­klag­ten als te­le­fo­ni­scher Dienst ein­ge­rich­tet und be­fin­den sich die Akut­pa­ti­en­ten, die der Arzt bei psy­chi­schen Ir­ri­ta­tio­nen te­le­fo­nisch zu be­treu­en hat, nicht in ei­nem Kran­ken­haus, son­dern in ih­rem häus­li­chen Um­feld, ist es für die Ar­beits­leis­tung des Arz­tes und de­ren Wert oh­ne Be­deu­tung, ob er die An­ru­fe der Pa­ti­en­ten im Kran­ken­haus oder an ei­nem an­de­ren Ort ent­ge­gen­nimmt. Ei­ne Bin­dung der Ge­gen­leis­tung für die In­an­spruch­nah­me an ei­nen Ein­satz im Kran­ken­haus wäre des­halb nicht sach­ge­recht.

b) Dies wird be­son­ders deut­lich, wenn während der Ruf­be­reit­schaft ein Ein­satz des Arz­tes am Auf­ent­halts­ort des Akut­pa­ti­en­ten er­for­der­lich ist. Zwar ist dies nach den Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts nur sehr sel­ten der Fall. Tritt ein sol­cher Aus­nah­me­fall aber ein, wäre die tatsächli­che Ar­beits­leis­tung des Arz­tes in­ner­halb der Ruf­be­reit­schaft, die sich dann nicht mehr auf ei­ne te­le­fo­ni­sche Be­treu­ung des Pa­ti­en­ten be­schränkt, nach der Auf­fas­sung der Be­klag­ten nicht zu vergüten, weil sie nicht mit ei­nem Ein­satz im Kran­ken­haus ver­bun­den ist. Dafür, dass die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en des TV-Ärz­te/VKA mit den Re­ge­lun­gen in § 11 Abs. 3 Satz 4 und 5 TV-Ärz­te/VKA be­zweck­ten, dass ein Arzt, der in­ner­halb der Ruf­be­reit­schaft tatsächlich Pa­ti­en­ten be­han­delt, für die­se Ar­beits­leis­tung un­abhängig von ih­rer Dau­er kei­nen An­spruch auf Vergütung hat, wenn die Be­hand­lung nicht im Kran­ken­haus er­folgt, fehlt je­der An­halts­punkt, zu­mal die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en es für an­ge­mes­sen ge­hal­ten ha­ben, dass nicht nur Zei­ten ärzt­li­cher Tätig­keit, son­dern auch er­for­der­li­che We­ge­zei­ten ab­ge­gol­ten wer­den. Ge­gen ei­ne von den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en be­ab­sich­tig­te Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen Ar­beits­leis­tun­gen in­ner­halb und außer­halb des Kran­ken­hau­ses spricht auch, dass Ta­rif­ver­trags­par­tei­en Ar­beit­neh­mern kei­ne er­heb­li­chen Leis­tun­gen oh­ne Vergütung ab­ver­lan­gen dürfen (vgl. Se­nat 5. Fe­bru­ar 2009 - 6 AZR 114/08 - Rn. 25, AP TVöD § 8 Nr. 6 = EzTöD 100 TVöD-AT § 8 Ruf­be­reit­schafts­ent­gelt Nr. 5). Sch­ließlich ist auch die Haf­tung des Arz­tes bei Aufklärungs- oder Be­hand­lungs­feh­lern nicht an ei­nen Ein­satz in ei­nem Kran­ken­haus ge­knüpft. Das Ri­si­ko der Haf­tung be­steht auch bei Ver­let­zung der ärzt­li­chen Be­rufs­pflicht außer­halb ei­nes Kran­ken­hau­ses. Dass die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en des TV-Ärz­te/VKA dem Arzt gleich­wohl un-
 


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ge­ach­tet des Um­fangs sei­ner tatsächli­chen Ar­beits­leis­tung und trotz sei­nes Haf­tungs­ri­si­kos während der Ruf­be­reit­schaft bei ei­ner In­an­spruch­nah­me außer­halb des Kran­ken­hau­ses ei­ne Ge­gen­leis­tung vor­ent­hal­ten woll­ten, kann ih­nen ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Be­klag­ten des­halb nicht un­ter­stellt wer­den.


II. Der Aus­spruch über die Zin­sen folgt aus § 286 Abs. 2 Ziff. 1, § 288 Abs. 1 BGB. Die Kos­ten­ent­schei­dung be­ruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Fi­scher­mei­er 

Brühler 

Spel­ge

B. Stang 

Au­gat

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