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BAG, Ur­teil vom 19.08.2010, 8 AZR 466/09

   
Schlagworte: Gleichbehandlung
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 8 AZR 466/09
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 19.08.2010
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 4.12.2007, 20 Ca 105/07
Landesarbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 29.10.2008, 3 Sa 15/08
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


8 AZR 466/09
3 Sa 15/08
Lan­des­ar­beits­ge­richt
Ham­burg

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

19. Au­gust 2010

UR­TEIL

Förs­ter, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläge­rin, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Be­klag­ter, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­ons­be­klag­ter,

hat der Ach­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 19. Au­gust 2010 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Hauck, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Böck und Brein­lin­ger so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Brück­mann und Schulz für Recht er­kannt:
 


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Die Re­vi­si­on der Kläge­rin ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ham­burg vom 29. Ok­to­ber 2008 - 3 Sa 15/08 - wird zurück­ge­wie­sen.


Die Kläge­rin hat die Kos­ten der Re­vi­si­on zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten um ei­nen Entschädi­gungs­an­spruch der Kläge­rin, die sich bei dem Be­klag­ten um ei­ne be­fris­te­te Stel­le für ei­ne So­zi­alpädago­gin be­wor­ben hat­te.


Der Be­klag­te ist der für Ham­burg zuständi­ge Lan­des­ver­band des Dia­ko­ni­schen Wer­kes der Evan­ge­li­schen Kir­che in Deutsch­land (EKD) und Teil der Nord­el­bi­schen Evan­ge­lisch-Lu­the­ri­schen Kir­che (NEK). In den auch für den Be­klag­ten gel­ten­den Richt­li­ni­en des Ra­tes der EKD nach Art. 9 Buchst. b Grund­ord­nung über die An­for­de­run­gen der pri­vat­recht­li­chen be­ruf­li­chen Mit­ar­beit in der EKD und des Dia­ko­ni­schen Wer­kes der EKD heißt es ua.:


㤠2
Grund­la­ge des kirch­li­chen Diens­tes


(1) Der Dienst der Kir­che ist durch den Auf­trag be­stimmt, das Evan­ge­li­um in Wort und Tat zu be­zeu­gen. Al­le Frau­en und Männer, die in An­stel­lungs­verhält­nis­sen in Kir­che und Dia­ko­nie tätig sind, tra­gen in un­ter­schied­li­cher Wei­se da­zu bei, dass die­ser Auf­trag erfüllt wer­den kann. Die­ser Auf­trag ist die Grund­la­ge der Rech­te und Pflich­ten von An­stel­lungs­trägern so­wie Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern.

...


§ 3
Be­ruf­li­che An­for­de­rung bei der Be­gründung des Ar­beits­verhält­nis­ses

(1) Die be­ruf­li­che Mit­ar­beit in der evan­ge­li­schen Kir­che und ih­rer Dia­ko­nie setzt grundsätz­lich die Zu­gehörig­keit zu ei­ner Glied­kir­che der Evan­ge­li­schen Kir­che in Deutsch-


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land oder ei­ner Kir­che vor­aus, mit der die Evan­ge­li­sche Kir­che in Deutsch­land in Kir­chen­ge­mein­schaft ver­bun­den ist.

(2) Für Auf­ga­ben, die nicht der Verkündi­gung, Seel­sor­ge, Un­ter­wei­sung oder Lei­tung zu­zu­ord­nen sind, kann von Ab­satz 1 ab­ge­wi­chen wer­den, wenn an­de­re ge­eig­ne­te Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter nicht zu ge­win­nen sind. In die­sem Fall können auch Per­so­nen ein­ge­stellt wer­den, die ei­ner an­de­ren Mit­glieds­kir­che der Ar­beits­ge­mein­schaft christ­li­cher Kir­chen in Deutsch­land oder der Ver­ei­ni­gung Evan­ge­li­scher Frei­kir­chen an­gehören sol­len. Die Ein­stel­lung von Per­so­nen, die die Vor­aus­set­zun­gen des Ab­sat­zes 1 nicht erfüllen, muss im Ein­zel­fall un­ter Be­ach­tung der Größe der Dienst­stel­le oder Ein­rich­tung und ih­rer sons­ti­gen Mit­ar­bei­ter­schaft so­wie der wahr­zu­neh­men­den Auf­ga­ben und des je­wei­li­gen Um­fel­des ge­prüft wer­den. § 2 Ab­satz 1 Satz 2 bleibt un­berührt.“


Mit Stel­len­an­zei­ge vom 30. No­vem­ber 2006 such­te der Be­klag­te für die Zeit vom 1. Fe­bru­ar bis 31. De­zem­ber 2007 für den Vor­stands­be­reich So­zia­les und Öku­me­ne / Fach­be­reich Mi­gra­ti­on und Exis­tenz­si­che­rung ei­ne/-n So­zi­alpädago­gin/-en (hal­be Stel­le) für das Teil­pro­jekt „In­te­gra­ti­ons­lot­se Ham­burg“ der Equal-Ent­wick­lungs­part­ner­schaft NO­BI - Nord­deut­sches Netz­werk zur be­ruf­li­chen In­te­gra­ti­on von Mi­gran­tin­nen und Mi­gran­ten. Die Stel­len­aus­schrei­bung lau­te­te aus­zugs­wei­se:


„Die­ses Pro­jekt ist ein Schu­lungs- und In­for­ma­ti­ons­an­ge­bot für Mul­ti­pli­ka­to­rin­nen und Mul­ti­pli­ka­to­ren im Be­reich der be­ruf­li­chen In­te­gra­ti­on von er­wach­se­nen Mi­gran­tin­nen und Mi­gran­ten.


Zu den Auf­ga­ben die­ser Po­si­ti­on gehören der in­halt­li­che Aus­bau der Ru­brik ‚Fach­in­for­ma­tio­nen’ auf www.i.de, die Er­stel­lung von In­for­ma­ti­ons­ma­te­ri­al, die Vor­be­rei­tung und Durchführung von Ver­an­stal­tun­gen so­wie die Ar­beit in den Struk­tu­ren und Gre­mi­en des Fach­be­reichs Mi­gra­ti­on und Exis­tenz­si­che­rung.

Sie verfügen über ein ab­ge­schlos­se­nes Stu­di­um der So­zi­al­wis­sen­schaft/So­zi­alpädago­gik (o. Ä.), Er­fah­run­gen in der Pro­jekt­ar­beit so­wie Er­fah­run­gen und Kom­pe­ten­zen in den The­men­be­rei­chen Mi­gra­ti­on, Ar­beits­markt und In­ter­kul­tu­ra­lität. Sie be­sit­zen zu­dem si­che­re EDV-An­wen­der- und In­ter­net­kennt­nis­se. Für Sie sind so­wohl das ei­genständi­ge Ar­bei­ten als auch das kon­struk­ti­ve
 


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Ar­bei­ten im Team selbst­verständ­lich.


Als dia­ko­ni­sche Ein­rich­tung set­zen wir die Zu­gehörig­keit zu ei­ner christ­li­chen Kir­che vor­aus.

Ne­ben ei­ner Vergütung nach IV a KAT-NEK bie­ten wir glei­ten­de Ar­beits­zei­ten, sehr gu­te Fort­bil­dungsmöglich­kei­ten und ei­ne zusätz­li­che Al­ters­ver­sor­gung.“

Die Kläge­rin ist Deut­sche türki­scher Her­kunft, ge­bo­re­ne Mus­li­min und gehört kei­ner christ­li­chen Kir­che an. Sie ist aus­ge­bil­de­te Rei­se­ver­kehrs­kauf­frau, hat aber nicht stu­diert. In den The­men­be­rei­chen Mi­gra­ti­on und In­te­gra­ti­on hat sie Er­fah­run­gen in Prak­ti­ka, Pro­jek­ten so­wie als „Wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­te­rin“ ei­ner Ab­ge­ord­ne­ten der Ham­bur­ger Bürger­schaft ge­sam­melt. Die Kläge­rin be­warb sich mit Schrei­ben vom 24. De­zem­ber 2006 um die vom Be­klag­ten aus­ge­schrie­be­ne Stel­le.


Am 2. Ja­nu­ar 2007 wur­de die Kläge­rin von der Mit­ar­bei­te­rin K des Be­klag­ten an­ge­ru­fen. Die­se wies dar­auf hin, die Kläge­rin ha­be bei ih­rer „sehr in­ter­es­san­ten“ Be­wer­bung die Fra­ge der Re­li­gi­ons­zu­gehörig­keit un­be­ant­wor­tet ge­las­sen. Auf die Ant­wort der Kläge­rin, sie prak­ti­zie­re kei­ne Re­li­gi­on, sei je­doch als Türkin ge­bo­re­ne Mus­li­min, frag­te Frau K wei­ter, ob sich die Kläge­rin ei­nen Ein­tritt in die Kir­che vor­stel­len könne, da dies un­be­ding­te Vor­aus­set­zung bei der Stel­le sei. Die Kläge­rin er­wi­der­te, da die Stel­le kei­nen re­li­giösen Be­zug auf­wei­se, könne dies kaum nötig sein.


Auf­grund ei­ner Aus­wah­l­ent­schei­dung sei­nes Beschäftig­ten Dr. H stell­te der Be­klag­te zum 1. Fe­bru­ar 2007 die in In­di­en ge­bo­re­ne Be­wer­be­rin F für die Stel­le ein, die ein Hoch­schul­stu­di­um mit Di­plom­prüfung im Fach So­zi­al­wis­sen­schaf­ten er­folg­reich ab­ge­schlos­sen hat­te. Un­ter dem 6. Fe­bru­ar 2007 teil­te er der Kläge­rin die Ab­leh­nung ih­rer Be­wer­bung schrift­lich mit.


Mit An­walts­schrei­ben vom 21. Fe­bru­ar 2007 ließ die Kläge­rin Scha­dens­er­satz- und Entschädi­gungs­ansprüche we­gen Be­nach­tei­li­gung auf­grund Re­li­gi­on und eth­ni­scher Her­kunft gel­tend ma­chen. Die­se Ansprüche wies der Be­klag­te mit Schrei­ben vom 1. März 2007 zurück. Den Entschädi­gungs­an­spruch ver­folgt die Kläge­rin mit ih­rer am 18. Mai 2007 beim
 


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Ar­beits­ge­richt Ham­burg ein­ge­gan­ge­nen und dem Be­klag­ten am 30. Mai 2007 zu­ge­stell­ten Kla­ge wei­ter.


Da­zu ver­tritt sie die An­sicht, we­gen ih­rer Nicht­zu­gehörig­keit zu ei­ner christ­li­chen Kir­che un­mit­tel­bar und we­gen ih­rer eth­ni­schen Her­kunft mit­tel­bar vom Be­klag­ten be­nach­tei­ligt wor­den zu sein, wes­we­gen ihr ein Entschädi­gungs­an­spruch von drei Mo­nats­gehältern in Höhe von je­weils ca. 1.300,00 Eu­ro brut­to zu­ste­he.


Von ei­ner un­mit­tel­ba­ren Be­nach­tei­li­gung we­gen der Re­li­gi­on sei aus­zu­ge­hen, da be­reits in der Stel­len­aus­schrei­bung die Zu­gehörig­keit zu ei­ner christ­li­chen Kir­che vor­aus­ge­setzt wor­den sei und die Mit­ar­bei­te­rin K des Be­klag­ten dies als un­be­ding­te Ein­stel­lungs­vor­aus­set­zung bestätigt ha­be. Die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le wei­se kei­nen re­li­giösen Be­zug auf. Da­her sei ei­ne Un­gleich­be­hand­lung we­gen der Re­li­gi­on nicht statt­haft. Bei richt­li­ni­en­kon­for­mer Aus­le­gung des § 9 AGG müsse bei der Beschäfti­gung durch Re­li­gi­ons­ge­mein­schaf­ten oder ih­nen zu­ge­ord­ne­te Ein­rich­tun­gen an­ge­sichts des Ethos der Or­ga­ni­sa­ti­on die Re­li­gi­on der Per­son nach Art der Tätig­keit oder der Umstände ih­rer Ausübung ei­ne we­sent­li­che, rechtmäßige und ge­recht­fer­tig­te be­ruf­li­che An­for­de­rung dar­stel­len. Auf ei­ne Stel­le oh­ne re­li­giösen Be­zug tref­fe dies nicht zu.


Auch ei­ne mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung we­gen ih­rer eth­ni­schen Her­kunft sei er­folgt. Weit über 90 % der türkischstämmi­gen Bevölke­rung gehöre zu­min­dest for­mal dem is­la­mi­schen Glau­ben an. Das Merk­mal der Zu­gehörig­keit zu ei­ner christ­li­chen Kir­che wir­ke sich mit­tel­bar als Be­nach­tei­li­gung auf­grund des Merk­mals der eth­ni­schen Her­kunft aus, da Per­so­nen türki­scher Her­kunft fast nie Mit­glied ei­ner christ­li­chen Kir­che sei­en.


Die Kläge­rin hat be­an­tragt, 


den Be­klag­ten zu ver­ur­tei­len, an sie ei­ne an­ge­mes­se­ne Entschädi­gung nach § 15 AGG zu zah­len, de­ren Höhe in das Er­mes­sen des Ge­richts ge­stellt wird.


Zur Be­gründung sei­nes An­tra­ges auf Kla­ge­ab­wei­sung hat der Be­klag­te die Auf­fas­sung ver­tre­ten, in Er­man­ge­lung ei­nes Hoch­schul­stu­di­ums sei die



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Kläge­rin be­reits ob­jek­tiv un­ge­eig­net für die zu be­set­zen­de Stel­le. Das ver­fas­sungs­recht­lich ga­ran­tier­te Selbst­be­stim­mungs­recht der Kir­chen um­fas­se die Be­fug­nis, bei Stel­len­aus­schrei­bun­gen die Re­li­gi­ons­zu­gehörig­keit zur Ein­stel­lungs­vor­aus­set­zung zu er­he­ben.

Das Ar­beits­ge­richt hat der Kla­ge statt­ge­ge­ben. Die Be­ru­fung des Be­klag­ten hat­te vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt Er­folg. Mit der vom Se­nat zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt die Kläge­rin die Wie­der­her­stel­lung des erst­in­stanz­li­chen Ur­teils.


Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on der Kläge­rin ist nicht be­gründet. Ihr steht der gel­tend ge­mach­te Entschädi­gungs­an­spruch nicht zu.

A. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat sei­ne Ent­schei­dung im We­sent­li­chen wie folgt be­gründet: Da die Kläge­rin auf­grund ih­rer feh­len­den Qua­li­fi­ka­ti­on schon kei­ne ge­eig­ne­te Be­wer­be­rin ge­we­sen sei, ha­be sie auch nicht we­gen ei­nes un­zulässi­gen Merk­mals iSd. § 1 AGG be­nach­tei­ligt wer­den können. Be­reits zu § 611a BGB aF sei in Li­te­ra­tur und Recht­spre­chung an­er­kannt wor­den, dass in ei­nem Stel­len­be­set­zungs­ver­fah­ren der­je­ni­ge be­nach­tei­ligt wer­den könne, der ob­jek­tiv für die zu be­set­zen­de Stel­le über­haupt in Be­tracht kom­me und sich sub­jek­tiv ernst­haft um die­se be­wor­ben ha­be. Auch nach In­kraft­tre­ten des AGG müsse der Be­wer­ber als ob­jek­tiv un­ge­eig­net an­ge­se­hen wer­den, der die in der Stel­len­aus­schrei­bung vom Ar­beit­ge­ber ge­setz­ten An­for­de­run­gen nicht erfülle. Maßgeb­lich sei die Stel­len­aus­schrei­bung. We­der könne der Ar­beit­ge­ber später wei­te­re Vor­aus­set­zun­gen nach­schie­ben noch sei in An­be­tracht der Or­ga­ni­sa­ti­ons­ge­walt des Ar­beit­ge­bers zu über­prüfen, ob die An­for­de­run­gen der Stel­len­aus­schrei­bung für die zu be­set­zen­de Stel­le tatsächlich zwin­gend er­for­der­lich sei­en.

Die Stel­len­aus­schrei­bung des Be­klag­ten hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt da­hin aus­ge­legt, dass nach ihr ein ab­ge­schlos­se­nes Stu­di­um zwin­gen­de
 


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Vor­aus­set­zung ge­we­sen sei. Der re­la­ti­vie­ren­de Klam­mer­zu­satz „o. Ä.“ ha­be sich nicht auf das Stu­di­um an sich, son­dern auf die mit der Aus­schrei­bung an­ge­spro­che­ne Fach­rich­tung ei­nes Stu­di­ums be­zo­gen. Als aus­ge­bil­de­te Rei­se­ver­kehrs­kauf­frau sei die Kläge­rin we­der So­zi­alpädago­gin noch ha­be sie ein Stu­di­um ab­sol­viert. Sie be­sit­ze nicht ein­mal die Hoch­schul­rei­fe. Da­mit wei­che ih­re Qua­li­fi­ka­ti­on so­gar er­heb­lich von den aus­ge­schrie­be­nen Ein­stel­lungs­kri­te­ri­en ab, dass von ei­ner ob­jek­ti­ven Eig­nung auch un­ge­ach­tet ih­rer sons­ti­gen in den letz­ten Jah­ren er­wor­be­nen Qua­li­fi­ka­tio­nen für die The­men­be­rei­che Mi­gra­ti­on, Ar­beits­markt und In­ter­kul­tu­ra­lität nicht die Re­de sein könne. Die­se Qua­li­fi­ka­tio­nen könn­ten ein ab­ge­schlos­se­nes Hoch­schul­stu­di­um nicht er­set­zen. An­ge­sichts des aus der Stel­len­aus­schrei­bung er­sicht­li­chen Tätig­keits­be­reichs sei es auch nicht willkürlich, wenn der Be­klag­te ein Hoch­schul­stu­di­um zur Ein­stel­lungs­vor­aus­set­zung ge­macht ha­be. An die­ses von ihm auf­ge­stell­te An­for­de­rungs­pro­fil ha­be er sich bei der Ein­stel­lung auch ge­hal­ten. Die te­le-fo­ni­sche Be­mer­kung der Mit­ar­bei­te­rin K, die Be­wer­bung der Kläge­rin sei sehr in­ter­es­sant, stel­le kein aus­rei­chen­des In­diz für die Be­reit­schaft des Be­klag­ten dar, von den auf­ge­stell­ten Ein­stel­lungs­vor­aus­set­zun­gen ab­wei­chen zu wol­len. Da nicht Frau K, son­dern Herr Dr. H die Ein­stel­lungs­ent­schei­dung ge­trof­fen ha­be, spiel­ten Vor­stel­lun­gen von Frau K über die Ein­stel­lungs­chan­cen der Kläge­rin kei­ne Rol­le.

B. Dem folgt der Se­nat im Er­geb­nis. Die Kläge­rin hat kei­nen Entschädi­gungs­an­spruch nach § 15 Abs. 2 AGG we­gen Be­nach­tei­li­gung aus ei­nem der in § 1 AGG ge­nann­ten Gründe.


I. Streit­ge­gen­stand ist der An­spruch der Kläge­rin auf Zah­lung ei­ner Entschädi­gung we­gen ei­nes im­ma­te­ri­el­len Scha­dens.

1. Ei­nen auf die Er­stat­tung ei­nes Vermögens­scha­dens ge­rich­te­ten Scha­dens­er­satz­an­spruch macht die Kläge­rin nicht gel­tend. In­so­weit ist der An­trag der Kläge­rin ein­deu­tig und ei­ner Aus­le­gung nicht zugäng­lich. Die mo­nat­li­che Vergütung iHv. 1.300,00 Eu­ro brut­to führt sie er­sicht­lich nur an, um ei­ne Größen­ord­nung für die Höhe der in das Er­mes­sen des Ge­richts ge­stell­ten Entschädi­gung vor­zu­ge­ben.


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2. Der auf Zah­lung ei­ner Entschädi­gung ge­rich­te­te Kla­ge­an­trag ist zulässig, ins­be­son­de­re hin­rei­chend be­stimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Dem steht nicht ent­ge­gen, dass die Kläge­rin die Höhe der von ihr be­gehr­ten Entschädi­gung in das Er­mes­sen des Ge­richts ge­stellt hat. Die­se Möglich­keit eröff­net be­reits der Wort­laut des § 15 Abs. 2 AGG. Den Ge­rich­ten wird da­mit hin­sicht­lich der Höhe der Entschädi­gung ein Be­ur­tei­lungs­spiel­raum ein­geräumt (BT-Drucks. 16/1780 S. 38). Hängt die Be­stim­mung ei­nes Be­tra­ges vom bil­li­gen Er­mes­sen des Ge­richts ab, ist ein un­be­zif­fer­ter Zah­lungs­an­trag zulässig. Die Kläge­rin hat auch Tat­sa­chen be­nannt, die das Ge­richt bei der Be­stim­mung des Be­tra­ges her­an­zie­hen soll und die Größen­ord­nung der gel­tend ge­mach­ten For­de­rung an­ge­ge­ben (BAG 28. Mai 2009 - 8 AZR 536/08 - Rn. 17 f., AP AGG § 8 Nr. 1 = EzA AGG § 8 Nr. 1; 16. Sep­tem­ber 2008 - 9 AZR 791/07 - Rn. 18, BA­GE 127, 367 = AP SGB IX § 81 Nr. 15 = EzA SGB IX § 81 Nr. 17; 24. April 2008 - 8 AZR 257/07 - Rn. 17, AP AGG § 33 Nr. 2 = EzA BGB 2002 § 611a Nr. 6).


3. Die Fris­ten zur Gel­tend­ma­chung ei­nes Entschädi­gungs­an­spruchs (§ 15 Abs. 4 AGG) und zur Kla­ge­er­he­bung (§ 61b Abs. 1 ArbGG) hat die Kläge­rin ein­ge­hal­ten.


a) Das am 18. Au­gust 2006 in Kraft ge­tre­te­ne AGG fin­det auf den Streit­fall An­wen­dung. Maßgeb­lich kommt es auf den Zeit­punkt der Be­nach­tei­li­gungs­hand­lung an (BAG 21. Ju­li 2009 - 9 AZR 431/08 - Rn. 15 mwN, AP SGB IX § 82 Nr. 1 = EzA SGB IX § 82 Nr. 1). Der frühes­te An­knüpfungs­punkt für ei­ne Be­nach­tei­li­gungs­hand­lung, die Stel­len­aus­schrei­bung, da­tiert vom 30. No­vem­ber 2006.


b) Die Ab­leh­nung der Be­wer­bung wur­de der Kläge­rin durch das Schrei­ben des Be­klag­ten vom 6. Fe­bru­ar 2007 mit­ge­teilt. Mit An­walts­schrei­ben vom 21. Fe­bru­ar 2007 ließ sie Ansprüche nach § 15 Abs. 1 und Abs. 2 AGG gel­tend ma­chen. Da­mit hat­te sie die Zwei­mo­nats­frist für die schrift­li­che Gel­tend­ma­chung nach § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG ge­wahrt. Ei­nen be­zif­fer­ten Entschädi­gungs­be­trag muss­te sie nicht gel­tend ma­chen (BAG 18. No­vem­ber 2008 - 9 AZR 643/07 - Rn. 43, AP SGB IX § 81 Nr. 16 = EzA SGB IX § 81 Nr. 19;

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15. Fe­bru­ar 2005 - 9 AZR 635/03 - BA­GE 113, 361 = AP SGB IX § 81 Nr. 7 = EzA SGB IX § 81 Nr. 6).

c) Die am 18. Mai 2007 durch Fax beim Ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­ne Kla­ge, die dem Be­klag­ten am 30. Mai 2007 zu­ge­stellt wur­de, wahr­te die Drei­mo­nats­frist des § 61b Abs. 1 ArbGG (§ 253 Abs. 1 ZPO).

II. Die Kläge­rin hat je­doch kei­nen An­spruch auf Zah­lung ei­ner Entschädi­gung aus § 15 Abs. 2 AGG, weil sie we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des be­nach­tei­ligt wor­den wäre, § 7 Abs. 1 AGG.

1. Die Kläge­rin fällt als „Beschäftig­te“ iSd. AGG un­ter den persönli­chen An­wen­dungs­be­reich des Ge­set­zes.

Nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG gel­ten als Beschäftig­te auch Be­wer­be­rin­nen und Be­wer­ber für ein Beschäfti­gungs­verhält­nis. Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 AGG ist Ar­beit­ge­ber im Sin­ne des Ge­set­zes, wer „Per­so­nen nach Abs. 1“ des § 6 AGG „beschäftigt“. Ar­beit­ge­ber ist al­so je­den­falls der­je­ni­ge, der um Be­wer­bun­gen für ein von ihm an­ge­streb­tes Beschäfti­gungs­verhält­nis bit­tet.

a) Die Ernst­haf­tig­keit der Be­wer­bung der Kläge­rin steht nicht in Fra­ge. Dass sich die Kläge­rin sub­jek­tiv ernst­haft um die von dem Be­klag­ten aus­ge­schrie­be­ne Stel­le be­wor­ben hat, ist zwi­schen den Par­tei­en we­der um­strit­ten noch sind nach den Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts In­di­zi­en er­kenn­bar, die ge­gen die Ernst­haf­tig­keit ih­rer Be­wer­bung spre­chen und na­he­le­gen könn­ten, in Wirk­lich­keit ha­be sie nur ei­ne Entschädi­gung an­ge­strebt (vgl. BAG 21. Ju­li 2009 - 9 AZR 431/08 - Rn. 49 f. mwN, AP SGB IX § 82 Nr. 1 = EzA SGB IX § 82 Nr. 1).


b) Ei­ne of­fen­sicht­li­che Über- oder Nicht­qua­li­fi­ka­ti­on der Kläge­rin kann we­gen ih­rer un­strit­tig ge­sam­mel­ten Er­fah­run­gen in den Be­rei­chen Mi­gra­ti­on und In­te­gra­ti­on nicht an­ge­nom­men wer­den. Im Übri­gen ist die ob­jek­ti­ve Eig­nung ei­ner Be­wer­be­rin kei­ne Vor­aus­set­zung für ih­re Ak­tiv­le­gi­ti­ma­ti­on bezüglich der Ansprüche nach § 15 AGG (BAG 18. März 2010 - 8 AZR 77/09 - Rn. 16, AP AGG § 8 Nr. 2 = EzA AGG § 8 Nr. 2). Für den Sta­tus als Be­wer­be­rin
 


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kommt es nicht dar­auf an, ob die Kläge­rin für die von dem Be­klag­ten aus-ge­schrie­be­ne Tätig­keit ob­jek­tiv ge­eig­net war, so­fern nicht ein kras­ses Miss­verhält­nis zwi­schen An­for­de­rungs­pro­fil der zu ver­ge­ben­den Stel­le und Qua­li­fi­ka­ti­on des Be­wer­bers ge­ra­de die Ernst­haf­tig­keit sei­ner Be­wer­bung in Fra­ge ste­hen lässt.


c) Der Be­klag­te ist als An­spruchs­geg­ner nach § 15 Abs. 2 iVm. § 6 Abs. 2 AGG pas­siv­le­gi­ti­miert, denn als ein­ge­tra­ge­ner Ver­ein ist er ei­ne ju­ris­ti­sche Per­son und beschäftigt Ar­beit­neh­mer iSd. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AGG, weil er um Be­wer­bun­gen für die von ihm aus­ge­schrie­be­ne Stel­le ge­be­ten hat.


2. Der Be­klag­te hat nicht ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot des § 7 Abs. 1 iVm. § 1 AGG ver­s­toßen. Denn die Kläge­rin hat nicht we­gen der Re­li­gi­on ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung iSd. § 3 Abs. 1 AGG er­lit­ten.


a) Ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung iSd. § 3 Abs. 1 AGG liegt vor, wenn ei­ne Per­son we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung erfährt als ei­ne an­de­re Per­son in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on erfährt, er­fah­ren hat oder er­fah­ren würde, wo­bei die sich nach­tei­lig aus­wir­ken­de Maßnah­me di­rekt an das ver­bo­te­ne Merk­mal an­knüpfen muss (BAG 14. Au­gust 2007 - 9 AZR 943/06 - BA­GE 123, 358 = AP AGG § 33 Nr. 1 = EzA BGB 2002 § 611a Nr. 5).

b) Die Kläge­rin wur­de ungüns­ti­ger be­han­delt als tatsächli­che oder po­ten­ti­el­le an­de­re Be­wer­ber, denn ih­re Be­wer­bung wur­de ab­ge­lehnt, oh­ne dass sie zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ein­ge­la­den wur­de. Die­se Ver­sa­gung der Chan­ce auf Ein­stel­lung stellt ei­ne ungüns­ti­ge Be­hand­lung dar, wo­bei es nicht dar­auf an­kommt, ob oh­ne die­se Be­hand­lung ei­ne Ein­stel­lung er­folgt wäre (BAG 28. Mai 2009 - 8 AZR 536/08 - AP AGG § 8 Nr. 1 = EzA AGG § 8 Nr. 1; vgl. auch BVerfG 16. No­vem­ber 1993 - 1 BvR 258/86 - BVerfGE 89, 276).


c) Die ungüns­ti­ge­re Be­hand­lung der Kläge­rin er­folg­te je­doch in kei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on iSd. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG.
 


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aa) Das Vor­lie­gen ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on setzt vor­aus, dass die Kläge­rin ob­jek­tiv für die Stel­le ei­ner So­zi­alpädago­gin in dem Teil­pro­jekt „In­te­gra­ti­ons­lot­se Ham­burg“ ge­eig­net war, denn ver­gleich­bar (nicht: gleich!) ist die Aus­wahl­si­tua­ti­on nur für Ar­beit­neh­mer, die glei­cher­maßen die ob­jek­ti­ve Eig­nung für die zu be­set­zen­de Stel­le auf­wei­sen (BAG 18. März 2010 - 8 AZR 77/09 - Rn. 22, AP AGG § 8 Nr. 2 = EzA AGG § 8 Nr. 2). Im über­wie­gen­den Schrift­tum zum AGG, aber auch in der Recht­spre­chung des Se­nats wird für das Vor­lie­gen ei­ner Be­nach­tei­li­gung ver­langt, dass ei­ne Per­son, die an sich für die Tätig­keit ge­eig­net wäre, nicht aus­gewählt oder schon nicht in Be­tracht ge­zo­gen wur­de (BAG 5. Fe­bru­ar 2004 - 8 AZR 112/03 - BA­GE 109, 265 = AP BGB § 611a Nr. 23 = EzA BGB 2002 § 611a Nr. 3; Däubler/Bertz­bach/Däubler AGG 2. Aufl. § 7 Rn. 9; Adom­eit/Mohr Kom­m­AGG § 22 Rn. 27; ErfK/Schlach­ter 10. Aufl. § 6 AGG Rn. 3; aA: vgl. Schiek/Ko­cher AGG § 22 Rn. 25, § 3 Rn. 7; LAG Ber­lin-Bran­den­burg 26. No­vem­ber 2008 - 15 Sa 517/08 - LA­GE AGG § 22 Nr. 1). Könn­te auch ein ob­jek­tiv un­ge­eig­ne­ter Be­wer­ber im­ma­te­ri­el­le Entschädi­gung nach § 15 Abs. 2 AGG ver­lan­gen, stünde dies nicht im Ein­klang mit dem Schutz­zweck des AGG. Das AGG will vor un­ge­recht­fer­tig­ter Be­nach­tei­li­gung schützen, nicht ei­ne un­red­li­che Ge­sin­nung des (po­ten­ti­el­len) Ar­beit­ge­bers sank­tio­nie­ren. Die ob­jek­ti­ve Eig­nung ist al­so kei­ne un­ge­schrie­be­ne Vor­aus­set­zung der Be­wer­be­rei­gen­schaft, son­dern Kri­te­ri­um der „ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on“ iSd. § 3 Abs. 1 AGG (BAG 18. März 2010 - 8 AZR 77/09 - aaO).


bb) Maßgeb­lich für die ob­jek­ti­ve Eig­nung ist da­bei nicht das for­mel­le An­for­de­rungs­pro­fil, wel­ches der Ar­beit­ge­ber er­stellt hat, son­dern die An­for­de­run­gen, die an die je­wei­li­ge Tätig­keit nach der im Ar­beits­le­ben herr­schen­den Ver­kehrs­an­schau­ung ge­stellt wer­den (BAG 18. März 2010 - 8 AZR 77/09 - Rn. 22, AP AGG § 8 Nr. 2 = EzA AGG § 8 Nr. 2; Bau­er/Göpfert/Krie­ger AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 15, an­ders aber § 6 Rn. 10; Däubler/Bertz­bach/Däubler § 7 Rn. 9).

cc) Die ob­jek­ti­ve Eig­nung ist zu tren­nen von der in­di­vi­du­el­len fach­li­chen und persönli­chen Qua­li­fi­ka­ti­on des Be­wer­bers (eben­so Bau­er/Göpfert/Krie­ger

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§ 3 Rn. 15, 18; ähn­lich Däubler/Bertz­bach/Däubler aaO), die nur als Kri­te­ri­um der Aus­wah­l­ent­schei­dung auf der Ebe­ne der Kau­sa­lität zwi­schen Be­nach­tei­li­gung und ver­bo­te­nem Merk­mal ei­ne Rol­le spielt (eben­so mit an­de­rem Aus­gangs­punkt: Schiek/Ko­cher § 22 Rn. 24, 25). Da­mit ist gewähr­leis­tet, dass der Ar­beit­ge­ber über den der Stel­le zu­ge­ord­ne­ten Auf­ga­ben­be­reich frei zu ent­schei­den hat, wie Art. 12 Abs. 1 GG es ge­bie­tet (BAG 28. Mai 2009 - 8 AZR 536/08 - mwN, AP AGG § 8 Nr. 1 = EzA AGG § 8 Nr. 1), aber nicht durch das Stel­len hierfür nicht er­for­der­li­cher An­for­de­run­gen an Be­wer­ber die Ver­gleich­bar­keit der Si­tua­ti­on selbst ge­stal­ten und den Schutz des AGG de fac­to be-sei­ti­gen kann (vgl. Voigt in Schleu­se­ner/Suckow/Voigt AGG 2. Aufl. § 15 Rn. 36; Däubler/Bertz­bach/Däubler aaO, die des­halb ein er­heb­li­ches bzw. of­fen­kun­di­ges Eig­nungs­de­fi­zit ver­lan­gen). Be­wer­ber, wel­che die auf der zu be­set­zen­den Stel­le aus­zuüben­den Tätig­kei­ten grundsätz­lich ver­rich­ten können, oh­ne aber je­de Vor­aus­set­zung des An­for­de­rungs­pro­fils zu erfüllen, bedürfen des Schut­zes vor Dis­kri­mi­nie­rung, weil ge­ra­de An­for­de­rungs­pro­fi­le in Stel­len­an­zei­gen häufig Qua­li­fi­ka­tio­nen be­nen­nen, de­ren Vor­han­den­sein der Ar­beit­ge­ber sich für den Ide­al­fall zwar wünscht, die aber kei­nes­falls zwin­gen­de Vor­aus­set­zung ei­ner er­folg­rei­chen Be­wer­bung sind.

dd) So­weit das Lan­des­ar­beits­ge­richt die ob­jek­ti­ve Eig­nung der Kläge­rin ver­neint hat, hält dies un­ter Be­ach­tung der dar­ge­leg­ten Maßstäbe ei­ner re­vi­si­ons­recht­li­chen Prüfung stand. Die Kläge­rin ist kei­ne ob­jek­tiv ge­eig­ne­te Be­wer­be­rin, da das in der Stel­len­aus­schrei­bung ge­for­der­te ab­ge­schlos­se­ne Stu­di­um der „So­zi­al­wis­sen­schaft/So­zi­alpädago­gik (o. Ä.)“ für die vor­ge­se­he­ne Tätig­keit nach der im Ar­beits­le­ben herr­schen­den Ver­kehrs­an­schau­ung tatsächlich ge­bo­ten ist.


Da­bei kann auf­grund ih­res Be­wer­bungs­schrei­bens da­von aus­ge­gan­gen wer­den, dass die Kläge­rin mit Aus­nah­me ei­nes ab­ge­schlos­se­nen Stu­di­ums über die wei­te­ren in der Stel­len­aus­schrei­bung ge­for­der­ten Er­fah­run­gen und Kom­pe­ten­zen verfügt.

Der in der Aus­schrei­bung dar­ge­leg­te Tätig­keits­be­reich um­fasst den in­halt­li­chen Aus­bau der Ru­brik „Fach­in­for­ma­tio­nen“ auf www.i.de, die Er­stel­lung
 


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von In­for­ma­ti­ons­ma­te­ri­al, die Vor­be­rei­tung und Durchführung von Ver­an­stal­tun­gen so­wie die Ar­beit in den Struk­tu­ren und Gre­mi­en des Fach­be­reichs Mi­gra­ti­on und Exis­tenz­si­che­rung und recht­fer­tigt die For­de­rung nach ei­nem Stu­di­um in den Fächern So­zi­al­wis­sen­schaft oder So­zi­alpädago­gik oder ei­nem ver­gleich­ba­ren Stu­di­en­gang. Dies gilt im Be­son­de­ren, da das Teil­pro­jekt „In­te­gra­ti­ons­lot­se Ham­burg“ ein Schu­lungs- und In­for­ma­ti­ons­an­ge­bot für Mul­ti­pli­ka­to­rin­nen und Mul­ti­pli­ka­to­ren im Be­reich der be­ruf­li­chen In­te­gra­ti­on von er­wach­se­nen Mi­gran­tin­nen und Mi­gran­ten dar­stellt. Schu­lungs- und In­for­ma­ti­ons­an­ge­bo­te, die für Mul­ti­pli­ka­to­ren be­stimmt sind, müssen in be­son­de­rer Wei­se pädago­gi­schen, di­dak­ti­schen und in­halt­li­chen Ansprüchen genügen, um die Mul­ti­pli­ka­to­ren zu befähi­gen, fun­dier­te Kennt­nis­se er­folg­reich wei­ter­ge­ben zu können. Für die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le ist das Er­for­der­nis ei­nes ab­ge­schlos­se­nen Stu­di­ums in dem Be­reich So­zi­al­wis­sen­schaft/So­zi­alpädago­gik nach der im Ar­beits­le­ben herr­schen­den Ver­kehrs­an­schau­ung ein ge­bo­te­nes Kri­te­ri­um, da nur die­ses si­cher gewähr­leis­tet, dass der Be­wer­ber mit den theo­re­ti­schen Grund­la­gen ver­traut ist, wel­che die Stel­le tatsächlich er­for­dert. Die breit an­ge­leg­ten und um­fas­send im Stu­di­um ver­mit­tel­ten Kennt­nis­se si­chern die Qua­lität der Auf­ga­ben­wahr­neh­mung im Rah­men der Stel­le. Zwar ist es denk­bar, dass sich ein Be­wer­ber die in ei­nem Stu­di­um ver­mit­tel­ten Kennt­nis­se auch an­der­wei­tig an­eig­net. Der Stu­di­en­ab­schluss ist je­doch für ei­nen Ar­beit­ge­ber re­gelmäßig der verläss­lichs­te An­knüpfungs­punkt dafür, dass der Be­wer­ber tatsächlich die er­for­der­li­chen Kennt­nis­se be­sitzt. Der Be­klag­te konn­te um so mehr die­se Qua­li­fi­ka­ti­on zur Ein­stel­lungs­vor­aus­set­zung ma­chen, als sich un­ter den durch das Teil­pro­jekt „In­te­gra­ti­ons­lot­se Ham­burg“ an­ge­spro­che­nen Mul­ti­pli­ka­to­rin­nen und Mul­ti­pli­ka­to­ren So­zi­alpädago­gin­nen und So­zi­alpädago­gen mit ab­ge­schlos­se­nem (Fach-)Hoch­schul­stu­di­um be­fin­den konn­ten.


Da die Kläge­rin ein Stu­di­um in den Fächern So­zi­al­wis­sen­schaft, So­zi­alpädago­gik oder in ei­nem ver­gleich­ba­ren Fach we­der ab­sol­viert noch ab­ge­schlos­sen hat, erfüllt sie ob­jek­tiv nicht die für die Stel­le er­for­der­li­che Qua­li­fi­ka­ti­on des ab­ge­schlos­se­nen Stu­di­ums in den be­zeich­ne­ten Fächern.



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Da­mit ist sie ge­genüber der be­vor­zug­ten Be­wer­be­rin nicht iSd. § 3 Abs. 1 AGG „in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on“ ungüns­ti­ger be­han­delt wor­den.


ee) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat bei sei­ner Ent­schei­dung auch nicht den An­spruch der Kläge­rin auf recht­li­ches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ver­letzt. Die ent­spre­chen­den Ver­fah­rensrügen der Kläge­rin sind un­be­gründet. Zwar hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt die feh­len­de Hoch­schul­rei­fe der Kläge­rin im Tat­be­stand fest­ge­stellt und bei der Be­gründung sei­ner Ent­schei­dung erwähnt. Er­sicht­lich hat es aber ent­schei­dend auf das feh­len­de Hoch­schul­stu­di­um als in der Stel­len­aus­schrei­bung erwähl­tes und sach­lich ge­recht­fer­tig­tes Qua­li­fi­ka­ti­ons­merk­mal ab­ge­stellt. Auch muss­te das Lan­des­ar­beits­ge­richt nicht dar­auf hin­wei­sen, dass es in­so­weit den Sach­ver­halt an­ders würdigt als das erst­in­stanz­li­che Ge­richt. Die Ver­fah­rens­be­tei­lig­ten ver­moch­ten bei An­wen­dung der von ih­nen zu ver­lan­gen­den Sorg­falt zu er­ken­nen, auf wel­chen Tat­sa­chen­vor­trag es für die Ent­schei­dung an­kom­men kann. Der Be­klag­te hat­te be­reits mit der Be­ru­fungs­be­gründung vor­ge­tra­gen, die Kläge­rin sei ob­jek­tiv nicht für die Stel­le ge­eig­net ge­we­sen (dort S. 15 ff.). Dem ist die Kläge­rin ih­rer­seits mit der Be­ru­fungs­er­wi­de­rung ent­ge­gen­ge­tre­ten (dort S. 5). Da­ge­gen ver­langt Art. 103 Abs. 1 GG nicht, dass ein Ge­richt vor Schluss der münd­li­chen Ver­hand­lung auf sei­ne Rechts­auf­fas­sung hin­weist. An­halts­punk­te dafür, dass das Lan­des­ar­beits­ge­richt An­for­de­run­gen an den Sach­vor­trag der Par­tei­en ge­stellt hätte, mit de­nen auch ein ge­wis­sen­haf­ter und kun­di­ger Pro­zess­be­tei­lig­ter - selbst un­ter Berück­sich­ti­gung der Viel­falt ver­tret­ba­rer Rechts­auf­fas­sun­gen - nach dem bis­he­ri­gen Pro­zess­ver­lauf nicht zu rech­nen brauch­te, sind we­der dem an­ge­foch­te­nen Ur­teil noch dem sons­ti­gen Ak­ten­in­halt zu ent­neh­men (vgl. BVerfG 29. Mai 1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188, 190).

d) Von dem mit der Stel­len­aus­schrei­bung zu Recht ge­for­der­ten Qua­li­fi­ka­ti­ons­merk­mal ei­nes ab­ge­schlos­se­nen Stu­di­ums der So­zi­al­wis­sen­schaf­ten ist der Be­klag­te bei der tatsächlich vor­ge­nom­me­nen Ein­stel­lung nicht ab-ge­wi­chen. Die be­vor­zug­te Be­wer­be­rin F hat mit der Di­plom­prüfung ihr Hoch­schul­stu­di­um im Fach So­zi­al­wis­sen­schaf­ten er­folg­reich ab­ge­schlos­sen. Sie erfüllt das nach der Ver­kehrs­an­schau­ung ge­bo­te­ne Er­for­der­nis der Stel­len­aus-
 


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schrei­bung. Die Würdi­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, der Be­klag­te ha­be auch im Rah­men des Be­wer­bungs­ver­fah­rens kei­ne Be­reit­schaft be­kun­det, von den auf­ge­stell­ten Ein­stel­lungs­vor­aus­set­zun­gen ab­zu­wei­chen, ist re­vi­si­ons­recht­lich nicht zu be­an­stan­den. Die Par­tei­en ha­ben in der Be­ru­fungs­ver­hand­lung un­strei­tig ge­stellt, dass nicht Frau K, son­dern Herr Dr. H die Aus­wah­l­ent­schei­dung ge­trof­fen hat. Es liegt im Be­ur­tei­lungs­spiel­raum der Tat­sa­chen­rich­ter, da­nach der Äußerung der Mit­ar­bei­te­rin K des Be­klag­ten, die Be­wer­bung der Kläge­rin sei „sehr in­ter­es­sant“ kei­ne Erklärung des Be­klag­ten mit dem In­halt zu ent­neh­men, er wol­le von den auf­ge­stell­ten Ein­stel­lungs­vor­aus­set­zun­gen ab­wei­chen.


3. Da die Kläge­rin nicht in ei­ner „ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on“ iSd. § 3 AGG un­mit­tel­bar oder mit­tel­bar ungüns­ti­ger be­han­delt wor­den ist, kann es da­hin-ste­hen, ob die un­ter­schied­li­che Be­hand­lung zulässig iSd. §§ 8, 9 AGG ge­we­sen wäre.

C. Die Kläge­rin hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kos­ten ih­rer er­folg­lo­sen Re­vi­si­on zu tra­gen.

Hauck 

Der Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Böck ist we­gen Ur­laub an der Un­ter­schrifts­leis­tung ver­hin­dert. Hauck 

Brein­lin­ger

Brück­mann 

Schulz

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