HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

EuGH, Ur­teil vom 16.07.2015, C-222/14 - Maist­rel­lis

   
Schlagworte: Elternzeit, Diskriminierung: Geschlecht
   
Gericht: Europäischer Gerichtshof
Aktenzeichen: C-222/14
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 16.07.2015
   
Leitsätze: Die Bestimmungen der Richtlinie 96/34/EG des Rates vom 3. Juni 1996 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Elternurlaub in der durch die Richtlinie 97/75/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 geänderten Fassung und der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der einem Beamten das Recht auf Elternurlaub vorenthalten wird, wenn seine Ehegattin nicht erwerbstätig ist oder keinerlei Berufstätigkeit ausübt, es sei denn, sie kann wegen einer schweren Erkrankung oder Verletzung den Erfordernissen der Kinderbetreuung nicht nachkommen.
Vorinstanzen: Symvoulio tis Epikrateias (Griechenland)
   

UR­TEIL DES GERICH­TSHOFS (Vier­te Kam­mer)

16. Ju­li 2015(*)

„Vor­la­ge zur Vor­ab­ent­schei­dung – So­zi­al­po­li­tik – Richt­li­nie 96/34/EG – Rah­men­ver­ein­ba­rung über den El­tern­ur­laub – Pa­ra­graf 2 Nr. 1 – In­di­vi­du­el­les Recht auf El­tern­ur­laub im Fall der Ge­burt ei­nes Kin­des – Na­tio­na­le Re­ge­lung, die ei­nem Be­am­ten, des­sen Ehe­gat­tin nicht er­werbstätig ist, das Recht auf El­tern­ur­laub vor­enthält – Richt­li­nie 2006/54/EG – Gleich­be­hand­lung von Männern und Frau­en in Ar­beits- und Beschäfti­gungs­fra­gen – Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und Art. 14 Abs. 1 Buchst. c – Ar­beits­be­din­gun­gen – Un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung“

In der Rechts­sa­che C-222/14

be­tref­fend ein Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen nach Art. 267 AEUV, ein­ge­reicht vom Sym­vou­lio tis Epik­ra­tei­as (Grie­chen­land) mit Ent­schei­dung vom 20. März 2014, beim Ge­richts­hof ein­ge­gan­gen am 7. Mai 2014, in dem Ver­fah­ren

Kon­stan­ti­nos Maïstrel­lis

ge­gen

Ypo­ur­gos Di­kaio­syn­is, Diafanei­as kai An­thro­pi­non Di­kaio­ma­ton

erlässt

DER GERICH­TSHOF (Vier­te Kam­mer)

un­ter Mit­wir­kung des Kam­mer­präsi­den­ten L. Bay Lar­sen, der Rich­te­rin K. Jürimäe, der Rich­ter J. Ma­le­n­ovský und M. Saf­jan (Be­richt­er­stat­ter) so­wie der Rich­te­rin A. Prechal,

Ge­ne­ral­anwältin: J. Ko­kott,

Kanz­ler: A. Ca­lot Es­co­bar,

auf­grund des schrift­li­chen Ver­fah­rens,

un­ter Berück­sich­ti­gung der Erklärun­gen

- von Herrn Maïstrel­lis, im Bei­stand von K. Dak­ty­li­di, di­ki­go­ros,

- der grie­chi­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch V. Ka­ra­ge­or­gos, I. Ba­ko­pou­los und S. Lekkou als Be­vollmäch­tig­te,

- der Eu­ropäischen Kom­mis­si­on, ver­tre­ten durch M. Pa­ta­kia und D. Rouss­a­nov als Be­vollmäch­tig­te,

nach Anhörung der Schluss­anträge der Ge­ne­ral­anwältin in der Sit­zung vom 16. April 2015

fol­gen­des

Ur­teil

1 Das Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen be­trifft die Aus­le­gung der Richt­li­nie 96/34/EG des Ra­tes vom 3. Ju­ni 1996 zu der von UN­ICE, CEEP und EGB ge­schlos­se­nen Rah­men­ver­ein­ba­rung über El­tern­ur­laub (ABl. L 145, S. 4) in der durch die Richt­li­nie 97/75/EG des Ra­tes vom 15. De­zem­ber 1997 (ABl. 1998, L 10, S. 24) geänder­ten Fas­sung (im Fol­gen­den: Richt­li­nie 96/34) und der Richt­li­nie 2006/54/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 5. Ju­li 2006 zur Ver­wirk­li­chung des Grund­sat­zes der Chan­cen­gleich­heit und Gleich­be­hand­lung von Männern und Frau­en in Ar­beits- und Beschäfti­gungs­fra­gen (ABl. L 204, S. 23).
2 Die­ses Er­su­chen er­geht im Rah­men ei­nes Rechts­streits zwi­schen Herrn Maïstrel­lis und dem Ypo­ur­gos Di­kaio­syn­is, Diafanei­as kai An­thro­pi­non Di­kaio­ma­ton (Mi­nis­ter für Jus­tiz, Trans­pa­renz und Men­schen­rech­te) we­gen des­sen Wei­ge­rung, dem Be­trof­fe­nen El­tern­ur­laub zu gewähren, weil sei­ne Ehe­gat­tin nicht er­werbstätig ist.

Recht­li­cher Rah­men

Uni­ons­recht

Richt­li­nie 96/34

3 Mit der Richt­li­nie 96/34, die nach Art. 4 der Richt­li­nie 2010/18/EU des Ra­tes vom 8. März 2010 zur Durchführung der von BUSI­NESS­EU­RO­PE, UE­AP­ME, CEEP und EGB ge­schlos­se­nen übe­r­ar­bei­te­ten Rah­men­ver­ein­ba­rung über den El­tern­ur­laub und zur Auf­he­bung der Richt­li­nie 96/34 (ABl. L 68, S. 13) mit Wir­kung vom 8. März 2012 auf­ge­ho­ben wur­de, soll­te nach ih­rem Art. 1 die am 14. De­zem­ber 1995 zwi­schen den eu­ropäischen So­zi­al­part­nern - nämlich der Ver­ei­ni­gung der In­dus­trie- und Ar­beit­ge­ber­verbände Eu­ro­pas (UN­ICE), dem Eu­ropäischen Zen­tral­ver­band der öffent­li­chen Wirt­schaft (CEEP) und dem Eu­ropäischen Ge­werk­schafts­bund (EGB) - ge­schlos­se­ne Rah­men­ver­ein­ba­rung über El­tern­ur­laub im An­hang die­ser Richt­li­nie (im Fol­gen­den: Rah­men­ver­ein­ba­rung) durch­geführt wer­den.
4 In Abs. 1 der Präam­bel der Rah­men­ver­ein­ba­rung hieß es:

„Die … Rah­men­ver­ein­ba­rung stellt ein En­ga­ge­ment von UN­ICE, CEEP und EGB im Hin­blick auf Min­dest­vor­schrif­ten für den El­tern­ur­laub … dar, weil sie dies als ein wich­ti­ges Mit­tel an­se­hen, Be­rufs- und Fa­mi­li­en­le­ben zu ver­ein­ba­ren und Chan­cen­gleich­heit und Gleich­be­hand­lung von Männern und Frau­en zu fördern.“

5 Die Nrn. 4, 7 und 8 der All­ge­mei­nen Erwägun­gen der Rah­men­ver­ein­ba­rung lau­te­ten:

„4. Die [auf der Ta­gung des Eu­ropäischen Ra­tes in Straßburg am 9. De­zem­ber 1989 von den Staats- und Re­gie­rungs­chefs von elf Mit­glied­staa­ten an­ge­nom­me­ne] Ge­mein­schafts­char­ta der so­zia­len Grund­rech­te der Ar­beit­neh­mer for­dert un­ter Num­mer 16 über die Gleich­be­hand­lung von Männern und Frau­en die Ent­wick­lung von Maßnah­men, die es Männern und Frau­en ermögli­chen, ih­ren be­ruf­li­chen und fa­mi­liären Ver­pflich­tun­gen glei­cher­maßen nach­zu­kom­men.

7. Die Fa­mi­li­en­po­li­tik muss im Rah­men der de­mo­gra­fi­schen Ent­wick­lun­gen, der Aus­wir­kun­gen der Übe­r­al­te­rung, der Annäherung zwi­schen den Ge­ne­ra­tio­nen und der Förde­rung ei­ner Be­tei­li­gung von Frau­en am Er­werbs­le­ben ge­se­hen wer­den.

8. Männer soll­ten - zum Bei­spiel durch Sen­si­bi­li­sie­rungs­pro­gram­me - er­mu­tigt wer­den, in glei­chem Maße fa­mi­liäre Ver­ant­wor­tung zu über­neh­men und das Recht auf El­tern­ur­laub in An­spruch zu neh­men.“

6 Pa­ra­graf 1 der Rah­men­ver­ein­ba­rung sah vor:

„1. In die­ser Ver­ein­ba­rung sind Min­dest­an­for­de­run­gen nie­der­ge­legt, die dar­auf ab­zie­len, die Ver­ein­bar­keit von Be­rufs- und Fa­mi­li­en­le­ben er­werbstäti­ger El­tern zu er­leich­tern.

2. Die­se Ver­ein­ba­rung gilt für al­le Ar­beit­neh­mer, Männer und Frau­en, die nach den Rechts­vor­schrif­ten, Ta­rif­verträgen oder Ge­pflo­gen­hei­ten in dem je­wei­li­gen Mit­glied­staat über ei­nen Ar­beits­ver­trag verfügen oder in ei­nem Ar­beits­verhält­nis ste­hen.“

7 Pa­ra­graf 2 der Rah­men­ver­ein­ba­rung be­stimm­te:

„1. Nach die­ser Ver­ein­ba­rung ha­ben er­werbstäti­ge Männer und Frau­en nach Maßga­be des Pa­ra­gra­fen 2 Num­mer 2 ein in­di­vi­du­el­les Recht auf El­tern­ur­laub im Fall der Ge­burt oder Ad­op­ti­on ei­nes Kin­des, da­mit sie sich bis zu ei­nem be­stimm­ten Al­ter des Kin­des – das Al­ter kann bis zu acht Jah­ren ge­hen – für die Dau­er von min­des­tens drei Mo­na­ten um die­ses Kind kümmern können. Die ge­nau­en Be­stim­mun­gen sind von den Mit­glied­staa­ten und/oder So­zi­al­part­nern fest­zu­le­gen.

2. Um Chan­cen­gleich­heit und Gleich­be­hand­lung von Männern und Frau­en zu fördern, sind die Un­ter­zeich­ner­par­tei­en der Mei­nung, dass das in Pa­ra­graf 2 Num­mer 1 vor­ge­se­he­ne Recht auf El­tern­ur­laub prin­zi­pi­ell nicht über­trag­bar sein soll.

3. Die Vor­aus­set­zun­gen und die Mo­da­litäten für die In­an­spruch­nah­me des El­tern­ur­laubs wer­den in den Mit­glied­staa­ten ge­setz­lich und/oder ta­rif­ver­trag­lich un­ter Ein­hal­tung der Min­dest­an­for­de­run­gen die­ser Ver­ein­ba­rung ge­re­gelt. Die Mit­glied­staa­ten und/oder die So­zi­al­part­ner können ins­be­son­de­re

a) ent­schei­den, ob der El­tern­ur­laub auf Voll­zeit- oder Teil­zeit­ba­sis, in Tei­len oder in Form von ‚Kre­dit­stun­den‘ gewährt wird;

b) das Recht auf El­tern­ur­laub von ei­ner be­stimm­ten Beschäfti­gungs­dau­er und/oder Be­triebs­zu­gehörig­keit (höchs­tens ein Jahr) abhängig ma­chen;

c) die Vor­aus­set­zun­gen und die Mo­da­litäten für die In­an­spruch­nah­me des El­tern­ur­laubs an die be­son­de­ren Umstände der Ad­op­ti­on an­pas­sen;

d) Fris­ten vor­schrei­ben, in­ner­halb de­rer der Ar­beit­neh­mer, der sein Recht auf El­tern­ur­laub ausübt, den Ar­beit­ge­ber un­ter­rich­ten muss; da­bei hat er Be­ginn und das En­de des El­tern­ur­laubs an­zu­ge­ben;

e) die Be­din­gun­gen fest­le­gen, un­ter de­nen der Ar­beit­ge­ber – nach Kon­sul­ta­ti­on gemäß den ein­zel­staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten, Ta­rif­verträgen und Ge­pflo­gen­hei­ten – aus be­rech­tig­ten be­trieb­li­chen Gründen die Gewährung des El­tern­ur­laubs ver­schie­ben darf (bei­spiels­wei­se bei sai­son­abhängi­ger Ar­beit, wenn in­ner­halb der fest­ge­leg­ten Frist kei­ne Ver­tre­tung ge­fun­den wer­den kann, wenn ein er­heb­li­cher An­teil der Ar­beits­kräfte gleich­zei­tig El­tern­ur­laub be­an­tragt, wenn ei­ne be­stimm­te Funk­ti­on von stra­te­gi­scher Be­deu­tung ist). Soll­ten sich aus der An­wen­dung die­ser Klau­sel Schwie­rig­kei­ten er­ge­ben, so sind sie gemäß den ein­zel­staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten, Ta­rif­verträgen und Ge­pflo­gen­hei­ten zu lösen;

f) in Ergänzung zu Buch­sta­be e) die Ge­neh­mi­gung er­tei­len, dass be­son­de­re Vor­keh­run­gen ge­trof­fen wer­den, um den Bedürf­nis­sen der klei­nen Un­ter­neh­men im Blick auf Ar­beits­wei­se und Or­ga­ni­sa­ti­on ge­recht zu wer­den.“

Richt­li­nie 2006/54

8 Die Erwägungs­gründe 2, 11 und 22 der Richt­li­nie 2006/54 lau­ten:

„(2) Die Gleich­stel­lung von Männern und Frau­en stellt nach Ar­ti­kel 2 und Ar­ti­kel 3 Ab­satz 2 [EG] so­wie nach der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs ein grund­le­gen­des Prin­zip dar. In die­sen Ver­trags­be­stim­mun­gen wird die Gleich­stel­lung von Männern und Frau­en als Auf­ga­be und Ziel der Ge­mein­schaft be­zeich­net, und es wird ei­ne po­si­ti­ve Ver­pflich­tung be­gründet, sie bei al­len Tätig­kei­ten der Ge­mein­schaft zu fördern.

(11) Die Mit­glied­staa­ten soll­ten wei­ter­hin ge­mein­sam mit den So­zi­al­part­nern dem Pro­blem des an­hal­ten­den ge­schlechts­spe­zi­fi­schen Lohn­gefälles und der nach wie vor aus­ge­prägten Ge­schlech­ter­tren­nung auf dem Ar­beits­markt bei­spiels­wei­se durch fle­xi­ble Ar­beits­zeit­re­ge­lun­gen ent­ge­gen­wir­ken, die es so­wohl Männern als auch Frau­en ermögli­chen, Fa­mi­lie und Be­ruf bes­ser mit­ein­an­der in Ein­klang zu brin­gen. Dies könn­te auch an­ge­mes­se­ne Re­ge­lun­gen für den El­tern­ur­laub, die von bei­den El­tern­tei­len in An­spruch ge­nom­men wer­den könn­ten, … ein­sch­ließen.

(22) In Übe­rein­stim­mung mit Ar­ti­kel 141 Ab­satz 4 [EG] hin­dert der Grund­satz der Gleich­be­hand­lung die Mit­glied­staa­ten im Hin­blick auf die ef­fek­ti­ve Gewähr­leis­tung der vol­len Gleich­stel­lung von Männern und Frau­en im Ar­beits­le­ben nicht dar­an, zur Er­leich­te­rung der Be­rufstätig­keit des un­ter­re­präsen­tier­ten Ge­schlechts oder zur Ver­hin­de­rung bzw. zum Aus­gleich von Be­nach­tei­li­gun­gen in der be­ruf­li­chen Lauf­bahn spe­zi­fi­sche Vergüns­ti­gun­gen bei­zu­be­hal­ten oder zu be­sch­ließen. An­ge­sichts der der­zei­ti­gen La­ge und in Kennt­nis der Erklärung Nr. 28 zum Ver­trag von Ams­ter­dam soll­ten die Mit­glied­staa­ten in ers­ter Li­nie dar­auf hin­wir­ken, die La­ge der Frau­en im Ar­beits­le­ben zu ver­bes­sern.“

9 Art. 1 die­ser Richt­li­nie be­stimmt:

„Ziel der vor­lie­gen­den Richt­li­nie ist es, die Ver­wirk­li­chung des Grund­sat­zes der Chan­cen­gleich­heit und Gleich­be­hand­lung von Männern und Frau­en in Ar­beits- und Beschäfti­gungs­fra­gen si­cher­zu­stel­len.

Zu die­sem Zweck enthält sie Be­stim­mun­gen zur Ver­wirk­li­chung des Grund­sat­zes der Gleich­be­hand­lung in Be­zug auf

b) Ar­beits­be­din­gun­gen ein­sch­ließlich des Ent­gelts,

…“

10 Art. 2 Abs. 1 Buchst. a die­ser Richt­li­nie enthält fol­gen­de Be­griffs­be­stim­mung:

„Im Sin­ne die­ser Richt­li­nie be­zeich­net der Aus­druck

a) ‚un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung‘ ei­ne Si­tua­ti­on, in der ei­ne Per­son auf­grund ih­res Ge­schlechts ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung erfährt, als ei­ne an­de­re Per­son in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on erfährt, er­fah­ren hat oder er­fah­ren würde“.

11 Art. 3 („Po­si­ti­ve Maßnah­men“) der Richt­li­nie sieht vor:

„Die Mit­glied­staa­ten können im Hin­blick auf die Gewähr­leis­tung der vol­len Gleich­stel­lung von Männern und Frau­en im Ar­beits­le­ben Maßnah­men im Sin­ne von Ar­ti­kel 141 Ab­satz 4 [EG] bei­be­hal­ten oder be­sch­ließen.“

12 In Art. 14 („Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bot“) Abs. 1 Buchst. c der Richt­li­nie 2006/54 heißt es:

„Im öffent­li­chen und pri­va­ten Sek­tor ein­sch­ließlich öffent­li­cher Stel­len darf es in Be­zug auf fol­gen­de Punk­te kei­ner­lei un­mit­tel­ba­re oder mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund des Ge­schlechts ge­ben:

c) die Beschäfti­gungs- und Ar­beits­be­din­gun­gen ein­sch­ließlich der Ent­las­sungs­be­din­gun­gen so­wie das Ar­beits­ent­gelt nach Maßga­be von Ar­ti­kel 141 [EG]“.

13 Art. 28 („Verhält­nis zu ge­mein­schaft­li­chen und ein­zel­staat­li­chen Vor­schrif­ten“) Abs. 2 die­ser Richt­li­nie be­stimmt:

„Die­se Richt­li­nie berührt nicht die Be­stim­mun­gen der Richt­li­ni­en 96/34… und 92/85/EWG [des Ra­tes vom 19. Ok­to­ber 1992 über die Durchführung von Maßnah­men zur Ver­bes­se­rung der Si­cher­heit und des Ge­sund­heits­schut­zes von schwan­ge­ren Ar­beit­neh­me­rin­nen, Wöch­ne­rin­nen und stil­len­den Ar­beit­neh­me­rin­nen am Ar­beits­platz (zehn­te Ein­zel­richt­li­nie im Sin­ne des Ar­ti­kels 16 Ab­satz 1 der Richt­li­nie 89/391/EWG) (ABl. L 348, S. 1)].“

Grie­chi­sches Recht

14

Art. 44 des Ge­set­zes über die Or­ga­ni­sa­ti­on der Ge­rich­te und die Stel­lung der Rich­ter in der auf den Aus­gangs­rechts­streit an­wend­ba­ren Fas­sung (im Fol­gen­den: Ge­setz über die Stel­lung der Rich­ter) sieht in sei­nen Abs. 20 und 21 vor:

„20. Ei­ne schwan­ge­re Rich­te­rin hat An­spruch auf Ur­laub vor und nach der Ent­bin­dung gemäß den für die Be­am­ten der Zi­vil­ver­wal­tung des Staa­tes gel­ten­den Be­stim­mun­gen.

21. Ei­ner Rich­te­rin kann auf An­trag durch Be­scheid des Mi­nis­ters für Jus­tiz, Trans­pa­renz und Men­schen­rech­te neun Mo­na­te be­zahl­ter Ur­laub zur Kin­der­be­treu­ung gewährt wer­den …“

15 Art. 53 Abs. 3 Un­terabs. 3 Be­am­ten­ge­setz in der auf den Aus­gangs­rechts­streit an­wend­ba­ren Fas­sung be­stimmt:

„… Ist die Ehe­gat­tin des Be­am­ten nicht er­werbstätig oder übt sie kei­ner­lei Be­rufstätig­keit aus, hat der Ehe­gat­te kei­nen An­spruch auf die Er­leich­te­run­gen des Abs. 2 [zu de­nen die Gewährung von be­zahl­tem El­tern­ur­laub zur Be­treu­ung ei­nes Kin­des gehört], es sei denn, die Ehe­gat­tin kann aus­weis­lich ei­ner Be­schei­ni­gung des für den Be­am­ten zuständi­gen ge­sund­heits­recht­li­chen Aus­schus­ses (zwei­te In­stanz) we­gen ei­ner schwe­ren Er­kran­kung oder Ver­let­zung den Er­for­der­nis­sen der Kin­der­be­treu­ung nicht nach­kom­men.“

Aus­gangs­ver­fah­ren und Vor­la­ge­fra­ge

16 Am 7. De­zem­ber 2010 be­an­trag­te Herr Maïstrel­lis, Rich­ter in Grie­chen­land, beim Ypo­ur­gos Di­kaio­syn­is, Diafanei­as kai An­thro­pi­non Di­kaio­ma­ton be­zahl­ten Ur­laub von neun Mo­na­ten zur Be­treu­ung sei­nes am 24. Ok­to­ber 2010 ge­bo­re­nen Kin­des. Als Rich­ter un­ter­liegt Herr Maïstrel­lis den Son­der­vor­schrif­ten die­ses Be­rufs­stands, nämlich dem Ge­setz über die Stel­lung der Rich­ter.
17 Mit Be­scheid vom 18. Ja­nu­ar 2011 lehn­te der Ypo­ur­gos Di­kaio­syn­is, Diafanei­as kai An­thro­pi­non Di­kaio­ma­ton den An­trag von Herrn Maïstrel­lis mit der Be­gründung ab, dass der be­an­trag­te Ur­laub nach Art. 44 Abs. 21 die­ses Ge­set­zes nur weib­li­chen Rich­tern gewährt wer­de.
18 Herr Maïstrel­lis er­hob ge­gen die­sen Be­scheid Kla­ge beim Sym­vou­lio tis Epik­ra­tei­as (Staats­rat). Mit Ur­teil vom 4. Ju­li 2011 gab die­ser der Kla­ge statt und ent­schied, dass Art. 44 Abs. 21 des Ge­set­zes über die Stel­lung der Rich­ter, aus­ge­legt im Licht der Richt­li­nie 96/34, nicht nur auf ei­ne Rich­te­rin, die Mut­ter ist, son­dern auch auf ei­nen Rich­ter, der Va­ter ist, an­zu­wen­den sei. Die Sa­che wur­de an die Ver­wal­tung zurück­ver­wie­sen.
19 Mit Be­scheid vom 26. Sep­tem­ber 2011 lehn­te der Ypo­ur­gos Di­kaio­syn­is, Diafanei­as kai An­thro­pi­non Di­kaio­ma­ton den An­trag von Herrn Maïstrel­lis er­neut ab, und zwar mit der Be­gründung, dass die­ser nach Art. 53 Abs. 3 Un­terabs. 3 Be­am­ten­ge­setz kei­nen An­spruch auf den Ur­laub gemäß Art. 44 Abs. 21 des Ge­set­zes über die Stel­lung der Rich­ter ha­be. Denn ein Rich­ter, der Va­ter sei, ha­be zwar grundsätz­lich An­spruch auf El­tern­ur­laub zur Be­treu­ung sei­nes Kin­des, er ste­he ihm aber nicht zu, wenn sei­ne Ehe­gat­tin nicht er­werbstätig sei oder kei­ne Be­rufstätig­keit ausübe. Im vor­lie­gen­den Fall sei die Ehe­gat­tin von Herrn Maïstrel­lis aber ar­beits­los, wie er selbst an­ge­ge­ben ha­be.
20 Am 10. Ok­to­ber 2011 er­hob Herr Maïstrel­lis ge­gen die­sen neu­en Be­scheid Kla­ge beim Sym­vou­lio tis Epik­ra­tei­as. Die­ser führt aus, dass nach sei­ner Recht­spre­chung für die Be­rei­che, die für Rich­ter nicht ge­son­dert ge­re­gelt sei­en, die Be­stim­mun­gen des Be­am­ten­ge­set­zes, u. a. des­sen Art. 53 Abs. 3 Un­terabs. 3, ergänzend her­an­ge­zo­gen würden.
21 In die­sem Zu­sam­men­hang fragt sich das vor­le­gen­de Ge­richt, ob die­se Be­stim­mung des Be­am­ten­ge­set­zes mit den Richt­li­ni­en 96/34 und 2006/54 im Ein­klang steht.
22 Un­ter die­sen Umständen hat der Sym­vou­lio tis Epik­ra­tei­as be­schlos­sen, das Ver­fah­ren aus­zu­set­zen und dem Ge­richts­hof fol­gen­de Fra­ge zur Vor­ab­ent­schei­dung vor­zu­le­gen:

Sind die ein­schlägi­gen Be­stim­mun­gen der Richt­li­ni­en 96/34 und 2006/54 da­hin aus­zu­le­gen, dass sie ei­ner na­tio­na­len Re­ge­lung ent­ge­gen­ste­hen, die – wie die strei­ti­ge Be­stim­mung des Art. 53 Abs. 3 Un­terabs. 3 Be­am­ten­ge­setz – vor­sieht, dass der Be­am­te kei­nen An­spruch auf El­tern­ur­laub hat, wenn sei­ne Ehe­gat­tin nicht er­werbstätig ist oder kei­ner­lei Be­rufstätig­keit ausübt, es sei denn, sie kann we­gen ei­ner schwe­ren Er­kran­kung oder Ver­let­zung den Er­for­der­nis­sen der Kin­der­be­treu­ung nicht nach­kom­men?

Zur Vor­la­ge­fra­ge

23 Mit sei­ner Fra­ge möch­te das vor­le­gen­de Ge­richt wis­sen, ob die Be­stim­mun­gen der Richt­li­ni­en 96/34 und 2006/54 da­hin aus­zu­le­gen sind, dass sie ei­ner na­tio­na­len Re­ge­lung ent­ge­gen­ste­hen, nach der ei­nem Be­am­ten das Recht auf El­tern­ur­laub vor­ent­hal­ten wird, wenn sei­ne Ehe­gat­tin nicht er­werbstätig ist oder kei­ner­lei Be­rufstätig­keit ausübt, es sei denn, sie kann we­gen ei­ner schwe­ren Er­kran­kung oder Ver­let­zung den Er­for­der­nis­sen der Kin­der­be­treu­ung nicht nach­kom­men.

Vor­be­mer­kun­gen

24 Im vor­lie­gen­den Fall un­ter­liegt Herr Maïstrel­lis als Rich­ter grundsätz­lich dem Ge­setz über die Stel­lung der Rich­ter. Das vor­le­gen­de Ge­richt führt je­doch aus, dass nach sei­ner Recht­spre­chung die Be­stim­mun­gen des Be­am­ten­ge­set­zes, u. a. des­sen in der Vor­la­ge­fra­ge aus­drück­lich ge­nann­ter Art. 53 Abs. 3 Un­terabs. 3, ergänzend her­an­ge­zo­gen würden, wenn die Re­ge­lung für Rich­ter kei­ne Son­der­vor­schrif­ten vor­se­he.
25 Herr Maïstrel­lis trägt da­zu vor, dass sich der Ypo­ur­gos Di­kaio­syn­is, Diafanei­as kai An­thro­pi­non Di­kaio­ma­ton auf Art. 53 Abs. 3 Un­terabs. 3 Be­am­ten­ge­setz be­ru­fen ha­be, oh­ne dass die Vor­aus­set­zun­gen für die An­wen­dung die­ser Be­stim­mung auf Rich­ter erfüllt sei­en.
26 Es ist aber dar­auf hin­zu­wei­sen, dass nach ständi­ger Recht­spre­chung ei­ne Ver­mu­tung für die Ent­schei­dungs­er­heb­lich­keit der Vor­la­ge­fra­gen des na­tio­na­len Ge­richts spricht, die es zur Aus­le­gung des Uni­ons­rechts in dem recht­li­chen und sach­li­chen Rah­men stellt, den es in ei­ge­ner Ver­ant­wor­tung fest­ge­legt und des­sen Rich­tig­keit der Ge­richts­hof nicht zu prüfen hat (Ur­tei­le Mel­ki und Ab­de­li, C-188/10 und C-189/10, EU:C:2010:363, Rn. 27, so­wie St­an­ley In­ter­na­tio­nal Bet­ting und St­an­ley­bet Mal­ta, C-463/13, EU:C:2015:25, Rn. 26).
27 Ins­be­son­de­re ist es nicht Sa­che des Ge­richts­hofs, über die Aus­le­gung na­tio­na­ler Vor­schrif­ten zu be­fin­den, da die­se Aus­le­gung in die aus­sch­ließli­che Zuständig­keit der na­tio­na­len Ge­rich­te fällt. Er hat dem­nach, wenn ihm ein na­tio­na­les Ge­richt ein Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen vor­legt, von der Aus­le­gung des na­tio­na­len Rechts aus­zu­ge­hen, die ihm die­ses Ge­richt vor­ge­tra­gen hat (Ur­teil ČEZ, C-115/08, EU:C:2009:660, Rn. 57 und die dort an­geführ­te Recht­spre­chung).
28 Un­ter die­sen Umständen ist auf die so ge­stell­te Vor­la­ge­fra­ge des Sym­vou­lio tis Epik­ra­tei­as zu ant­wor­ten.

Zur Richt­li­nie 96/34

29 Es ist zunächst fest­zu­stel­len, dass die Richt­li­nie 96/34 und die Rah­men­ver­ein­ba­rung auf Be­am­te an­wend­bar sind (vgl. Ur­teil Chat­zi, C-149/10, EU:C:2010:534, Rn. 27 bis 30).
30 Nach ständi­ger Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs sind bei der Aus­le­gung von uni­ons­recht­li­chen Vor­schrif­ten nicht nur ihr Wort­laut, son­dern auch die Zie­le, die mit der Re­ge­lung, zu der sie gehören, ver­folgt wer­den, und ihr Zu­sam­men­hang zu berück­sich­ti­gen (vgl. Ur­tei­le Adi­das, C-223/98, EU:C:1999:500, Rn. 23, SGAE, C-306/05, EU:C:2006:764, Rn. 34, und Hoštická u. a., C-561/13, EU:C:2014:2287, Rn. 29).
31 Nach Pa­ra­graf 2 Nr. 1 der Rah­men­ver­ein­ba­rung ha­ben er­werbstäti­ge Männer und Frau­en ein „in­di­vi­du­el­les Recht“ auf El­tern­ur­laub im Fall der Ge­burt oder Ad­op­ti­on ei­nes Kin­des, da­mit sie sich für die Dau­er von min­des­tens drei Mo­na­ten um die­ses Kind kümmern können.
32 Außer­dem be­stimmt Pa­ra­graf 2 Nr. 2 der Rah­men­ver­ein­ba­rung dass die­ses Recht auf El­tern­ur­laub - um Chan­cen­gleich­heit und Gleich­be­hand­lung von Männern und Frau­en zu fördern - „prin­zi­pi­ell nicht über­trag­bar sein soll“.
33 Aus die­sen Be­stim­mun­gen folgt, dass je­der El­tern­teil des Kin­des ein in­di­vi­du­el­les Recht auf El­tern­ur­laub von min­des­tens drei Mo­na­ten hat (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­teil Kom­mis­si­on/Lu­xem­burg, C-519/03, EU:C:2005:234, Rn. 33).
34 Die­ses Recht auf El­tern­ur­laub für je­den El­tern­teil ei­nes Kin­des stellt ei­ne der in der Rah­men­ver­ein­ba­rung auf­ge­stell­ten Min­dest­an­for­de­run­gen im Sin­ne von Pa­ra­graf 1 Nr. 1 die­ser Ver­ein­ba­rung dar.
35 So heißt es in Pa­ra­graf 2 Nr. 3 der Rah­men­ver­ein­ba­rung, dass die Vor­aus­set­zun­gen und die Mo­da­litäten für die In­an­spruch­nah­me des El­tern­ur­laubs in den Mit­glied­staa­ten ge­setz­lich und/oder ta­rif­ver­trag­lich un­ter Ein­hal­tung der Min­dest­an­for­de­run­gen die­ser Ver­ein­ba­rung ge­re­gelt wer­den. In die­ser Be­stim­mung wird auch an­ge­ge­ben, wel­che Vor­aus­set­zun­gen und Mo­da­litäten für die In­an­spruch­nah­me des El­tern­ur­laubs die Mit­glied­staa­ten und/oder die So­zi­al­part­ner ins­be­son­de­re vor­se­hen können.
36 Wie die Ge­ne­ral­anwältin in Nr. 42 ih­rer Schluss­anträge aus­geführt hat, ermögli­chen die­se Vor­aus­set­zun­gen und Mo­da­litäten kei­nes­wegs, ei­nem El­tern­teil - na­ment­lich we­gen der Er­werbs­si­tua­ti­on sei­nes Ehe­gat­ten - das Recht auf El­tern­ur­laub vor­zu­ent­hal­ten.
37 Für die­se wört­li­che Aus­le­gung der Pa­ra­gra­fen 1 und 2 der Rah­men­ver­ein­ba­rung spre­chen auch die Zie­le und der Re­ge­lungs­zu­sam­men­hang die­ser Rah­men­ver­ein­ba­rung.
38 Die Rah­men­ver­ein­ba­rung zielt nämlich nach ih­rem Pa­ra­graf 1 Nr. 1 dar­auf ab, die Ver­ein­bar­keit von Be­rufs- und Fa­mi­li­en­le­ben er­werbstäti­ger El­tern zu er­leich­tern, ein Ziel, das, wie Nr. 4 der All­ge­mei­nen Erwägun­gen der Rah­men­ver­ein­ba­rung zum Aus­druck bringt, in Nr. 16 der Ge­mein­schafts­char­ta der so­zia­len Grund­rech­te der Ar­beit­neh­mer fest­ge­legt ist (Ur­teil Chat­zi, C-149/10, EU:C:2010:534, Rn. 36).
39 Mit dem­sel­ben Ziel ist der An­spruch auf El­tern­ur­laub in Art. 33 Abs. 2 der Char­ta der Grund­rech­te der Eu­ropäischen Uni­on un­ter den so­zia­len Grund­rech­ten auf­ge­nom­men wor­den, die in Ti­tel IV der Grund­rech­te­char­ta un­ter der Über­schrift „So­li­da­rität“ zu­sam­men­ge­fasst wer­den (Ur­teil Chat­zi, C-149/10, EU:C:2010:534, Rn. 37). Nach die­ser Be­stim­mung hat je­der Mensch u. a. An­spruch auf ei­nen El­tern­ur­laub nach der Ge­burt oder Ad­op­ti­on ei­nes Kin­des, um Fa­mi­li­en- und Be­rufs­le­ben mit­ein­an­der in Ein­klang brin­gen zu können.
40 In die­sem Sin­ne heißt es in den Nrn. 7 und 8 der All­ge­mei­nen Erwägun­gen der Rah­men­ver­ein­ba­rung, dass die Fa­mi­li­en­po­li­tik im Rah­men der „Förde­rung ei­ner Be­tei­li­gung von Frau­en am Er­werbs­le­ben“ ge­se­hen wer­den müsse und dass Männer er­mu­tigt wer­den soll­ten, „in glei­chem Maße fa­mi­liäre Ver­ant­wor­tung“ zu über­neh­men, ins­be­son­de­re in­dem sie El­tern­ur­laub neh­men.
41 Folg­lich geht so­wohl aus dem Wort­laut der Rah­men­ver­ein­ba­rung als auch ih­ren Zie­len und ih­rem Re­ge­lungs­zu­sam­men­hang her­vor, dass je­der El­tern­teil über das Recht auf El­tern­ur­laub verfügt, was be­deu­tet, dass die Mit­glied­staa­ten kei­ne Re­ge­lung er­las­sen dürfen, nach der ei­nem Be­am­ten, der Va­ter ist, das Recht auf El­tern­ur­laub vor­ent­hal­ten wird, wenn sei­ne Ehe­gat­tin nicht er­werbstätig ist oder kei­ner­lei Be­rufstätig­keit ausübt.

Zur Richt­li­nie 2006/54

42

Zunächst ist zum ei­nen fest­zu­stel­len, dass - wor­auf im zwei­ten Erwägungs­grund der Richt­li­nie 2006/54 hin­ge­wie­sen wird - der durch die­se Richt­li­nie ver­wirk­lich­te Grund­satz der Gleich­be­hand­lung von Männern und Frau­en all­ge­mei­ne Gel­tung hat. Zum an­de­ren ist die­se Richt­li­nie, wie sich u. a. aus ih­rem Art. 14 Abs. 1 und der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs er­gibt, auf Beschäfti­gungs­verhält­nis­se im öffent­li­chen und im pri­va­ten Sek­tor an­wend­bar (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­teil Na­po­li, C-595/12, EU:C:2014:128, Rn. 39).
43 Nach dem elf­ten Erwägungs­grund die­ser Richt­li­nie soll­ten die Mit­glied­staa­ten u. a. „an­ge­mes­se­ne Re­ge­lun­gen für den El­tern­ur­laub, die von bei­den El­tern­tei­len in An­spruch ge­nom­men wer­den könn­ten“, er­las­sen, um es so­wohl Männern als auch Frau­en zu ermögli­chen, Fa­mi­lie und Be­ruf bes­ser mit­ein­an­der in Ein­klang zu brin­gen.
44 Nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Richt­li­nie liegt ei­ne „un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung“ vor, wenn ei­ne Per­son auf­grund ih­res Ge­schlechts in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung erfährt, als ei­ne an­de­re Per­son erfährt, er­fah­ren hat oder er­fah­ren würde.
45 Die Gewährung von El­tern­ur­laub, die es Per­so­nen, die ge­ra­de El­tern ge­wor­den sind, ermöglicht, ih­re Be­rufstätig­keit zu un­ter­bre­chen, um sich ih­ren fa­mi­liären Ver­pflich­tun­gen zu wid­men, hat Aus­wir­kun­gen auf die Ausübung der Be­rufstätig­keit der be­tref­fen­den Be­am­ten. Dem­nach fal­len die Be­din­gun­gen für die Er­tei­lung von El­tern­ur­laub un­ter die Beschäfti­gungs- und Ar­beits­be­din­gun­gen im Sin­ne von Art. 14 Abs. 1 Buchst. c der Richt­li­nie 2006/54.
46 Im vor­lie­gen­den Fall be­trifft der El­tern­ur­laub im Sin­ne von Art. 53 Abs. 3 Un­terabs. 3 Be­am­ten­ge­setz Be­am­te in ih­rer Ei­gen­schaft als El­tern.
47 In die­sem Zu­sam­men­hang ist dar­auf hin­zu­wei­sen, dass die La­ge ei­nes Ar­beit­neh­mers in sei­ner Ei­gen­schaft als El­tern­teil und die ei­ner Ar­beit­neh­me­rin in der­sel­ben Ei­gen­schaft mit­ein­an­der ver­gleich­bar sind, so­weit es um die Er­zie­hung der Kin­der geht (vgl. Ur­tei­le Kom­mis­si­on/Frank­reich, 312/86, EU:C:1988:485, Rn. 14, Gries­mar, C-366/99, EU:C:2001:648, Rn. 56, und Kom­mis­si­on/Grie­chen­land, C-559/07, EU:C:2009:198, Rn. 69).
48 Nach Art. 53 Abs. 3 Un­terabs. 3 Be­am­ten­ge­setz wird zwar ei­nem Be­am­ten, der Va­ter ist, das Recht auf El­tern­ur­laub zur Be­treu­ung sei­nes Kin­des vor­ent­hal­ten, wenn sei­ne Ehe­gat­tin nicht er­werbstätig ist oder kei­ner­lei Be­rufstätig­keit ausübt, es sei denn, sie kann we­gen ei­ner schwe­ren Er­kran­kung oder Ver­let­zung den Er­for­der­nis­sen der Kin­der­be­treu­ung nicht nach­kom­men, doch sieht die­se Be­stim­mung um­ge­kehrt nicht vor, dass ei­ne Be­am­tin, die Mut­ter ist, ih­ren An­spruch we­gen der be­ruf­li­chen Si­tua­ti­on ih­res Ehe­gat­ten ver­liert. Außer­dem wird im Vor­la­ge­be­schluss auf kei­ne an­de­re Be­stim­mung des na­tio­na­len Rechts ver­wie­sen, die ei­ne sol­che Be­din­gung für Be­am­tin­nen, die Mütter sind, vor­se­hen würde.
49 Dar­aus folgt, dass nach na­tio­na­lem Recht Mütter, die Be­am­tin­nen sind, stets An­spruch auf El­tern­ur­laub ha­ben, während Väter, die die glei­che Stel­lung ha­ben, die­sen nur dann in An­spruch neh­men können, wenn die Mut­ter ih­res Kin­des er­werbstätig ist oder ei­ne Be­rufstätig­keit ausübt. Die Ei­gen­schaft als El­tern­teil al­lein reicht al­so für Männer, die Be­am­te sind, nicht aus, um die­sen Ur­laub in An­spruch neh­men zu können, wohl aber für Frau­en, die die glei­che Stel­lung ha­ben (vgl. ent­spre­chend Ur­teil Ro­ca Álva­rez, C-104/09, EU:C:2010:561, Rn. 23).
50 Im Hin­blick auf Art. 3 der Richt­li­nie 2006/54 führt ei­ne Be­stim­mung wie die im Aus­gangs­ver­fah­ren strei­ti­ge, die weit da­von ent­fernt ist, die vol­le Gleich­stel­lung von Männern und Frau­en im Ar­beits­le­ben zu gewähr­leis­ten, im Übri­gen eher zu ei­ner Ver­fes­ti­gung der herkömmli­chen Rol­len­ver­tei­lung zwi­schen Mann und Frau, in­dem den Männern wei­ter­hin ei­ne im Hin­blick auf die Wahr­neh­mung ih­rer El­tern­schaft sub­si­diäre Rol­le ge­genüber den Frau­en zu­ge­wie­sen wird (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­tei­le Lom­mers, C-476/99, EU:C:2002:183, Rn. 41, und Ro­ca Álva­rez, C-104/09, EU:C:2010:561, Rn. 36).
51 Sch­ließlich ist dar­auf hin­zu­wei­sen, dass die Richt­li­nie 2006/54 nach ih­rem Art. 28 Abs. 2 die Be­stim­mun­gen der Richt­li­ni­en 96/34 und 92/85 nicht berührt. Ei­ne Be­stim­mung wie Art. 53 Abs. 3 Un­terabs. 3 Be­am­ten­ge­setz kann aber nicht un­ter den Schutz der Richt­li­nie 92/85 fal­len. Wie die Ge­ne­ral­anwältin in Nr. 50 ih­rer Schluss­anträge aus­geführt hat, stellt es nämlich kei­nes­wegs ei­ne Maßnah­me zur Ver­bes­se­rung der Si­cher­heit und des Ge­sund­heits­schut­zes von schwan­ge­ren Ar­beit­neh­me­rin­nen, Wöch­ne­rin­nen und stil­len­den Ar­beit­neh­me­rin­nen am Ar­beits­platz dar, wenn dem Va­ter des Kin­des we­gen der be­ruf­li­chen Si­tua­ti­on sei­ner Ehe­gat­tin das Recht auf El­tern­ur­laub vor­ent­hal­ten wird.
52 Un­ter die­sen Umständen stellt die im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­de Be­stim­mung in Be­zug auf die Gewährung von El­tern­ur­laub ei­ne un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund des Ge­schlechts im Sin­ne von Art. 14 Abs. 1 der Richt­li­nie 2006/54 in Ver­bin­dung mit de­ren Art. 2 Abs. 1 Buchst. a von Be­am­ten dar, die Väter sind.
53 Nach al­le­dem ist auf die Vor­la­ge­fra­ge zu ant­wor­ten, dass die Be­stim­mun­gen der Richt­li­ni­en 96/34 und 2006/54 da­hin aus­zu­le­gen sind, dass sie ei­ner na­tio­na­len Re­ge­lung ent­ge­gen­ste­hen, nach der ei­nem Be­am­ten das Recht auf El­tern­ur­laub vor­ent­hal­ten wird, wenn sei­ne Ehe­gat­tin nicht er­werbstätig ist oder kei­ner­lei Be­rufstätig­keit ausübt, es sei denn, sie kann we­gen ei­ner schwe­ren Er­kran­kung oder Ver­let­zung den Er­for­der­nis­sen der Kin­der­be­treu­ung nicht nach­kom­men.

Kos­ten

54 Für die Par­tei­en des Aus­gangs­ver­fah­rens ist das Ver­fah­ren ein Zwi­schen­streit in dem beim vor­le­gen­den Ge­richt anhängi­gen Rechts­streit; die Kos­ten­ent­schei­dung ist da­her Sa­che die­ses Ge­richts. Die Aus­la­gen an­de­rer Be­tei­lig­ter für die Ab­ga­be von Erklärun­gen vor dem Ge­richts­hof sind nicht er­stat­tungsfähig.

Aus die­sen Gründen hat der Ge­richts­hof (Vier­te Kam­mer) für Recht er­kannt:

Die Be­stim­mun­gen der Richt­li­nie 96/34/EG des Ra­tes vom 3. Ju­ni 1996 zu der von UN­ICE, CEEP und EGB ge­schlos­se­nen Rah­men­ver­ein­ba­rung über El­tern­ur­laub in der durch die Richt­li­nie 97/75/EG des Ra­tes vom 15. De­zem­ber 1997 geänder­ten Fas­sung und der Richt­li­nie 2006/54/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 5. Ju­li 2006 zur Ver­wirk­li­chung des Grund­sat­zes der Chan­cen­gleich­heit und Gleich­be­hand­lung von Männern und Frau­en in Ar­beits- und Beschäfti­gungs­fra­gen sind da­hin aus­zu­le­gen, dass sie ei­ner na­tio­na­len Re­ge­lung ent­ge­gen­ste­hen, nach der ei­nem Be­am­ten das Recht auf El­tern­ur­laub vor­ent­hal­ten wird, wenn sei­ne Ehe­gat­tin nicht er­werbstätig ist oder kei­ner­lei Be­rufstätig­keit ausübt, es sei denn, sie kann we­gen ei­ner schwe­ren Er­kran­kung oder Ver­let­zung den Er­for­der­nis­sen der Kin­der­be­treu­ung nicht nach­kom­men.

Un­ter­schrif­ten

* Ver­fah­rens­spra­che: Grie­chisch.

Quel­le: Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on (EuGH), http://cu­ria.eu­ro­pa.eu

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