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ArbG Os­na­brück, Ur­teil vom 05.02.2007, 3 Ca 724/06

   
Schlagworte: Kündigung: AGG, Altersdiskriminierung, Sozialauswahl, Sozialauswahl: Altersgruppen
   
Gericht: Arbeitsgericht Osnabrück
Aktenzeichen: 3 Ca 724/06
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 05.02.2007
   
Leitsätze:
Vorinstanzen:
   

Verkündet am:
05.02.2007
Ge­richts­an­ge­stell­te
als Ur­kunds­be­am­tin
der Geschäfts­stel­le

AR­BEITS­GERICHT OSN­ABRÜCK

IM NA­MEN DES VOL­KES

UR­TEIL

3 Ca 724/06

In dem Rechts­streit

ge­gen

Be­klag­te,

Proz.-Bev.

hat die 3. Kam­mer des Ar­beits­ge­richts Os­nabrück auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 5. Fe­bru­ar 2007 durch

die Rich­te­rin
den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter
die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin ### als Bei­sit­zer

für Recht er­kannt:

1. Es wird fest­ge­stellt, dass des Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en durch die Kündi­gung der Be­klag­ten vom ,nicht auf­gelöst wor­den ist.

2. Die Be­klag­te trägt die Kos­ten des Rechts­streits.

3. Der Wert des Streit­ge­gen­stan­des wird auf; # EUR fest­ge­setzt

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Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten um die Wirk­sam­keit der von der Be­klag­ten auf­grund des am 8.9.2006 ge­schlos­se­nen In­ter­es­sen­aus­gleichs und So­zi­al­plans aus­ge­spro­che­ne be­triebs­be­ding­te Kündi­gung vom' i

Der Kläger ist seit dem ### bei der Be­klag­ten beschäftigt. Sein durch­schnitt­li­ches Brut­to­mo­nats­ge­halt beträgt ###

Laut An­ga­ben zur Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge (An­la­ge 17 des Schrift­sat­zes der Be­klag­ten vom 18.12 2006) wa­ren bei der Be­klag­ten im Sep­tem­ber 2006 ins­ge­samt 5.331 Ar­beit­neh­mer beschäftigt. Im Rah­men der be­triebs­be­ding­ten Kündi­gung des Klägers kündig­te die Be­klag­te wei­te­ren 618 Beschäftig­ten be­triebs­be­dingt.

Be­gin­nend ab dem 1.6.2006 fan­den zwi­schen der Be­klag­ten und dem Be­triebs­rat Gespräche zur Vor­be­rei­tung ei­nes In­ter­es­sen­aus­gleichs nebst So­zi­al­plan statt. Auf der Grund­la­ge die­ser Gespräche und nach ei­ner Be­triebs­ver­samm­lung am 16.8.2006 wur­de der ver­ein­bar­te So­zi­al­plan und In­ter­es­sen­aus­gleich Nr. 17/06 am 8.9.2006 vom Be­triebs­rats­vor­sit­zen­den mit Wir­kung für den Be­triebs­rat un­ter­zeich­net. Auf­grund der kol­lek­ti­ven Ver­ein­ba­run­gen wur­den 619 be­triebs­be­ding­te Kündi­gun­gen aus­ge­spro­chen (vgl. An­la­ge 15 des Schrift­sat­zes der Be­klag­ten vom 18.12.2006).

In dem So­zi­al­plan und In­ter­es­sen­aus­gleich Nr. 17/06 ha­ben die Be­triebs­par­tei­en un­ter 2 c) fol­gen­des zur So­zi­al­aus­wahl ver­ein­bart:

Die So­zi­al­aus­wahl wird zur Si­che­rung ei­ner aus­ge­wo­ge­nen Per­so­nal­struk­tur des Be­trie­bes gemäß § 1 Ab. 3 Satz 2 KSchG nach ver­schie­de­nen Al­ters­grup­pen durch­geführt. Es wer­den die fol­gen­den Al­ters­grup­pen ge­bil­det:

bis zum voll­ende­ten 25. Le­bens­jahr

älter als 25 Jah­re und bis zum voll­ende­ten 35. Le­bens­jahr

älter als 35 Jah­re und bis zum voll­ende­ten 45. Le­bens­jahr

älter als 45 Jah­re und bis zum voll­ende­ten 55. Le­bens­jahr

älter als 55 Jah­re

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In­ner­halb der Krei­se der ver­gleich­ba­ren Beschäftig­ten sol­len die auf­geführ­ten Al­ters­grup­pen – be­zo­gen auf die Al­ters­struk­tur des Be­trie­bes – möglichst pro­zen­tu­al gleichmäßig be­trof­fen wer­den.

Die Be­trof­fen­heit der Al­ters­grup­pe ab 55 Jah­re wird da­durch er­reicht, dass aus die­ser Al­ters­grup­pe im ge­sam­ten Un­ter­neh­men al­le die­je­ni­gen Beschäftig­ten ei­ne Be­en­di­gungskündi­gung er­hal­ten, die be­gin­nend ab dem 1.10.2006 die Möglich­keit ha­ben, nach Ab­lauf von 30 Mo­na­ten (12 Mo­na­te Trans­fer­ge­sell­schaft und 18 Mo­na­te Ar­beits­lo­sen­geld­be­zug)ei­ne Al­ters­ren­te (gekürzt oder un­gekürzt) zu be­zie­hen. Aus die­ser Al­ters­grup­pe wird es im Rah­men die­ser Maßnah­me kei­ne wei­te­ren Kündi­gun­gen ge­ben.

Die Durchführung der So­zi­al­aus­wahl nach den Al­ters­grup­pen ist er­for­der­lich zum Er­halt der Wett­be­werbsfähig­keit, weil oh­ne Berück­sich­ti­gung der Al­ters­grup­pen die Al­ters­struk­tur er­heb­lich ver­schlech­tert würde .“

In­ner­halb der je­wei­li­gen Al­ters­grup­pen nah­men die Be­triebs­par­tei­en ei­ne So­zi­al­aus­wahl vor, wo­bei die Kri­te­ri­en Le­bens­al­ter, Be­triebs­zu­gehörig­keit, Un­ter­halts­pflich­ten und Schwer­be­hin­de­rung an­hand ei­nes Punk­te­sys­tems berück­sich­tigt wur­den. Dem In­ter­es­sen­aus­gleich wur­de ei­ne Na­mens­lis­te bei­gefügt (An­la­ge 6 des Schrift­sat­zes der Be­klag­ten vom 18.12.2006). Im Anhörungs­schrei­ben vom 8.9.2006 (An­la­ge 15 des Schrift­sat­zes der Be­klag­ten vom 18.12.2006) wird der Be­triebs­rat von der Be­klag­ten auf­ge­for­dert, zu den aus­ge­spro­che­nen Kündi­gun­gen der in der Na­mens­lis­te be­zeich­ne­ten Mit­ar­bei­ter Stel­lung zu neh­men. Mit Schrei­ben glei­chen Da­tums, in dem auf bei­lie­gen­de An­la­gen Na­mens­lis­te und Anhörung des Be­triebs­rats Be­zug ge­nom­men wird, wur­de die Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung zu ih­rer Mit­wir­kung auf­ge­for­dert.

In ei­nem mit Ein­gangs­stem­pel der Agen­tur für Ar­beit Os­nabrück vom 11.9.2006 ver­se­he­nen Schrei­ben zeigt die Be­klag­te an, dass 619 Mit­ar­bei­tern be­triebs­be­dingt gekündigt wer­den soll. Mit Schrei­ben vom 22.9.2006, das den Ein­gangs­stem­pel „Lei­tung Per­so­nal Werk Os­nabrück“ vom 27.9.2006 trägt, bestätig­te die Bun­des­agen­tur für Ar­beit, dass die An­zei­ge wirk­sam er­stat­tet sei und die Sperr­frist am 11.10.2006 en­de (An­la­ge 19. des Schrift­sat­zes der Be­klag­ten vom 18.12.2006).

Nach dem 11.9.2006 be­stand für die bei der Be­klag­ten Beschäftig­ten die Möglich­keit, im Rah­men ei­nes drei­sei­ti­gen Ver­tra­ges (An­la­ge 7 des Schrift­sat­zes der Be­klag­ten vom 18.12 2006) in die bei der Be­klag­ten ge­bil­de­te Trans­fer­ge­sell­schaft zu wech­seln.

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Der Kläger ist der An­sicht, die Kündi­gung sei so­zi­al­wid­rig aus­ge­spro­chen wor­den und da­mit rechts­un­wirk­sam. Mit sei­ner am 27.09.2006 beim Ar­beits­ge­richt Os­nabrück er­ho­be­nen Kündi­gungs­schutz­kla­ge wen­det er sich des­halb ge­gen die be­triebs­be­ding­te Kündi­gung und be­an­tragt,

fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en durch die Kündi­gung vom 18.09.2006 nicht auf­gelöst wor­den ist.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen

Sie ist der An­sicht, die Kündi­gung sei rechts­wirk­sam auf der Grund­la­ge des In­ter­es­sen­aus­gleichs und So­zi­al­plans aus­ge­spro­chen wor­den. Die­se kol­lek­ti­ven Ver­ein­ba­run­gen sei­en er­for­der­lich ge­we­sen, da auf­grund von Ab­satz­schwie­rig­kei­ten Per­so­nal ha­be ab­ge­baut wer­den müssen. So sei­en als Bei­spiel im Ja­nu­ar 2006 noch 57 Fahr­zeu­ge des Mo­dells „Cross­fi­re“ ge­baut wor­den; im Mai da­ge­gen nur noch 19 Stück. Ab Ju­li 2008 lau­fe die­ser Auf­trag ins­ge­samt aus. Die­ser Um­stand do­ku­men­tie­re sich in dem So­zi­al­plan Nr. 12 aus 2005, in dem um­fang­rei­che Kurz­ar­beit ver­ein­bart wor­den sei. Auf­grund des wirk­sa­men In­ter­es­sen­aus­gleichs und So­zi­al­plans sei das Vor­lie­gen ei­nes „drin­gen­den be­trieb­li­chen Er­for­der­nis­ses“ gem. § 1 Abs. 5 KSchG zu un­ter­stel­len.

Eben­so sei die So­zi­al­aus­wahl wirk­sam durch­geführt wor­den. Nach § 1 Abs. 5 KSchG sei die­se oh­ne­hin nur auf „gro­be Feh­ler­haf­tig­keit“ zu über­prüfen. Gro­be Feh­ler­haf­tig­keit läge aber auch hin­sicht­lich der ge­bil­de­ten Al­ters­grup­pen nicht vor.

Es sei not­wen­dig ge­we­sen, Al­ters­grup­pen zu bil­den. So ha­be sich die Al­ters­struk­tur durch die vor­an­ge­gan­ge­nen So­zi­alpläne be­reits ver­schlech­tert, wie die von der Be­klag­ten als An­la­gen 5 a) bis m) bei­gefügten Über­sich­ten zei­gen. Die Ver­schlech­te­rung sei dar­in zu se­hen, dass der Al­ters­durch­schnitt von Ju­ni 2004 (37 Jah­re) übe Fe­bru­ar 2005 (Al­ters­durch­schnitt (41 Jah­re) über Ju­li 2005 (Al­ters­durch­schnitt 42 Jah­re) bis Ja­nu­ar (Al­ters­durch­schnitt 43 Jah­re) ins­ge­samt um 6 Jah­re ge­stie­gen sei. Hätte die Be­klag­te – wie sie in ih­rer Über­sicht (An­la­ge 5 e) –f) des Schrift­sat­zes vom 18.12.2006) zeigt – die be­triebs­be­ding­ten Kündi­gun­gen und die So­zi­al­aus­wahl zwi­schen den zu kündi­gen­den Ar­beit­neh­mer oh­ne Al­ters­grup­pen vor­ge­nom­men, hätte sich der Al­ters­durch­schnitt um wei­te­re vier Jah­re erhöht. Bei Mit­be­wer­bern – die Be­klag­te nennt BMW und VW als Ver­gleich – sei der Al­ters­durch­schnitt er­heb­lich nied­ri­ger (Zah­len für 2005 BMW 40,6 und VW 41,1 Jah­re).

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Die Bil­dung von Al­ters­grup­pen wi­der­spre­che nicht den Re­ge­lun­gen des AGG, wenn man das Ge­setz trotz der Aus­nah­me­re­ge­lung in § 2 Abs. 4 AGG auf Kündi­gun­gen an­wen­den wol­le. In § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG sei aus­drück­lich ge­re­gelt, dass ei­ne aus­ge­wo­ge­ne Per­so­nal­struk­tur des Be­triebs, die im be­rech­tig­ten be­trieb­li­chen In­ter­es­se liegt, bei der So­zi­al­aus­wahl zu berück­sich­ti­gen ist. Es sei ständi­ge Rech­spre­chung, dass Al­ter­grup­pen da­her so ge­bil­det wer­den können, dass sich die vor­han­de­ne Al­ters­struk­tur nicht ver­schlech­te­re. Die­se Aus­nah­me­re­ge­lung sei not­wen­dig, um die Exis­tenz der Be­trie­be zu si­chern.
26 Im Be­trieb der Be­klag­ten hätten sich Kündi­gun­gen, oh­ne Berück­sich­ti­gung der Al­ter­grup­pen so aus­ge­wirkt, dass „ins­be­son­de­re vor dem Hin­ter­grund der wei­te­ren noch zu er­war­ten­den Ent­wick­lun­gen fast nur noch älte­re Ar­beit­neh­mer im Be­trieb ge­we­sen wären und da­mit die Pro­duk­ti­on be­reits mit­tel­fris­tig nicht wei­ter hätte auf­recht­er­hal­ten wer­den können. Ins­be­son­de­re auch vor dem Hin­ter­grund der sich aus den … Bench­mark­kenn­zif­fern er­ge­ben­den sehr viel güns­ti­ge­ren Al­ters­struk­tu­ren der Kon­kur­renz­un­ter­neh­men in Deutsch­land würde die Ge­fahr be­ste­hen, dass die Be­klag­te kei­ne wei­te­ren Auf­träge mehr er­lan­gen würde“ (Schrift­satz der Be­klag­ten vom 18.12.2006 dort S. 28).
27 Für das übri­ge Vor­brin­gen wird auf die ge­wech­sel­ten Schriftsätze so­wie auf die Nie­der­schrif­ten der öffent­li­chen Sit­zun­gen Be­zug ge­nom­men. 

II.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Kla­ge ist zulässig und be­gründet.

1. Die Kla­ge ist zulässig. Die Zuständig­keit der Ge­rich­te für Ar­beits­sa­chen folgt aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 b) ArbGG. Die ört­li­che Zuständig­keit des Ar­beits­ge­richts Os­nabrück er­gibt sich aus § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 29 ZPO.

2. Die Kla­ge ist be­gründet, da die der Kündi­gung zu Grun­de lie­gen­de So­zi­al­aus­wahl nicht wirk­sam gemäß § 1 Abs. 3 i.V.m. Abs. 5 S. 2 KSchG vor­ge­nom­men wur­de.

a) Die Kla­ge ist in­ner­halb der Frist des § 4 KSchG er­ho­ben wor­den.

b) Die Kündi­gung ist am Maßstab des § 1 Abs. 5 KSchG in Ver­bin­dung mit § 1 Abs. 2 KSchG zu mes­sen. Da­nach wird bei ei­nem wirk­sa­men In­ter­es­sen­aus­gleich das drin­gen­de be­trieb­li­che Er­for­der­nis ver­mu­tet. Nach § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG kann die So­zi­al­aus­wahl in

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die­sem Fall nur auf gro­be Feh­ler­haf­tig­keit über­prüft wer­den. Trotz die­ses ein­ge­schränk­ten Prüfungs­maßsta­bes ist die Kündi­gung so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt.

c) Da­bei sind zunächst die Vor­aus­set­zun­gen des § 1 Abs. 5 KSchG erfüllt. Die Kündi­gung wur­de auf­grund ei­ner Be­triebsände­rung gemäß § 111 Be­trVG aus­ge­spro­chen. Ei­ne we­sent­li­che Ein­schränkung des gan­zen Be­triebs oder we­sent­li­cher Be­triebs­tei­le im Sin­ne von § 111 Abs. 1 Satz 3 Be­trVG kann auch ein bloßer Per­so­nal­ab­bau sein. Bei Großbe­trie­ben ist dafür ein Per­so­nal­ab­bau von 5 % der Ge­samt­be­leg­schaft er­for­der­lich. Da die Be­klag­te in der ers­ten Stu­fe ih­res Per­so­nal­ab­baus ins­ge­samt 619 Be­en­di­gungskündi­gun­gen in dem In­ter­es­sen­aus­gleich zu­grun­de ge­legt hat, ist die maßgeb­li­che Zahl er­reicht. Maßgeb­lich ist da­bei die Ge­samt­zahl der Ar­beit­neh­mer, die - wenn auch in meh­re­ren Wel­len - be­trof­fen ist, auch wenn zwi­schen dem Ab­lauf der Kündi­gungs­frist der un­ter­schied­li­chen Ar­beit­neh­mer meh­re­re Mo­na­te lie­gen (vgl. BAG, 22.01.2004 - 2 AZR 111/02 - AP Nr. 1 zu § 112 Be­trVG 1972 Na­mens­lis­te).

Nach den Grundsätzen über die Dar­le­gungs- und Be­weis­last hat der Ar­beit­ge­ber das Vor­lie­gen der Vor­aus­set­zun­gen des § 1 Abs. 5 KSchG vor­zu­tra­gen, d.h. das Vor­lie­gen ei­ner Be­triebsände­rung und ei­nes ord­nungs­gemäß zu­stan­de­ge­kom­me­nen In­ter­es­sen­aus­gleichs mit Na­mens­lis­te. Un­strei­tig ist das Schrift­for­mer­for­der­nis des § 112 Abs. 1 Satz 1 Be­trVG in Ver­bin­dung mit §§ 125, 126 BGB ge­wahrt, wofür es be­reits aus­reicht, wenn - wie hier - die Na­mens­lis­te von der Be­triebs­part­nern un­ter­zeich­net und im In­ter­es­sen­aus­gleich auf sie Be­zug ge­nom­men wird (vgl. BAG, AP Nr. 1 zu § 112 Be­trVG - Na­mens­lis­te (C III 4 a d. Gr.)).

Der Ar­beit­ge­ber bleibt auch in den Fällen des § 1 Abs. 5 KSchG grundsätz­lich ver­pflich­tet, dem Ar­beit­neh­mer auf des­sen Ver­lan­gen hin Aus­kunft über die Ent­schei­dung zur so­zia­len Aus­wahl zu er­tei­len. Er muss al­so dem Ar­beit­neh­mer auf des­sen Ver­lan­gen die Gründe mit­tei­len, die ihn zu der ge­trof­fe­nen So­zi­al­aus­wahl be­wegt ha­ben, d.h. er muss sub­stan­ti­iert die Gründe vor­tra­gen, die ihn zu sei­ner Aus­wahl ver­an­lasst ha­ben. Kommt der Ar­beit­ge­ber dem Ver­lan­gen des Ar­beit­neh­mers nicht nach, ist die strei­ti­ge Kündi­gung oh­ne wei­te­res als so­zi­al­wid­rig an­zu­se­hen. Erst nach Erfüllung der Aus­kunfts­pflicht trägt der Ar­beit­neh­mer die vol­le Dar­le­gungs­last für die Feh­ler­haf­tig­keit der So­zi­al­aus­wahl (BAG, st. Rspr, zu­letzt 22.01.2004 - 2 AZR 111/02 - AP Nr. 1 zu § 112 Be­trVG 1972 Na­mens­lis­te (C IV d.Gr.)). Der ein­zi­ge Un­ter­schied zu ei­ner nicht auf ei­ner Na­mens­lis­te ba­sie­ren­den Kündi­gung ist al­so im Be­reich der So­zi­al­aus­wahl, dass der Ar­beit­neh­mer nach Erfüllung der Aus­kunfts­pflicht des Ar­beit­ge­bers nicht nur dar­le­gen muss, dass die So­zi­al­aus­wahl feh-

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ler­haft ist (§ 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG), son­dern grundsätz­lich die „gro­be“ Feh­ler­haf­tig­keit nach­wei­sen muss.

d) Die ge­setz­li­che Ab­mil­de­rung des ge­richt­li­chen Über­prüfungs­maßstabs auf „gro­be Fahrlässig­keit“ greift aber nur dann, wenn der In­ter­es­sen­aus­gleich selbst wirk­sam ist. Verstößt die kol­lek­ti­ve Re­ge­lung selbst ge­gen ein ge­setz­li­ches Ver­bot oder wi­der­spricht sie den Vor­ga­ben des KSchG ist die So­zi­al­aus­wahl un­wirk­sam, oh­ne dass die Maßstabs­be­schränkung grei­fen kann (zu­letzt ArbG Es­sen 30.8.2005 – 2 Ca 670/05 – NZA-RR 2006, 77). Ver­ein­ba­ren die Be­triebs­par­tei­en ei­ne Na­mens­lis­te, ist die Über­prüfung der Kündi­gungs­ent­schei­dung auf ei­ne Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung nicht aus­ge­schlos­sen (An­nuß, BB 2006, 325, 326).

Nach Auf­fas­sung der Kam­mer ist die Kündi­gung schon des­halb un­wirk­sam, weil die von der Be­klag­ten gem. § 1 Abs. 3 und 5 KSchG durch­geführ­te So­zi­al­aus­wahl auf der Ba­sis der im In­ter­es­sen­aus­gleich und So­zi­al­plan Nr. 17/06 un­ter 2 c) vor­ge­nom­me­nen Al­ters­grup­pen­bil­dung nicht mit § 7 AGG zu ver­ein­ba­ren ist.

Zwar ha­ben die Be­klag­te und der für den Be­trieb zuständi­ge Be­triebs­rat die Kri­te­ri­en der So­zi­al­aus­wahl im In­ter­es­sen­aus­gleich Nr. 17/06 ge­re­gelt und die zu kündi­gen­den Ar­beit­neh­mer in der Na­men­lis­te ge­nannt. Die un­ter 2 c) des So­zi­al­plans ge­trof­fe­ne Ver­ein­ba­rung zur Bil­dung von Al­ters­grup­pen und die dar­an an­knüpfen­de So­zi­al­aus­wahl in­ner­halb der Grup­pen ver­s­toßen aber ge­gen § 7 Abs. 1 AGG und sind nach § 7 Abs. 2 AGG un­wirk­sam. Die Be­klag­te kann sich des­halb bei der von ihr durch­geführ­ten So­zi­al­aus­wahl nicht auf die zu Grun­de ge­leg­ten Al­ters­grup­pen be­ru­fen.

aa) Die Vor­schrif­ten des AGG fin­den auf die Kündi­gung trotz der in § 2 Abs. 4 AGG ge­re­gel­ten Aus­nah­me An­wen­dung. Zunächst ist das AGG auf den am 8.9.2006 zwi­schen der Be­klag­ten und dem Be­triebs­rat ab­ge­schlos­se­ne In­ter­es­sen­aus­gleich gem. § 33 AGG an­wend­bar. Da­nach fin­det das Ge­setz ab dem Zeit­punkt sei­nes In­kraft­tre­tens am 18.8.2006 grundsätz­lich oh­ne Über­g­angs­fris­ten An­wen­dung. Zwar heißt es in § 2 Abs. 4 AGG, dass für Kündi­gun­gen aus­sch­ließlich die Be­stim­mun­gen zum all­ge­mei­nen und be­son­de­ren Kündi­gungs­schutz gel­ten sol­len. Nach ein­hel­li­ger An­sicht in der Li­te­ra­tur (zu­letzt zu­sam­men­fas­send Sa­gan, NZA 2006, 1257; Bau­er/Preis/Schun­der, NZA 2006, 1261; Däubler/Bertz­bach-Hin­richs, Ha­Ko-AGG, § 2 Rn. 262; Bau­er/Göpfert/Krie­ger, AGG, § 2 Rn. 62; Bay­reu­ther, DB 2006, 1842, 1843; Dil­ler/Krie­ger/Ar­nold, NZA 2006,887; Wiss­kir­chen, DB 2006, 1495) ist die­se Aus­nah­me­vor­schrift je­doch in ih­rem Wort­laut eu­ro­pa­rechts­wid­rig, da sich die Richt­li­nie 2000/78/EG in ih­rem An­wen­dungs­be­reich un­strit­tig auch auf die Be­en-

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di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses be­zieht (EuGH 11.7.2006 – Rs. C 13/05, „Na­vas“ NZA 2006, 839). Die Reich­wei­te der eu­ro­pa­rechts­kon­for­men Aus­le­gung der Vor­schrift wird al­ler­dings un­ter­schied­lich be­ur­teilt.

Zum Teil wird da­nach dif­fe­ren­ziert, ob die Kündi­gung aus ei­nem dis­kri­mi­nie­ren­den Mo­tiv aus­ge­spro­chen wor­den ist (Dil­ler/Krie­ger/Ar­nold, NZA 2006, 887, 888). Zum an­de­ren wird § 2 Abs. 4 AGG als ei­ne ein­deu­ti­ge Gren­ze ei­ner richt­li­ni­en­kon­for­men Aus­le­gung an­ge­se­hen, so dass Kündi­gun­gen grundsätz­lich nicht dem AGG un­ter­fal­len (Bau­er/Göpfert/Krie­ger, AGG, § 2 Rn. 66 f.). Da­ge­gen wird ver­tre­ten, dass § 2 Abs. 4 AGG als eu­ro­pa­rechts­wid­ri­ge Norm von den deut­schen Ge­rich­ten nicht an­zu­wen­den ist (Bay­reu­ther, DB 2006, 1842).

Die bei­den erst ge­nann­ten Ansätze berück­sich­ti­gen das eu­ropäische Recht nicht genügend. Da­nach kommt es für das Vor­lie­gen ei­ner Dis­kri­mi­nie­rung nicht auf die Mo­ti­va­ti­on des Ar­beit­ge­bers an. Al­lein die Ver­wirk­li­chung des ob­jek­ti­ven Tat­be­stands reicht aus, da­mit die Maßnah­me un­wirk­sam ist. Ge­gen die An­sicht, dass der ein­deu­ti­ge Wort­laut des § 2 Abs. 4 AGG ei­ne Aus­le­gung sper­re, spricht die vom EuGH in der Man­gol­dent­schei­dung (EuGH 22.11.2005 – C 144/04 – NZA 2005, 1345; BAG 26.4.2006 -7 AZR 500/04 –DB 2006, 1734) ver­tre­te­ne Auf­fas­sung. Ge­ra­de we­gen sei­nes ein­deu­ti­gen – und eu­ro­pa­rechts­wid­ri­gen - Wort­lauts war § 14 Abs. 3 Tz­B­fG nicht mehr an­zu­wen­den. Nähme man ei­nen wirk­sa­men Aus­schluss der eu­ro­pa­rechts­kon­for­men Aus­le­gung durch § 2 Abs. 4 AGG an, so un­ter­stell­te man be­reits die Wirk­sam­keit der am höher­ran­gi­gem eu­ropäischen Recht noch zu über­prüfen­den Re­ge­lung. Dies ist ein Zir­kel­schluß.

Der eu­ro­pa­rechts­kon­for­men Aus­le­gung des § 2 Abs. 4 AGG ist letzt­lich die vom EuGH in der Man­gol­dent­schei­dung (EuGH 22.11.2005 – C 144/04 – NZA 2005, 1345; fol­gend BAG 26.4.2006 -7 AZR 500/04 –DB 2006, 1734) ver­tre­te­ne Sicht­wei­se zu Grun­de zu le­gen. Verstößt die Vor­schrift als Um­set­zungs­norm ge­gen das eu­ropäische Recht, ist sie von den Ge­rich­ten nicht an­zu­wen­den. Ging es in der Man­gol­dent­schei­dung um § 14 Abs. 3 Tz­B­fG, so ist hier zu prüfen, ob die Um­set­zungs­norm des § 2 Abs. 4 AGG den Re­ge­lungs­zwe­cken der Richt­li­nie 2000/78/EG ent­ge­genläuft (so auch Sa­gan, NZA 2006, 1257). Da die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses den Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bo­ten der Richt­li­nie 2000/78/EG un­ter­liegt, wäre ei­ne Be­reichs­aus­nah­me des Kündi­gungs­schut­zes nur dann zulässig, wenn die na­tio­na­len Schutz­nor­men die Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bo­te be­reits um­fas­sen und des­halb als na­tio­na­le Um­set­zungs­nor­men so­mit schon den eu­ropäischen Stan­dards genügen würden. Das be­deu­tet aber, dass die Re­ge­lun­gen des KSchG nicht

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au­to­ma­tisch von dem An­wen­dungs­be­reich des AGG aus­ge­nom­men sind, son­dern nur dann, wenn die ein­zel­ne Vor­schrift den eu­ropäischen Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bot ent­spricht.

bb) Mit der Bil­dung von Al­ters­grup­pen wer­den älte­re Ar­beit­neh­mer ent­ge­gen § 7 Abs. 1 AGG bei den von der Be­klag­ten aus­ge­spro­che­nen Kündi­gun­gen be­nach­tei­ligt. Die bei der So­zi­al­aus­wahl zu­grun­de ge­leg­ten Al­ter­grup­pen führen nach ei­ge­nem Vor­trag der Be­klag­ten zu ei­ner un­mit­tel­bar an das Al­ter an knüpfen­den Schlech­ter­stel­lung der älte­ren Ar­beit­neh­mer. Hätte sie den Kündi­gun­gen ei­ne So­zi­al­aus­wahl oh­ne ei­ne ent­spre­chen­de Al­ter­grup­pen­bil­dung zu­grun­de ge­legt, „hätte sich die Al­ters­struk­tur … dra­ma­tisch wei­ter ver­schlech­tert, mit der Fol­ge, dass fast nur noch älte­re Ar­beit­neh­mer im Be­trieb ge­we­sen wären…“ (vgl. S. 28 des Schrift­sat­zes vom 18.12.2006). Es liegt da­mit ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung älte­rer Ar­beit­neh­mer vor, da die Al­ters­grup­pen­bil­dung da­zu führt, dass mehr älte­re Ar­beit­neh­mer gekündigt wor­den sind als dies oh­ne die Al­ters­grup­pen­bil­dung ge­sche­hen wäre. Ei­ne un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rungwe­gen des Al­ters liegt vor, wenn der Ar­beit­neh­mer we­gen sei­nes Al­ters we­ni­ger güns­tig be­han­delt wird als ein ver­gleich­ba­rer Ar­beit­neh­mer (Däubler/Bertz­bach-Däubler, Ha­ko-AGG, § 1 Rn. 83; Rung­gal­dier, FS Do­ralt (2004), S. 511, 526; für die öster­rei­chi­sche Um­set­zung Win­disch-Graetz in Reb­hahn/GlBG §17 Rn. 36).

cc) Die­se Schlech­ter­stel­lung der älte­ren Ar­beit­neh­mer durch ei­ne Al­ters­grup­pen be­zo­ge­ne So­zi­al­aus­wahl kann nach An­sicht der Kam­mer grundsätz­lich ge­recht­fer­tigt sein. Da­bei ist die Kam­mer der An­sicht, dass die Berück­sich­ti­gung des Al­ters in­ner­halb der So­zi­al­aus­wahl gem. § 10 Abs. 1 AGG i.V.m. § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG grundsätz­lich ge­recht­fer­tigt ist (vgl. auch zur Rechts­la­ge vor den Ände­run­gen vom 18.10.2006 durch das Zwei­te Ge­setz zur Ände­rung des Be­triebs­ren­ten­ge­set­zes (BT-Ds. 16/3007) Preis, NZA 2006, 401, 409; Lin­sen­mei­er, RdA 2003, 22, 32; Ber­tels­mann, ZESAR 2005, 242, 247), so dass die Vor­schrift nicht per se eu­ro­pa­rechts­wid­rig ist. 

Ei­ne Dif­fe­ren­zie­rung we­gen des Al­ters ist nach § 10 S. 1 AGG als Um­set­zung von Art. 6 der Richt­li­nie 2000/78/EG zulässig, wenn sie „ob­jek­tiv und an­ge­mes­sen und durch ein le­gi­ti­mes Ziel ge­recht­fer­tigt ist.“ Wei­ter­hin wird in § 10 ver­langt (vgl. auch Art. 6 der Richt­li­nie 2000/78/EG), dass die Mit­tel zur Um­set­zung die­ses le­gi­ti­men Ziels verhält­nismäßig sind. Nach Art. 6 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG wer­den zur Recht­fer­ti­gung ins­be­son­de­re Zie­le aus dem Be­reich Ar­beits­markt, Beschäfti­gungs­po­li­tik und be­ruf­li­che Bil­dung ge­nannt. Die Aufzählung ist nicht ab­sch­ließend, setzt aber vor­aus, dass es sich um Zie­le des All­ge­mein­wohls han­delt, die in Form ei­nes Ge­set­zes vor­lie­gen (Däubler/Bertz­bach-Brors, Ha­ko-AGG, § 10 Rn. 109 ff; Thüsing, ZfA 2001, 397, 408; Wie­de­mann/Thüsing,

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NZA 2002, 1234, 1237; Kum­mer, S. 59; wohl auch Boecken, NZS 2005, 393, 395; Ku­ras, RdA 2003, Son­der­bei­la­ge Heft 5, 11, 15; Hahn, S. 123; Lüde­ritz, S 89). In­di­vi­du­el­le Zweck­set­zun­gen rei­chen we­gen der ein­deu­ti­gen eu­ropäischen Vor­ga­ben nicht aus (a.A. Lin­sen­mei­er , RdA 2003, Son­der­bei­la­ge Heft 5, 22, 26; König, ZESAR 2005, 218, 220). In § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG kommt das all­ge­mein­wohl­be­zo­ge­ne Ziel zum Aus­druck, älte­re Ar­beit­neh­mer we­gen ih­rer schlech­te­ren Chan­cen auf dem Ar­beits­markt ge­genüber jünge­ren in der So­zi­al­aus­wahl zu be­vor­zu­gen (Kitt­ner in: Kitt­ner/Däubler/Zwan­zi­ger, § 1 KSchG Rn. 480; Schmidt/Sen­ne , RdA 2002, 80, 84). In­wie­weit die So­zi­al­aus­wahl un­ter der Gel­tung des AGG zu mo­di­fi­zie­ren ist, muss die Kam­mer nicht ent­schei­den. Die Berück­sich­ti­gung des Al­ters kann je­den­falls nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG grundsätz­lich ge­recht­fer­tigt sein.  

Nach Auf­fas­sung der Kam­mer kann der kündi­gen­de Ar­beit­ge­ber sei­ner So­zi­al­aus­wahl gem. § 1 Abs. 5 S. 1, Abs. 3 S. 2 AGG grundsätz­lich Al­ter­grup­pen zu­grun­de le­gen, wenn er ein an den Zwe­cken des Dis­kri­mi­nie­rungs­schut­zes ge­mes­se­nes be­trieb­li­ches be­rech­tig­tes In­ter­es­se an der Al­ters­zu­sam­men­set­zung kon­kret dar­legt. Da­bei reicht nicht jeg­li­ches In­ter­es­se aus, selbst wenn dar­auf ab­ge­stellt wird, dass es sich bei der Al­ters­grup­pen­bil­dung um die Rück­nah­me des nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG gewähr­ten Schut­zes han­delt. Der gewähr­te Schutz darf nicht willkürlich, son­dern nur be­rech­tigt zurück­ge­nom­men wer­den, da die ver­schlech­tern­de An­knüpfung an das Al­ter nach § 7 Abs. 1 AGG stets ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung ist.

Ein sol­ches be­rech­tig­tes In­ter­es­se hat die dafür dar­le­gungs­pflich­ti­ge Be­klag­te (vgl. schon zur Rechts­la­ge vor In­kraft­tre­ten des AGG: BAG 20.4.2005 – 2 AZR 201/04 – NZA 2005, 877; Brors, Ar­buR 2005, 41; KR/Et­zel 7. Aufl. § 1 KSchG Rn. 655; Fi­scher­mei­er NZA 1997, 1093; BB­DW-Bram § 1 KSchG Rn. 323e; Büte­fisch, Die So­zi­al­aus­wahl, S. 328 f.; KR/Et­zel aaO § 1 KSchG Rn. 655; Stahl­ha­cke/Preis/Vos­sen Kündi­gung und Kündi­gungs­schutz im Ar­beits­verhält­nis Rn. 1140; BB­DW-Bram § 1 KSchG Rn. 323e; Quecke RdA 2004, 89) nicht vor­ge­tra­gen. Un­ter der An­wend­bar­keit des § 7 AGG hat sich nach Auf­fas­sung der Kam­mer der Maßstab für die Über­prüfung der So­zi­al­aus­wahl si­cher­lich nicht da­hin­ge­hend geändert, dass die­se Dar­le­gungs­last er­leich­tert wird. Für die be­rech­tig­te Bil­dung von Al­ters­grup­pen genügt nicht je­des wirt­schaft­li­che In­ter­es­se. Das be­rech­tig­te In­ter­es­se muss im Lich­te des ge­setz­li­chen Dis­kri­mi­nie­rungs­schut­zes ge­recht­fer­tigt sein.

Schon nach der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG 20.4.2005 – 2 AZR 201/04 – NZA 2005, 877; BAG 23.11.2000 – 2 ABR 533/99 – NZA 2001, 601 un­ter Be­zug­nah­me auf die Recht­spre­chung und Li­te­ra­tur vor Er­lass des AGG (ArbG Elms­horn -

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2 Ca 1160/93 - BB 1994, 791; MünchArbR/Ber­kow­sky § 151 Rn. 49 ff.; Hu­eck/von Ho­y­nin­gen-Hue­ne KSchG 12. Aufl. § 1 Rn. 479 b; KR-Et­zel 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 598 a; Rum­pen­horst NZA 1991, 214) konn­te es aus­rei­chen, dass die Er­hal­tung ei­ner aus­ge­wo­ge­nen Al­ters­struk­tur nach be­triebs­tech­ni­schen, wirt­schaft­li­chen oder sons­ti­ge be­rech­tig­ten be­trieb­li­chen Bedürf­nis­sen der Aus­wahl nach so­zia­len Ge­sichts­punk­ten ent­ge­gen­stand. Ein sol­ches be­rech­tig­tes be­trieb­li­ches Bedürf­nis soll­te nach der höchst­rich­ter­li­chen Recht­spre­chung an­zu­neh­men sein, wenn ins­be­son­de­re bei ei­ner Mas­sen­ent­las­sung die Ge­fahr be­ste­hen konn­te, dass es durch ei­ne Aus­wahl al­lein nach so­zia­len Ge­sichts­punk­ten zu er­heb­li­chen Ver­schie­bun­gen in der Al­ters­struk­tur des Be­trie­bes kam, die im be­trieb­li­chen In­ter­es­se nicht hin­nehm­bar wa­ren.

Da­bei war nach der Recht­spre­chung bei der Fra­ge, was als be­rech­tig­tes be­trieb­li­ches In­ter­es­se gel­ten kann, zu berück­sich­ti­gen, dass das Ge­setz durch die Be­nen­nung von Bei­spie­len die Si­che­rung ei­ner aus­ge­wo­ge­nen Per­so­nal­struk­tur grundsätz­lich als vor­teil­haft für den Be­trieb wer­te­te (KR-Et­zel 5. Aufl. § 1 KSchG Rn. 644). Bei der Fra­ge, wel­che be­trieb­li­chen In­ter­es­sen die Bil­dung von Al­ters­grup­pen recht­fer­ti­gen konn­ten, hat­te der Ar­beit­ge­ber nach der Recht­spre­chung vor Er­lass der Re­ge­lun­gen des AGG ei­nen Be­ur­tei­lungs­spiel­raum (BAG 20.4.2005 – 2 AZR 201/04 –NZA 2005, 877). Da im KSchG für die Recht­fer­ti­gung kei­ne in­halt­li­chen oder zeit­li­chen Vor­ga­ben für die Bil­dung der ent­spre­chen­den Al­ters­grup­pen vor­ge­schrie­ben wa­ren, konn­te ein be­rech­tig­tes be­trieb­li­ches Bedürf­nis am Er­halt ei­ner aus­ge­wo­ge­nen Al­ters­struk­tur im Hin­blick auf die spe­zi­el­len Be­triebs­zwe­cke und ggf. de­ren Um­set­zung be­ste­hen. Die Si­che­rung ei­ner aus­ge­wo­ge­nen Al­ters­struk­tur konn­te z.B. dar­in lie­gen, dass die Per­so­nal­struk­tur auf­grund ei­nes vom Ar­beit­ge­ber zu Grun­de ge­leg­ten pädago­gi­schen Kon­zepts ei­ne Al­ters­durch­mi­schung er­for­der­te (BAG 23.11.2000 – 2 AZR 533/99, NZA 2001, 601) oder auf­grund der be­ruf­li­chen An­for­de­run­gen ein ge­wis­ser Pro­zent­satz jünge­rer Ar­beit­neh­mer beschäftigt sein muss­te (LAG Köln 2.2.2006- 6 Sa 1287/05 n.v. für Gra­phik­de­si­gner).

Da­bei ist zum Teil in der in­stanz­ge­richt­li­chen Recht­spre­chung auch ver­tre­ten wor­den, dass der Ar­beit­ge­ber dann kein be­son­de­res be­trieb­li­ches In­ter­es­se dar­le­gen müsse, wenn er die be­ste­hen­de Al­ters­struk­tur er­hal­ten, nicht aber verändern will (LAG Köln 2.2.2006 – 6 Sa 1287/05 n.v.).Mit der Neu­fas­sung des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG zum 01.01.2004 ha­be der Ge­setz­ge­ber nämlich grundsätz­lich an­er­kannt, dass die Er­hal­tung ei­ner aus­ge­wo­ge­nen Per­so­nal­struk­tur ein be­rech­tig­tes be­trieb­li­ches In­ter­es­se dar­stellt. Nur wenn der Ar­beit­ge­ber im Rah­men der be­triebs­be­ding­ten Kündi­gung die Struk­tur zu sei­nen Guns­ten verändern wol­le, müsse er Sach­gründe vor­tra­gen, die die Her­aus­nah­me ein­zel­ner Mit­ar­bei­ter aus der So­zi­al­wahl recht­fer­ti­gen können. Wol­le er hin­ge­gen nur die

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bis­he­ri­ge Al­ters­struk­tur er­hal­ten, so müsse dies als sach­li­cher Grund aus­rei­chen (vgl. so wohl auch Stahl­ha­cke/Preis/Vos­sen, Kündi­gung und Kündi­gungs­schutz im Ar­beits­verhält­nis, 9. Auf­la­ge, Rz. 1141; HWK/Quecke, § 1 KSchG, Rz. 402, 404).

Die­se An­sicht ist an­ge­sichts des eu­ropäischen Dis­kri­mi­nie­rungs­schut­zes nach Auf­fas­sung der Kam­mer nicht mehr halt­bar. Der Ver­weis auf den sta­tus quo der Al­ters­struk­tur ist als sol­cher schon kein Recht­fer­ti­gungs­grund, da die Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung bis­lang im deut­schen Ar­beits­recht zulässig ge­we­sen ist. Die Be­ru­fung auf den sta­tus quo könn­te da­her oh­ne ei­nen be­rech­tig­ten Grund da­zu führen, dass sich ein be­reits auf Dis­kri­mi­nie­run­gen be­ru­hen­der Zu­stand ver­fes­tigt. Es muss da­her ein über die bloße Be­ru­fung auf die Fak­ti­zität hin­aus ge­hen­der Sach­grund vor­ge­tra­gen wer­den. Ei­ne § 7 AGG wi­der­spre­chen­de Dis­kri­mi­nie­rung ist nur dann ge­recht­fer­tigt, wenn ein ge­setz­li­cher Recht­fer­ti­gungs­grund, wie ihn der deut­sche Ge­setz­ge­ber in §§ 5, 8 und 10 AGG um­ge­setzt hat, erfüllt ist. Nur wenn die­se Rech­fer­ti­gungs­gründe das gel­tend ge­mach­te be­trieb­li­che In­ter­es­se um­fas­sen, kann der kündi­gen­de Ar­beit­ge­ber an be­stimm­ten Al­ters­struk­tu­ren fest­hal­ten.

Ei­ne sol­che Recht­fer­ti­gung wird zum Teil dar­in ge­se­hen, dass sich über § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG ein le­gi­ti­mes Beschäfti­gungs­ziel ver­wirk­li­chen kann (Ber­tels­mann, ZESAR 2005, 242, 249). Wei­ter wird ein Recht­fer­ti­gungs­grund an­zu­neh­men sein, wenn – wie es schon in der Recht­spre­chung vor Er­lass des AGG – die Al­ters­struk­tur ei­ne we­sent­li­che Vor­aus­set­zung für die be­ruf­li­che Tätig­keit selbst ist (Däubler/Bertz­bach-Brors, Ha­Ko-AGG, § 10 Rn. 112).

Sol­che Gründe hat die Be­klag­te nicht vor­ge­tra­gen. Wenn sie mit dem Ar­gu­ment, mit­tel­fris­tig sei die Pro­duk­ti­on mit älte­ren Ar­beit­neh­mern nicht mehr auf­recht zu er­hal­ten ge­we­sen, meint, dass älte­re Ar­beit­neh­mer an sich we­ni­ger leis­tungsfähig sei­en, so greift sie da­mit ein Vor­ur­teil auf, dem das AGG ge­ra­de ent­ge­gen­ge­setzt ist. Es exis­tie­ren kei­ne em­pi­ri­schen Be­le­ge, dass die Leis­tungsfähig­keit mit zu­neh­men­dem Al­ter ge­ne­rell schwin­det (vgl. zu­letzt zu­sam­men­fas­send Hahn, Aus­wir­kun­gen der eu­ropäischen Re­ge­lung zur Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung im deut­schen Ar­beits­recht, 2006, S. 25). Falls sich die Be­klag­te dar­auf be­ru­fen will, dass älte­re Ar­beit­neh­mer auf­grund des ar­beits­recht­li­chen Se­nio­ritäts­schut­zes oft­mals kos­ten­in­ten­si­ver sind, so ist die­ses Ar­gu­ment eben­so nicht tragfähig. Den Lohn­kos­ten lie­gen ei­ge­ne pri­vat­au­to­nom ge­trof­fe­ne Ver­ein­ba­run­gen der Be­klag­ten, bzw. der für sie han­deln­den kol­lek­ti­ven In­ter­es­sen­ver­tre­ter zu Grun­de. Auf der­ar­ti­ge fi­nan­zi­el­le Nach­tei­le kann sich die Be­klag­te nicht be­ru­fen, da sie die­se selbst ver­ur­sacht hat. Sie ist

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an die­se ab­ge­ge­be­nen Ver­spre­chen ge­bun­den. Ei­ne der­ar­ti­ge Ar­gu­men­ta­ti­on – soll­te sie denn ge­meint sein - ist selbst­wi­dersprüchlich.

Der Ver­s­toß ge­gen § 7 Abs. 2 AGG führt da­zu, dass die von der Be­klag­ten durch­geführ­te So­zi­al­aus­wahl ins­ge­samt feh­ler­haft und da­mit nicht gem. § 1 Abs. 3 KSchG durch­geführt wor­den ist. Da­her ist es nicht er­for­der­lich, dass der Kläger ein­zel­ne we­ni­ger schutzwürdi­ge Ar­beit­neh­mer be­nennt. Da die Re­ge­lung in 2 c) des In­ter­es­sen­aus­gleichs und So­zi­al­plans ins­ge­samt un­wirk­sam ist, kann die Kam­mer auch nicht an­stel­le der Be­klag­ten ei­ne So­zi­al­aus­wahl vor­neh­men und be­stim­men, ob der Kläger in die­sem Fall so­zi­al schutzwürdig ge­we­sen wäre.

3. Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 46 Abs. 2 ArbGG i.V. m. § 91 Abs. 1 ZPO. Der Streit­wert ist gem. § 61 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 42 Abs. 4 S. 1 GKG fest­ge­setzt wor­den. Die Be­ru­fung ist nach § 64 Abs. 2 c) zulässig. Ei­ne ge­son­der­te Zu­las­sung nach § 64 Abs. 3 ArbGG war so nicht er­for­der­lich.

 

Rechts­mit­tel­be­leh­rung

Ge­gen die­ses Ur­teil kann Be­ru­fung ein­ge­legt wer­den,

a) wenn sie in dem Ur­teil des Ar­beits­ge­richts zu­ge­las­sen wor­den ist oder

b) wenn der Wert des Be­schwer­de­ge­gen­stan­des 600 EUR über­steigt oder

c) in Rechts­strei­tig­kei­ten über das Be­ste­hen, das Nicht­be­ste­hen oder die Kündi­gung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses.

So­weit die Vor­aus­set­zun­gen zu a), b) oder c) nicht vor­lie­gen, ist ge­gen die­ses Ur­teil kein Rechts­mit­tel ge­ge­ben. Die Be­ru­fungs­schrift muss von ei­nem bei ei­nem deut­schen Ge­richt zu­ge­las­se­nen Rechts­an­walt un­ter­zeich­net sein; an sei­ner Stel­le können Ver­tre­ter der Ge­werk­schaf­ten oder von Ver­ei­ni­gun­gen von Ar­beit­ge­bern oder von Zu­sam­men­schlüssen sol­cher Verbände tre­ten, wenn sie kraft Sat­zung oder Voll­macht zur Ver­tre­tung be­fugt sind und der Zu­sam­men­schluss, der Ver­band oder de­ren Mit­glied Par­tei sind.

Die Be­ru­fungs­schrift muss bin­nen ei­ner Not­frist von ei­nem Mo­nat nach Zu­stel­lung des Ur­teils bei dem

Lan­des­ar­beits­ge­richt Nie­der­sach­sen, Si­en­ri­en­se­traße 10, 30173 Han­no­ver

ein­ge­gan­gen sein. Die Be­ru­fungs­schrift muss das Ur­teil be­zeich­nen, ge­gen das die Be­ru­fung ge­rich­tet wird und die Erklärung ent­hal­ten, dass ge­gen die­ses Ur­teil Be­ru­fung ein­ge­legt wer­de. Ihr soll fer­ner ei­ne Aus­fer­ti­gung oder be­glau­big­te Ab­schrift des an­ge­foch­te­nen Ur­teils bei­gefügt wer­den.

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Die Be­ru­fung ist gleich­zei­tig oder in­ner­halb von zwei Mo­na­ten nach Zu­stel­lung des Ur­teils in glei­cher Form zu be­gründen.

Da­bei ist bei nicht zu­ge­las­se­ner Be­ru­fung der Wert des Be­schwer­de­ge­gen­stan­des glaub­haft zu ma­chen; die Ver­si­che­rung an Ei­des Statt ist in­so­weit nicht zulässig.

Die für die Zu­stel­lung an die Ge­gen­sei­te er­for­der­li­che Zahl von be­glau­big­ten Ab­schrif­ten soll mit der Be­ru­fungs- bzw. Be­gründungs­schrift ein­ge­reicht wer­den.

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt Nie­der­sach­sen bit­tet dar­um, die Be­ru­fungs­be­gründung und die Be­ru­fungs­er­wi­de­rung in 5-fa­cher Aus­fer­ti­gung, für je­den wei­te­ren Be­tei­lig­ten ein Ex­em­plar mehr, ein­zu­rei­chen.

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