HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

BVerfG, Ur­teil vom 09.12.2008, 2 BvL 1/07

   
Schlagworte: Arbeitsweg, Entfernungspauschale, Pendlerpauschale
   
Gericht: Bundesverfassungsgericht
Aktenzeichen: 2 BvL 1/07
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 09.12.2008
   
Leitsätze: Zu den Anforderungen an eine folgerichtige Abgrenzung von Erwerbsaufwendungen im Einkommensteuerrecht.
Vorinstanzen: Finanzgericht Hannover
Finanzgericht Saarbrücken
Bundesfinanzhof
   

BUN­DES­VER­FASSUN­GS­GERICHT


- 2 BvL 1/07 -

- 2 BvL 2/07 -

- 2 BvL 1/08 -

- 2 BvL 2/08 -

Verkündet
am 9. De­zem­ber 2008
An­kel­mann
Amts­in­spek­tor
als Ur­kunds­be­am­ter
der Geschäfts­stel­le


IM NA­MEN DES VOL­KES


In den Ver­fah­ren
zu den ver­fas­sungs­recht­li­chen Prüfun­gen,

ob § 9 Abs. 2 des Ein­kom­men­steu­er­ge­set­zes in der Fas­sung des Steu­erände­rungs­ge­set­zes 2007 vom 19. Ju­li 2006 ( BGBl I S. 1652) mit dem Grund­ge­setz un­ver­ein­bar und des­halb ungültig oder nich­tig ist,

- Aus­set­zungs- und Vor­la­ge­be­schluss des Nie­dersäch­si­schen Fi­nanz­ge­richts vom 27. Fe­bru­ar 2007 - 8 K 549/06 -

- 2 BvL 1/07 -,

1. ob die durch Art. 1 des Steu­erände­rungs­ge­set­zes 2007 vom 19. Ju­li 2006 (BGBl I S. 1652) ein­geführ­te Vor­schrift des § 9 Abs. 2 Satz 1 Ein­kom­men­steu­er­ge­setz - EStG - mit Art. 3 Abs. 1 GG ver­ein­bar ist,

2. ob die durch Art. 1 des Steu­erände­rungs­ge­set­zes 2007 vom 19. Ju­li 2006 (BGBl I S. 1652) ein­geführ­te Vor­schrift des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG mit Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG ver­ein­bar ist, so­weit sie zu ei­ner Be­schränkung der Steu­er­frei­heit des Exis­tenz­mi­ni­mums führen kann,

3. ob die durch Art. 1 des Steu­erände­rungs­ge­set­zes 2007 vom 19. Ju­li 2006 (BGBl I S. 1652) ein­geführ­te Vor­schrift des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG mit Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG ver­ein­bar ist, so­weit sie für bei­der­seits be­ruftäti­ge Ehe­gat­ten Gel­tung be­an­sprucht,

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- Aus­set­zungs- und Vor­la­ge­be­schluss des Fi­nanz­ge­richts des Saar­lan­des vom 22. März 2007 - 2 K 2442/06 -

- 2 BvL 2/07 -,

ob § 9 Abs. 2 Satz 1 des Ein­kom­men­steu­er­ge­set­zes i. d. F. des Steu­erände­rungs­ge­set­zes 2007 vom 19. Ju­li 2006 (BGBl I S. 1652) in­so­weit mit dem Grund­ge­setz ver­ein­bar ist, als da­nach Auf­wen­dun­gen des Ar­beit­neh­mers für sei­ne We­ge zwi­schen Woh­nung und re­gelmäßiger Ar­beitsstätte kei­ne Wer­bungs­kos­ten sind und kei­ne wei­te­ren ein­kom­men­steu­er­recht­li­chen Re­ge­lun­gen be­ste­hen, nach de­nen die vom Ab­zugs­ver­bot be­trof­fe­nen Auf­wen­dun­gen an­sons­ten die ein­kom­men­steu­er­li­che Be­mes­sungs­grund­la­ge min­dern,

- Aus­set­zungs- und Vor­la­ge­be­schluss des Bun­des­fi­nanz­hofs vom 10. Ja­nu­ar 2008 - VI R 27/07 -

- 2 BvL 1/08 -,

ob § 9 Abs. 2 Satz 1 des Ein­kom­men­steu­er­ge­set­zes i. d. F. des Steu­erände­rungs­ge­set­zes 2007 vom 19. Ju­li 2006 (BGBl I S. 1652) in­so­weit mit dem
Grund­ge­setz ver­ein­bar ist, als da­nach Auf­wen­dun­gen des Ar­beit­neh­mers für We­ge zwi­schen Woh­nung und re­gelmäßiger Ar­beitsstätte kei­ne Wer­bungs­kos­ten sind und kei­ne wei­te­ren ein­kom­men­steu­er­recht­li­chen Re­ge­lun­gen be­ste­hen, nach de­nen die vom Ab­zugs­ver­bot be­trof­fe­nen Auf­wen­dun­gen an­sons­ten die ein­kom­men­steu­er­li­che Be­mes­sungs­grund­la­ge min­dern,

- Aus­set­zungs- und Vor­la­ge­be­schluss des Bun­des­fi­nanz­hofs vom 10. Ja­nu­ar 2008 - VI R 17/07 -

- 2 BvL 2/08 -


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hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt - Zwei­ter Se­nat -
un­ter Mit­wir­kung der Rich­te­rin­nen und Rich­ter
Vi­ze­präsi­dent Voßkuh­le,
Broß,
Os­ter­loh,
Di Fa­bio,
Mel­ling­hoff,
Lübbe-Wolff,
Ger­hardt,
Land­au
auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 10. Sep­tem­ber 2008 durch

Ur­teil

für Recht er­kannt:

1. § 9 Ab­satz 2 Satz 1 und Satz 2 des Ein­kom­men­steu­er­ge­set­zes in der seit In­kraft­tre­ten des Steu­erände­rungs­ge­set­zes 2007 vom 19. Ju­li 2006 (Bun­des­ge­setz­blatt I Sei­te 1652) gel­ten­den Fas­sung ist mit Ar­ti­kel 3 Ab­satz 1 des Grund­ge­set­zes un­ver­ein­bar.

2. Bis zu ei­ner ge­setz­li­chen Neu­re­ge­lung ist § 9 Ab­satz 2 Satz 2 des Ein­kom­men­steu­er­ge­set­zes im We­ge vorläufi­ger Steu­er­fest­set­zung (§ 165 Ab­ga­ben­ord­nung) so­wie ent­spre­chend im Lohn­steu­er­ver­fah­ren, hin­sicht­lich der Ein­kom­men­steu­er­vor­aus­zah­lun­gen und in sons­ti­gen Ver­fah­ren, in de­nen das zu ver­steu­ern­de Ein-kom­men zu be­stim­men ist, mit der Maßga­be an­zu­wen­den, dass die tat­be­stand­li­che Be­schränkung auf „erhöhte“ Auf­wen­dun­gen „ab dem 21. Ent­fer­nungs­ki­lo­me­ter“ entfällt.

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G r ü n d e:

A.

Die zur ge­mein­sa­men Ent­schei­dung ver­bun­de­nen Nor­men­kon­troll­ver­fah­ren be­tref­fen die Fra­ge, ob § 9 Abs. 2 Satz 1 des Ein­kom­men­steu­er­ge­set­zes (EStG) in der seit 2007 gel­ten­den Fas­sung, wo­nach die Auf­wen­dun­gen des Ar­beit­neh­mers für die We­ge zwi­schen Woh­nung und re­gelmäßiger Ar­beitsstätte und für Fa­mi­li­en­heim­fahr­ten kei­ne Wer­bungs­kos­ten sind, mit dem Grund­ge­setz, ins­be­son­de­re mit dem all­ge­mei­nen Gleich­heits­satz des Art. 3 Abs. 1 GG, ver­ein­bar ist.

I.

1. Auf­wen­dun­gen ei­nes Ar­beit­neh­mers für die We­ge zwi­schen Woh­nung und Ar­beitsstätte konn­ten erst­mals seit dem ers­ten Reichs­ein­kom­men­steu­er­ge­setz - EStG - vom 29. März 1920 (RGBl 1920 S. 359) als Wer­bungs­kos­ten ab­ge­zo­gen wer­den (§ 13 Nr. 1 Buchst. d EStG). Dies galt im Grund­satz bis zum Ver­an­la­gungs­zeit­raum 2006. Nach der bis zum 31. De­zem­ber 2006 gel­ten­den Rechts­la­ge konn­ten die Fahrt­auf­wen­dun­gen gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG a.F. un­ter den dort ge­nann­ten Vor­aus­set­zun­gen als Wer­bungs­kos­ten bei den Einkünf­ten aus nicht­selbständi­ger Ar­beit (§ 2 Abs. 1 Nr. 4, § 19 Abs. 1 EStG) ab­ge­zo­gen wer­den und min­der­ten so­mit den Über­schuss der Ein­nah­men (§ 8 EStG) über die Wer­bungs­kos­ten (§§ 9, 9a EStG; § 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG). Ab­ge­se­hen von den Fällen, in de­nen die Wer­bungs­kos­ten den Ar­beit­neh­mer-Pausch­be­trag nach § 9a Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG nicht über­stie­gen, wirk­ten sich Fahrt­auf­wen­dun­gen da­nach steu­er­min­dernd aus. Ei­ne ent­spre­chen­de Re­ge­lung be­stand in § 4 Abs. 5 Nr. 6 EStG für Steu­er­pflich­ti­ge, die Ge­winn­einkünf­te im Sin­ne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, Abs. 2 Nr. 1 EStG er­ziel­ten.

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2. Mit der ab dem 1. Ja­nu­ar 2007 gel­ten­den Vor­schrift des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG hat der Ge­setz­ge­ber an­ge­ord­net, dass Auf­wen­dun­gen ei­nes Ar­beit­neh­mers für Fahr­ten zwi­schen Woh­nung und Ar­beitsstätte kei­ne Wer­bungs­kos­ten sind. Da­ge­gen können nach § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG in der Fas­sung des Steu­erände­rungs­ge­set­zes 2007 Auf­wen­dun­gen, die für We­ge zwi­schen Woh­nung und re­gelmäßiger Ar­beitsstätte ab dem 21. Ent­fer­nungs­ki­lo­me­ter ent­ste­hen, wie Wer­bungs­kos­ten ab­ge­zo­gen wer­den, je­doch, so­weit der Ar­beit­neh­mer kei­nen Kraft­wa­gen be­nutzt, wie auch zu­vor nur bis zu ei­ner Höhe von 4.500 Eu­ro im Ka­len­der­jahr. Ei­ne ent­spre­chen­de Re­ge­lung enthält § 4 Abs. 5a EStG für den Be­reich der Ge­winn­einkünf­te im Sin­ne von § 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG.

Die ein­schlägi­gen Vor­schrif­ten des Ein­kom­men­steu­er­ge­set­zes in der Fas­sung des Steu­erände­rungs­ge­set­zes 2007 lau­ten wie folgt:

§ 9 Wer­bungs­kos­ten

(1) Wer­bungs­kos­ten sind Auf­wen­dun­gen zur Er­wer­bung, Si­che­rung und Er­hal­tung der Ein­nah­men. Sie sind bei der Ein­kunfts­art ab­zu­zie­hen, bei der sie er­wach­sen sind. Wer­bungs­kos­ten sind auch
(...)
5. not­wen­di­ge Mehr­auf­wen­dun­gen, die ei­nem Ar­beit­neh­mer we­gen ei­ner aus be­ruf­li­chem An­lass be­gründe­ten dop­pel­ten Haus­haltsführung ent­ste­hen, und zwar un­abhängig da­von, aus wel­chen Gründen die dop­pel­te Haus­haltsführung bei­be­hal­ten wird. Ei­ne dop­pel­te Haus­haltsführung liegt nur vor, wenn der Ar­beit­neh­mer außer­halb des Or­tes, in dem er ei­nen ei­ge­nen Haus­stand un­terhält, beschäftigt ist und auch am Beschäfti­gungs­ort wohnt.


(...)

(2) Kei­ne Wer­bungs­kos­ten sind die Auf­wen­dun­gen des Ar­beit­neh­mers für die We­ge zwi­schen Woh­nung und re­gelmäßiger Ar­beitsstätte und für Fa­mi­li­en­heim­fahr­ten. Zur Ab­gel­tung erhöhter Auf­wen­dun­gen für die We­ge zwi­schen Woh­nung und re­gelmäßiger Ar­beitsstätte ist ab dem 21. Ent­fer­nungs­ki­lo­me­ter für je­den Ar­beits­tag, an dem der Ar­beit­neh­mer die Ar­beitsstätte auf­sucht, für je­den vol­len Ki­lo­me­ter der

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Ent­fer­nung ei­ne Ent­fer­nungs­pau­scha­le von 0,30 Eu­ro wie Wer­bungs­kos­ten an­zu­set­zen, höchs­tens je­doch 4.500 Eu­ro im Ka­len­der­jahr; ein höhe­rer Be­trag als 4.500 Eu­ro ist an­zu­set­zen, so­weit der Ar­beit­neh­mer ei­nen ei­ge­nen oder ihm zur Nut­zung über­las­se­nen Kraft­wa­gen be­nutzt. Die Ent­fer­nungs­pau­scha­le gilt nicht für Flug­stre­cken und Stre­cken mit steu­er­frei­er Sam­mel­beförde­rung nach § 3 Nr. 32; in die­sen Fällen sind Auf­wen­dun­gen des Ar­beit­neh­mers wie Wer­bungs­kos­ten an­zu­set­zen, bei Sam­mel­beförde­rung der auf Stre­cken ab dem 21. Ent­fer­nungs­ki­lo­me­ter ent­fal­len­de Teil. Für die Be­stim­mung der Ent­fer­nung ist die kürzes­te Straßen­ver­bin­dung zwi­schen Woh­nung und Ar­beitsstätte maßge­bend; ei­ne an­de­re als die kürzes­te Straßen­ver­bin­dung kann zu­grun­de ge­legt wer­den, wenn die­se of­fen­sicht­lich ver­kehrsgüns­ti­ger ist und vom Ar­beit­neh­mer re­gelmäßig für die We­ge zwi­schen Woh­nung und Ar­beitsstätte be­nutzt wird. Nach § 8 Abs. 3 steu­er­freie Sach­bezüge für Fahr­ten zwi­schen Woh­nung und Ar­beitsstätte min­dern den nach Satz 2 ab­zieh­ba­ren Be­trag; ist der Ar­beit­ge­ber selbst der Ver­kehr­sträger, ist der Preis an­zu­set­zen, den ein drit­ter Ar­beit­ge­ber an den Ver­kehr­sträger zu ent­rich­ten hätte. Hat ein Ar­beit­neh­mer meh­re­re Woh­nun­gen, so sind die We­ge von ei­ner Woh­nung, die nicht der Ar­beitsstätte am nächs­ten liegt, nur zu berück­sich­ti­gen, wenn sie den Mit­tel­punkt der Le­bens­in­ter­es­sen des Ar­beit­neh­mers bil­det und nicht nur ge­le­gent­lich auf­ge­sucht wird. Auf­wen­dun­gen für die We­ge vom Beschäfti­gungs­ort zum Ort des ei­ge­nen Haus­stands und zurück (Fa­mi­li­en­heim­fahr­ten) können je­weils nur für ei­ne Fa­mi­li­en­heim­fahrt wöchent­lich wie Wer­bungs­kos­ten ab­ge­zo­gen wer­den. Zur Ab­gel­tung der Auf­wen­dun­gen für ei­ne Fa­mi­li­en­heim­fahrt ist ei­ne Ent­fer­nungs­pau­scha­le von 0,30 Eu­ro für je­den vol­len Ki­lo­me­ter der Ent­fer­nung zwi­schen dem Ort des ei­ge­nen Haus­stands und dem Beschäfti­gungs­ort an­zu­set­zen; die Sätze 3 bis 5 sind ent­spre­chend an­zu­wen­den. Auf­wen­dun­gen für Fa­mi­li­en­heim­fahr­ten mit ei­nem dem Steu­er­pflich­ti­gen im Rah­men ei­ner Ein­kunfts­art über­las­se­nen Kraft­fahr­zeug wer­den nicht berück­sich­tigt. Durch die Ent­fer­nungs­pau­scha­len sind sämt­li­che Auf­wen­dun­gen ab­ge­gol­ten, die durch die We­ge zwi­schen Woh­nung und Ar­beitsstätte und durch die Fa­mi­li­en­heim­fahr­ten ver­an­lasst sind. Be­hin­der­te Men­schen,

1. de­ren Grad der Be­hin­de­rung min­des­tens 70 beträgt,

2. de­ren Grad der Be­hin­de­rung von we­ni­ger als 70, aber min­des­tens 50 beträgt und die in ih­rer Be­we­gungsfähig­keit im Straßen­ver­kehr er­heb­lich be­ein­träch­tigt sind, können an Stel­le der Ent­fer­nungs­pau­scha­len die tatsächli­chen Auf­wen­dun­gen für die We­ge zwi­schen Woh­nung und Ar­beitsstätte und für die Fa­mi­li­en­heim­fahr­ten an­set­zen. Die Vor­aus­set-

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zun­gen der Num­mern 1 und 2 sind durch amt­li­che Un­ter­la­gen nach­zu­wei­sen.

(3) Ab­satz 1 Satz 3 Nr. 5 und Ab­satz 2 gel­ten bei den Ein­kunfts­ar­ten im Sin­ne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 bis 7 ent­spre­chend.
(...)

§ 52 An­wen­dungs­vor­schrif­ten

(1) Die­se Fas­sung des Ge­set­zes ist, so­weit in den fol­gen­den Absätzen nichts an­de­res be­stimmt ist, erst­mals für den Ver­an­la­gungs­zeit­raum 2007 an­zu­wen­den. Beim Steu­er­ab­zug vom Ar­beits­lohn gilt Satz 1 mit der Maßga­be, dass die­se Fas­sung erst­mals auf den lau­fen­den Ar­beits­lohn an­zu­wen­den ist, der für ei­nen nach dem 31. De­zem­ber 2006 en­den­den Lohn­zah­lungs­zeit­raum ge­zahlt wird, und auf sons­ti­ge Bezüge, die nach dem 31. De­zem­ber 2006 zu­fließen.
(...)

II.

1. a) Die Kläger im Aus­gangs­ver­fah­ren, das dem Nor­men­kon­troll­ver­fah­ren 2 BvL 1/07 zu­grun­de liegt, sind Ehe­leu­te und er­zie­len je­weils Einkünf­te aus nicht­selbständi­ger Ar­beit nach § 19 EStG. Die Ar­beits­stel­le des Klägers liegt 41 km, die der Kläge­rin in der Ge­gen­rich­tung 54 km vom ge­mein­sa­men Wohn­ort der Ehe­gat­ten ent­fernt. Mit ih­rem An­trag auf Lohn­steu­er­ermäßigung be­an­trag­ten die Kläger je­weils die Ein­tra­gung ei­nes Frei­be­tra­ges nach § 39a Abs. 1 Nr. 1 EStG auf der Lohn­steu­er­kar­te. Sie erklärten Auf­wen­dun­gen für Fahr­ten zwi­schen Woh­nung und Ar­beitsstätte ent­spre­chend der un­gekürz­ten Zahl der Ent­fer­nungs­ki­lo­me­ter als Wer­bungs­kos­ten. Das Fi­nanz­amt berück­sich­tig­te die Fahr­ten für bei­de Ehe­gat­ten je­weils erst ab dem 21. Ki­lo­me­ter und trug den dar­aus fol­gen­den Frei­be­trag un­ter An­rech­nung des Wer­bungs­kos­ten­pausch­be­trags nach § 9a Satz 1 Nr. 1 EStG je­weils auf der Lohn­steu­er­kar­te ein. Die nach er­folg­lo­sem Ein­spruch er­ho­be­ne Kla­ge we­gen der Nicht­berück­sich­ti­gung der Auf­wen­dun­gen für die ers­ten 20 Ki­lo­me­ter der Weg­stre­cken zum Ar­beits­platz führ­te zur Vor­la­ge des Nie­dersäch­si­schen Fi­nanz­ge­richts nach Art. 100 Abs. 1 GG.


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b) Die Kläger im Aus­gangs­ver­fah­ren, das dem Ver­fah­ren 2 BvL 2/07 zu­grun­de liegt, sind nicht­selbständig täti­ge, zu­sam­men­ver­an­lag­te Ehe­leu­te, de­ren Ar­beitsstätten in un­ter­schied­li­chen Rich­tun­gen 60 km bzw. 75 km von ih­rem ge­mein­sa­men Wohn­ort ent­fernt lie­gen. Auf ih­ren An­trag auf Lohn­steu­er­ermäßigung für das Jahr 2007 we­gen der Fahrt­kos­ten für die We­ge von und zum Ar­beits­platz - für den Kläger in Höhe von 3. 960 Eu­ro und für die Kläge­rin in Höhe von 4. 950 Eu­ro - be­rech­ne­te das Fi­nanz­amt ent­spre­chend der ab dem Jahr 2007 gel­ten­den Neu­fas­sung des § 9 Abs. 2 EStG un­ter Kürzung um den Wer­bungs­kos­ten­pausch­be­trag von je­weils 920 Eu­ro (§ 9a Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG) ei­nen Frei­be­trag für den Kläger von 1. 720 Eu­ro und von 2. 710 Eu­ro für die Kläge­rin. Nach er­folg­lo­sem Ein­spruch er­ho­ben die Kläger Kla­ge vor dem Fi­nanz­ge­richt des Saar­lan­des und be­gehr­ten je­weils die Ein­tra­gung ei­nes wei­te­ren Frei­be­trags in Höhe von 1. 320 Eu­ro.

c) Der Kläger im Aus­gangs­ver­fah­ren zum Ver­fah­ren 2 BvL 1/08 ist le­dig und wohnt 75 km von sei­ner ar­beitstäglich auf­ge­such­ten Ar­beitsstätte ent­fernt. Mit sei­nem An­trag auf Lohn­steu­er-Ermäßigung be­gehr­te er für das Jahr 2007 die Ein­tra­gung ei­nes steu­er­frei­en Jah­res­be­tra­ges in Höhe von 4. 255 Eu­ro. Das be­klag­te Fi­nanz­amt berück­sich­tig­te nur ei­nen Frei­be­trag in Höhe von 2. 875 Eu­ro, da es nur 55 Ent­fer­nungs­ki­lo­me­ter zu­grun­de leg­te. Die hier­ge­gen mit Zu­stim­mung des Fi­nanz­amts er­ho­be­ne Sprung­kla­ge, mit wel­cher der Kläger die Ein­tra­gung ei­nes wei­te­ren steu­er­frei­en Jah­res­be­tra­ges in Höhe von 1. 380 Eu­ro be­gehr­te, wies das Fi­nanz­ge­richt Meck­len­burg-Vor­pom­mern mit sei­nem Ur­teil vom 23. Mai 2007 - 1 K 497/06 - (EFG 2007, 1783) ab und ließ die Re­vi­si­on zu. Die Re­vi­si­on des Klägers führ­te zum Aus­set­zungs- und Vor­la­ge­be­schluss des Bun­des­fi­nanz­hofs vom 10. Ja­nu­ar 2008 - VI R 27/07 -.

d) Der Kläger im Aus­gangs­ver­fah­ren, das dem Ver­fah­ren 2 BvL 2/08 zu­grun­de liegt, ist ver­hei­ra­tet und er­zielt Einkünf­te aus nicht­selbständi­ger Ar­beit an ei­ner

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Ar­beitsstätte, die 70 km von sei­nem Wohn­ort ent­fernt liegt. Sei­ne eben­falls nicht­selbständig täti­ge Ehe­frau hat ei­nen Weg von 37 km zur Ar­beitsstätte. Mit sei­nem An­trag auf Lohn­steu­er-Ermäßigung für das Jahr 2007 be­an­trag­te der Kläger, sei­ne Auf­wen­dun­gen für die We­ge zwi­schen Woh­nung und Ar­beitsstätte in Höhe von 4. 620 Eu­ro als Frei­be­trag auf der Lohn­steu­er­kar­te ein­zu­tra­gen, wor­auf das be­klag­te Fi­nanz­amt ent­spre­chend der um 20 km gekürz­ten Ent­fer­nung le­dig­lich 2. 380 Eu­ro berück­sich­tig­te. Die nach er­folg­lo­sem Ein­spruch er­ho­be­ne Kla­ge wies das Fi­nanz­ge­richt Ba­den-Würt­tem­berg mit Ur­teil vom 7. März 2007 - 13 K 283/06 - (DSt­RE 2007, 538) als un­be­gründet zurück und ließ die Re­vi­si­on zu. Die Re­vi­si­on führ­te zum Aus­set­zungs- und Vor­la­ge­be­schluss des Bun­des­fi­nanz­hofs vom 10. Ja­nu­ar 2008 - VI R 17/07 -.

2. Die vor­le­gen­den Ge­rich­te sind da­von über­zeugt, dass § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG in der Fas­sung des Steu­erände­rungs­ge­set­zes 2007 ver­fas­sungs­wid­rig ist, und stim­men im Er­geb­nis und in der Be­gründung in den we­sent­li­chen Punk­ten übe­rein; die Gründe sind vom VI. Se­nat des Bun­des­fi­nanz­hofs im Be­schluss zum Ver­fah­ren 2 BvL 2/08 ein­ge­hend aus­geführt wor­den.

a) § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG sei we­gen Ver­s­toßes ge­gen das in Art. 3 Abs. 1 GG ver­an­ker­te Prin­zip der Be­steue­rung nach der fi­nan­zi­el­len Leis­tungsfähig­keit und ge­gen das Ge­bot der Fol­ge­rich­tig­keit ver­fas­sungs­wid­rig.

aa) Im In­ter­es­se der ver­fas­sungs­recht­lich ge­bo­te­nen Last­en­gleich­heit ha­be sich der Ge­setz­ge­ber dafür ent­schie­den, im Ein­kom­men­steu­er­recht die ob­jek­ti­ve fi­nan­zi­el­le Leis­tungsfähig­keit nach dem Sal­do aus den Er­werbs­ein­nah­men ei­ner­seits und den Er­werbs­auf­wen­dun­gen an­de­rer­seits zu be­mes­sen (ob­jek­ti­ves Net­to­prin­zip). Die­se Grund­ent­schei­dung des Ein­kom­men­steu­er­rechts für das ob­jek­ti­ve Net­to­prin­zip wer­de durch die Neu­re­ge­lung in ih­rem Kern nicht in Fra­ge ge­stellt. Nach wie vor un­ter­lie­ge der Ein­kom­men­steu­er nur der Sal­do aus dem Er­werbs-

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ein­kom­men und den Er­werbs­auf­wen­dun­gen. Da­her sei­en Auf­wen­dun­gen für die Er­werbstätig­keit nach § 2 Abs. 2 Nr. 2, § 9 EStG steu­er­lich ab­zieh­bar. Ge­genüber dem Werkstor­prin­zip sei das Net­to­prin­zip als „Grund­ent­schei­dung“ vor­ran­gig. Zu prüfen sei des­halb, ob das Werkstor­prin­zip mit dem ob­jek­ti­ven Net­to­prin­zip ver­ein­bar sei.

Kos­ten für Fahr­ten zwi­schen Woh­nung und Ar­beitsstätte sei­en die ein­kom­men­steu­er­li­che Be­mes­sungs­grund­la­ge min­dern­de Er­werbs­aus­ga­ben und gehörten des­halb zu den im Rah­men des ob­jek­ti­ven Net­to­prin­zips ab­zugsfähi­gen Auf­wen­dun­gen. Sie sei­en nicht we­sent­lich pri­vat mo­ti­viert, son­dern al­lein be­ruf­lich ver­an­lasst und des­halb als Wer­bungs­kos­ten im Sin­ne des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG zu qua­li­fi­zie­ren. Der Weg zur Ar­beitsstätte sei not­wen­di­ge Vor­aus­set­zung zur Er­zie­lung von Einkünf­ten. Den­ke man sich die Er­werbstätig­keit weg, ent­fie­len die für den Weg zur Ar­beitsstätte er­for­der­li­chen Auf­wen­dun­gen. Der be­ruf­lich be­ding­te Ver­an­las­sungs­zu­sam­men­hang wer­de nicht da­durch in Fra­ge ge­stellt, dass die Er­werbstätig­keit grundsätz­lich erst an der Ar­beitsstätte aus­geübt wer­de. Denn auch Auf­wen­dun­gen, die, wie die Fahrt­kos­ten, der Vor­be­rei­tung der Er­werbstätig­keit dien­ten, sei­en Wer­bungs­kos­ten im Sin­ne des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG. Selbst wenn der Steu­er­pflich­ti­ge noch kei­ne Ein­nah­men er­zie­le, lägen (vor­ab ent­stan­de­ne) Wer­bungs­kos­ten vor, so­fern die Auf­wen­dun­gen in ei­nem hin­rei­chend kon­kre­ten, ob­jek­tiv fest­stell­ba­ren Zu­sam­men­hang mit späte­ren Ein­nah­men stünden.

Bei den Auf­wen­dun­gen für die We­ge zwi­schen Woh­nung und Ar­beitsstätte han­de­le es sich auch nicht um so ge­nann­te ge­misch­te Auf­wen­dun­gen. Ei­ne er­heb­li­che pri­va­te Mit­ver­an­las­sung könne nicht schon dar­auf gestützt wer­den, dass das Woh­nen grundsätz­lich in den Be­reich der pri­va­ten Le­bensführung fal­le. Die der pri­va­ten Le­bensführung zu­zu­rech­nen­de Wahl des Wohn­orts sei ein der An­wen­dung des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG vor­ge­la­ger­ter Sach­ver­halt, der den Ver­an­las­sungs­zu­sam­men­hang zwi­schen Ein­nah­men und Auf­wen­dun­gen nicht we­sent-


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lich be­ein­flus­se. Der Zu­gehörig­keit des Woh­nens zur pri­va­ten Le­bensführung wer­de da­durch Rech­nung ge­tra­gen, dass die Kos­ten des Woh­nens nicht als Wer­bungs­kos­ten ab­zieh­bar sei­en. Der Ab­zug von er­werbs­be­ding­ten Fahrt­kos­ten könne nicht mit der Be­gründung ver­neint wer­den, dass dem Ar­beit­neh­mer die­se Kos­ten nicht ent­stan­den wären, wenn er sei­ne Woh­nung an der Ar­beitsstätte ge­nom­men hätte. Ei­ne er­heb­li­che pri­va­te Mit­ver­an­las­sung könne auch nicht da­mit be­gründet wer­den, dass zwar die Hin­fahrt zur Ar­beitsstätte be­ruf­lich, die Rück­fahrt zur Woh­nung da­ge­gen aus pri­va­tem An­lass er­fol­ge. Die Rück­fahrt sei le­dig­lich die Um­keh­rung ei­nes be­ruf­lich ver­an­lass­ten Zu­stands und des­halb eben­falls er­werbs­be­dingt.


Aus al­lem fol­ge, dass das Ab­zugs­ver­bot von Fahrt­kos­ten gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG ei­ne Aus­nah­me von der fol­ge­rich­ti­gen Um­set­zung der mit dem ob­jek­ti­ven Net­to­prin­zip ge­trof­fe­nen Be­las­tungs­ent­schei­dung dar­stel­le. Die sich in­so­weit er­ge­ben­de Un­gleich­be­hand­lung über­schrei­te die Gren­ze zulässi­ger Ty­pi­sie­rung. § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG ent­hal­te kei­ne quan­ti­fi­zie­ren­de Re­ge­lung, son­dern ei­ne (qua­li­fi­zie­ren­de) Be­stim­mung, die den Ab­zug von Er­werbs­auf­wand schon dem Grun­de nach ver­bie­te. Die durch die Re­ge­lung ein­tre­ten­de un­ge­recht­fer­tig­te Be­las­tung be­tref­fe auch nicht nur ei­ne klei­ne Zahl, son­dern die große Mehr­heit der Pend­ler, und es sei nicht er­kenn­bar, dass die Härte nur un­ter Schwie­rig­kei­ten zu ver­mei­den wäre.


bb) Der Ge­setz­ge­ber ha­be das Werkstor­prin­zip nicht hin­rei­chend fol­ge­rich­tig, son­dern nur par­ti­ell um­ge­setzt. Die mit der be­haup­te­ten neu­en Grund­ent­schei­dung not­wen­di­ger­wei­se ver­bun­de­nen Fol­geände­run­gen sei­en aus­ge­blie­ben. Gemäß § 9 Abs. 2 Sätze 2 und 3 EStG dürf­ten ab­wei­chend von § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG die Fahrt­auf­wen­dun­gen ab dem 21. Ent­fer­nungs­ki­lo­me­ter im Rah­men der Einkünf­teer­mitt­lung (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG) in Ab­zug ge­bracht wer­den. Da­nach sei dem­je­ni­gen, der bis zu 20 km von sei­ner Ar­beitsstätte ent­fernt woh­ne, jeg­li­cher
 


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Ab­zug von Fahrt­auf­wen­dun­gen ver­sagt, während dem Mit­glied ei­ner Fern­pend­ler-Fahr­ge­mein­schaft der Ab­zug ei­ner Ent­fer­nungs­pau­scha­le zu­ge­bil­ligt wer­de, die mögli­cher­wei­se sei­ne tatsächli­chen Kos­ten über­stei­ge. Ein Verständ­nis der Be­stim­mung in § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG als Härte­re­ge­lung bzw. Bil­lig­keits­maßnah­me könne dem nicht ent­ge­gen­ge­hal­ten wer­den. Auch die schon ab dem ers­ten Ent­fer­nungs­ki­lo­me­ter be­ste­hen­de Ab­zugsmöglich­keit der Kos­ten bei Fa­mi­li­en­heim­fahr­ten im Rah­men ei­ner dop­pel­ten Haus­haltsführung (vgl. § 9 Abs. 2 Satz 8 EStG) sei mit dem Über­gang zum so ge­nann­ten Werkstor­prin­zip nicht ver­ein­bar. War­um die­se Fa­mi­li­en­heim­fahr­ten ge­genüber an­de­ren Fahr­ten zwi­schen Woh­nung und Ar­beitsstätte pri­vi­le­giert würden, sei nicht er­kenn­bar, da hin­sicht­lich der Mo­bi­litätskos­ten für die ers­ten 20 Ent­fer­nungs­ki­lo­me­ter zwi­schen bei­den Fällen kein sach­lich be­gründe­ter Un­ter­schied be­ste­he.

Ei­ne fol­ge­rich­ti­ge Ver­wirk­li­chung des so ge­nann­ten Werkstor­prin­zips müsse zu­dem zum Aus­schluss der tatsächli­chen Fahrt­auf­wen­dun­gen von Be­hin­der­ten (§ 9 Abs. 2 Satz 11 EStG) so­wie der not­wen­di­gen Mehr­auf­wen­dun­gen we­gen ei­ner aus be­ruf­li­chem An­lass be­gründe­ten dop­pel­ten Haus­haltsführung (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 1 EStG) führen. Das­sel­be gel­te für zahl­rei­che wei­ter­hin ab­zieh­ba­re Mo­bi­litätskos­ten in Form von Auf­wen­dun­gen für sons­ti­ge Fahr­ten des Steu­er­pflich­ti­gen von sei­ner Woh­nung zum Ort der Er­werbstätig­keit und zurück, et­wa im Zu­sam­men­hang mit ei­ner Rei­setätig­keit oder für Fahr­ten zu Vor­stel­lungs­gesprächen, Fort­bil­dungs­ver­an­stal­tun­gen oder Kon­gres­sen. Da­zu gehörten auch die Auf­wen­dun­gen für be­ruf­lich ver­an­lass­te auswärti­ge Über­nach­tun­gen am Ort der re­gelmäßigen Ar­beitsstätte so­wie be­ruf­lich be­ding­te Um­zugs­kos­ten. Sch­ließlich dürf­ten nach dem Werkstor­prin­zip ent­ge­gen § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG auch sämt­li­che vor­weg­ge­nom­me­nen und nachträgli­chen Er­werbs­auf­wen­dun­gen nicht mehr er­werbs­min­dernd berück­sich­tigt wer­den.

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cc) Selbst für den Fall, dass von ge­mischt ver­an­lass­ten Auf­wen­dun­gen aus-zu­ge­hen wäre, feh­le es an­ge­sichts der Be­schränkung der Neu­re­ge­lung auf die Auf­wen­dun­gen für die We­ge zwi­schen Woh­nung und Ar­beitsstätte an ei­ner hin­rei­chend fol­ge­rich­ti­gen Um­set­zung des Werkstor­prin­zips, denn für die steu­er­li­che Be­hand­lung sons­ti­ger ge­mischt ver­an­lass­ter Auf­wen­dun­gen sei die Rechts­la­ge un­verändert ge­blie­ben. Aus der Recht­spre­chung des Bun­des­fi­nanz­hofs zu § 12 Nr. 1 EStG fol­ge, dass un­ter ein­schränken­den Vor­aus­set­zun­gen der Wer­bungs­kos­ten­ab­zug auch ge­mischt ver­an­lass­ter Auf­wen­dun­gen ganz oder teil­wei­se zulässig sei. Es sei nicht sach­ge­recht, von die­ser Ab­zugsmöglich­keit al­lein die Auf­wen­dun­gen für die We­ge zwi­schen Woh­nung und Ar­beitsstätte aus­zu­neh­men.

dd) Als Aus­nah­me von der mit dem ob­jek­ti­ven Net­to­prin­zip ge­trof­fe­nen Be­las­tungs­ent­schei­dung sei § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG nicht durch ei­nen be­son­de­ren sach­li­chen Grund ge­recht­fer­tigt. Die Haus­halts­kon­so­li­die­rung al­lein lie­fe­re für sich ge­nom­men noch kei­nen sach­li­chen Grund für Un­gleich­be­hand­lun­gen und recht­fer­ti­ge des­halb die Son­der­be­las­tung der Pend­ler nicht. Der völli­ge Aus­schluss des Wer­bungs­kos­ten­ab­zugs für die ers­ten 20 Ent­fer­nungs­ki­lo­me­ter könne auch nicht um­welt­po­li­tisch ge­recht­fer­tigt wer­den. Eben­so we­nig sei ein sach­li­cher Grund in Form von all­ge­mei­nen ver­kehrs­po­li­ti­schen Erwägun­gen er­kenn­bar.


b) Ge­he man trotz al­lem mit dem Ge­setz­ge­ber da­von aus, dass die Auf­wen­dun­gen für die We­ge zwi­schen Woh­nung und Ar­beitsstätte kei­ne Wer­bungs­kos­ten im Sin­ne des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sei­en, ver­s­toße die Neu­re­ge­lung ge­gen den all­ge­mei­nen Gleich­heits­satz in der Aus­prägung des Grund­sat­zes der Be­steue­rung nach der sub­jek­ti­ven Leis­tungsfähig­keit. Die­ser Grund­satz ver­lan­ge, dass un­ver­meid­ba­re Aus­ga­ben, die in der pri­va­ten Sphäre an­fal­len, die Be­mes­sungs­grund­la­ge der Ein­kom­men­steu­er min­der­ten. Fahrt­auf­wen­dun­gen entstünden zwar nicht mit der glei­chen Zwangsläufig­keit wie Leis­tun­gen, die der Si­che­rung des Exis­tenz­mi­ni­mums dien­ten. Den­noch könn­ten sich ih­nen die Steu­er­pflich­ti­gen nicht
 


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be­lie­big ent­zie­hen, wie dies bei an­de­ren pri­va­ten Auf­wen­dun­gen der Fall sei. Denn oh­ne Fahrt zur Ar­beitsstätte könne der Steu­er­pflich­ti­ge re­gelmäßig nicht ar­bei­ten und folg­lich kei­ne Ein­nah­men er­zie­len. Die Fahrt­kos­ten sei­en so­mit zur Exis­tenz­si­che­rung un­ver­meid­lich. Sie könn­ten nur da­durch ver­mie­den wer­den, dass die er­werbstäti­gen Steu­er­pflich­ti­gen stets dort­hin zögen, wo sie ei­ne Er­werbstätig­keit ge­fun­den hätten. Das zu er­war­ten und zu­zu­mu­ten, ver­let­ze das Grund­recht der Freizügig­keit (Art. 11 GG); er­war­tet wer­de da­durch auch ei­ne Unmöglich­keit. Es könne nicht je­der in oder in der Nähe sei­ner Ar­beitsstätte woh­nen. Der Wohn­ort könne nicht re­gelmäßig frei gewählt wer­den. Zu berück­sich­ti­gen sei-en der Woh­nungs­markt, die fi­nan­zi­el­len Verhält­nis­se, die Bedürf­nis­se der Fa­mi­lie und an­de­re Zwänge. Die For­de­rung, trotz die­ser Zwänge an das Werks­tor zu zie­hen, könne den Steu­er­pflich­ti­gen ver­an­las­sen, den Be­ruf oder Ar­beit­ge­ber zu wech­seln oder so­gar sei­ne Er­werbstätig­keit ein­zu­stel­len. Dies be­deu­te je­doch ei­ne Ein­schränkung der von Art. 12 GG geschütz­ten Be­rufs­wahl­frei­heit. So­weit der Steu­er­pflich­ti­ge we­gen sei­ner Fa­mi­lie in größerer Ent­fer­nung von sei­ner Ar­beitsstätte woh­ne und des­halb ent­spre­chen­de Fahrt­auf­wen­dun­gen auf sich neh­men müsse, ha­be dem der Steu­er­ge­setz­ge­ber im Hin­blick auf Art. 6 Abs. 1 GG Rech­nung zu tra­gen. Die Zwangsläufig­keit der Fahrt­auf­wen­dun­gen sei vor al­lem dann of­fen­kun­dig, wenn der Ar­beit­neh­mer meh­re­re Be­rufstätig­kei­ten an ver­schie­de­nen Or­ten ausübe (zum Bei­spiel Ne­ben­er­werbs­land­wirt), wenn er sei­ne Ar­beits­stel­le ver­lie­re oder der Be­triebs­sitz des Ar­beit­ge­bers wech­se­le und man­gels Al­ter­na­ti­ven an ei­nem auswärti­gen Ort ei­ne neue Ar­beit auf­ge­nom­men wer­den müsse. Ent­spre­chen­des gel­te in den Fällen be­fris­te­ter Beschäfti­gungs­verhält­nis­se oder Ket­ten­ab­ord­nun­gen.

Der Be­fund, dass Fahrt­kos­ten zwangsläufi­ger pflicht­be­stimm­ter Auf­wand sei­en, könne nicht mit dem Hin­weis auf die so ge­nann­te Härte­re­ge­lung für die Fern­pend­ler (§ 9 Abs. 2 Satz 2 ff. EStG) in Fra­ge ge­stellt wer­den. Denn das Ein­kom-


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men­steu­er­recht sei auf die Leis­tungsfähig­keit des ein­zel­nen Steu­er­pflich­ti­gen hin an­ge­legt. Ob ei­ne „Härte“ vor­lie­ge, hänge von der Höhe des Ein­kom­mens ab. Wer ein ge­rin­ges Ein­kom­men be­zie­he, könne bei ei­ner Ent­fer­nung von 15 km im Hin­blick auf sein dis­po­ni­bles Ein­kom­men härter be­trof­fen sein als ein Pend­ler mit ho­hem Ein­kom­men bei ei­ner Ent­fer­nung von 25 oder 75 km, zu­mal wenn die­sem als Mit­fah­rer ei­ner Fern­pend­ler-Fahr­ge­mein­schaft nur an­tei­li­ge oder kei­ne We­ge­kos­ten entstünden. Die Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen durch­schnitt­li­cher (bei Ent­fer­nung bis 20 km) und über­durch­schnitt­li­cher (ab 21. Ent­fer­nungs­ki­lo­me­ter) Be­las­tung von Pend­lern sei auch auf der Grund­la­ge der dem Ge­setz­ge­ber zu­ge­wie­se­nen Ty­pi­sie­rungs­be­fug­nis nicht ge­recht­fer­tigt. Auch wenn man da­von aus­ge­he, dass ge­ra­de bei ex­tre­men Fern­pend­lern pri­va­te Mo­ti­ve für den Wohn­sitz­wech­sel nicht mehr von un­ter­ge­ord­ne­ter Be­deu­tung sei­en, er­schei­ne die Härte­re­ge­lung in sich wi­dersprüchlich, weil sie ge­ra­de die­je­ni­gen begüns­ti­ge, die sich nicht der Mühe un­terzögen, ih­ren Wohn­sitz in der Nähe ih­res Ar­beits­plat­zes zu neh­men.

c) Bei Ge­ring­ver­die­nern mit hin­rei­chend ho­hen Fahrt­kos­ten könne die Neu­re­ge­lung zu ei­nem Ver­s­toß ge­gen das Ver­fas­sungs­ge­bot der steu­er­li­chen Ver­scho­nung des Exis­tenz­mi­ni­mums des Steu­er­pflich­ti­gen und sei­ner un­ter­halts­be­rech­tig­ten Fa­mi­li­en­an­gehöri­gen führen. Die Fahrt­kos­ten sei­en nicht nur zur Exis­tenz­si­che­rung un­ver­meid­lich. Ih­re ein­kom­men­steu­er­li­che Berück­sich­ti­gung er­ge­be sich auch aus dem So­zi­al­hil­fe­recht, das ei­ne das Exis­tenz­mi­ni­mum quan­ti­fi­zie­ren­de Ver­gleichs­ebe­ne bie­te. Das der­zeit gel­ten­de So­zi­al­hil­fe­recht kürze das an­zu­rech­nen­de Ein­kom­men so­zi­al­hil­fe­recht­li­cher Leis­tungs­empfänger um die mit ih­rer Ein­kom­mens­er­zie­lung ver­bun­de­nen not­wen­di­gen Aus­ga­ben (§ 11 Abs. 2 SGB II, § 82 Abs. 2 SGB XII) und zu die­sen not­wen­di­gen Aus­ga­ben - so aus­drück­lich die da­zu er­gan­ge­nen Durchführungs­ver­ord­nun­gen - zähl­ten auch die Fahr­ten zwi­schen Woh­nung und Ar­beitsstätte. Für das an­zu­rech­nen­de Ein­kom­men der nach SGB XII Leis­tungs­be­rech­tig­ten gel­te Ent­spre­chen­des.

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d) Die Neu­re­ge­lung genügt nach Auf­fas­sung der vor­le­gen­den Ge­rich­te im Fall bei­der­seits be­rufstäti­ger Ehe­gat­ten auch nicht den Maßstäben des Art. 3 Abs. 1 GG in Ver­bin­dung mit Art. 6 Abs. 1 GG. Der be­son­de­re ver­fas­sungs­recht­li­che Schutz von Ehe und Fa­mi­lie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG er­stre­cke sich auf die „Al­lein­ver­die­ner­ehe“ eben­so wie auf die „Dop­pel­ver­die­ner­ehe“. Die vom Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt in der Ent­schei­dung zur dop­pel­ten Haus­haltsführung (BVerfGE 107, 27) da­zu an­ge­stell­ten Erwägun­gen gälten in glei­cher Wei­se, wenn die Ver­ein­bar­keit von Ehe und Be­ruf statt mit­tels ei­ner dop­pel­ten Haus­haltsführung durch tägli­ches Pen­deln vom ge­mein­sa­men Fa­mi­li­en­wohn­sitz zur je­wei­li­gen Ar­beitsstätte er­reicht wer­de.


III.

Zu den Nor­men­kon­troll­ver­fah­ren ha­ben sich die Bun­des­re­gie­rung so­wie die Kläger der Aus­gangs­ver­fah­ren, fer­ner, als sach­kun­di­ger Drit­ter (§ 27a BVerfGG), die Bun­des­steu­er­be­ra­ter­kam­mer geäußert.


1. Die Bun­des­re­gie­rung ist der Auf­fas­sung, die Vor­la­gen der bei­den Fi­nanz­ge­rich­te sei­en be­reits un­zulässig. Bei­de Ge­rich­te hätten die Ent­schei­dungs­er­heb­lich­keit der Vor­la­ge­fra­ge nicht hin­rei­chend nach­voll­zieh­bar be­gründet. Je­den­falls sei die vor­ge­leg­te Re­ge­lung ver­fas­sungs­gemäß.

a) Die Neu­re­ge­lung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG in der Fas­sung des Steu­erände­rungs­ge­set­zes 2007 wah­re das ob­jek­ti­ve Net­to­prin­zip. Die­ses sei le­dig­lich ei­ne ein­fach­ge­setz­li­che, durch den Steu­er­ge­setz­ge­ber be­stimm­te Kon­kre­ti­sie­rung des ver­fas­sungs­recht­li­chen Ge­bots der Be­steue­rung nach der Leis­tungsfähig­keit. Mit der Neu­re­ge­lung ha­be der Ge­setz­ge­ber den ein­fach­recht­li­chen An­wen­dungs­be­reich des ob­jek­ti­ven Net­to­prin­zips neu de­fi­niert und da­mit ei­ne frühe­re ein­fach­recht­li­che Grund­ent­schei­dung zur steu­er­li­chen Qua­li­fi­ka­ti­on der be­trof­fe­nen Auf-

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wen­dun­gen geändert. Der Ge­setz­ge­ber ha­be sei­ne Ge­stal­tungs­frei­heit bei der Aus­ge­stal­tung des ob­jek­ti­ven Net­to­prin­zips in ver­fas­sungsmäßiger Wei­se ge­nutzt. In der Neu­be­stim­mung des An­wen­dungs­be­reichs die­ses Prin­zips lie­ge nicht des­sen Durch­bre­chung. Wol­le man den Ge­setz­ge­ber in­so­weit be­schränken, be­deu­te dies in der Kon­se­quenz, dass grund­le­gen­de Re­for­men des Steu­er­rechts unmöglich ge­macht würden.

Bei der im Steu­erände­rungs­ge­setz 2007 um­ge­setz­ten neu­en Grund­ent­schei­dung des Ge­setz­ge­bers han­de­le es sich um ei­ne ein­fach­ge­setz­li­che, auf We­ge­auf­wen­dun­gen be­schränk­te Zu­ord­nungs­ent­schei­dung, durch wel­che die We­ge­auf­wen­dun­gen, die so ge­nann­te ge­misch­te Auf­wen­dun­gen dar­stell­ten, vollständig der Pri­vat­sphäre zu­ge­ord­net würden. Die­se als Grund­ent­schei­dung an­zu­se­hen­de Zu­ord­nungs­ent­schei­dung und das ob­jek­ti­ve Net­to­prin­zip stünden nicht in ei­nem Über-Un­ter­ord­nungs­verhält­nis, son­dern sei­en gleich­ran­gig, wo­bei die Zu­ord­nungs­ent­schei­dung das ob­jek­ti­ve Net­to­prin­zip kon­kre­ti­sie­re. Des­halb sei nicht die Ver­ein­bar­keit ei­ner ein­fach­ge­setz­li­chen Grund­ent­schei­dung mit ei­ner an­de­ren ge­setz­li­chen Grund­ent­schei­dung zu prüfen. Viel­mehr gel­te bei Nor­men auf glei­cher Ran­ge­be­ne der Grund­satz „lex pos­te­ri­or de­ro­gat le­gi prio­ri“.

Nur der Aus­schluss der Ab­zieh­bar­keit von rein er­werbs­be­zo­ge­nen Auf­wen­dun­gen bedürfe der Recht­fer­ti­gung vor Art. 3 Abs. 1 GG. Bei ge­mischt ver­an­lass­ten Auf­wen­dun­gen sei dem­ge­genüber die Nicht­ab­zieh­bar­keit die Re­gel, wie aus § 12 Nr. 1 EStG fol­ge. We­ge­auf­wen­dun­gen sei­en we­gen der pri­va­ten Wahl des Wohn­orts zwangsläufig auch pri­vat mit­ver­an­lasst. Selbst bei bei­der­seits be­rufstäti­gen Ehe­gat­ten, die in ent­ge­gen­ge­setz­ter Rich­tung zwi­schen Woh­nung und Ar­beitsstätte pen­del­ten und bei de­nen et­wa ei­ne Ar­beitsstätte durch den Ar­beit­ge­ber an ei­nen noch ent­fern­te­ren Ort ver­legt wer­de, be­ste­he ty­pi­scher­wei­se zu­min­dest Kos­ten-Op­ti­mie­rungs­po­ten­ti­al. Die Ent­schei­dung, wie die­ses dann tatsächlich ge­nutzt wer­de, hänge ty­pi­scher­wei­se von pri­va­ten Erwägun­gen ab, so dass auch in

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die­sen Fällen der Cha­rak­ter der ge­misch­ten Auf­wen­dun­gen er­hal­ten blei­be. Die Neu­re­ge­lung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG bedürfe da­her kei­ner ver­fas­sungs­recht­li­chen Recht­fer­ti­gung vor Art. 3 Abs. 1 GG.


Aus­ge­hend von der ge­setz­ge­be­ri­schen Grund­ent­schei­dung, ge­misch­te Auf­wen­dun­gen grundsätz­lich nicht zum Ab­zug zu­zu­las­sen, han­de­le es sich bei der Einräum­ung ei­nes Ab­zugs­tat­be­stands für We­ge­auf­wen­dun­gen um ei­ne Un­gleich­be­hand­lung, die ih­rer­seits der ver­fas­sungs­recht­li­chen Recht­fer­ti­gung bedürfe. Die Ab­zugsmöglich­keit für sol­che Auf­wen­dun­gen stel­le ei­ne Steu­er­vergüns­ti­gung dar, und de­ren Ab­schaf­fung sei ein ver­fas­sungs­gemäßer ein­fach­recht­li­cher Ge­stal­tungs­vor­gang. Dem Ge­setz­ge­ber müsse es un­be­nom­men blei­ben, die Not­wen­dig­keit all­ge­mei­ner Steu­er­erhöhun­gen so weit wie möglich da­durch aus­zu­sch­ließen oder ab­zu­mil­dern, dass er zunächst Vergüns­ti­gun­gen be­sei­ti­ge, die er nicht oder nicht mehr für ge­recht­fer­tigt hal­te.


Es lie­ge im Rah­men des ge­setz­ge­be­ri­schen Ge­stal­tungs­spiel­raums, Miet­kos­ten und Fahrt­auf­wen­dun­gen gleich zu be­han­deln und bei­de Ar­ten von Auf­wen­dun­gen ein­kom­men­steu­er­lich nicht zu berück­sich­ti­gen; denn in öko­no­mi­scher Hin­sicht sei­en Fahrt­kos­ten und Wohn­kos­ten sub­sti­tu­ier­bar, die Sum­me aus bei­den Ar­ten von Kos­ten sei ty­pi­scher­wei­se gleich. Es sei da­her öko­no­misch we­der sinn­voll, die Fahr­ten zwi­schen Woh­nung und Ar­beits- bzw. Be­triebsstätte steu­er­lich zu begüns­ti­gen, noch, die al­ter­na­tiv auf­zu­wen­den­den höhe­ren Wohn­kos­ten ab­setz­bar zu ma­chen.

Ei­ne Gleich­be­hand­lung al­ler ge­mischt ver­an­lass­ten Auf­wen­dun­gen sei nicht durch Art. 3 Abs. 1 GG ge­bo­ten. Aus­ge­hend von dem grundsätz­li­chen Ab­zugs­ver­bot für sol­che Auf­wen­dun­gen sei der Ge­setz­ge­ber viel­mehr ge­for­dert, für je­de Art ge­misch­ter Auf­wen­dun­gen ei­ne wer­ten­de Ent­schei­dung da­zu zu tref­fen, wel­chem Ver­an­las­sungs­grund je­weils im Ein­zel­fall mehr Ge­wicht bei­zu­mes­sen und wel­che

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Zu­ord­nung - zur be­ruf­li­chen oder zur pri­va­ten Sphäre - da­nach vor­zu­neh­men sei. Ei­ne un­dif­fe­ren­zier­te For­de­rung nach Gleich­be­hand­lung al­ler ge­misch­ten Auf­wen­dun­gen wer­de dem nicht ge­recht. Sch­ließlich ori­en­tier­ten sich die Härte­fall­re­ge­lun­gen zu den Auf­wen­dun­gen für be­ruf­lich be­ding­te dop­pel­te Haus­haltsführung und Fa­mi­li­en­heim­fahr­ten eng an der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts zur dop­pel­ten Haus­haltsführung.


Selbst dann, wenn man da­von aus­ge­he, dass das Werkstor­prin­zip nicht fol­ge­rich­tig um­ge­setzt sei, sei da­mit die Grund­ent­schei­dung – al­so die Re­ge­lung in § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG – nicht in Fra­ge ge­stellt, son­dern die Ver­fas­sungsmäßig­keit der­je­ni­gen Nor­men, wel­che die Be­las­tungs­grund­ent­schei­dung nicht zu­tref­fend um­setz­ten. Al­ler­dings sei­en die von der Grund­re­ge­lung ab­wei­chen­den Son­der­re­ge­lun­gen des § 9 Abs. 2 EStG als Härte­re­ge­lun­gen ge­recht­fer­tigt. Ins­be­son­de­re recht­fer­ti­ge sich die Gleich­be­hand­lung von Fern­pend­lern un­abhängig von der Art des be­nutz­ten Ver­kehrs­mit­tels durch um­welt- und ver­kehrs­po­li­ti­sche Len­kungs­zwe­cke. Da­ne­ben würden Steu­er­hin­ter­zie­hun­gen ver­mie­den, da die Fi­nanz­behörden nicht im Ein­zel­nen über­prüfen könn­ten, ob der Steu­er­pflich­ti­ge tatsächlich al­lein oder nicht doch in ei­ner Fahr­ge­mein­schaft ge­fah­ren sei.


Auch die Ab­zieh­bar­keit der Auf­wen­dun­gen für dop­pel­te Haus­haltsführung und die Härte­re­ge­lung für Fa­mi­li­en­heim­fahr­ten sei­en fol­ge­rich­tig. Die Kos­ten für ei­ne dop­pel­te Haus­haltsführung sei­en in al­ler Re­gel er­heb­lich höher als die­je­ni­gen für ein ar­beitstägli­ches Pen­deln. Da­her sei die Dif­fe­ren­zie­rung sach­ge­recht und hal­te sich im Rah­men des ge­setz­ge­be­ri­schen Er­mes­sens. Sch­ließlich sei das Prin­zip der Fol­ge­rich­tig­keit auch in­so­weit ge­wahrt, als der Ge­setz­ge­ber die im Rah­men der Härte­fall­re­ge­lung des § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG ab­zugsfähi­gen Fahrt­auf­wen­dun­gen ab dem 21. Ent­fer­nungs­ki­lo­me­ter auf den Wer­bungs­kos­ten­pausch­be­trag nach § 9a Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG an­rech­ne. Zum Zwe­cke der Ver­wal­tungs­ver­ein­fa­chung ha­be der Ge­setz­ge­ber in § 9a Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG ei­nen
 


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ein­heit­li­chen, überg­rei­fen­den Pausch­be­trag so­wohl für Wer­bungs­kos­ten als auch für sol­che pri­va­ten Auf­wen­dun­gen, die le­dig­lich wie Wer­bungs­kos­ten ab­zu­zie­hen sei­en, zu­grun­de le­gen dürfen, oh­ne wei­ter spe­zia­li­sie­ren und dif­fe­ren­zie­ren zu müssen. Die Zu­ord­nung der We­ge­auf­wen­dun­gen zu den außer­gewöhn­li­chen Be­las­tun­gen hätte dem­ge­genüber zu ei­ner an­de­ren Ver­kom­pli­zie­rung des Steu­er­rechts geführt.

Es ver­s­toße nicht ge­gen das Ge­bot der Fol­ge­rich­tig­keit, dass der Ge­setz­ge­ber ei­nen Ab­zug von 0,30 Eu­ro je Ent­fer­nungs­ki­lo­me­ter ab dem 21. Ent­fer­nungs­ki­lo­me­ter zu­las­se, ob­wohl das Maß der pri­va­ten Mit­ver­an­las­sung der We­ge­auf­wen­dun­gen mit zu­neh­men­der Ent­fer­nung zwi­schen Wohn­ort und Ar­beitsstätte zu­neh­me. Die­se Re­ge­lung sei aus beschäfti­gungs­po­li­ti­schen Gründen ge­recht­fer­tigt und tra­ge zu­dem der Über­le­gung Rech­nung, dass mit zu­neh­men­den We­ge­zei­ten auch die nicht­mo­netären Fol­gen für die Be­trof­fe­nen über­pro­por­tio­nal an­stie­gen, so dass ty­pi­scher­wei­se auch be­son­de­re, an­zu­er­ken­nen­de Gründe, wie et­wa fa­mi­liäre Pflich­ten, für das auf­wen­di­ge Pen­deln zur Ar­beitsstätte vorlägen.

b) Die Neu­re­ge­lung ver­let­ze nicht das sub­jek­ti­ve Net­to­prin­zip. Sie führe nicht zu ei­ner ver­fas­sungs­recht­lich un­zulässi­gen Be­steue­rung des Exis­tenz­mi­ni­mums. Nur in we­ni­gen be­son­ders ge­la­ger­ten Fällen könne der Ef­fekt ein­tre­ten, dass durch die Neu­re­ge­lung erst­mals ei­ne Steu­er­schuld ent­ste­he. Im So­zi­al­recht er­fol­ge die Berück­sich­ti­gung von We­ge­auf­wen­dun­gen nicht im Rah­men der Vor­schrif­ten zur Be­stim­mung der Hil­fe zum not­wen­di­gen Le­bens­un­ter­halt, son­dern es han­de­le sich um ei­ne Ab­zugs­po­si­ti­on bei der Ein­kom­mens­be­rech­nung im Rah­men der so­zi­al­hil­fe­recht­li­chen Bedürf­tig­keitsprüfung. So­weit Fahrt­auf­wen­dun­gen bei der Grund­si­che­rung für Ar­beits­su­chen­de Berück­sich­ti­gung fänden, sei der Hin­ter­grund hierfür, dass Hil­fe­bedürf­ti­ge zur Auf­nah­me und Ausübung ei­ner zu­mut­ba­ren Er­werbstätig­keit ver­pflich­tet sei­en, um da­mit ih­re Hil­fe­bedürf­tig­keit zu über­win­den oder zu ver­rin­gern. In Fällen, in de­nen die Fahrt­kos­ten höher sei­en als das er­ziel-

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ba­re Ein­kom­men, sei ei­ne Er­werbstätig­keit un­zu­mut­bar und dürfe vom Hil­fe­bedürf­ti­gen sank­ti­ons­los ab­ge­lehnt wer­den. Für die Be­stim­mung des steu­er­li­chen Exis­tenz­mi­ni­mums sei dies al­les nicht re­le­vant. Für des­sen Be­stim­mung sei aus­sch­ließlich auf die so­zi­al­recht­li­chen Re­ge­lun­gen über die Hil­fe zum Le­bens­un­ter­halt ab­zu­stel­len, wel­che die Fahrt­auf­wen­dun­gen nicht er­fass­ten.

Auch un­ter Berück­sich­ti­gung der Be­las­tungs­wir­kun­gen der Neu­re­ge­lung der Ent­fer­nungs­pau­scha­le im Rah­men des Fa­mi­li­en­leis­tungs­aus­gleichs gemäß §§ 31 ff. EStG sei kein Ver­s­toß ge­gen das Prin­zip der Fol­ge­rich­tig­keit er­kenn­bar. Die Auf­wen­dun­gen für Fahr­ten zwi­schen Woh­nung und Ar­beitsstätte sei­en kei­ne Beträge, die von Ge­set­zes we­gen für das Einkünf­te er­zie­len­de Kind oder des­sen El­tern nicht verfügbar sei­en. We­ge­auf­wen­dun­gen sei­en nicht zwangsläufig im ver­fas­sungs­recht­li­chen Sinn, so­weit sie nicht durch über­durch­schnitt­lich lan­ge Ar­beits­we­ge aus über­wie­gend durch Art. 6 Abs. 1 GG geschütz­ten ehe­li­chen oder fa­mi­liären Gründen entstünden. Der Staat sei nicht ge­hal­ten, jeg­li­che Ehe und Fa­mi­lie tref­fen­de Be­las­tung aus­zu­glei­chen. Ei­ne un­zulässi­ge Be­nach­tei­li­gung von bei­der­seits be­rufstäti­gen Ehe­ga­ten sei nicht zu er­ken­nen, da die mit der Neu­re­ge­lung be­wirk­te steu­er­li­che Mehr­be­las­tung kei­ne öko­no­mi­sche Ent­wer­tung der Er­werbstätig­keit der Ehe­gat­ten her­beiführe.

2. Die Kläger der Aus­gangs­ver­fah­ren neh­men im We­sent­li­chen übe­rein­stim­mend im Sin­ne der Vor­la­ge­be­schlüsse Stel­lung und wei­sen zum Teil dar­auf hin, dass schon die frühe­re Ent­fer­nungs­pau­scha­le für die ge­sam­te Weg­stre­cke zwi­schen Woh­nung und Ar­beitsstätte die tatsächlich ent­stan­de­nen Fahrt­kos­ten nicht ab­ge­deckt ha­be.

3. Die Bun­des­steu­er­be­ra­ter­kam­mer hält ei­nen Ver­s­toß der Neu­re­ge­lung ge­gen das sub­jek­ti­ve Net­to­prin­zip nicht für ge­ge­ben. Ei­ne mögli­che Ver­fas­sungs­wid­rig­keit be­tref­fe nur die Fälle, in de­nen Steu­er­pflich­ti­ge Einkünf­te er­ziel­ten, de­ren


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Höhe sich in der Nähe des Exis­tenz­mi­ni­mums befände. Auch da­zu blei­be je­doch zu berück­sich­ti­gen, dass der Ge­setz­ge­ber von Ver­fas­sungs we­gen nicht den in­di­vi­du­el­len, son­dern nur den ty­pi­scher­wei­se für die Exis­tenz­si­che­rung an­fal­len­den Be­darf ein­kom­men­steu­er­recht­lich ver­scho­nen müsse. Ein Ver­s­toß ge­gen das ob­jek­ti­ve Net­to­prin­zip sei da­ge­gen man­gels hin­rei­chen­der sach­li­cher Gründe und fol­ge­rich­ti­ger Um­set­zung der ein­kom­men­steu­er­recht­li­chen Be­las­tungs­ent­schei­dung für die Er­fas­sung des Net­to­ein­kom­mens zu be­ja­hen.

B.

Der Ge­gen­stand der zulässi­gen Vor­la­gen ist zu er­wei­tern.

Die vor­le­gen­den Ge­rich­te be­schränken sich zu­tref­fend auf die für die Aus­gangs­ver­fah­ren ent­schei­dungs­er­heb­li­che Fra­ge, ob § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG in der Fas­sung des Steu­erände­rungs­ge­set­zes 2007 ver­fas­sungs­wid­rig ist.

Es ist dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt je­doch nicht ver­wehrt, bei en­gem Sach­zu­sam­men­hang des vom vor­le­gen­den Ge­richt be­an­stan­de­ten Norm­kom­ple­xes mit an­de­ren Re­ge­lun­gen oder Norm­tei­len die Prüfung auf die­se aus­zu­deh­nen, um so der Be­frie­dungs­funk­ti­on der Nor­men­kon­trollent­schei­dung ge­recht zu wer­den, mögen die­se Nor­men oder Norm­tei­le im Aus­gangs­ver­fah­ren auch nicht un­mit­tel­bar ent­schei­dungs­er­heb­lich sein. Dies gilt ins­be­son­de­re auch dann, wenn durch die Nich­tig­keits­erklärung an­de­re Nor­men ge­gen­stands­los wer­den (vgl. BVerfGE 44, 322 <337 f.>; 62, 354 <364>; 78, 132 <143>).


Da­nach lie­gen die Vor­aus­set­zun­gen ei­ner Aus­deh­nung der ver­fas­sungs­recht­li­chen Über­prüfung auf die - eben­falls mit dem Steu­erände­rungs­ge­setz 2007 ein­geführ­te - Vor­schrift des § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG hier vor. Da Satz 1 die­ser Norm die Qua­li­fi­ka­ti­on der Auf­wen­dun­gen für We­ge zwi­schen Woh­nung und re­gelmäßiger Ar­beitsstätte und für Fa­mi­li­en­heim­fahr­ten als Wer­bungs­kos­ten ge­ne­rell aus-

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schließt und Satz 2 spe­zi­ell sol­che Auf­wen­dun­gen für We­ge ab 21 km Ent­fer­nung „wie Wer­bungs­kos­ten“ zum Ab­zug zulässt, ste­hen die Re­ge­lungs­ge­hal­te bei­der Vor­schrif­ten in ei­nem en­gen Sach­zu­sam­men­hang: Der Sinn der Re­ge­lung zum Ab­zug „wie“ Wer­bungs­kos­ten nach § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG er­sch­ließt sich erst vor dem Hin­ter­grund ei­nes grundsätz­li­chen Aus­schlus­ses die­ser Auf­wen­dun­gen aus dem Tat­be­stand der Wer­bungs­kos­ten. Die ma­te­ri­ell­recht­li­che Trag­wei­te und die Be­las­tungs­wir­kung des ge­ne­rel­len Aus­schlus­ses der be­trof­fe­nen We­ge­kos­ten aus dem Tat­be­stand der Wer­bungs­kos­ten nach § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG wer­den ent­schei­dend erst durch die nach­fol­gen­de Son­der­re­ge­lung ge­prägt und er­kenn­bar. Wäre Satz 1 der Re­ge­lung nich­tig, verlöre die Be­stim­mung des Sat­zes 2 ih­ren vom Ge­setz­ge­ber er­kenn­bar ge­woll­ten Sinn als ei­ne tat­be­stand­lich be­grenz­te Aus­nah­me­re­ge­lung. Blie­be Satz 2 al­lein ste­hen, so er­weck­te dies auch un­ge­ach­tet des Weg­falls von Satz 1 den An­schein, als sei­en We­ge­auf­wen­dun­gen nur ab dem 21. Ent­fer­nungs­ki­lo­me­ter an­zu­set­zen. Nur ei­ne überg­rei­fen­de ver­fas­sungs-recht­li­che Prüfung bei­der Be­stim­mun­gen in ih­rer Wech­sel­wir­kung ist des­halb sach­ge­recht.

C.

§ 9 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 EStG in der Fas­sung des Steu­erände­rungs­ge­set­zes 2007 vom 19. Ju­li 2006 (BGBl I S. 1652, BSt­Bl I S. 432) ist we­gen Ver­s­toßes ge­gen Art. 3 Abs. 1 GG ver­fas­sungs­wid­rig.

I.

1. Der all­ge­mei­ne Gleich­heits­satz (Art. 3 Abs. 1 GG) ge­bie­tet dem Ge­setz­ge­ber, we­sent­lich Glei­ches gleich und we­sent­lich Un­glei­ches un­gleich zu be­han­deln (vgl. BVerfGE 116, 164 <180>; stRspr). Er gilt für un­glei­che Be­las­tun­gen wie auch für un­glei­che Begüns­ti­gun­gen (BVerfGE 110, 412 <431>; 116, 164 <180>). Aus dem all­ge­mei­nen Gleich­heits­satz er­ge­ben sich je nach Re­ge­lungs­ge­gen­stand und

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Dif­fe­ren­zie­rungs­merk­ma­len un­ter­schied­li­che Gren­zen für den Ge­setz­ge­ber, die vom bloßen Willkürver­bot bis zu ei­ner stren­ge­ren Bin­dung an Verhält­nismäßig­keits­er­for­der­nis­se rei­chen (stRspr; vgl. BVerfGE 110, 274 <291>; 112, 164 <174>; 116, 164 <180>). Für die An­for­de­run­gen an Recht­fer­ti­gungs­gründe für ge­setz­li­che Dif­fe­ren­zie­run­gen kommt es we­sent­lich dar­auf an, in wel­chem Maß sich die Un­gleich­be­hand­lung von Per­so­nen oder Sach­ver­hal­ten auf die Ausübung grund­recht­lich geschütz­ter Frei­hei­ten aus­wir­ken kann (stRspr; vgl. BVerfGE 112, 164 <174>). Ge­naue­re Maßstäbe und Kri­te­ri­en dafür, un­ter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen der Ge­setz­ge­ber den Gleich­heits­satz ver­letzt, las­sen sich nicht abs­trakt und all­ge­mein, son­dern nur in Be­zug auf die je­weils be­trof­fe­nen un­ter­schied­li­chen Sach-und Re­ge­lungs­be­rei­che be­stim­men (stRspr; vgl. BVerfGE 105, 73 <111>; 107, 27 <45 f.>; 112, 268 <279>).

2. a) Im Be­reich des Steu­er­rechts hat der Ge­setz­ge­ber bei der Aus­wahl des Steu­er­ge­gen­stan­des und bei der Be­stim­mung des Steu­er­sat­zes ei­nen weit­rei­chen­den Ent­schei­dungs­spiel­raum (vgl. BVerfGE 93, 121 <136>; 107, 27 <47>; 117, 1 <30>). Die grundsätz­li­che Frei­heit des Ge­setz­ge­bers, die­je­ni­gen Sach­ver­hal­te zu be­stim­men, an die das Ge­setz die­sel­ben Rechts­fol­gen knüpft und die es so als recht­lich gleich qua­li­fi­ziert, wird hier, ins­be­son­de­re im Be­reich des Ein­kom­men­steu­er­rechts, vor al­lem durch zwei eng mit­ein­an­der ver­bun­de­ne Leit­li­ni­en be­grenzt: durch das Ge­bot der Aus­rich­tung der Steu­er­last am Prin­zip der fi­nan­zi­el­len Leis­tungsfähig­keit und durch das Ge­bot der Fol­ge­rich­tig­keit (vgl. BVerfGE 105, 73 <125>; 107, 27 <46 f.>; 116, 164 <180>; 117, 1 <30>). Da­nach muss im In­ter­es­se ver­fas­sungs­recht­lich ge­bo­te­ner steu­er­li­cher Last­en­gleich­heit (vgl. BVerfGE 84, 239 <268 ff.>) dar­auf ab­ge­zielt wer­den, Steu­er­pflich­ti­ge bei glei­cher Leis­tungsfähig­keit auch gleich hoch zu be­steu­ern (ho­ri­zon­ta­le Steu­er­ge­rech­tig­keit), während (in ver­ti­ka­ler Rich­tung) die Be­steue­rung höhe­rer Ein­kom­men im Ver­gleich mit der Steu­er­be­las­tung nied­ri­ger Ein­kom­men an­ge­mes­sen sein muss (vgl. BVerfGE 82,

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60 <89>; 99, 246 <260>, 107, 27 <46 f.>; 116, 164 <180>). Bei der Aus­ge­stal­tung des steu­er­recht­li­chen Aus­gangs­tat­be­stands muss die ein­mal ge­trof­fe­ne Be­las­tungs­ent­schei­dung fol­ge­rich­tig im Sin­ne der Be­las­tungs­gleich­heit um­ge­setzt wer­den. Aus­nah­men von ei­ner sol­chen fol­ge­rich­ti­gen Um­set­zung bedürfen ei­nes be­son­de­ren sach­li­chen Grun­des (vgl. BVerfGE 99, 88 <95>; 99, 280 <290>; 105, 73 <126>; 107, 27 <47>; 116, 164 <180 f.>; 117, 1 <31>).


b) Als be­son­de­re sach­li­che Gründe für Aus­nah­men von ei­ner fol­ge­rich­ti­gen Um­set­zung und Kon­kre­ti­sie­rung steu­er­ge­setz­li­cher Be­las­tungs­ent­schei­dun­gen hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt in sei­ner bis­he­ri­gen Recht­spre­chung vor al­lem außer­fis­ka­li­sche Förde­rungs- und Len­kungs­zwe­cke (aa) so­wie Ty­pi­sie­rungs- und Ver­ein­fa­chungs­er­for­der­nis­se (bb) an­er­kannt, nicht je­doch den rein fis­ka­li­schen Zweck staat­li­cher Ein­nah­men­erhöhung (cc).


aa) Der Steu­er­ge­setz­ge­ber ist grundsätz­lich nicht ge­hin­dert, außer­fis­ka­li­sche Förde­rungs- und Len­kungs­zie­le aus Gründen des Ge­mein­wohls zu ver­fol­gen (stRspr; vgl. BVerfGE 93, 121 <147>; 99, 280 <296>; 105, 73 <112>; 110, 274 <292>; 116, 164 <182>; 117, 1 <31>). Er darf nicht nur durch Ge- und Ver­bo­te, son­dern eben­so durch mit­tel­ba­re Ver­hal­tens­steue­rung auf Wirt­schaft und Ge­sell­schaft ge­stal­tend Ein­fluss neh­men. Der Bürger wird dann nicht rechts­ver­bind­lich zu ei­nem be­stimm­ten Ver­hal­ten ver­pflich­tet, erhält aber durch Son­der­be­las­tung ei­nes un­erwünsch­ten Ver­hal­tens oder durch steu­er­li­che Ver­scho­nung ei­nes erwünsch­ten Ver­hal­tens ein fi­nanz­wirt­schaft­li­ches Mo­tiv, sich für ein be­stimm­tes Tun oder Un­ter­las­sen zu ent­schei­den (vgl. BVerfGE 98, 106 <117>; 117, 1 <31 f.>). Nur dann je­doch, wenn sol­che Förde­rungs- und Len­kungs­zie­le von er­kenn­ba­ren ge­setz­ge­be­ri­schen Ent­schei­dun­gen ge­tra­gen wer­den, sind sie auch ge­eig­net, recht­fer­ti­gen­de Gründe für steu­er­li­che Be­las­tun­gen oder Ent­las­tun­gen zu lie­fern (BVerfGE 105, 73 <112 f.>; vgl. auch BVerfGE 110, 274 <293>; 116, 164 <182>; 117, 1 <32>; vor­an­ge­hend BVerfGE 93, 121 <147 f.>; 99, 280 <296>).

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Wei­ter­hin muss der Förde­rungs- und Len­kungs­zweck gleich­heits­ge­recht aus­ge­stal­tet sein (vgl. BVerfGE 93, 121 <148>; 99, 280 <296>; 110, 274 <293>; 116, 164 <182>; 117, 1 <32>), und auch Vergüns­ti­gungs­tat­bestände müssen je­den­falls ein Min­dest­maß an zweck­ge­rech­ter Aus­ge­stal­tung auf­wei­sen (vgl. BVerfGE 105, 73 <113>; 117, 1 <33>).


bb) Un­abhängig da­von, ob mit ei­ner Steu­er­norm al­lein Fis­kalzwe­cke oder auch Förde­rungs- und Len­kungs­zie­le ver­folgt wer­den, ist die Be­fug­nis des Ge­setz­ge­bers zur Ver­ein­fa­chung und Ty­pi­sie­rung zu be­ach­ten: Je­de ge­setz­li­che Re­ge­lung muss ver­all­ge­mei­nern. Bei der Ord­nung von Mas­sen­er­schei­nun­gen ist der Ge­setz­ge­ber be­rech­tigt, die Viel­zahl der Ein­z­elfälle in dem Ge­samt­bild zu er­fas­sen, das nach den ihm vor­lie­gen­den Er­fah­run­gen die re­ge­lungs­bedürf­ti­gen Sach­ver­hal­te zu­tref­fend wie­der­gibt (vgl. BVerfGE 11, 245 <254>; 78, 214 <227>; 84, 348 <359>). Auf die­ser Grund­la­ge darf er grundsätz­lich ge­ne­ra­li­sie­ren­de, ty­pi­sie­ren­de und pau­scha­lie­ren­de Re­ge­lun­gen tref­fen, oh­ne al­lein schon we­gen der da­mit un­ver­meid­lich ver­bun­de­nen Härten ge­gen den all­ge­mei­nen Gleich­heits­satz zu ver­s­toßen (vgl. BVerfGE 84, 348 <359>; 113, 167 <236>; stRspr). Ty­pi­sie­rung be­deu­tet, be­stimm­te in we­sent­li­chen Ele­men­ten gleich ge­ar­te­te Le­bens­sach­ver­hal­te nor­ma­tiv zu­sam­men­zu­fas­sen. Be­son­der­hei­ten, die im Tatsächli­chen durch­aus be­kannt sind, können ge­ne­ra­li­sie­rend ver­nachlässigt wer­den. Der Ge­setz­ge­ber darf sich grundsätz­lich am Re­gel­fall ori­en­tie­ren und ist nicht ge­hal­ten, al­len Be­son­der­hei­ten je­weils durch Son­der­re­ge­lun­gen Rech­nung zu tra­gen (vgl. BVerfGE 82, 159 <185 f.>; 96, 1 <6>). Die ge­setz­li­chen Ver­all­ge­mei­ne­run­gen müssen al­ler­dings auf ei­ne möglichst brei­te, al­le be­trof­fe­nen Grup­pen und Re­ge­lungs­ge­genstände ein­sch­ließen­de Be­ob­ach­tung auf­bau­en (vgl. BVerfGE 84, 348 <359>; 87, 234 <255>; 96, 1 <6>). Ins­be­son­de­re darf der Ge­setz­ge­ber für ei­ne ge­setz­li­che Ty­pi­sie­rung kei­nen aty­pi­schen Fall als Leit­bild wählen, son­dern muss
 


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rea­litäts­ge­recht den ty­pi­schen Fall als Maßstab zu­grun­de le­gen (BVerfGE 116, 164 <182 f.>; stRspr).

cc) Nicht als be­son­de­rer sach­li­cher Grund für Aus­nah­men von ei­ner fol­ge­rich­ti­gen Um­set­zung und Kon­kre­ti­sie­rung steu­er­ge­setz­li­cher Be­las­tungs­ent­schei­dun­gen an­er­kannt ist dem­ge­genüber der rein fis­ka­li­sche Zweck staat­li­cher Ein­nah­men­erhöhung. Der Fi­nanz­be­darf des Staa­tes oder ei­ne knap­pe Haus­halts­la­ge rei­chen für sich al­lein nicht aus, um un­glei­che Be­las­tun­gen durch kon­kre­ti­sie­ren­de Aus­ge­stal­tung der steu­er­recht­li­chen Grund­ent­schei­dun­gen zu recht­fer­ti­gen. Auch wenn der Staat auf Ein­spa­rungs­maßnah­men an­ge­wie­sen ist, muss er auf ei­ne gleich­heits­ge­rech­te Ver­tei­lung der Las­ten ach­ten (vgl. BVerfGE 116, 164 <182>, im An­schluss an BVerfGE 6, 55 <80>; 19, 76 <84 f.>; 82, 60 <89>; vgl. auch BVerfGE 105, 17 <45>).

3. Die für die Last­en­gleich­heit im Ein­kom­men­steu­er­recht maßgeb­li­che fi­nan­zi­el­le Leis­tungsfähig­keit be­misst der ein­fa­che Ge­setz­ge­ber nach dem ob­jek­ti­ven und dem sub­jek­ti­ven Net­to­prin­zip. Da­nach un­ter­liegt der Ein­kom­men­steu­er grundsätz­lich nur das Net­to­ein­kom­men, nämlich der Sal­do aus den Er­werbs­ein­nah­men ei­ner­seits und den (be­trieb­li­chen/be­ruf­li­chen) Er­werbs­auf­wen­dun­gen so­wie den (pri­va­ten) exis­tenz­si­chern­den Auf­wen­dun­gen an­de­rer­seits. Des­halb sind Auf­wen­dun­gen für die Er­werbstätig­keit gemäß §§ 4, 9 EStG und exis­tenz­si­chern­de Auf­wen­dun­gen im Rah­men von Son­der­aus­ga­ben, Fa­mi­li­en­leis­tungs­aus­gleich und außer­gewöhn­li­chen Be­las­tun­gen gemäß §§ 10 ff., 31 f., 33 ff. EStG grundsätz­lich steu­er­lich ab­zieh­bar. Im Rah­men des ob­jek­ti­ven Net­to­prin­zips hat der Ge­setz­ge­ber des Ein­kom­men­steu­er­ge­set­zes die Zu­ord­nung von Auf­wen­dun­gen zum be­trieb­li­chen bzw. be­ruf­li­chen Be­reich, de­rent­we­gen die­se Auf­wen­dun­gen von den Ein­nah­men grundsätz­lich ab­zu­zie­hen sind, da­nach vor­ge­nom­men, ob ei­ne be­trieb­li­che bzw. be­ruf­li­che Ver­an­las­sung be­steht (vgl. § 4 Abs. 4, § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG). Da­ge­gen min­dern Auf­wen­dun­gen für die Le­bensführung außer­halb des

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Rah­mens von Son­der­aus­ga­ben und außer­gewöhn­li­chen Be­las­tun­gen gemäß § 12 Nr. 1 EStG nicht die ein­kom­men­steu­er­li­che Be­mes­sungs­grund­la­ge; dies gilt gemäß § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG auch für sol­che Le­bensführungs­kos­ten, „die die wirt­schaft­li­che oder ge­sell­schaft­li­che Stel­lung des Steu­er­pflich­ti­gen mit sich bringt, auch wenn sie zur Förde­rung des Be­rufs oder der Tätig­keit des Steu­er­pflich­ti­gen er­fol­gen“.

a) Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat bis­her of­fen ge­las­sen, ob das ob­jek­ti­ve Net­to­prin­zip, wie es in § 2 Abs. 2 EStG zum Aus­druck kommt, Ver­fas­sungs­rang hat; je­den­falls aber kann der Ge­setz­ge­ber die­ses Prin­zip beim Vor­lie­gen ge­wich­ti­ger Gründe durch­bre­chen und sich da­bei ge­ne­ra­li­sie­ren­der, ty­pi­sie­ren­der und pau­scha­lie­ren­der Re­ge­lun­gen be­die­nen (vgl. BVerfGE 81, 228 <237>; 107, 27 <48> m. w. N.). Hier­nach ent­fal­tet schon das ein­fach­recht­li­che ob­jek­ti­ve Net­to­prin­zip Be­deu­tung vor al­lem im Zu­sam­men­hang mit den An­for­de­run­gen an hin­rei­chen­de Fol­ge­rich­tig­keit bei der nähe­ren Aus­ge­stal­tung der ge­setz­ge­be­ri­schen Grund­ent­schei­dun­gen. Die Be­schränkung des steu­er­li­chen Zu­griffs nach Maßga­be des ob­jek­ti­ven Net­to­prin­zips als Aus­gangs­tat­be­stand der Ein­kom­men­steu­er gehört zu die­sen Grund­ent­schei­dun­gen, so dass Aus­nah­men von der fol­ge­rich­ti­gen Um­set­zung der mit dem ob­jek­ti­ven Net­to­prin­zip ge­trof­fe­nen Be­las­tungs­ent­schei­dung ei­nes be­son­de­ren, sach­lich recht­fer­ti­gen­den Grun­des bedürfen (vgl. BVerfGE 99, 280 <290>; 107, 27 <48>). Auf die­ser Grund­la­ge kann die Fra­ge nach dem Ver­fas­sungs­rang des ob­jek­ti­ven Net­to­prin­zips auch hier of­fen blei­ben.

b) Für den Be­reich des sub­jek­ti­ven Net­to­prin­zips ist das Ver­fas­sungs­ge­bot der steu­er­li­chen Ver­scho­nung des Exis­tenz­mi­ni­mums des Steu­er­pflich­ti­gen und sei­ner un­ter­halts­be­rech­tig­ten Fa­mi­lie zu be­ach­ten (stRspr; vgl. BVerfGE 82, 60; 87, 153; 107, 27 <48>; 112, 268 <281>; Be­schluss des Zwei­ten Se­nats vom 13. Fe­bru­ar 2008 - 2 BvL 1/06 -, NJW 2008, S. 1868 <1871 f.>).

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c) Für die ver­fas­sungs­recht­lich ge­bo­te­ne Be­steue­rung nach fi­nan­zi­el­ler Leis­tungsfähig­keit kommt es nicht nur auf die Un­ter­schei­dung zwi­schen be­ruf­li­chem oder pri­va­tem Ver­an­las­sungs­grund für Auf­wen­dun­gen an, son­dern auch auf die Un­ter­schei­dung zwi­schen frei­er oder be­lie­bi­ger Ein­kom­mens­ver­wen­dung ei­ner­seits und zwangsläufi­gem, pflicht­be­stimm­tem Auf­wand an­de­rer­seits. Die Berück­sich­ti­gung pri­vat ver­an­lass­ten Auf­wands steht nicht oh­ne wei­te­res zur Dis­po­si­ti­on des Ge­setz­ge­bers. Die­ser hat die un­ter­schied­li­chen Gründe, die den Auf­wand ver­an­las­sen, auch dann im Lich­te be­trof­fe­ner Grund­rech­te dif­fe­ren­zie­rend zu würdi­gen, wenn sol­che Gründe ganz oder teil­wei­se der Sphäre der all­ge­mei­nen (pri­va­ten) Le­bensführung zu­zu­ord­nen sind (vgl. BVerfGE 107, 27 <49>; 112, 268 <280>).

II.

Die Neu­re­ge­lung des § 9 Abs. 2 Satz 1 in Ver­bin­dung mit Satz 2 EStG verstößt ge­gen den all­ge­mei­nen Gleich­heits­satz des Art. 3 Abs. 1 GG, denn sie wird den ver­fas­sungs­recht­li­chen An­for­de­run­gen an ei­ne fol­ge­rich­ti­ge Um­set­zung ein­kom­men­steu­er­recht­li­cher Be­las­tungs­ent­schei­dun­gen nicht ge­recht. Die Norm weicht von dem nach dem Net­to­prin­zip maßgeb­li­chen Ver­an­las­sungs­prin­zip ab (1.). Ver­fas­sungs­recht­lich hin­rei­chen­de sach­li­che Gründe für die­se Ab­wei­chung er­ge­ben sich we­der aus dem vom Ge­setz­ge­ber ver­folg­ten Zweck der Ein­nah­men­ver­meh­rung (2.) noch aus denk­ba­ren, je­doch vom Ge­setz­ge­ber nicht er­kenn­bar ver­folg­ten Len­kungs- und Förde­rungs­zie­len (3.), noch im Rah­men ge­setz­ge­be­ri­scher Ty­pi­sie­rungs­be­fug­nis­se un­ter dem As­pekt ge­mischt ver­an­lass­ter Auf­wen­dun­gen (4.). Es lie­gen auch kein ver­fas­sungs­kon­for­mer Sys­tem­wech­sel und kei­ne neue Zu­ord­nungs­ent­schei­dung vor, die den Ge­setz­ge­ber von der Be­ach­tung der ver­fas­sungs­recht­li­chen An­for­de­run­gen an die fol­ge­rich­ti­ge Um­set­zung ein­kom­men­steu­er­recht­li­cher Be­las­tungs­ent­schei­dun­gen be­frei­en könn­ten (5.).

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1. Ent­schei­den­des Kenn­zei­chen der Neu­re­ge­lung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG zu den Wer­bungs­kos­ten (wie auch der ent­spre­chen­den Vor­schrift des § 4 Abs. 5a EStG zu den Be­triebs­aus­ga­ben) ist die Ab­kehr vom Ver­an­las­sungs­prin­zip bei der Zu­ord­nung von Auf­wen­dun­gen zur be­ruf­li­chen oder zur pri­va­ten Sphäre. Die­se Ab­kehr voll­zieht sich in zwei nicht gleich­ge­rich­te­ten, son­dern ge­genläufi­gen Schrit­ten: Zum ei­nen sind Auf­wen­dun­gen für die We­ge zwi­schen Woh­nung und re­gelmäßiger Ar­beitsstätte und für Fa­mi­li­en­heim­fahr­ten aus dem Tat­be­stand der Wer­bungs­kos­ten aus­ge­schlos­sen. Für die­se - und nur für die­se - Auf­wen­dun­gen soll nicht das Ver­an­las­sungs­pri­ni­zip, son­dern das so ge­nann­te Werkstor­prin­zip gel­ten. Zum an­de­ren wer­den aber Auf­wen­dun­gen für We­ge ab dem 21. Ki­lo­me­ter „wie“ Wer­bungs­kos­ten be­han­delt; für die­se Auf­wen­dun­gen wird im Er­geb­nis die al­te Rechts­la­ge auf­recht­er­hal­ten.

Die­se Re­ge­lun­gen ent­hal­ten ei­ne sin­guläre Ab­wei­chung von dem nach dem ein­kom­men­steu­er­recht­li­chen Net­to­prin­zip für die Ab­gren­zung be­ruf­li­cher Auf­wen­dun­gen maßgeb­li­chen Ver­an­las­sungs­prin­zip. Nicht das nach dem Net­to­prin­zip ent­schei­den­de Er­geb­nis von Be­stim­mung und Be­wer­tung pri­va­ter oder be­ruf­li­cher Gründe und Zie­le der Auf­wen­dun­gen, son­dern aus­sch­ließlich die räum­li­che Ab­gren­zung - die Weg­stre­cke zwi­schen Woh­nung und Ar­beitsstätte bis zu ei­ner Ent­fer­nung von 20 km - ent­schei­det über die Ab­zugsfähig­keit der Auf­wen­dun­gen von der Be­mes­sungs­grund­la­ge nach den für Wer­bungs­kos­ten gel­ten­den Re­geln. Dass das so ge­nann­te Werkstor­prin­zip außer­halb der Son­der­re­geln zu den We­ge­kos­ten zwi­schen Woh­nung und Ar­beits­platz kei­ne Rol­le spielt, son­dern bei der An­er­ken­nung be­ruf­lich ver­an­lass­ten Auf­wands im gel­ten­den Ein­kom­men­steu­er­recht ei­nen Fremdkörper bil­det, zei­gen zahl­rei­che Bei­spie­le. Da­zu gehören et­wa Auf­wen­dun­gen für be­ruf­li­che Aus- und Fort­bil­dung, Dienst­rei­sen oder Geschäfts­es­sen wie auch der ge­sam­te Be­reich vor­weg­ge­nom­me­ner und nachträgli­cher Wer­bungs­kos­ten und Be­triebs­aus­ga­ben (da­zu et­wa Tip­ke, BB 2007, S. 1525 <1528>; vgl. auch

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mit wei­te­ren Bei­spie­len den Vor­la­ge­be­schluss des Bun­des­fi­nanz­hofs vom 10. Ja­nu­ar 2008 - VI R 17/07 - un­ter B. VI. 1. d). Das Bei­spiel des Auf­wands für Geschäfts­es­sen gemäß § 4 Abs. 5 Nr. 2 EStG ver­an­schau­licht zu­dem das all­ge­mei­ne­re ein­kom­men­steu­er­recht­li­che Re­ge­lungs­mo­dell des § 4 Abs. 5 Nr. 7 EStG zur Be­gren­zung der Ab­zugsfähig­keit - auch - be­trieb­lich ver­an­lass­ten Auf­wands auf die „an­ge­mes­se­ne“ Höhe, so­weit sol­cher Auf­wand zu­gleich die pri­va­te Le­bens­sphäre berührt.


2. Der Zweck der Erhöhung staat­li­cher Ein­nah­men, der vor dem Hin­ter­grund eu­ro­pa­recht­li­cher und ver­fas­sungs­recht­li­cher An­for­de­run­gen an die Be­gren­zung der Staats­ver­schul­dung im Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­ren als ent­schei­dend für die Neu­re­ge­lung an­geführt wor­den ist (vgl. BT­Drucks 16/1545, S. 1, 13: „not­wen­di­ge Haus­halts­kon­so­li­die­rung“), kann für sich al­lein ei­ne Ab­kehr vom Ver­an­las­sungs­prin­zip bei der Aus­gren­zung ei­ner ein­zel­nen Auf­wen­dungs­art aus dem Wer­bungs-kos­ten­tat­be­stand nicht recht­fer­ti­gen. Zwar kennt das gel­ten­de Ein­kom­men­steu­er­recht ei­ne Rei­he von Ab­zugs­ver­bo­ten für be­stimm­te Auf­wen­dun­gen trotz be­trieb­li­cher bzw. be­ruf­li­cher Ver­an­las­sung. Sol­che Ab­zugs­ver­bo­te bedürfen je­doch stets ei­nes be­son­de­ren, ver­fas­sungs­recht­lich tragfähi­gen sach­li­chen Grun­des, wie er et­wa für das Ver­bot des Ab­zugs von Geld­bußen, Ord­nungs­gel­dern und Ver­war­nungs­gel­dern (§ 4 Abs. 5 Nr. 8 EStG, vgl. BVerfGE 81, 228 <236 ff., 241>) oder für die grundsätz­li­che Nicht­ab­zugsfähig­keit des Auf­wands für ein häus­li­ches Ar­beits­zim­mer (§ 4 Abs. 5 Nr. 6b EStG, vgl. BVerfGE 101, 297 <311>) ge­ge­ben ist. Mit der bis­he­ri­gen ver­fas­sungs­ge­richt­li­chen Recht­spre­chung (vgl. oben C. I. 2. b) cc)) ist dar­an fest­zu­hal­ten, dass das Ziel der Ein­nah­men­ver­meh­rung für sich ge­nom­men kei­nen hin­rei­chen­den sach­li­chen Grund für die Be­schränkung des Ab­zugs be­trieb­lich bzw. be­ruf­lich ver­an­lass­ter Auf­wen­dun­gen von der ein­kom­men­steu­er­li­chen Be­mes­sungs­grund­la­ge dar­stellt. Dem Ziel der Ein­nah­men­ver­meh­rung dient je­de, auch ei­ne willkürli­che steu­er­li­che Mehr­be­las­tung. Für die ver-
 


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fas­sungs­ge­rech­te Ver­tei­lung von Mehr­be­las­tun­gen der Steu­er­pflich­ti­gen nach dem Maßstab fi­nan­zi­el­ler Leis­tungsfähig­keit enthält der Ein­nah­men­er­zie­lungs-zweck kein Richt­maß.

3. Auch Förde­rungs- oder Len­kungs­zwe­cke kom­men als Grund­la­ge sach­li­cher Recht­fer­ti­gung der Neu­re­ge­lung nicht in Be­tracht. Al­ler­dings be­grüßen nam­haf­te Stim­men vor al­lem aus dem Be­reich der Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten, ins­be­son­de­re der Fi­nanz­wis­sen­schaft und Fi­nanz­po­li­tik, die Ab­schaf­fung der Ab­zugsfähig­keit von We­ge­kos­ten, weil sie ge­samt­wirt­schaft­lich un­erwünsch­te Fehl­an­rei­ze bie­te (vgl. et­wa, auch zum Fol­gen­den, Don­ges/Eek­hoff/Franz/Fu­est/Möschel/Neu­mann <Kron­ber­ger Kreis>, in: Stif­tung Markt­wirt­schaft <Hrsg.>, Ge­gen die Neu­be­le­bung der Ent­fer­nungs­pau­scha­le, Ar­gu­men­te zu Markt­wirt­schaft und Po­li­tik, Nr. 102, Mai 2008; Hom­burg, ZfW 2008, S. 45 ff.). Nach der­ar­ti­gen Erwägun­gen wäre im Übri­gen die auf die ers­ten 20 Ent­fer­nungs­ki­lo­me­ter be­schränk­te Neu­re­ge­lung le­dig­lich als ein ers­ter Schritt in die rich­ti­ge Rich­tung zu be­grüßen und darüber hin­aus letzt­lich auch die Be­steue­rung des „Pen­delns“ als öko­no­misch kon­se­quent zu be­wer­ten. In­des hat der Ge­setz­ge­ber zu kei­nem Zeit­punkt sol­che Über­le­gun­gen zur Be­gründung der Rechtsände­rung her­an­ge­zo­gen. Sie las­sen sich we­der dem Ge­set­zes­text noch den Ma­te­ria­li­en ent­neh­men, die ne­ben dem As­pekt not­wen­di­ger Haus­halts­halts­kon­so­li­de­rung le­dig­lich Erwägun­gen zu be­son­de­ren Härten für Fern­pend­ler ent­hal­ten (vgl. BT­Drucks 16/1545 S. 13; 16/1802 S. 3; 16/1969 S. 1; 16/2028 S. 7). Der­ar­ti­ge Zie­le ge­samt­wirt­schaft­lich ef­fi­zi­en­ter Ver­hal­tens­len­kung können, un­be­scha­det der Fra­ge nach ih­rer mögli­chen Le­gi­ti­ma­ti­ons­wir­kung, die Neu­re­ge­lung nicht recht­fer­ti­gen, denn sie wer­den nicht – wie ver­fas­sungs­recht­lich ge­bo­ten (vgl. un­ter C. I. 2. b) aa)) - von er­kenn­ba­ren ge­setz­ge­be­ri­schen Ent­schei­dun­gen ge­tra­gen.

4. Die Neu­re­ge­lung fin­det kei­ne hin­rei­chen­de sach­li­che Le­gi­ti­ma­ti­on in der Qua­li­fi­ka­ti­on der We­ge­kos­ten als „ge­mischt“ - so­wohl be­ruf­lich als auch pri­vat -


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ver­an­lass­te Auf­wen­dun­gen und ei­ner aus die­ser Qua­li­fi­ka­ti­on fol­gen­den Ty­pi­sie­rungs­kom­pe­tenz des Ge­setz­ge­bers.

a) Der Ge­setz­ge­ber ist - ver­fas­sungs­recht­lich un­be­denk­lich - im An­schluss an die Ent­schei­dung des Se­nats zur dop­pel­ten Haus­haltsführung (BVerfGE 107, 27 <50>) da­von aus­ge­gan­gen, dass an­ge­sichts der re­gelmäßig „pri­va­ten“ Wahl des Wohn­orts die Auf­wen­dun­gen für die We­ge zwi­schen Woh­nung und re­gelmäßiger Ar­beitsstätte nicht aus­sch­ließlich be­ruf­lich, son­dern auch pri­vat mit­ver­an­lasst sind. Die­se Auf­fas­sung wird zwar in der steu­er­recht­li­chen Li­te­ra­tur, der sich der Bun­des­fi­nanz­hof an­ge­schlos­sen hat (vgl. mit zahl­rei­chen Nach­wei­sen BFH, Vor­la­ge­be­schluss vom 10. Ja­nu­ar 2008 - VI R 17/07 un­ter B. VI. 1. c) bb)), viel­fach be­strit­ten. Dort wird aber nicht hin­rei­chend un­ter­schie­den zwi­schen der tat­be­stand­li­chen Qua­li­fi­ka­ti­on von Auf­wen­dun­gen nach Maßga­be der ein­fach­ge­setz­li­chen Grund­re­geln gemäß § 4 Abs. 4, § 9 Abs. 1 und § 12 Nr. 1 EStG ei­ner­seits und der ver­fas­sungs­recht­lich zulässi­gen ge­setz­ge­be­ri­schen Be­wer­tung und Ge­wich­tung mul­tik­au­sa­ler und mul­ti­fi­na­ler Wir­kungs­zu­sam­menhänge, die für die un­ter­schied­li­chen Le­bens­sach­ver­hal­te im Schnitt­be­reich zwi­schen be­ruf­li­cher und pri­va­ter Sphäre kenn­zeich­nend sind, an­de­rer­seits.

Zwar spricht viel dafür, die hier frag­li­chen We­ge­kos­ten tat­be­stand­lich nicht gemäß § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG als „Auf­wen­dun­gen für die Le­bensführung, die die wirt­schaft­li­che oder ge­sell­schaft­li­che Stel­lung des Steu­er­pflich­ti­gen mit sich bringt, auch wenn sie zur Förde­rung des Be­rufs oder der Tätig­keit des Steu­er­pflich­ti­gen er­fol­gen“, zu be­wer­ten. Die Über­win­dung ei­ner Dis­tanz zwi­schen Wohn­ort und Ar­beitsstätte ist re­gelmäßig not­wen­di­ge Be­din­gung be­ruf­li­cher Betäti­gung. Da das Woh­nen in Fußwegnähe zum „Werks­tor“ für die große Mehr­heit der Steu­er­pflich­ti­gen schon aus (bau­pla­nungs-)recht­li­chen (Grund­satz der Tren­nung un­ter­schied­li­cher Nut­zungs­ar­ten von Grundstücken im Bau­pla­nungs­recht) und fak­ti­schen (feh­len­des An­ge­bot ent­spre­chen­den Wohn­raums) Gründen nicht möglich ist, ents­te-

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hen für vie­le Steu­er­pflich­ti­ge We­ge­kos­ten als not­wen­di­ge Vor­aus­set­zung ih­rer Er­werbstätig­keit.

Gleich­wohl wird aber die Höhe der We­ge­kos­ten in er­heb­li­chem Maße auch durch in­di­vi­du­el­le Ent­schei­dun­gen der Steu­er­pflich­ti­gen be­ein­flusst, wo­zu die Wahl des Ver­kehrs­mit­tels eben­so gehört wie die Wahl des Wohn­orts. Ent­schei­dun­gen über Aus­wahl und Bei­be­hal­tung oder Wech­sel des Wohn­orts mögen viel­fach un­ter­schied­li­chen - ins­be­son­de­re öko­no­mi­schen oder fa­mi­liären - Zwängen un­ter­lie­gen. Ih­re be­ruf­li­che (Mit-)Ver­an­las­sung tritt je­doch um­so stärker zurück, je größer der Stel­len­wert ist, der den ge­gen ei­ne möglichst große Ar­beits­platznähe spre­chen­den Ge­sichts­punk­ten bei­ge­mes­sen wird und je länger dem­zu­fol­ge der Ar­beits­weg ist.


b) Auf der Grund­la­ge ei­ner ver­fas­sungs­recht­lich auch mit Blick auf das ein­kom­men­steu­er­recht­li­che Net­to­prin­zip un­be­denk­li­chen Be­wer­tung der We­ge­kos­ten als nicht nur be­ruf­lich, son­dern auch pri­vat (mit-)ver­an­lasst eröff­nen sich dem Ge­setz­ge­ber bei de­ren ein­kom­men­steu­er­recht­li­cher Be­hand­lung er­heb­li­che Ty­pi­sie­rungs­spielräume. So­wohl die Wahl des Ver­kehrs­mit­tels kann - je nach vor­han­de­ner In­fra­struk­tur - weit­ge­hend be­lie­big oder prak­tisch zwin­gend sein, als auch - et­wa je nach Ein­kom­mens­verhält­nis­sen, Wohn­kos­ten, fa­mi­liären Ver­pflich­tun­gen oder not­wen­di­ger Ab­stim­mung mit be­rufstäti­gen Part­nern oder (wei­te­ren) Fa­mi­li­en­mit­glie­dern - die Aus­wahl oder Bei­be­hal­tung des Wohn­sit­zes. Der Ge­setz­ge­ber ist hier - un­ter Be­ach­tung sons­ti­ger grund­recht­li­cher Bin­dun­gen, wie sie sich et­wa aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG er­ge­ben - be­rech­tigt, im In­ter­es­se ei­nes prak­ti­ka­blen Ge­set­zes­voll­zugs mit ge­ne­ra­li­sie­ren­den, ty­pi­sie­ren­den und pau­scha­lie­ren­den Re­ge­lun­gen die „ty­pi­sche“ pri­va­te Mit­ver­an­las­sung von We­ge­kos­ten bei der Be­stim­mung ab­zugsfähi­gen Auf­wands zu berück­sich­ti­gen und sol­che Re­ge­lun­gen un­ter ver­kehrs-, sied­lungs- und um­welt­po­li­ti­schen As­pek­ten aus­zu­ge­stal­ten.
 


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Die Re­ge­lung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG genügt in­des den ver­fas­sungs­recht­li­chen An­for­de­run­gen an ty­pi­sie­ren­de Re­ge­lun­gen (oben C. I. 2. b) bb)) nicht. Sie ist we­der nach der ge­setz­ge­be­ri­schen Ziel­set­zung noch nach dem ob­jek­ti­ven Re­ge­lungs­ge­halt das Er­geb­nis ei­nes Ty­pi­sie­rungs­vor­gangs. Der Ge­setz­ge­ber hat nicht von sei­ner Ty­pi­sie­rungs­be­fug­nis Ge­brauch ge­macht, son­dern sich von Erwägun­gen lei­ten las­sen, die mit ei­ner zulässi­gen Ty­pi­sie­rung in kei­nem er­kenn­ba­ren Zu­sam­men­hang ste­hen.


Ei­ne Ty­pi­sie­rung, die die ge­misch­te Ver­an­las­sung der We­ge­kos­ten zum Aus­gangs­punkt nähme, müss­te dar­an an­set­zen, die Viel­zahl der Ein­z­elfälle hin­sicht­lich der Un­ter­schei­dung zwi­schen pri­va­ter und be­ruf­li­cher Ver­an­las­sung in ei­nem Ge­samt­bild zu er­fas­sen. Sie hätte die Fak­to­ren, die die Wahl des Ver­kehrs­mit­tels und des Wohn­sit­zes be­stim­men, in den Blick zu neh­men und auf die­ser Grund­la­ge die nach der ge­setz­ge­be­ri­schen Einschätzung er­fah­rungs­gemäß in der Rea­lität „ty­pi­scher­wei­se“ vor­kom­men­den Fälle zu re­geln und zu ver­all­ge­mei­nern. Die Vor­schrift des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG, nach der die Kos­ten für die ers­ten 20 Ent­fer­nungs­ki­lo­me­ter kei­ne ab­zugsfähi­gen Wer­bungs­kos­ten sind, ori­en­tiert sich dem­ge­genüber nicht an ei­nem em­pi­risch be­gründe­ten Re­gel­fall und ver­sucht nicht, die Ver­an­las­sungs­beiträge zur Höhe der We­ge­kos­ten in der Höhe der ab­zugsfähi­gen Beträge pau­scha­lie­rend zu er­fas­sen. Die Re­ge­lung steht in kei­ner Be­zie­hung zu dem ty­pi­sie­rend zu re­geln­den Sach­ver­halt der ge­misch­ten Ver­an­las­sung der Auf-wen­dungshöhe. Die für die Ab­zugsfähig­keit der We­ge­kos­ten nach der Neu­re­ge­lung ent­schei­den­de Min­dest­dis­tanz zwi­schen Woh­nung und Ar­beits­platz ist für ei­ne ty­pi­sie­ren­de Be­wer­tung und Ge­wich­tung be­ruf­li­cher wie pri­va­ter Ver­an­las­sungs­mo­men­te of­fen­kun­dig un­ge­eig­net. Als In­diz für über­wie­gend be­ruf­lich ver­an­lass­ten Auf­wand ließe sich al­len­falls die ge­rin­ge­re im Ver­gleich zur größeren Ent­fer­nung ver­wen­den nach der Faust­for­mel: Je ge­rin­ger die Ent­fer­nung zum Ar-
 


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beits­platz, um so eher ist ein an­ge­mes­se­ner Kos­ten­auf­wand zur Über­win­dung der Ent­fer­nung als un­aus­weich­li­cher be­ruf­lich be­ding­ter Auf­wand zu wer­ten.

Die Be­las­tung durch We­ge­kos­ten für Ent­fer­nun­gen un­ter 21 km kann auch nicht un­ter Hin­weis auf den Ar­beit­neh­mer-Pausch­be­trag (§ 9a Satz 1 Nr. 1.a) EStG) „hin­weg­ty­pi­siert“ wer­den (vgl. BVerfG, Be­schluss des Zwei­ten Se­nats vom 13. Fe­bru­ar 2008 - 2 BvL 1/06 -, NJW 2008, S. 1868 <1875>). Ty­pi­sie­rungsüber­le­gun­gen zu ei­ner be­tragsmäßigen An­pas­sung des Pausch­be­tra­ges und zur Be­hand­lung der Fälle, in de­nen nach der bis­he­ri­gen Rechts­la­ge der Fahrt­kos­ten­an­satz al­lein be­reits die Höhe des Pausch­be­tra­ges über­stieg - letz­te­res konn­te sich bei der Zurück­le­gung ei­ner Ent­fer­nung zwi­schen 14 und 20 km an 220 Ar­beits­ta­gen im Jahr ty­pi­scher­wei­se er­ge­ben - sind nicht zu er­ken­nen. Die bei ei­ner Ent­fer­nung von 20 km an­ge­setz­te Zäsur erklärt sich viel­mehr of­fen­bar al­lein aus dem Be­stre­ben, ein hin­rei­chen­des Vo­lu­men an zusätz­li­chen Ein­nah­men zu er­rei­chen. Nach den im Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­ren zu­grun­de ge­leg­ten Zah­len ha­ben nur rund 17 % der Pend­ler ei­ne Weg­stre­cke von mehr als 26 km zurück­zu­le­gen (BT­Drucks 16/1545, S. 13), so dass auch der An­teil der steu­er­pflich­ti­gen Ar­beit­neh­mer, de­ren Wohn­ort wei­ter als 20 km von der Ar­beitsstätte ent­fernt liegt und die des­halb in den Ge­nuss der Ab­zugsfähig­keit des über­schießen­den Teils ih­rer Auf­wen­dun­gen kom­men soll­ten, ent­spre­chend abschätz­bar war.

5. Von den An­for­de­run­gen an hin­rei­chen­de Fol­ge­rich­tig­keit der Aus­ge­stal­tung ei­ner am Maßstab fi­nan­zi­el­ler Leis­tungsfähig­keit aus­ge­rich­te­ten Be­steue­rung des Ein­kom­mens nach dem ob­jek­ti­ven Net­to­prin­zip ist der Ge­setz­ge­ber auch nicht des­halb be­freit, weil es nach den Be­kun­dun­gen im Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­ren bei der Neu­re­ge­lung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG um ei­nen grund­le­gen­den Sys­tem­wech­sel oder zu­min­dest um ei­ne neue, dem ob­jek­ti­ven Net­to­prin­zip nicht nach­ge­ord­ne­te, son­dern gleich­ran­gig ge­genüber­ste­hen­de oder die­ses Prin­zip kon­kre­ti­sie­ren­de Zu­ord­nungs­ent­schei­dung für We­ge­auf­wen­dun­gen ge­he. Für die ver­fas-

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sungs­recht­li­che Be­ur­tei­lung kann es wei­ter­hin (vgl. un­ter C. I. 3. a)) of­fen blei­ben, ob und wie­weit dem ein­kom­men­steu­er­recht­li­chen Prin­zip der Be­steue­rung nur des Net­to­ein­kom­mens in Ge­stalt ei­nes Ge­winns oder Über­schus­ses als Kon­kre­ti­sie­rung des Grund­sat­zes steu­er­ge­rech­ter Be­las­tung nach fi­nan­zi­el­ler Leis­tungsfähig­keit Ver­fas­sungs­rang zu­zu­mes­sen ist.

Die dem Steu­er­ge­setz­ge­ber zu­ste­hen­de Ge­stal­tungs­frei­heit um­fasst von Ver­fas­sungs we­gen die Be­fug­nis, neue Re­geln ein­zuführen, oh­ne durch Grundsätze der Fol­ge­rich­tig­keit an frühe­re Grund­ent­schei­dun­gen ge­bun­den zu sein. Dies setzt al­ler­dings vor­aus, dass wirk­lich ein neu­es Re­gel­werk ge­schaf­fen wird; an­de­ren­falls ließe sich jed­we­de Aus­nah­me­re­ge­lung als (An­fang ei­ner) Neu­kon­zep­ti­on de­kla­rie­ren. Die um­fas­sen­de Ge­stal­tungs­frei­heit bei Ent­schei­dun­gen für neue Re­geln kann vom Ge­setz­ge­ber dann nicht in An­spruch ge­nom­men wer­den, wenn sol­che neu­en Re­geln nach Ziel und Wir­kung die Ori­en­tie­rung an al­ter­na­ti­ven Prin­zi­pi­en nicht er­ken­nen las­sen. Ei­nen zulässi­gen Sys­tem­wech­sel kann es oh­ne ein Min­dest­maß an neu­er Sys­tem­ori­en­tie­rung nicht ge­ben. Ins­be­son­de­re dann, wenn bei im Übri­gen un­veränder­ten Grund­ent­schei­dun­gen ei­ne von die­sen ab­wei­chen­de Be­las­tungs­ent­schei­dung le­dig­lich in ei­nem schma­len Teil­be­reich mit der Be­haup­tung ei­nes Sys­tem­wech­sels be­gründet wird, be­darf es greif­ba­rer An­halts-punk­te - et­wa die Ein­bet­tung in ein nach und nach zu ver­wirk­li­chen­des Grund­kon­zept -, die die re­sul­tie­ren­de Un­gleich­be­hand­lung vor Art. 3 Abs. 1 GG recht­fer­ti­gen können. Hier­an fehlt es den neu­en Be­stim­mun­gen zur ein­kom­men­steu­er­recht­li­chen Berück­sich­ti­gung von Auf­wen­dun­gen für die We­ge zwi­schen Woh­nung und Ar­beitsstätte. Der ge­ne­rel­le Aus­schluss die­ser We­ge­auf­wen­dun­gen aus dem Tat­be­stand der Wer­bungs­kos­ten und die gleich­zei­ti­ge An­ord­nung, die Kos­ten für We­ge ab 21 Ent­fer­nungs­ki­lo­me­tern „wie“ Wer­bungs­kos­ten zu be­han­deln und für die­se ei­ne auf­wands­un­abhängi­ge Ent­fer­nungs­pau­scha­le an­zu­set­zen, ist durch ei­ne in sich wi­dersprüchli­che Ver­bin­dung und Ver­schränkung un­ter­schied­li­cher

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Re­ge­lungs­ge­hal­te und Re­ge­lungs­zie­le ge­kenn­zeich­net und be­ruht nicht auf ei­ner überg­rei­fen­den Kon­zep­ti­on.

Die Re­ge­lung des § 9 Abs. 2 Satz 1 in Ver­bin­dung mit Satz 2 EStG weist be­reits für sich be­trach­tet nicht je­nes Min­dest­maß an kon­zep­tio­nel­ler Neu­ori­en­tie­rung auf, das für ei­nen Sys­tem­wech­sel oder für ei­ne grund­le­gend neue Zu­ord­nungs­ent­schei­dung zu for­dern ist. Dass die We­ge­kos­ten ter­mi­no­lo­gisch „wie“ Wer­bungs­kos­ten be­han­delt wer­den, ändert nichts an der ma­te­ri­ell­recht­li­chen Be­las­tungs­ent­schei­dung, nach der für Fahr­ten ab 21 km Ent­fer­nung wie nach der bis­he­ri­gen Rechts­la­ge mögli­che Wer­bungs­kos­ten in Ge­stalt ei­ner Ent­fer­nungs-pau­scha­le ab­zugsfähig sind. Al­lein un­ter dem As­pekt ei­ner Härte­fall­re­ge­lung lässt sich die­se Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen der Nicht­ab­zugsfähig­keit der Auf­wen­dun­gen für kürze­re und der Ab­zugsfähig­keit für länge­re Ent­fer­nungs­stre­cken ent­ge­gen der Be­gründung zum Ge­set­zes­ent­wurf (BT­Drucks 16/1545, S. 13) nicht recht­fer­ti­gen. Es fehlt an plau­si­blen Härte­kri­te­ri­en bei den tat­be­stand­li­chen Vor­aus­set­zun­gen der Ab­zugsfähig­keit: Die Pau­scha­le pro Ent­fer­nungs­ki­lo­me­ter min­dert die Be­mes­sungs­grund­la­ge un­abhängig von tatsäch­li­chem Fahr­auf­wand dem Grun­de und der Höhe nach. Auch wenn durch güns­ti­ge oder kos­ten­freie Mit­fahr­ge­le­gen­hei­ten ge­rin­ge oder über­haupt kei­ne Kos­ten ent­ste­hen, kommt den Steu­er­pflich­ti­gen die Pau­scha­le zu­gu­te. Eben­so begüns­tigt die Pau­scha­le glei­cher­maßen Be­zie­her ge­rin­ge­rer und höhe­rer Ein­kom­men, ob­wohl die Qua­li­fi­ka­ti­on ei­ner Steu­er­be­las­tung als „Härte“ auch von der Ein­kom­menshöhe abhängen muss. Kor­re­spon­die­rend trifft die feh­len­de Ab­zugsfähig­keit der Kos­ten für Ent­fer­nun­gen bis zu 20 km eben­falls die Steu­er­pflich­ti­gen oh­ne Rück­sicht auf tatsächli­che Auf­wen­dun­gen dem Grun­de und der Höhe nach und eben­falls un­abhängig von der Höhe des Ein­kom­mens. Des­halb kann es bei den Be­zie­hern nied­ri­ger Ein­kom­men im Hin­blick auf den ver­fas­sungs­recht­lich ge­bo­te­nen Schutz des Exis­tenz­mi­ni­mums zu pro­ble­ma­ti­schen Härtefällen kom­men, und zwar ins­be­son­de­re dann, wenn erst der Weg­fall
 


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der Ab­zugsfähig­keit der We­ge­kos­ten zur Steu­er­be­las­tung führt, was nach der Schätzung des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums der Fi­nan­zen bei rund 90.000 Ein­kom­mens­be­zie­hern der Fall ist.


Die Auf­wands­un­abhängig­keit der ab­zugsfähi­gen Pau­scha­le für Weg­stre­cken ab 21 km wirkt, eben­so wie schon die un­be­schränkt an­wend­ba­re Pau­scha­le nach der bis zum Jahr 2006 gel­ten­den Rechts­la­ge, bei al­len Steu­er­pflich­ti­gen mit ge­rin­ge­rem oder ganz feh­len­dem Kos­ten­auf­wand als Sub­ven­ti­on und soll in­so­weit als An­reiz zur Be­nut­zung spar­sa­mer und um­welt­scho­nen­der (ins­be­son­de­re auch öffent­li­cher) Ver­kehrs­mit­tel ver­kehrs- und um­welt­po­li­ti­sche Zie­le fördern. Die Be­schränkung des Ein­sat­zes der Pau­scha­le auf die so ge­nann­ten Härtefälle steht je­doch in Wi­der­spruch zu die­sen ver­kehrs- und um­welt­po­li­ti­schen Ziel­set­zun­gen, denn nun wird ge­ra­de die Wahl und Auf­recht­er­hal­tung länge­rer Weg­stre­cken zur Ar­beit und da­mit die In­k­auf­nah­me re­gelmäßig en­er­gie­in­ten­si­ve­rer Trans­por­te - ge­ge­be­nen­falls sub­ven­tiv - be­lohnt, während Wahl und Auf­recht­er­hal­tung kürze­rer Weg­stre­cken und da­mit ver­kehrs- und um­welt­po­li­tisch re­gelmäßig vor­zugswürdi­ge Ver­hal­tens­wei­sen ziel­wid­rig be­nach­tei­ligt wer­den.

Hier­nach weist die Neu­re­ge­lung zur ein­kom­men­steu­er­recht­li­chen Berück­sich­ti­gung des Auf­wands für Fahr­ten zwi­schen Woh­nung und Ar­beits­platz be­reits in sich ein sol­ches Maß an man­geln­der Kon­se­quenz und Kon­sis­tenz der Re­ge­lungs­zie­le und -wir­kun­gen auf, dass von ei­nem Prin­zi­pi­en- oder Sys­tem­wech­sel mit ei­nem er­for­der­li­chen Min­dest­maß von Ansätzen neu­er Prin­zi­pi­en- oder Sys­tem­ori­en­tie­rung nicht ge­spro­chen wer­den kann. Es han­delt sich um ei­ne ver­fas­sungs­recht­lich nicht hin­rei­chend sach­lich be­gründe­te, al­lein fis­ka­lisch mo­ti­vier­te und ge­stal­te­te, quan­ti­ta­tiv ab­ge­grenz­te Her­aus­nah­me nur ei­nes Teils ei­ner be­stimm­ten Auf­wen­dungs­art aus dem Sys­tem dif­fe­ren­zie­ren­der ein­kom­men­steu­er­li­cher Be­las­tung des Ein­kom­mens nach Grund­re­geln des ob­jek­ti­ven und des sub­jek­ti­ven Net­to­prin­zips. Wie­weit darüber hin­aus­ge­hend die im Er­geb­nis man­geln­de Übe­rein-
 


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stim­mung der Neu­re­ge­lung mit den zahl­rei­chen am Ver­an­las­sungs­prin­zip ori­en­tier­ten Re­ge­lun­gen an­de­rer Ar­ten von Wer­bungs­kos­ten und Be­triebs­aus­ga­ben zu den vom Bun­des­fi­nanz­hof gerügten Wer­tungs­wi­dersprüchen führt, kann da­nach of­fen blei­ben.

6. Dem Man­gel an ver­fas­sungs­recht­lich er­for­der­li­cher Fol­ge­rich­tig­keit der Neu­re­ge­lung können schließlich auch rechts­ver­glei­chen­de Hin­wei­se auf die un­ter­schied­li­che Berück­sich­ti­gung der Fahrt­kos­ten für We­ge zwi­schen Woh­nung und Ar­beitsstätte in ver­schie­de­nen ausländi­schen Steu­er­rechts­ord­nun­gen nicht er­folg­reich ent­ge­gen­ge­hal­ten wer­den. Für das gel­ten­de deut­sche Ver­fas­sungs­recht kommt es ge­ra­de nicht auf die iso­lier­te Fra­ge nach mögli­chem oder nicht mögli­chem Ab­zug sol­cher Kos­ten von der ein­kom­men­steu­er­li­chen Be­mes­sungs­grund­la­ge an, son­dern dar­auf, ob die ge­setz­ge­be­ri­sche Ant­wort auf die­se Fra­gen im Verhält­nis zu den Re­geln des Ein­kom­men­steu­er­rechts im Übri­gen we­sent­li­che Wi­dersprüche oder ein hin­rei­chen­des Maß an Fol­ge­rich­tig­keit auf­weist. Hierfür ent­schei­dungs­er­heb­li­che In­for­ma­tio­nen sind ei­ner Aufzählung ausländi­scher Ein­zel­re­ge­lun­gen (vgl. Leis­ner-Egen­sper­ger, BB 2007, S. 639 <641>) nicht zu ent­neh­men.

III.

Da § 9 Abs. 2 Satz 1 in Ver­bin­dung mit Satz 2 EStG be­reits we­gen man­geln­der Fol­ge­rich­tig­keit gemäß Art. 3 Abs. 1 GG ver­fas­sungs­wid­rig ist, kann of­fen blei­ben, ob wei­te­re Verstöße ge­gen die An­for­de­run­gen des all­ge­mei­nen Gleich­heits­sat­zes oder ge­gen an­de­re Grund­rech­te, ins­be­son­de­re ge­gen Art. 6 GG, vor-lie­gen.


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D.


I.

Der Ver­s­toß ei­ner Norm ge­gen das Grund­ge­setz kann ent­we­der zur Nich­ti­gerklärung (§ 82 Abs. 1 i. V. m. § 78 Satz 1, § 95 Abs. 3 BVerfGG) oder da­zu führen, dass das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt die mit der Ver­fas­sungs­wid­rig­keit ge­ge­be­ne Un­ver­ein­bar­keit der Norm mit dem Grund­ge­setz fest­stellt (vgl. § 31 Abs. 2, § 79 Abs. 1 BVerfGG). Ei­ne Erklärung nur der Un­ver­ein­bar­keit ist ins­be­son­de­re ge­bo­ten, wenn der Ge­setz­ge­ber ver­schie­de­ne Möglich­kei­ten hat, den Ver­fas­sungs­ver­s­toß zu be­sei­ti­gen. Das ist re­gelmäßig bei Ver­let­zun­gen des Gleich­heits­sat­zes der Fall (stRspr; vgl. BVerfGE 99, 280 <298>; 105, 73 <133>; 117, 1 <69>).

Da­nach ist § 9 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 EStG le­dig­lich für un­ver­ein­bar mit Art. 3 Abs. 1 GG zu erklären. Dem Ge­setz­ge­ber ste­hen un­ter­schied­lich dif­fe­ren­zie­ren­de und ty­pi­sie­ren­de Ge­stal­tungsmöglich­kei­ten zur Verfügung, um den ver-fas­sungs­wid­ri­gen Zu­stand durch Nor­men zu be­sei­ti­gen, die den ver­fas­sungs­recht­li­chen An­for­de­run­gen an fol­ge­rich­ti­ge Be­las­tungs­ent­schei­dun­gen ent­spre­chen und ein prak­ti­ka­bles Be­steue­rungs­ver­fah­ren ermögli­chen. Auch für die Ver­gan­gen­heit ab dem Zeit­punkt des In­kraft­tre­tens der für mit dem Grund­ge­setz un­ver­ein­bar erklärten Norm kann die Möglich­keit dif­fe­ren­zie­ren­der Lösun­gen nicht aus­ge­schlos­sen wer­den.

II.

Stellt das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt die Un­ver­ein­bar­keit ei­ner Norm mit Art. 3 Abs. 1 GG fest, folgt dar­aus grundsätz­lich die Ver­pflich­tung des Ge­setz­ge­bers, rück­wir­kend, be­zo­gen auf den in der ge­richt­li­chen Fest­stel­lung ge­nann­ten Zeit-punkt, die Rechts­la­ge ver­fas­sungs­gemäß um­zu­ge­stal­ten. Ge­rich­te und Ver­wal-

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tungs­behörden dürfen die Norm im Um­fang der fest­ge­stell­ten Un­ver­ein­bar­keit nicht mehr an­wen­den, lau­fen­de Ver­fah­ren sind aus­zu­set­zen (stRspr; vgl. BVerfGE 73, 40 <101>; 105, 73 <134>).

1. Da­nach ist auch hin­sicht­lich des § 9 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 EStG der ver­fas­sungs­wid­ri­ge Zu­stand rück­wir­kend ab dem 1. Ja­nu­ar 2007, dem Be­ginn des An­wen­dungs­zeit­raums des Steu­erände­rungs­ge­set­zes 2007, zu be­sei­ti­gen. Ei­ne mögli­che Aus­nah­me von die­ser Re­gel­fol­ge der Un­ver­ein­bar­keit, wie sie bei haus­halts­wirt­schaft­lich be­deut­sa­men Nor­men vom Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt wie­der­holt be­jaht wor­den ist (vgl. BVerfGE 93, 121 <148>; 105, 73 <134>; 117, 1 <70>), schei­det vor­lie­gend aus. Es han­delt sich um ei­nen ver­gleichs­wei­se kur­zen An­wen­dungs­zeit­raum der Neu­re­ge­lung, de­ren Ver­fas­sungsmäßig­keit stets um­strit­ten war und für den auch die Fi­nanz­ver­wal­tung be­reits auf Zwei­fel an der Ver­fas­sungmäßig­keit mit vorläufi­gen Re­ge­lun­gen re­agiert hat­te (vgl. u. a. BMF-Schrei­ben vom 4. Ok­to­ber 2007, BSt­Bl I S. 722, zur Statt­ga­be bei Anträgen auf Aus­set­zung der Voll­zie­hung; BMF-Schrei­ben vom 8. Ok­to­ber 2007, BSt­Bl I S. 723, u. a. zur vorläufi­gen Steu­er­fest­set­zung; BMF-Schrei­ben vom 18. Ja­nu­ar 2008, BSt­Bl I S. 278, zur vorläufi­gen Steu­er­fest­set­zung).

2. Für den Zeit­raum bis zu ei­ner ge­setz­li­chen Neu­re­ge­lung be­darf es für die kon­ti­nu­ier­li­che Bewälti­gung des steu­er­li­chen Mas­sen­ver­fah­rens zur Wah­rung der Funk­ti­onsfähig­keit der Fi­nanz­ver­wal­tung ei­ner vorläufi­gen, kla­ren und ein­heit­li­chen Über­g­angs­re­ge­lung (vgl. BVerfGE 73, 40 <101 f.> m. w. N.) für Ent­schei­dun­gen über die Berück­sich­ti­gung der Auf­wen­dun­gen für Fahr­ten zwi­schen Woh­nung und Ar­beitsstätte und für Fa­mi­li­en­heim­fahr­ten. Das Ge­bot, die für un­ver­ein­bar erklärten Vor­schrif­ten des § 9 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 EStG ab dem Zeit­punkt der Ent­schei­dung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts nicht an­zu­wen­den und lau­fen­de Ver­fah­ren aus­zu­set­zen, würde an­de­ren­falls zu un­ver­tret­ba­ren, die Steu­er­pflich­ti­gen un­zu­mut­bar be­las­ten­den Verzöge­run­gen ins­be­son­de­re auch der

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Durchführung des Lohn­steu­er­ver­fah­rens führen. Mit Blick auf die An­for­de­run­gen an ei­nen prak­ti­ka­blen und zu­mut­ba­ren Ver­wal­tungs­voll­zug schei­det ei­ne An­wen­dung der Ge­ne­ral­norm des § 9 Abs. 1 EStG, die in­di­vi­dua­li­sie­ren­de Nach­wei­se und Fest­stel­lun­gen tatsäch­li­cher We­ge­auf­wen­dun­gen er­for­dern würde, von vorn­her­ein aus. Viel­mehr kommt auch für ei­ne vorläufi­ge Über­g­angs­re­ge­lung nur ei­ne pau­scha­lie­ren­de Lösung in Be­tracht, wie sie als Mo­dell in ver­schie­de­nen Va­ri­an­ten seit Jahr­zehn­ten Be­stand­teil des Ein­kom­men­steu­er­rechts war. Die den bis­he­ri­gen ge­setz­ge­be­ri­schen Wer­tun­gen nächst­lie­gen­de Pau­scha­lie­rung des We­ge­auf­wands beträgt 0,30 Eu­ro je Ent­fer­nungs­ki­lo­me­ter. Des­halb ist bis zum Er­lass ei­ner endgülti­gen - rück­wir­ken­den - ge­setz­li­chen Über­gangs- und Neu­re­ge­lung § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG im We­ge vorläufi­ger Steu­er­fest­set­zung (§ 165 AO) so­wie ent­spre­chend im Lohn­steu­er­ver­fah­ren, hin­sicht­lich der Ein­kom­men­steu­er­vor­aus­zah­lun­gen und in sons­ti­gen Ver­fah­ren, in de­nen das zu ver­steu­ern­de Ein­kom­men zu be­stim­men ist, mit der Maßga­be an­zu­wen­den, dass die tat­be­stand­li­che Be­schränkung auf „erhöhte“ Auf­wen­dun­gen „ab dem 21. Ent­fer­nungs­ki­lo­me­ter“ entfällt.

E.

Die Ent­schei­dung ist mit 6:2 Stim­men er­gan­gen.

Voßkuh­le 

Broß 

Os­ter­loh

Di Fa­bio 

Mel­ling­hoff 

Lübbe-Wolff

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