HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 08/133

Die Neu­fas­sung der Pend­ler­pau­scha­le ist ver­fas­sungs­wid­rig.

Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt rügt Ver­stoß ge­gen den Gleich­heits­satz: Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt, Be­schluss vom 09.12.2008, 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08
Schreiben des Finanzamts Mitte/Tiergarten mit daraufliegenden Geldscheinen Sind We­ge­kos­ten be­ruf­lich be­dingt oder Pri­vat­sa­che?

15.12.2008. Vor ei­ni­gen Ta­gen hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) ent­schie­den, dass die Neu­re­ge­lung der Pen­der­pau­scha­le ver­fas­sungs­wid­rig ist.

Denn § 9 Abs.2 Satz 1 und Satz 2 Ein­kom­men­steu­er­ge­setz (EStG) in der Ge­set­zes­fas­sung, die das Steu­er­än­de­rungs­ge­setz 2007 vom 19.07.2006 ge­bracht hat (BGBl I, S.1652), ist mit dem im Grund­ge­setz (GG) fest­ge­schrie­be­nen Gleich­heits­satz un­ver­ein­bar.

Der in Ar­ti­kel 3 Abs.1 GG fest­ge­schrie­be­ne Gleich­heits­satz ver­langt näm­lich ei­ne fol­ge­rich­ti­ge Aus­ge­stal­tung des Ein­kom­men­steu­er­rechts und da­mit des bis­her dort gel­ten­den Net­to­prin­zips, d.h. des Prin­zips, dass nur das Net­to­ein­kom­men nach Ab­zug al­ler ein­kom­mens­be­ding­ten Kos­ten Grund­la­ge der Be­steue­rung ist: Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt, Be­schluss vom 09.12.2008, 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08.

Ist es ver­fas­sungs­gemäß, dass Ar­beit­neh­mer ih­re We­ge­kos­ten erst ab dem 21. Ki­lo­me­ter steu­er­lich gel­tend ma­chen können?

§ 9 Abs.2 Ein­kom­men­steu­er­ge­setz (EStG) in der Fas­sung des Steu­erände­rungs­ge­set­zes 2007 vom 19.07.2006 (BGBl I S.1652, BSt­Bl I S.432) ändert ab An­fang 2007 die sog. Pend­ler­pau­scha­le, d.h. die pro Ki­lo­me­ter pau­scha­li­sier­te steu­er­li­che Ab­zugsfähig­keit von Auf­wen­dun­gen von Ar­beit­neh­mern für Fahr­ten zwi­schen ih­rer Woh­nung und ih­rer re­gelmäßigen Ar­beitsstätte.

Während die­se Fahrt­kos­ten bis En­de 2006 noch ab dem ers­ten Ki­lo­me­ter ab­zugsfähig wa­ren, sol­len gemäß der zum 01.01.2007 wirk­sa­men Ge­set­zesände­rung nur noch Auf­wen­dun­gen ab dem 21. Ki­lo­me­ter steu­er­lich berück­sich­tigt sein.

Im Er­geb­nis führt dies zu ei­ner dras­ti­schen Be­gren­zung der steu­er­li­chen Berück­sich­ti­gung von Mo­bi­litätskos­ten, die Ar­beit­neh­mer auf­grund ih­rer Er­werbs­ar­beit tra­gen müssen: Die­se fal­len ih­nen nach der Neu­re­ge­lung steu­er­lich im We­sent­li­chen als „Pri­vat­vergnügen“ zur Last, d.h. dem Staat ist bei der Er­mitt­lung des zu ver­steu­ern­den Ein­kom­mens die mehr oder we­ni­ger große Ent­fer­nung zwi­schen Woh­nung und Ar­beitsstätte gleichgültig. Mag der steu­er­pflich­ti­ge Ar­beit­neh­mer, so die da­hin­ter ste­hen­de po­li­ti­sche De­vi­se, doch vor dem Fa­brik­tor kam­pie­ren („Werkstor­prin­zip“).

Die­se Neu­re­ge­lung war von An­fang an po­li­tisch heiß um­strit­ten und führ­te auch bald zu der ju­ris­ti­schen Fra­ge, ob die Neu­re­ge­lung nicht mögli­cher­wei­se ver­fas­sungs­wid­rig sei.

In die­sem Sin­ne hat­ten sich ins­be­son­de­re der Bun­des­fi­nanz­hof (BFH) und ei­ni­ge Fi­nanz­ge­rich­te geäußert (wir be­rich­te­ten darüber in: Ar­beits­recht ak­tu­ell: 07/52 Bun­des­fi­nanz­hof zwei­felt an Kürzung der Pend­ler­pau­scha­le). Da­her leg­te der BFH An­fang 2008 mit Vor­la­ge­be­schluss vom 10.01.2008 (VI R 17/07) dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) die Fra­ge vor, ob die Neu­re­ge­lung bzw. weit­ge­hen­de Ab­schaf­fung der Pend­ler­pau­scha­le gemäß § 9 Abs.2 EStG in der Fas­sung des Steu­erände­rungs­ge­set­zes 2007 ver­fas­sungs­gemäß sei.

Die ver­fas­sungs­recht­li­che Kri­tik stütze sich da­bei vor al­lem auf den Gleich­heits­satz (Art.3 Abs.1 Grund­ge­setz - GG): Da die weit­ge­hen­de Ab­schaf­fung der Pend­ler­pau­scha­le kei­nen grund­le­gen­den Sys­tem­wan­del im Ein­kom­men­steu­er­recht her­beiführen will, das viel­mehr nach wie vor auf der nach Ab­zug al­ler Kos­ten ver­blei­ben­den fi­nan­zi­el­len Leis­tungsfähig­keit des Steu­er­pflich­ti­gen ba­siert, ging es der Po­li­tik bei der Ab­schaf­fung letzt­lich nur um ei­ne Erhöhung des Steu­er­auf­kom­mens durch ei­ne punk­tu­el­le Mehr­be­las­tung pen­deln­der Ar­beit­neh­mer. Die­se Mehr­be­las­tung ist da­her dem Vor­wurf der Willkür bzw. ei­nes Ver­s­toßes ge­gen den Gleich­heits­satz aus­ge­setzt.

Über die­se Streit­fra­ge hat das BVerfG nun­mehr mit Be­schluss vom 09.12.2008 (2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08) ent­schie­den.

Die Streitfälle: Ehe­leu­te müssen in ver­schie­de­ne Rich­tun­gen pen­deln, ein Ar­beit­neh­mer muss täglich 150 Ki­lo­me­ter zurück­le­gen

Die Ent­schei­dung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts be­trifft ver­schie­de­ne Aus­gangs­ver­fah­ren, über die ge­mein­sam ent­schie­den wur­de.

Ein Aus­gangs­ver­fah­ren (2 BvL 1/07) be­traf Ehe­leu­te, die je­weils an zwei, von der Ehe­woh­nung aus in ver­schie­de­ner Rich­tung lie­gen­de Ar­beitsstätten zur Ar­beit ge­hen. Die Ar­beits­stel­le des Ehe­manns liegt 41 km, die der Ehe­frau in der Ge­gen­rich­tung 54 km vom ge­mein­sa­men Wohn­ort der Ehe­gat­ten ent­fernt.

In dem hierüber ent­stan­de­nen Streit zwi­schen dem Ehe­paar und der Fi­nanz­ver­wal­tung setz­te das Nie­dersäch­si­sche Fi­nanz­ge­richt das Ver­fah­ren aus und leg­te dem BVerfG gemäß Art.100 Abs.1 GG die Fra­ge vor, ob die Neu­re­ge­lung der Pend­ler­pau­scha­le ver­fas­sungs­gemäß sei (Be­schluss vom 27.02.2007, 8 K 549/06).

Ein wei­te­res Aus­gangs­ver­fah­ren (BvL 2/07) war ein Fall, der zu ei­nem Aus­set­zungs- und Vor­la­ge­be­schluss des Fi­nanz­ge­richts des Saar­lan­des vom 22.03.2007 (2 K 2442/06) führ­te. Auch hier ging es um nicht­selbständig täti­ge, zu­sam­men­ver­an­lag­te Ehe­leu­te, de­ren Ar­beitsstätten in un­ter­schied­li­chen Rich­tun­gen - und zwar 60 km bzw. 75 km - von ih­rem ge­mein­sa­men Wohn­ort ent­fernt lie­gen.

Der drit­te Aus­gangs­fall (2 BvL 1/08) be­traf ei­nen le­di­gen Ar­beit­neh­mer, der 75 km von sei­ner ar­beitstäglich auf­ge­such­ten Ar­beitsstätte ent­fernt wohnt und sich mit der Fi­nanz­ver­wal­tung über die Berück­sich­ti­gungsfähig­keit sei­ner Fahrt­kos­ten stritt. Die­ser Fall führ­te zu ei­nem der Aus­set­zungs- und Vor­la­ge­be­schlüsse des Bun­des­fi­nanz­hofs vom 10.01.2008 (VI R 27/07).

Das vier­te Aus­gangs­ver­fah­ren (2 BvL 2/08) ist der Fall, der dem be­reits erwähn­ten Vor­la­ge­be­schluss des BFH vom 10.01.2008 zu­grun­de lag (VI R 17/07). Hier ging es wie­der­um um Ehe­leu­te, die bei­de Einkünf­te aus nicht­selbständi­ger Ar­beit er­ziel­ten. Die Ar­beitsstätte des Ehe­manns liegt 70 km, die der Ehe­frau 37 km von ih­rem Wohn­ort ent­fernt.

Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt: Die Neu­re­ge­lung der Pend­ler­pau­scha­le verstößt ge­gen das steu­er­recht­li­che Net­to­prin­zip und da­mit ge­gen den Gleich­heits­grund­satz

Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt kam zu dem Er­geb­nis, dass § 9 Abs.2 Satz 1 und Satz 2 EStG in der seit In­kraft­tre­ten des Steu­erände­rungs­ge­set­zes 2007 vom 19.07.2006 gel­ten­den Fas­sung (BGBl I, S.1652) mit Ar­ti­kel 3 Abs.1 GG un­ver­ein­bar ist.

Darüber hin­aus gilt bis zu ei­ner ge­setz­li­chen Neu­re­ge­lung nicht et­wa die als ver­fas­sungs­wid­rig be­an­stan­de­te Neu­re­ge­lung. Viel­mehr ist § 9 Ab­satz 2 Satz 2 EStG im We­ge vorläufi­ger Steu­er­fest­set­zung (§ 165 Ab­ga­ben­ord­nung) so­wie ent­spre­chend im Lohn­steu­er­ver­fah­ren, hin­sicht­lich der Ein­kom­men­steu­er­vor­aus­zah­lun­gen und in sons­ti­gen Ver­fah­ren, in de­nen das zu ver­steu­ern­de Ein­kom­men zu be­stim­men ist, mit der Maßga­be an­zu­wen­den, dass die tat­be­stand­li­che Be­schränkung auf „erhöhte“ Auf­wen­dun­gen „ab dem 21. Ent­fer­nungs­ki­lo­me­ter“ entfällt.

Zur Be­gründung sei­ner Ent­schei­dung be­zieht sich das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt im We­sent­li­chen auf fol­gen­de Über­le­gun­gen:

Der all­ge­mei­ne Gleich­heits­satz (Art.3 Abs.1 GG) ver­lan­ge vom Ge­setz­ge­ber bei der Aus­ge­stal­tung der Ein­kom­men­steu­er ei­ne an der fi­nan­zi­el­len Leis­tungsfähig­keit des Steu­er­pflich­ti­gen aus­ge­rich­te­te Aus­ge­stal­tung sei­ner „Be­las­tungs­ent­schei­dun­gen“. Außer­dem müssen die­se Ent­schei­dun­gen - sprich: das Ein­kom­men­steu­er­recht - „hin­rei­chend fol­ge­rich­tig“ sein. Nach gel­ten­dem Ein­kom­men­steu­er­recht wird dies durch das sog. Net­to­prin­zip um­ge­setzt, nach dem die fi­nan­zi­el­le Leis­tungsfähig­keit des Steu­er­pflich­ti­gen (und da­mit sei­ne Steu­er­last) nach der Höhe sei­nes jähr­li­chen Net­to­ein­kom­mens be­mes­sen wird.

Hier­bei wird das Net­to­ein­kom­men un­ter Berück­sich­ti­gung der be­ruf­lich bzw. be­trieb­lich ver­an­lass­ten Auf­wen­dun­gen er­mit­telt.

Vor dem Hin­ter­grund die­ser Aus­ge­stal­tung des Ein­kom­men­steu­er­rechts stellt das in der Neu­re­ge­lung ent­hal­te­ne Werkstor­prin­zip bzw. die al­lein auf der ki­lo­me­termäßigen Ent­fer­nung be­ru­hen­de Ab­zugsfähig­keit (bzw. Nicht­ab­zugsfähig­keit) von Fahrt­kos­ten „ei­ne sin­guläre Aus­nah­me in­ner­halb des gel­ten­den Ein­kom­mens-teu­er­rechts dar“.

Auf­grund ih­rer feh­len­den sys­te­ma­ti­schen Ver­bin­dung mit an­de­ren Prin­zi­pi­en des gel­ten­den Ein­kom­men­steu­er­rechts braucht der Ge­setz­ge­ber außer­gewöhn­lich gu­te Gründe, um dem Steu­er­pflich­ti­gen ei­ne sol­che sys­tem­wid­ri­ge Aus­nah­me zu­mu­ten zu dürfen.

Als denk­ba­re Recht­fer­ti­gun­gen dis­ku­tiert das BVerfG mögli­che Ty­pi­sie­rungs- und Ver­ein­fa­chungs­zwe­cke so­wie ei­nen - von der Bun­des­re­gie­rung in An­spruch ge­nom­me­nen - po­li­ti­schen bzw. recht­li­chen „Sys­tem­wech­sel“, kommt aber bei­de Mal zu dem Er­geb­nis, dass sol­che Gründe hier nicht vor­han­den bzw. aus­rei­chend tragfähig sei­en.

Den darüber hin­aus von der Bun­des­re­gie­rung re­kla­mier­ten Grund der Haus­halts­kon­so­li­die­rung al­lein lässt das BVerfG nicht gel­ten. Denn bei der Fra­ge der ver­fas­sungs­recht­li­chen Zulässig­keit von steu­er­ge­setz­li­chen Mehr­be­las­tun­gen könne das Ziel ei­ner staat­li­chen Ein­nah­men­ver­meh­rung „kein Richt­maß“ bie­ten, da die­sem Ziel letzt­lich je­de, d.h. auch ei­ne willkürli­che Mehr­be­las­tung die­ne.

Im Er­geb­nis bzw. in der Sub­stanz bleibt da­her der ver­fas­sungs­recht­li­che Vor­wurf ei­ner willkürli­chen Be­las­tung von be­rufs­pen­deln­den Ar­beit­neh­mern.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 21. März 2020

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de