HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

EuGH, Ur­teil vom 13.02.2014, C-512/11 C-513/11 - YTN

   
Schlagworte: Elternzeit
   
Gericht: Europäischer Gerichtshof
Aktenzeichen: C-512/11
C-513/11
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 13.02.2014
   
Leitsätze:

Die Richtlinie 96/34/EG des Rates vom 3. Juni 1996 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub ist dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Bestimmung, wie sie die in den Ausgangsverfahren fraglichen Tarifverträge vorsehen, entgegensteht, nach der eine schwangere Arbeitnehmerin, die einen unbezahlten Elternurlaub im Sinne dieser Richtlinie unterbricht, um mit sofortiger Wirkung Mutterschaftsurlaub im Sinne der Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (zehnte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) zu nehmen, keinen Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts hat, das ihr zugestanden hätte, wenn sie vor diesem Mutterschaftsurlaub ihre Arbeit zumindest für kurze Zeit wieder aufgenommen hätte.

 

Vorinstanzen: Työtuomioistuin (Finnland), Entscheidungen vom 28.09.2011
   

UR­TEIL DES GERICH­TSHOFS (Drit­te Kam­mer)

13. Fe­bru­ar 2014(*)

„So­zi­al­po­li­tik – Richt­li­nie 92/85/EWG – Schutz der Si­cher­heit und der Ge­sund­heit der Ar­beit­neh­merSchwan­ge­re Ar­beit­neh­me­rin­nen, Wöch­ne­rin­nen und stil­len­de Ar­beit­neh­me­rin­nen am Ar­beits­platz – Mut­ter­schafts­ur­laub – Fort­zah­lung ei­nes Ar­beits­ent­gelts und/oder An­spruch auf ei­ne an­ge­mes­se­ne So­zi­al­leis­tung – Richt­li­nie 96/34/EG – Rah­men­ver­ein­ba­rung über El­tern­ur­laub – In­di­vi­du­el­les Recht auf El­tern­ur­laub im Fall der Ge­burt oder Ad­op­ti­on ei­nes Kin­des – Ar­beits- und Vergütungs­be­din­gun­gen – Na­tio­na­ler Ta­rif­ver­tragAr­beit­neh­me­rin­nen, die nach Un­ter­bre­chung ei­nes un­be­zahl­ten El­tern­ur­laubs Mut­ter­schafts­ur­laub ge­nom­men ha­ben – Ver­wei­ge­rung der Ent­gelt­zah­lung während des Mut­ter­schafts­ur­laubs“

In den ver­bun­de­nen Rechts­sa­chen C-512/11 und C-513/11

be­tref­fend Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen nach Art. 267 AEUV, ein­ge­reicht vom Työtuo­miois­tu­in (Finn­land) mit Ent­schei­dun­gen vom 28. Sep­tem­ber 2011, beim Ge­richts­hof ein­ge­gan­gen am 3. Ok­to­ber 2011, in den Ver­fah­ren

Ter­veys- ja so­siaa­li­al­an neu­vot­te­lujärjestö (TSN) ry

ge­gen

Ter­vey­spal­velua­lan Liit­to ry,

Be­tei­lig­te:

Me­hiläinen Oy (C-512/11)

und

Ylemmät To­i­mi­hen­kilöt (YTN) ry

ge­gen

Te­kno­lo­gia­teol­li­suus ry,

No­kia Sie­mens Net­works Oy (C-513/11)

erlässt

DER GERICH­TSHOF (Drit­te Kam­mer)

un­ter Mit­wir­kung des Kam­mer­präsi­den­ten M. Ilešič, des Vi­ze­präsi­den­ten des Ge­richts­hofs K. Lena­erts in Wahr­neh­mung der Auf­ga­ben ei­nes Rich­ters der Drit­ten Kam­mer, des Rich­ters A. Ó Cao­imh (Be­richt­er­stat­ter), der Rich­te­rin C. Toa­der und des Rich­ters E. Ja­rašiūnas,

Ge­ne­ral­anwältin: J. Ko­kott,

Kanz­ler: C. Strömholm, Ver­wal­tungsrätin,

auf­grund des schrift­li­chen Ver­fah­rens und auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 8. No­vem­ber 2012,

un­ter Berück­sich­ti­gung der Erklärun­gen

- des Ter­veys- ja so­siaa­li­al­an neu­vot­te­lujärjestö (TSN) ry und des Ylemmät To­i­mi­hen­kilöt (YTN) ry, ver­tre­ten durch A. Vai­nio und T. Lehti­nen, asi­a­na­jajat,

- des Ter­vey­spal­velua­lan Liit­to ry und der Me­hiläinen Oy, ver­tre­ten durch M. Kärkkäinen, asi­a­na­ja­ja,

- des Te­kno­lo­gia­teol­li­suus ry und der No­kia Sie­mens Net­works Oy, ver­tre­ten durch S. Koivis­toi­nen und J. Iko­nen, asi­a­na­jajat,

- der fin­ni­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch J. He­lis­koski als Be­vollmäch­tig­ten,

- der est­ni­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch M. Linntam als Be­vollmäch­tig­te,

- der spa­ni­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch A. Ru­bio González als Be­vollmäch­tig­ten,

- der Re­gie­rung des Ver­ei­nig­ten König­reichs, ver­tre­ten durch S. Os­s­ow­ski als Be­vollmäch­tig­ten im Bei­stand von S. Lee, Bar­ris­ter,

- der Eu­ropäischen Kom­mis­si­on, ver­tre­ten durch I. Kos­ki­nen und C. Gheor­ghiu als Be­vollmäch­tig­te,

nach Anhörung der Schluss­anträge der Ge­ne­ral­anwältin in der Sit­zung vom 21. Fe­bru­ar 2013

fol­gen­des

Ur­teil

1 Die Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen be­tref­fen im We­sent­li­chen die Aus­le­gung der Richt­li­ni­en 92/85/EWG des Ra­tes vom 19. Ok­to­ber 1992 über die Durchführung von Maßnah­men zur Ver­bes­se­rung der Si­cher­heit und des Ge­sund­heits­schut­zes von schwan­ge­ren Ar­beit­neh­me­rin­nen, Wöch­ne­rin­nen und stil­len­den Ar­beit­neh­me­rin­nen am Ar­beits­platz (zehn­te Ein­zel­richt­li­nie im Sin­ne des Ar­ti­kels 16 Ab­satz 1 der Richt­li­nie 89/391/EWG) (ABl. L 348, S. 1), 96/34/EG des Ra­tes vom 3. Ju­ni 1996 zu der von UN­ICE, CEEP und EGB ge­schlos­se­nen Rah­men­ver­ein­ba­rung über den El­tern­ur­laub (ABl. L 145, S. 4) und 2006/54/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 5. Ju­li 2006 zur Ver­wirk­li­chung des Grund­sat­zes der Chan­cen­gleich­heit und Gleich­be­hand­lung von Männern und Frau­en in Ar­beits- und Beschäfti­gungs­fra­gen (ABl. L 204, S. 23).
2 Die­se Er­su­chen er­ge­hen im Rah­men zwei­er Rechts­strei­tig­kei­ten, nämlich ers­tens zwi­schen dem Ter­veys- ja so­siaa­li­al­an neu­vot­te­lujärjestö (TSN) ry (Ar­beit­neh­mer­ver­band für das Ge­sund­heits- und So­zi­al­we­sen, im Fol­gen­den: TSN) auf der ei­nen und dem Ter­vey­spal­velua­lan Liit­to ry (Ar­beit­ge­ber­ver­band für das Ge­sund­heits­dienst­leis­tungs­we­sen) un­ter Be­tei­li­gung der Me­hiläinen Oy (im Fol­gen­den: Me­hiläinen) auf der an­de­ren Sei­te und zwei­tens zwi­schen dem Ylemmät To­i­mi­hen­kilöt (YTN) ry (Ver­band der höhe­ren An­ge­stell­ten) auf der ei­nen und dem Te­kno­lo­gia­teol­li­suus ry (Ar­beit­ge­ber­ver­band der Tech­no­lo­gie­in­dus­trie) so­wie der No­kia Sie­mens Net­works Oy (im Fol­gen­den: No­kia Sie­mens) auf der an­de­ren Sei­te über die von den je­wei­li­gen Ar­beit­ge­bern von zwei fin­ni­schen Ar­beit­neh­me­rin­nen auf die je­weils ein­schlägi­gen Ta­rif­verträge gestütz­te Wei­ge­rung, ih­nen ein nach die­sen Ta­rif­verträgen während ih­res Mut­ter­schafts­ur­laubs nor­ma­ler­wei­se vor­ge­se­he­nes Ent­gelt zu zah­len, weil die­se Ar­beit­neh­me­rin­nen mit dem Mut­ter­schafts­ur­laub je­weils ei­nen un­be­zahl­ten El­tern­ur­laub un­ter­bra­chen.

Recht­li­cher Rah­men

Uni­ons­recht

Richt­li­nie 92/85

3 Die Erwägungs­gründe 1 und 17 der Richt­li­nie 92/85 lau­ten:

„Ar­ti­kel 118a des [EWG-Ver­trags] sieht vor, dass der Rat durch Richt­li­ni­en Min­dest­vor­schrif­ten erlässt, um die Ver­bes­se­rung ins­be­son­de­re der Ar­beits­um­welt zu fördern und so die Si­cher­heit und die Ge­sund­heit der Ar­beit­neh­mer zu schützen.

Des­glei­chen hätten die Be­stim­mun­gen über den Mut­ter­schafts­ur­laub kei­ne prak­ti­sche Wirk­sam­keit, wenn nicht gleich­zei­tig die mit dem Ar­beits­ver­trag ver­bun­de­nen Rech­te und die Fort­zah­lung ei­nes Ar­beits­ent­gelts und/oder der An­spruch auf ei­ne an­ge­mes­se­ne So­zi­al­leis­tung gewähr­leis­tet wären.“

4 Art. 8 („Mut­ter­schafts­ur­laub“) der Richt­li­nie 92/85 sieht in Abs. 1 vor:

„Die Mit­glied­staa­ten tref­fen die er­for­der­li­chen Maßnah­men, um si­cher­zu­stel­len, dass den Ar­beit­neh­me­rin­nen im Sin­ne des Ar­ti­kels 2 ein Mut­ter­schafts­ur­laub von min­des­tens 14 Wo­chen oh­ne Un­ter­bre­chung gewährt wird, die sich ent­spre­chend den ein­zel­staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten und/oder Ge­pflo­gen­hei­ten auf die Zeit vor und/oder nach der Ent­bin­dung auf­tei­len.“

5 Art. 11 („Mit dem Ar­beits­ver­trag ver­bun­de­ne Rech­te“) der Richt­li­nie 92/85 be­stimmt:

„Um den Ar­beit­neh­me­rin­nen im Sin­ne des Ar­ti­kels 2 die Ausübung der in die­sem Ar­ti­kel an­er­kann­ten Rech­te in Be­zug auf ih­re Si­cher­heit und ih­ren Ge­sund­heits­schutz zu gewähr­leis­ten, wird Fol­gen­des vor­ge­se­hen:

2. In dem in Ar­ti­kel 8 ge­nann­ten Fall müssen gewähr­leis­tet sein:

a) die mit dem Ar­beits­ver­trag der Ar­beit­neh­me­rin­nen im Sin­ne des Ar­ti­kels 2 ver­bun­de­nen an­de­ren Rech­te als die un­ter dem nach­ste­hen­den Buch­sta­ben b) ge­nann­ten;

b) die Fort­zah­lung ei­nes Ar­beits­ent­gelts und/oder der An­spruch auf ei­ne an­ge­mes­se­ne So­zi­al­leis­tung für die Ar­beit­neh­me­rin­nen im Sin­ne des Ar­ti­kels 2.

3. Die So­zi­al­leis­tung nach Num­mer 2 Buch­sta­be b) gilt als an­ge­mes­sen, wenn sie min­des­tens den Bezügen ent­spricht, die die be­tref­fen­de Ar­beit­neh­me­rin im Fal­le ei­ner Un­ter­bre­chung ih­rer Er­werbstätig­keit aus ge­sund­heit­li­chen Gründen er­hal­ten würde, wo­bei es ge­ge­be­nen­falls ei­ne von den ein­zel­staat­li­chen Ge­setz­ge­bern fest­ge­leg­te Ober­gren­ze gibt.

4. Es steht den Mit­glied­staa­ten frei, den An­spruch auf die Fort­zah­lung des Ar­beits­ent­gelts oder die in Num­mer 1 und Num­mer 2 Buch­sta­be b) ge­nann­te So­zi­al­leis­tung da­von abhängig zu ma­chen, dass die be­tref­fen­de Ar­beit­neh­me­rin die in den ein­zel­staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten vor­ge­se­he­nen Be­din­gun­gen für das Ent­ste­hen ei­nes An­spruchs auf die­se Leis­tun­gen erfüllt.

Nach die­sen Be­din­gun­gen darf kei­nes­falls vor­ge­se­hen sein, dass dem vor­aus­sicht­li­chen Zeit­punkt der Ent­bin­dung ei­ne Er­werbstätig­keit von mehr als zwölf Mo­na­ten un­mit­tel­bar vor­an­ge­gan­gen sein muss.“

Richt­li­nie 96/34

6 Mit der Richt­li­nie 96/34 wird die Rah­men­ver­ein­ba­rung über den El­tern­ur­laub um­ge­setzt, die am 14. De­zem­ber 1995 zwi­schen den eu­ropäischen So­zi­al­part­nern ge­schlos­sen wur­de (im Fol­gen­den: Rah­men­ver­ein­ba­rung).
7 In der Präam­bel der im An­hang der Richt­li­nie 96/34 ent­hal­te­nen Rah­men­ver­ein­ba­rung heißt es:

„Die … Rah­men­ver­ein­ba­rung stellt ein En­ga­ge­ment von UN­ICE, CEEP und EGB im Hin­blick auf Min­dest­vor­schrif­ten für den El­tern­ur­laub und für das Fern­blei­ben von der Ar­beit aus Gründen höhe­rer Ge­walt dar, weil sie dies als ein wich­ti­ges Mit­tel an­se­hen, Be­rufs- und Fa­mi­li­en­le­ben zu ver­ein­ba­ren und Chan­cen­gleich­heit und Gleich­be­hand­lung von Männern und Frau­en zu fördern.“

8 Pa­ra­graf 1 („Ziel und An­wen­dungs­be­reich“) der Rah­men­ver­ein­ba­rung lau­tet:

„1. In die­ser Ver­ein­ba­rung sind Min­dest­an­for­de­run­gen nie­der­ge­legt, die dar­auf ab­zie­len, die Ver­ein­bar­keit von Be­rufs- und Fa­mi­li­en­le­ben er­werbstäti­ger El­tern zu er­leich­tern.

2. Die­se Ver­ein­ba­rung gilt für al­le Ar­beit­neh­mer, Männer und Frau­en, die nach den Rechts­vor­schrif­ten, Ta­rif­verträgen oder Ge­pflo­gen­hei­ten in dem je­wei­li­gen Mit­glied­staat über ei­nen Ar­beits­ver­trag verfügen oder in ei­nem Ar­beits­verhält­nis ste­hen.“

9 Pa­ra­graf 2 („El­tern­ur­laub“) der Rah­men­ver­ein­ba­rung be­stimmt:

„1. Nach die­ser Ver­ein­ba­rung ha­ben er­werbstäti­ge Männer und Frau­en nach Maßga­be des Pa­ra­gra­fen 2 Num­mer 2 ein in­di­vi­du­el­les Recht auf El­tern­ur­laub im Fall der Ge­burt oder Ad­op­ti­on ei­nes Kin­des, da­mit sie sich bis zu ei­nem be­stimm­ten Al­ter des Kin­des – das Al­ter kann bis zu acht Jah­ren ge­hen – für die Dau­er von min­des­tens drei Mo­na­ten um die­ses Kind kümmern können. Die ge­nau­en Be­stim­mun­gen sind von den Mit­glied­staa­ten und/oder So­zi­al­part­nern fest­zu­le­gen.

3. Die Vor­aus­set­zun­gen und die Mo­da­litäten für die In­an­spruch­nah­me des El­tern­ur­laubs wer­den in den Mit­glied­staa­ten ge­setz­lich und/oder ta­rif­ver­trag­lich un­ter Ein­hal­tung der Min­dest­an­for­de­run­gen die­ser Ver­ein­ba­rung ge­re­gelt. …

5. Im An­schluss an den El­tern­ur­laub hat der Ar­beit­neh­mer das Recht, an sei­nen frühe­ren Ar­beits­platz zurück­zu­keh­ren oder, wenn das nicht möglich ist, ent­spre­chend sei­nem Ar­beits­ver­trag oder Ar­beits­verhält­nis ei­ner gleich­wer­ti­gen oder ähn­li­chen Ar­beit zu­ge­wie­sen zu wer­den.

6. Die Rech­te, die der Ar­beit­neh­mer zu Be­ginn des El­tern­ur­laubs er­wor­ben hat­te oder da­bei war zu er­wer­ben, blei­ben bis zum En­de des El­tern­ur­laubs be­ste­hen. …

7. Die Mit­glied­staa­ten und/oder die So­zi­al­part­ner be­stim­men den Sta­tus des Ar­beits­ver­trags oder Ar­beits­verhält­nis­ses für den Zeit­raum des El­tern­ur­laubs.

…“

10 10 Nach Pa­ra­graf 4 Nr. 1 der Rah­men­ver­ein­ba­rung können die Mit­glied­staa­ten güns­ti­ge­re Re­ge­lun­gen an­wen­den oder fest­le­gen, als sie in die­ser Ver­ein­ba­rung vor­ge­se­hen sind.

Fin­ni­sches Recht

Ge­setz­li­che Vor­schrif­ten

- Ar­beits­ver­trags­ge­setz

11 Gemäß Ka­pi­tel 4 § 3 des Työso­pi­mus­laki (55/2001) (Ar­beits­ver­trags­ge­setz) hat ein Ar­beit­neh­mer, da­mit er sich um sein Kind oder ein dau­er­haft in sei­nem Haus­halt le­ben­des Kind kümmern kann, An­spruch auf Er­zie­hungs­ur­laub, der bis zur Voll­endung des drit­ten Le­bens­jah­res des Kin­des an­dau­ern kann.
12 Nach Ka­pi­tel 4 § 8 des Työso­pi­mus­laki ist der Ar­beit­ge­ber nicht ver­pflich­tet, dem Ar­beit­neh­mer während der Zei­ten des fa­mi­li­en­be­zo­ge­nen Ur­laubs ein Ent­gelt zu zah­len.

- Kran­ken­ver­si­che­rungs­ge­setz

13 Gemäß Ka­pi­tel 9 § 1 Abs. 1 des Sai­raus­va­kuutus­laki (1224/2004) (Kran­ken­ver­si­che­rungs­ge­setz) hat der Ver­si­cher­te An­spruch auf El­tern­ta­ge­geld, so­fern er vor dem vor­aus­sicht­li­chen Zeit­punkt der Ent­bin­dung bzw. vor der Un­ter­brin­gung des Kin­des im Haus­halt des Ver­si­cher­ten im Sin­ne von § 11 un­un­ter­bro­chen min­des­tens 180 Ta­ge in Finn­land ge­wohnt hat.
14 Nach Ka­pi­tel 9 § 3 die­ses Ge­set­zes wird das Mut­ter­schafts­geld während ei­nes Zeit­raums von 105 Ar­beits­ta­gen ge­zahlt.
15

Nach Ka­pi­tel 9 § 8 Abs. 1 des ge­nann­ten Ge­set­zes be­steht un­mit­tel­bar nach Ein­stel­lung der Zah­lung von Mut­ter­schafts­geld ein An­spruch auf El­tern­geld. Das El­tern­geld erhält ent­spre­chend dem Wunsch der El­tern ent­we­der die Mut­ter oder der Va­ter.

An­wend­ba­re Ta­rif­verträge

16 Zwi­schen dem Ter­vey­spal­velua­lan Liit­to ry und dem TSN wur­de für den Zeit­raum 1. Fe­bru­ar 2010 bis 31. De­zem­ber 2011 ein Ta­rif­ver­trag (im Fol­gen­den: Ta­rif­ver­trag für den Ge­sund­heits­sek­tor) ge­schlos­sen, dem die Par­tei­en in der Rechts­sa­che C-512/11 un­ter­lie­gen. 
17

Nach § 21 Abs. 3 des Ta­rif­ver­trags für den Ge­sund­heits­sek­tor hat ei­ne Ar­beit­neh­me­rin während des Mut­ter­schafts­ur­laubs An­spruch auf das vol­le Ent­gelt für 72 Werk­ta­ge, so­fern das Beschäfti­gungs­verhält­nis vor Be­ginn des Ur­laubs min­des­tens drei Mo­na­te oh­ne Un­ter­bre­chung be­stand. Nimmt die Ar­beit­neh­me­rin in ei­nem Zeit­raum un­be­zahl­ten Ur­laubs er­neut Mut­ter­schafts­ur­laub - der Ta­rif­ver­trag sieht meh­re­re Ar­ten un­be­zahl­ter Ur­lau­be vor -, wird das frag­li­che Ent­gelt während des un­be­zahl­ten Ur­laubs nicht ge­zahlt, so­fern sich aus dem Ge­setz nichts an­de­res er­gibt. Ist bei En­de ei­nes sol­chen Ur­laubs der Mut­ter­schafts­ur­laub noch nicht aus­geschöpft, wird je­doch das Mut­ter­schafts­ur­laubs­ent­gelt für die übri­ge Zeit des Mut­ter­schafts­ur­laubs ge­zahlt.

18 Aus der Vor­la­ge­ent­schei­dung in der Rechts­sa­che C-512/11 geht her­vor, dass § 21 des Ta­rif­ver­trags für den Ge­sund­heits­sek­tor da­hin aus­ge­legt wird, dass ei­ne Ar­beit­neh­me­rin während ei­nes Mut­ter­schafts­ur­laubs nur dann An­spruch auf ein Ent­gelt hat, wenn sie un­mit­tel­bar von der Ar­beit oder ei­nem be­zahl­ten Ur­laub in den Mut­ter­schafts­ur­laub wech­selt.
19 Zwi­schen dem Te­kno­lo­gia­teol­li­suus ry und dem Ylemmät To­i­mi­hen­kilöt (YTN) ry wur­de ein Ta­rif­ver­trag ge­schlos­sen, der für den Zeit­raum 2. Ju­li 2007 bis 30. April 2010 galt (im Fol­gen­den: Ta­rif­ver­trag für den Sek­tor der Tech­no­lo­gie­in­dus­trie) und dem die Par­tei­en in der Rechts­sa­che C-513/11 un­ter­la­gen.
20 § 8 des Ta­rif­ver­trags für den Sek­tor der Tech­no­lo­gie­in­dus­trie be­stimmt u. a.:

„Die Ar­beit­neh­me­rin erhält Mut­ter­schafts­ur­laub für den Zeit­raum, für den nach dem Kran­ken­ver­si­che­rungs­ge­setz An­spruch auf Mut­ter­schafts­geld be­steht. Während des Mut­ter­schafts­ur­laubs wird drei Mo­na­te lang das vol­le Ent­gelt ge­zahlt, so­fern das Ar­beits­verhält­nis während min­des­tens sechs auf­ein­an­der­fol­gen­den Mo­na­ten vor der Ent­bin­dung be­stan­den hat.

21 Aus der Vor­la­ge­ent­schei­dung in der Rechts­sa­che C‑513/11 wie auch aus den von TSN und No­kia Sie­mens beim Ge­richts­hof ein­ge­reich­ten Erklärun­gen geht her­vor, dass § 8 des Ta­rif­ver­trags für den Sek­tor der Tech­no­lo­gie­in­dus­trie in ständi­ger Pra­xis in dem Sin­ne an­ge­wandt wird, dass ei­ne Ar­beit­neh­me­rin während ei­nes Mut­ter­schafts­ur­laubs nur dann An­spruch auf ein Ent­gelt hat, wenn sie un­mit­tel­bar von der Ar­beit oder ei­nem be­zahl­ten Ur­laub in den Mut­ter­schafts­ur­laub wech­selt.

Aus­gangs­rechts­strei­tig­kei­ten und Vor­la­ge­fra­ge

Rechts­sa­che C-512/11

22 Nach ei­nem ers­ten Mut­ter­schafts­ur­laub nahm Frau Kul­ta­r­in­ta, Kran­ken­pfle­ge­rin in ei­nem Beschäfti­gungs­verhält­nis bei Me­hiläinen, ei­nem der führen­den Un­ter­neh­men des Ge­sund­heits- und So­zi­al­dienst­leis­tungs­be­reichs in Finn­land, un­be­zahl­ten Er­zie­hungs­ur­laub für den Zeit­raum 7. Ja­nu­ar 2010 bis 11. April 2012.
23 Als sie er­neut schwan­ger war, teil­te sie ih­rem Ar­beit­ge­ber mit, dass sie den Er­zie­hungs­ur­laub un­ter­bre­chen und ab dem 9. April 2010 wie­der Mut­ter­schafts­ur­laub neh­men wol­le.
24 Me­hiläinen ak­zep­tier­te die Un­ter­bre­chung des Er­zie­hungs­ur­laubs, ver­wei­ger­te aber während die­ses zwei­ten Mut­ter­schafts­ur­laubs die Zah­lung von Mut­ter­schafts­geld in Höhe des vol­len Ar­beits­ent­gelts für 72 Ta­ge, da der er­neu­te Mut­ter­schafts­ur­laub während des un­be­zahl­ten Er­zie­hungs­ur­laubs von Frau Kul­ta­r­in­ta be­gon­nen ha­be.

Rechts­sa­che C-513/11

25 Frau No­va­mo, An­ge­stell­te von No­kia Sie­mens, nahm am 8. März 2008 Mut­ter­schafts­ur­laub und da­nach un­be­zahl­ten Er­zie­hungs­ur­laub für den Zeit­raum 19. März 2009 bis 4. April 2011.
26 Im Jahr 2010 teil­te sie ih­rem Ar­beit­ge­ber mit, dass sie wie­der schwan­ger sei und dass sie ih­ren un­be­zahl­ten Er­zie­hungs­ur­laub un­ter­bre­chen und ab dem 24. Mai 2010 Mut­ter­schafts­ur­laub neh­men wol­le. No­kia Sie­mens ak­zep­tier­te die Mit­tei­lung von Frau No­va­mo über die Un­ter­bre­chung des Er­zie­hungs­ur­laubs, ver­wei­ger­te ihr aber für die Zeit des Mut­ter­schafts­ur­laubs die Zah­lung ih­res Ent­gelts, da der er­neu­te Mut­ter­schafts­ur­laub während ih­res un­be­zahl­ten Er­zie­hungs­ur­laubs be­gon­nen ha­be.
27 Die Kläge­rin­nen der Aus­gangs­ver­fah­ren er­ho­ben in bei­den Rechts­sa­chen ge­gen die Ar­beit­ge­ber von Frau Kul­ta­r­in­ta bzw. Frau No­va­mo Kla­ge auf Er­satz des Scha­dens, der die­sen auf­grund ei­ner rechts­wid­ri­gen Be­hand­lung ent­stan­den sein soll.
28 Aus den Vor­la­ge­ent­schei­dun­gen geht her­vor, dass das nach dem Kran­ken­ver­si­che­rungs­ge­setz bei Mut­ter­schaft vor­ge­se­he­ne Ta­ge­geld, auf das Frau Kul­ta­r­in­ta und Frau No­va­mo während ih­res Mut­ter­schafts­ur­laubs An­spruch hat­ten, dem Ta­ge­geld bei Krank­heit ent­sprach, während ih­re Ar­beit­ge­ber ih­nen nor­ma­ler­wei­se die Dif­fe­renz zwi­schen die­sem Ta­ge­geld und dem in den na­tio­na­len Ta­rif­verträgen vor­ge­se­he­nen Ent­gelt zu zah­len hat­ten.
29 Den Vor­la­ge­ent­schei­dun­gen ist fer­ner zu ent­neh­men, dass nach Auf­fas­sung des Työtuo­miois­tu­in die Richt­li­ni­en 92/85 und 2006/54 Aus­le­gungs­fra­gen auf­wer­fen, von de­nen die Aus­le­gung der in den Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­den Ta­rif­verträge und de­ren Gültig­keit abhänge. Zu­dem ge­be es in der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs kei­ne ge­fes­tig­te Li­nie, wie die Si­tua­ti­on ei­ner schwan­ge­ren oder im Mut­ter­schafts­ur­laub be­find­li­chen Frau im Licht des Ver­bots der Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund des Ge­schlechts zu be­ur­tei­len sei.
30 Un­ter die­sen Umständen hat der Työtuo­miois­tu­in die bei­den Ver­fah­ren aus­ge­setzt und dem Ge­richts­hof je­weils fol­gen­de, im We­sent­li­chen gleich­lau­ten­de Fra­ge zur Vor­ab­ent­schei­dung vor­ge­legt:

Ste­hen die Richt­li­nie 2006/54 und die Richt­li­nie 92/95 Be­stim­mun­gen ei­nes na­tio­na­len Ta­rif­ver­trags oder der Aus­le­gung die­ser Be­stim­mun­gen ent­ge­gen, wo­nach ei­ner Ar­beit­neh­me­rin, die aus ei­nem un­be­zahl­ten Er­zie­hungs­ur­laub (hoi­to­va­paa) in den Mut­ter­schafts­ur­laub geht, das in dem Ta­rif­ver­trag ge­re­gel­te Mut­ter­schafts­ur­laubs­ent­gelt nicht ge­zahlt wird?

31 Mit Be­schluss des Präsi­den­ten des Ge­richts­hofs vom 17. No­vem­ber 2011 sind die Rechts­sa­chen C-512/11 und C-513/11 zu ge­mein­sa­mem schrift­li­chen und münd­li­chen Ver­fah­ren und zu ge­mein­sa­mer Ent­schei­dung ver­bun­den wor­den.

Zur Vor­la­ge­fra­ge

32 Im Rah­men des durch Art. 267 AEUV ein­geführ­ten Ver­fah­rens der Zu­sam­men­ar­beit zwi­schen den na­tio­na­len Ge­rich­ten und dem Ge­richts­hof ist es des­sen Auf­ga­be, dem na­tio­na­len Ge­richt ei­ne für die Ent­schei­dung des bei die­sem anhängi­gen Ver­fah­rens sach­dien­li­che Ant­wort zu ge­ben. Hier­zu hat er die ihm vor­ge­leg­ten Fra­gen ge­ge­be­nen­falls um­zu­for­mu­lie­ren. Es ist nämlich Auf­ga­be des Ge­richts­hofs, al­le Be­stim­mun­gen des Uni­ons­rechts aus­zu­le­gen, die die na­tio­na­len Ge­rich­te benöti­gen, um die bei ih­nen anhängi­gen Rechts­strei­tig­kei­ten zu ent­schei­den, auch wenn die­se Be­stim­mun­gen in den dem Ge­richts­hof von die­sen Ge­rich­ten vor­ge­leg­ten Fra­gen nicht aus­drück­lich ge­nannt sind (vgl. u. a. Ur­tei­le vom 8. März 2007, Cam­pi­na, C-45/06, Slg. 2007, I-2089, Rn. 30, vom 14. Ok­to­ber 2010, Fuß, C-243/09, Slg. 2010, I-9849, Rn. 39, und vom 30. Mai 2013, Wor­ten, C-342/12, noch nicht in der amt­li­chen Samm­lung veröffent­licht, Rn. 30).
33 Auch wenn das vor­le­gen­de Ge­richt sei­ne Fra­gen for­mal auf die Aus­le­gung von Vor­schrif­ten der Richt­li­ni­en 92/85 und 2006/54 be­schränkt hat, hin­dert dies dem­nach den Ge­richts­hof nicht dar­an, dem Ge­richt al­le Hin­wei­se zur Aus­le­gung des Uni­ons­rechts zu ge­ben, die für die Ent­schei­dung der bei ihm anhängi­gen Ver­fah­ren von Nut­zen sein können, und zwar un­abhängig da­von, ob es bei sei­ner Fra­ge­stel­lung dar­auf Be­zug ge­nom­men hat. Der Ge­richts­hof hat in­so­weit aus dem ge­sam­ten vom ein­zel­staat­li­chen Ge­richt vor­ge­leg­ten Ma­te­ri­al, ins­be­son­de­re aus der Be­gründung der Vor­la­ge­ent­schei­dung, die­je­ni­gen Ele­men­te des Uni­ons­rechts her­aus­zu­ar­bei­ten, die un­ter Berück­sich­ti­gung des Ge­gen­stands des Rechts­streits ei­ner Aus­le­gung bedürfen (vgl. ent­spre­chend Ur­tei­le Fuß, Rn. 40, und Wor­ten, Rn. 31).
34 Im vor­lie­gen­den Fall ist für ei­ne sach­dien­li­che Ant­wort auf die Vor­la­ge­fra­ge die Richt­li­nie 96/34 zur Rah­men­ver­ein­ba­rung und über die Durchführung von Maßnah­men, mit de­nen die Chan­cen­gleich­heit und Gleich­be­hand­lung von Männern und Frau­en gefördert wer­den soll, in­dem ih­nen Ge­le­gen­heit ge­bo­ten wird, ih­re be­ruf­li­che Ver­ant­wor­tung und ih­re fa­mi­liären Ver­pflich­tun­gen mit­ein­an­der zu ver­ein­ba­ren, zu berück­sich­ti­gen, auch wenn in den Vor­la­ge­ent­schei­dun­gen auf die­se Richt­li­nie nicht aus­drück­lich Be­zug ge­nom­men wird.
35 Da­her ist die Vor­la­ge­fra­ge so zu ver­ste­hen, dass mit ihr geklärt wer­den soll, ob die Richt­li­nie 96/34 da­hin aus­zu­le­gen ist, dass sie ei­ner na­tio­na­len Be­stim­mung, wie sie die in den Aus­gangs­ver­fah­ren frag­li­chen Ta­rif­verträge vor­se­hen, ent­ge­gen­steht, nach der ei­ne schwan­ge­re Ar­beit­neh­me­rin, die ei­nen un­be­zahl­ten El­tern­ur­laub im Sin­ne die­ser Richt­li­nie un­ter­bricht, um mit so­for­ti­ger Wir­kung Mut­ter­schafts­ur­laub im Sin­ne der Richt­li­nie 92/85 zu neh­men, kei­nen An­spruch auf Fort­zah­lung des Ent­gelts hat, das ihr zustünde, wenn sie vor die­sem Mut­ter­schafts­ur­laub ih­re Ar­beit zu­min­dest für kur­ze Zeit wie­der auf­ge­nom­men hätte.
36 Zunächst ist dar­auf hin­zu­wei­sen, dass, ob­zwar Art. 11 Nrn. 2 und 3 der Richt­li­nie 92/85 kei­ne Ver­pflich­tung zur Fort­zah­lung des vol­len Ent­gelts während des Mut­ter­schafts­ur­laubs enthält, der Uni­ons­ge­setz­ge­ber gleich­wohl gewähr­leis­ten woll­te, dass die Ar­beit­neh­me­rin während ih­res Mut­ter­schafts­ur­laubs Bezüge min­des­tens in Höhe der So­zi­al­leis­tung erhält, die im na­tio­na­len Recht der so­zia­len Si­cher­heit bei ei­ner Un­ter­bre­chung ih­rer Er­werbstätig­keit aus ge­sund­heit­li­chen Gründen vor­ge­se­hen ist (Ur­teil vom 27. Ok­to­ber 1998, Boyle u. a., C-411/96, Slg. 1998, I-6401, Rn. 32).
37 In­so­weit schließt die­se Richt­li­nie, die Min­dest­vor­schrif­ten enthält, kei­nes­wegs die Möglich­keit für die Mit­glied­staa­ten aus, den be­tref­fen­den Ar­beit­neh­me­rin­nen ei­nen wei­ter ge­hen­den Schutz zu gewähren, in­dem sie Schutz­maßnah­men bei­be­hal­ten oder tref­fen, die für die Ar­beit­neh­me­rin­nen güns­ti­ger sind, so­fern die­se Maßnah­men mit dem Uni­ons­recht ver­ein­bar sind (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­teil vom 4. Ok­to­ber 2001, Jiménez Mel­gar, C-438/99, Slg. 2001, I-6915, Rn. 37). Kei­ne Be­stim­mung der Richt­li­nie 92/85 hin­dert so­mit die Mit­glied­staa­ten oder ge­ge­be­nen­falls die So­zi­al­part­ner dar­an, die Wei­ter­zah­lung sämt­li­cher Ent­gelt­be­stand­tei­le vor­zu­se­hen, auf die die schwan­ge­re Ar­beit­neh­me­rin vor ih­rer Schwan­ger­schaft und ih­rem Mut­ter­schafts­ur­laub An­spruch hat­te.
38 Zu den Ansprüchen in Be­zug auf den in der Richt­li­nie 96/34 vor­ge­se­he­nen El­tern­ur­laub ein­sch­ließlich un­be­zahl­ter El­tern­ur­lau­be wie die in den Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­den ist auf die bei­den un­ter­schied­li­chen Zie­le hin­zu­wei­sen, die mit die­ser Richt­li­nie ver­folgt wer­den. Zum ei­nen stellt die mit die­ser Richt­li­nie um­ge­setz­te Rah­men­ver­ein­ba­rung ein En­ga­ge­ment der So­zi­al­part­ner dar, im We­ge von Min­dest­vor­schrif­ten Maßnah­men zu schaf­fen, um die Chan­cen­gleich­heit und Gleich­be­hand­lung von Männern und Frau­en zu fördern, in­dem ih­nen Ge­le­gen­heit ge­bo­ten wird, ih­re be­ruf­li­che Ver­ant­wor­tung und ih­re fa­mi­liären Ver­pflich­tun­gen mit­ein­an­der zu ver­ein­ba­ren (Ur­tei­le vom 22. Ok­to­ber 2009, Meerts, C-116/08, Slg. 2009, I-10063, Rn. 35, und vom 16. Sep­tem­ber 2010, Chat­zi, C-149/10, Slg. 2010, I-8489, Rn. 56).
39 Zum an­de­ren ermöglicht es die­se Rah­men­ver­ein­ba­rung Per­so­nen, die ge­ra­de El­tern ge­wor­den sind, ih­re Be­rufstätig­keit zu un­ter­bre­chen, um sich ih­ren fa­mi­liären Ver­pflich­tun­gen zu wid­men, und gewähr­leis­tet ih­nen in Pa­ra­graf 2 Nr. 5 die Rück­kehr an ih­ren frühe­ren Ar­beits­platz oder, wenn das nicht möglich ist, die Zu­wei­sung ei­ner ent­spre­chend ih­rem Ar­beits­ver­trag oder Ar­beits­verhält­nis gleich­wer­ti­gen oder ähn­li­chen Ar­beit. Der Ge­richts­hof hat fest­ge­stellt, dass gemäß die­ser Be­stim­mung nach dem En­de des Ur­laubs die Rück­kehr an den Ar­beits­platz zu den­sel­ben Be­din­gun­gen ermöglicht wer­den muss wie sie in dem Zeit­punkt be­stan­den, als der Ur­laub ge­nom­men wur­de (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­teil vom 20. Ju­ni 2013, Riežnie­ce, C-7/12, noch nicht in der amt­li­chen Samm­lung veröffent­licht, Rn. 32).
40 Im vor­lie­gen­den Fall er­gibt sich aus den dem Ge­richts­hof vor­lie­gen­den Ak­ten, dass die in den Aus­gangs­ver­fah­ren be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­me­rin­nen während ih­res ers­ten Mut­ter­schafts­ur­laubs nach den für sie gel­ten­den Ta­rif­verträgen je­den­falls während ei­nes be­stimm­ten Zeit­raums An­spruch auf Ent­gelt­fort­zah­lung hat­ten. Den dar­an an­sch­ließen­den un­be­zahl­ten El­tern­ur­laub un­ter­bra­chen die Ar­beit­neh­me­rin­nen, um un­mit­tel­bar ei­nen zwei­ten Mut­ter­schafts­ur­laub zu neh­men, für den ih­nen die Ent­gelt­fort­zah­lung ver­wei­gert wur­de, weil die­ser zwei­te Mut­ter­schafts­ur­laub ei­nen un­be­zahl­ten El­tern­ur­laub un­ter­brach und ihm so­mit kein Zeit­raum ei­ner Wie­der­auf­nah­me der Ar­beit vor­aus­ge­gan­gen war.
41 Un­ter die­sen Umständen ist zu prüfen, in­wie­fern nach Uni­ons­recht die In­an­spruch­nah­me die­ses El­tern­ur­laubs die Be­din­gun­gen für die In­an­spruch­nah­me des an­sch­ließen­den Mut­ter­schafts­ur­laubs be­ein­flus­sen kann, von de­nen bei ei­nem Sach­ver­halt wie dem der Aus­gangs­ver­fah­ren die in den frag­li­chen Be­stim­mun­gen des na­tio­na­len Rechts ge­re­gel­te Fort­zah­lung des Ent­gelts abhängt.
42 Nach ständi­ger Recht­spre­chung kann ein durch das Uni­ons­recht gewähr­leis­te­ter Ur­laub nicht den An­spruch auf ei­nen an­de­ren uni­ons­recht­lich gewähr­leis­te­ten Ur­laub be­ein­träch­ti­gen (Ur­tei­le vom 14. April 2005, Kom­mis­si­on/Lu­xem­burg, C‑519/03, Slg. 2005, I-3067, Rn. 33, vom 6. April 2006, Fe­de­ra­tie Neder­land­se Vak­be­we­ging, C-124/05, Slg. 2006, I-3423, Rn. 24, und vom 20. Sep­tem­ber 2007, Ki­iski, C-116/06, Slg. 2007, I-7643, Rn. 56).
43 Wie aus den dem Ge­richts­hof vor­ge­leg­ten Ak­ten her­vor­geht, wa­ren Frau Kul­ta­r­in­ta und Frau No­va­mo durch die in den Aus­gangs­ver­fah­ren frag­li­chen Be­stim­mun­gen nicht dar­an ge­hin­dert, ih­ren un­be­zahl­ten El­tern­ur­laub zu un­ter­bre­chen, um an­sch­ließend Mut­ter­schafts­ur­laub zu neh­men.
44 Die Kläge­rin­nen der Aus­gangs­ver­fah­ren ma­chen je­doch gel­tend, die In­ter­es­sen von Frau Kul­ta­r­in­ta und Frau No­va­mo sei­en in ei­ner mit dem Uni­ons­recht un­ver­ein­ba­ren Wei­se be­ein­träch­tigt, da die­sen Ar­beit­neh­me­rin­nen bei der In­an­spruch­nah­me die­ser bei­den un­ter­schied­li­chen Ur­laubs­for­men die in den in Re­de ste­hen­den Ta­rif­verträgen vor­ge­se­he­ne Ent­gelt­fort­zah­lung vor­ent­hal­ten wor­den sei. Der An­spruch auf Ent­gelt­fort­zah­lung ge­he nämlich durch die An­wen­dung der Be­din­gung, dass vor ei­nem wei­te­ren Mut­ter­schafts­ur­laub zu­erst die Ar­beit wie­der auf­ge­nom­men wer­den müsse, ins Lee­re.
45 Nach Auf­fas­sung der Be­klag­ten der Aus­gangs­ver­fah­ren soll die strei­ti­ge Be­stim­mung der ge­nann­ten Ta­rif­verträge schwan­ge­re Ar­beit­neh­me­rin­nen schützen. Sie ver­min­de­re die wirt­schaft­li­chen Nach­tei­le, die sich aus der In­an­spruch­nah­me ei­nes Mut­ter­schafts­ur­laubs ergäben, und die­ne da­mit dem Schutz der be­son­de­ren Be­zie­hung zwi­schen der Ar­beit­neh­me­rin und ih­rem Kind im An­schluss an Schwan­ger­schaft und Ent­bin­dung.
46 Die Kom­mis­si­on ist der An­sicht, dass das Mut­ter­schafts­geld, das für die Zeit des Mut­ter­schafts­ur­laubs der in den Aus­gangs­ver­fah­ren be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­me­rin­nen vor­ge­se­hen sei, den Min­dest­an­for­de­run­gen des Art. 11 Nr. 3 der Richt­li­nie 92/85 genüge.
47 Aus der in den Rn. 37 und 42 des vor­lie­gen­den Ur­teils an­geführ­ten Recht­spre­chung er­gibt sich, dass die Mo­da­litäten der Durchführung ei­ner Re­ge­lung wie der in den Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­den, die das Ent­gelt be­trifft, das ei­ner Ar­beit­neh­me­rin während des Mut­ter­schafts­ur­laubs nach Art. 11 Nr. 2 der Richt­li­nie 92/85 zu­steht, mit den Be­stim­mun­gen des Uni­ons­rechts ein­sch­ließlich de­nen über den El­tern­ur­laub ver­ein­bar sein müssen.
48 In­so­weit darf die Ent­schei­dung ei­ner Ar­beit­neh­me­rin, El­tern­ur­laub in An­spruch zu neh­men, nicht die Be­din­gun­gen verändern, un­ter de­nen sie ei­nen an­de­ren Ur­laub, hier den Mut­ter­schafts­ur­laub, in An­spruch neh­men kann. In den Aus­gangs­ver­fah­ren hat je­doch die In­an­spruch­nah­me ei­nes un­be­zahl­ten El­tern­ur­laubs für ei­ne Ar­beit­neh­me­rin, die un­mit­tel­bar da­nach Mut­ter­schafts­ur­laub neh­men muss, zwin­gend den Ver­lust ei­nes Teils ih­res Ent­gelts zur Fol­ge.
49 Ei­ne Be­din­gung wie die in den Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­de führt da­zu, dass ei­ne Ar­beit­neh­me­rin mit ih­rer Ent­schei­dung, un­be­zahl­ten El­tern­ur­laub zu neh­men, gleich­zei­tig ge­zwun­ge­ner­maßen im Vor­aus auf ei­nen be­zahl­ten Mut­ter­schafts­ur­laub, wie ihn die ein­schlägi­gen Ta­rif­verträge vor­se­hen, für den Fall ver­zich­tet, dass sie ih­ren El­tern­ur­laub et­wa un­ter­bre­chen müss­te, um so­gleich Mut­ter­schafts­ur­laub zu neh­men. Folg­lich würde ei­ne Ar­beit­neh­me­rin da­zu ver­an­lasst, ei­nen sol­chen El­tern­ur­laub nicht zu neh­men.
50 In die­sem Kon­text ist, wie der Ge­richts­hof be­reits fest­ge­stellt hat, zu berück­sich­ti­gen, dass ei­ne neu­er­li­che Schwan­ger­schaft nicht stets vor­her­seh­bar ist (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­teil Ki­iski, Rn. 40 und 41). Folg­lich ist ei­ne Ar­beit­neh­me­rin nicht im­mer in der La­ge, zum Zeit­punkt ih­rer Ent­schei­dung, El­tern­ur­laub zu neh­men, oder zu Be­ginn des El­tern­ur­laubs zu be­stim­men, ob sie während die­ses Ur­laubs Mut­ter­schafts­ur­laub wird neh­men müssen.
51 Im Er­geb­nis wirkt sich ei­ne Be­din­gung wie die in den Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­de da­hin aus, dass ei­ne Ar­beit­neh­me­rin da­von ab­ge­hal­ten wird, sich für ei­ne In­an­spruch­nah­me des ihr zu­ste­hen­den El­tern­ur­laubs zu ent­schei­den, an­ge­sichts der Wir­kung, die die­se Ent­schei­dung auf ei­nen et­wai­gen Mut­ter­schafts­ur­laub während des El­tern­ur­laubs ha­ben könn­te. Ei­ne sol­che Be­din­gung be­ein­träch­tigt mit­hin die prak­ti­sche Wirk­sam­keit der Richt­li­nie 96/34.
52 Auf die Vor­la­ge­fra­ge ist da­her zu ant­wor­ten, dass die Richt­li­nie 96/34 da­hin aus­zu­le­gen ist, dass sie ei­ner na­tio­na­len Be­stim­mung, wie sie die in den Aus­gangs­ver­fah­ren frag­li­chen Ta­rif­verträge vor­se­hen, ent­ge­gen­steht, nach der ei­ne schwan­ge­re Ar­beit­neh­me­rin, die ei­nen un­be­zahl­ten El­tern­ur­laub im Sin­ne die­ser Richt­li­nie un­ter­bricht, um mit so­for­ti­ger Wir­kung Mut­ter­schafts­ur­laub im Sin­ne der Richt­li­nie 92/85 zu neh­men, kei­nen An­spruch auf Fort­zah­lung des Ent­gelts hat, das ihr zu­ge­stan­den hätte, wenn sie vor die­sem Mut­ter­schafts­ur­laub ih­re Ar­beit zu­min­dest für kur­ze Zeit wie­der auf­ge­nom­men hätte.

Kos­ten 

53 Für die Par­tei­en des Aus­gangs­ver­fah­rens ist das Ver­fah­ren ein Zwi­schen­streit in dem bei dem vor­le­gen­den Ge­richt anhängi­gen Rechts­streit; die Kos­ten­ent­schei­dung ist da­her Sa­che die­ses Ge­richts. Die Aus­la­gen an­de­rer Be­tei­lig­ter für die Ab­ga­be von Erklärun­gen vor dem Ge­richts­hof sind nicht er­stat­tungsfähig.

Aus die­sen Gründen hat der Ge­richts­hof (Drit­te Kam­mer) für Recht er­kannt:

Die Richt­li­nie 96/34/EG des Ra­tes vom 3. Ju­ni 1996 zu der von UN­ICE, CEEP und EGB ge­schlos­se­nen Rah­men­ver­ein­ba­rung über den El­tern­ur­laub ist da­hin aus­zu­le­gen, dass sie ei­ner na­tio­na­len Be­stim­mung, wie sie die in den Aus­gangs­ver­fah­ren frag­li­chen Ta­rif­verträge vor­se­hen, ent­ge­gen­steht, nach der ei­ne schwan­ge­re Ar­beit­neh­me­rin, die ei­nen un­be­zahl­ten El­tern­ur­laub im Sin­ne die­ser Richt­li­nie un­ter­bricht, um mit so­for­ti­ger Wir­kung Mut­ter­schafts­ur­laub im Sin­ne der Richt­li­nie 92/85/EWG des Ra­tes vom 19. Ok­to­ber 1992 über die Durchführung von Maßnah­men zur Ver­bes­se­rung der Si­cher­heit und des Ge­sund­heits­schut­zes von schwan­ge­ren Ar­beit­neh­me­rin­nen, Wöch­ne­rin­nen und stil­len­den Ar­beit­neh­me­rin­nen am Ar­beits­platz (zehn­te Ein­zel­richt­li­nie im Sin­ne des Ar­ti­kels 16 Ab­satz 1 der Richt­li­nie 89/391/EWG) zu neh­men, kei­nen An­spruch auf Fort­zah­lung des Ent­gelts hat, das ihr zu­ge­stan­den hätte, wenn sie vor die­sem Mut­ter­schafts­ur­laub ih­re Ar­beit zu­min­dest für kur­ze Zeit wie­der auf­ge­nom­men hätte.

Un­ter­schrif­ten

* Ver­fah­rens­spra­che: Fin­nisch.

Quel­le: Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on (EuGH), http://cu­ria.eu­ro­pa.eu

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 


zur Übersicht C-512/11
C-513/11