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BAG, Ur­teil vom 21.08.2014, 8 AZR 619/13

   
Schlagworte: Betriebsübergang: Widerspruch, Betriebsübergang: Informationspflichten, Betriebsübergang: Kettenübergang
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 8 AZR 619/13
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 21.08.2014
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Gera, Urteil vom 18.09.2012, 2 Ca 217/12
Thüringer Landesarbeitsgericht, Urteil vom 23.04.2013, 1 Sa 375/12
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

8 AZR 619/13
1 Sa 375/12
Thürin­ger
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am
21. Au­gust 2014

UR­TEIL

Förs­ter, Ur­kunds­be­am­tin
der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläge­rin, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Ach­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 21. Au­gust 2014 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Hauck, den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Brein­lin­ger, die Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Win­ter so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Wro­blew­ski und Wein für Recht er­kannt:

 

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1. Die Re­vi­si­on der Kläge­rin ge­gen das Ur­teil des Thürin­ger Lan­des­ar­beits­ge­richts vom 23. April 2013 - 1 Sa 375/12 - wird zurück­ge­wie­sen.

2. Der Kläger hat die Kos­ten des Re­vi­si­ons­ver­fah­rens zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten um die Fra­ge, ob zwi­schen ih­nen ein Ar­beits­verhält­nis nach meh­re­ren Be­triebsübergängen und meh­re­ren Wi­dersprüchen der Kläge­rin ge­gen den Über­gang ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses be­steht.

Die Kläge­rin war 1991 in die Diens­te der Rechts­vorgänge­rin der Be­klag­ten ge­tre­ten, so­dann ar­bei­te­te sie ab 1995 bei der Be­klag­ten, ei­nem bun­des­weit täti­gen Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­un­ter­neh­men, dort zu­letzt im Call­cen­ter G. Ih­re mo­nat­li­che Brut­to­vergütung be­trug da­mals ca. 3.300,00 Eu­ro.

Der Beschäfti­gungs­be­trieb der Kläge­rin ging am 1. Sep­tem­ber 2007 von der Be­klag­ten auf die „V GmbH“ (V) über. Darüber war die Kläge­rin durch ein Un­ter­rich­tungs­schrei­ben der V vom 26. Ju­li 2007 in­for­miert wor­den. Die Kläge­rin er­hob da­mals kei­nen Wi­der­spruch ge­gen den Über­gang ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses. Sie ar­bei­te­te nach dem Be­triebsüber­gang für die V, mit der sie we­der ei­nen neu­en Ar­beits­ver­trag noch an­de­re Ver­ein­ba­run­gen ge­schlos­sen hat.

Mit Da­tum vom 25. Ok­to­ber 2008 wur­de die Kläge­rin von der V und ei­ner T G GmbH (T) über ei­nen wei­te­ren Be­triebsüber­gang von der V auf die T un­ter­rich­tet, der am 1. De­zem­ber 2008 statt­fand. Auch die­sem Über­gang ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses auf die T wi­der­sprach die Kläge­rin zunächst nicht. Sie un­ter­schrieb am 30. De­zem­ber 2009 ei­nen ihr von T vor­ge­leg­ten neu­en Ar­beits­ver­trag, dem­zu­fol­ge sich ih­re Ar­beits­be­din­gun­gen änder­ten. Die Vergütung wur­de ab­ge­senkt, die wöchent­li­che Ar­beits­zeit erhöht und die Zu­sa­ge zur be-

 

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trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung wur­de zurück­ge­nom­men. In § 1 des neu­en Ar­beits­ver­tra­ges wird ua. be­stimmt:

„Die­ser Ar­beits­ver­trag re­gelt ab­sch­ließend und vollständig die in­di­vi­du­al­recht­li­chen Rech­te und Pflich­ten zwi­schen den Par­tei­en mit Wir­kung ab dem 01.01.2010. Er löst die bis da­hin be­ste­hen­den in­di­vi­du­el­len Re­ge­lun­gen vollständig ab, ins­be­son­de­re gel­ten in dem Ar­beits­verhält­nis seit dem 01.01.2010 kei­ne ta­rif­ver­trag­li­chen Re­ge­lun­gen kol­lek­tiv­recht­lich oder in­di­vi­du­al­recht­lich.“

Mit Ur­teil vom 26. Mai 2011 (- 8 AZR 18/10 -) ent­schied der Se­nat zu ei­nem wort­glei­chen Un­ter­rich­tungs­schrei­ben der V, eben­falls vom 26. Ju­li 2007, aber ein an­de­res Ar­beits­verhält­nis be­tref­fend, dass die Un­ter­rich­tung feh­ler­haft war.

Mit Schrei­ben vom 20. Ok­to­ber 2011 an die Be­klag­te ließ die Kläge­rin Wi­der­spruch ge­gen den „Be­triebsüber­gang des Ar­beits­verhält­nis­ses von der Kun­den­nie­der­las­sung bzw. der D AG auf die V GmbH gemäß Be­triebsüber­gang vom 01.09.2007“ ein­le­gen. Sie be­rief sich da­bei auf die durch die Se­nats­ent­schei­dung vom Mai 2011 fest­ge­stell­te Feh­ler­haf­tig­keit der dies­bezügli­chen Un­ter­rich­tung.

Eben­falls un­ter dem 20. Ok­to­ber 2011 ließ die Kläge­rin durch ein wei­te­res, an V ge­rich­te­tes Schrei­ben Wi­der­spruch ge­gen den zwei­ten Über­gang ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses von der V auf die T ein­le­gen. Sie er­hob ge­gen V Kla­ge auf Fest­stel­lung, dass ihr Ar­beits­verhält­nis mit V „über den 01.12.2008 hin­aus“ be­ste­he. Die Kla­ge wur­de ab­ge­wie­sen, das Ur­teil wur­de rechts­kräftig (ArbG Ge­ra, Ur­teil vom 1. Au­gust 2012 - 7 Ca 205/12 -).

Zu­dem for­der­te die Kläge­rin mit ei­nem drit­ten, auf den 20. Ok­to­ber 2011 da­tier­ten Schrei­ben die T auf, die bei der Be­klag­ten gülti­gen Ta­rif­verträge an­zu­wen­den:

„Außer­dem sind ab so­fort auch die Ta­rif­verträge der D AG auf das Ar­beits­verhält­nis an­zu­wen­den, d.h. das Ar­beits­verhält­nis ist da­nach zu le­ben. Da­nach beträgt die Ar­beits­zeit wöchent­lich 34 St­un­den, die Er­ho­lungs­zei­ten sind zu gewähren, die Zu­schläge sind zu berück­sich­ti­gen, etc.

 

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Wir ha­ben Sie auf­zu­for­dern, die Ta­rif­verträge der D AG an­zu­wen­den und den ver­gan­ge­nen Zeit­raum wie an­ge­spro­chen ab­zu­rech­nen.“

Mit Schrift­satz vom 30. Ju­li 2012 wer­te­te die Kläge­rin die­ses Schrei­ben als An­fech­tung des mit T ge­schlos­se­nen Ar­beits­ver­tra­ges vom 30. De­zem­ber 2009. Sie sei durch Dro­hung und Täuschung zum Ab­schluss be­wegt wor­den. Die Be­stim­mun­gen des Ver­tra­ges sei­en in­trans­pa­rent, was gleich­falls zur Un­wirk­sam­keit führe.

Durch Be­schluss der Ge­sell­schaf­ter­ver­samm­lung vom 28. Au­gust 2013 wur­de die T um­fir­miert in „T O GmbH“, was am 3. Sep­tem­ber 2013 in das Han­dels­re­gis­ter ein­ge­tra­gen wur­de (HRB des Amts­ge­richts H). Über de­ren Vermögen wur­de nach Be­stel­lung ei­nes vorläufi­gen In­sol­venz­ver­wal­ters un­ter dem 10. Ok­to­ber 2013 am 16. Ja­nu­ar 2014 das In­sol­venz­ver­fah­ren eröff­net (AG H).

Die Kläge­rin hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, we­gen der feh­ler­haf­ten Un­ter­rich­tung vom 26. Ju­li 2007 über den ers­ten Be­triebsüber­gang von der Be­klag­ten auf V ha­be die Wi­der­spruchs­frist nach § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB nicht zu lau­fen be­gon­nen. Ei­ne Ver­wir­kung kom­me nicht in Be­tracht, weil es je­den­falls an dem er­for­der­li­chen Um­stands­mo­ment feh­le. Auf den Ab­schluss des Ar­beits­ver­tra­ges mit der T könne sich die Be­klag­te in­so­weit nicht be­ru­fen, da je­ner Ver­trag an­ge­foch­ten und auch aus an­de­ren Gründen un­wirk­sam sei. Im Übri­gen ha­be die Be­klag­te von die­sem Ver­trag kei­ne Kennt­nis ge­habt. Ei­ne Zu­rech­nung des Wis­sens des in der Ket­te von Be­triebsübergängen letz­ten Ar­beit­ge­bers kom­me mit Blick auf die Be­klag­te als ers­ten Ar­beit­ge­ber nicht in Be­tracht.

Die Kläge­rin hat zu­letzt be­an­tragt

fest­zu­stel­len, dass zwi­schen den Par­tei­en über den 1. Sep­tem­ber 2007 hin­aus ein Ar­beits­verhält­nis be­steht.

Ih­ren An­trag auf Kla­ge­ab­wei­sung hat die Be­klag­te vor al­lem da­mit be­gründet, das Wi­der­spruchs­recht der Kläge­rin sei ver­wirkt. Zu­dem ha­be sich die Kläge­rin wi­dersprüchlich ver­hal­ten, in­dem sie al­le drei po­ten­zi­ell in Be­tracht kom­men­den Ar­beit­ge­ber, al­so die Be­klag­te, V und T, zeit­gleich mit ei­genstän-

 

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di­gen Ansprüchen kon­fron­tiert und sich da­bei dar­auf be­ru­fen ha­be, je­weils zum An­spruchs­geg­ner in ei­nem Ar­beits­verhält­nis zu ste­hen. Nach rechts­kräfti­ger Ab­wei­sung ih­rer Fest­stel­lungs­kla­ge ge­gen die V sei es der Kläge­rin ver­wehrt, dem frühe­ren Über­gang des Ar­beits­verhält­nis­ses von der Be­klag­ten auf die V zu wi­der­spre­chen. Durch rechts­kräfti­ges Ur­teil sei die T als ihr al­lei­ni­ger Ar­beit­ge­ber bestätigt wor­den.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Die Be­ru­fung der Kläge­rin hat­te vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt kei­nen Er­folg. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt die Kläge­rin ihr Kla­ge­ziel wei­ter.

 

Ent­schei­dungs­gründe

Die zulässi­ge Re­vi­si­on ist un­be­gründet. Ei­nen Wi­der­spruch ge­gen den frühe­ren Über­gang ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses von der Be­klag­ten auf die V konn­te die Kläge­rin, de­ren Ar­beits­verhält­nis mitt­ler­wei­le mit T be­steht, nicht mehr ein­le­gen, § 613a Abs. 6 Satz 2 BGB.

A. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat sei­ne Ent­schei­dung im We­sent­li­chen wie folgt be­gründet:

Die Kla­ge sei zulässig. Es be­ste­he ein recht­li­ches In­ter­es­se der Kläge­rin an der Fest­stel­lung der von ihr be­haup­te­ten Rechts­be­zie­hung zur Be­klag­ten. Je­doch sei die Kla­ge un­be­gründet. Zwar sei der Wi­der­spruch der Kläge­rin vom 20. Ok­to­ber 2011 ge­gen den Über­gang ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses von der Be­klag­ten auf die V nicht ver­fris­tet ge­we­sen, weil das die­sen Be­triebsüber­gang be­tref­fen­de Un­ter­rich­tungs­schrei­ben, wie vom Se­nat an­der­wei­tig ent­schie­den, feh­ler­haft ge­we­sen sei und die Frist zur Erklärung des Wi­der­spruchs ge­gen den Über­gang des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht in Lauf zu set­zen ver­mocht ha­be.

Die Kläge­rin ha­be aber ihr Recht zum Wi­der­spruch ver­wirkt. Nach 51 Mo­na­ten könne durch­aus von ei­ner Ver­wirk­li­chung des Zeit­mo­ments aus­ge-

 

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gan­gen wer­den. Mit dem Ab­schluss des neu­en Ar­beits­ver­tra­ges zu Sa­nie­rungs­zwe­cken sei das Ar­beits­verhält­nis mit T auf ei­ne neue Grund­la­ge ge­stellt wor­den. Da­durch ha­be die Kläge­rin mit dem nächs­ten Über­neh­mer ei­ne Dis­po­si­ti­on über das Ar­beits­verhält­nis als Gan­zes ge­trof­fen und das Um­stands­mo­ment ver­wirk­licht. Die Dis­po­si­ti­on ge­genüber dem Zweiter­wer­ber des Be­trie­bes müsse ei­ner Dis­po­si­ti­on ge­genüber dem Erst­erwer­ber gleich­ste­hen. Dies müsse ins­be­son­de­re bei „Ket­tenübergängen“ gel­ten, ob­wohl zwi­schen Veräußerer und Zweiter­wer­ber kei­ne Ver­ant­wor­tungs­ge­mein­schaft be­ste­he. Denn ei­ne Ver­ab­so­lu­tie­rung des Ver­trau­ens­merk­mals führe da­zu, dass mit dem Fol­geüber­gang ei­ne Ver­wir­kung ent­we­der dau­er­haft aus­ge­schlos­sen oder von der zufälli­gen In­for­ma­ti­on des Erst­veräußerers abhängig ge­macht wer­de. Es genüge da­her die Ab­kehr vom bis­he­ri­gen Ar­beits­verhält­nis un­abhängig von der Kennt­nis des ursprüng­li­chen Ar­beit­ge­bers da­von.

Die Kläge­rin ha­be den neu­en Ar­beits­ver­trag mit T nicht wirk­sam an­ge­foch­ten. Es feh­le schon an ei­ner hin­rei­chend deut­li­chen An­fech­tungs­erklärung, je­den­falls an ei­nem An­fech­tungs­grund. Der Ver­trag sei auch nicht aus an­de­ren Gründen, et­wa we­gen ei­nes Ver­s­toßes ge­gen das Trans­pa­renz­ge­bot, un­wirk­sam.

B. Der Se­nat folgt dem im Er­geb­nis. In Kon­stel­la­tio­nen wie der vor­lie­gen­den stellt sich die Fra­ge der Ver­wir­kung des Wi­der­spruchs­rechts je­doch schon des­we­gen nicht, weil nach dem Ge­setz die be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer nicht Wi­der­spruch ge­gen den Über­gang ih­res mitt­ler­wei­le bei ei­nem Nach­er­wer­ber be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis­ses auf ei­nen Erst­erwer­ber ein­le­gen können.

I. Die Kla­ge ist zulässig, weil die Kläge­rin das not­wen­di­ge Fest­stel­lungs­in­ter­es­se iSv. § 256 ZPO hat. Das Fest­stel­lungs­in­ter­es­se im Verhält­nis zur Be­klag­ten ent­fiel nicht des­halb, weil die Kläge­rin zwi­schen­zeit­lich und al­ter­na­tiv Drit­te auf die Fest­stel­lung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses in An­spruch ge­nom­men hat. Den von ei­nem in­fra­ge ste­hen­den Be­triebsüber­gang be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mern steht es frei, den Fort­be­stand ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses ge­genüber den ver­schie­de­nen, in Be­tracht kom­men­den Ar­beit­ge­bern gel­tend zu ma­chen (BAG 10. Mai 2012 - 8 AZR 434/11 - Rn. 22). Das Fest­stel­lungs­in­ter­es­se als

 

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Zulässig­keits­vor­aus­set­zung ist in­so­weit un­abhängig von der ma­te­ri­el­len Rechts­la­ge zu be­ur­tei­len, die zu­dem noch ei­ner recht­li­chen Klärung be­darf.

II. Ih­ren Wi­der­spruch ge­gen den Über­gang des Ar­beits­verhält­nis­ses am 1. Sep­tem­ber 2007 auf die V hat die Kläge­rin un­ter dem 20. Ok­to­ber 2011 ge­genüber der Be­klag­ten erklären las­sen. Ent­ge­gen § 613a Abs. 6 Satz 2 BGB er­folg­te da­mit der Wi­der­spruch nicht ge­genüber dem „neu­en In­ha­ber“ - T - oder „dem bis­he­ri­gen Ar­beit­ge­ber“ (V), son­dern ge­genüber der Be­klag­ten als ei­ner frühe­ren Ar­beit­ge­be­rin. Ei­ne sol­che Wi­der­spruchsmöglich­keit be­steht nach dem Ge­setz nicht.

1. Das Wi­der­spruchs­recht nach § 613a BGB ge­gen den Über­gang des Ar­beits­verhält­nis­ses in­fol­ge Be­triebsüber­gangs ist zwar in der Richt­li­nie 2001/23/EG des Ra­tes vom 12. März 2001 zur An­glei­chung der Rechts­vor­schrif­ten der Mit­glied­staa­ten über die Wah­rung von Ansprüchen der Ar­beit­neh­mer beim Über­gang von Un­ter­neh­men, Be­trie­ben oder Un­ter­neh­mens- oder Be­triebs­tei­len (ABl. EG L 82 vom 22. März 2001 S. 16) nicht aus­drück­lich ge­re­gelt, je­doch in der Recht­spre­chung des EuGH an­er­kannt (ua. EuGH 16. De­zem­ber 1992 - C-132/91, C-138/91 und C-139/91 - [Katsi­kas ua.] Rn. 30 ff. mwN, Slg. 1992, I-6577). Der In­halt je­nes Rechts ist uni­ons­recht­lich nicht aus­ge­stal­tet; die Rechts­fol­gen ei­nes Wi­der­spruchs für das Ar­beits­verhält­nis rich­ten sich so­mit nach na­tio­na­lem Recht (ua. EuGH 16. De­zem­ber 1992 - C-132/91, C-138/91 und C-139/91 - [Katsi­kas ua.] Rn. 37, aaO).

2. Der Wi­der­spruch ge­genüber ei­nem ehe­ma­li­gen Ar­beit­ge­ber ist nach dem Wort­laut des Ge­set­zes nicht möglich. „Bis­he­ri­ger“ Ar­beit­ge­ber in der Si­tua­ti­on, in der sich die Kläge­rin im Ok­to­ber 2011 nach zwei Be­triebsübergängen be­fand, wäre im Sin­ne des Ge­set­zes die V ge­we­sen. „Bis­her/ig“ be­deu­tet: „bis jetzt“ (Brock­haus-Wah­rig Deut­sches Wörter­buch S. 703 [1980]); „von ei­nem un­be­stimm­ten Zeit­punkt an bis zum heu­ti­gen Tag“ (Du­den Das große Wörter­buch der deut­schen Spra­che 3. Aufl. S. 607); „bis­lang/bis jetzt/bis heu­te/bis da­to/bis zum heu­ti­gen Ta­ge/bis zur jet­zi­gen St­un­de“ (Knaurs Le­xi­kon der sinn­ver­wand­ten Wörter S. 116). Be­zo­gen auf ei­nen Be­triebsüber­gang al­so ist der „bis-

 

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he­ri­ge Ar­beit­ge­ber“ der­je­ni­ge, der vor dem ak­tu­el­len Ar­beit­ge­ber den Be­trieb in­ne­hat­te. Die der­zei­ti­ge Ar­beit­ge­be­rin der Kläge­rin, die T, ist „neue In­ha­be­rin“ iSd. § 613a Abs. 6 Satz 2 BGB, da sie beim letz­ten Be­triebsüber­gang den Be­trieb er­wor­ben hat. Zur Be­klag­ten steht die Kläge­rin im Zeit­punkt der Erklärung ih­res Wi­der­spruchs nicht mehr in ei­ner, auch nicht in ei­ner durch § 613a Abs. 6 BGB ver­mit­tel­ten ar­beits­recht­li­chen oder sons­ti­gen ver­trags­recht­li­chen Be­zie­hung. Die Be­klag­te war bei Zu­gang des Wi­der­spruchs nicht „bis­he­ri­ger“ Ar­beit­ge­ber, son­dern hat­te die­se Ei­gen­schaft lan­ge vor dem Wi­der­spruch am 1. De­zem­ber 2008 durch den Be­triebsüber­gang von V auf T (an V) ver­lo­ren. V ver­lor durch die­sen wei­te­ren Be­triebsüber­gang ih­ren Sta­tus als „neue In­ha­be­rin“ und wur­de zur „bis­he­ri­gen Ar­beit­ge­be­rin“.

3. Dem ent­spricht die Ge­set­zes­be­gründung (BT-Drs. 14/7760 S. 20) für das Wi­der­spruchs­recht. Mit der Würde des Men­schen, dem Recht auf freie Ent­fal­tung der Persönlich­keit und dem Recht auf freie Ar­beits­platz­wahl (Art. 1, 2 und 12 GG) wäre es un­ver­ein­bar, wenn ein Ar­beit­neh­mer ver­pflich­tet würde, für ei­nen Ar­beit­ge­ber zu ar­bei­ten, den er nicht frei gewählt hat­te (BAG 22. April 1993 - 2 AZR 50/92 -; EuGH 16. De­zem­ber 1992 - C-132/91, C-138/91, C-139/91 - [Katsi­kas ua.] Rn. 32, Slg. 1992, I-6577). Im Zeit­punkt des Wi­der­spruchs konn­te je­doch die Würde der Kläge­rin nicht mehr da­durch be­ein­träch­tigt wer­den, dass sie für die V zu ar­bei­ten hat­te, die sie nicht frei gewählt hat. Denn die Ar­beits­pflicht der Kläge­rin für die V be­stand nur bis zum 30. No­vem­ber 2008, seit 1. De­zem­ber 2008 be­steht sie ge­genüber der T in­fol­ge des wei­te­ren Be­triebsüber­gangs.

4. Auch sys­te­ma­ti­sche Über­le­gun­gen führen zu dem Er­geb­nis, dass der Wi­der­spruch nur ge­genüber dem „bis­he­ri­gen“ In­ha­ber oder „dem neu­en In­ha­ber“, den letz­ten Über­gang des Ar­beits­verhält­nis­ses be­tref­fend, erklärt wer­den kann, nicht je­doch ge­genüber vor­ma­li­gen Ar­beit­ge­bern oder al­ten In­ha­bern we­gen frühe­rer Be­triebsübergänge.

a) Nach ständi­ger Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts und der herr­schen­den Auf­fas­sung im Schrift­tum ist das Wi­der­spruchs­recht nach § 613a Abs. 6 BGB ein Ge­stal­tungs­recht in Form ei­nes Rechts­fol­gen­ver­wei­ge­rungs-

 

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rechts (vgl. zu­letzt BAG 16. April 2013 - 9 AZR 731/11 - Rn. 29, BA­GE 145, 8; 6. Ju­li 2011 - 4 AZR 501/09 - Rn. 80; 2. April 2009 - 8 AZR 178/07 - Rn. 28; 19. Fe­bru­ar 2009 - 8 AZR 176/08 - Rn. 22 mwN, BA­GE 129, 343). Ge­stal­tet wer­den kann nur ein be­ste­hen­des Rechts­verhält­nis, dh. das Ar­beits­verhält­nis, das bei Ausübung des Wi­der­spruchs be­steht. Im Fal­le des Wi­der­spruchs durch die Kläge­rin war das das Ar­beits­verhält­nis mit T. Mit V war sie nur noch als „bis­he­ri­ge Ar­beit­ge­be­rin“ ver­bun­den. Mit an­de­ren Wor­ten: Die Kläge­rin hätte zwar ei­nen Wi­der­spruch an die V in ih­rer Ei­gen­schaft als „bis­he­ri­ge Ar­beit­ge­be­rin“ rich­ten können, die­ser hätte aber den Über­gang ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses von V auf T be­trof­fen. Die V da­ge­gen als „neue In­ha­be­rin“ oder die Be­klag­te als „frühe­ren Ar­beit­ge­ber“ mit der Ausübung ei­nes Ge­stal­tungs­rechts zu kon­fron­tie­ren geht ins Lee­re, weil die vor­ma­li­ge Rechts­be­zie­hung der Kläge­rin nach dem Be­triebsüber­gang auf T nicht mehr be­steht.

b) Der Se­nat hat be­reits dar­auf hin­ge­wie­sen, dass das Wi­der­spruchs­recht als Ge­stal­tungs­recht in Form ei­nes Rechts­fol­gen­ver­wei­ge­rungs­rechts durch Erklärung des Wi­der­spruchs vor­ran­gig in­halt­lich zum Aus­druck bringt, dass der Ar­beit­neh­mer nicht zum neu­en In­ha­ber mit dem Ar­beits­verhält­nis wech­seln will. Die­sen Un­wil­len zu wech­seln kann er auch ge­genüber dem „bis­he­ri­gen Ar­beit­ge­ber“ erklären, oh­ne da­mit zu­gleich zum Aus­druck zu brin­gen, dass er hin­sicht­lich ei­nes vor­aus­ge­gan­ge­nen ers­ten Be­triebsüber­gangs ei­nen Wi­der­spruch nicht mehr erklären wird (BAG 26. Mai 2011 - 8 AZR 18/10 - Rn. 35). Hat die Kläge­rin mit dem am 20. Ok­to­ber 2011 erklärten Wi­der­spruch so­mit ge­sagt: „Ich will nicht zur V wech­seln“, so ging die­se Erklärung ins Lee­re, denn am 20. Ok­to­ber 2011 ist die Kläge­rin schon längst nicht mehr bei der V, son­dern bei T beschäftigt, und dies seit dem 1. Sep­tem­ber 2008, § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB.

 

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5. Ei­ne ana­lo­ge An­wen­dung des § 613a Abs. 6 Satz 2 BGB in Form auch ei­nes ge­genüber ei­nem frühe­ren Ar­beit­ge­ber be­ste­hen­den Wi­der­spruchs­rechts kommt nicht in Be­tracht. Es fehlt be­reits an ei­ner plan­wid­ri­gen Re­ge­lungslücke (ausführ­lich da­zu BAG 10. De­zem­ber 2013 - 9 AZR 51/13 - Rn. 23). Nach der Ziel­set­zung des Ge­set­zes be­steht kei­ne Wi­der­spruchsmöglich­keit im Verhält­nis zu ei­nem „frühe­ren Ar­beit­ge­ber“. Dem Ge­setz­ge­ber ist das Phäno­men der in der Pra­xis nicht sel­te­nen „Ket­ten­be­triebsübergänge“ seit Lan­gem be­kannt. Gleich­wohl hat er da­von ab­ge­se­hen, ei­ne Wi­der­spruchsmöglich­keit ge­genüber vor­an­ge­gan­ge­nen Ar­beit­ge­bern ein­zuräum­en. Zu­dem gibt es kein Bedürf­nis für ei­ne Ana­lo­gie­bil­dung. Das Feh­len ei­nes Wi­der­spruchs­rechts ge­genüber ei­nem „frühe­ren Ar­beit­ge­ber“ ver­letzt we­der den all­ge­mei­nen Gleich­heits­satz, noch führt dies zu Wer­tungs­wi­dersprüchen (vgl. BAG 10. De­zem­ber 2013 - 9 AZR 51/13 - Rn. 23). Der Ge­setz­ge­ber hat den Ar­beit­neh­mer zur Wah­rung sei­ner (Grund-)Rech­te dar­auf ver­wie­sen, zunächst ge­gen den letz­ten Über­gang sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses vor­zu­ge­hen. Un­terlässt er dies oder er­weist sich sein ent­spre­chen­des Vor­ge­hen als frucht­los, so hat er den in der Ket­te letz­ten Ar­beit­ge­ber im Sin­ne der Ge­set­zes­be­gründung „frei gewählt“, sei­ne Pri­vat­au­to­no­mie wur­de ge­wahrt. Je­ner Ver­trags­part­ner ist ihm dann nicht mehr „auf­ge­zwun­gen“ wor­den.

III. Die Kläge­rin kann sich vor­lie­gend auch nicht dar­auf be­ru­fen, dass sie zeit­gleich mit dem ge­genüber der Be­klag­ten ein­ge­leg­ten Wi­der­spruch auch dem Über­gang ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses von V auf T wi­der­spro­chen ha­be. Denn die­ser Wi­der­spruch ist rechts­kräftig für un­wirk­sam be­fun­den wor­den.

1. Zeit­gleich mit dem ge­genüber der Be­klag­ten erklärten Wi­der­spruch ge­gen den Über­gang ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses auf V hat die Kläge­rin ge­genüber V auch Wi­der­spruch ge­gen den Über­gang ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses auf T ein­le­gen las­sen. So­dann hat die Kläge­rin ei­ne wei­te­re Kla­ge ge­gen V auf Fest­stel­lung er­ho­ben, dass ihr Ar­beits­verhält­nis mit V „über den 01.12.2008 hin­aus“ be­ste­he. Die­se Kla­ge wur­de durch rechts­kräfti­ges Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ge­ra ab­ge­wie­sen (Ur­teil vom 1. Au­gust 2012 - 7 Ca 205/12 -). In­fol­ge des­sen

 

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blieb das Ar­beits­verhält­nis der Kläge­rin bei ih­rem letz­ten Ar­beit­ge­ber, T. Die an die Be­klag­te ge­rich­te­te Erklärung ging ins Lee­re.

2. Bei die­ser Sach­la­ge ist nicht zu ent­schei­den, ob die Kläge­rin bei Wirk­sam­keit ih­res Wi­der­spruchs ge­gen den Über­gang ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses auf T noch wirk­sam ei­nen Wi­der­spruch ge­gen den Über­gang ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses von der Be­klag­ten auf V - die in die­sem Fall dann wie­der „neue In­ha­be­rin“ iSd. § 613a Abs. 6 Satz 2 BGB ge­wor­den wäre - hat erklären können (vgl. BAG 24. April 2014 - 8 AZR 369/13 - Rn. 21). Der Ver­such der Kläge­rin, mit­tels des wei­te­ren Wi­der­spruchs die Fort­set­zung ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses mit V über den 1. De­zem­ber 2008 hin­aus zu be­wir­ken und die­ses Rechts­verhält­nis ge­richt­lich fest­stel­len zu las­sen, ist rechts­kräftig ab­schlägig be­schie­den wor­den. Dies muss die Kläge­rin ge­gen sich gel­ten las­sen. Sie kann da­her ge­genüber der Be­klag­ten nicht be­haup­ten, tatsächlich be­ste­he ihr Ar­beits­verhält­nis mit V fort und im Verhält­nis zu die­ser sei die Be­klag­te „bis­he­ri­ge Ar­beit­ge­be­rin“ iSd. § 613a Abs. 6 Satz 2 BGB.

IV. Da der von der Kläge­rin erklärte Wi­der­spruch ge­gen den Über­gang ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses von der Be­klag­ten auf V un­be­acht­lich ist, kommt es auf die Fra­ge, ob und wo­durch die Kläge­rin das Recht, ei­nen sol­chen Wi­der­spruch zu erklären, ver­wirkt ha­ben könn­te, nicht an.

C. Die Kos­ten­ent­schei­dung be­ruht auf § 97 ZPO.

 

Hauck

Brein­lin­ger

Win­ter

Wro­blew­ski

Wein

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