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BAG, Be­schluss vom 22.11.2017, 7 ABR 35/16

   
Schlagworte: Betriebsratswahl
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 7 ABR 35/16
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 22.11.2017
   
Leitsätze: Die in § 15 Abs. 1 und Abs. 2 WO festgelegte Sitzverteilung nach dem d’Hondtschen Höchstzahlverfahren ist mit höherrangigem Recht vereinbar. Das d’Hondtsche Höchstzahlverfahren verletzt weder den aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden Grundsatz der Gleichheit der Wahl noch den aus der Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG resultierenden Grundsatz der gleichen Wettbewerbschancen der Koalitionen.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Magdeburg, Beschluss vom 12.03.2015, 4 BV 55/14
Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 05.04.2016, 6 TaBV 19/15
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

 

7 ABR 35/16

6 TaBV 19/15
Lan­des­ar­beits­ge­richt
Sach­sen-An­halt

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am
22. No­vem­ber 2017

BESCHLUSS

Schie­ge, Ur­kunds­be­am­ter der Geschäfts­stel­le

In dem Be­schluss­ver­fah­ren mit den Be­tei­lig­ten

1.

An­trag­stel­le­rin, Be­schwer­deführe­rin und Rechts­be­schwer­deführe­rin,

2.

An­trag­stel­ler, Be­schwer­deführer und Rechts­be­schwer­deführer,

3.

An­trag­stel­ler, Be­schwer­deführer und Rechts­be­schwer­deführer,

4.

5.

6.


- 2 -

hat der Sieb­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der Anhörung vom 22. No­vem­ber 2017 durch die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Gräfl, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Prof. Dr. Kiel und Was­kow so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Han­sen und St­ei­nin­ger für Recht er­kannt:

Die Rechts­be­schwer­de der An­trag­stel­ler ge­gen den Be­schluss des Lan­des­ar­beits­ge­richts Sach­sen-An­halt vom 5. April 2016 - 6 TaBV 19/15 - wird zurück­ge­wie­sen.

Von Rechts we­gen!

Gründe

A. Die Be­tei­lig­ten strei­ten über die Wirk­sam­keit ei­ner Be­triebs­rats­wahl.

Die zu 1. bis 3. be­tei­lig­ten An­trag­stel­ler sind wahl­be­rech­tig­te Ar­beit­neh­mer im Be­trieb „Nie­der­las­sung M“ der zu 5. be­tei­lig­ten Ar­beit­ge­be­rin, ei­nem Nach­fol­ge­un­ter­neh­men der Deut­schen Bun­des­post. In dem Be­trieb fand vom 6. bis 8. Mai 2014 ei­ne Be­triebs­rats­wahl statt, aus der der aus 17 Mit­glie­dern be­ste­hen­de zu 4. be­tei­lig­te Be­triebs­rat her­vor­ging. Nach dem vom Wahl­vor­stand am 8. Mai 2014 be­kannt ge­ge­be­nen Wahl­er­geb­nis ent­fie­len von 1142 gülti­gen Stim­men auf die Wahl­vor­schlags­lis­te v 557 Stim­men, auf die Lis­te D 306 Stim­men und auf die Lis­te h 279 Stim­men. Die Sitz­ver­tei­lung wur­de vom Wahl­vor­stand nach dem in § 15 Abs. 1 und Abs. 2 der Ers­ten Ver­ord­nung zur Durchführung des Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­set­zes vom 11. De­zem­ber 2001 (WO) ge­re­gel­ten d’Hondt­schen Höchst­zahl­ver­fah­ren vor­ge­nom­men. Da­nach er­hielt die Lis­te v neun Sit­ze, die Lis­ten D und h er­hiel­ten je­weils vier Sit­ze. Bei ei­ner Ver­tei­lung der Be­triebs­rats­sit­ze nach dem Be­rech­nungs­ver­fah­ren nach Ha­re/Nie­mey­er oder der Me­tho­de nach Sain­te-La­guë/Sche­pers hätten die Lis­te v acht Sit­ze, die Lis­te D fünf Sit­ze und die Lis­te h vier Sit­ze er­hal­ten. In die­sem

 

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Fall wäre der 17. Be­triebs­rats­sitz nicht der zu 6. be­tei­lig­ten W von der Vor­schlags­lis­te v, son­dern der Wahl­be­wer­be­rin H von der Lis­te D zu­zu­wei­sen.
2
Mit der am 22. Mai 2014 beim Ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nen An­trags­schrift ha­ben die An­trag­stel­ler die Be­triebs­rats­wahl an­ge­foch­ten. Sie ha­ben die Auf­fas­sung ver­tre­ten, das in § 15 Abs. 1 und Abs. 2 WO an­ge­ord­ne­te d’Hondt­sche Höchst­zahl­ver­fah­ren sei nicht mit dem aus Art. 3 Abs. 1 GG fol­gen­den Grund­satz der Gleich­heit der Wahl ver­ein­bar und es ver­let­ze die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschütz­te Ko­ali­ti­ons­frei­heit. Die­ses Be­rech­nungs­ver­fah­ren be­nach­tei­li­ge in nicht hin­zu­neh­men­der Wei­se klei­ne­re Grup­pie­run­gen. Des­halb sei ei­ne Ver­tei­lung der Sit­ze nach den Ver­fah­ren Ha­re/Nie­mey­er oder Sain­te-La­guë/Sche­pers vor­zu­neh­men, die den Er­folgs­wert der Stim­men bes­ser ab­bil­de­ten. Die Ver­fas­sungs­wid­rig­keit von § 15 Abs. 1 und Abs. 2 WO führe zur Un­wirk­sam­keit der Be­triebs­rats­wahl. 3

Die An­trag­stel­ler ha­ben be­an­tragt,

die im Zeit­raum vom 6. bis 8. Mai 2014 statt­ge­fun­de­ne Be­triebs­rats­wahl für un­wirk­sam zu erklären.

4

Der Be­triebs­rat hat be­an­tragt, den An­trag ab­zu­wei­sen.

5
Die Ar­beit­ge­be­rin und die Be­tei­lig­te zu 6. ha­ben kei­ne Anträge ge­stellt. 6
Das Ar­beits­ge­richt hat den An­trag ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­schwer­de der An­trag­stel­ler zurück­ge­wie­sen. Mit ih­rer Rechts­be­schwer­de ver­fol­gen die An­trag­stel­ler ih­ren An­trag wei­ter. Der Be­triebs­rat be­an­tragt die Zurück­wei­sung der Rechts­be­schwer­de. 7
B. Die Rechts­be­schwer­de der An­trag­stel­ler hat kei­nen Er­folg. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat den An­trag zu Recht ab­ge­wie­sen. 8

I. Der An­trag ist in der ge­bo­te­nen Aus­le­gung zulässig.

 

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1. Mit dem An­trag, die Be­triebs­rats­wahl für un­wirk­sam zu erklären, ha­ben die An­trag­stel­ler nicht nur die Wahl nach § 19 Abs. 1 Be­trVG ins­ge­samt an­ge­foch­ten. Viel­mehr ist der An­trag auch auf Be­rich­ti­gung des Wahl­er­geb­nis­ses da­hin­ge­hend ge­rich­tet, dass an­stel­le der Be­tei­lig­ten zu 6., die vom Wahl­vor­stand als über die Vor­schlags­lis­te v gewähl­tes Be­triebs­rats­mit­glied er­mit­telt wur­de, die Wahl­be­wer­be­rin H von der Lis­te D zum Be­triebs­rats­mit­glied zu be­stim­men ist. Das er­gibt die Aus­le­gung des An­trags un­ter Her­an­zie­hung der An­trags­be­gründung so­wie un­ter Berück­sich­ti­gung der rich­tig ver­stan­de­nen In­te­res­sen­la­ge der An­trag­stel­ler. 10
a) Zwar kann ei­ne Be­triebs­rats­wahl grundsätz­lich nur als Gan­zes an­ge­foch­ten wer­den. Ins­be­son­de­re lässt sich die Wahl ein­zel­ner Mit­glie­der oder von Er­satz­mit­glie­dern nicht an­fech­ten (BAG 23. Ju­li 2014 - 7 ABR 23/12 - Rn. 16). So­fern der gel­tend ge­mach­te An­fech­tungs­grund aber auf den an­ge­foch­te­nen Teil be­schränkt ist und das Wahl­er­geb­nis darüber hin­aus nicht be­ein­flus­sen kann, ist nach § 19 Abs. 1 Be­trVG nicht nur die An­fech­tung der Be­triebs­rats­wahl ins­ge­samt zulässig, son­dern auch ei­ne auf Be­rich­ti­gung des Wahl­er­geb­nis­ses ge­rich­te­te Teil­an­fech­tung (BAG 16. No­vem­ber 2005 - 7 ABR 11/05 - Rn. 12; 16. März 2005 - 7 ABR 40/04 - zu B II 1 a der Gründe mwN, BA­GE 114, 119; 11. Ju­ni 1997 - 7 ABR 24/96 - zu B II 2 a der Gründe, BA­GE 86, 117). Ei­ne der­ar­ti­ge ge­richt­li­che Be­rich­ti­gung des Wahl­er­geb­nis­ses kommt ins­be­son­de­re dann in Be­tracht, wenn nur die feh­ler­haf­te Ver­tei­lung der Sit­ze auf die Vor­schlags­lis­ten gerügt wird und so­mit durch die Kor­rek­tur le­dig­lich der wah­ren Wähler­ent­schei­dung Gel­tung ver­schafft wer­den soll (BAG 16. März 2005 - 7 ABR 40/04 - zu B II 2 a der Gründe, aaO). Eben­so wie bei der An­fech­tung der Wahl ins­ge­samt, bei der die Wahl für ungültig erklärt wird, er­folgt bei ei­ner Teil­an­fech­tung die Be­rich­ti­gung des Wahl­er­geb­nis­ses durch ei­ne rechts­ge­s­tal­ten­de Ent­schei­dung des Ge­richts (BAG 16. März 2005 - 7 ABR 40/04 - zu B II 1 c der Gründe mwN, aaO). 11

b) Nach dem Wort­laut des An­trags und den zu sei­ner Be­gründung ge­mach­ten Ausführun­gen ha­ben die An­trag­stel­ler die vom 6. bis 8. Mai 2014

 

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durch­geführ­te Be­triebs­rats­wahl als Gan­zes an­ge­foch­ten. Die An­trag­stel­ler ha­ben aus­drück­lich gel­tend ge­macht, die Be­triebs­rats­wahl sei un­wirk­sam. Al­ler­dings ha­ben die An­trag­stel­ler nicht be­haup­tet, dass bei der Durchführung der Wahl ge­gen Vor­schrif­ten über das Wahl­recht, die Wähl­bar­keit oder das Wahl­ver­fah­ren ver­s­toßen wur­de. Sie wen­den sich le­dig­lich ge­gen die durch den Wahl­vor­stand auf­grund der ord­nungs­gemäß durch­geführ­ten Wahl nach § 15 Abs. 1 und Abs. 2 WO vor­ge­nom­me­ne Ver­tei­lung der Be­triebs­rats­sit­ze auf die Vor­schlags­lis­ten. In ei­nem sol­chen Fall kommt ei­ne Be­rich­ti­gung des Wahler­geb­nis­ses durch ei­ne rechts­ge­stal­ten­de Ent­schei­dung des Ge­richts in Be­tracht. Des­halb ent­spricht es der rich­tig ver­stan­de­nen In­ter­es­sen­la­ge der An­trag­stel­ler, den An­trag da­hin zu ver­ste­hen, dass nicht nur die Be­triebs­rats­wahl ins­ge­samt für un­wirk­sam erklärt wer­den soll, son­dern ggf. ei­ne Be­rich­ti­gung des Wahler­geb­nis­ses vor­ge­nom­men wer­den soll. Die­ses Verständ­nis ist von den An­trag­stel­lern bei der Anhörung vor dem Se­nat nach ei­nem ent­spre­chen­den Hin­weis bestätigt wor­den.
12
2. Die An­trag­stel­ler sind als wahl­be­rech­tig­te Ar­beit­neh­mer nach § 19 Abs. 1 Be­trVG an­fech­tungs­be­rech­tigt. Der An­trag ist auch hin­rei­chend be­stimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Er be­trifft er­kenn­bar die in der Nie­der­las­sung M durch­geführ­te Be­triebs­rats­wahl. Die An­trag­stel­ler ha­ben in der Rechts­be­schwer­de auch an­ge­ge­ben, wel­che Wahl­be­wer­be­rin der Lis­te D an­stel­le der vom Wahl­vor­stand als Be­triebs­rats­mit­glied er­mit­tel­ten Be­tei­lig­ten zu 6. als Be­triebs­rats­mit­glied gewählt wäre, wenn der 17. Be­triebs­rats­sitz auf die Lis­te D ent­fie­le. 13

II. Am vor­lie­gen­den Be­schluss­ver­fah­ren ist nach § 83 Abs. 3 ArbGG ne­ben den An­trag­stel­lern, dem Be­triebs­rat und der Ar­beit­ge­be­rin auch das nach dem vom Wahl­vor­stand fest­ge­stell­ten Wahl­er­geb­nis gewähl­te Be­triebs­rats­mit­glied W be­tei­ligt. Die­se ist in ih­rer be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Rechts­po­si­ti­on be­trof­fen, weil ih­re Mit­glied­schaft im Be­triebs­rat von der Ent­schei­dung über die be­gehr­te Be­rich­ti­gung des Wahl­er­geb­nis­ses abhängt. Die Vor­in­stan­zen ha­ben Frau W zwar nicht an­gehört. Dies er­for­dert je­doch nicht die Zurück­ver­wei-

 

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sung der Sa­che an das Lan­des­ar­beits­ge­richt. Die zu Un­recht un­ter­blie­be­ne Be­tei­li­gung ei­nes Ver­fah­rens­be­tei­lig­ten kann auch noch in der Rechts­be­schwer-de­instanz da­durch be­ho­ben wer­den, dass die be­tref­fen­de Per­son oder Stel­le künf­tig am Ver­fah­ren be­tei­ligt wird (BAG 23. Ju­li 2014 - 7 ABR 23/12 - Rn. 13). Der Se­nat hat die Be­tei­li­gung nach­ge­holt und Frau W Ge­le­gen­heit ge­ge­ben, sich zum An­trag zu äußern.

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Die Wahl­be­wer­be­rin H von der Lis­te D ist hin­ge­gen nicht am Ver­fah­ren be­tei­ligt, weil sie nach dem Be­geh­ren der An­trag­stel­ler erst durch die Ent­sch­ei­dung über die be­gehr­te Be­rich­ti­gung des Wahl­er­geb­nis­ses ei­ne Rechts­stel­lung als Or­gan­mit­glied er­lan­gen soll (vgl. da­zu BAG 16. März 2005 - 7 ABR 40/04 - zu B I 2 der Gründe, BA­GE 114, 119). 15
III. Der An­trag ist un­be­gründet. Die vom 6. bis 8. Mai 2014 durch­geführ­te Be­triebs­rats­wahl ist nicht un­wirk­sam. Das vom Wahl­vor­stand nach § 15 Abs. 1 und Abs. 2 WO fest­ge­stell­te Wahl­er­geb­nis ist auch nicht zu be­rich­ti­gen. 16

1. So­weit der An­trag dar­auf ge­rich­tet ist, die Be­triebs­rats­wahl ins­ge­samt für un­wirk­sam zu erklären, ist er un­be­gründet, weil der ein­zi­ge im Ver­fah­ren gerügte An­fech­tungs­grund - die feh­ler­haf­te Ver­tei­lung der Sit­ze auf die Vor­schlags­lis­ten - durch ei­ne ge­richt­li­che Be­rich­ti­gung des Wahl­er­geb­nis­ses be­ho­ben wer­den kann. Feh­ler bei der Durchführung der Wahl sind we­der gel­tend ge­macht wor­den noch er­kenn­bar. In ei­nem sol­chen Fall ist es nicht möglich, die Be­triebs­rats­wahl gänz­lich für ungültig zu erklären. Das Ge­richt kann viel­mehr le­dig­lich das Wahl­er­geb­nis be­rich­ti­gen (vgl. et­wa Fit­ting 28. Aufl. § 19 Rn. 27; ErfK/Koch 17. Aufl. § 19 Be­trVG Rn. 7; Kreutz GK-Be­trVG 10. Aufl. § 19 Rn. 120; Thüsing in Ri­char­di Be­trVG 15. Aufl. § 19 Rn. 71). Das folgt aus dem in § 19 Abs. 1 Be­trVG zum Aus­druck kom­men­den Rechts­ge­dan­ken, wo­nach die An­fech­tung der Be­triebs­rats­wahl da­von abhängt, dass ei­ne Be­rich­ti­gung des Wahl­feh­lers nicht er­folgt ist. Die­ser ge­setz­li­chen Wer­tung würde es wi­der­spre­chen, den durch ei­ne ord­nungs­gemäß durch­geführ­te Wahl geäußer­ten

 

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Wähl­er­wil­len zu über­ge­hen, in­dem die Wahl ins­ge­samt für ungültig erklärt wird, ob­wohl ei­ne Be­rich­ti­gung des Wahl­er­geb­nis­ses möglich wäre.

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2. Der An­trag ist auch un­be­gründet, so­weit er auf die Be­rich­ti­gung des Wahl­er­geb­nis­ses ge­rich­tet ist. Der Wahl­vor­stand hat das Wahl­er­geb­nis nach § 24 Abs. 1, § 26 Post­PersRG in der bis zum 5. Ju­ni 2015 gel­ten­den Fas­sung, § 1 der Ver­ord­nung zur Durchführung der Be­triebs­rats­wah­len bei Post­un­ter­neh­men (WahlO Post) vom 22. Fe­bru­ar 2002 (BGBl. I S. 946) iVm. § 15 Abs. 1 und Abs. 2 WO zu­tref­fend er­mit­telt und be­kannt ge­ge­ben. 18
a) Nach § 24 Abs. 1 Post­PersRG fin­det auf die Ar­beit­ge­be­rin das Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz An­wen­dung, so­weit im Post­per­so­nal­rechts­ge­setz nichts an­de­res be­stimmt ist. Nach § 26 Post­PersRG gilt dies grundsätz­lich auch für die Vor­schrif­ten über die Wahl und Zu­sam­men­set­zung des Be­triebs­rats. Nach § 1 WahlO Post fin­den die Vor­schrif­ten der Ers­ten Ver­ord­nung zur Durch­führung des Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­set­zes (WO) vom 11. De­zem­ber 2001 in der je­wei­li­gen Fas­sung für die Wah­len zum Be­triebs­rat in den Post­un­ter­neh­men An­wen­dung, so­weit sich aus die­ser Ver­ord­nung nichts an­de­res er­gibt. Da­nach hat­te der Wahl­vor­stand die Ver­tei­lung der Be­triebs­rats­sit­ze auf die Vor­schlags­lis­ten nach § 15 WO vor­zu­neh­men. Da­von ge­hen auch die Be­tei­lig­ten übe­rein­stim­mend aus. 19
b) Der Wahl­vor­stand hat das Wahl­er­geb­nis zu­tref­fend er­mit­telt und die sich nach den ab­ge­ge­be­nen Stim­men er­ge­ben­de Ver­tei­lung der Be­triebs­rats­sit­ze auf die Vor­schlags­lis­ten un­ter An­wen­dung des in § 15 Abs. 1 und Abs. 2 WO fest­ge­leg­ten d'Hondt­schen Höchst­zahl­ver­fah­rens feh­ler­frei vor­ge­nom­men. Die in § 15 Abs. 1 und Abs. 2 WO fest­ge­leg­te Sitz­ver­tei­lung verstößt nicht ge­gen höher­ran­gi­ges Recht. 20

aa) Nach § 15 Abs. 1 WO wer­den die den ein­zel­nen Vor­schlags­lis­ten zu­ge­fal­le­nen Stim­men­zah­len zur Ver­tei­lung der Be­triebs­rats­sit­ze auf die Vor­schlags­lis­ten in ei­ner Rei­he ne­ben­ein­an­der ge­stellt und sämt­lich durch 1, 2, 3, 4 usw. ge­teilt. Die er­mit­tel­ten Teil­zah­len sind nach­ein­an­der rei­hen­wei­se un­ter den Zah-

 

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len der ers­ten Rei­he auf­zuführen, bis höhe­re Teil­zah­len für die Zu­wei­sung der zu ver­tei­len­den Sit­ze nicht mehr in Be­tracht kom­men. Un­ter den so ge­fun­de­nen Teil­zah­len wer­den nach § 15 Abs. 2 Satz 1 WO so vie­le Höchst­zah­len aus­ge­son­dert und der Größe nach ge­ord­net, wie Be­triebs­rats­mit­glie­der zu wählen sind. Je­de Vor­schlags­lis­te erhält nach § 15 Abs. 2 Satz 2 WO so vie­le Mit­g­lie­der­sit­ze zu­ge­teilt, wie Höchst­zah­len auf sie ent­fal­len. Nach die­sen Be­stim­mun­gen, die für die Sitz­ver­tei­lung das d’Hondt­sche Höchst­zahl­ver­fah­ren aus­for­mu­liert ha­ben, hat der Wahl­vor­stand die aus dem Wahl­er­geb­nis fol­gen­de Sitz­ver­tei­lung - un­strei­tig - zu­tref­fend er­mit­telt. Da­nach ent­fie­len auf die Lis­te v neun Sit­ze und auf die Lis­ten D und h je­weils vier Sit­ze.

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bb) Die Re­ge­lung in § 15 Abs. 1 und Abs. 2 WO über die Sitz­ver­tei­lung nach dem d’Hondt­schen Höchst­zahl­ver­fah­ren ist ent­ge­gen der Auf­fas­sung der An­trag­stel­ler wirk­sam. Sie verstößt we­der ge­gen Art. 3 GG noch ver­letzt sie die durch Art. 9 Abs. 3 GG ga­ran­tier­te Ko­ali­ti­ons­frei­heit. 22
(1) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat oh­ne Rechts­feh­ler er­kannt, dass die An­ord­nung des d’Hondt­schen Höchst­zahl­ver­fah­rens in § 15 Abs. 1 und Abs. 2 WO nicht ge­gen den aus Art. 3 Abs. 1 GG fol­gen­den Grund­satz der Gleich­heit der Wahl verstößt. 23

(a) Für den Be­reich all­ge­mein­po­li­ti­scher Wah­len hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt die An­for­de­run­gen des Gleich­heits­sat­zes durch die For­ma­li­sie­rung des Ge­bots der Gleich­heit der Wahl kon­kre­ti­siert (vgl. BVerfG 12. Ok­to­ber 2004 - 1 BvR 2130/98 - zu IV 1 der Gründe, BVerfGE 111, 289). Der Grund­satz der Gleich­heit der Wahl ge­bie­tet es, dass al­le Staatsbürger das ak­ti­ve und pas­si­ve Wahl­recht in for­mal möglichst glei­cher Wei­se ausüben können und die Stim­men der Wahl­be­rech­tig­ten beim Verhält­nis­wahl­sys­tem nicht nur den glei­chen Zähl­wert, son­dern grundsätz­lich auch den glei­chen Er­folgs­wert ha­ben (BVerfG 10. April 1997 - 2 BvC 3/96 - zu B I 1 der Gründe, BVerfGE 95, 408; 8. Au­gust 1994 - 2 BvR 1484/94 - zu II 2 der Gründe; 24. No­vem­ber 1988 - 2 BvC 4/88 - zu B 1 der Gründe, BVerfGE 79, 169).

 

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Der Wahl­gleich­heits­grund­satz gilt nicht nur für das Bun­des­tags­wahl­recht und für das Wahl­recht in den Ländern, Krei­sen und Ge­mein­den (Art. 28 Abs. 1 Satz 2, Art. 38 Abs. 1 GG), son­dern als un­ge­schrie­be­nes Ver­fas­sungs­recht auch für sons­ti­ge po­li­ti­sche Ab­stim­mun­gen (BVerfG 23. März 1982 - 2 BvL 1/81 - zu B I und II der Gründe, BVerfGE 60, 162). Hier­bei lässt die von der grundsätz­li­chen Gleich­heit al­ler Staatsbürger ge­prägte for­ma­le Wahl­rechts­gleich­heit Dif­fe­ren­zie­run­gen nur zu, wenn sie durch ei­nen be­son­de­ren, sach­lich le­gi­ti­mier­ten Grund ge­recht­fer­tigt sind (BVerfG 26. Fe­bru­ar 2014 - 2 BvE 2/13 ua. - BVerfGE 135, 259 mwN). Das er­for­dert al­ler­dings nicht, dass sich die vor­ge­nom­me­nen Dif­fe­ren­zie­run­gen als von Ver­fas­sungs we­gen not­wen­dig dar­s­tel­len müssen. Es reicht viel­mehr aus, dass die für die Dif­fe­ren­zie­rung maßge­b­li­chen Gründe durch die Ver­fas­sung le­gi­ti­miert und von ei­nem Ge­wicht sind, das der Wahl­rechts­gleich­heit die Waa­ge hal­ten kann (BVerfG 26. Fe­bru­ar 2014 - 2 BvE 2/13 ua. - aaO). 25

(b) Die­se Grundsätze las­sen sich nicht sche­ma­tisch auf Wah­len in an­de­ren Be­rei­chen über­tra­gen, denn sie ha­ben ih­ren tra­gen­den Grund in der ab­so­lu­ten Gleich­heit al­ler Bürger bei der staat­li­chen Wil­lens­bil­dung (vgl. BVerfG 12. Ok­to­ber 2004 - 1 BvR 2130/98 - zu IV 1 der Gründe, BVerfGE 111, 289). Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat bis­her of­fen­ge­las­sen, in­wie­weit die­se Erwä­gun­gen aus dem Be­reich von all­ge­mein­po­li­ti­schen Wah­len auf Wah­len im wirt­schaft­li­chen und so­zia­len Be­reich über­tra­gen wer­den können (vgl. et­wa BVerfG 12. Fe­bru­ar 2014 - 1 BvL 7/11 - Rn. 11). Al­ler­dings legt sich der Norm­ge­ber auch bei Wah­len im wirt­schaft­li­chen und so­zia­len Be­reich in ei­nem ge­wis­sen Um­fang auf die Grundsätze ei­nes Wahl­ver­fah­rens fest (vgl. BVerfG 23. März 1982 - 2 BvL 1/81 - BVerfGE 60, 162). Wenn ein Gre­mi­um durch Wah­len der Be­leg­schaft und auf der Grund­la­ge von Wahl­vor­schlägen be­setzt wer­den soll, hat ei­ne in sich fol­ge­rich­ti­ge Re­ge­lung die Chan­cen­gleich­heit der bei den Wah­len an­tre­ten­den Grup­pen zu be­ach­ten (BVerfG 12. Ok­to­ber 2004 - 1 BvR 2130/98 - zu IV 1 der Gründe, aaO). Bei Wah­len im Be­reich des Ar­beits- und So­zi­al­we­sens rich­tet sich der Grad der zulässi­gen Dif­fe­ren­zie­run­gen nach der

 

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Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts nach der Na­tur des je­weils in Fra­ge ste­hen­den Sach­be­reichs. Er lässt sich nicht los­gelöst vom Auf­ga­ben­kreis der zu wählen­den Re­präsen­ta­ti­ons­or­ga­ne be­stim­men (BVerfG 22. Ok­to­ber 1985 - 1 BvL 44/83 - zu C I 3 der Gründe, BVerfGE 71, 81). Ein­schränkun­gen der for­ma­len Wahl­rechts­gleich­heit können sich ins­be­son­de­re aus Zweck und Ziel­set­zung der be­tref­fen­den Wahl recht­fer­ti­gen (BVerfG 23. März 1982 - 2 BvL 1/81 - zu B I und II der Gründe, aaO). Der Norm­ge­ber hat die Möglich­keit, bei der Aus­ge­stal­tung des Wahl­ver­fah­rens auf das Ge­wicht be­stimm­ter Grup­pen in­ner­halb der Wähler­schaft Rück­sicht zu neh­men, zu­dem kann er Zweckmäßig­keitsüber­le­gun­gen größeren Raum einräum­en und auch Prak­ti­ka­bi­litäts­ge-sichts­punk­te berück­sich­ti­gen (BVerfG 12. Ok­to­ber 2004 - 1 BvR 2130/98 - zu IV 1 der Gründe, aaO).

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c) Aus­ge­hend von die­sen Grundsätzen verstößt die An­ord­nung des d’Hondt­schen Höchst­zahl­ver­fah­rens in § 15 Abs. 1 und Abs. 2 WO nicht ge­gen den Grund­satz der Gleich­heit der Wahl. 27
(aa) Bei der Zu­tei­lung von Be­triebs­rats­sit­zen auf die Vor­schlags­lis­ten nach dem je­wei­li­gen An­teil der Wähler­stim­men lässt sich eben­so wie bei der Be­set­zung von Par­la­men­ten, Ge­mein­deräten oder an­de­ren po­li­ti­schen Gre­mi­en ei­ne vollständi­ge Gleich­heit des Er­folgs­wer­tes ei­ner Wähler­stim­me mit kei­nem der gängi­gen ma­the­ma­ti­schen Sitz­zu­tei­lungs­ver­fah­ren er­rei­chen. Da nur gan­ze Sit­ze auf die Vor­schlags­lis­ten ver­teilt wer­den können, blei­ben stets Rest­stim­men un­berück­sich­tigt. Dies ist nicht nur bei der Sitz­ver­tei­lung nach dem d’Hondt­schen Höchst­zahl­ver­fah­ren der Fall, son­dern auch bei der Sitz­ver­tei­lung nach dem Ver­fah­ren der ma­the­ma­ti­schen Pro­por­ti­on nach Ha­re/Nie­mey­er und dem Ver­fah­ren nach Sain­te-La­guë/Sche­pers. 28

(bb) Aus die­sem Grund sind nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts zu po­li­ti­schen Wah­len grundsätz­lich al­le gängi­gen Be­rech­nungs­ver­fah­ren mit den An­for­de­run­gen der wahl­recht­li­chen Chan­cen­gleich­heit ver­ein­bar. Da in al­len Ver­fah­ren Rest­stim­men un­berück­sich­tigt blei­ben, ist es nach

 

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der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts der Ge­stal­tungs­frei­heit des Ge­setz­ge­bers über­las­sen, für wel­ches Sitz­zu­tei­lungs­sys­tem er sich ent­schei­det (vgl. BVerfG 8. Au­gust 1994 - 2 BvR 1484/94 - zu II 2 der Gründe zur Sitz­ver­tei­lung bei Ge­mein­de­rats­wah­len in Thürin­gen; BVerfG 24. No­vem­ber 1988 - 2 BvC 4/88 - zu B 1 der Gründe, BVerfGE 79, 169 zur Be­rech­nung der Sitz­ver­tei­lung bei der Wahl zum 11. Deut­schen Bun­des­tag). Auch nach neue­rer Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts kann der Ge­setz­ge­ber im Hin­blick auf die Be­set­zung ei­nes Par­la­ments­aus­schus­ses durch Zu­tei­lung der zu ver­ge­ben­den Sit­ze ent­spre­chend der Stärke der Frak­ti­on im Par­la­ment zur Si­che­rung der „Spie­gel­bild­lich­keit“ grundsätz­lich die An­wen­dung des d’Hondt­schen Höchst­zahl­ver­fah­rens vor­ge­ben (BVerfG 19. Ju­ni 2012 - 2 BvC 2/10 - zu B II 2 c dd der Gründe, BVerfGE 131, 230 zur Be­set­zung des Wahl­aus­schus­ses nach § 6 BVerfGG; 28. Fe­bru­ar 2012 - 2 BvE 8/11 - Rn. 129, BVerfGE 130, 318 zur Bil­dung von Ausschüssen des Deut­schen Bun­des­ta­ges; vgl. auch BVerfG 17. Sep­tem­ber 1997 - 2 BvE 4/95 - BVerfGE 96, 264).

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(cc) Die Re­ge­lung der Sitz­zu­tei­lung bei der Be­triebs­rats­wahl un­ter­liegt im Hin­blick auf die Wahl­rechts­gleich­heit kei­nen stren­ge­ren An­for­de­run­gen als all­ge­mein­po­li­ti­sche Wah­len. Dem­gemäß war die Ent­schei­dung, nach wel­chem der gängi­gen Be­rech­nungs­ver­fah­ren die Ver­tei­lung der Be­triebs­rats­sit­ze auf die Vor­schlags­lis­ten vor­zu­neh­men ist, dem Ge­stal­tungs­spiel­raum des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Ar­beit und So­zi­al­ord­nung als nach § 126 Nr. 5a Be­trVG ermäch­tig­tem Ver­ord­nungs­ge­ber der am 11. De­zem­ber 2001 aus­ge­fer­tig­ten Wahl­ord­nung zum Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz über­las­sen. Dem steht ent­ge­gen der An­sicht der An­trag­stel­ler nicht ent­ge­gen, dass die Ver­fah­ren nach Ha­re/Nie­mey­er und nach Sain­te-La­guë/Sche­pers die Er­folgs­wert­gleich­heit der Wähler­stim­men ggf. in größerem Maße ab­bil­den als das d’Hondt­sche Höchst­zahl­ver­fah­ren (vgl. da­zu Rau­ber NVwZ 2014, 626, 628). Un­ter Berück­sich­ti­gung der Be­son­der­hei­ten des Be­triebs­ver­fas­sungs­rechts und der Ziel­set­zung der Be­triebs­rats­wahl ist es nicht zu be­an­stan­den, dass sich der Ver­ord­nungs­ge­ber für das Höchst­zahl-ver­fah­ren nach d’Hondt ent­schie­den hat, das den Stim­men der Mehr­heit ei­nen

 

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höhe­ren Er­folgs­wert zu­kom­men lässt als die an­de­ren gängi­gen Zu­tei­lungs­ver­fah­ren und da­mit größere Grup­pie­run­gen ten­den­zi­ell begüns­tigt. Die Ent­sch­ei­dung des Ver­ord­nungs­ge­bers zu Guns­ten des d’Hondt­schen Höchst­zahl­ver­fah-rens er­folg­te of­fen­sicht­lich be­wusst und in der Er­kennt­nis, dass die­ses größere Grup­pie­run­gen begüns­ti­gen kann. Dies er­gibt sich dar­aus, dass die FDP-Frak­ti­on am 4. April 2001 im Deut­schen Bun­des­tag mit ih­rem „An­trag zur Re­form der Mit­be­stim­mung zur Stärkung des Mit­tel­stands“ ua. die Er­set­zung des Ver­fah­rens nach d’Hondt durch das Ver­fah­ren Ha­re/Nie­mey­er mit der Be­grün­dung be­an­tragt hat­te, das Ver­fah­ren nach d’Hondt begüns­ti­ge große Grup­pen, Lis­ten­ge­mein­schaf­ten oder Ge­werk­schaf­ten (BT-Drs. 14/5764 S. 4 und 11). Der Um­stand, dass sich das d’Hondt­sche Höchst­zahl­ver­fah­ren in Grenzfällen re­gelmäßig zu Guns­ten stim­men­star­ker Vor­schlags­lis­ten aus­wirkt, er­leich­tert die Mehr­heits­bil­dung im Be­triebs­rat. Das d’Hondt­sche Höchst­zahl­ver­fah­ren bil­det ei­ne ab­so­lu­te Stim­men­mehr­heit ei­nes Wahl­vor­schlags an­ge­sichts der un­ge­ra­den Zahl der zu ver­ge­ben­den Sit­ze als ein­zi­ges der drei gängi­gen Sitz­zu­tei-lungs­ver­fah­ren stets in ab­so­lu­ten Man­dats­mehr­hei­ten ab (vgl. Rau­ber NVwZ 2014, 626, 628). Es liegt im Rah­men der Ge­stal­tungs­frei­heit des Ver­ord­nungs­ge­bers, bei der Sitz­zu­tei­lung im Rah­men der Be­triebs­rats­wahl für Kon­fliktfälle dem Ziel der Mehr­heits­bil­dung Vor­rang vor dem Ziel der Er­folgs­wert-gleich­heit der Stim­men ein­zuräum­en (vgl. zur Zulässig­keit der Mehr­heits­si­che­rung als Dif­fe­ren­zie­rungs­merk­mal: BVerfG 8. De­zem­ber 2004 - 2 BvE 3/02 - zu B III 2 der Gründe, BVerfGE 112, 118; 8. Au­gust 1994 - 2 BvR 1484/94 - zu II 3 der Gründe; vgl. auch Rau­ber NVwZ 2014, 626, 629). Das gilt nicht zu­letzt des­halb, weil ei­ne Mehr­heits­bil­dung für die Hand­lun­gen des Be­triebs­rats, die im Rah­men der von ihm mit Mehr­heits­ent­schei­dung ge­fass­ten Be­schlüsse er­fol­gen, un­erläss­lich ist. Zu­dem führt ei­ne Untätig­keit des Be­triebs­rats zB bei Fra­gen der per­so­nel­len Mit­be­stim­mung teil­wei­se zur Zu­stim­mungs­fik­ti­on (vgl. et­wa § 99 Abs. 3 Satz 2, § 102 Abs. 2 Satz 2 Be­trVG). Ei­ne „Zer­split­te­rung“ der Sit­ze auf meh­re­re klei­ne­re Lis­ten, die (wie im Streit­fall bei der An­wen­dung ei­nes der an­de­ren Zu­tei­lungs­ver­fah­ren) im Ein­zel­fall da­zu führen kann, dass zur Mehr­heits­fin­dung die Bil­dung von Ko­ali­tio­nen er­for­der­lich wird, kann da­her die

 

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Hand­lungsfähig­keit der Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tung ein­schränken. Es stellt des­halb ein an­er­ken­nens­wer­tes An­lie­gen dar, in Grenzfällen sta­bi­le Mehr­heits­verhält­nis­se im Be­triebs­rat zu begüns­ti­gen.

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(2) Die An­ord­nung des d’Hondt­schen Höchst­zahl­ver­fah­rens in § 15 Abs. 1 und Abs. 2 WO verstößt nicht ge­gen den aus der Ko­ali­ti­ons­frei­heit des Art. 9 Abs. 3 GG re­sul­tie­ren­den Grund­satz der glei­chen Wett­be­werbs­chan­cen der Ko­ali­tio­nen. 31

(a) Der Schutz­be­reich des Art. 9 Abs. 3 GG um­fasst je­de ko­ali­ti­ons­spe­zi­fi­sche Ver­hal­tens­wei­se (BVerfG 11. Ju­li 2017 - 1 BvR 1571/15 ua. - Rn. 131). Die­se be­steht bei Ge­werk­schaf­ten auch dar­in, zur Ver­fol­gung ih­rer in Art. 9 Abs. 3 GG um­schrie­be­nen Zie­le Ein­fluss auf die Wahl von Be­triebsräten zu neh­men (BAG 16. März 2005 - 7 ABR 40/04 - zu B III 3 d der Gründe, BA­GE 114, 119). Bei all­ge­mei­nen po­li­ti­schen Wah­len ge­bie­tet es der Grund­satz der Chan­cen­gleich­heit, je­der Par­tei und je­dem Wahl­be­wer­ber grundsätz­lich die glei­chen Möglich­kei­ten im Wahl­kampf und im Wahl­ver­fah­ren of­fen­zu­hal­ten. Dem Prin­zip der Chan­cen­gleich­heit der po­li­ti­schen Par­tei­en im Par­la­ments­wahl­recht ent­spricht bei Wah­len im Ar­beits- und So­zi­al­be­reich der Grund­satz glei­cher Wett­be­werbs­chan­cen der Ge­werk­schaf­ten (BVerfG 23. März 1982 - 2 BvL 1/81 - zu B II der Gründe, BVerfGE 60, 162; BAG 16. März 2005 - 7 ABR 40/04 - zu B III 3 d der Gründe, aaO; 13. Mai 1998 - 7 ABR 5/97 - zu B I 1 c der Gründe mwN). Die Ko­ali­ti­ons­frei­heit gewährt al­ler­dings kei­nen un­be­grenz­ten und un­be­grenz­ba­ren Hand­lungs­spiel­raum der Ko­ali­tio­nen. Der Ge­setz­ge­ber ist viel­mehr be­rech­tigt, die Be­fug­nis­se der Ko­ali­tio­nen im Ein­zel­nen zu ge­stal­ten und de­ren Betäti­gungs­frei­heit ein­zu­schränken, wenn dies durch Grund­rech­te Drit­ter oder an­de­re mit Ver­fas­sungs­rang aus­ge­stat­te­te Rech­te ge­recht­fer­tigt ist oder wenn der Schutz an­de­rer Rechtsgüter dies er­for­dert (BVerfG 20. Ok­to­ber 1981 - 1 BvR 404/78 - zu B I 1 der Gründe, BVerfGE 58, 233; BAG 16. März 2005 - 7 ABR 40/04 - zu B III 3 d der Gründe, aaO).

 

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(b) Die An­ord­nung des d’Hondt­schen Höchst­zahl­ver­fah­rens kann zwar in Grenzfällen Ge­werk­schaf­ten mit ge­rin­ge­rem Or­ga­ni­sa­ti­ons­grad in der Be­leg­schaft be­nach­tei­li­gen. Sie ist aber von der Ge­stal­tungs­frei­heit des Ver­ord­nungs­ge­bers um­fasst, weil ein „idea­les“ Sitz­zu­tei­lungs­ver­fah­ren nicht exis­tiert. Sie dient darüber hin­aus der Mehr­heits­si­che­rung und da­mit ei­nem nach der Funk­ti­on der be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tung zur Recht­fer­ti­gung von Gleich­heits­ein­bußen an­zu­er­ken­nen­den Ziel. 33

 

Gräfl Kiel Was­kow

St­ei­nin­ger H. Han­sen

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