Update Arbeitsrecht 06|2025 vom 30.06.2025
Entscheidungsbesprechungen
BAG beschränkt Vereinbarungen, denen zufolge Urlaub „in natura gewährt“ wurde
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 03.06.2025, 9 AZR 104/24
Im bestehenden Arbeitsverhältnis können Arbeitnehmer auch durch einen gerichtlichen Vergleich nicht auf ihren Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub verzichten.
§§ 1; 3; 7 Abs.4; 13 Abs.1 Satz 3 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG); Art.7 Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Richtlinie 2003/88/EG); §§ 134; 242; 779 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Rechtlicher Hintergrund
Gemäß § 1 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) hat jeder Arbeitnehmer pro Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub.
Die Dauer dieses gesetzlichen Mindesturlaubs beträgt gemäß § 3 Abs.1 BUrlG pro Jahr 24 Werktage bei einer Sechstagewoche, d.h. 20 Arbeitstage bei einer Fünftagewoche.
Auf den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch kann man als Arbeitnehmer nicht verzichten, wie sich aus § 13 Abs.1 Satz 3 BUrlG ergibt. Eine entgegenstehende Vereinbarung ist gemäß § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unwirksam, da sie gegen ein gesetzliches Verbot verstößt.
Bei Abschluss eines Aufhebungsvertrages oder eines gerichtlichen Vergleichs in einem Kündigungsschutzprozess wird oft klargestellt, dass der Urlaub des Arbeitnehmers „in natura gewährt“ bzw. genommen wurde.
Mit dieser Klausel soll zugunsten des Arbeitgebers sichergestellt werden, dass der Arbeitnehmer nicht nach Abschluss der Vereinbarung Nachforderungen stellt, insbesondere auf Urlaubsabgeltung.
Vereinbarungen über die bereits erfolgte Urlaubsgewährung sind als Vergleich im Sinne von § 779 BGB zulässig, wenn die Parteien damit eine bestehende Unsicherheit oder einen bestehenden Streit über den Umfang der Urlaubsgewährung beilegen wollen. Denn dann handelt es sich um einen zulässigen Vergleich über tatsächliche Umstände (Tatsachenvergleich).
Eine solche Ungewissheit kann z.B. nach einer längeren Freistellung mit zwischenzeitlichen Krankheitszeiten bestehen, falls über die Krankheitszeiten Streit besteht. Dann ist es sinnvoll, im Rahmen einer Beendigungsvereinbarung zu regeln, dass der Urlaub in Natur gewährt wurde.
Unzulässig ist eine solche Klausel aber dann, wenn ein Streit bzw. eine Unsicherheit über den Umfang der Urlaubsansprüche bzw. der genommenen Urlaubstage tatsächlich gar nicht besteht.
Denn dann läuft die Klausel auf einen gesetzlich unzulässigen Verzicht des Arbeitnehmers auf Urlaubsansprüche hinaus.
Dies hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem aktuellen Urteil klargestellt.
Sachverhalt
Ein seit Anfang 2019 bei einem größeren Unternehmen an fünf Tagen pro Woche tätiger Betriebsleiter hatte neben seinem 20-tägigen Mindesturlaub Anspruch auf weitere zehn Urlaubstage (arbeitsvertraglicher Mehrurlaub).
Anfang 2023 kam es zu einem arbeitsgerichtlichen Prozess zwischen den Parteien und zu einer längeren Erkrankung des Betriebsleiters.
Vor diesem Hintergrund vereinbarten die Parteien Ende März 2023 einen arbeitsgerichtlichen Vergleich, dem zufolge das Arbeitsverhältnis zum 30.04.2023 durch Kündigung des Arbeitgebers enden sollte.
Der Vergleich enthielt eine Klausel, nach der Urlaubsansprüche in natura gewährt sind, sowie eine weitere (Ausgleichs-)Klausel. Nach dieser sollten über die im Vergleich geregelten Ansprüche hinaus weitere Ansprüche aus und in Verbindung mit dem Arbeitsverhältnis, gleich aus welchem Rechtsgrund, nicht mehr gegeneinander bestehen.
Die Anwältin des Betriebsleiters hatte bereits bei den Vergleichsverhandlungen rechtliche Bedenken wegen der Urlaubsklausel geäußert, denn der Betriebsleiter war im Jahr 2023 durchgängig arbeitsunfähig erkrankt und konnte daher keinen Urlaub nehmen. Gleichwohl stimmte sie dem Vergleich letztlich zu.
In einem weiteren Prozess klagte der Ex-Betriebsleiter auf Urlaubsabgeltung für die nicht genommenen gesetzlichen Urlaubstage aus 2023, d.h. gemäß § 5 Abs.1 Buchst. c) BUrlG auf Abgeltung von (20 Urlaubstage : 12 Monate x 4 Monate =) 6,67 Urlaubstagen bzw. von aufgerundet (gemäß § 5 Abs.2 BUrlG) sieben Urlaubstagen.
Das Arbeitsgerichts Siegburg (Urteil vom 16.08.2023, 3 Ca 924/23) und das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln gaben der Klage statt (LAG Köln, Urteil vom 11.04.2024, 7 Sa 516/23). Denn die Urlaubsklausel war im Streitfall als gesetzeswidriger Verzicht auf künftige Urlaubsansprüche gemäß § 13 Abs.1 Satz 3 BUrlG in Verb. mit § 134 BGB unwirksam.
Entscheidung des BAG
Das sah auch das BAG so und wies die Revision des Arbeitgebers zurück. In der derzeit allein vorliegenden Pressemitteilung des BAG heißt es zur Begründung:
Der Anspruch des Klägers auf Urlaubsabgeltung gemäß § 7 Abs.4 BUrlG war nicht durch die streitige Urlaubsklausel erloschen. Die Vereinbarung war gemäß § 134 BGB und § 13 Abs.1 Satz 3 BUrlG unwirksam, da sie einen unzulässigen Ausschluss des gesetzlichen Mindesturlaubs regelte.
Denn weder der Mindesturlaubsanspruch noch ein erst künftig - mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses - entstehender Anspruch auf Abgeltung des Mindesturlaubs dürfen im Voraus ausgeschlossen oder beschränkt werden.
Dies gilt auch, so das BAG, wenn bei Abschluss eines gerichtlichen Beendigungsvergleichs mit Abfindungsregelung schon feststeht, dass der Arbeitnehmer den gesetzlichen Mindesturlaub krankheitsbedingt nicht mehr nehmen kann.
Auch europarechtlich ist dies unzulässig. Denn der vierwöchige Mindesturlaub gemäß Art.7 Abs.1 der Richtlinie 2003/88/EG vom 04.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Richtlinie 2003/88/EG) darf gemäß der ausdrücklichen Regelung in Art.7 Abs.2 Richtlinie 2003/88/EG außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden.
Daher können Arbeitnehmer im bestehenden Arbeitsverhältnis nicht gegen und erst recht nicht ohne finanziellen Ausgleich auf den gesetzlichen Mindesturlaub „verzichten“.
Ergänzend stellt das BAG klar, dass die streitige Urlaubsklausel keinen zulässigen Tatsachenvergleich enthielt. Auf einen solchen wäre das Verzichtsverbot des § 13 Abs.1 Satz 3 BUrlG zwar nicht anzuwenden, doch lagen die Voraussetzungen für einen solchen Tatsachenvergleich hier nicht vor. Es gab nämlich wegen der seit Anfang 2023 durchgehenden Arbeitsunfähigkeit des Klägers keine Unsicherheit darüber, dass er seinen Urlaubsanspruch für 2023 nicht nehmen konnte.
Schließlich lag in der Nachforderung des Klägers auch kein Verstoß gegen Treu und Glauben bzw. gegen § 242 BGB. Der Arbeitgeber durfte nicht auf den Bestand einer offensichtlich rechtswidrigen Regelung vertrauen, so das BAG.
Praxishinweis
Die Entscheidung des BAG ist richtig. Im bestehenden Arbeitsverhältnis können Arbeitnehmer auch durch einen gerichtlichen Vergleich nicht auf ihren Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub verzichten.
Dies gilt auch, wenn ein solcher Verzicht als (scheinbarer) Tatsachenvergleich formuliert wird, dem zufolge Urlaubsansprüche „in natura gewährt“ worden sein sollen, wenn eine solche Regelung offenkundig den Tatsachen widerspricht und zwischen den Parteien daher kein Streit und keine Ungewissheit darüber bestand, dass der Urlaub gerade nicht genommen wurde.
Das Urteil des BAG ist allerdings nicht anzuwenden auf Vereinbarungen, die nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses getroffen werden.
Denn auf einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung, der durch Beendigung des Arbeitsverhältnisses bereits entstanden ist, können Arbeitnehmer nach der Rechtsprechung des BAG verzichten.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 03.06.2025, 9 AZR 104/24 (Pressemitteilung des Gerichts)
Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 11.04.2024, 7 Sa 516/23
Handbuch Arbeitsrecht: Abwicklungsvertrag
Handbuch Arbeitsrecht: Arbeitslosengeld I
Handbuch Arbeitsrecht: Aufhebungsvertrag
Handbuch Arbeitsrecht: Aufhebungsvertrag und Anfechtung, Widerruf
Handbuch Arbeitsrecht: Gebot fairen Verhandelns
Handbuch Arbeitsrecht: Kündigungsschutzklage
Handbuch Arbeitsrecht: Sperrzeit, Sperrfrist
Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:
![]() |
Dr. Martin Hensche Rechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht Kontakt: 030 / 26 39 620 hensche@hensche.de |
![]() |
Christoph Hildebrandt Rechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht Kontakt: 030 / 26 39 620 hildebrandt@hensche.de |
![]() |
Nina Wesemann Rechtsanwältin Fachanwältin für Arbeitsrecht Kontakt: 040 / 69 20 68 04 wesemann@hensche.de |