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BAG, Ur­teil vom 25.04.2013, 8 AZR 287/08

   
Schlagworte: Diskriminierung: Beweislast, Diskriminierung: Alter, Diskriminierung: Geschlecht
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 8 AZR 287/08
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 25.04.2013
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 11.4.2007 - 12 Ca 512/06
Landesarbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 9.11.2007 - H 3 Sa 102/07
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


8 AZR 287/08
H 3 Sa 102/07
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Ham­burg

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

25. April 2013

UR­TEIL

Förs­ter, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläge­rin, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Ach­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 25. April 2013 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Hauck, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Böck und Brein­lin­ger so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Burr und Rei­ners für Recht er­kannt:
 


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Die Re­vi­si­on der Kläge­rin ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ham­burg vom 9. No­vem­ber 2007 - H 3 Sa 102/07 - wird zurück­ge­wie­sen.

Die Kläge­rin hat die Kos­ten der Re­vi­si­on zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Kläge­rin be­gehrt von der Be­klag­ten die Zah­lung ei­ner Entschädi­gung we­gen ei­ner Be­nach­tei­li­gung bei ei­ner Stel­len­be­wer­bung und ver­langt Aus­kunft über die von der Be­klag­ten ein­ge­stell­te Per­son.


Die am 7. Sep­tem­ber 1961 im heu­ti­gen Russ­land ge­bo­re­ne Kläge­rin ab­sol­vier­te dort ein Stu­di­um und schloss die­ses mit der Qua­li­fi­ka­ti­on ei­ner Sys­tem­tech­nik-In­ge­nieu­rin ab. Ihr wur­de durch das Land Schles­wig-Hol­stein die Gleich­wer­tig­keit die­ses Stu­di­ums mit ei­nem an ei­ner Fach­hoch­schu­le in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land durch Di­plom­prüfung ab­ge­schlos­se­nen Stu­di­um der Fach­rich­tung In­for­ma­tik be­schei­nigt.

Mit ei­ner Stel­len­an­zei­ge hat die Be­klag­te „ei­ne/n er­fah­re­ne/n Soft­ware­ent­wick­ler/-in“ ge­sucht. Die Kläge­rin be­warb sich am 5. Ok­to­ber 2006 bei der Be­klag­ten. In ih­rem Be­wer­bungs­schrei­ben führ­te sie ua. aus:


„Ich bemühe mich um Er­hal­tung bzw. Ent­wick­lung mei­ner Qua­li­fi­ka­ti­on. Mit die­sem Zweck ha­be ich zu Hau­se Ar­beits­platz ein­ge­rich­tet und ler­ne jetzt Vi­su­al C++.NET, Vi­su­al C#.NET, In­ter­net­pro­gram­mie­rung mit ASP.NET.“


Am 11. Ok­to­ber 2006 er­hielt die Kläge­rin fol­gen­de Ab­sa­ge von der Be­klag­ten:


„Sehr ge­ehr­te Frau M,

vie­len Dank für Ih­re Be­wer­bung und Ihr In­ter­es­se. Die Aus­wahl auf­grund der Viel­zahl der Be­wer­bun­gen viel (rich­tig wohl: fiel) nicht leicht. Lei­der sind Sie nicht in die en­ge­re Aus­wahl ge­kom­men. Beim nächs­ten Mal wer­den

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Sie be­stimmt das klei­ne Quent­chen mehr Glück ha­ben. Wir drücken Ih­nen für Ih­re wei­te­re be­ruf­li­che Neu­ori­en­tie­rung ganz fest die Dau­men und wünschen Ih­nen al­les Gu­te.


Mit freund­li­chen Grüßen“

Auf die wei­ter­hin im In­ter­net veröffent­lich­te Stel­len­an­zei­ge der Be­klag­ten mit glei­chem In­halt be­warb sich die Kläge­rin am 19. Ok­to­ber 2006 er­neut mit fol­gen­dem Schrei­ben:


„Sehr ge­ehr­te Frau B!

Auf­grund, dass Sie am nächs­ten Tag, nach­dem Sie mir Ab­sa­ge ge­sen­det ha­ben, die glei­che Stel­len­an­zei­ge wie­der veröffent­licht ha­ben, be­wer­be ich mich noch­mals.

Of­fen­bar ha­ben Sie doch nie­man­den, Ih­ren Wünschen pas­sen­den, ge­fun­den.

Über­le­gen Sie sich doch, ob Ih­re Ab­sa­ge an mich nicht zu ei­lig und unüber­legt war. Ich bin über­zeugt, dass es ge­nau so ist. Ich pas­se Ih­nen sehr gut. Ers­tens, weil ich gu­te Er­fah­rung mit OOP mit MS C++6.0 ha­be. Wei­ter­hin, weil ich pri­va­te Er­fah­rung mit C#.NET ha­be. Grundsätz­lich ist Über­gang von C++6.0 auf C#.NET = C#7.0 (MS Vi­su­al Stu­dio.NET ist nichts an­de­res als MS Vi­su­al Stu­dio 7.0, d.h. ge­nau nächs­te Stu­fe nach der 6. Ver­si­on) am leich­tes­ten).

Ei­nen Soft­ware­ent­wick­ler mit Er­fah­rung im Be­rufs­um­feld mit C# können Sie ob­jek­tiv nicht fin­den. MS Vi­su­al Stu­dio.Net ein­schliess­lich C# wur­de in 2002 in Deutsch­land erst ein­geführt. Kei­ne Fir­ma, die ei­ge­ne mit an­de­ren Werk­zeu­gen ent­wi­ckel­te Soft­ware am Markt hat­te, hat so­fort zu .NET über­g­an­gen. Erst jetzt, viel­leicht, schrei­ben Fir­men (si­cher­lich ganz we­ni­ge!) ih­re Soft­ware auf .NET um. Und auch neue Fir­men be­gin­nen so­fort von .NET. So be­gin­nen er­fah­re­ne .NET-Soft­ware­ent­wick­ler erst ent­ste­hen! Sie müssen ja noch ih­ren Ar­beits­platz in der ganz we­ni­gen Fir­men, die .NET be­nut­zen, ver­lie­ren, um sich dann bei Ih­nen zu be­wer­ben!
Ich ha­be gros­sen Vor­teil, weil ich seit An­fang an, 2002, die .NET-Um­ge­bung pri­vat be­sit­ze und da­mit ar­bei­te. Ob noch so ei­ne Per­son gibt, die sich bei Ih­nen be­wirbt? Ich be­zwei­fe­le das stark!
 


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Ich pas­se für die von Ih­nen aus­ge­schrie­be­ne Po­si­ti­on sehr gut. Über­le­gen Sie sich noch­mals.

Mit freund­li­chen Grüssen M“

Dar­auf­hin er­hielt die Kläge­rin mit Schrei­ben vom 20. Ok­to­ber 2006 er­neut ei­ne Ab­sa­ge durch die Be­klag­te. In die­sem heißt es:

„Sehr ge­ehr­te Frau M,

un­se­re Ab­sa­ge war we­der vor­ei­lig noch unüber­legt. Wir ha­ben ei­ne Aus­wahl an Be­wer­bern ge­trof­fen, die wir zum Vor­stel­lungs­gespräch ein­la­den. Aus die­sem Kreis wer­den wir ei­ne Aus­wahl tref­fen. Die Stel­len­an­zei­ge ist von uns nicht wie­der veröffent­licht wor­den. Wir ha­ben ei­ne Lauf­zeit von 3 Mo­na­ten ein­ge­kauft, als wir die­se ge­schal­tet ha­ben.

Vie­len Dank noch­mals für Ih­re In­ter­es­se. Wir wünschen Ih­nen für Ih­re wei­te­re Su­che al­les Gu­te und viel Er­folg!

Mit freund­li­chen Grüßen“

Die Kläge­rin ver­langt von der Be­klag­ten ei­ne Entschädi­gung we­gen ge­setz­wid­ri­ger Be­nach­tei­li­gung in Höhe von sechs Mo­nats­gehältern á 3.000,00 Eu­ro. Sie macht gel­tend, ob­wohl sie den An­for­de­run­gen der Be­klag­ten ide­al ent­spre­che und es Be­wer­ber mit bes­se­ren als ih­ren fach­li­chen Kennt­nis­sen in dem von der Be­klag­ten gewünsch­ten Be­reich ob­jek­tiv kaum ge­ben könne, sei sie nicht zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ein­ge­la­den wor­den. Of­fen­bar ha­be die Be­klag­te Vor­ur­tei­le we­gen ih­res Ge­schlechts, ih­rer Her­kunft und ih­res Al­ters. Die Kläge­rin ver­langt von der Be­klag­ten, die Be­wer­bungs­un­ter­la­gen des auf­grund der Stel­len­an­zei­ge ein­ge­stell­ten Be­wer­bers vor­zu­le­gen. Sie meint, dies sei zur Sach­ver­halts­aufklärung er­for­der­lich. Es sei aus­rei­chend, wenn ein ab­ge­lehn­ter Be­wer­ber dem Ge­richt dar­le­ge, er ent­spre­che dem An­for­de­rungs­pro­fil. Die Vor­la­ge der Be­wer­bungs­un­ter­la­gen des aus­gewähl­ten Be­wer­bers hätte ver­an­schau­licht, dass die­ser nicht bes­ser qua­li­fi­ziert sei als sie. Aus den all­ge­mei­nen Sta­tis­ti­ken in der IT-Bran­che er­ge­be sich, dass dort über­wie­gend Männer ar­bei­te­ten.
 


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Die Kläge­rin hat be­an­tragt, 


die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an sie 18.000,00 Eu­ro nebst Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit Rechtshängig­keit zu zah­len.


Die Be­klag­te hat Kla­ge­ab­wei­sung be­an­tragt. Sie hält die Kla­ge für nicht schlüssig be­gründet, weil die Kläge­rin kei­ne aus­rei­chen­den Tat­sa­chen für die Ver­mu­tung ei­ner Dis­kri­mi­nie­rung vor­ge­tra­gen ha­be. Die Stel­len­an­zei­ge sei nach der ers­ten Ab­sa­ge an die Kläge­rin nicht er­neut ge­schal­tet wor­den. Viel­mehr sei ei­ne länger­fris­ti­ge An­zei­gen­schal­tung ge­bucht ge­we­sen. Es be­ste­he auch kein An­spruch der Kläge­rin auf Aus­kunft darüber, wel­che Per­so­nal­ent­schei­dung und ggf. aus wel­chen Gründen die Be­klag­te auf­grund der Stel­len­aus­schrei­bung ge­trof­fen ha­be.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Die Be­ru­fung der Kläge­rin hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­ge­wie­sen und die Re­vi­si­on zu­ge­las­sen. Das Be­ru­fungs­ur­teil ist dem da­ma­li­gen Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten der Kläge­rin am 30. No­vem­ber 2007 zu­ge­stellt wor­den. Mit Schrift­satz vom 7. De­zem­ber 2007, beim Bun­des­ar­beits­ge­richt am 10. De­zem­ber 2007 ein­ge­gan­gen, hat die Kläge­rin für die ein­zu­le­gen­de Re­vi­si­on Pro­zess­kos­ten­hil­fe un­ter Bei­ord­nung ei­nes Rechts­an­walts be­an­tragt. Mit Be­schluss vom 1. April 2008 hat der Se­nat der Kläge­rin Pro­zess­kos­ten­hil­fe un­ter Bei­ord­nung von Rechts­an­walt Dr. Be zur Wahr­neh­mung ih­rer Rech­te be­wil­ligt. Die­ser Be­schluss ist der Kläge­rin am 3. April 2008 zu­ge­stellt wor­den. Rechts­an­walt Dr. Be ist der Be­schluss am 7. April 2008 zu­ge­gan­gen. Mit Schrift­satz vom 17. April 2008, beim Bun­des­ar­beits­ge­richt am sel­ben Ta­ge ein­ge­gan­gen, hat die Kläge­rin Wie­der­ein­set­zung in den vo­ri­gen Stand be­an­tragt, Re­vi­si­on ein­ge­legt und die­se be­gründet. Sie ver­folgt mit ih­rer Re­vi­si­on ihr Kla­ge­ziel wei­ter, während die Be­klag­te die Zurück­wei­sung der Re­vi­si­on be­an­tragt.
 


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Mit Be­schluss vom 20. Mai 2010 - 8 AZR 287/08 (A) - (AP AGG § 22 Nr. 1 = EzA AGG § 22 Nr. 1) hat der Se­nat das Ver­fah­ren aus­ge­setzt und dem Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on gemäß Art. 267 des Ver­tra­ges über die Ar­beits­wei­se der Eu­ropäischen Uni­on idF der Be­kannt­ma­chung vom 9. Mai 2008 fol­gen­de Fra­gen vor­ge­legt:

„1. Sind Art. 19 Abs. 1 der Richt­li­nie 2006/54/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 5. Ju­li 2006 zur Ver­wirk­li­chung des Grund­sat­zes der Chan­cen­gleich­heit und Gleich­be­hand­lung von Männern und Frau­en in Ar­beits- und Beschäfti­gungs­fra­gen (Neu­fas­sung) und Art. 8 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/43/EG des Ra­tes vom 29. Ju­ni 2000 zur An­wen­dung des Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes oh­ne Un­ter­schied der Ras­se oder der eth­ni­schen Her­kunft und Art. 10 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27. No­vem­ber 2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf da­hin­ge­hend aus­zu­le­gen, dass ei­nem Ar­beit­neh­mer, der dar­legt, dass er die Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne von ei­nem Ar­beit­ge­ber aus­ge­schrie­be­ne Stel­le erfüllt, im Fal­le sei­ner Nicht­berück­sich­ti­gung ein An­spruch ge­gen den Ar­beit­ge­ber auf Aus­kunft ein­geräumt wer­den muss, ob die­ser ei­nen an­de­ren Be­wer­ber ein­ge­stellt hat und wenn ja, auf­grund wel­cher Kri­te­ri­en die­se Ein­stel­lung er­folgt ist?


2. Falls die ers­te Fra­ge be­jaht wird:

Ist der Um­stand, dass der Ar­beit­ge­ber die ge­for­der­te Aus­kunft nicht er­teilt, ei­ne Tat­sa­che, wel­che das Vor­lie­gen der vom Ar­beit­neh­mer be­haup­te­ten Dis­kri­mi­nie­rung ver­mu­ten lässt?“


Mit Ur­teil vom 19. April 2012 (- C-415/10 - AP Richt­li­nie 2000/78/EG Nr. 24 = EzA AGG § 22 Nr. 5) hat der Ge­richts­hof ent­schie­den:


„Art. 8 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/43/EG des Ra­tes vom 29. Ju­ni 2000 zur An­wen­dung des Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes oh­ne Un­ter­schied der Ras­se oder der eth­ni­schen Her­kunft, Art. 10 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27. No­vem­ber 2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf und Art. 19 Abs. 1 der Richt­li­nie 2006/54/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 5. Ju­li 2006 zur Ver­wirk­li­chung des
 


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Grund­sat­zes der Chan­cen­gleich­heit und Gleich­be­hand­lung von Männern und Frau­en in Ar­beits- und Beschäfti­gungs­fra­gen sind da­hin ge­hend aus­zu­le­gen, dass sie für ei­nen Ar­beit­neh­mer, der schlüssig dar­legt, dass er die in ei­ner Stel­len­aus­schrei­bung ge­nann­ten Vor­aus­set­zun­gen erfüllt, und des­sen Be­wer­bung nicht berück­sich­tigt wur­de, kei­nen An­spruch auf Aus­kunft darüber vor­se­hen, ob der Ar­beit­ge­ber am En­de des Ein­stel­lungs­ver­fah­rens ei­nen an­de­ren Be­wer­ber ein­ge­stellt hat.


Es kann je­doch nicht aus­ge­schlos­sen wer­den, dass die Ver­wei­ge­rung je­des Zu­gangs zu In­for­ma­tio­nen durch ei­nen Be­klag­ten ein Ge­sichts­punkt sein kann, der im Rah­men des Nach­wei­ses von Tat­sa­chen, die das Vor­lie­gen ei­ner un­mit­tel­ba­ren oder mit­tel­ba­ren Dis­kri­mi­nie­rung ver­mu­ten las­sen, her­an­zu­zie­hen ist. Es ist Sa­che des vor­le­gen­den Ge­richts, un­ter Berück­sich­ti­gung al­ler Um-stände des bei ihm anhängi­gen Rechts­streits zu prüfen, ob dies im Aus­gangs­ver­fah­ren der Fall ist.“


Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on der Kläge­rin ist nicht be­gründet. Sie hat kei­nen Entschädi­gungs­an­spruch ge­gen die Be­klag­te.

A. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat sei­ne kla­ge­ab­wei­sen­de Ent­schei­dung im We­sent­li­chen wie folgt be­gründet: Vor­aus­set­zung für ei­nen Entschädi­gungs­an­spruch nach § 15 Abs. 2 AGG sei, dass der Ar­beit­ge­ber ge­gen das sich aus § 7 Abs. 1 iVm. § 1 AGG er­ge­ben­de Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot ver­s­toßen ha­be. Die Dar­le­gungs- und Be­weis­last für das Vor­lie­gen von In­di­zi­en, die ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des ver­mu­ten ließen, tra­ge gemäß § 22 AGG die­je­ni­ge Par­tei, wel­che sich auf ei­ne sol­che Be­nach­tei­li­gung be­ru­fe. Die Kläge­rin ha­be In­di­zi­en, wel­che ei­ne un­zulässi­ge Be­nach­tei­li­gung ver­mu­ten ließen, we­der schlüssig dar­ge­legt noch un­ter Be­weis ge­stellt. We­der in den Stel­len­aus­schrei­bun­gen noch in den Ab­sa­ge­schrei­ben der Be­klag­ten sei­en An­halts­punk­te ent­hal­ten, aus de­nen sich ei­ne Wahr­schein­lich­keit für ei­ne Be­nach­tei­li­gung der Kläge­rin er­ge­ben könn­te. Es be­ste­he kein Er­fah­rungs­satz, dass ein Be­wer­ber mit den Merk­ma­len „über 45 Jah­re al­te Frau nicht­deut­scher
 


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Her­kunft“ nicht zu ei­nem Be­wer­bungs­gespräch ein­ge­la­den wer­de. Dies gel­te auch, wenn da­von aus­ge­gan­gen wer­de, dass die Kläge­rin die für die Stel­le er­for­der­li­che Qua­li­fi­ka­ti­on auf­wei­se. Die Ent­schei­dung des Ar­beit­ge­bers, wel­che Be­wer­be­rin oder wel­chen Be­wer­ber er zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ein­la­de, hänge nämlich nicht nur da­von ab, ob die in ei­ner Stel­len­aus­schrei­bung ge­nann­ten Qua­li­fi­ka­tio­nen beim Be­wer­ber vorlägen. Maßge­bend sei viel­mehr auch, wie vie­le ge­eig­ne­te Be­wer­ber vor­han­den sei­en, wel­che die­ser Be­wer­ber mögli­cher­wei­se über zusätz­li­che Qua­li­fi­ka­tio­nen verfügten und wie der Ar­beit­ge­ber die Qua­li­fi­ka­tio­nen an­hand der vor­lie­gen­den Be­wer­bungs­un­ter­la­gen einschätze. Die Be­haup­tung der Kläge­rin, es ge­be kei­nen ge­eig­ne­te­ren Be­wer­ber als sie, sei „ins Blaue“ hin­ein er­folgt. Die Ver­wen­dung des Wor­tes „Neu­ori­en­tie­rung“ in dem Schrei­ben der Be­klag­ten vom 11. Ok­to­ber 2006 ent­hal­te kei­nen Be­zug zu den Merk­ma­len des § 1 AGG. Es ge­be auch kei­nen all­ge­mei­nen An­spruch des Be­wer­bers, zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ein­ge­la­den zu wer­den. Der Kläge­rin kom­me kei­ne Be­wei­ser­leich­te­rung im Sin­ne ei­nes Aus­kunfts­an­spru­ches ge­gen die Be­klag­te zu. Da­her könne da­hin­ste­hen, ob ein sol­cher durch ge­son­der­te Kla­ge hätte gel­tend ge­macht wer­den müssen oder ob sich aus ei­nem sol­chen le­dig­lich ei­ne ab­ge­stuf­te Dar­le­gungs- und Be­weis­last im Rah­men ei­ner Entschädi­gungs­kla­ge nach § 15 AGG er­ge­be. Ein Aus­kunfts­an­spruch, wel­cher den Ar­beit­ge­ber ver­pflich­te, ab­ge­lehn­ten Stel­len­be­wer­bern Aus­kunft über die Per­son des­je­ni­gen zu er­tei­len, der ein­ge­stellt wor­den sei, be­ste­he nicht. Ein Aus­kunfts­an­spruch sei auch nicht un­ter Berück­sich­ti­gung der Vor­ga­ben des eu­ropäischen Rechts zu be­ja­hen.


B. Das Be­ru­fungs­ur­teil hält ei­ner re­vi­si­ons­recht­li­chen Über­prüfung stand. 


I. Die Re­vi­si­on ist zulässig. 


1. Die Kläge­rin hat die Fris­ten für die Ein­le­gung und Be­gründung der Re­vi­si­on (§ 74 Abs. 1 Satz 1 ArbGG) versäumt. Auf­grund der Zu­stel­lung des Be­ru­fungs­ur­teils am 30. No­vem­ber 2007 an die Kläge­rin lief die Frist für die Ein­le­gung der Re­vi­si­on (Not­frist, § 548 ZPO, § 72 Abs. 5 ArbGG) am Mon­tag, dem 31. De­zem­ber 2007 und die Frist für die Be­gründung der Re­vi­si­on am 30. Ja­nu­ar 2008 ab (§ 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2, § 193 BGB). Die Re­vi­si­on und
 


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de­ren Be­gründung sind am 17. April 2008 - und da­mit ver­spätet - beim Bun­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­gen.


2. Der Kläge­rin war auf ih­ren An­trag we­gen Versäum­ung der Fris­ten Wie­der­ein­set­zung in den vo­ri­gen Stand zu gewähren (§ 233 ZPO).


Nach § 233 Abs. 1 ZPO ist ei­ner Par­tei, die oh­ne ihr Ver­schul­den oder ein ihr zu­zu­rech­nen­des Ver­schul­den ih­res Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten (§ 85 Abs. 2 ZPO) ver­hin­dert war, die Frist zur Ein­le­gung und/oder zur Be­gründung der Re­vi­si­on ein­zu­hal­ten, auf An­trag Wie­der­ein­set­zung in den vo­ri­gen Stand zu gewähren. Die Wie­der­ein­set­zung in die versäum­te Re­vi­si­ons­frist (Not­frist) muss nach § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO in­ner­halb von zwei Wo­chen und die in die versäum­te Re­vi­si­ons­be­gründungs­frist in­ner­halb ei­nes Mo­nats (§ 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO) be­an­tragt wer­den. Die An­trags­frist be­ginnt nach § 234 Abs. 2 ZPO mit dem Tag, an wel­chem das Hin­der­nis be­ho­ben ist. In­ner­halb der An­trags­frist ist die versäum­te Pro­zess­hand­lung nach­zu­ho­len (§ 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO).


Als un­ver­schul­de­te Ver­hin­de­rung ist die Bedürf­tig­keit der Par­tei an­zu­se­hen, wenn die Par­tei in­ner­halb der Not­frist ei­nen vollständi­gen Pro­zess­kos­ten­hil­fe­an­trag stellt so­wie al­le für die Be­wil­li­gung von Pro­zess­kos­ten­hil­fe er­for­der­li­chen Un­ter­la­gen und das an­zu­fech­ten­de Ur­teil dem zuständi­gen Ge­richt vor­legt (BAG 15. Ju­li 2004 - 2 AZR 376/03 - zu A der Gründe mwN, BA­GE 111, 229 = AP KSchG § 1 So­zia­le Aus­wahl Nr. 68 = EzA KSchG § 1 So­zia­le Aus­wahl Nr. 54). Das Hin­der­nis ist be­ho­ben, so­bald der bedürf­ti­gen Par­tei Pro­zess­kos­ten­hil­fe un­ter Bei­ord­nung ei­nes Rechts­an­walts be­wil­ligt und der Pro­zess­kos­ten­hil­fe­be­schluss mit­ge­teilt wor­den ist (Zöller/Gre­ger ZPO 29. Aufl. § 234 Rn. 7). Am 10. De­zem­ber 2007 und da­mit in­ner­halb der Re­vi­si­ons­frist ist beim Bun­des­ar­beits­ge­richt der An­trag der Kläge­rin auf Be­wil­li­gung von Pro­zess­kos­ten­hil­fe ein­sch­ließlich der An­la­gen zu ih­ren persönli­chen und wirt­schaft­li­chen Verhält­nis­sen und ei­ner Ab­schrift des Be­ru­fungs­ur­teils ein­ge­gan­gen. Nach Zu­stel­lung des Pro­zess­kos­ten­hil­fe gewähren­den Be­schlus­ses vom 1. April 2008 am 3. April 2008 an die Kläge­rin hat de­ren Pro­zess­be­vollmäch­tig­ter mit Schrift­satz vom 17. April 2008, am sel­ben Ta­ge beim Bun­des­ar­beits­ge-
 


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richt ein­ge­gan­gen, frist- und form­ge­recht Wie­der­ein­set­zung in die versäum­ten Fris­ten be­an­tragt und zu­gleich Re­vi­si­on ein­ge­legt und die­se be­gründet.


3. So­weit die Kläge­rin mit Schrift­satz vom 7. Ja­nu­ar 2010 er­neut Wie­der­ein­set­zung in die versäum­te Re­vi­si­ons­be­gründungs­frist für die zwei­te Re­vi­si­ons­be­gründung vom sel­ben Ta­ge be­an­tragt hat, ist der Wie­der­ein­set­zungs­an­trag al­lein schon des­halb un­zulässig, weil die­ser über ein Jahr nach Ab­lauf der Re­vi­si­ons­be­gründungs­frist (30. Ja­nu­ar 2008) ge­stellt wor­den ist (§ 234 Abs. 3 ZPO).


Da­mit sind die mit die­ser zwei­ten Re­vi­si­ons­be­gründung vom 7. Ja­nu­ar 2010 gel­tend ge­mach­ten Ver­fah­rensrügen der Kläge­rin nicht zum Ge­gen­stand der re­vi­si­ons­recht­li­chen Über­prüfung des Be­ru­fungs­ur­teils ge­wor­den.


II. Die Re­vi­si­on ist un­be­gründet. 


1. Streit­ge­gen­stand so­wohl der Tat­sa­chen­in­stan­zen als auch des Re­vi­si­ons­ver­fah­rens ist aus­sch­ließlich ein Entschädi­gungs­an­spruch. So­weit die Kläge­rin erst- und zweit­in­stanz­lich be­an­tragt hat­te, der Be­klag­ten auf­zu­ge­ben, die Be­wer­bungs­un­ter­la­gen des an Stel­le der Kläge­rin ein­ge­stell­ten Be­wer­bers vor­zu­le­gen, han­del­te es sich we­der um die Er­he­bung ei­ner Stu­fen­kla­ge gemäß § 254 ZPO noch um ei­ne ob­jek­ti­ve Kla­gehäufung iSd. § 260 ZPO. Die Kläge­rin hat mit ih­rem An­trag nicht ein ei­genständi­ges Kla­ge­be­geh­ren ver­folgt, son­dern le­dig­lich ei­nen das Ver­fah­ren be­tref­fen­den An­trag ge­stellt. Dies er­gibt die Aus­le­gung ih­res Kla­ge­vor­brin­gens. So wur­de ins­be­son­de­re der auf Vor­la­ge von Un­ter­la­gen ge­rich­te­te An­trag nicht als Sach­an­trag in der Wei­se ge­stellt, dass zunächst nur über die­sen An­trag im strei­ti­gen Ver­fah­ren ent­schie­den wer­den soll­te und der Zah­lungs­an­trag von dem Be­ste­hen des An­spru­ches auf Vor­la­ge der Un­ter­la­gen abhängig ge­macht wer­den soll­te (Stu­fen­kla­ge). Zur Be­gründung ih­res An­tra­ges hat die Kläge­rin fer­ner aus­sch­ließlich gel­tend ge­macht, dass die­ser zur Aufklärung der An­spruchs­vor­aus­set­zun­gen des kla­ge­wei­se gel­tend ge­mach­ten Entschädi­gungs­an­spru­ches die­nen soll­te.


2. Der Kläge­rin steht kein Entschädi­gungs­an­spruch nach § 15 Abs. 2 AGG zu.
 


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a) Die Vor­schrif­ten des All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­set­zes (AGG) sind vor­lie­gend an­wend­bar, da sich die Kläge­rin im Ok­to­ber 2006 bei der Be­klag­ten er­folg­los be­wor­ben hat­te.


Für Be­nach­tei­li­gun­gen we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des, die zeit­lich nach dem In­kraft­tre­ten des AGG am 18. Au­gust 2006 be­gan­gen wur­den, gel­ten die §§ 1 bis 18 AGG oh­ne Ein­schränkung (vgl. § 33 AGG) (BAG 22. Ja­nu­ar 2009 - 8 AZR 906/07 - Rn. 25, BA­GE 129, 181 = AP AGG § 15 Nr. 1 = EzA AGG § 15 Nr. 1).


b) Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG kann der oder die Beschäftig­te we­gen ei­nes Scha­dens, der nicht Vermögens­scha­den ist, ei­ne an­ge­mes­se­ne Entschädi­gung in Geld ver­lan­gen. Vor­aus­set­zung für den Entschädi­gungs­an­spruch ist ein Ver­s­toß ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot des § 7 Abs. 1 AGG. Dies wird zwar in § 15 Abs. 2 AGG nicht aus­drück­lich be­nannt, er­gibt sich aber aus dem Ge­samt­zu­sam­men­hang der Be­stim­mun­gen in § 15 AGG (BAG 22. Ja­nu­ar 2009 - 8 AZR 906/07 - Rn. 28, BA­GE 129, 181 = AP AGG § 15 Nr. 1 = EzA AGG § 15 Nr. 1).

Nach die­ser Vor­schrift kann der Ar­beit­ge­ber in An­spruch ge­nom­men wer­den. Ar­beit­ge­ber sind natürli­che und ju­ris­ti­sche Per­so­nen so­wie rechtsfähi­ge Per­so­nen­ge­sell­schaf­ten, die Per­so­nen nach § 6 Abs. 1 AGG (= Beschäftig­te) beschäfti­gen (§ 6 Abs. 2 Satz 1 AGG). Als Beschäftig­te iSd. AGG gel­ten auch die Be­wer­be­rin­nen und Be­wer­ber für ein Beschäfti­gungs­verhält­nis (§ 6 Abs. 1 Satz 2 AGG). Die Kläge­rin hat­te sich auf ei­ne von der Be­klag­ten aus­ge­schrie­be­ne Stel­le für ein Beschäfti­gungs­verhält­nis be­wor­ben. Der Be­griff „Be­wer­be­rin­nen und Be­wer­ber“ iSd. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG setzt außer dem for­ma­len Er­for­der­nis ei­ner Be­wer­bung we­der das Vor­lie­gen ei­ner sub­jek­ti­ven Ernst­haf­tig­keit der Be­wer­bung noch die ob­jek­ti­ve Eig­nung für die in Aus­sicht ge­nom­me­ne Stel­le vor­aus (BAG 16. Fe­bru­ar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 24, AP AGG § 22 Nr. 4 = EzA AGG § 15 Nr. 17).


c) Die Kläge­rin hat nicht schlüssig dar­ge­legt, dass die Be­klag­te ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot nach § 7 Abs. 1 AGG ver­s­toßen hat.
 


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aa) Sie macht ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung iSd. § 3 Abs. 1 AGG gel­tend. Ei­ne sol­che liegt vor, wenn ei­ne Per­son we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung erfährt, als ei­ne an­de­re Per­son in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on erfährt, er­fah­ren hat oder er­fah­ren würde.


Zwar hat die Kläge­rin in aus­rei­chen­der Wei­se vor­ge­tra­gen, dass sie durch die Be­klag­te in Be­zug auf den Zu­gang zu ei­ner un­selbständi­gen Er­werbstätig­keit (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG) ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung er­fah­ren hat als ei­ne an­de­re Per­son in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on. Die Kläge­rin war nämlich trotz ih­rer zwei­ma­li­gen Be­wer­bung auf die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le als „Soft­ware­ent­wick­ler/-in“ nicht zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ein­ge­la­den wor­den. An­de­re Per­so­nen sind - wie sich aus dem Schrei­ben der Be­klag­ten vom 20. Ok­to­ber 2006 er­gibt - zu ei­nem sol­chen ge­la­den wor­den. Be­reits die Ab­leh­nung, die Kläge­rin zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ein­zu­la­den, stellt ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung iSd. § 3 Abs. 1 AGG dar, weil ihr da­mit die Chan­ce auf Ein­stel­lung ver­sagt wor­den ist (vgl. BAG 7. April 2011 - 8 AZR 679/09 - Rn. 35, AP AGG § 15 Nr. 6 = EzA AGG § 15 Nr. 13).


bb) Die Kläge­rin hat nicht in aus­rei­chen­der Wei­se dar­ge­legt, dass sie die we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung we­gen ei­nes der in § 1 AGG ge­nann­ten Gründe er­fah­ren hat.


Da die we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des er­fol­gen muss, ist ein Kau­sal­zu­sam­men­hang er­for­der­lich. Die­ser ist be­reits dann ge­ge­ben, wenn die Be­nach­tei­li­gung an ei­nen in § 1 AGG ge­nann­ten oder meh­re­re in § 1 AGG ge­nann­te Gründe an­knüpft und da­durch mo­ti­viert ist (BT-Drucks. 16/1780 S. 32). Aus­rei­chend ist fer­ner, dass ein in § 1 AGG ge­nann­ter Grund Be­stand­teil ei­nes Mo­tivbündels ist, das die Ent­schei­dung be­ein­flusst hat. Da­ge­gen setzt ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­der ein schuld­haf­tes Han­deln noch ei­ne Be­nach­tei­li­gungs­ab­sicht vor­aus (BAG 27. Ja­nu­ar 2011 - 8 AZR 580/09 - Rn. 28, AP AGG § 22 Nr. 3 = EzA AGG § 22 Nr. 3).


d) So­wohl nach dem deut­schen Zi­vil­pro­zess­recht ein­sch­ließlich des ar­beits­ge­richt­li­chen Ur­teils­ver­fah­rens als auch nach dem Verständ­nis des

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eu­ropäischen Rechts trägt der­je­ni­ge, der ein Recht für sich in An­spruch nimmt, die Be­weis­last für die an­spruchs­be­gründen­den Tat­sa­chen. Die Dar­le­gungs­last ent­spricht da­bei grundsätz­lich der Be­weis­last, dh. der­je­ni­ge, dem die Be­weis­last ob­liegt, muss zunächst die an­spruchs­be­gründen­den Tat­sa­chen dar­le­gen. Zu die­sen gehört bei der Gel­tend­ma­chung ei­nes An­spru­ches auf Zah­lung ei­ner Entschädi­gung we­gen Ver­s­toßes ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot auch die Tat­sa­che, dass die ungüns­ti­ge­re Be­hand­lung we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des er­folgt ist.


Der im ar­beits­ge­richt­li­chen Ur­teils­ver­fah­ren gel­ten­de Bei­brin­gungs­grund­satz ver­langt ei­nen schlüssi­gen Tat­sa­chen­vor­trag der Par­tei­en. Für ei­nen sol­chen genügt es nicht, wenn ei­ne Par­tei le­dig­lich Mut­maßun­gen auf­stellt. Un­zulässig ist es grundsätz­lich, wenn ei­ne Par­tei ei­ne Be­haup­tung le­dig­lich „ins Blaue hin­ein“ auf­stellt, oh­ne dass sie tatsächli­che An­halts­punk­te für ih­re Be­haup­tung dar­legt (BAG 20. Mai 2010 - 8 AZR 287/08 (A) - Rn. 15, AP AGG § 22 Nr. 1 = EzA AGG § 22 Nr. 1). Hin­sicht­lich der in­ne­ren Tat­sa­che, nämlich der Kau­sa­lität zwi­schen Nach­teil und ei­nem oder meh­re­ren der in § 1 AGG ge­nann­ten Gründe, hat der Ge­setz­ge­ber in § 22 AGG ei­ne Be­weis­last­re­ge­lung ge­trof­fen, wel­che sich auch auf die Dar­le­gungs­last aus­wirkt. Der Ge­setz­ge­ber woll­te mit die­ser Vor­schrift ua. Art. 8 der Richt­li­nie 2000/43/EG und Art. 10 der Richt­li­nie 2000/78/EG um­set­zen (vgl. BAG 20. Mai 2010 - 8 AZR 287/08 (A) - aaO und BT-Drucks. 16/1780 S. 47). In § 22 AGG ist be­stimmt, dass dann, wenn im Streit­fal­le die ei­ne Par­tei In­di­zi­en be­weist, die ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des ver­mu­ten las­sen, die an­de­re Par­tei die Be­weis­last dafür trägt, dass kein Ver­s­toß ge­gen die Be­stim­mun­gen zum Schutz vor Be­nach­tei­li­gung vor­ge­le­gen hat.
 

Aus § 22 AGG folgt, dass es wei­ter­hin nicht aus­rei­chend für ein schlüssi­ges Kla­ge­vor­brin­gen ist, wenn die­je­ni­ge Par­tei, wel­che sich auf ei­ne Be­nach­tei­li­gung be­ruft, im Pro­zess le­dig­lich vorträgt, sie erfülle ein Merk­mal gemäß § 1 AGG und we­gen die­ses Merk­mals ha­be sie ei­ne ungüns­ti­ge­re Be­hand­lung als ei­ne an­de­re Per­son er­fah­ren (vgl. auch Bau­er/Göpfert/Krie­ger AGG 3. Aufl. § 22 Rn. 10; Däubler/Bertz­bach - Bertz­bach 2. Aufl. § 22 Rn. 30; MüKoBGB/ Thüsing 6. Aufl. § 22 AGG Rn. 8; Mei­nel/Heyn/Herms AGG 2. Aufl. § 22
 


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Rn. 22). Al­lein ein sol­cher Vor­trag würde ent­we­der ei­ne bloße Mut­maßung oder ei­ne un­zulässi­ge Be­haup­tung „ins Blaue hin­ein“ dar­stel­len. Dies gilt vor al­lem des­halb, weil je­der Mensch zwangsläufig meh­re­re der in § 1 AGG ge­nann­ten Merk­ma­le auf­weist. Durch § 22 AGG wird in Um­set­zung der eu­ro­pa­recht­li­chen Vor­ga­ben al­ler­dings be­stimmt, dass der Beschäftig­te/die Beschäftig­te kei­ne Tat­sa­chen vor­tra­gen und ge­ge­be­nen­falls be­wei­sen muss, die ei­nen zwin­gen­den Schluss auf die Kau­sa­lität zwi­schen ei­nem Grund gemäß § 1 AGG und der ungüns­ti­gen Be­hand­lung zu­las­sen. Es genügt für die Erfüllung der Dar­le­gungs-last hin­sicht­lich der Kau­sa­lität, dass die sich be­nach­tei­ligt fühlen­de Per­son In­di­zi­en vorträgt, die ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des ver­mu­ten las­sen. Dies ist der Fall, wenn die vor­ge­tra­ge­nen Tat­sa­chen aus ob­jek­ti­ver Sicht mit über­wie­gen­der Wahr­schein­lich­keit dar­auf schließen las­sen, dass die Be­nach­tei­li­gung aus ei­nem der in § 1 AGG ge­nann­ten Gründe er­folgt ist. Dies er­gibt sich aus der Ver­wen­dung der Be­grif­fe „In­di­zi­en“ und „ver­mu­ten“. Un­ter In­di­zi­en sind Tat­sa­chen zu ver­ste­hen, die auf das Vor­han­den­sein ei­ner an­de­ren schließen las­sen (Wah­rig Deut­sches Wörter­buch 9. Aufl. S. 765 „In­diz“). Der Be­griff „ver­mu­ten“ be­deu­tet „an­neh­men“ (Wah­rig aaO S. 1580) bzw. „auf­grund be­stimm­ter An­zei­chen der Mei­nung sein“, „glau­ben, dass sich et­was in be­stimm­ter Wei­se verhält“ (Du­den Das Große Wörter­buch der deut­schen Spra­che in 10 Bänden 3. Aufl. S. 4253). Durch die Ver­wen­dung der Wörter „In­di­zi­en“ und „ver­mu­ten“ wird zum Aus­druck ge­bracht, dass es hin­sicht­lich der Kau­sa­lität zwi­schen ei­nem in § 1 AGG ge­nann­ten Grund und ei­ner ungüns­ti­ge­ren Be­hand­lung genügt, Hilfs­tat­sa­chen vor­zu­tra­gen, die nicht zwin­gend den Schluss auf die Kau­sa­lität zu­las­sen müssen, die aber die An­nah­me recht­fer­ti­gen können, dass die Kau­sa­lität ge­ge­ben ist.

Nur wenn die vor­ge­tra­ge­nen Tat­sa­chen aus ob­jek­ti­ver Sicht mit über­wie­gen­der Wahr­schein­lich­keit dar­auf schließen las­sen, dass die we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung aus ei­nem der in § 1 AGG ge­nann­ten Gründe er­folgt ist, darf auch da­von aus­ge­gan­gen wer­den, dass ein (ers­ter) An­schein ei­ner Be­nach­tei­li­gung dar­ge­legt wor­den ist.

Die­se Aus­le­gung des § 22 AGG ent­spricht der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts zu § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB idF vom
 


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2. Ja­nu­ar 2002 und zu § 81 Abs. 2 Nr. 1 Satz 3 SGB IX idF vom 23. April 2004, die dem Ge­setz­ge­ber be­kannt war und von der er kei­ne ab­wei­chen­de Re­ge­lung nor­mie­ren woll­te (vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 47 und BT-Drucks. 16/2022 S. 13), so­wie auch der über­wie­gend in Recht­spre­chung und Li­te­ra­tur ver­tre­te­nen Auf­fas­sung zu § 22 AGG.


So hat der Se­nat be­zo­gen auf die Be­stim­mung in § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB aF aus­geführt, ver­langt sei le­dig­lich ei­ne Dar­le­gung, wel­che ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen des Ge­schlechts als wahr­schein­lich er­schei­nen las­se. Auch han­de­le es sich nicht um ei­ne Ver­mu­tungs­re­ge­lung iSd. § 292 ZPO. Die Vor­schrift sei so zu ver­ste­hen, dass der kla­gen­de Ar­beit­neh­mer ei­ne Be­weis­last des Ar­beit­ge­bers da­durch her­beiführen kann, dass er Hilfs­tat­sa­chen dar­legt und ge­ge­be­nen­falls be­weist, wel­che ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen sei­nes Ge­schlechts ver­mu­ten las­sen. Hier­zu genüge die Über­zeu­gung des Ge­richts von der über­wie­gen­den Wahr­schein­lich­keit für die Kau­sa­lität zwi­schen Ge­schlechts­zu­gehörig­keit und Nach­teil. Es genügten In­di­zi­en, wel­che aus ei­nem re­gel­haft ei­nem Ge­schlecht ge­genüber geübten Ver­hal­ten auf ei­ne sol­cher­maßen mo­ti­vier­te Ent­schei­dung schließen las­sen. Sei die Be­nach­tei­li­gung aus ge­schlechts­be­zo­ge­nen Gründen nach die­sen Grundsätzen über­wie­gend wahr­schein­lich, müsse nun­mehr der Ar­beit­ge­ber den vol­len Be­weis führen, dass die Be­nach­tei­li­gung aus recht­lich zulässi­gen Gründen er­folgt sei (BAG 24. April 2008 - 8 AZR 257/07 - Rn. 25 mwN, AP AGG § 33 Nr. 2 = EzA BGB 2002 § 611a Nr. 6).


Das Bun­des­ar­beits­ge­richt ver­langt auch bezüglich der Ver­tei­lung der Dar­le­gungs­last bei der Gel­tend­ma­chung ei­nes An­spru­ches aus dem ar­beits-recht­li­chen Gleich­be­hand­lungs­grund­satz, dass der Ar­beit­neh­mer zunächst dar­legt, dass mit ihm ver­gleich­ba­re Ar­beit­neh­mer an­ders be­han­delt wer­den. Erst nach ei­nem sol­chen Vor­trag muss der Ar­beit­ge­ber gemäß § 138 Abs. 2 ZPO dar­le­gen, wie groß der begüns­tig­te Per­so­nen­kreis ist, wie er sich zu­sam­men­setzt, wie er ab­ge­grenzt ist und war­um der kla­gen­de Ar­beit­neh­mer nicht da­zu­gehört (vgl. BAG 19. Au­gust 1992 - 5 AZR 513/91 - zu II 3 a und b der Gründe, AP BGB § 242 Gleich­be­hand­lung Nr. 102 = EzA BGB § 242 Gleich­be­hand­lung Nr. 52).


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e) Die Würdi­gung, ob ein Beschäftig­ter sei­ner sich aus § 22 AGG er­ge­ben­den Dar­le­gungs­last nach­ge­kom­men ist, er al­so In­di­zi­en vor­ge­tra­gen hat, wel­che die ungüns­ti­ge­re Be­hand­lung we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des ver­mu­ten las­sen, un­ter­liegt der frei­en Über­zeu­gung des Tat­sa­chen­ge­richts nach § 286 Abs. 1 ZPO. Nach die­ser Vor­schrift ha­ben die Tat­sa­chen­ge­rich­te un­ter Berück­sich­ti­gung des ge­sam­ten In­halts der Ver­hand­lun­gen und des Er­geb­nis­ses ei­ner et­wai­gen Be­weis­auf­nah­me nach ih­rer frei­en Über­zeu­gung zu ent­schei­den, ob sie ei­ne tatsächli­che Be­haup­tung für wahr oder für nicht wahr er­ach­ten. Die­se Grundsätze sind auch auf die Fälle an­zu­wen­den, in de­nen die Tat­sa­chen­ge­rich­te nicht zu ent­schei­den ha­ben, ob ei­ne Be­haup­tung „wahr“ ist, son­dern (nur), ob vor­ge­tra­ge­ne und ge­ge­be­nen­falls be­wie­se­ne Tat­sa­chen ei­ne Be­haup­tung der Par­tei als „wahr“ „ver­mu­ten“ las­sen. Es wi­derspräche dem Sinn und Zweck des § 286 Abs. 1 ZPO des­sen An­wend­bar­keit auf die Fälle des so ge­nann­ten „Voll­be­wei­ses“ zu be­schränken, dem Tat­sa­chen­ge­richt die freie Be­weiswürdi­gung nach § 286 ZPO aber zu ver­sa­gen, wenn es nur darüber zu ent­schei­den hat, ob dar­ge­leg­te (und ge­ge­be­nen­falls be­wie­se­ne) Tat­sa­chen das Vor­lie­gen ei­ner an­de­ren Tat­sa­che „nur“ ver­mu­ten las­sen (BAG 24. April 2008 - 8 AZR 257/07 - Rn. 27, AP AGG § 33 Nr. 2 = EzA BGB 2002 § 611a Nr. 6).


Ei­ne vom Be­ru­fungs­ge­richt nach § 286 Abs. 1 ZPO vor­ge­nom­me­ne Würdi­gung ist nach ständi­ger Recht­spre­chung re­vi­si­ons­recht­lich nur dar­auf­hin über­prüfbar, ob sie möglich und in sich wi­der­spruchs­frei ist, ge­gen Denk­ge­set­ze, Er­fah­rungssätze oder an­de­re Rechtssätze verstößt und ob al­le vernünf­ti­ger­wei­se in Be­tracht kom­men­den Umstände in sich wi­der­spruchs­frei be­ach­tet wor­den sind (BAG 24. April 2008 - 8 AZR 257/07 - Rn. 28, AP AGG § 33 Nr. 2 = EzA BGB 2002 § 611a Nr. 6).


f) Die vom Lan­des­ar­beits­ge­richt vor­ge­nom­me­ne Be­wer­tung, die Kläge­rin ha­be In­di­zi­en, die ei­ne un­zulässi­ge Be­nach­tei­li­gung ver­mu­ten las­sen, nicht schlüssig vor­ge­tra­gen, ist re­vi­si­ons­recht­lich nicht zu be­an­stan­den. Die von der Kläge­rin vor­ge­tra­ge­nen Umstände las­sen we­der je­weils für sich be­trach­tet noch in ei­ner Ge­samt­schau mit über­wie­gen­der Wahr­schein­lich­keit dar­auf schließen,


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dass ein in § 1 AGG ge­nann­ter Grund (mit-)ursächlich für die Nicht­ein­la­dung zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch und für die er­folg­ten Ab­sa­gen ge­we­sen ist.


aa) Die von der Be­klag­ten veröffent­lich­te Stel­len­aus­schrei­bung ver­stieß nicht ge­gen § 11 iVm. § 7 Abs. 1 AGG. Sie war ge­schlechts­neu­tral for­mu­liert und ent­hielt darüber hin­aus kei­ne Hin­wei­se dar­auf, dass le­dig­lich Per­so­nen ei­ner be­stimm­ten Al­ters­grup­pe oder Her­kunft ge­sucht wer­den. Da­mit be­gründet die Stel­len­aus­schrei­bung für sich be­trach­tet kei­ne Ver­mu­tung für ei­ne ge­setz­wid­ri­ge Be­nach­tei­li­gung der Kläge­rin (vgl. BAG 24. April 2008 - 8 AZR 257/07 - Rn. 34, AP AGG § 33 Nr. 2 = EzA BGB 2002 § 611a Nr. 6).


bb) Der Um­stand, dass die Kläge­rin nicht zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ein­ge­la­den wor­den ist, lässt nicht dar­auf schließen, dies sei in ir­gend­ei­ner Wei­se kau­sal auf ei­nen in § 1 AGG ge­nann­ten Grund zurück­zuführen, al­so ent­we­der auf ihr Ge­schlecht, ihr Le­bens­al­ter oder ih­re Her­kunft. Die Merk­ma­le Ge­schlecht, Al­ter und eth­ni­sche Her­kunft weist je­der Mensch auf. Es gibt bei den un­ter § 1 AGG auf­geführ­ten Gründen kei­ne von vorn­her­ein „dis­kri­mi­nie­rungs­anfälli­gen“ Merk­ma­le. Viel­mehr ste­hen die ge­setz­lich auf­gezähl­ten Gründe gleich­wer­tig ne­ben­ein­an­der. Von da­her kann die Be­ru­fung der Kläge­rin auf die Merk­ma­le „Frau“, „Le­bens­al­ter über 45“ und „rus­si­scher Her­kunft“ für sich al­lein kei­ne Ver­mu­tung für ei­ne ungüns­ti­ge Be­hand­lung ge­ra­de we­gen die­ser oder ei­nes die­ser Gründe be­gründen. Es hätten viel­mehr von der Kläge­rin wei­te­re Umstände vor­ge­tra­gen wer­den müssen, aus de­nen sich die über­wie­gen­de Wahr­schein­lich­keit er­gibt, dass die­se Merk­ma­le oder je­den­falls ei­nes die­ser Merk­ma­le (mit-)ursächlich für die nach­tei­li­ge Be­hand­lung wa­ren. Ein sol­cher wei­te­rer Um­stand liegt nicht be­reits dar­in, dass die Kläge­rin für die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le ge­eig­net war, dh. die in der Stel­len­aus­schrei­bung gewünsch­ten An­for­de­run­gen erfüllt hat. Dass ein Be­wer­ber, der zwar sämt­li­che in der Stel­len­aus­schrei­bung ge­nann­ten An­for­de­run­gen erfüllt, nicht zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ein­ge­la­den wird, son­dern ei­ne Ab­sa­ge erhält, be­gründet - aus ob­jek­ti­ver Sicht - nicht den ers­ten An­schein, dass dies auf ei­nem der Gründe des § 1 AGG be­ruht (vgl. MüKoBGB/Thüsing 6. Aufl. § 22 AGG Rn. 13). Der Son­der­fall des § 82 Satz 2 und Satz 3 SGB IX, wel­cher den öffent-
 


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li­chen Ar­beit­ge­ber zur Ein­la­dung ei­nes nicht of­fen­sicht­lich un­ge­eig­ne­ten schwer­be­hin­der­ten Be­wer­bers zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ver­pflich­tet, liegt im Streit­fal­le nicht vor. Die Nicht­ein­la­dung der Kläge­rin konn­te - wie auch das Lan­des­ar­beits­ge­richt aus­geführt hat - vielfälti­ge Ur­sa­chen ha­ben. Da­bei ist zu be­ach­ten, dass das AGG die un­sach­li­che Be­hand­lung aus an­de­ren als in § 1 AGG ge­nann­ten Gründen nicht ver­bie­tet und vom Ar­beit­ge­ber nicht ver­langt, ob­jek­tiv ge­eig­ne­te Be­wer­ber bei sei­ner Aus­wah­l­ent­schei­dung zu berück­sich­ti­gen. So durf­te zB das äußere Er­schei­nungs­bild des Be­wer­bungs­schrei­bens oder des­sen In­halt be­reits aus­schlag­ge­bend für die Aus­wah­l­ent­schei­dung der Be­klag­ten sein. Zu berück­sich­ti­gen ist des Wei­te­ren, dass trotz for­ma­ler Erfüllung der in der Stel­len­aus­schrei­bung ge­nann­ten Qua­li­fi­ka­ti­ons­merk­ma­le die Be­wer­ber er­heb­li­che Un­ter­schie­de im be­ruf­li­chen Wer­de­gang bzw. hin­sicht­lich ih­rer bis­he­ri­gen Be­ur­tei­lun­gen/Zeug­nis­se auf­wei­sen können und die Be­klag­te den bis­he­ri­gen be­ruf­li­chen Wer­de­gang un­ter­schied­lich be­wer­ten durf­te. Das Kri­te­ri­um „am bes­ten ge­eig­ne­ter Be­wer­ber / ge­eig­ne­te Be­wer­be­rin“, auf wel­ches sich die Kläge­rin be­ruft, ist letzt­lich ei­ne Schluss­fol­ge­rung, wel­che von Wer­tun­gen und von je­weils kon­kret vor­han­de­nen Qua­li­fi­ka­ti­ons­merk­ma­len abhängt. Die Be­klag­te durf­te hin­sicht­lich der Erfüllung der ge­for­der­ten Qua­li­fi­ka­ti­ons­merk­ma­le un­ter­schied­li­che Ge­wich­tun­gen vor­neh­men, die mit den in § 1 AGG ge­nann­ten Gründen in kei­nem Zu­sam­men­hang ste­hen. Da­her reicht die bloße Be­haup­tung der Kläge­rin, sie sei die am bes­ten ge­eig­ne­te Be­wer­be­rin, nicht aus, um ei­ne Wahr­schein­lich­keit dafür zu be­gründen, dass ein nach § 1 AGG un­zulässi­ger Grund für die Ab­sa­ge der Be­klag­ten (mit-)aus­schlag­ge­bend ge­we­sen ist. Selbst dann, wenn die Kläge­rin - wie sie be­haup­tet - nach „ob­jek­ti­ven Kri­te­ri­en“ die „Bes­te“ ge­we­sen sein soll­te, kann ei­ne Ab­leh­nung auch aus Gründen er­folgt sein, die kei­ne ver­bo­te­ne Dis­kri­mi­nie­rung dar­stel­len. In die­sem Zu­sam­men­hang ist ins­be­son­de­re von Be­deu­tung, dass die Be­klag­te als nichtöffent­li­che Ar­beit­ge­be­rin nicht dem aus Art. 33 Abs. 2 GG her­ge­lei­te­ten Prin­zip der „Bes­ten­aus­le­se“ (vgl. BAG 16. Fe­bru­ar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 36, AP AGG § 22 Nr. 4 = EzA AGG § 15 Nr. 17) un­ter­liegt.


Würde al­lein der Um­stand, dass ein ob­jek­tiv ge­eig­ne­ter Be­wer­ber nicht zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ein­ge­la­den wor­den ist, ein In­diz dar­stel­len,
 


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wel­ches ei­ne Be­nach­tei­li­gung des Be­wer­bers aus ei­nem der in § 1 AGG ge­nann­ten Gründe ver­mu­ten lässt, so würde dies da­zu führen, dass der Ar­beit­ge­ber je­den Be­wer­ber, der auf­grund sei­ner Be­wer­bungs­un­ter­la­gen als für die zu be­set­zen­de Stel­le ob­jek­tiv ge­eig­net er­scheint, zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ein­la­den müss­te, wid­ri­gen­falls er den nach § 22 AGG ge­ge­be­nen Nach­weis der Nicht­dis­kri­mi­nie­rung zu führen hätte. Dass auch der Ge­setz­ge­ber von ei­ner sol­chen ge­ne­rel­len Pflicht des Ar­beit­ge­bers, ge­eig­ne­te Be­wer­ber zu Vor­stel­lungs­gesprächen ein­zu­la­den, nicht aus­geht, zeigt die nur zu Guns­ten schwer-be­hin­der­ter Be­wer­ber gel­ten­de Son­der­re­ge­lung des § 82 Satz 2 SGB IX, wel­che wie­der­um nur öffent­li­che Ar­beit­ge­ber ver­pflich­tet.


So­weit die Kläge­rin gel­tend macht, Be­wer­ber mit bes­se­ren fach­li­chen Kennt­nis­sen in dem von der Be­klag­ten gewünsch­ten Be­reich könne es ob­jek­tiv kaum ge­ben, stellt dies be­reits von der For­mu­lie­rung her kei­ne Tat­sa­chen­be­haup­tung iSd. § 138 Abs. 1 ZPO dar, son­dern le­dig­lich ei­ne Mut­maßung.


cc) Das pau­scha­le Vor­brin­gen der Kläge­rin, in der IT-Bran­che würden Frau­en dis­kri­mi­niert, ent­fal­tet kei­ne In­dizwir­kung für den Be­nach­tei­li­gungs­grund. Es be­darf hier kei­ner Aus­ein­an­der­set­zung mit der Fra­ge, ob und un­ter wel­chen Umständen sta­tis­ti­schen Da­ten ei­ne Ver­mu­tungs­wir­kung für ei­ne Be­nach­tei­li­gung nach § 3 Abs. 1 oder Abs. 2 AGG zu­kom­men kann (vgl. da­zu: BAG 22. Ju­li 2010 - 8 AZR 1012/08 - Rn. 68 f., AP AGG § 22 Nr. 2 = EzA AGG § 22 Nr. 2). Die Kläge­rin hat nämlich we­der sta­tis­ti­sche Da­ten noch sons­ti­ges Zah­len­ma­te­ri­al vor­ge­tra­gen. So­weit man ih­ren Vor­trag da­hin ver­steht, dass im IT-Be­reich mehr Männer als Frau­en beschäftigt wer­den, kann dies vielfälti­ge Gründe ha­ben, ua. den, dass sich we­ni­ger Frau­en als Männer um ent­spre­chen­de Stel­len be­wer­ben.


dd) Wie das Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­tref­fend aus­geführt hat, be­stand für die Be­klag­te auch kei­ne Ver­pflich­tung, Frau­en, wel­che die An­for­de­run­gen der Stel­len­aus­schrei­bung erfüll­ten, zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ein­zu­la­den. Dies gilt auch, wenn in der IT-Bran­che tatsächlich we­ni­ger Frau­en als Männer beschäftigt wer­den. Da­her be­gründet die Nicht­ein­la­dung zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch auch un­ter die­sem Ge­sichts­punkt nicht den An­schein ei­ner
 


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Be­nach­tei­li­gung we­gen des Ge­schlechts. Die von der Kläge­rin zi­tier­te Ent­schei­dung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs vom 28. März 2000 (- C-158/97 - [Ba­deck ua.] Slg. 2000, I-1875) be­traf die Vor­la­ge­fra­ge, ob Art. 2 Absätze 1 und 4 der Richt­li­nie 76/207/EWG ei­ner na­tio­na­len Re­ge­lung ent­ge­gen­steht, die in Be­rei­chen des öffent­li­chen Diens­tes, in de­nen Frau­en un­ter­re­präsen­tiert sind, bei glei­cher Qua­li­fi­ka­ti­on von Be­wer­be­rin­nen und Be­wer­bern si­cher­stellt, dass qua­li­fi­zier­te Frau­en zu Vor­stel­lungs­gesprächen ein­ge­la­den wer­den.


ee) Auch Umstände im Zu­sam­men­hang mit der Ab­leh­nung der Be­wer­bun­gen der Kläge­rin be­gründen kei­ne Ver­mu­tung für ei­ne ungüns­ti­ge Be­hand­lung we­gen ei­nes der in § 1 AGG ge­nann­ten Gründe.


Ein stan­dar­di­sier­tes Ab­leh­nungs­schrei­ben führt nicht da­zu, ei­ne Be­nach­tei­li­gung zu ver­mu­ten. Der Ar­beit­ge­ber ist nicht ge­hal­ten, in­di­vi­du­ell auf die je­wei­li­gen Be­wer­bun­gen ein­zu­ge­hen. Er muss auch nicht von sich aus die Ab­sa­ge sach­lich be­gründen. Ei­ne ent­spre­chen­de Ver­pflich­tung des Ar­beit­ge­bers nor­miert das AGG nicht. Et­was an­de­res kann al­len­falls bei der Be­wer­bung schwer­be­hin­der­ter Be­wer­ber gel­ten (vgl. § 81 Abs. 1 Sätze 4 bis 9 SGB IX).


Aus­sa­gen im Zu­sam­men­hang mit ei­ner Ab­sa­ge können al­ler­dings das Vor­lie­gen ei­nes Be­nach­tei­li­gungs­grun­des in­di­zie­ren. Die von der Be­klag­ten ge­fer­tig­ten Schrei­ben be­inhal­ten aber kei­ne sol­chen Äußerun­gen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat mit zu­tref­fen­der Be­gründung dar­ge­legt, dass die Ver­wen­dung des Wor­tes „Neu­ori­en­tie­rung“ im Schrei­ben vom 11. Ok­to­ber 2006 nicht auf ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes Merk­mals iSd. § 1 AGG schließen lässt. Die­se For­mu­lie­rung be­gründet auch nicht den An­schein, die Be­klag­te ha­be die Be­wer­bung der Kläge­rin nicht mehr gründ­lich ge­le­sen, nach­dem sie fest­ge­stellt hat­te, die Kläge­rin sei ei­ne Frau mit über 45 Jah­ren und rus­si­scher Her­kunft. Er­kenn­bar hat die Be­klag­te mit ih­rer Wort­wahl ei­ne For­mu­lie­rung ver­wen­den wol­len, wel­che auf al­le denk­ba­ren Be­wer­be­rin­nen und Be­wer­ber an­wend­bar war. Denn der Be­griff „Neu­ori­en­tie­rung“ ist ob­jek­tiv be­trach­tet neu­tral und kann ge­genüber je­dem Stel­len­be­wer­ber ver­wen­det wer­den. Denn je­der, der ei­ne neue Stel­le an­tre­ten will, möch­te sich letzt­lich „neu ori­en­tie­ren“. Durch die
 


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For­mu­lie­rung „Aus­wahl an Be­wer­bern“ im Schrei­ben vom 20. Ok­to­ber 2006 hat die Be­klag­te nicht den An­schein er­weckt, sie ha­be nur männ­li­che Be­wer­ber zu Vor­stel­lungs­gesprächen ein­ge­la­den und die Kläge­rin ge­ra­de we­gen ih­res weib­li­chen Ge­schlechts nicht berück­sich­tigt. Es han­delt sich bei die­sem Schrei­ben um ei­ne Re­ak­ti­on auf ei­ne trotz be­reits er­folg­ter Ab­sa­ge er­neu­te Be­wer­bung der Kläge­rin. An­ders als bei ei­ner Stel­len­aus­schrei­bung, bei wel­cher im Hin­blick auf die Be­stim­mung in § 11 AGG vom Ar­beit­ge­ber er­war­tet wird, dass er die For­mu­lie­run­gen sorgfältig wählt, kann bei nor­ma­ler Kor­re­spon­denz mit ei­nem Be­wer­ber oder ei­ner Be­wer­be­rin nicht aus je­der männ­li­chen Be­zeich­nung ei­nes Be­grif­fes ge­schluss­fol­gert wer­den, dass die Be­klag­te ge­ra­de Männer be­vor­zugt ein­stel­len woll­te. Es ent­spricht nicht nur der Um­gangs­spra­che, son­dern auch dem übli­chen Schrift­deutsch, dass Per­so­nen­be­zeich­nun­gen nicht stets in der männ­li­chen und in der weib­li­chen Form ver­wen­det wer­den. So ist es auch in Ur­tei­len und Ge­set­zes­tex­ten üblich, so­wohl für Frau­en als auch für Männer nur die männ­li­che Form zu ver­wen­den. Dies be­deu­tet, dass der Be­griff „Be­wer­ber“ in ei­nem Brief kei­ne Rück­schlüsse dar­auf zulässt, dass da­mit nur Männer ge­meint sind.

Dass die Stel­len­aus­schrei­bung nach der ers­ten der Kläge­rin er­teil­ten Ab­sa­ge im­mer noch im In­ter­net veröffent­licht war, ist eben­falls kein In­diz für das Vor­lie­gen ei­nes un­zulässi­gen Be­nach­tei­li­gungs­grun­des. Ei­nen nach­voll­zieh­ba­ren Grund für die wei­ter be­ste­hen­de Veröffent­li­chung der Stel­len­aus­schrei­bung hat die Be­klag­te be­reits in ih­rem Schrei­ben vom 20. Ok­to­ber 2006 ge­nannt, nämlich dass sie ei­ne „Lauf­zeit von 3 Mo­na­ten“ für die Stel­len­an­zei­ge „ein­ge­kauft“ ha­be. Al­lein aus ei­ner nicht rückgängig ge­mach­ten Veröffent­li­chung ei­ner Stel­len­an­zei­ge nach ei­ner be­reits er­teil­ten Ab­sa­ge er­gibt sich grundsätz­lich kei­ne Ver­mu­tung für das Vor­lie­gen ei­nes un­zulässi­gen Be­nach­tei­li­gungs­grun­des.


ff) Auch die Tat­sa­che, dass die Be­klag­te der Auf­for­de­rung der Kläge­rin, ihr Aus­kunft über den ein­ge­stell­ten Be­wer­ber oder die ein­ge­stell­te Be­wer­be­rin zu ge­ben bzw. ihr die Gründe für die ge­trof­fe­ne Per­so­nal­aus­wahl zu nen­nen oder die Be­wer­bungs­un­ter­la­gen die­ser Per­son vor­zu­le­gen, nicht ent­spro­chen hat, ist


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kein In­diz für die Ver­mu­tung, dass ei­ner der in § 1 AGG ge­nann­ten Gründe (mit-)ursächlich für die we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung der Kläge­rin ge­we­sen ist.


Dies folgt zunächst dar­aus, dass die Kläge­rin kei­nen ent­spre­chen­den Aus­kunfts­an­spruch hat. Nach der Recht­spre­chung des Se­nats be­steht nach deut­schem Recht kein An­spruch der Kläge­rin auf Aus­kunft über die Gründe der Ab­sa­ge bzw. über die von der Be­klag­ten ge­trof­fe­ne Per­so­nal­ent­schei­dung. Dies hat der Se­nat in sei­nem Vor­la­ge­be­schluss vom 20. Mai 2010 (- 8 AZR 287/08 (A) - Rn. 24 ff., AP AGG § 22 Nr. 1 = EzA AGG § 22 Nr. 1) näher be­gründet. Dass dies nicht eu­ropäischem Ge­mein­schafts­recht wi­der­spricht, hat auf die ent­spre­chen­de Vor­la­ge des Se­nats der Eu­ropäische Ge­richts­hof mit Ur­teil vom 19. April 2012 (C-415/10 - [Meis­ter] AP Richt­li­nie 2000/78/EG Nr. 24 = EzA AGG § 22 Nr. 5) im Grund­satz bestätigt, je­doch ein­schränkend fest­ge­stellt:


„Es kann je­doch nicht aus­ge­schlos­sen wer­den, dass die Ver­wei­ge­rung je­des Zu­gangs zu In­for­ma­tio­nen durch ei­nen Be­klag­ten ein Ge­sichts­punkt sein kann, der im Rah­men des Nach­wei­ses von Tat­sa­chen, die das Vor­lie­gen ei­ner un­mit­tel­ba­ren oder mit­tel­ba­ren Dis­kri­mi­nie­rung ver­mu­ten las­sen, her­an­zu­zie­hen ist. Es ist Sa­che des vor­le­gen­den Ge­richts, un­ter Berück­sich­ti­gung al­ler Um-stände des bei ihm anhängi­gen Rechts­streits zu prüfen, ob dies im Aus­gangs­ver­fah­ren der Fall ist.“

Wei­ter führt der EuGH in der Be­gründung sei­nes Ur­teils aus: 

„In­fol­ge­des­sen ist im Rah­men des Nach­wei­ses von Tat­sa­chen, die das Vor­lie­gen ei­ner un­mit­tel­ba­ren oder mit­tel­ba­ren Dis­kri­mi­nie­rung ver­mu­ten las­sen, si­cher­zu­stel­len, dass ei­ne Ver­wei­ge­rung von In­for­ma­tio­nen durch den Be­klag­ten nicht die Ver­wirk­li­chung der mit den Richt­li­ni­en 2000/43, 2000/78 und 2006/54 ver­folg­ten Zie­le zu be­ein­träch­ti­gen droht.“


und

„Da­her hat das vor­le­gen­de Ge­richt darüber zu wa­chen, dass die Aus­kunfts­ver­wei­ge­rung durch S im Rah­men des Nach­wei­ses von Tat­sa­chen, die das Vor­lie­gen ei­ner un­mit­tel­ba­ren oder mit­tel­ba­ren Dis­kri­mi­nie­rung zum Nach­teil von Frau M ver­mu­ten las­sen, nicht die Ver­wirk­li­chung der mit den Richt­li­ni­en 2000/43, 2000/78 und 2006/54 ver­folg­ten Zie­le zu be­ein­träch­ti­gen droht. Es hat
 


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ins­be­son­de­re bei der Klärung der Fra­ge, ob es genügend In­di­zi­en gibt, um die Tat­sa­chen, die das Vor­lie­gen ei­ner sol­chen Dis­kri­mi­nie­rung ver­mu­ten las­sen, als nach­ge­wie­sen an­se­hen zu können, al­le Umstände des Aus­gangs­rechts­streits zu berück­sich­ti­gen.“

Da­mit stellt die Ver­wei­ge­rung ei­ner Aus­kunft über die Per­son, die an Stel­le des kla­gen­den Be­wer­bers vom Ar­beit­ge­ber ein­ge­stellt wor­den ist, und/oder über die Kri­te­ri­en, die für de­ren Ein­stel­lung ent­schei­dend wa­ren, für sich be­trach­tet noch kein In­diz iSd. § 22 AGG dar, wel­ches die Ver­mu­tung für das Vor­lie­gen ei­ner ge­gen §§ 1, 7 AGG ver­s­toßen­den Be­nach­tei­li­gung des nicht ein­ge­stell­ten Be­wer­bers be­gründet. Wenn der ab­ge­lehn­te Be­wer­ber we­der nach deut­schem noch nach eu­ropäischem Recht ei­nen sol­chen Aus­kunfts­an­spruch hat, kann die Ver­wei­ge­rung ei­ner sol­chen nicht ge­schul­de­ten Aus­kunft grundsätz­lich kei­ne nach­tei­li­gen Rechts­fol­gen für den Ar­beit­ge­ber ha­ben. Dies wäre aber der Fall, wenn al­lein auf­grund der ver­wei­ger­ten In­for­ma­ti­on dem Ar­beit­ge­ber gemäß § 22 AGG die Be­weis­last dafür auf­er­legt würde, dass „kein Ver­s­toß ge­gen die Be­stim­mun­gen zum Schutz vor Be­nach­tei­li­gung vor­ge­le­gen hat“.


Nach der Recht­spre­chung des EuGH ist von die­sem Grund­satz nur dann ei­ne Aus­nah­me zu ma­chen, wenn ei­ne Ver­wei­ge­rung von In­for­ma­tio­nen durch den Ar­beit­ge­ber die „Ver­wirk­li­chung der mit den Richt­li­ni­en 2000/43, 2000/78 und 2006/54 ver­folg­ten Zie­le zu be­ein­träch­ti­gen droht“. Dies kann nur dann der Fall sein, wenn der ab­ge­lehn­te Be­wer­ber, dem grundsätz­lich die Dar­le­gungs­last für die be­haup­te­te Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes „verpönten Merk­mals“ ob­liegt (vgl. oben), zu­min­dest schlüssig dar­legt, dass und war­um es ihm durch die vom Ar­beit­ge­ber ver­wei­ger­te In­for­ma­ti­on unmöglich ge­macht oder zu­min­dest un­zu­mut­bar er­schwert wird, Tat­sa­chen gemäß § 22 AGG dar­zu­le­gen, die ei­ne un­zulässi­ge Be­nach­tei­li­gung ver­mu­ten las­sen, oder war­um die Ver­wei­ge­rung der Aus­kunft ein In­diz iSd. § 22 AGG für ei­ne un­zulässi­ge Be­nach­tei­li­gung dar­stellt. Da­zu genügt es nicht, wenn der Be­wer­ber le­dig­lich Tat­sa­chen be­nennt, die für sich be­trach­tet und/oder in ih­rer Ge­samt­schau „neu­tral“ sind, dh. kei­ne In­di­zi­en für die Ver­mu­tung ei­ner un­zulässi­gen Be­nach-
 


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tei­li­gung be­gründen. Viel­mehr hat er ent­we­der An­halts­punk­te schlüssig dar­zu­le­gen, aus de­nen er fol­gert, erst die ge­for­der­te, aber ver­wei­ger­te Aus­kunft wer­de es ihm ermögli­chen, ei­ne ge­gen § 7 AGG ver­s­toßen­de Be­nach­tei­li­gung ent­spre­chend der Be­weis­last­re­gel des § 22 AGG nach­zu­wei­sen oder wenn er schlüssig dar­tut, aus wel­chen Gründen ge­ra­de die Ver­wei­ge­rung der Aus­kunft für sich al­lein be­trach­tet oder in der Ge­samt­schau al­ler Umstände die Ver­mu­tung ei­ner Be­nach­tei­li­gung (§ 22 AGG) be­gründet. In die­sem Zu­sam­men­hang darf sich der ab­ge­lehn­te Be­wer­ber nicht auf Be­haup­tun­gen „ins Blaue hin­ein“ be­schränken.


Wie oben dar­ge­legt, stel­len die von der Kläge­rin vor­ge­tra­ge­nen Tat­sa­chen we­der für sich be­trach­tet noch in der Ge­samt­schau In­di­zi­en dar, wel­che ih­re Be­nach­tei­li­gung aus ei­nem der in § 1 AGG ge­nann­ten Gründe ver­mu­ten las­sen (§ 22 AGG). Sie hat mit­hin le­dig­lich „neu­tra­le Tat­sa­chen“ dar­ge­legt. Aus den An­walts­schriftsätzen der Kläge­rin, wel­che al­lein dem Re­vi­si­ons­ver­fah­ren zu­grun­de zu le­gen sind (§ 11 Abs. 4 ArbGG), er­ge­ben sich kei­ne An­halts­punk­te dafür, war­um es der Kläge­rin erst nach Vor­la­ge der Be­wer­bungs­un­ter­la­gen des an ih­rer Stel­le ein­ge­stell­ten Be­wer­bers und/oder der Dar­le­gung, nach wel­chen Kri­te­ri­en die­se Ein­stel­lung er­folgt ist, möglich sein soll, die Ver­mu­tung des Vor­lie­gens ei­ner ge­gen § 7 AGG ver­s­toßen­den Be­nach­tei­li­gung dar­zu­le­gen oder war­um die Ver­wei­ge­rung der Aus­kunft durch die Be­klag­te für sich al­lein oder in der Ge­samt­schau mit an­de­ren Umständen be­trach­tet ein In­diz iSd. § 22 AGG dar­stel­len soll.


Da­mit liegt im Streit­fal­le nicht der Aus­nah­me­fall vor, dass die Ver­wei­ge­rung ei­ner Aus­kunft über die Per­son des aus­gewähl­ten Be­wer­bers und/oder über die Aus­wahl­kri­te­ri­en die Ver­mu­tung ei­ner ge­setz­wid­ri­gen Be­nach­tei­li­gung be­gründet. Ob der Kläge­rin in ei­nem sol­chen Aus­nah­me­fall (auch) ein An­spruch ge­gen die Be­klag­te auf Vor­la­ge der Be­wer­bungs­un­ter­la­gen des ein­ge­stell­ten Be­wer­bers zustünde, brauch­te der Se­nat des­halb nicht zu ent­schei­den.



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C. Die Kläge­rin hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kos­ten ih­rer er­folg­lo­sen Re­vi­si­on zu tra­gen.


Hauck 

Böck 

Brein­lin­ger

Burr 

N. Rei­ners

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