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ARBEITSRECHT AKTUELL // 13/119

Be­weis­last für Dis­kri­mi­nie­rung bei der Ein­stel­lung

Gibt der Ar­beit­ge­ber dem ab­ge­lehn­ten Be­wer­ber kei­ne Aus­kunft über sei­ne Aus­wah­l­ent­schei­dung, lässt das noch kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung ver­mu­ten: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 25.04.2013, 8 AZR 287/08 (Meis­ter)
Europafahne Kei­ne Ent­schä­di­gung bei "Ver­wei­ge­rung" von In­for­ma­tio­nen über Mit­be­wer­ber

29.04.2013. Wer sich oh­ne Er­folg um ei­ne Stel­le be­wirbt und den Ver­dacht hegt, er sei aus dis­kri­mi­nie­ren­den Grün­den ab­ge­lehnt wor­den, soll­te da­für kon­kre­te An­halts­punk­te vor­wei­sen kön­nen, d.h. Tat­sa­chen im Sin­ne von § 22 All­ge­mei­nes Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG), die ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung ver­mu­ten las­sen.

Wenn der Ar­beit­ge­ber al­ler­dings dis­kri­mi­nie­ren­de For­mu­lie­run­gen bei der Stel­len­aus­schrei­bung ver­mie­den hat und auch in kein an­de­res Fett­näpf­chen ge­tre­ten ist, kön­nen ab­ge­lehn­te Stel­len­be­wer­ber erst ein­mal kei­ne Ver­mu­tungs­tat­sa­chen im Sin­ne von § 22 AGG vor­wei­sen, da sie als Au­ßen­ste­hen­de die Ent­schei­dungs­pro­zes­se beim Ar­beit­ge­ber nicht ken­nen.

An die­ser Stel­le kommt das Eu­ro­pa­recht ins Spiel, denn mit § 22 AGG sol­len eu­ro­pa­recht­li­che Vor­schrif­ten um­ge­setzt wer­den, näm­lich Art.8 der Richt­li­nie 2000/43/EG, Art. 10 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG und Art. 19 Abs. 1 der Richt­li­nie 2006/54/EG. Und mit Blick auf die­se Vor­schrif­ten hat der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof (EuGH) in meh­re­ren Ent­schei­dun­gen klar­ge­stellt, dass ab­ge­lehn­te Stel­len­be­wer­ber kei­nen An­spruch auf In­for­ma­ti­on über die Aus­wah­l­ent­schei­dung des Ar­beit­ge­bers ha­ben.

Al­ler­dings hat der EuGH zu­gleich an­ge­deu­tet, dass die "Ver­wei­ge­rung" von In­for­ma­tio­nen durch den Ar­beit­ge­ber als In­diz für ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung be­wer­tet wer­den kann. Wie das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) am Don­ners­tag letz­ter Wo­che ent­schie­den hat, ist die In­for­ma­ti­ons­ver­wei­ge­rung al­lein aber noch kein Dis­kri­mi­nie­rungs­in­diz: BAG, Ur­teil vom 25.04.2013, 8 AZR 287/08.

Ist es ein In­diz für ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung, wenn der Ar­beit­ge­ber ab­ge­lehn­ten Be­wer­bern In­for­ma­tio­nen über die Aus­wah­l­ent­schei­dung ver­wei­gert?

Die Recht­spre­chung des EuGH zu der Fra­ge, ob ab­ge­lehn­te Stel­len­be­wer­ber ei­nen An­spruch auf Aus­kunft über die Aus­wah­l­ent­schei­dung des Ar­beit­ge­bers ha­ben, ist lei­der nicht be­son­ders klar.

Zwar hat der EuGH ei­nen sol­chen Aus­kunfts­an­spruch in zwei Ur­tei­len ein­deu­tig ver­neint (EuGH, Ur­teil vom 21.07.2011, C-104/10 - Kel­ly, wir be­rich­te­ten in: Ar­beits­recht ak­tu­ell: 11/199 Dis­kri­mi­nie­rung bei der Be­wer­bung: Kein An­spruch auf Aus­kunft über Mit­be­wer­ber bei Ab­leh­nung ei­ner Be­wer­bung; und EuGH, Ur­teil vom 19.04.2012, C-415/10 - Meis­ter, wir be­rich­te­ten in: Ar­beits­recht ak­tu­ell: 12/160 Aus­kunfts­an­spruch des ab­ge­lehn­ten Stel­len­be­wer­bers?). In bei­den Ur­tei­len hat der EuGH aber zu­gleich ge­sagt, dass die "Ver­wei­ge­rung" sol­cher In­for­ma­tio­nen als In­diz für ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung ge­wer­tet wer­den könne.

Da­her könn­ten sich Ar­beit­ge­ber, so ei­ne mögli­che Aus­le­gung der EuGH-Ur­tei­le, schon da­durch ei­ner Dis­kri­mi­nie­rung verdäch­tig ma­chen, dass sie ihr gu­tes Recht ausüben und ei­nem ab­ge­lehn­ten Be­wer­ber kei­ne Auskünf­te über die Aus­wah­l­ent­schei­dung ge­ben. Da­mit würde auf Ar­bei­te­bern ein er­heb­li­cher Druck las­ten, trotz feh­len­der recht­li­cher Ver­pflich­tung Auskünf­te zu er­tei­len.

Vor die­sem Hin­ter­grund fragt sich, ob die Aus­kunfts­ver­wei­ge­rung zu­min­dest dann in Ord­nung ist, d.h. kein In­diz für ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung ist, wenn kei­ne wei­te­ren Dis­kri­mi­nie­rungs­in­di­zi­en vor­han­den sind. Ar­beit­ge­ber hätten dann im Nor­mal­fall die Möglich­keit, oh­ne Furcht vor Rechts­nach­tei­len von ih­rem Recht zur In­for­ma­ti­ons­ver­wei­ge­rung Ge­brauch zu ma­chen.

Der Fall Ga­li­na Meis­ter: In Russ­land ge­bo­re­ne EDV-Spe­zia­lis­tin be­kommt mit Mit­te 40 ei­ne Stel­le als Soft­ware­ent­wick­le­rin nicht und fühlt sich dis­kri­mi­niert

In dem vom BAG ent­schie­de­nen Fall ging es um ei­ne in Russ­land ge­bo­re­ne Soft­ware­ent­wick­le­rin, Frau Ga­li­na Meis­ter, die sich mit et­wa 45 Jah­ren in Ham­burg oh­ne Er­folg um ei­ne Stel­le als Soft­ware­ent­wick­le­rin be­wor­ben hat­te. Nach­dem sie zwei­mal ei­ne Ab­sa­ge er­hal­ten hat­te, klag­te sie auf ei­ne Gel­dentschädi­gung und ver­lang­te außer­dem von dem Un­ter­neh­men Ein­sicht in die Be­wer­bungs­un­ter­la­gen ih­res er­folg­rei­chen Kon­kur­ren­ten, um ih­re Qua­li­fi­ka­tio­nen mit de­nen ih­res Kon­kur­ren­ten ver­glei­chen zu können.

Da­mit hat­te sie we­der vor dem Ar­beits­ge­richt Ham­burg (Ur­teil vom 11.04.2007, 12 Ca 512/06) noch vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ham­burg Er­folg (LAG Ham­burg, Ur­teil vom 09.11.2007, H 3 Sa 102/07).

2008 lan­de­te der Fall beim BAG, das den Pro­zess aus­setz­te und den EuGH frag­te, ob die eu­ropäischen An­ti­dis­kri­mi­nie­rungs­richt­li­ni­en so zu ver­ste­hen sind, dass ab­ge­lehn­te Stel­len­be­wer­ber Aus­kunft darüber ver­lan­gen können, ob der Ar­beit­ge­ber ei­nen an­de­ren Be­wer­ber ein­ge­stellt hat und wenn ja war­um bzw. auf­grund wel­cher Kri­te­ri­en (BAG, Be­schluss vom 20.05.2010, 8 AZR 287/08 (A) wir be­rich­te­ten darüber in Ar­beits­recht ak­tu­ell 10/115: Aus­kunfts­an­spruch für ab­ge­lehn­te Stel­len­be­wer­ber?).

Vor ei­nem Jahr kam dann die Ant­wort aus Lu­xem­burg: Nein, es gibt kei­nen Aus­kunfts­an­spruch, aber die "Ver­wei­ge­rung" von In­for­ma­tio­nen kann dem Ar­beit­ge­ber als Dis­kri­mi­nie­rungs­in­diz auf die Füße fal­len (EuGH, Ur­teil vom 19.04.2012, C-415/10 - Meis­ter, wir be­rich­te­ten in: Ar­beits­recht ak­tu­ell: 12/160 Aus­kunfts­an­spruch des ab­ge­lehn­ten Stel­len­be­wer­bers?). Vor die­sem Hin­ter­grund war of­fen, wie das BAG den Fall Meis­ter ent­schei­den würde.

BAG: Gibt der Ar­beit­ge­ber dem ab­ge­lehn­ten Be­wer­ber kei­ne Aus­kunft über sei­ne Aus­wah­l­ent­schei­dung, lässt dies al­lein noch kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung ver­mu­ten

Am Don­ners­tag letz­ter Wo­che ent­schied das BAG den Fall Meis­ter nach sechsjähri­ger Pro­zess­dau­er zu­guns­ten des ver­klag­ten Ar­beit­ge­bers, d.h. es wies die Kla­ge auf Entschädi­gung ab. In der da­zu bis­lang al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mel­dung des BAG heißt es zur Be­gründung:

Auf der Grund­la­ge der EuGH-Recht­spre­chung war die Entschädi­gungs­kla­ge ab­zu­wei­sen, so das BAG (dass kein klag­ba­rer An­spruch auf Aus­kunft be­stand, war in­fol­ge des EuGH-Ur­teils oh­ne­hin klar).

Denn Frau Meis­ter hat­te zwar vor Ge­richt auf ihr Ge­schlecht, ihr Al­ter und ih­re Her­kunft (Russ­land) hin­ge­wie­sen, je­doch nach An­sicht des BAG kei­ne aus­rei­chen­den In­di­zi­en im Sin­ne von § 22 AGG dar­ge­legt, die ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des ver­mu­ten las­sen. Und auch die Ver­wei­ge­rung jeg­li­cher Aus­kunft durch den Ar­beit­ge­ber führ­te im vor­lie­gen­den Streit­fall nach Auf­fas­sung der Er­fur­ter Rich­ter nicht zu der Ver­mu­tung ei­ner un­zulässi­gen Be­nach­tei­li­gung Frau Meis­ters.

Fa­zit: Ver­wei­gert der Ar­beit­ge­ber ab­ge­lehn­ten Be­wer­bern In­for­ma­tio­nen über die Aus­wah­l­ent­schei­dung, lässt das erst ein­mal noch kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung ver­mu­ten. Dafür müssen wei­te­re In­di­zi­en hin­zu­kom­men.

Da das BAG sol­che wei­te­ren In­di­zi­en im Fall Meis­ter ver­neint, genügt es wohl auch nicht, dass man "die Stel­len­an­for­de­run­gen" erfüllt (denn das war bei Frau Meis­ter zwar der Fall, kann aber bei vie­len an­de­ren Be­wer­bern eben­so der Fall sein) oder dass man nicht zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ein­ge­la­den wird (denn da­zu ist der Ar­beit­ge­ber nicht ver­pflich­tet, auch wenn ein Be­wer­ber den Stel­len­an­for­de­run­gen ent­spricht).

Da­mit setzt das BAG der Be­gründungs­pflicht des Ar­beit­ge­bers für Ab­sa­gen ein­mal mehr Gren­zen: Be­reits im Fe­bru­ar 2013 hat­ten die Er­fur­ter Rich­ter klar­ge­stellt, dass öffent­li­che Ar­beit­ge­ber nicht im­mer ei­ne Be­gründung dafür ge­ben müssen, war­um sie ei­nen schwer­be­hin­der­ten Stel­len­be­wer­ber nicht ein­ge­stellt ha­ben (BAG, Ur­teil vom 21.02.2013, 8 AZR 180/12 - wir be­rich­te­ten in: Ar­beits­recht ak­tu­ell: 13/041 Dis­kri­mi­nie­rung bei der Be­wer­bung we­gen ei­ner Schwer­be­hin­de­rung).

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das Ge­richt sei­ne Ent­schei­dungs­gründe schrift­lich ab­ge­fasst und veröffent­licht. Die Ent­schei­dungs­gründe im Voll­text fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 16. November 2020

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