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HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

BAG, Ur­teil vom 15.03.2012, 8 AZR 160/11

   
Schlagworte: Diskriminierung: Behinderung, Diskriminierung: Bewerbung, Europarecht, Diskriminierung: Fristen
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 8 AZR 160/11
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 15.03.2012
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Saarbrücken, Urteil vom 5.2.2010 - 63 Ca 3/09
Landesarbeitsgericht Saarland, Urteil vom 17.11.2010 - 1 Sa 23/10
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


8 AZR 160/11
1 Sa 23/10
Lan­des­ar­beits­ge­richt
Saar­land

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

15. März 2012

UR­TEIL

Förs­ter, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläger, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­onskläger,

pp.

be­klag­tes, be­ru­fungs­be­klag­tes und re­vi­si­ons­be­klag­tes Land,

hat der Ach­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 15. März 2012 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Hauck, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Böck und Brein­lin­ger so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Schulz und Hen­ni­ger für Recht er­kannt:
 


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Die Re­vi­si­on des Klägers ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Saar­land vom 17. No­vem­ber 2010 - 1 Sa 23/10 - wird zurück­ge­wie­sen.
Der Kläger hat die Kos­ten der Re­vi­si­on zu tra­gen.


Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über ei­nen Entschädi­gungs­an­spruch des Klägers we­gen ei­ner Be­nach­tei­li­gung auf­grund ei­ner Be­hin­de­rung bei ei­ner Be­wer­bung auf ei­ne vom be­klag­ten Land aus­ge­schrie­be­ne Stel­le.


Der Kläger ist schwer­be­hin­dert. Er verfügt über Aus­bil­dun­gen zum Leh­rer für Grund- und Haupt­schu­len so­wie zum Dipl.-Pädago­gen. Der Kläger ist Mit­glied der GEW.


Das be­klag­te Land ließ im Ju­ni 2008 über die Bun­des­agen­tur für Ar­beit zwei Stel­len für Lehr­kräfte an der Jus­tiz­voll­zugs­an­stalt O aus­schrei­ben. In die­ser Aus­schrei­bung heißt es ua.:


„Für un­ser Team, das sich mul­ti­pro­fes­sio­nell aus Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern des mitt­le­ren all­ge­mei­nen Voll­zugs­diens­tes und der Fach­diens­te (So­zi­al­ar­bei­ter, Pädago­gen, Psy­cho­lo­gen, Seel­sor­ger) zu­sam­men­setzt, be­set­zen wir als­bald zwei Stel­len für Leh­re­rin­nen bzw. Leh­rer.


Das Auf­ga­ben­ge­biet be­inhal­tet primär die Er­tei­lung von Un­ter­richt zur Vor­be­rei­tung von Ge­fan­ge­nen auf den Er­werb des Haupt­schul­ab­schlus­ses - ins­be­son­de­re in den Fächern Deutsch, Ma­the­ma­tik, Ge­schich­te, So­zi­al­kun­de und Erd­kun­de. Je nach Be­darf um­fasst der Tätig­keits­be­reich auch die in­ten­si­ve pädago­gi­sche Be­treu­ung von In­haf­tier­ten im Be­reich der Ele­men­tar­bil­dung. Da­bei be­schränken sich die Auf­ga­ben nicht auf die rei­ne Ver­mitt­lung von schu­li­schen Lern­in­hal­ten, son­dern eröff­nen vielfälti­ge Möglich­kei­ten in­di­vi­du­el­ler pädago­gisch-krea­ti­ver Be­hand­lungs- und Förder­an­ge­bo­te. In­so­fern wären auch Er­fah­run­gen im künst­le­risch-ge­stal­te­ri­schen
 


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Be­reich von Vor­teil.


Er­for­der­lich sind Teamfähig­keit so­wie die Be­reit­schaft zur Mit­ar­beit in Be­hand­lungs­grup­pen und bei der Voll­zugs­pla­nung. Zu­dem wäre ei­ne son­derpädago­gi­sche Zu­satz­aus­bil­dung oder Er­fah­rung in der Ar­beit mit ver­hal­tens­auffälli­gen Ju­gend­li­chen wünschens­wert. Die Teil­nah­me an Fort­bil­dun­gen wird er­war­tet und un­terstützt.


Es han­delt sich um ei­ne Voll­zeit­beschäfti­gung. Die Stel­len sind vor­erst auf 2 Jah­re be­fris­tet. Ei­ne un­be­fris­te­te Wei­ter­beschäfti­gung ist bei Bewährung möglich. Die Ein­grup­pie­rung er­folgt je nach Qua­li­fi­ka­ti­on bis höchs­tens Ent­gelt­grup­pe 13 TV-L.
...


WIR SU­CHEN


Bil­dungs­ab­schluss


Wis­sen­schaft­li­che Hoch­schu­le/Uni­ver­sität


Mo­bi­lität

Rei­se­be­reit­schaft: nicht er­for­der­lich

...

Kennt­nis­se und Fer­tig­kei­ten

Un­ter­richt (schu­li­scher Be­reich): zwin­gend er­for­der­lich“

Der Kläger be­warb sich mit Schrei­ben vom 11. Ju­li 2008 um ei­ne die­ser Stel­len. Sein Be­wer­bungs­schrei­ben ent­hielt den Hin­weis:

„Ich bin zwar schwer­be­hin­dert (60 %), dies be­ein­träch­tigt mei­ne Leis­tungsfähig­keit aber nicht.“

Un­ter dem 29. Au­gust 2008 teil­te das zuständi­ge Mi­nis­te­ri­um für Jus­tiz, Ar­beit, Ge­sund­heit und So­zia­les des be­klag­ten Lan­des dem Kläger schrift­lich mit:


„Ih­re Be­wer­bung um die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le ei­nes Leh­rers/ei­ner Leh­re­rin in der Jus­tiz­voll­zugs­an­stalt O

Sehr ge­ehr­ter Herr G,


nach Ab­schluss des Aus­wahl­ver­fah­rens muss ich Ih­nen lei­der mit­tei­len, dass Sie für ei­ne Ein­stel­lung nicht berück­sich­tigt wer­den konn­ten. Die Aus­wahl­kom­mis­si­on hat ei­ner an­de­ren Be­wer­bung den Vor­zug ge­ge­ben.


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Ich be­daue­re, Ih­nen kei­ne güns­ti­ge­re Mit­tei­lung ma­chen zu können. Ih­re Be­wer­bungs­un­ter­la­gen rei­che ich in der An­la­ge zurück.

Für die Zu­kunft wünsche ich Ih­nen al­les Gu­te.“

Das Schrei­ben ging dem Kläger am 2. Sep­tem­ber 2008 zu. Mit Schrei­ben vom 30. Ok­to­ber 2008 mel­de­te der Kläger Scha­dens­er­satz­ansprüche/Entschädi­gungs­leis­tun­gen we­gen Be­nach­tei­li­gung bei der Ein­stel­lung an, da er vom be­klag­ten Land als Schwer­be­hin­der­ter nicht zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ein­ge­la­den wor­den war. Die­ses Schrei­ben ging dem be­klag­ten Land am 4. No­vem­ber 2008 zu. Un­ter Hin­weis auf die ge­setz­li­che Frist zur Gel­tend­ma­chung sah das be­klag­te Land un­ter dem 19. No­vem­ber 2008 von ei­ner wei­te­ren Stel­lung­nah­me ab.


Der Kläger meint, das be­klag­te Land ha­be ihn un­ter Ver­s­toß ge­gen § 82 Satz 2 SGB IX nicht zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ein­ge­la­den. Auch ha­be es ihm kei­ne Gründe für die Ab­leh­nung sei­ner Be­wer­bung mit­ge­teilt und sei­ne wei­te­ren Ver­pflich­tun­gen aus § 81 und § 82 SGB IX nicht erfüllt. Dar­aus und aus an­de­ren Ge­sichts­punk­ten er­ge­be sich die Ver­mu­tung, dass er we­gen sei­ner Schwer­be­hin­de­rung be­nach­tei­ligt wor­den sei. Da nach dem für die in Aus­sicht ge­nom­me­ne Stel­le gel­ten­den Ta­rif­ver­trag des öffent­li­chen Diens­tes (TV-L) für die Gel­tend­ma­chung von Ansprüchen aus dem Ar­beits­verhält­nis ei­ne sechs­mo­na­ti­ge Aus­schluss­frist gel­te (§ 37 TV-L) und weil die Aus­schluss­frist des § 15 Abs. 4 AGG ge­gen Eu­ro­pa­recht ver­s­toße, ha­be er sei­ne Ansprüche recht­zei­tig gel­tend ge­macht.


Die Entschädi­gung müsse min­des­tens 6.450,00 Eu­ro be­tra­gen. 


Der Kläger hat zu­letzt be­an­tragt, 

das be­klag­te Land zu ver­ur­tei­len, an ihn Scha­dens­er­satz, des­sen Höhe in das Er­mes­sen des Ge­richts ge­stellt wird, nebst Zin­sen iHv. fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz gemäß § 247 BGB seit Rechtshängig­keit zu zah­len.


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Das be­klag­te Land hat sei­nen Kla­ge­ab­wei­sungs­an­trag im We­sent­li­chen dar­auf gestützt, dass ei­ne Ein­la­dung zum Vor­stel­lungs­gespräch schon ha­be un­ter­blei­ben können, da das An­schrei­ben des Klägers farb­los ge­we­sen sei. Der Kläger sei seit 1979 in der Er­wach­se­nen­bil­dung und nicht an Schu­len tätig. Auch die gewünsch­te son­derpädago­gi­sche Zu­satz­aus­bil­dung oder Er­fah­rung in der Ar­beit mit ver­hal­tens­auffälli­gen Ju­gend­li­chen ha­be der Kläger nicht vor­wei­sen können. In je­dem Fall schei­ter­ten Entschädi­gungs­ansprüche an der wirk­sa­men Frist des § 15 Abs. 4 AGG, die der Kläger nicht ein­ge­hal­ten ha­be.


Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Die Be­ru­fung des Klägers hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­ge­wie­sen. Mit sei­ner vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt der Kläger sein Entschädi­gungs­be­geh­ren wei­ter.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on des Klägers ist un­be­gründet. Ein ihm mögli­cher­wei­se zu­ste­hen­der Entschädi­gungs­an­spruch ist ver­fal­len.

A. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat sei­ne Ent­schei­dung im We­sent­li­chen wie folgt be­gründet: Ein et­wai­ger Entschädi­gungs­an­spruch des Klägers sei nach § 15 Abs. 4 AGG ver­fal­len, weil sein Gel­tend­ma­chungs­schrei­ben erst am 4. No­vem­ber 2008 beim be­klag­ten Land und da­mit nicht in­ner­halb von zwei Mo­na­ten nach Kennt­nis­er­lan­gung von sei­ner Be­nach­tei­li­gung ein­ge­gan­gen sei. Die Aus­schluss­frist ha­be mit dem Zu­gang der Ab­leh­nung be­gon­nen, da der Kläger in die­sem Zeit­punkt ge­wusst ha­be, dass er bei der Stel­len­be­set­zung nicht zum Zu­ge ge­kom­men sei und ent­ge­gen der be­ste­hen­den Ver­pflich­tung nicht zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ein­ge­la­den wor­den sei. Dar­auf ha­be der Kläger in sei­nem Gel­tend­ma­chungs­schrei­ben aus­drück­lich selbst hin­ge­wie­sen. Ei­ne aus­rei­chen­de Kennt­nis iSd. § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG ha­be beim Kläger mit Zu­gang des Ab­leh­nungs­schrei­bens vor­ge­le­gen. Es sei nicht er­for­der­lich, dass sich die Be­klag­te zu wei­te­ren In­di­zi­en ei­ner Be­nach­tei­li­gung ein­ge­las­sen ha­be,
 


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weil der Kläger für den Be­ginn der Frist nicht Kennt­nis von al­len Tat­sa­chen ha­ben muss­te, wel­che die Ver­mu­tung ei­ner Be­nach­tei­li­gung be­gründen konn­ten. Die Aus­schluss­frist des § 15 Abs. 4 AGG ver­s­toße auch in An­se­hung von § 37 TV-L nicht ge­gen Eu­ropäisches Ge­mein­schafts­recht. So­weit der Kläger auch Ansprüche we­gen Ver­let­zung sei­nes all­ge­mei­nen Persönlich­keits­rechts an­klin­gen las­se, ha­be er de­ren Vor­aus­set­zun­gen nicht schlüssig dar­ge­legt.


B. Die Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts hält ei­ner re­vi­si­ons­recht­li­chen Über­prüfung stand.


Ein et­wai­ger Entschädi­gungs­an­spruch des Klägers nach § 15 Abs. 2 AGG ist we­gen ver­späte­ter Gel­tend­ma­chung ver­fal­len (§ 15 Abs. 4 AGG).


I. Streit­ge­gen­stand ist ein An­spruch auf Zah­lung ei­ner Entschädi­gung we­gen ei­nes im­ma­te­ri­el­len Scha­dens (§ 15 Abs. 2 AGG), nicht ein auf Er­satz ei­nes Vermögens­scha­dens ge­rich­te­ter Scha­dens­er­satz­an­spruch (§ 15 Abs. 1 AGG). Zwar ver­wen­det der Kläger in sei­nem Re­vi­si­ons­an­trag das Wort „Scha­dens­er­satz“, je­doch macht er aus­weis­lich der von ihm ge­ge­be­nen Be­gründung kei­nen Scha­dens­er­satz­an­spruch gel­tend. Ins­be­son­de­re ver­langt der Kläger aus­drück­lich ei­ne der Höhe nach ins Er­mes­sen des Ge­richts ge­stell­te „Entschädi­gung“ und kei­nen kon­kre­ten Ver­dienst­aus­fall für ei­nen be­stimm­ten Zeit­raum.


II. Der auf Zah­lung ei­ner Entschädi­gung ge­rich­te­te Kla­ge­an­trag ist zulässig, ins­be­son­de­re hin­rei­chend be­stimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der Kläger durf­te die Höhe der von ihm be­gehr­ten Entschädi­gung in das Er­mes­sen des Ge­richts stel­len. Grund­la­ge hierfür ist § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG, der für ei­nen Scha­den, der nicht Vermögens­scha­den ist, ei­ne an­ge­mes­se­ne Entschädi­gung in Geld vor­sieht. Dem Ge­richt wird bei der Be­stim­mung der Höhe der Entschädi­gung ein Be­ur­tei­lungs­spiel­raum ein­geräumt (vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 38), wes­halb ei­ne Be­zif­fe­rung des Zah­lungs­an­trags nicht not­wen­dig ist. Er­for­der­lich ist al­lein, dass der Kläger Tat­sa­chen, die das Ge­richt bei der Be­stim­mung des Be­trags her­an­zie­hen soll, be­nennt und die Größen­ord­nung der gel­tend ge­mach­ten For­de­rung an­gibt (vgl. BAG 19. Au­gust 2010 - 8 AZR 370/09 - AP
 


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SGB IX § 81 Nr. 19 = EzA AGG § 15 Nr. 11). Die­se Vor­aus­set­zun­gen sind erfüllt. Der Kläger hat ei­nen Sach­ver­halt dar­ge­legt, der dem Ge­richt grundsätz­lich die Be­stim­mung ei­ner Entschädi­gung ermöglicht, und den Min­dest­be­trag der an­ge­mes­se­nen Entschädi­gung mit 6.450,00 Eu­ro be­zif­fert.


III. Die Kla­ge ist un­be­gründet. 


1. Ei­nen An­spruch aus § 15 Abs. 2 AGG iVm. § 81 Abs. 2 SGB IX auf ei­ne an­ge­mes­se­ne Entschädi­gung in Geld kann der Kläger, un­abhängig von sei­nem Be­ste­hen, al­lein des­halb nicht mit Er­folg ver­fol­gen, weil er den von ihm be­haup­te­ten An­spruch nicht in­ner­halb der in § 15 Abs. 4 AGG be­stimm­ten Frist gel­tend ge­macht hat und der An­spruch da­her ver­fal­len ist.


a) Der persönli­che An­wen­dungs­be­reich des AGG ist eröff­net. Der Kläger ist als Be­wer­ber „Beschäftig­ter“ im Sin­ne des AGG. Nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AGG gel­ten als Beschäftig­te auch Be­wer­be­rin­nen und Be­wer­ber für ein Beschäfti­gungs­verhält­nis.


b) Das be­klag­te Land ist als „Ar­beit­ge­ber“ pas­siv le­gi­ti­miert. Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 AGG ist Ar­beit­ge­ber im Sin­ne des Ge­set­zes, wer „Per­so­nen
nach Ab­satz 1“ des § 6 AGG „beschäftigt“. Ar­beit­ge­ber ist al­so der­je­ni­ge, der um Be­wer­bun­gen für ein von ihm an­ge­streb­tes Beschäfti­gungs­verhält­nis bit­tet (vgl. BAG 19. Au­gust 2010 - 8 AZR 370/09 - AP SGB IX § 81 Nr. 19 = EzA AGG § 15 Nr. 11).

c) Der Kläger hat die nach § 15 Abs. 4 AGG für die Gel­tend­ma­chung von Ansprüchen nach § 15 Abs. 2 AGG ein­zu­hal­ten­de Frist von zwei Mo­na­ten nicht ge­wahrt. Bei die­ser Frist han­delt es sich um ei­ne ma­te­ri­ell-recht­li­che Aus­schluss­frist (vgl. Adom­eit/Mohr AGG 2. Aufl. § 15 Rn. 91; v. Ro­et­te­ken AGG Stand März 2012 § 15 Rn. 101; Däubler/Bertz­bach-Dei­nert 2. Aufl. § 15 Rn. 99; KR-Tre­ber 9. Aufl. § 15 AGG Rn. 50 St­ein in Wen­de­ling-Schröder/St­ein AGG § 15 Rn. 66), de­ren Ein­hal­tung - wie bei ta­rif­ver­trag­li­chen Aus­schluss­fris­ten - von Amts we­gen zu be­ach­ten ist (vgl. GMP/Ger­mel­mann ArbGG 7. Aufl. § 61b



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Rn. 10; Pa­landt/Wei­den­kaff 71. Aufl. § 15 AGG Rn. 8; ErfK/Preis 12. Aufl. §§ 194 - 218 BGB Rn. 33).


d) An­stel­le der nach § 15 Abs. 4 AGG gel­ten­den zwei­mo­na­ti­gen Frist ist nicht die länge­re Frist des § 37 TV-L ein­schlägig. § 37 Abs. 1 TV-L sieht für die Gel­tend­ma­chung von Ansprüchen aus dem Ar­beits­verhält­nis ei­ne Aus­schluss­frist von sechs Mo­na­ten nach Fällig­keit vor. Die­se ta­rif­li­che Aus­schluss­frist ist aber nicht auf ei­nen Entschädi­gungs­an­spruch ei­nes Stel­len­be­wer­bers nach § 15 Abs. 2 AGG an­zu­wen­den.


Im Fal­le ei­nes be­haup­te­ten Entschädi­gungs­an­spruchs ei­nes er­folg­lo­sen Be­wer­bers kommt es für die Aus­schluss­frist nicht auf die für die Gel­tend­ma­chung von Scha­dens­er­satz­ansprüchen im an­ge­streb­ten Ar­beits­verhält­nis, dh. auf die Frist für Scha­dens­er­satz­ansprüche bei un­ter­stell­tem Ver­trags­ab­schluss, an.


Vor­aus­set­zung dafür, dass nach der in § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG zu­ge­las­se­nen ab­wei­chen­den Re­ge­lung ei­nes Ta­rif­ver­trags die ta­rif­ver­trag­li­che Aus­schluss­frist zur An­wen­dung kommt, ist, dass der Ta­rif­ver­trag durch bei­der-sei­ti­ge Ta­rif­ge­bun­den­heit Gel­tung ent­fal­tet und die ta­rif­ver­trag­li­che Aus­schluss­frist den An­spruch er­fasst. Die nor­ma­ti­ve und zwin­gen­de Wir­kung ei­nes Ta­rif­ver­trags er­for­dert nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG ne­ben der Ta­rif­bin­dung der Ar­beits­ver­trags­par­tei­en, dass das Ar­beits­verhält­nis un­ter den Gel­tungs­be­reich des Ta­rif­ver­trags fällt.


In § 1 TV-L ha­ben die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en den persönli­chen Gel­tungs­be­reich des TV-L ge­re­gelt. Da­nach gilt der TV-L für al­le Ar­beit­neh­me­rin­nen und Ar­beit­neh­mer, die in ei­nem Ar­beits­verhält­nis zu ei­nem Ar­beit­ge­ber ste­hen, der Mit­glied der Ta­rif­ge­mein­schaft deut­scher Länder (TdL) oder ei­nes Mit­glied­ver­ban­des der TdL ist. Da­mit ha­ben die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en den persönli­chen Gel­tungs­be­reich auf be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis­se fest­ge­legt. Kommt es man­gels Ver­trags­ab­schlus­ses nicht zu ei­nem Ar­beits­verhält­nis, fin­det der TV-L kei­ne An­wen­dung.
 


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e) Die Aus­schluss­frist des § 15 Abs. 4 AGG verstößt nicht ge­gen Eu­ro­pa­recht.

aa) Aus­drück­lich las­sen Art. 9 Abs. 3 der Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27. No­vem­ber 2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf, Art. 7 Abs. 3 der Richt­li­nie 2000/43/EG des Ra­tes vom 29. Ju­ni 2000 zur An­wen­dung des Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes oh­ne Un­ter­schied der Ras­se oder der eth­ni­schen Her­kunft und Art. 17 Abs. 3 der Richt­li­nie 2006/54/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 5. Ju­li 2006 zur Ver­wirk­li­chung des Grund­sat­zes der Chan­cen­gleich­heit und Gleich­be­hand­lung von Männern und Frau­en in Ar­beits- und Beschäfti­gungs­fra­gen ein­zel­staat­li­che Re­ge­lun­gen über Fris­ten für die Rechts­ver­fol­gung be­tref­fend den Gleich­be­hand­lungs­grund­satz un­berührt.


bb) Nach ständi­ger Recht­spre­chung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs ist es man­gels ei­ner ein­schlägi­gen Ge­mein­schafts­re­ge­lung Sa­che der in­ner­staat­li­chen Rechts­ord­nung der ein­zel­nen Mit­glied­staa­ten, die zuständi­gen Ge­rich­te und die Aus­ge­stal­tung von Ver­fah­ren, die den Schutz der dem Bürger aus dem Uni­ons­recht er­wach­sen­den Rech­te gewähr­leis­ten sol­len, zu be­stim­men. Da­bei dürfen die­se Ver­fah­ren nicht we­ni­ger güns­tig ge­stal­tet sein als bei ent­spre­chen­den Kla­gen, die nur in­ner­staat­li­ches Recht be­tref­fen (Grund­satz der Äqui­va­lenz), und die Ausübung der durch die Uni­ons­rechts­ord­nung ver­lie­he­nen Rech­te nicht prak­tisch unmöglich ma­chen oder übermäßig er­schwe­ren (Grund­satz der Ef­fek­ti­vität; vgl. EuGH 8. Ju­li 2010 - C-246/09 - [Buli­cke] Slg. 2010, I-7003 = AP Richt­li­nie 2000/78/EG Nr. 16 = EzA AGG § 15 Nr. 8).


cc) § 15 Abs. 4 AGG verstößt nicht ge­gen den Grund­satz der Gleich­wer­tig­keit (Äqui­va­lenz). Nach deut­schem Recht be­steht kei­ne, ei­ner Kla­ge auf Entschädi­gung in­fol­ge ei­ner Dis­kri­mi­nie­rung nach § 15 Abs. 2 AGG ver­gleich­ba­re, nach ih­ren Ver­fah­rens­mo­da­litäten güns­ti­ge­re Kla­ge­art (vgl. Kol­be Eu­ZA 2011, 65, 68; Wag­ner/Potsch JZ 2006, 1085, 1092; Ja­cobs RdA 2009, 193, 200; im Er­geb­nis auch: Däubler/Bertz­bach-Dei­nert § 15 2. Aufl. Rn. 102; KR-Tre­ber 9. Aufl. § 15 AGG Rn. 51; Adom­eit/Mohr AGG 2. Aufl. § 15 Rn. 101; Mü-KoBGB/Thüsing 6. Aufl. § 15 AGG Rn. 46; Schaub/Linck ArbR-Hdb. 14. Aufl.
 


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§ 36 Rn. 101a; aA Rust/Eg­gert-Weyand ZESAR 2011, 186, 189 f.; Fi­schin­ger NZA 2010, 1048, 1051; v. Ro­et­te­ken AGG Stand März 2012 § 15 Rn. 104a; ders. ju­ris­PR-ArbR 1/2011 Anm. 1; Schiek/Ko­cher AGG § 15 Rn. 56).


Die Wah­rung des Grund­sat­zes der Äqui­va­lenz setzt vor­aus, dass die strei­ti­ge Re­ge­lung in glei­cher Wei­se für Kla­gen gilt, die auf die Ver­let­zung des Uni­ons­rechts gestützt sind, wie für sol­che, die auf die Ver­let­zung des in­ner-staat­li­chen Rechts gestützt sind, so­fern die­se Kla­gen ei­nen ähn­li­chen Ge­gen-stand und Rechts­grund ha­ben (vgl. EuGH 8. Ju­li 2010 - C-246/09 - [Buli­cke] Slg. 2010, I-7003 = AP Richt­li­nie 2000/78/EG Nr. 16 = EzA AGG § 15 Nr. 8). Dar­aus folgt aber nach der Recht­spre­chung des EuGH nicht, dass der na­tio­na­le Ge­setz­ge­ber ver­pflich­tet wäre, die güns­tigs­te in­ner­staat­li­che Re­ge­lung auf al­le Kla­gen zu er­stre­cken, die im Be­reich des Ar­beits­rechts er­ho­ben wer­den (vgl. EuGH 8. Ju­li 2010 - C-246/09 - [Buli­cke] aaO). Das na­tio­na­le Ge­richt hat viel­mehr ob­jek­tiv und abs­trakt un­ter Berück­sich­ti­gung der Stel­lung der Vor­schrift im ge­sam­ten Ver­fah­ren, des Ver­fah­rens­ab­laufs und der Be­son­der­hei­ten des Ver­fah­rens vor den ver­schie­de­nen na­tio­na­len Stel­len zu prüfen, ob ei­ne nach Ge­gen­stand, Rechts­grund und den we­sent­li­chen Merk­ma­len ver­gleich­ba­re, nach den Ver­fah­rens­mo­da­litäten güns­ti­ge­re Kla­ge be­steht (vgl. EuGH 8. Ju­li 2010 - C-246/09 - [Buli­cke] aaO).


Nach die­sen Maßstäben ist die Kla­ge ei­nes er­folg­lo­sen Stel­len­be­wer­bers auf ei­ne an­ge­mes­se­ne Entschädi­gung, dh. auf Er­satz ei­nes Nicht­vermögens­scha­dens, in­fol­ge ei­ner Dis­kri­mi­nie­rung we­der ver­gleich­bar mit Be­stands-schutz­kla­gen nach dem Kündi­gungs­schutz­ge­setz oder dem Teil­zeit- und Be­fris­tungs­ge­setz noch mit Kla­gen nach § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB we­gen Ver­schul­dens bei Ver­trags­ver­hand­lun­gen oder mit Kla­gen nach § 823 Abs. 1 BGB iVm. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG auf ei­ne Gel­dentschädi­gung we­gen Ver­let­zung des Persönlich­keits­rechts. Nach na­tio­na­lem Recht be­stand kein dem Entschädi­gungs­an­spruch des AGG ver­gleich­ba­rer An­spruch ei­nes er­folg­lo­sen Stel­len­be­wer­bers bei Ver­let­zung des In­klu­si­ons­in­ter­es­ses in Be­zug auf die Merk­ma­le des § 1 AGG oder ver­gleich­ba­re Merk­ma­le. Da­her war der deut­sche Ge­setz­ge­ber nicht nach dem Grund­satz der Gleich­wer-
 


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tig­keit dar­an ge­hin­dert, vom Verjährungs­recht ab­wei­chen­de Aus­schluss­fris­ten ein­zuführen.


Be­reits mit Ur­teil vom 24. Sep­tem­ber 2009 (- 8 AZR 705/08 - AP AGG § 3 Nr. 2 = EzA AGG § 3 Nr. 1) hat der Se­nat die Ver­ein­bar­keit von § 15 Abs. 4 AGG für Entschädi­gungs­ansprüche aus ei­nem be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis mit dem Grund­satz der Gleich­wer­tig­keit bestätigt und zum Ver­gleich die § 4 Satz 1, § 12 Satz 1 KSchG, § 17 Satz 1 Tz­B­fG, § 626 Abs. 2 BGB, § 22 Abs. 4 BBiG und § 9 Abs. 1 MuSchG her­an­ge­zo­gen. Be­steht man­gels Ver­trags­ab­schlus­ses je­doch kein Ar­beits­verhält­nis, sind die zur Ver­wirk­li­chung des Be­stands­schut­zes vor­ge­se­he­nen Fest­stel­lungs­kla­gen des deut­schen Ar­beits-rechts (§§ 4, 9 KSchG, § 17 Tz­B­fG, § 256 ZPO) mit ei­ner Entschädi­gungs­kla­ge nach § 15 Abs. 2 AGG zum Aus­gleich des Nicht­vermögens­scha­dens, we­gen ei­ner Dis­kri­mi­nie­rung im Stel­len­be­set­zungs­ver­fah­ren nicht ver­gleich­bar (vgl. Fi­schin­ger NZA 2010, 1048, 1050; Rust/Eg­gert-Weyand ZESAR 2011, 186, 190; v. Ro­et­te­ken ju­ris­PR-ArbR 1/2011 Anm. 1).


So­weit in der Li­te­ra­tur Scha­dens­er­satz­ansprüche we­gen Ver­schul­dens bei Ver­trags­ver­hand­lun­gen nach § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB, wel­che re­gelmäßig in drei Jah­ren verjähren (§ 195 BGB), als mit § 15 Abs. 2 AGG ver­gleich­ba­re, güns­ti­ge­re Ansprüche be­trach­tet wer­den (vgl. Gott­hardt ZTR 2000, 448, 450 zu § 611a Abs. 4 BGB aF; Rust/Eg­gert-Weyand ZESAR 2011, 186, 190), ist dem nicht zu fol­gen.
 

Bei der Haf­tung nach § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2 BGB we­gen Ver­schul­dens bei Ver­trags­ver­hand­lun­gen han­delt es sich um kei­nen ty­pisch ar­beits-recht­li­chen An­spruch, son­dern um die Aus­prägung ei­nes all­ge­mei­nen Rechts­ge­dan­kens. Mit § 311 Abs. 2 BGB hat der Ge­setz­ge­ber im Rah­men der Schuld­rechts­mo­der­ni­sie­rung die cul­pa-in-con­tra­hen­do-Haf­tung nor­miert, die als Haf­tung für in An­spruch ge­nom­me­nes, enttäusch­tes Ver­trau­en seit Lan­gem an­er­kannt war. Die Fall­grup­pen der Haf­tung nach § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2 BGB sind im Hin­blick auf ei­ne Viel­zahl von Schutz­pflich­ten sehr viel­ge­stal­tig und rei­chen bspw. von dem Ab­bruch von Ver­trags­ver­hand­lun­gen (vgl. BGH 29. März 1996 - V ZR 332/94 - NJW 1996, 1884), der Ver­let­zung von Aufklä-



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rungs­pflich­ten, wie der un­rich­ti­gen In­for­ma­ti­on über wert­bil­den­de Merk­ma­le beim Kauf von GmbH-Geschäfts­an­tei­len (vgl. BGH 4. April 2001 - VIII ZR 32/00 - NJW 2001, 2163) oder der un­ter­las­se­nen Aufklärung in Ar­beits­ver­trags­ver­hand­lun­gen über ei­nen kon­kret ins Au­ge ge­fass­ten be­vor­ste­hen­den Per­so­nal­ab­bau (vgl. BAG 14. Ju­li 2005 - 8 AZR 300/04 - AP BGB § 242 Aus­kunfts­pflicht Nr. 41 = EzA BGB 2002 § 242 Nr. 1), bis hin zur Haf­tung we­gen Ver­let­zung von Ver­kehrs­si­che­rungs­pflich­ten (vgl. MüKoBGB/Em­me­rich 6. Aufl. § 311 BGB Rn. 63 ff.). Im Hin­blick auf den in § 311 Abs. 2 BGB zum Aus­druck kom­men­den all­ge­mei­nen Rechts­ge­dan­ken und die vielfälti­gen Fall­ge­stal­tun­gen der Haf­tung nach § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2 BGB fehlt auch ei­ne von der all­ge­mei­nen Verjährungs­vor­schrift ab­wei­chen­de Re­ge­lung; es gilt im Grund­satz die Re­gel­verjährung des § 195 BGB (vgl. Pa­landt/El­len­ber­ger 71. Aufl. § 195 BGB Rn. 4).


§ 15 Abs. 2 AGG ver­mit­telt dem er­folg­lo­sen Stel­len­be­wer­ber dem­ge­genüber ei­nen Entschädi­gungs­an­spruch, wenn der Ar­beit­ge­ber im Stel­len­be­set­zungs­ver­fah­ren ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot (§ 7 Abs. 1 AGG) ver­s­toßen hat. Nach § 7 Abs. 3 AGG ist ei­ne Be­nach­tei­li­gung nach § 7 Abs. 1 AGG durch Ar­beit­ge­ber oder Beschäftig­te ei­ne Ver­let­zung (vor-)ver­trag­li­cher Pflich­ten. Hier­mit am ehes­ten ver­gleich­bar ist ei­ne cul­pa-in-con­tra­hen­do-Haf­tung des Ar­beit­ge­bers (§ 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB) bei Ab­bruch der Ver­trags­ver­hand­lun­gen, da bei­de Ansprüche an Pflicht­ver­let­zun­gen im Vor­feld der Be­gründung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses an­knüpfen (hier­auf ab­stel­lend: Gott­hardt ZTR 2000, 448, 450) und es zu kei­nem Ver­trags­ab­schluss kommt. In­so­weit be­steht ein ver­gleich­ba­rer Rechts­grund der Ansprüche.


Al­ler­dings sind Ansprüche aus § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB und sol­che aus § 15 Abs. 2, § 7 Abs. 1 AGG schon hin­sicht­lich ih­res Ge­gen­stan­des nicht ver­gleich­bar.


Bei der Ver­let­zung vor­ver­trag­li­cher Pflich­ten ist nach § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2, § 249 Abs. 1 BGB der Geschädig­te grundsätz­lich so zu stel­len, wie er oh­ne das schädi­gen­de Ver­hal­ten des an­de­ren Teils ge­stan­den hätte. So­weit die Her­stel­lung nicht möglich oder zur Entschädi­gung des Gläubi­gers



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nicht genügend ist, hat der Er­satz­pflich­ti­ge den Gläubi­ger in Geld zu entschädi­gen, § 251 Abs. 1 BGB. Dem bei Ver­trags­ver­hand­lun­gen Geschädig­ten steht ein An­spruch auf ma­te­ri­el­len Scha­dens­er­satz zu. In der Fall­grup­pe des Ab­bruchs von Ver­trags­ver­hand­lun­gen um­fasst die­ser grundsätz­lich nur das ne­ga­ti­ve In­ter­es­se, nicht aber das po­si­ti­ve In­ter­es­se, da dies auf ei­nen Kon­tra­hie­rungs­zwang aus cul­pa-in-con­tra­hen­do hin­aus­lie­fe (vgl. BGH 18. Ju­li 2001 - XII ZR 183/98 - NJW-RR 2001, 1524; MüKoBGB/Em­me­rich 5. Aufl. § 311 BGB Rn. 225; Bam­ber­ger/Roth/Un­berath BGB 2. Aufl. Bd. 1 § 280 Rn. 60). Der Scha­den be­steht da­her in den nutz­lo­sen Auf­wen­dun­gen (vgl. Pa­landt/Grüne­berg 71. Aufl. § 311 BGB Rn. 55), wie sie der BGH bspw. in Um-und Rück­bau­kos­ten er­kannt hat (vgl. BGH 22. Fe­bru­ar 2006 - XII ZR 48/03 - NJW 2006, 1963). Nur bei Ver­let­zung des Körpers, der Ge­sund­heit, der Frei­heit oder der se­xu­el­len Selbst­be­stim­mung kann we­gen des Scha­dens, der nicht Vermögens­scha­den ist, ei­ne bil­li­ge Entschädi­gung in Geld ver­langt wer­den, § 253 Abs. 2 BGB. § 253 Abs. 2 BGB gewährt kei­nen Aus­gleichs­an­spruch bei Ver­let­zung des all­ge­mei­nen Persönlich­keits­rechts. Dies ent­spricht dem aus­drück­li­chen Wil­len des Ge­setz­ge­bers (vgl. BT-Drucks. 14/7752 S. 24, 25; MüKoBGB/Oet­ker 6. Aufl. § 253 BGB Rn. 27). Ein An­spruch bei Ver­let­zung des Persönlich­keits­rechts kann sich da­her nur aus § 823 Abs. 1 BGB iVm. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 GG er­ge­ben (vgl. Pa­landt/Grüne­berg 71. Aufl. § 253 BGB Rn. 10).


Nach § 15 Abs. 2 AGG hat der Ar­beit­ge­ber dem Be­wer­ber im­ma­te­ri­el­le Schäden zu er­setz­ten, wenn er die­sen im Stel­len­be­set­zungs­ver­fah­ren we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des be­nach­tei­ligt. Die Entschädi­gung wird aus­sch­ließlich für im­ma­te­ri­el­le Schäden gewährt, die re­gelmäßig bei ei­ner un­ge­recht­fer­tig­ten Be­nach­tei­li­gung aus den in § 1 AGG ge­nann­ten Gründen vor­lie­gen, wo­bei § 15 Abs. 2 AGG die im Verhält­nis zu § 253 Abs. 1 BGB spe­zi­el­le­re Norm ist (vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 38; BAG 22. Ja­nu­ar 2009 - 8 AZR 906/07 - BA­GE 129, 181 = AP AGG § 15 Nr. 1 = EzA AGG § 15 Nr. 1). Dar­auf, dass das Persönlich­keits­recht ver­letzt ist, kommt es für die Aus­gleichs­pflicht nicht an. Viel­mehr ord­net der Ge­setz­ge­ber in § 15 Abs. 2 AGG stets ei­nen Aus­gleich bei Be­ein­träch­ti­gung des In­klu­si­ons­in­ter­es­ses in Be­zug auf die Merk­ma­le des § 1 AGG an (vgl. BAG 18. März 2010 - 8 AZR 1044/08 - AP AGG


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§ 15 Nr. 3 = EzA AGG § 15 Nr. 7; Schiek/Ko­cher AGG § 15 Rn. 33). Das Vor­han­den­sein ei­nes im­ma­te­ri­el­len Scha­dens wird bei ei­ner Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des ver­mu­tet (vgl. ErfK/Schlach­ter 12. Aufl. § 15 AGG Rn. 7). Mit der Re­ge­lung in § 15 Abs. 2 AGG hat sich der Ge­setz­ge­ber für Er­satz­leis­tun­gen an das Dis­kri­mi­nie­rungs­op­fer als Rechts­fol­ge ent­schie­den und ver­folgt das Ziel, mit Rück­sicht auf die Recht­spre­chung des EuGH (vgl. insb. EuGH 22. April 1997 - C-180/95 - [Draehm­pa­ehl] Slg. 1997, I-2195 = AP BGB § 611a Nr. 13 = EzA BGB § 611a Nr. 12), ei­ne wirk­sa­me und ver­schul­dens­un­abhängi­ge Sank­ti­on bei Ver­let­zung des Be­nach­tei­li­gungs­ver­bots durch den Ar­beit­ge­ber vor­zu­se­hen (vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 38). Bei der Fest­set­zung der an­ge­mes­se­nen Entschädi­gung sind al­le Umstände des Ein­zel­falls zu berück­sich­ti­gen, zu de­nen Art und Schwe­re der Be­nach­tei­li­gung, die Dau­er und ih­re Fol­gen, der An­lass und der Be­weg­grund des Han­delns, der Grad der Ver­ant­wort­lich­keit des Ar­beit­ge­bers, et­wa ge­leis­te­te Wie­der­gut­ma­chung oder er­hal­te­ne Ge­nug­tu­ung und das Vor­lie­gen ei­nes Wie­der­ho­lungs­falls gehören. Fer­ner ist der Sank­ti­ons­zweck der Norm zu berück­sich­ti­gen, so­dass die Höhe auch da­nach zu be­mes­sen ist, was zur Er­zie­lung ei­ner ab­schre­cken­den Wir­kung er­for­der­lich ist. Die Entschädi­gung muss ge­eig­net sein, ei­ne wirk­lich ab­schre­cken­de Wir­kung ge­genüber dem Ar­beit­ge­ber zu ha­ben und muss in ei­nem an­ge­mes­se­nen Verhält­nis zum er­lit­te­nen Scha­den ste­hen (vgl. BAG 22. Ja­nu­ar 2009 - 8 AZR 906/07 - mwN, aaO).


Da­nach un­ter­schei­det sich der Ge­gen­stand ei­ner Kla­ge zur Er­lan­gung ei­nes ma­te­ri­el­len Scha­dens­er­satz­an­spruchs nach § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB, der bei Ab­bruch von Ver­trags­ver­hand­lun­gen auf das ne­ga­ti­ve In­ter­es­se be­grenzt ist, und der in § 15 Abs. 2 AGG vor­ge­se­he­ne Entschädi­gungs­an­spruch grund­le­gend.


Der Entschädi­gungs­an­spruch nach § 15 Abs. 2 AGG zur Ver­wirk­li­chung des Dis­kri­mi­nie­rungs­schut­zes ist qua­li­ta­tiv et­was an­de­res als ein Scha­dens­er­satz­an­spruch nach § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2 BGB. Ein mit dem AGG ver­gleich­ba­rer, um­fas­sen­der Dis­kri­mi­nie­rungs­schutz be­stand vor Schaf­fung des Ge­set­zes bzw. in Be­zug auf die Merk­ma­le Ge­schlecht bzw. Be­hin­de­rung vor Schaf­fung von § 611a BGB aF bzw. § 81 Abs. 2 SGB IX im deut­schen Recht
 


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nicht. Viel­mehr ist das na­tio­na­le Ar­beits­recht in Deutsch­land vom Grund­satz der Pri­vat­au­to­no­mie ge­prägt, von dem sich das eu­ropäische An­ti­dis­kri­mi­nie­rungs­recht fun­da­men­tal un­ter­schei­det (vgl. Ri­char­di NZA 2006, 881 f.; Reichold/Hahn/Hein­rich NZA 2005, 1270, 1272; Thüsing NZA 2001, 1061). Auf­ga­ben, die in an­de­ren Rechts­ord­nun­gen dem Dis­kri­mi­nie­rungs­schutz zu­kom­men, über­nahm in der Ver­gan­gen­heit in der deut­schen Rechts­ord­nung für be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis­se zum Teil der all­ge­mei­ne Kündi­gungs­schutz als funk­tio­nel­les Äqui­va­lent (vgl. MüKoBGB/Thüsing 6. Aufl. Einl. AGG Rn. 7; ders. NZA 2001, 1061), vor al­lem im Rah­men der In­ter­es­sen­abwägung (vgl. BAG 10. Ok­to­ber 2002 - 2 AZR 472/01 - BA­GE 103, 111 = AP KSchG 1969 § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 44 = EzA KSchG § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 58). Bei der Gewährung von Leis­tun­gen durch den Ar­beit­ge­ber über­nahm dies der Gleich­be­hand­lungs­grund­satz.

Zur Um­set­zung der Richt­li­ni­en 2000/43/EG, 2000/78/EG, 2002/73/EG und 2004/113/EG durch das AGG konn­te der deut­sche Ge­setz­ge­ber da­her nicht an ei­nen be­reits im na­tio­na­len Recht be­ste­hen­den all­ge­mei­nen Dis­kri­mi­nie­rungs­schutz we­gen der Merk­ma­le des § 1 AGG an­knüpfen (vgl. Wag­ner/Potsch JZ 2006, 1085, 1092; Kol­be Eu­ZA 2011, 65, 68), son­dern nur an die Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bo­te des § 611a BGB aF und § 81 Abs. 2 SGB IX aF, die ih­rer­seits der Richt­li­ni­en­um­set­zung dien­ten und des­halb kei­ne taug­li­che Ver­gleichs­grund­la­ge für die Ein­hal­tung der Grundsätze der Äqui­va­lenz und Ef­fek­ti­vität bil­den. Der Ge­setz­ge­ber hat sich zur Nor­mie­rung des Entschädi­gungs­an­spruchs in § 15 Abs. 2 AGG aus­drück­lich dar­auf be­ru­fen, dass der aus § 611a BGB aF be­kann­te Grund­ge­dan­ke in § 15 Abs. 2 AGG auf al­le Tat­bestände (des § 1 AGG) ei­ner Be­nach­tei­li­gung über­tra­gen wer­den sol­le (vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 38). Mit dem In­kraft­tre­ten des AGG be­steht erst­mals ein um­fas­sen­der Dis­kri­mi­nie­rungs­schutz in Be­zug auf die Merk­ma­le des § 1 AGG. Da­bei hat sich der Ge­setz­ge­ber für zi­vil­recht­li­che Sank­tio­nen ent­schie­den, die er aber bezüglich der Fris­ten für die Rechts­ver­fol­gung nicht eben­so wie Ansprüche nach § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2 BGB aus­ge­stal­ten muss­te.
 


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Auch Kla­gen nach § 823 Abs. 1 BGB iVm. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG zur Er­lan­gung ei­ner Gel­dentschädi­gung we­gen Ver­let­zung des Persönlich­keits­rechts sind nicht mit Entschädi­gungs­kla­gen nach § 15 Abs. 2 AGG ver­gleich­bar (aA v. Ro­et­te­ken AGG Stand März 2012 § 15 Rn. 104a ff.; ders. ju­ris­PR-ArbR 1/2011 Anm. 1; Fi­schin­ger NZA 2010, 1048, 1050). Der Ge­setz­ge­ber hat mit § 15 Abs. 4 AGG kei­ne (aus­sch­ließlich) zu­las­ten der Dis­kri­mi­nie­rungs­op­fer wir­ken­de Son­der­re­ge­lung ge­trof­fen (so aber v. Ro­et­te­ken aaO Rn. 106a). Denn mit der Entschädi­gungs­kla­ge nach § 15 Abs. 2 AGG wur­de erst­mals ein um­fas­sen­der Dis­kri­mi­nie­rungs­schutz zu­guns­ten Beschäftig­ter ge­schaf­fen, der in sei­nen Merk­ma­len vom bis­he­ri­gen na­tio­na­len Recht we­sent­lich ab­weicht.


Das all­ge­mei­ne Persönlich­keits­recht ist in der Recht­spre­chung als ein durch Art. 1 und Art. 2 GG ver­fas­sungsmäßig ga­ran­tier­tes Grund­recht und zu­gleich zi­vil­recht­lich nach § 823 Abs. 1 BGB geschütz­tes „sons­ti­ges Recht” an­er­kannt (vgl. BGH 1. De­zem­ber 1999 - I ZR 49/97 - BGHZ 143, 214). § 823 Abs. 1 BGB iVm. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG gewähren im deut­schen Recht ei­nen An­spruch auf Er­satz des im­ma­te­ri­el­len Scha­dens bei Ver­let­zung des all­ge­mei­nen Persönlich­keits­rechts. Dies gilt auch im Ar­beits­recht. Vor­aus­set­zung ist, dass der Ar­beit­ge­ber das all­ge­mei­ne Persönlich­keits­recht schwer-wie­gend ver­letzt hat oder dem Ar­beit­ge­ber ein schwer­wie­gen­der Ver­schul­dens­vor­wurf zu ma­chen ist; ge­ringfügi­ge Ein­grif­fe lösen kei­ne Entschädi­gungs­ansprüche aus (vgl. BAG 24. Sep­tem­ber 2009 - 8 AZR 636/08 - AP BGB § 611 Persönlich­keits­recht Nr. 41 = EzA AGG § 15 Nr. 3). Wei­te­re Vor­aus­set­zung ist, dass die Be­ein­träch­ti­gung nicht in an­de­rer Wei­se be­frie­di­gend aus­ge­gli­chen wer­den kann (vgl. BGH 1. De­zem­ber 1999 - I ZR 49/97 - aaO). Ein An­spruch kommt nur bei ei­nem Ver­schul­den (§ 276 BGB) in Be­tracht. Nach all­ge­mei­nen Re­geln hat der Geschädig­te sämt­li­che an­spruchs­be­gründen­den Tat­sa­chen dar­zu­le­gen und ggf. zu be­wei­sen (vgl. BAG 14. No­vem­ber 1991 - 8 AZR 145/91 -).


Dem­ge­genüber hat das AGG erst­mals ei­nen um­fas­sen­den Dis­kri­mi­nie­rungs­schutz ge­schaf­fen, für des­sen Entschädi­gungs­an­spruch es nicht auf die Ver­let­zung des Persönlich­keits­rechts an­kommt. Ei­ne Entschädi­gung nach
 


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§ 15 Abs. 2 AGG setzt kei­ne Ver­let­zung des all­ge­mei­nen Persönlich­keits­rechts in der Wei­se ei­ner „Her­abwürdi­gung“ des Beschäftig­ten vor­aus, so­weit nicht das ent­spre­chen­de Merk­mal in § 3 Abs. 3 oder Abs. 4 AGG zur An­wen­dung kom­men soll, noch be­darf es ne­ben der Fest­stel­lung ei­nes Ver­s­toßes ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot je­weils ei­ner ge­son­der­ten Fest­stel­lung ei­nes im­ma­te­ri­el­len Scha­dens (vgl. BAG 18. März 2010 - 8 AZR 1044/08 - AP AGG § 15 Nr. 3 = EzA AGG § 15 Nr. 7). § 15 Abs. 2 AGG gewährt viel­mehr be­reits dann ei­nen Entschädi­gungs­an­spruch, wenn ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot ver­s­toßen, al­so das In­klu­si­ons­in­ter­es­se des Be­wer­bers be­ein­träch­tigt ist (vgl. Schiek/Ko­cher AGG § 15 Rn. 33). Rich­tig ist zwar, dass die Recht­spre­chung be­son­ders bei ge­schlechts­spe­zi­fi­schen Be­nach­tei­li­gun­gen ei­ne Ver­let­zung des Persönlich­keits­rechts und ei­nen Entschädi­gungs­an­spruch an­ge­nom­men hat (vgl. BAG 14. März 1989 - 8 AZR 447/87 - BA­GE 61, 209 = AP BGB § 611a Nr. 5 = EzA BGB § 611a Nr. 4; 14. März 1989 - 8 AZR 351/86 - BA­GE 61, 219 = AP BGB § 611a Nr. 6 = EzA BGB § 611a Nr. 5). Zu berück­sich­ti­gen ist je­doch, dass § 611a BGB in der da­ma­li­gen Fas­sung nur ei­nen ma­te­ri­el­len Scha­dens­er­satz be­grenzt auf das ne­ga­ti­ve In­ter­es­se vor­sah und der Se­nat sich zur Be­gründung ei­nes Entschädi­gungs­an­spruchs auf die Richt­li­nie 76/207/EWG und ei­ne richt­li­ni­en­kon­for­me Aus­le­gung zur Gewähr­leis­tung ei­ner aus­rei­chen­den Sank­ti­on, die in ei­nem an­ge­mes­se­nen Verhält­nis zum er­lit­te­nen Scha­den steht und über ei­nen rein sym­bo­li­schen Scha­dens­er­satz hin­aus­geht, gestützt hat (vgl. BAG 14. März 1989 - 8 AZR 447/97 - aaO; 14. März 1989 - 8 AZR 351/86 - zu B 3 b der Gründe, aaO). Da­mit hat der Se­nat die Grund­la­ge für ei­nen Entschädi­gungs­an­spruch des Stel­len­be­wer­bers bei ei­ner nicht ge­schlechts­neu­tra­len Stel­len­aus­schrei­bung schon da­mals nicht al­lein im na­tio­na­len Recht, son­dern auch im Ge­mein­schafts­recht er­kannt. Ein Entschädi­gungs­an­spruch ei­nes Stel­len­be­wer­bers schei­ter­te auch nach die­ser Recht­spre­chung dann, wenn es am Ver­schul­den fehl­te (vgl. BAG 5. März 1996 - 1 AZR 590/92 - BA­GE 82, 211 = AP GG Art. 3 Nr. 226 = EzA GG Art. 3 Nr. 52), oder das Ver­schul­den ge­ringfügig war (vgl. BAG 14. März 1989 - 8 AZR 351/86 - aaO).
 


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Mit In­kraft­tre­ten des AGG kommt es für den Entschädi­gungs­an­spruch al­lein auf ei­nen Ver­s­toß ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot und grundsätz­lich nicht auf ein Ver­schul­den an (vgl. BAG 22. Ja­nu­ar 2009 - 8 AZR 906/07 - BA­GE 129, 181 = AP AGG § 15 Nr. 1 = EzA AGG § 15 Nr. 1). Ins­be­son­de­re er­wei­tert das AGG den Schutz auch in­so­weit in ganz er­heb­li­cher Wei­se, als ei­ne Be­nach­tei­li­gung nach § 3 Abs. 2 AGG auch bei ei­ner mit­tel­ba­ren Be­nach­tei­li­gung vor­liegt. Bei sol­chen mit­tel­ba­ren Be­nach­tei­li­gun­gen wird es re­gelmäßig an ei­ner schwer­wie­gen­den Ver­let­zung des Persönlich­keits­rechts als Vor­aus­set­zung für die Gewährung ei­nes Entschädi­gungs­an­spruchs nach § 823 Abs. 1 BGB iVm. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG feh­len. § 15 Abs. 2 AGG gewähr­leis­tet auch ei­nen um­fas­sen­den Schutz des In­klu­si­ons­in­ter­es­ses im vor­ver­trag­li­chen Be­reich in Be­zug auf die Merk­ma­le des § 1 AGG. Vor al­lem ist auch im Ver­gleich mit Ansprüchen we­gen Ver­let­zung des all­ge­mei­nen Persönlich­keits­rechts zu be­ach­ten, dass § 22 AGG mit sei­ner Be­weis­last­ver­tei­lung ei­ne we­sent­li­che Vor­schrift enthält, die bei ei­nem Ver­gleich der ver­schie­de­nen Kla­gen nicht un­berück­sich­tigt blei­ben darf. Mit dem AGG hat der Ge­setz­ge­ber erst­mals ein um­fas­sen­des An­ti­dis­kri­mi­nie­rungs­recht ge­schaf­fen, wel­ches in sei­nen we­sent­li­chen Merk­ma­len nicht mit Ansprüchen nach § 823 Abs. 1 BGB iVm. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 GG ver­gleich­bar ist.

dd) § 15 Abs. 4 AGG verstößt auch nicht ge­gen den Ef­fek­ti­vitäts­grund­satz. 

Was den Ef­fek­ti­vitäts­grund­satz be­trifft, sind nach der Recht­spre­chung des EuGH al­le Fälle, in de­nen sich die Fra­ge stellt, ob ei­ne na­tio­na­le Ver­fah­rens­vor­schrift die Ausübung der den Bürgern durch die Ge­mein­schafts­rechts­ord­nung ver­lie­he­nen Rech­te prak­tisch unmöglich macht oder übermäßig er­schwert, un­ter Berück­sich­ti­gung der Stel­lung die­ser Vor­schrift im ge­sam­ten Ver­fah­ren, des Ver­fah­rens­ab­laufs und der Be­son­der­hei­ten des Ver­fah­rens vor den ver­schie­de­nen na­tio­na­len Stel­len zu prüfen. Da­bei sind ge­ge­be­nen­falls die Grundsätze zu berück­sich­ti­gen, die dem na­tio­na­len Rechts­schutz­sys­tem zu­grun­de lie­gen, wie zB der Schutz der Ver­tei­di­gungs­rech­te, der Grund­satz der Rechts­si­cher­heit und der ord­nungs­gemäße Ab­lauf des Ver­fah­rens (EuGH
 


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29. Ok­to­ber 2009 - C-63/08 - [Pon­tin] Slg. 2009, I-10467 = AP EWG-Richt­li­nie Nr. 92/85 Nr. 10 = EzA EG-Ver­trag 1999 Richt­li­nie 92/85 Nr. 4).

Un­ter Berück­sich­ti­gung des­sen sind nach der Recht­spre­chung des EuGH an­ge­mes­se­ne Aus­schluss­fris­ten grundsätz­lich mit dem Er­for­der­nis der Ef­fek­ti­vität ver­ein­bar, weil die Nor­mie­rung sol­cher Aus­schluss­fris­ten ei­nen An­wen­dungs­fall des grund­le­gen­den Prin­zips der Rechts­si­cher­heit dar­stellt (vgl. EuGH 8. Ju­li 2010 - C-246/09 - [Buli­cke] Slg. 2010, I-7003 = AP Richt­li­nie 2000/78/EG Nr. 16 = EzA AGG § 15 Nr. 8). An­ge­mes­se­ne Aus­schluss­fris­ten sind nicht ge­eig­net, die Ausübung der durch die Uni­ons­rechts­ord­nung ver­lie­he­nen Rech­te prak­tisch unmöglich zu ma­chen oder übermäßig zu er­schwe­ren. Es ist da­her Sa­che der Mit­glied­staa­ten, für na­tio­na­le Re­ge­lun­gen, die in den An­wen­dungs­be­reich des Ge­mein­schafts­rechts fal­len, Fris­ten fest­zu­le­gen, die ins­be­son­de­re der Be­deu­tung der zu tref­fen­den Ent­schei­dung für den Be­trof­fe­nen, der Kom­ple­xität der Ver­fah­ren und der an­zu­wen­den­den Rechts­vor­schrif­ten, der Zahl der po­ten­zi­ell Be­trof­fe­nen und den an­de­ren zu berück­sich­ti­gen­den öffent­li­chen oder pri­va­ten Be­lan­gen ent­spre­chen (vgl. EuGH 29. Ok­to­ber 2009 - C-63/08 - [Pon­tin] Slg. 2009, I-10467 = AP EWG-Richt­li­nie Nr. 92/85 Nr. 10 = EzA EG-Ver­trag 1999 Richt­li­nie 92/85 Nr. 4).


Nach § 15 Abs. 4 AGG sind Entschädi­gungs­ansprüche bin­nen ei­ner Frist von zwei Mo­na­ten ge­genüber dem Ar­beit­ge­ber schrift­lich gel­tend zu ma­chen. Dem Ar­beit­ge­ber soll an­ge­sichts der Re­ge­lung in § 22 AGG nicht zu­ge­mu­tet wer­den, Do­ku­men­ta­tio­nen über Ein­stel­lungs­ver­fah­ren bis zum Ab­lauf der all­ge­mei­nen Verjährungs­frist von drei Jah­ren auf­be­wah­ren zu müssen (vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 38). Der Ar­beit­ge­ber wird sich im Hin­blick auf die in § 22 AGG ge­trof­fe­ne Be­weis­last­ver­tei­lung in der Re­gel nur dann ent­las­ten können, wenn er die Kri­te­ri­en und Grund­la­gen der Ein­stel­lungs­ent­schei­dung do­ku­men­tiert hat. Der Ar­beit­ge­ber soll sich dar­auf ver­las­sen können, dass nach Frist­ab­lauf sol­che Ansprüche nicht mehr ge­gen ihn er­ho­ben wer­den (vgl. BAG 19. Fe­bru­ar 2002 - 1 AZR 342/01 - EzA TVG § 4 Aus­schluss­fris­ten Nr. 149). Da­mit dient die Aus­schluss­frist der Rechts­si­cher­heit, dem Rechts­frie­den und der Rechts­klar­heit. Oh­ne Be­lang ist in die­sem Zu­sam­men­hang, ob das Ziel der Schaf­fung von Rechts­si­cher­heit um­fas­send er­reicht wird, weil



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§ 15 Abs. 2 AGG Ansprüche, die sich aus an­de­ren Rechts­vor­schrif­ten er­ge­ben, un­berührt lässt (§ 15 Abs. 5 AGG). Ent­schei­dend ist al­lein, dass der Ge­setz­ge­ber mit Hil­fe der Aus­schluss­frist die Schaf­fung von Rechts­frie­den bezüglich ein­zel­ner Ansprüche (hier der Ansprüche nach § 15 Abs. 1 und Abs. 2 AGG) be­ab­sich­tigt. Es ist nämlich nicht un­gewöhn­lich, dass Aus­schluss­fris­ten nur be­stimm­te Ansprüche er­fas­sen.

So hat auch der EuGH ent­schie­den (EuGH 8. Ju­li 2010 - C-246/09 - [Buli­cke] Slg. 2010, I-7003 = AP Richt­li­nie 2000/78/EG Nr. 16 = EzA AGG § 15 Nr. 8), es sei nicht er­sicht­lich, dass die Frist des § 15 Abs. 4 AGG die Ausübung der vom Uni­ons­recht ver­lie­he­nen Rech­te unmöglich macht oder übermäßig er­schwe­ren könn­te. Ins­be­son­de­re auch un­ter Berück­sich­ti­gung der nied­rig­schwel­li­gen An­for­de­run­gen an die Gel­tend­ma­chung (Schrift­form) be­geg­net die Länge der Frist des § 15 Abs. 4 AGG kei­nen Be­den­ken (vgl. KR-Tre­ber 9. Aufl. § 15 AGG Rn. 51; Pa­landt/Wei­den­kaff 71. Aufl. § 15 AGG Rn. 8; Däubler/Bertz­bach-Dei­nert 2. Aufl. § 15 Rn. 102; Schaub/Linck ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 36 Rn. 101a; Ja­cobs RdA 2009, 193, 200; Wag­ner/Potsch JZ 2006, 1085, 1093).


ee) Sch­ließlich verstößt auch der in § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG ge­re­gel­te Frist­be­ginn im Fal­le ei­ner Be­wer­bung oder be­ruf­li­chen Auf­stiegs nicht ge­gen den Ef­fek­ti­vitäts­grund­satz.


Nach dem Wort­laut des § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG be­ginnt die Frist im Fal­le ei­ner Be­wer­bung oder ei­nes be­ruf­li­chen Auf­stiegs mit dem Zu­gang der Ab­leh­nung und in den sons­ti­gen Fällen ei­ner Be­nach­tei­li­gung mit dem Zeit-punkt, in dem der oder die Beschäftig­te von der Be­nach­tei­li­gung Kennt­nis er­langt. Ein bloßes Ab­stel­len auf den Zeit­punkt des Zu­gangs der Ab­leh­nung könn­te die Ausübung der durch die Uni­ons­rechts­ord­nung ver­lie­he­nen Rech­te prak­tisch unmöglich ma­chen oder übermäßig er­schwe­ren, da der Beschäftig­te mit der Ab­leh­nung nicht not­wen­di­ger­wei­se auch Kennt­nis von ei­ner Be­nach­tei­li­gung und dem Be­ste­hen ei­nes An­spruchs nach dem AGG hat (vgl. KR-Tre­ber 9. Aufl. § 15 AGG Rn. 58; Wal­ker NZA 2009, 5, 10; Ka­man­ab­rou RdA 2006, 321, 338).
 


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Ein An­spruch nach § 15 Abs. 2 AGG setzt vor­aus, dass die Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes Merk­mals nach § 1 AGG er­folgt ist. Hierüber gibt die Ab­leh­nung des Ar­beit­ge­bers nicht zwin­gend Aus­kunft. Al­ler­dings kann § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG uni­ons­rechts­kon­form da­hin ge­hend aus­ge­legt wer­den, dass die Frist nicht vor dem Zeit­punkt be­ginnt, zu dem der Beschäftig­te Kennt­nis von der Be­nach­tei­li­gung er­langt (vgl. MüKoBGB/Thüsing 6. Aufl. § 15 AGG Rn. 46; Bau­er/Göpfert/Krie­ger AGG 3. Aufl. § 15 Rn. 53; St­ein in Wen­de­ling-Schröder/St­ein AGG § 15 Rn. 74; Adom­eit/Mohr AGG 2. Aufl. § 15 Rn. 102; KR-Tre­ber 9. Aufl. § 15 AGG Rn. 60; Kock NJW 2010, 2713, 2716; Kol­be Eu­ZA 2011, 65, 70; Fi­schin­ger NZA 2010, 1048, 1052; Ja­cobs RdA 2009, 193, 201; Wal­ker NZA 2009, 5, 10; Ka­man­ab­rou RdA 2006, 321, 338).

Ei­ne sol­che uni­ons­rechts­kon­for­me Aus­le­gung schei­tert nicht am Wort­laut und dem Wil­len des na­tio­na­len Ge­setz­ge­bers (aA Ro­loff in Be­ckOK AGG § 15 Rn. 13).


Ei­ne uni­ons­rechts­kon­for­me Aus­le­gung ist dann nicht zulässig, wenn sie mit dem ein­deu­ti­gen Wort­laut und dem kla­ren Wil­len des na­tio­na­len Ge­setz­ge­bers nicht mehr ver­ein­bar wäre, al­so con­tra le­gem er­fol­gen würde (vgl. EuGH 15. April 2008 - C-268/06 - [Im­pact] mwN, Slg. 2008, I-2483; 4. Ju­li 2006 - C-212/04 - [Aden­eler] Slg. 2006, I-6057 = AP Richt­li­nie 99/70/EG Nr. 1 = EzA EG-Ver­trag 1999 Richt­li­nie 99/70 Nr. 1). Der Wort­laut des § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG steht ei­ner Aus­le­gung nicht ent­ge­gen, die im Fal­le ei­ner Be­wer­bung oder ei­nes be­ruf­li­chen Auf­stiegs ne­ben dem Zu­gang der Ab­leh­nung zusätz­lich auf die Kennt­nis­er­lan­gung von der Be­nach­tei­li­gung ab­stellt. Aus dem Wort­laut er­gibt sich nicht, dass der Ge­setz­ge­ber da­von aus­ge­gan­gen ist, bei ei­ner Be­wer­bung oder ei­nem be­ruf­li­chen Auf­stieg kom­me es auf die Kennt­nis von der Be­nach­tei­li­gung nicht an. Der Wort­laut legt na­he, dass der Ge­setz­ge­ber die Kennt­nis von der Be­nach­tei­li­gung mit dem Zu­gang der Ab­leh­nung un­ter­stellt hat. Tatsächlich hat auch der Ge­setz­ge­ber an­ge­nom­men, dass die Aus­schluss­frist erst mit der Kennt­nis von der Be­nach­tei­li­gung zu lau­fen be­ginnt. Im Ge­set­zes­ent­wurf heißt es nämlich: „Die Frist be­ginnt mit dem Zeit­punkt, an dem der oder die Be­nach­tei­lig­te von der Be­nach­tei­li­gung Kennt­nis er­langt. Im Fall ei­ner Be­wer­bung oder ei­nes be­ruf­li­chen Auf­stiegs ist das der Zeit­punkt der Ab­leh-
 


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nung durch den Ar­beit­ge­ber“ (vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 38). Auch die Be­schluss­emp­feh­lung und der Be­richt des Rechts­aus­schus­ses zum Ge­set­zes­ent­wurf ge­hen hier­von aus. Dort heißt es, dass die Verkürzung der Frist auf zwei Mo­na­te für Ar­beit­neh­mer hin­nehm­bar sei, weil die Frist oh­ne­hin erst mit der Kennt­nis von dem Ver­s­toß be­gin­ne (vgl. BT-Drucks. 16/2022 S. 12). Dar­aus er­gibt sich, dass der Ge­setz­ge­ber für den Frist­be­ginn auf die Kennt­nis von der Be­nach­tei­li­gung ab­stel­len woll­te. Ein der uni­ons­rechts­kon­for­men Aus­le­gung ent­ge­gen­ste­hen­der ge­setz­ge­be­ri­scher Wil­le lässt sich so­mit nicht fest­stel­len (vgl. Adom­eit/Mohr AGG 2. Aufl. § 15 Rn. 102; Fi­schin­ger NZA 2010, 1048, 1052; Wal­ker NZA 2009, 5, 10).


Da­mit ist für den Fall ei­ner Be­wer­bung oder ei­nes be­ruf­li­chen Auf­stiegs § 15 Abs. 4 AGG da­hin aus­zu­le­gen, dass die Aus­schluss­frist mit dem Zeit­punkt be­ginnt, zu dem dem Beschäftig­ten die Ab­leh­nung zu­ge­gan­gen ist und er zusätz­lich Kennt­nis von der Be­nach­tei­li­gung er­langt hat. Der Zeit­punkt des Zu­gangs der Ab­leh­nung stellt da­mit den frühestmögli­chen Zeit­punkt des Frist­be­ginns dar (vgl. Kol­be Eu­ZA 2011, 65, 70; Fi­schin­ger NZA 2010, 1048, 1052; Ja­cobs RdA 2009, 193, 201).


2. Die Gel­tend­ma­chung von Entschädi­gungs­ansprüchen nach § 15 Abs. 2 AGG durch den Kläger mit Schrei­ben vom 30. Ok­to­ber 2008, bei dem be­klag­ten Land am 4. No­vem­ber 2008 ein­ge­gan­gen, hat die Frist des § 15 Abs. 4 AGG nicht ge­wahrt.


a) Das Ab­leh­nungs­schrei­ben vom 29. Au­gust 2008 war dem Kläger am 2. Sep­tem­ber 2008 zu­ge­gan­gen. Zwar be­ginnt in uni­ons­rechts­kon­for­mer Aus­le­gung die Frist des § 15 Abs. 4 AGG erst mit der Kennt­nis­er­lan­gung von der Be­nach­tei­li­gung, frühes­tens mit dem Zu­gang der Ab­leh­nung. Vor­lie­gend hat­te der Kläger je­doch mit dem Zu­gang des Ab­leh­nungs­schrei­bens auch die Kennt­nis von der gel­tend ge­mach­ten Be­nach­tei­li­gung. Des­halb be­gann die Zwei­mo­nats­frist des § 15 Abs. 4 AGG am 3. Sep­tem­ber 2008 (§ 187 Abs. 1 BGB) und en­de­te am 3. No­vem­ber 2008 (§ 188 Abs. 2, § 193 BGB). Der Ein­gang des Gel­tend­ma­chungs­schrei­bens des Klägers beim be­klag­ten Land am 4. No­vem­ber 2008 wahr­te des­halb nicht die Frist des § 15 Abs. 4 AGG.


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b) Hin­sicht­lich der Fra­ge, wann Kennt­nis­er­lan­gung von der Be­nach­tei­li­gung vor­liegt, kann auf die Maßstäbe des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB mit der Maßga­be zurück­ge­grif­fen wer­den, dass we­gen des Wort­lauts von § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG ei­ne grob fahrlässi­ge Un­kennt­nis nicht genügt (vgl. St­ein in Wen­de­ling-Schröder/St­ein AGG § 15 Rn. 75; Adom­eit/Mohr AGG 2. Aufl. § 15 Rn. 111; Bau­er/Göpfert/Krie­ger AGG 3. Aufl. § 15 Rn. 51; KR-Tre­ber 9. Aufl. § 15 AGG Rn. 57; Däubler/Bertz­bach-Dei­nert 2. Aufl. § 15 Rn. 107; Schiek/Ko­cher AGG § 15 Rn. 59; Ja­cobs RdA 2009, 193, 201; aA Mü-KoBGB/Thüsing 6. Aufl. § 15 AGG Rn. 47). Kennt­nis von der Be­nach­tei­li­gung hat der Beschäftig­te da­her dann, wenn er Kennt­nis von den an­spruchs­be­gründen­den Tat­sa­chen hat (vgl. BAG 22. Ja­nu­ar 2009 - 8 AZR 906/07 - BA­GE 129, 181 = AP AGG § 15 Nr. 1 = EzA AGG § 15 Nr. 1).


c) Für Scha­dens­er­satz­ansprüche ist an­er­kannt, dass es für den Be­ginn der Verjährungs­frist dar­auf an­kommt, ob der Geschädig­te auf­grund der ihm be­kann­ten Tat­sa­chen ge­gen ei­ne be­stimm­te Per­son ei­ne Scha­dens­er­satz­kla­ge - sei es auch nur in der Form ei­ner Fest­stel­lungs­kla­ge - er­he­ben kann, die bei verständi­ger Würdi­gung der ihm be­kann­ten Tat­sa­chen so­viel Aus­sicht auf Er­folg bie­tet, dass sie für ihn zu­mut­bar ist (BAG 24. Ok­to­ber 2001 - 5 AZR 32/00 - AP BGB § 823 Schutz­ge­setz Nr. 27 = EzA BGB § 852 Nr. 1). Die­se Grundsätze können im We­sent­li­chen auf den Frist­be­ginn nach § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG bzgl. ei­nes Entschädi­gungs­an­spruchs nach § 15 Abs. 1 oder Abs. 2 AGG über­tra­gen wer­den.

Der Entschädi­gungs­an­spruch ist auf den Er­satz des Nicht­vermögens­scha­dens ge­rich­tet und muss nicht be­zif­fert wer­den. Ne­ben der Kennt­nis des An­spruchs­geg­ners, dh. des Ar­beit­ge­bers, ist Vor­aus­set­zung ei­nes Entschädi­gungs­an­spruchs, dass der Be­nach­tei­lig­te auch Kennt­nis von der Be­nach­tei­li­gung hat. Ein Entschädi­gungs­an­spruch be­steht aber nur dann, wenn die Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes Grun­des im Sin­ne von § 1 AGG er­folgt ist, § 7 Abs. 1 AGG. Ob das Mo­tiv für die Be­nach­tei­li­gung von der Kennt­nis um­fasst sein muss, hat der Se­nat bis­lang of­fen­ge­las­sen (BAG 24. Sep­tem­ber 2009 - 8 AZR 705/08 - AP AGG § 3 Nr. 2 = EzA AGG § 3 Nr. 1).


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Grundsätz­lich setzt der Be­ginn der Aus­schluss­frist nicht vor­aus, dass der Beschäftig­te von den Mo­ti­ven des Be­nach­tei­li­gen­den po­si­ti­ve Kennt­nis ha­ben muss. Der Ge­setz­ge­ber hat zu­guns­ten des Ar­beit­neh­mers in § 22 AGG ei­ne Be­weis­last­re­ge­lung ge­trof­fen, die es genügen lässt, dass der Beschäftig­te Tat­sa­chen (In­di­zi­en) vorträgt, die mit über­wie­gen­der Wahr­schein­lich­keit dar­auf schließen las­sen, dass die Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes Merk­mals nach § 1 AGG er­folgt ist. Hin­sicht­lich die­ser Ver­mu­tungs­tat­sa­chen sind die An­for­de­run­gen an das Be­weis­maß ab­ge­senkt. Aus­rei­chend ist es, dass Tat­sa­chen dar­ge­legt und ggf. be­wie­sen wer­den, die ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes Merk­mals nach § 1 AGG ver­mu­ten las­sen (vgl. BAG 12. Sep­tem­ber 2006 - 9 AZR 807/05 - BA­GE 119, 262 = AP SGB IX § 81 Nr. 13 = EzA SGB IX § 81 Nr. 14). Zwar kann der Beschäftig­te auch den Voll­be­weis führen und nach­wei­sen, dass die Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes Merk­mals nach § 1 AGG er­folgt ist, je­doch wird ihm dies nach § 22 AGG zur Durch­set­zung ei­nes Entschädi­gungs­an­spruchs nicht ab­ver­langt.


Kennt der Beschäftig­te sol­che In­di­zi­en, die zur Be­weis­last­um­kehr führen, kann er in­itia­tiv wer­den. Er kennt dann die Tat­sa­chen, die die Vor­aus­set­zun­gen der an­spruchs­be­gründen­den Norm erfüllen, was den Frist­be­ginn nach § 15 Abs. 4 AGG auslöst (vgl. Adom­eit/Mohr AGG 2. Aufl. § 15 Rn. 112; Schiek/Ko­cher AGG § 15 Rn. 59; Ro­loff in Be­ckOK AGG § 15 Rn. 13; Kol­be Eu­ZA 2011, 65, 71; Kock NJW 2010, 2713, 2716). Auch der Bun­des­ge­richts­hof geht bei Ansprüchen, die das Vor­lie­gen be­stimm­ter in­ne­rer Tat­sa­chen vor­aus­set­zen, da­von aus, dass es für den Be­ginn der Verjährungs­frist auf die Kennt­nis der äußeren Umstände an­kommt, aus de­nen auf die in­ne­re Tat­sa­che ge­schlos­sen wer­den kann (vgl. BGH 27. No­vem­ber 1963 - Ib ZR 49/62 - NJW 1964, 493). Dem ent­spricht es, bei Ansprüchen nach § 15 Abs. 1 oder Abs. 2 AGG für den Frist­be­ginn auf die Kennt­nis des Beschäftig­ten von Hilfs­tat­sa­chen ab­zu­stel­len, die auf ei­ne an­spruchs­auslösen­de Mo­tiv­la­ge des Ar­beit­ge­bers schließen las­sen. Da­durch wird dem Beschäftig­ten auch nicht un­zu­mut­bar das Ri­si­ko ei­nes An­spruchs­ver­lus­tes auf­gebürdet, wenn er nicht er­kannt hat, dass die Tat­sa­chen be­reits für ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes verpönten Merk­mals spre­chen (so aber: St­ein in Wen­de­ling-Schröder/St­ein AGG § 15 Rn. 75), denn

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ent­schei­dend ist die Tat­sa­chen­kennt­nis, nicht aber ei­ne ju­ris­tisch zu­tref­fen­de Be­wer­tung da­hin ge­hend, dass die Tat­sa­che taug­li­ches In­diz im Sin­ne von § 22 AGG ist (vgl. Däubler/Bertz­bach-Dei­nert 2. Aufl. § 15 Rn. 105). Dies ent­spricht der Recht­spre­chung zum Verjährungs­be­ginn bei Scha­dens­er­satz­ansprüchen (vgl. BGH 3. März 2005 - III ZR 353/04 - NJW-RR 2005, 1148). Dar­aus folgt aber auch, dass die Frist des § 15 Abs. 4 AGG nicht be­gin­nen kann, be­vor dem Beschäftig­ten Tat­sa­chen po­si­tiv be­kannt ge­wor­den sind, die tatsächlich ge­eig­net sind, die Be­weis­last­um­kehr nach § 22 AGG zu be­wir­ken. Not­wen­dig, aber auch aus­rei­chend ist, dass der Beschäftig­te auf­grund sei­ner Tat­sa­chen­kennt­nis ei­ne hin­rei­chend aus­sichts­rei­che, wenn auch nicht ri­si­ko­lo­se (nicht not­wen­dig zu be­zif­fern­de) Entschädi­gungs­kla­ge er­he­ben kann. Des­halb be­ginnt die Frist mit der Kennt­nis­er­lan­gung von sol­chen Hilfs­tat­sa­chen, die ei­nen Pro­zess hin­rei­chend aus­sichts­reich er­schei­nen las­sen. Dies ist je­den­falls dann der Fall, wenn der je­wei­li­ge Um­stand oder Ver­fah­rens­man­gel für sich al­lein die über­wie­gen­de Wahr­schein­lich­keit ei­ner merk­mals­be­ding­ten Be­nach­tei­li­gung be­gründet. Bei Verstößen ge­gen Nor­men, die der be­son­de­ren ver­fah­rensmäßigen Ab­si­che­rung vor Dis­kri­mi­nie­run­gen we­gen verpönter Merk­ma­le die­nen, wird dies re­gelmäßig der Fall sein. Liegt dem­ge­genüber ei­ne Si­tua­ti­on vor, bei der Ein­zel­tat­sa­chen kei­nen Rück­schluss auf das Be­ste­hen ei­ner verpönten Mo­tiv­la­ge zu­las­sen, je­doch ei­ne Ge­samt­schau meh­re­rer Ein­zel­tat­sa­chen die über­wie­gen­de Wahr­schein­lich­keit ei­ner Kau­sal­be­zie­hung zu dem verpönten Merk­mal be­gründet, so be­ginnt die Frist erst mit Kennt­nis­er­lan­gung der letz­ten, die Ge­samt­schau iSv. § 22 AGG ermögli­chen­den Ein­zel­tat­sa­chen.


Im Übri­gen kann der Beschäftig­te auch noch wei­te­re In­di­zi­en, die ihm später be­kannt ge­wor­den sind, in den Pro­zess einführen, ins­be­son­de­re kann er sich auch auf In­di­zi­en be­ru­fen, die ein wei­te­res Merk­mal im Sin­ne von § 1 AGG be­tref­fen. Auch dann, wenn die Be­nach­tei­li­gung auf ei­nem Bündel un­ter­schied­li­cher Mo­ti­ve iSd. § 1 AGG be­ruht, liegt nur ei­ne Be­nach­tei­li­gung im Sin­ne von § 3 AGG vor. Dies er­gibt sich schon aus dem Wort­laut des § 4 AGG, der von ei­ner un­ter­schied­li­chen Be­hand­lung we­gen meh­re­rer in § 1 AGG ge­nann­ter Gründe spricht (vgl. HWK/Rupp 5. Aufl. § 4 AGG Rn. 1; AnwK-ArbR/v. St­ein­au-



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St­einrück/Schnei­der 2. Aufl. § 4 AGG Rn. 4; aA v. Ro­et­te­ken AGG Stand März 2012 § 15 Rn. 59a).

d) Mit dem Zu­gang des Ab­leh­nungs­schrei­bens am 2. Sep­tem­ber 2008 hat­te der Kläger Kennt­nis von den an­spruchs­be­gründen­den Tat­sa­chen.

Er wuss­te, dass das Aus­wahl­ver­fah­ren ab­ge­schlos­sen war, oh­ne dass er Berück­sich­ti­gung im Aus­wahl­ver­fah­ren ge­fun­den hat­te. Ein Nach­teil im Sin­ne ei­ner un­mit­tel­ba­ren Be­nach­tei­li­gung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG liegt im Fal­le ei­ner Aus­wah­l­ent­schei­dung be­reits dann vor, wenn der Beschäftig­te nicht in die Aus­wahl ein­be­zo­gen, son­dern vor­ab aus­ge­schie­den wird. Die Be­nach­tei­li­gung liegt in der Ver­sa­gung ei­ner Chan­ce (vgl. BAG 17. Au­gust 2010 - 9 AZR 839/08 - AP AGG § 15 Nr. 4 = EzA SGB IX § 81 Nr. 21). Da­mit lag im Streit­fal­le die be­nach­tei­li­gen­de Hand­lung in der im Vor­feld der ei­gent­li­chen Be­set­zungs­ent­schei­dung statt­fin­den­den Ver­fah­rens­hand­lung, dem Aus­schei­den aus dem Be­wer­bungs­ver­fah­ren bzw. in der Ver­sa­gung ei­ner Chan­ce, nicht aber in je­dem ein­zel­nen vom Kläger vor­ge­tra­ge­nen Ver­s­toß ge­gen ei­ne Ver­fah­rens­vor­schrift. Des­halb lief auch nicht für je­den ein­zel­nen Ver­s­toß ge­son­dert ei­ne Frist nach § 15 Abs. 4 AGG und war auch nicht je­der Ver­s­toß ge­son­dert zu entschädi­gen. Die ein­zel­nen Verstöße ge­gen Ver­fah­rens­vor­schrif­ten, die zur Förde­rung der Chan­cen schwer­be­hin­der­ter Men­schen in kon­kre­ten Stel­len­be­set­zungs­ver­fah­ren ge­schaf­fen wur­den, bil­den viel­mehr In­di­zi­en im Sin­ne von § 22 AGG (vgl. BAG 17. Au­gust 2010 - 9 AZR 839/08 - aaO) und ge­win­nen bei der Be­mes­sung der Entschädi­gungshöhe Be­deu­tung (vgl. BAG 21. Ju­li 2009 - 9 AZR 431/08 - BA­GE 131, 232 = AP SGB IX § 82 Nr. 1 = EzA SGB IX § 82 Nr. 1).


Nach § 82 Satz 2 SGB IX hat der öffent­li­che Ar­beit­ge­ber den schwer­be­hin­der­ten Be­wer­ber zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ein­zu­la­den. Die­se Pflicht be­steht nach § 82 Satz 3 SGB IX nur dann nicht, wenn dem schwer­be­hin­der­ten Be­wer­ber die fach­li­che Eig­nung of­fen­sicht­lich fehlt.

Un­terlässt es der öffent­li­che Ar­beit­ge­ber ent­ge­gen § 82 Satz 2 SGB IX, den schwer­be­hin­der­ten Be­wer­ber zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ein­zu­la­den, so ist dies ei­ne ge­eig­ne­te Hilfs­tat­sa­che nach § 22 AGG (vgl. BVerwG 3. März 2011 - 5 C 16/10 - BVerw­GE 139, 135; BAG 21. Ju­li 2009 - 9 AZR 431/08 -

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BA­GE 131, 232 = AP SGB IX § 82 Nr. 1 = EzA SGB IX § 82 Nr. 1). Un­ter­stellt man zu­guns­ten des Klägers, dass das be­klag­te Land ver­pflich­tet ge­we­sen wäre, ihn zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ein­zu­la­den, so hätte er mit dem Zu­gang des Ab­leh­nungs­schrei­bens am 2. Sep­tem­ber 2008 Kennt­nis von den Tat­sa­chen ge­habt, die ein In­diz im Sin­ne von § 22 AGG be­gründen. Durch die Mit­tei­lung des Ab­schlus­ses des Aus­wahl­ver­fah­rens und die da­mit ver­bun­de­ne Rück­sen­dung der Be­wer­bungs­un­ter­la­gen wuss­te der Kläger, dass er zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch nicht ein­ge­la­den wor­den und das Be­set­zungs­ver­fah­ren ab­ge­schlos­sen war.


Für ei­ne hin­rei­chend aus­sichts­rei­che Entschädi­gungs­kla­ge und da­mit den Frist­be­ginn war es nicht not­wen­dig, dass der Kläger Kennt­nis wei­te­rer Ein­zel­hei­ten bzw. Hilfs­tat­sa­chen hat­te. Er muss­te nicht zusätz­lich zu der ihm be­reits be­kann­ten Tat­sa­che der un­ter­las­se­nen Ein­la­dung zum Vor­stel­lungs­gespräch wis­sen, dass das be­klag­te Land mögli­cher­wei­se ge­gen die Pflicht ver­s­toßen hat­te, der Agen­tur für Ar­beit frühzei­tig frei wer­den­de und neu zu be­set­zen­de so­wie neue Ar­beitsplätze zu mel­den (§ 82 Satz 1 SGB IX).


§ 15 Abs. 4 AGG senkt das in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land be­reits ga­ran­tier­te Schutz­ni­veau in Be­zug auf Dis­kri­mi­nie­run­gen we­gen ei­ner Be­hin­de­rung im Sin­ne der Richt­li­nie 2000/78/EG nicht ab. Ein Ver­s­toß ge­gen Art. 8 Abs. 2 der Richt­li­nie liegt des­halb nicht vor. Vor In­kraft­tre­ten des § 81 Abs. 2 Satz 2 SGB IX aF, der sei­ner­seits der Um­set­zung der Richt­li­nie 2000/78/EG dien­te (vgl. BT-Drucks. 14/5074 S. 113), gab es kein Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot zur Bekämp­fung der Dis­kri­mi­nie­rung be­hin­der­ter Men­schen. In Übe­rein­stim­mung mit § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 SGB IX aF sieht § 15 Abs. 4 AGG ei­ne Aus­schluss­frist zur Gel­tend­ma­chung von Entschädi­gungs­ansprüchen von zwei Mo­na­ten vor.

3. Der Kläger hat ge­gen das be­klag­te Land auch kei­nen An­spruch auf Er­satz des Nicht­vermögens­scha­dens we­gen Ver­let­zung des all­ge­mei­nen Persönlich­keits­rechts gem. § 823 Abs. 1 BGB iVm. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG.
 


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a) Da­bei kann vor­lie­gend da­hin­ste­hen, ob ein et­wai­ger An­spruch we­gen Ver­let­zung des Persönlich­keits­rechts schon des­halb schei­tern muss, weil er eben­so wie der An­spruch aus § 15 Abs. 2 AGG nach § 15 Abs. 4 AGG ver­fal­len ist. Die um­strit­te­ne Fra­ge, ob § 15 Abs. 4 AGG auch Ansprüche aus § 823 BGB iVm. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG er­fasst (dafür: Bau­er/Göpfert/Krie­ger AGG 3. Aufl. § 15 Rn. 67; Adom­eit/Mohr AGG 2. Aufl. § 15 Rn. 135; Schleu­se­ner/Suckow/Voigt AGG 3. Aufl. § 15 Rn. 70; da­ge­gen: Schiek/Ko­cher AGG § 15 Rn. 63; HWK/Rupp 5. Aufl. § 15 AGG Rn. 14; Däubler/Bertz­bach-Dei­nert AGG 2. Aufl. § 15 Rn. 97; ErfK/Schlach­ter 12. Aufl. § 15 AGG Rn. 18; KR-Tre­ber 9. Aufl. § 15 AGG Rn. 52; Pa­landt/Wei­den­kaff 71. Aufl. § 15 AGG Rn. 10; Ja­cobs RdA 2009, 193, 195), ist nicht ent­schei­dungs­er­heb­lich, da der Kläger ei­nen An­spruch aus § 823 BGB iVm. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG nicht schlüssig dar­ge­legt hat.


b) Vor­aus­set­zung ei­nes An­spruchs aus § 823 Abs. 1 BGB iVm. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG ist, dass der Ar­beit­ge­ber das all­ge­mei­ne Persönlich­keits­recht schwer­wie­gend ver­letzt hat oder dem Ar­beit­ge­ber ein schwer­wie­gen­der Ver­schul­dens­vor­wurf zu ma­chen ist; ge­ringfügi­ge Ein­grif­fe lösen kei­ne Entschädi­gungs­ansprüche aus (vgl. BAG 24. Sep­tem­ber 2009 - 8 AZR 636/08 - AP BGB § 611 Persönlich­keits­recht Nr. 41 = EzA AGG § 15 Nr. 3). Wei­te­re Vor­aus­set­zung ist, dass die Be­ein­träch­ti­gung nicht in an­de­rer Wei­se be­frie­di­gend aus­ge­gli­chen wer­den kann (vgl. BGH 1. De­zem­ber 1999 - I ZR 49/97 - BGHZ 143, 214). Ob ei­ne schwer­wie­gen­de Ver­let­zung vor­liegt, hängt von Art, Be­deu­tung und Trag­wei­te des Ein­griffs, An­lass und Be­weg­grund des Han­deln­den so­wie dem Grad sei­nes Ver­schul­dens ab, wo­bei zu berück­sich­ti­gen ist, in wel­che geschütz­ten Be­rei­che ein­ge­grif­fen wur­de (vgl. BAG 24. Sep­tem­ber 2009 - 8 AZR 636/08 - aaO). Ei­ne Haf­tung kommt ins­be­son­de­re nur bei ei­nem Ver­schul­den (§ 276 BGB) in Be­tracht.


Nach den all­ge­mei­nen Dar­le­gungs- und Be­weis­last­re­geln hat der Geschädig­te sämt­li­che an­spruchs­be­gründen­den Tat­sa­chen dar­zu­le­gen und ggf. zu be­wei­sen. § 22 AGG bie­tet für die Gel­tend­ma­chung ei­nes An­spruchs aus § 823 Abs. 1 BGB we­gen Ver­let­zung des all­ge­mei­nen Persönlich­keits­rechts



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kei­ne Er­leich­te­run­gen (vgl. Win­del RdA 2011, 193, 198; ErfK/Schlach­ter 12. Aufl. § 22 AGG Rn. 11; aA Däubler/Bertz­bach-Dei­nert 2. Aufl. § 22 Rn. 22e; vgl. zum Streit­stand: Gro­bys NZA 2006, 898, 899).


So­weit es in § 22 AGG heißt, „...im Streit­fall...“, ist der Wort­laut für die Fra­ge un­er­gie­big, auf wel­che Strei­tig­kei­ten sich die Norm be­zieht. Al­ler­dings er­gibt sich aus dem Wort­laut wei­ter, dass „im Streit­fall“ iSv. § 22 AGG die an­de­re Par­tei die Be­weis­last dafür trägt, dass kein Ver­s­toß ge­gen die Be­stim­mun­gen zum Schutz vor Be­nach­tei­li­gun­gen vor­ge­le­gen hat, wenn In­di­zi­en be­wie­sen wer­den, die ei­ne Be­nach­tei­li­gung „we­gen ei­nes in § 1 ge­nann­ten Grun­des“ ver­mu­ten las­sen. Folg­lich be­zieht sich § 22 AGG schon sei­nem Wort­laut nach (nur) auf sol­che Strei­tig­kei­ten, in de­nen das Vor­lie­gen ei­ner Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des strei­tig ist (vgl. Däubler/Bertz­bach-Dei­nert 2. Aufl. § 22 Rn. 22a; MüKoBGB/Thüsing 6. Aufl. § 22 AGG Rn. 6; KR-Tre­ber 9. Aufl. § 22 AGG Rn. 5).


Die Be­weis­last­re­gel des § 22 AGG gilt des­halb zunächst für die spe­zi­fi­schen, sich aus dem AGG er­ge­ben­den Ansprüche, al­so ins­be­son­de­re für Pro­zes­se um Scha­dens­er­satz und Entschädi­gung nach § 15 Abs. 1 und Abs. 2 AGG. Nach § 15 Abs. 5 AGG blei­ben hin­ge­gen Ansprüche ge­gen den Ar­beit­ge­ber, die sich aus an­de­ren Rechts­vor­schrif­ten er­ge­ben, un­berührt. In­so­weit kommt ein Scha­dens­er­satz­an­spruch nach § 823 Abs. 1 BGB we­gen Ver­let­zung des all­ge­mei­nen Persönlich­keits­rechts in Be­tracht, weil die­ser nicht an ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes Grun­des iSd. § 1 AGG an­knüpft. Für ei­nen sol­chen An­spruch gilt § 22 AGG nicht, da die­ser zwar par­al­lel zu ei­nem spe­zi­fi­schen An­spruch des AGG ge­ge­ben sein kann, nicht aber von ei­nem Ver­s­toß ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot abhängt. Hierfür spricht auch, dass § 16 Abs. 3 AGG die Gel­tung der Be­weis­last­ver­tei­lung des § 22 AGG aus­drück­lich für den Ver­s­toß ge­gen das Maßre­ge­lungs­ver­bot we­gen der In­an­spruch­nah­me von Rech­ten nach dem AGG für an­wend­bar erklärt. Ei­ner sol­chen Re­ge­lung hätte es nicht be­durft, wenn § 22 AGG auch auf Ansprüche An­wen­dung fände, die kei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des vor­aus­set­zen (vgl. Gro­bys NZA 2006, 898).



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§ 22 AGG ist auch nicht ent­spre­chend auf Ansprüche aus § 823 BGB we­gen Ver­let­zung des all­ge­mei­nen Persönlich­keits­rechts an­zu­wen­den. Es fehlt schon an ei­ner plan­wid­ri­gen Re­ge­lungslücke. Der Ge­setz­ge­ber hat in § 15 Abs. 5 AGG und § 32 AGG aus­drück­lich an­ge­ord­net, dass es bei den all­ge­mei­nen Be­stim­mun­gen ver­bleibt, so­weit das AGG nichts Ab­wei­chen­des be­stimmt.

Auch er­for­dern es Art. 10 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG, Art. 8 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/43/EG und Art. 19 Abs. 1 der Richt­li­nie 2006/54/EG nicht, die Be­weis­re­ge­lun­gen auf Ansprüche zu er­stre­cken, die kei­ne Be­nach­tei­li­gung auf­grund ei­nes in der je­wei­li­gen Richt­li­nie ge­re­gel­ten Merk­mals zur Vor­aus­set­zung ha­ben. Dies folgt be­reits aus Art. 9 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG, Art. 7 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/43/EG und Art. 17 Abs. 1 der Richt­li­nie 2006/54/EG, aus de­nen sich je­weils er­gibt, dass sich die si­cher­zu­stel­len­den Rechts­schutzmöglich­kei­ten und da­mit auch die Be­weis­re­ge­lung nur je­weils auf die Ansprüche aus der Richt­li­nie be­zieht (vgl. ErfK/Schlach­ter 12. Aufl. § 22 AGG Rn. 11).


c) We­der aus den Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts noch aus den Be­haup­tun­gen des Klägers er­gibt sich ei­ne schwer­wie­gen­de Ver­let­zung sei­nes Persönlich­keits­rechts oder ein schwer­wie­gen­der Ver­schul­dens­vor­wurf, der dem be­klag­ten Land zu ma­chen wäre. Auch wenn die­ses ge­gen Ver­fah­rens­vor­schrif­ten zur Förde­rung schwer­be­hin­der­ter Men­schen (§ 81 Abs. 1, § 82 SGB IX) ver­s­toßen ha­ben soll­te, genügte das nicht, um ei­ne Entschädi­gungs­pflicht nach § 823 Abs. 1 BGB iVm. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG aus­zulösen, wie es bei ei­ner „Her­abwürdi­gung“ (vgl. BAG 24. Sep­tem­ber 2009 - 8 AZR 636/08 - AP BGB § 611 Persönlich­keits­recht Nr. 41 = EzA AGG § 15 Nr. 3) ggf. an­zu­neh­men wäre. Ins­be­son­de­re er­gibt sich ei­ne Her­abwürdi­gung nicht aus Form oder In­halt des Ab­leh­nungs­schrei­bens vom 29. Au­gust 2008. Auch der Kläger be­haup­tet nichts Ge­gen­tei­li­ges.



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C. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kos­ten sei­ner er­folg­lo­sen Re­vi­si­on zu tra­gen.

Hauck 

Böck 

Brein­lin­ger

Schulz 

An­dre­as Hen­ni­ger

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