HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

BAG, Ur­teil vom 24.03.1993, 5 AZR 16/92

   
Schlagworte: Betriebliche Übung, Freistellung
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 5 AZR 16/92
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 24.03.1993
   
Leitsätze: Der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes muß in aller Regel davon ausgehen, daß ihm sein Arbeitgeber nur die Leistungen gewähren will, zu denen er rechtlich verpflichtet ist. Ohne besonderen Anhalt darf der Arbeitnehmer deshalb auch bei langjähriger Gewährung einer zusätzlichen Vergünstigung nicht darauf vertrauen, sie sei Vertragsinhalt geworden (Anschluß an BAGE 49, 31 = AP Nr. 19 zu § 242 BGB Betriebliche Übung)
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Bonn, Urteil vom 11.06.1991, 1 Ca 291/91
Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 08.11.1991, 13 (6) Sa 532/91
   

5 AZR 16/92
13 (6) Sa 532/91 Köln


Verkündet am
24. März 1993

Clo­bes,
Amts­in­spek­tor
als Ur­kunds­be­am­ter
der Geschäfts­stel­le

 

Im Na­men des Vol­kes!

Ur­teil

In Sa­chen

pp.

hat der Fünf­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 24. März 1993 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter Prof. Dr. Tho­mas, die Rich­ter Dr. Geh­ring und Dr. Rei­ne­cke

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so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Dr. Schlem­mer und Blank-Abel für Recht er­kannt:

1. Die Re­vi­si­on der Kläge­rin ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Köln vom 8. No­vem­ber 1991 - 13 (6) Sa 532/91 - wird zurück­ge­wie­sen.

2. Die Kläge­rin hat die Kos­ten der Re­vi­si­on zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand:

Die Par­tei­en strei­ten darüber, ob der Kläge­rin für nicht er­brach­te Ar­beits­leis­tung am 11. Fe­bru­ar 1991 (Ro­sen­mon­tag) und am 12. Fe­bru­ar 1991 Vergütung zu­steht.

Die Kläge­rin ist seit 1979 bei dem be­klag­ten Land als me­di­zi­nisch-tech­ni­sche As­sis­ten­tin in den Me­di­zi­ni­schen Ein­rich­tun­gen der Rhei­ni­schen Fried­rich-Wil­helms-Uni­ver­sität in Bonn beschäftigt. Seit min­des­tens elf Jah­ren gewähr­te die Uni­ver­sität al­len Be­diens­te­ten im Uni­ver­sitäts­be­reich und da­mit auch den in den Me­di­zi­ni­schen Ein­rich­tun­gen Beschäftig­ten am Ro­sen­mon­tag Dienst­be­frei­ung und setz­te wei­ter den Dienst­be­ginn für den fol­gen­den Kar­ne­vals­diens­tag um ei­ne St­un­de später an. Die Bezüge blie­ben un­gekürzt. In je­dem Jahr ging der Dienst­be­frei­ung ein Rund­schrei­ben des Rek­tors oder des Kanz­lers der Uni­ver­sität vor­aus, in dem es z. B. für 1989 hieß:

"Am Ro­sen­mon­tag (6.2.1989) ord­ne ich für die Be­diens­te­ten im Uni­ver­sitäts­be­reich Dienst­be­frei­ung an. - Am Kar­ne­vals­diens­tag (7.2.1989) be­ginnt der Dienst ei­ne St­un­de später. - Im In­ter­es­se des Dienst­be­triebs not­wen­di­ge Ab­wei­chun­gen können von den Di­rek­to­ren der Kli­ni­ken, In­sti­tu­te und Se­mi­na­re in ei­ge­ner Zuständig­keit vor­ge­nom­men wer­den.

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- Die Öff­nungs­zei­ten der nicht im Haupt­gebäude ge­le­ge­nen In­sti­tu­te und Se­mi­na­re stel­le ich in das Er­mes­sen des zuständi­gen Di­rek­tors."

We­gen des Golf­krie­ges wies der Kanz­ler der Uni­ver­sität mit Rund­schrei­ben vom 23. Ja­nu­ar 1991 dar­auf hin, daß für die­ses Jahr die Dienst­be­frei­ung zum Kar­ne­val ent­fal­le. Die­sen Hin­weis gab der Ver­wal­tungs­di­rek­tor der Me­di­zi­ni­schen Ein­rich­tun­gen an de­ren Be­diens­te­te wei­ter. Dar­auf­hin er­wirk­te die Kläge­rin beim Ar­beits­ge­richt Bonn un­ter dem 8. Fe­bru­ar 1991 ge­gen das be­klag­te Land ei­ne einst­wei­li­ge Verfügung, wo­nach ihr für den 11. Fe­bru­ar (Ro­sen­mon­tag) Dienst­be­frei­ung zu gewähren und der Dienst­be­ginn am 12. Fe­bru­ar (Kar­ne­vals­diens­tag) auf 9.00 Uhr fest­zu­le­gen sei. Zur Fra­ge der Ent­gelt­lich­keit der Dienst­be­frei­ung äußert sich die einst­wei­li­ge Verfügung nicht. Das be­klag­te Land kam der An­ord­nung nach, kündig­te je­doch mit Schrei­ben vom 18. Fe­bru­ar 1991 an, für den Tag der Dienst­be­frei­ung kei­ne Vergütung gewähren zu wol­len, und teil­te der Kläge­rin wei­ter mit, es wol­le - da die un­gekürz­te Fe­bru­ar­vergütung be­reits aus­ge­zahlt war - ent­spre­chen­de Rück­zah­lung ver­lan­gen. Ge­gen die­sen vom be­klag­ten Land be­haup­te­ten An­spruch wen­det sich die Kläge­rin mit ih­rem Fest­stel­lungs­be­geh­ren.

Die Kläge­rin hat be­an­tragt

fest­zu­stel­len, daß das be­klag­te Land nicht be­rech­tigt ist, die für den 11. und 12. Fe­bru­ar 1991 ge­zahl­te Vergütung zurück­zu­for­dern.

Das be­klag­te Land hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen. Es hat vor­ge­tra­gen, die Zeit der Dienst­be­frei­ung sei der Kläge­rin oh­ne Rechts­grund vergütet wor­den. Ein Vergütungs­an­spruch ha­be der

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Kläge­rin für die­se Zeit nicht zu­ge­stan­den. Ins­be­son­de­re er­ge­be sich ein sol­cher An­spruch nicht aus be­trieb­li­cher Übung.
Das Ar­beits­ge­richt hat der Kla­ge statt­ge­ge­ben. Auf die Be­ru­fung des be­klag­ten Lan­des hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Da­ge­gen rich­tet sich die Re­vi­si­on, mit der die Kläge­rin die Wie­der­her­stel­lung des erst­in­stanz­li­chen Ur­teils er­strebt.

Ent­schei­dungs­gründe:

Die Re­vi­si­on ist nicht be­gründet. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die nach § 256 Abs. 1 ZPO zulässi­ge Kla­ge zu Recht ab­ge­wie­sen.

I. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt ist zu­tref­fend da­von aus­ge­gan­gen, daß der Kläge­rin ein An­spruch auf be­zahl­te Frei­zeit nur aus Ver­trag ent­stan­den sein könn­te. Es hat ei­nen sol­chen An­spruch zu Recht ver­neint.

1. Die Ver­trags­be­zie­hun­gen der Par­tei­en könn­ten sich nur auf­grund be­trieb­li­cher Übung zu ei­nem An­spruch auf be­zahl­te Frei­zeit am Ro­sen­mon­tag aus­ge­stal­tet ha­ben. Un­ter ei­ner be­trieb­li­chen Übung ver­steht man die re­gelmäßige Wie­der­ho­lung be­stimm­ter Ver­hal­tens­wei­sen des Ar­beit­ge­bers, aus de­nen die Ar­beit­neh­mer schließen können, ih­nen sol­le ei­ne Leis­tung oder ei­ne Vergüns­ti­gung auf Dau­er ein­geräumt wer­den. Aus die­sem als Wil­lens­erklärung des Ar­beit­ge­bers, die von den Ar­beit­neh­mern still­schwei­gend an­ge­nom­men wird (S 151 BGB), zu wer­ten­den Ver­hal­ten des Ar­beit­ge­bers

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er­wach­sen ver­trag­li­che Ansprüche auf die üblich ge­wor­de­nen Leis­tun­gen (vgl. nur BA­GE 40, 126, 133 = AP Nr. 1 zu § 3 TVArb Bun­des­post; aus neu­es­ter Zeit BA­GE 59, 73, 84 f. = AP Nr. 33 zu § 242 BGB Be­trieb­li­che Übung, zu II 3 a der Gründe, mit zahl­rei­chen wei­te­ren Nach­wei­sen). Bei der An­spruchs­ent­ste­hung ist nicht ent­schei­dend ein Ver­pflich­tungs­wil­le des Ar­beit­ge­bers, son­dern nur die Fra­ge, wie die Erklärungs­empfänger die Erklärung oder das Ver­hal­ten nach Treu und Glau­ben un­ter Berück­sich­ti­gung al­ler Be­gleit­umstände ver­ste­hen durf­ten (§§ 133, 157 BGB).

Für die Ar­beits­verhält­nis­se des öffent­li­chen Diens­tes gel­ten die­se Grundsätze je­doch nur mit Ein­schränkung. Hier ist da­von aus­zu­ge­hen, daß der Ar­beit­ge­ber im Zwei­fel nur die von ihm zu be­ach­ten­den ge­setz­li­chen und ta­rif­ver­trag­li­chen Nor­men voll­zie­hen will. Da­her müssen selbst bei langjähri­gen Vergüns­ti­gun­gen be­son­de­re zusätz­li­che An­halts­punk­te dafür vor­lie­gen, daß der Ar­beit­ge­ber des öffent­li­chen Diens­tes über das gewähr­te ta­rif­li­che Ent­gelt hin­aus wei­te­re Leis­tun­gen einräum­en will, die auf Dau­er gewährt und da­mit Ver­trags­be­stand­teil wer­den sol­len (vgl. statt vie­ler nur BA­GE 59, 73, 85 = AP Nr. 33 zu § 242 BGB Be­trieb­li­che Übung, zu II 3 a der Gründe, eben­falls mit wei­te­ren Nach­wei­sen).

2. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat her­vor­ge­ho­ben, das be­klag­te Land ha­be im Streit­fall Jahr für Jahr die Dienst­be­frei­ung im vor­aus aus­drück­lich und im­mer wie­der aufs Neue an­ge­ord­net. Wei­ter ha­be es in den jähr­li­chen Rund­schrei­ben aus­drück­lich auf Aus­nah­men von der Dienst­be­frei­ung "im In­ter­es­se des Dienst­be­triebs" hin­ge­wie­sen. Aus die­sen Umständen hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt

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ge­fol­gert, der Ar­beit­ge­ber ha­be sich für die Ar­beit­neh­mer er­kenn­bar ge­ra­de nicht zu ei­ner un­ein­ge­schränk­ten Leis­tung be­reit erklärt und ver­pflich­ten wol­len. Ein ent­spre­chen­der An­spruch auf be­zahl­te Frei­stel­lung sei für den Ro­sen­mon­tag und für ei­ne be­stimm­te Zeit des fol­gen­den Kar­ne­vals­diens­tag da­her nicht ent­stan­den.

3. Dem ist bei­zu­pflich­ten. Die Schlußfol­ge­run­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts aus den von ihm ge­trof­fe­nen tatsächli­chen Fest­stel­lun­gen sind zu­tref­fend und aus kei­nem recht­li­chen Ge­sichts­punkt zu be­an­stan­den. Ir­gend­wel­che für den Be­reich des öffent­li­chen Diens­tes zur An­spruchs­ent­ste­hung aus be­trieb­li­cher Übung zu ver­lan­gen­den be­son­de­ren Umstände la­gen auf Ar­beit­ge­ber­sei­te nicht vor. Das Ge­gen­teil folgt aus der Tat­sa­che, daß die Dienst­be­frei­ung in je­dem Jahr aus­drück­lich und mit be­son­de­rer Re­ge­lung des Dienst­be­triebs im me­di­zi­ni­schen Be­reich gewährt wur­de. Un­ter die­sen Umständen konn­te kein Ver­trau­en der be­tei­lig­ten Ar­beit­neh­mer dar­auf ent­ste­hen, daß ih­nen die Ar­beits­be­frei­ung am Ro­sen­mon­tag auf Dau­er und un­ein­ge­schränkt als be­son­de­re Vergüns­ti­gung gewährt wer­den würde.

II. Hat die Kläge­rin da­her kei­nen An­spruch auf be­zahl­te Frei­zeit für Ro­sen­mon­tag und teil­wei­se für Kar­ne­vals­diens­tag 1991 er­wor­ben, so sind ihr die für die nicht ge­ar­bei­te­te Zeit gewähr­ten Bezüge oh­ne Rechts­grund gewährt wor­den. Das Land kann da­her die über­zahl­ten Beträge zurück­ver­lan­gen (§ 812 Abs. 1 Satz 1 BGB). Das Fest­stel­lungs­be­geh­ren der Kläge­rin, wo­nach das be­klag­te Land

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zur Rück­for­de­rung nicht be­rech­tigt sei, er­weist sich als un­be­gründet.

 

Dr. Tho­mas 

Dr. Geh­ring 

Dr. Rei­ne­cke

Dr. Schlem­mer 

Blank-Abel
 

 

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