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LAG Schles­wig-Hol­stein, Ur­teil vom 12.01.2016, 1 Sa 88 a/15

   
Schlagworte: Urlaub, Elternzeit
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Aktenzeichen: 1 Sa 88 a/15
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 12.01.2016
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Flensburg, 3 Ca 1123/14
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt Schles­wig-Hol­stein

Ak­ten­zei­chen: 1 Sa 88 a/15

3 Ca 1123/14 ArbG Flens­burg
(Bit­te bei al­len Schrei­ben an­ge­ben!)

Verkündet am 12.01.2016
gez. ...
als Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

Ur­teil

Im Na­men des Vol­kes

In dem Rechts­streit

pp.

hat die 1. Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Schles­wig-Hol­stein auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 12.01.2016 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt ... als Vor­sit­zen­den und die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter ... und ... als Bei­sit­zer

für Recht er­kannt:

 

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Auf die Be­ru­fung der Kläge­rin wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Flens­burg vom 19.02.2015 - 3 Ca 1123/14 - teil­wei­se geändert:

Es wird fest­ge­stellt, dass der Kläge­rin noch Ur­laubs­ansprüche aus dem Jahr 2012 im Um­fang von 6,25 Ar­beits­ta­gen, aus dem Jahr 2013 von 2,08 Ar­beits­ta­gen und aus dem Jahr 2015 im Um­fang von 2,08 Ar­beits­ta­gen zu­ste­hen. Im Übri­gen wird der Haupt­an­trag der Kläge­rin ab­ge­wie­sen und die wei­ter­ge­hen­de Be­ru­fung der Kläge­rin zurück­ge­wie­sen.

Die Kläge­rin trägt 92 %, die Be­klag­te 8 % der Kos­ten des Be­ru­fungs­ver­fah­rens.

Die Re­vi­si­on für die Kläge­rin wird zu­ge­las­sen.

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Rechts­mit­tel­be­leh­rung

Ge­gen die­ses Ur­teil kann die Kläge­rin durch Ein­rei­chung ei­ner Re­vi­si­ons­schrift bei dem Bun­des­ar­beits­ge­richt in 99084 Er­furt, Hu­go-Preuß-Platz 1, Te­le­fax: (0361) 26 36 - 20 00 Re­vi­si­on ein­ge­le­gen.

Die Re­vi­si­ons­schrift muss

bin­nen ei­ner Not­frist von ei­nem Mo­nat

beim Bun­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­gen sein. 

 

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Der Re­vi­si­onskläger muss die Re­vi­si­on be­gründen. Die Re­vi­si­ons­be­gründung ist, so­fern sie nicht be­reits in der Re­vi­si­ons­schrift ent­hal­ten ist, in ei­nem Schrift­satz bei dem Bun­des­ar­beits­ge­richt ein­zu­rei­chen. Die Frist für die Re­vi­si­ons­be­gründung beträgt

zwei Mo­na­te.

Die Fris­ten für die Ein­le­gung und die Be­gründung der Re­vi­si­on be­gin­nen mit der Zu­stel­lung des in vollständi­ger Form ab­ge­fass­ten Ur­teils, spätes­tens aber mit Ab­lauf von fünf Mo­na­ten nach der Verkündung.

Die Re­vi­si­ons­schrift muss das Ur­teil be­zeich­nen, ge­gen das die Re­vi­si­on ge­rich­tet wird, und die Erklärung ent­hal­ten, dass ge­gen die­ses Ur­teil Re­vi­si­on ein­ge­legt wer­de.

Der Re­vi­si­ons­schrift soll ei­ne Aus­fer­ti­gung oder be­glau­big­te Ab­schrift des an­ge­foch­te­nen Ur­teils bei­gefügt wer­den.

Die Re­vi­si­on und die Re­vi­si­ons­be­gründung müssen von ei­nem bei ei­nem deut­schen Ge­richt zu­ge­las­se­nen Rechts­an­walt un­ter­zeich­net sein.

(Rechts­mit­tel­schrif­ten, Rechts­mit­tel­be­gründungs­schrif­ten und wech­sel­sei­ti­ge Schriftsätze im Ver­fah­ren vor dem Bun­des­ar­beits­ge­richt sind in sie­ben­fa­cher - für je­den wei­te­ren Be­tei­lig­ten ei­ne wei­te­re - Aus­fer­ti­gung ein­zu­rei­chen.)

Der Schrift­form wird auch durch Ein­rei­chung ei­nes elek­tro­ni­schen Do­ku­ments genügt, wenn es für die Be­ar­bei­tung durch das Ge­richt ge­eig­net ist. Schriftsätze können da­zu über ei­ne ge­si­cher­te Ver­bin­dung in den elek­tro­ni­schen Ge­richts­brief­kas­ten des Bun­des­ar­beits­ge­richts ein­ge­legt wer­den. Die er­for­der­li­che Zu­gangs- und Über­tra­gungs­soft­ware kann li­zenz­kos­ten-frei über die In­ter­net­sei­te des Bun­des­ar­beits­ge­richts (www.bun­des­ar­beits­ge­richt.de) her­un­ter­ge­la­den wer­den. Das Do­ku­ment ist mit ei­ner qua­li­fi­zier­ten Si­gna­tur nach dem Si­gna­tur­ge­setz zu ver­se­hen. Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den sich auf der In­ter­net­sei­te des Bun­des­ar­beits­ge­richts (s.o.) so­wie un­ter www.egvp.de

 

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Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über den Um­fang des Ur­laubs­an­spruchs der Kläge­rin während ih­rer El­tern­zeit.

Die Kläge­rin ist seit dem 01.04.2007 bei der Be­klag­ten bzw. de­ren Rechts­vorgänge­rin auf Grund­la­ge des Ar­beits­ver­trags vom 28.02.2007 (Bl. 153 - 156 d. A.) zu ei­nem Brut­to­mo­nats­ge­halt von zu­letzt 1.105,-- € als Fri­seu­rin beschäftigt. Ab­wei­chend vom Ar­beits­ver­trag ste­hen der Kläge­rin, die re­gelmäßig an 5 Ta­gen in der Wo­che tätig ist, im Ka­len­der­jahr 25 Ar­beits­ta­ge Ur­laub zu.

Nach der Ge­burt ih­rer Kin­der am 26.10.2009 und 05.12.2012 nahm die Kläge­rin - je­weils im An­schluss an die Mut­ter­schutz­frist nach § 6 Abs. 1 MuSchG - in der Zeit vom 27.12.2009 bis 26.10.2012 und vom 30.01.2013 bis 04.12.2015 El­tern­zeit. Be­reits am 15.10.2012 hat­te die Schutz­frist der Kläge­rin nach § 3 Abs. 2 MuSchG im Hin­blick auf den am 05.12.2012 ge­bo­re­nen Sohn be­gon­nen. Tatsächlich ar­bei­te­te die Kläge­rin seit 2009 bis zum 04.12.2015 nicht. Am 05.12.2015 nahm sie ih­re Ar­beit auf. Seit dem 06.12. ist sie zunächst we­gen der Er­kran­kung ih­rer Kin­der und im An­schluss dar­an we­gen ei­ge­ner Ar­beits­unfähig­keit bis zum Be­ru­fungs­ter­min nicht für die Be­klag­te tätig ge­we­sen.

Mit Schrei­ben vom 10.10.2014 (Bl. 30 f. d. A.) mach­te die Be­klag­te über ih­ren Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten für je­den vol­len Mo­nat der El­tern­zeit von ih­rer Kürzungs­be­fug­nis nach § 17 BEEG Ge­brauch.

Mit ih­rer am 20.10.2014 beim Ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nen Kla­ge hat die Kläge­rin Zah­lung von Ur­laubs­ab­gel­tung für je 25 Ta­gen aus den Jah­ren 2012 bis 2014 ver­langt.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge durch Ur­teil vom 19.02.2015 ab­ge­wie­sen und zur Be­gründung aus­geführt, im be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis könne ei­ne Ur­laubs­ab­gel­tung nicht ver­langt wer­den.

 

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Ge­gen die­ses ihr am 13.03.2015 zu­ge­stell­te Ur­teil hat die Kläge­rin am 13.03.2015 Be­ru­fung ein­ge­legt und die­se - nach Verlänge­rung der Be­gründungs­frist bis zum 15.06.2015 - am 08.06.2015 be­gründet.

Sie führt aus:
Der Ar­gu­men­ta­ti­on des Ar­beits­ge­richts tra­ge sie durch Um­stel­lung ih­rer Kla­ge­anträge Rech­nung. Ihr ste­he in vol­lem Um­fang für die Jah­re 2012 bis 2015 ihr Jah­res­ur­laub zu. Die Kürzungs­be­fug­nis des Ar­beit­ge­bers nach § 17 Abs. 1 BEEG sei eu­ro­pa­rechts­wid­rig und da­mit un­wirk­sam.

Die Kläge­rin be­an­tragt,

das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Flens­burg vom 19.02.2015 zum Az. 3 Ca 1123/14 wie folgt zu ändern:

Es wird fest­ge­stellt, dass der Kläge­rin ge­genüber der Be­klag­ten für die Jah­re 2012 bis 2015 noch je Ka­len­der­jahr ein Ur­laubs­an­spruch im Um­fang von 25 Ur­laubs­ta­gen zu­steht,

hilfs­wei­se,

die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len an die Kläge­rin 1.291,50 € brut­to Ur­laubs­ab­gel­tung für das Jahr 2012 nebst 5 % Zin­sen über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz der EZB seit dem 10.10.2014 zu be­zah­len,

an die Kläge­rin 1.291,50 € brut­to Ur­laubs­ab­gel­tung für das Jahr 2013 nebst 5 % Zin­sen über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz der EZB seit dem 10.10.2014 zu be­zah­len,

an die Kläge­rin 1.291,50 € brut­to Ur­laubs­ab­gel­tung für das Jahr 2014 nebst 5 % Zin­sen über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz der EZB seit dem 10.10.2014 zu be­zah­len.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

 

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Sie er­wi­dert:
Ei­ne Ab­gel­tung des Ur­laubs ha­be das Ar­beits­ge­richt mit zu­tref­fen­der Be­gründung ab­ge­lehnt. Für die Jah­re 2012 bis 2014 ha­be die Kläge­rin kei­nen Ur­laub gewährt be­kom­men oder ge­nom­men, ent­spre­chen­de Ansprüche sei­en da­her er­lo­schen. Im Übri­gen ha­be sie den An­spruch zulässi­ger­wei­se nach § 17 Abs. 1 BEEG gekürzt. Die Vor­schrift sei eu­ro­pa­rechts­kon­form. Der An­spruch sei auch nach der ar­beits­ver­trag­lich ver­ein­bar­ten Aus­schluss­frist ver­fal­len.

We­gen des wei­te­ren Sach- und Streit­stands wird auf den In­halt der Ak­te ver­wie­sen.

Ent­schei­dungs­gründe

Die zulässi­ge Be­ru­fung der Kläge­rin ist nur zu ei­nem ge­rin­gen Teil be­gründet. Der Kläge­rin ste­hen für die Jah­re 2012, 2013 und 2015 noch Rest­ur­laubs­ansprüche zu, al­ler­dings gekürzt nach Maßga­be des § 17 Abs. 1 BEEG. Der wei­ter­ge­hen­de Haupt­an­trag der Kläge­rin ist un­be­gründet, eben­so wie die Hilfs­anträge. Im Ein­zel­nen gilt Fol­gen­des:

A.

Die Be­ru­fung der Kläge­rin ist zulässig.

Sie ist gemäß § 64 Abs. 2 lit b ArbGG statt­haft und form- und frist­gemäß ein­ge­legt und be­gründet wor­den. Die Be­ru­fungs­be­gründung genügt auch im Hin­blick auf den Haupt­an­trag (ge­ra­de noch) den An­for­de­run­gen.

Al­ler­dings ist ei­ne Be­ru­fung nur dann zulässig, wenn die Be­ru­fungskläge­rin mit ihr die Be­sei­ti­gung ei­ner in dem an­ge­foch­te­nen Ur­teil lie­gen­den Be­schwer er­strebt. Ei­ne Be­ru­fung ist da­her un­zulässig, wenn sie den in ers­ter In­stanz er­ho­be­nen Kla­ge­an­spruch nicht we­nigs­tens teil­wei­se wei­ter ver­folgt, al­so - im Fal­le ei­ner erst­in­stanz­li- 

 

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chen Klag­ab­wei­sung - de­ren Rich­tig­keit gar nicht in Fra­ge stellt, son­dern le­dig­lich im We­ge der Kla­geände­rung ei­nen neu­en bis­lang nicht gel­tend ge­mach­ten An­spruch zur Ent­schei­dung stellt. Die bloße Er­wei­te­rung oder Ände­rung der Kla­ge in zwei­ter In­stanz (§§ 523, 263, 264 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) kann nicht al­lei­ni­ges Ziel des Rechts­mit­tels sein; viel­mehr setzt ein der­ar­ti­ges Pro­zess­ziel ei­ne zulässi­ge Be­ru­fung vor­aus (BGH, Urt. v. 11.10.2000 - VIII ZR 321/99 - Ju­ris, Rn 7).

Mit dem in zwei­ter In­stanz erst­mals ge­stell­ten Haupt­an­trag ver­folgt die Kläge­rin ihr erst­in­stanz­li­ches Be­geh­ren zu­min­dest teil­wei­se wei­ter. Zwar hat das Ar­beits­ge­richt den Zah­lungs­an­spruch der Kläge­rin aus­sch­ließlich des­we­gen ab­ge­wie­sen, weil ein Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch ein be­en­de­tes Ar­beits­verhält­nis vor­aus­setzt, die Kläge­rin aber - auch zum Zeit­punkt der Be­ru­fungs­ver­hand­lung - noch im Ar­beits­verhält­nis mit der Be­klag­ten steht. Zu­gleich war Ge­gen­stand des Rechts­streits der Par­tei­en aber auch be­reits erst­in­stanz­lich, in wel­chem Um­fang der Kläge­rin dem Grun­de nach Ur­laubs­ansprüche zu­ste­hen. So hat sich die Be­klag­te be­reits erst­in­stanz­lich auf ih­re Kürzungs­be­fug­nis nach § 17 Abs. 1 BEEG be­ru­fen. Die Kläge­rin hat stets die Rechtmäßig­keit die­ser Norm in Ab­re­de ge­stellt.

Mit der Um­stel­lung auf den Fest­stel­lungs­an­trag ist die­ser Teil des Streit­ge­gen­stands aus ers­ter In­stanz nun­mehr zum al­lei­ni­gen Ge­gen­stand des Haupt­sa­che­an­trags der Kläge­rin ge­wor­den.

Die Klagände­rung in zwei­ter In­stanz ist im Übri­gen zulässig. Sie ist je­den­falls sach­dien­lich im Sin­ne des § 533 Nr. 1 ZPO. Die Vor­aus­set­zun­gen des § 533 Nr. 2 ZPO lie­gen vor. Der Er­mitt­lung wei­te­rer Tat­sa­chen be­darf es nicht.

B.

Die Be­ru­fung ist je­doch nur zu ei­nem ge­rin­gen Teil be­gründet.

Der im Be­ru­fungs­ter­min zu­letzt ge­stell­te Haupt­an­trag ist zulässig aber nur zu ei­nem ge­rin­gen Teil be­gründet. Der Kläge­rin ste­hen für das Jahr 2012 noch 6,25 Ur­laubs- 

 

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ta­ge und für die Jah­re 2013 und 2015 je­weils 2,08 Ur­laubs­ta­ge zu. Die Hilfs­anträge der Kläge­rin sind un­be­gründet.

I.

Der Haupt­an­trag der Kläge­rin ist in der Form, wie er im Be­ru­fungs­ter­min ge­stellt wor­den ist, zulässig. Der Um­fang des Ur­laubs­an­spruchs ei­nes Ar­beit­neh­mers kann Ge­gen­stand ei­ner Fest­stel­lungs­kla­ge sein (Ele­men­ten­fest­stel­lungs­kla­ge). Das Fest­stel­lungs­in­ter­es­se der Kläge­rin re­sul­tiert dar­aus, dass die Be­klag­te der Auf­fas­sung ist, für die Jah­re 2012 bis 2015 bestünden kei­ne Ur­laubs­ansprüche der Kläge­rin mehr.

II.

Der Haupt­an­trag ist nur zum Teil be­gründet.

1. Für die Jah­re 2012 bis 2015 ist der Ur­laubs­an­spruch der Kläge­rin in vol­lem Um-fang ent­stan­den. Ur­laubs­ansprüche ent­ste­hen auch in dem Zeit­raum, in dem ein Ar­beit­neh­mer in El­tern­zeit ist. Das folgt schon aus § 17 Abs. 1 BEEG, der die Kürzungs­be­fug­nis des Ar­beit­ge­bers be­gründet, al­so das Ent­ste­hen des Ur­laubs­an­spruchs vor­aus­setzt (vgl. BAG v. 17.05.2011 - 9 AZR 197/10 - Ju­ris, Rn 24).

2. Der An­spruch ist je­doch im We­sent­li­chen in­fol­ge der Kürzung durch die Be­klag­te nach § 17 Abs. 1 BEEG ent­fal­len. Nach § 17 Abs. 1 BEEG kann der Ar­beit­ge­ber den Er­ho­lungs­ur­laub, der dem Ar­beit­neh­mer oder der Ar­beit­neh­me­rin für das Ur­laubs­jahr zu­steht, für je­den vol­len Ka­len­der­mo­nat der El­tern­zeit um 1/12 kürzen.

a) Von die­ser Kürzungs­be­fug­nis hat die Be­klag­te mit Schrei­ben vom 10.10.2014 für sämt­li­chen hier in Re­de ste­hen­den Er­ho­lungs­ur­laub der Kläge­rin Ge­brauch ge­macht. Sie hat in die­sem Schrei­ben aus­drück­lich mit­ge­teilt, dass sie für je­den vol­len Mo­nat in der El­tern­zeit so­wohl für die Zeit des Be­triebsüber­gangs - das war un­strei­tig der 01.01.2014 - als auch für die Zeit da­vor ab Be­ginn der El­tern­zeit so­wohl für die Ver­gan­gen­heit als auch für die Zu­kunft bis zum En­de der El­tern­zeit von ih­rem Kürzungs­recht Ge­brauch macht.

 

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b) Für den An­spruch der Kläge­rin auf Er­ho­lungs­ur­laub für die Jah­re 2012 bis 2015 folgt hier­aus:

aa) Im Jahr 2012 war die Kläge­rin vom 01.01. bis 26.10.2012 in El­tern­zeit, das sind 9 vol­le Mo­na­te. Dem­zu­fol­ge er­fasst die Kürzungs­erklärung der Be­klag­ten 9/12 des Ur­laubs­an­spruchs, das sind 18,75 Ta­ge. Es ver­bleibt ein Rest von 6,25 Ur­laubs­ta­gen. Ab dem 27.10.2012 bis zum 31.10.2012 war die Kläge­rin in­fol­ge der Schutz­fris­ten aus § 3 Abs. 2 und 6 Abs. 1 MuSchG freit ge­stellt. Nach § 17 MuSchG gel­ten die­se Aus­fall­zei­ten für den An­spruch auf be­zahl­ten Er­ho­lungs­ur­laub als Beschäfti­gungs­zei­ten.

Rest­ur­laubs­ta­ge, die sich bei der Kürzungs­be­fug­nis nach § 17 Abs. 1 BEEG er­ge­ben, sind we­der ab- noch auf­zu­run­den (vgl. Till­manns/Mutsch­ler, MuSchG und Bun­des­el­tern­zeit- und El­tern­geld­ge­setz, 1. Aufl. 2015, § 17 BEEG, Rn 12).

bb) Im Jahr 2013 war die Kläge­rin ab dem 30.01. bis zum 31.12.2013 in El­tern­zeit, al­so für 11 vol­le Mo­na­te. Dem­nach ist der Ur­laubs­an­spruch um 22,92 Ta­ge zu kürzen und es ver­bleibt ein Rest von 2,08 Ur­laubs­ta­gen.

cc) Im Jahr 2014 war die Kläge­rin durch­ge­hend in El­tern­zeit, so dass ihr für die­ses Jahr in­fol­ge der Kürzung kein Ur­laubs­an­spruch zu­steht.

dd) Im Jahr 2015 war die Kläge­rin vom 01.01. bis 04.12.2015 in El­tern­zeit, al­so wie­der­um 11 vol­le Mo­na­te. Es ver­bleibt da­nach wie im Jahr 2013 ein Rest von 2,08 Ta­gen.

c) Das Kürzungs­recht der Be­klag­ten ist auch in § 17 Abs. 1 BEEG wirk­sam be­gründet wor­den. Ins­be­son­de­re liegt in­so­weit ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Be­ru­fung kein Ver­s­toß ge­gen die Richt­li­nie 2003/88/EG über die Gewährung von be­zahl­tem Jah­res­ur­laub vor.

 

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aa) Nach Art. 7 Abs. 1 Richt­li­nie 2003/88/EG tref­fen die Mit­glied­staa­ten die er­for­der­li­chen Maßnah­men, da­mit je­der Ar­beit­neh­mer ei­nen be­zahl­ten Min­dest­jah­res­ur­laub von vier Wo­chen nach Maßga­be der Be­din­gun­gen für die In­an­spruch­nah­me und die Gewährung erhält, die in den ein­zel­staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten und/oder nach den ein­zel­staat­li­chen Ge­pflo­gen­hei­ten vor­ge­se­hen sind. Zu die­sen in ein­zel­staat­li­chen Recht­vor­schrif­ten vor­ge­se­he­nen Be­din­gun­gen für die In­an­spruch­nah­me und Gewährung des Min­dest­jah­res­ur­laubs gehört auch die Kürzungs­be­stim­mung in § 17 Abs. 1 BEEG (LAG Nie­der­sa­chen, Urt. v. 16.11.2010 - 3 Sa 1280/10 - Ju­ris, Rn 21; Erf. Komm./Gall­ner, 16. Aufl., § 17 BEEG, Rn 2; Till­manns, a. a. O., § 17 BEEG, Rn 7). Auch verstößt § 17 Abs. 1 BEEG nicht ge­gen § 2 Nr. 6 u. 7 der Rah­men­ver­ein­ba­rung über den El­tern­ur­laub (Richt­li­nie 96/34/BEEG) (LAG Hamm, Urt. v. 27.06.2013 - 16 Sa 51/13 - Ju­ris, Rn 23 f.).

bb) Die­ser Auf­fas­sung schließt sich die er­ken­nen­de Kam­mer un­ein­ge­schränkt an. So­weit die Be­ru­fung ausführt, Ur­laub die­ne dem Er­ho­lungs­bedürf­nis des Ar­beit­neh­mers und ver­fol­ge ei­nen an­de­ren Zweck als die In­an­spruch­nah­me von El­tern­zeit, ver­kennt sie, dass der Ur­laub dem Er­ho­lungs­bedürf­nis we­gen ge­leis­te­ter Ar­beit Rech­nung tra­gen soll. Die Richt­li­nie 2003/88/EG dient der Ver­bes­se­rung des Ar­beits­schut­zes der Ar­beit­neh­mer (vgl. Erwägung 1 u. 4 der Richt­li­nie). Wo es aber ge­leis­te­te Ar­beit nicht gibt, fehlt auch ein Bedürf­nis für kor­re­spon­die­ren­den Er­ho­lungs­ur­laub des Ar­beit­neh­mers. Dem­ent­spre­chend hat der Eu­ropäische Ge­richts­hof (Urt. v. 08.11.2012 - C 229/11 -) auch ent­schie­den, dass ge­gen ei­ne zeit­an­tei­li­ge Kürzung des Er­ho­lungs­ur­laubs we­gen Kurz­ar­beit und dem da­mit ver­bun­de­nen Ru­hen des Ar­beits­verhält­nis­ses kei­ne Be­den­ken be­ste­hen (eben­so: LAG Hamm, a. a. O., Rn 22). Im Hin­blick auf die­se Ent­schei­dung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs hält die Kam­mer die Rechts­la­ge auch für aus­rei­chend geklärt und hat auch des­we­gen im Rah­men des ihm zu­ste­hen­den Er­mes­sens von ei­ner Vor­la­ge des Rechts­streits an den Eu­ropäischen Ge­richts­hof ab­ge­se­hen.

3. Der da­nach be­ste­hen­de An­spruch auf Gewährung von 10,41 Ar­beits­ta­gen Ur­laub ist ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Be­klag­ten nicht ver­fal­len. Zwar muss gemäß § 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG der Ur­laub im lau­fen­den Ka­len­der­jahr gewährt und ge­nom­men wer­den und ist ei­ne Über­tra­gung des Ur­laubs auf das nächs­te Ka­len­der­jahr nach

 

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S. 2 der Vor­schrift nur statt­haft, wenn drin­gen­de be­trieb­li­che oder in der Per­son des Ar­beit­neh­mers lie­gen­de Gründe dies recht­fer­ti­gen. Gemäß § 17 Abs. 2 BEEG hat je­doch der Ar­beit­ge­ber Rest­ur­laub nach der El­tern­zeit im lau­fen­den oder im nächs­ten Ur­laubs­jahr zu gewähren, wenn der Ar­beit­neh­mer oder die Ar­beit­neh­me­rin den ihm oder ihr zu­ste­hen­den Ur­laub vor dem Be­ginn der El­tern­zeit nicht oder nicht vollständig er­hal­ten hat. § 17 BEEG re­gelt da­mit für die Jah­re, in de­nen El­tern­zeit ggf. auch nur an­tei­lig in An­spruch ge­nom­men wur­de, die Vor­aus­set­zun­gen für die Gewährung und Über­tra­gung in Abs. 2 ab­wei­chend von § 7 BUrlG (Till­manns, a. a. O., § 17 BEEG, Rn 5). Die Vor­schrift geht als lex spe­cia­lis in ih­rem An­wen­dungs­be­reich § 7 BUrlG vor. Für den hier zu ent­schei­den­den Fall be­deu­tet das:

Den bei Be­en­di­gung der ers­ten El­tern­zeit be­ste­hen­den Rest­ur­laubs­an­spruch von 6,25 Ta­gen aus dem Jahr 2012 konn­te die Kläge­rin zunächst we­gen der Beschäfti­gungs­ver­bo­te in 2012 nicht neh­men. Die­ser wur­de nach § 7 Abs. 3 S. 2 BUrlG we­gen Gründen in der Per­son der Kläge­rin auf das ers­te Quar­tal 2013 über­tra­gen. Für den Ur­laubs­an­spruch nach Be­en­di­gung der El­tern­zeit gilt § 17 BEEG nicht (Till­manns, § 17 BEEG, Rn 17). Da die­ser Rest­ur­laub vor Be­ginn der El­tern­zeit am 30.01.2013 nicht mehr gewährt wer­den konn­te, kann er zu­sam­men mit dem an­tei­li­gen Ur­laub aus 2013 im Jahr 2015 oder 2016 ge­nom­men wer­den (§ 17 Abs. 2 BUrlG).

b) Der an­tei­li­ge Ur­laub aus 2015 kann im ers­ten Quar­tal 2016 noch ge­nom­men wer­den und ist nicht ver­fal­len, § 7 Abs. 3 S. 2 u. 3 BUrlG. Ei­ner In­an­spruch­nah­me der Kläge­rin ab dem 05.12.2015 stand ent­ge­gen, dass die Kläge­rin nach dem 05.12.2015 zunächst nach § 45 Abs. 3 SGB V we­gen der Be­treu­ung ih­rer er­krank­ten Kin­der von der Ar­beit frei­ge­stellt war und im An­schluss selbst er­krank­te, und zwar über das Jah­res­en­de 2015 hin­aus. Das ha­ben die Par­tei­ver­tre­ter im Be­ru­fungs­ter­min übe­rein­stim­mend erklärt.

c) Da der An­spruch auf Ur­laubs­gewährung noch nicht fällig ist, kommt ein Ver­fall nach den ar­beits­ver­trag­lich ver­ein­bar­ten Aus­schluss­fris­ten nicht in Be­tracht. Die­se sind im Übri­gen im Hin­blick dar­auf, dass es sich of­fen­sicht­lich um all­ge­mei­ne Geschäfts­be­din­gun­gen han­delt er­kenn­bar un­wirk­sam, weil zu kurz be­mes­sen.

 

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III.

Die Hilfs­anträge der Kläge­rin sind un­be­gründet.

1. Die Hilfs­anträge sind zur Ent­schei­dung an­ge­fal­len. Die Pro­zess­be­vollmäch­tig­te der Kläge­rin hat im Be­ru­fungs­ter­min aus­drück­lich erklärt, über die Hilfs­anträge sol­le auch dann ent­schie­den wer­den, wenn dem Haupt­an­trag nur teil­wei­se statt­ge­ge­ben wer­de.

2. Die Hilfs­anträge sind un­be­gründet. Be­reits das Ar­beits­ge­richt hat zu Recht auf die ständi­ge Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts hin­ge­wie­sen, wo­nach im lau­fen­den Ar­beits­verhält­nis die Zah­lung ei­ner Ur­laubs­ab­gel­tung nicht ver­langt wer­den kann. Das folgt oh­ne wei­te­res aus § 7 Abs. 4 BUrlG wo­nach der Ur­laub ab­zu­gel­ten ist, wenn er we­gen Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht mehr gewährt wer­den kann. Die Vor­schrift ent­spricht auch un­zwei­fel­haft den eu­ro­pa­recht­li­chen Vor­ga­ben. Nach Art. 7 Abs. 2 Richt­li­nie 2003/88/EG darf der be­zahl­te Min­dest­jah­res­ur­laub außer bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht durch ei­ne fi­nan­zi­el­le Vergütung er­setzt wer­den.

IV.

Die Kos­ten­ent­schei­dung be­ruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Re­vi­si­on ist im Hin­blick auf die Fra­ge zu­ge­las­sen wor­den, ob § 17 Abs. 1 BEEG eu­ro­pa­rechts­kon­form ist. Dass dies ei­ne Fra­ge von grundsätz­li­cher Be­deu­tung ist, hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt in dem von der Kläge­rin zur Ge­richts­ak­te ge­reich­ten Be­schluss vom 12.03.2013 - 9 AZN 2383/12 - be­reits ein­mal ent­schie­den.

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