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ARBEITSRECHT AKTUELL // 10/042

Na­mens­lis­te in der In­sol­venz

Nicht in kirch­li­chen Ein­rich­tun­gen: Lan­des­ar­beits­ge­richt Nie­der­sach­sen, Ur­teil vom 09.12.2009, 17 Sa 850/09
Gesetzestext mit darauf liegendem Holzkreuz An­wend­bar­keit des § 125 In­sO in kirch­li­chen Ein­rich­tun­gen

02.03.2010. Bei Be­trieb­s­än­de­run­gen kann der Be­triebs­rat mit dem Ar­beit­ge­ber im Hin­blick auf an­ste­hen­de Ent­las­sun­gen ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich mit Na­mens­lis­te schlie­ßen. Bei den auf der Na­mens­lis­te ste­hen­den Be­schäf­tig­ten wird dann ver­mu­tet, dass ei­ne be­triebs­be­ding­te Kün­di­gung so­zi­al ge­recht­fer­tigt ist. Ei­ne der­ar­ti­ge Na­mens­lis­te kann auch in der In­sol­venz mit dem In­sol­venz­ver­wal­ter ge­schlos­sen wer­den.

Die vor­lie­gen­de Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts (LAG) Nie­der­sach­sen be­fasst sich mit der Fra­ge, ob ei­ne Na­mens­lis­te in der In­sol­venz auch in kirch­li­chen Ein­rich­tun­gen ge­schlos­sen wer­den kann: LAG Nie­der­sach­sen, Ur­teil vom 09.12.2009, 17 Sa 850/09.

Na­mens­lis­te in der In­sol­venz und kirch­li­che Ein­rich­tun­gen

Ist über das Vermögen ei­nes Ar­beit­ge­bers die In­sol­venz eröff­net wor­den, ste­hen dem In­sol­venz­ver­wal­ter in Be­zug auf die im in­sol­ven­ten Un­ter­neh­men fort­be­ste­hen­den Ar­beitsplätze ver­schie­de­ne In­stru­men­te zur Verfügung, um zum Zwe­cke der Sa­nie­rung Ar­beitsplätze ab­zu­bau­en. Auch wenn grundsätz­lich das Kündi­gungs­schutz­ge­setz an­wend­bar bleibt, kann der In­sol­venz­ver­wal­ter von Son­der­re­ge­lun­gen des In­sol­venz­rechts Ge­brauch ma­chen.

Ist ei­ne Be­triebsände­rung im Sin­ne des Be­triebs­ver­fas­sungs­rechts (vgl. § 111 Be­trVG) Grund­la­ge für die Be­en­di­gung von Ar­beits­verhält­nis­sen, kann der In­sol­venz­ver­wal­ter gemäß § 125 In­sol­venz­ord­nung (In­sO) mit dem Be­triebs­rat, der ein Mit­be­stim­mungs­recht in wirt­schaft­li­chen An­ge­le­gen­hei­ten hat, ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich schließen und die­sen mit ei­ner Na­mens­lis­te ver­se­hen, die ähn­lich wie bei ei­ner Be­triebsände­rung im ge­sun­den Un­ter­neh­men nach § 1 Abs. 5 Kündi­gungs­schutz­ge­setz (KSchG), die Ver­mu­tung be­gründet, dass die So­zi­al­aus­wahl zunächst ord­nungs­gemäß durch­geführt wur­de. Es liegt so­dann beim Ar­beit­neh­mer zu be­wei­sen, dass die So­zi­al­aus­wahl bei ei­ner be­triebs­be­ding­ten Kündi­gung mögli­cher­wei­se grob feh­ler­haft durch­geführt wor­den ist.

Für kirch­li­che Ar­beit­ge­ber gel­ten ar­beits­recht­li­che Nor­men nur be­schränkt, da sie auf­grund der ver­fas­sungs­recht­lich ga­ran­tier­ten Au­to­no­mie ermäch­tigt sind, sich in­ner­halb ih­rer Or­ga­ni­sa­ti­on ei­ge­ne Rechts­nor­men zu ge­ben. So fin­det das Be­triebs­ver­fas­sungs­recht grundsätz­lich kei­ne An­wen­dung auf kirch­li­che Ar­beit­ge­ber. Dort ha­ben die Ar­beit­neh­mer die Möglich­keit ih­re kol­lek­ti­ven In­ter­es­sen über ei­ne so ge­nann­te Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung (MAV) wahr­zu­neh­men. Vie­le kirch­li­che Ar­beits­verhält­nis­se wer­den durch all­ge­mei­ne Ar­beits­ver­trags­richt­li­ni­en näher ge­re­gelt, die von über­ge­ord­ne­ten Kom­mis­sio­nen auf­ge­stellt wer­den. Ob ein nach § 125 In­sO un­ter Be­tei­li­gung der Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung ab­ge­schlos­se­ner In­ter­es­sen­aus­gleich auch für die kirch­li­chen Mit­ar­bei­ter gilt, hat­te nun das Lan­des­ar­beits­ge­richt Nie­der­sa­chen in ei­nem Fall zu ent­schei­den, in dem in ei­nem Be­trieb zu­gleich kirch­li­che und säkuläre Ar­beit­neh­mer beschäftigt wur­den (Ur­teil vom 09.12.2009, 17 Sa 850/09).

Der Fall des Lan­des­ar­beits­ge­richts Nie­der­sach­sen: In­ter­es­sen­aus­gleich mit Na­mens­lis­te für Beschäftig­te ei­nes in­sol­ven­ten evan­ge­li­schen Al­ten­heims. Ar­beit­neh­me­rin erhält Ände­rungskündi­gung

Die ge­gen ei­ne Ände­rungskündi­gung kla­gen­de Ar­beit­neh­me­rin lei­te­te seit über zwan­zig Jah­ren Haus­wirt­schafts­ab­tei­lung ei­nes der evan­ge­li­schen Kir­che an­ge­schlos­se­nen Al­ten­heims. Ihr Ar­beits­ver­trag ver­wies an­stel­le kirch­li­cher Ar­beits­ver­trags­richt­li­ni­en (AVR) auf die An­wen­dung des Bun­des­an­ge­stell­ten-Ta­rif­ver­trags (BAT). Über das Vermögen des das Heim be­trei­ben­den Ver­eins wur­de im März 2008 das In­sol­venz­ver­fah­ren eröff­net. Den Grund­be­sitz samt Be­triebs­aus­stat­tung veräußer­te der In­sol­venz­ver­wal­ter an ei­ne neu ge­gründe­te Toch­ter­ge­sell­schaft (D-GmbH) ei­nes dia­ko­ni­schen Ver­eins, wel­che die Ein­rich­tung in­stand setz­te und sich den kirch­li­chen Ar­beits­rechts­sta­tu­ten un­ter­warf. An die­sem neu­en Stand­ort führ­te die neue D-GmbH das Al­ten­heim wei­ter. Die in die­sem Haus täti­gen Mit­ar­bei­ter wa­ren bei ei­ner eben­falls in­sol­ven­ten nicht­kirch­li­chen GmbH beschäftigt und durch ei­nen Be­triebs­rat kol­lek­tiv ver­tre­ten.

Mit dem Be­triebs­rat der GmbH und der Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung des in­sol­ven­ten Ver­eins schloss der be­klag­te In­sol­venz­ver­wal­ter ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich mit Na­mens­lis­te gemäß § 125 In­sO und be­rief sich dar­auf, die Ände­rungskündi­gun­gen sei­en drin­gen­den be­trieb­li­chen Er­for­der­nis­sen ge­schul­det, da das Ge­halts­ni­veau der nach BAT vergüte­ten Mit­ar­bei­ter 18% über dem Ni­veau der künf­tig an­zu­wen­den­den Ar­beits­ver­trags­richt­li­ni­en (AVR-K) lägen und die in der GmbH nach ei­nem Haus­ta­rif­ver­trag ge­zahl­ten Gehälter er­heb­lich da­hin­ter zurück­blie­ben. Ziel sei es, ein ein­heit­li­ches Vergütungs­ni­veau ein­zuführen.

Das Ar­beits­ge­richt Nien­burg wies die Kla­ge der Kläge­rin in der ers­ten In­stanz ab, und be­gründe­te dies mit der Ver­mu­tungs­wir­kung der Na­mens­lis­te, wo­nach die Kündi­gung so­zi­al ge­recht­fer­tigt war.

Lan­des­ar­beits­ge­richt Nie­der­sach­sen: Kei­ne Na­mens­lis­te in der In­sol­venz für kirch­li­che Ein­rich­tun­gen

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hin­ge­gen gab der Kla­ge statt und stell­te fest, dass die Wir­kun­gen des § 125 In­sO nicht auf sol­che Mit­ar­bei­ter an­zu­wen­den ist, die durch ei­ne MAV ver­tre­ten wer­den und nicht durch ei­nen Be­triebs­rat.

Die Re­ge­lung des § 125 In­sO ist nämlich nur für sol­che Ar­beit­neh­mer an­wend­bar, wel­che dem Be­triebs­ver­fas­sungs­recht un­ter­lie­gen, al­so über ei­ne Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tung nach dem Be­trVG verfügen. Nur in die­sem Fällen kann ei­ne Be­triebsände­rung gemäß § 111 Be­trVG vor­lie­gen, wel­che für die Wir­kung des § 125 In­sO zwin­gen­de Vor­aus­set­zung ist. Auch ei­ne ent­spre­chen­de An­wen­dung kam nach Auf­fas­sung des Lan­des­ar­beits­ge­richts nicht in Be­tracht. Dafür fehl­te es be­reits an ei­ner Re­ge­lungslücke, die der Ge­setz­ge­ber un­berück­sich­tigt ge­las­sen ha­be. Da der Ge­setz­ge­ber aber in § 126 In­sO ei­ne spe­zi­el­le Re­ge­lung für Be­trie­be oh­ne Be­triebs­rat vor­ge­se­hen hat, kann man nicht da­von aus­ge­hen, der Ge­setz­ge­ber ha­be die­se Kon­stel­la­ti­on nicht be­dacht.

Die Ent­schei­dung des LAG ist ge­prägt von ei­ner kla­ren Er­fas­sung des kom­pli­zier­ten Fal­les. Of­fen­sicht­lich, wa­ren al­le Be­tei­lig­ten dar­an in­ter­es­siert, ein­heit­li­che Ar­beits­be­din­gun­gen für al­le Ar­beit­neh­mer zu schaf­fen. Dies setzt je­doch nicht au­to­ma­tisch ein ein­heit­li­ches Vergütungs­ni­veau vor­aus. Das LAG hat da­her zu Recht das Be­stre­ben der be­tei­lig­ten Un­ter­neh­men er­kannt, das Vergütungs­ni­veau in er­heb­li­chem Maße zu sen­ken.

Zu­tref­fend stell­te das LAG klar, dass ei­ne Be­triebsände­rung im be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Sin­ne nur in ei­nem Be­trieb, bzw. für Ar­beit­neh­mer gel­ten kann, die sich auf das Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz be­ru­fen können und der über die ent­spre­chen­de Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tung verfügt.

Fa­zit: Ar­beit­neh­mern kirch­li­cher Ar­beit­ge­ber ist da­her zu ra­ten, in unüber­schau­ba­ren Si­tua­tio­nen ge­nau hin­zu­se­hen, ob die ar­beit­ge­ber­sei­ti­gen Maßnah­men den Be­son­der­hei­ten des Kir­chen­ar­beits­rechts ent­spre­chen und sich er­for­der­li­chen­falls recht­lich be­ra­ten zu las­sen. Auch Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tun­gen soll­ten nicht da­vor zurück­schre­cken, dem Ar­beit­ge­ber ge­nau auf die Fin­ger zu se­hen und sich recht­li­che Un­terstützung zu si­chern, wol­len sie nicht als Pa­pier­ti­ger an­ge­se­hen wer­den.

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Letzte Überarbeitung: 24. August 2016

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