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ARBEITSRECHT AKTUELL // 09/143

Län­ge­re Kla­ge­frist für Schwan­ge­re nur bei Kennt­nis des Ar­beit­ge­bers von der Schwan­ger­schaft

Die Son­der­vor­schrift des § 4 Satz 4 KSchG für die Be­rech­nung der drei­wö­chi­gen Kla­ge­frist gilt nur, wenn der Ar­beit­ge­ber bei der Kün­di­gung die Schwan­ger­schaft kennt: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 19.02.2009, 2 AZR 286/07
Speditionskalender Auch Schwan­ge­re müs­sen sich an Fris­ten hal­ten

12.08.2009. Nach ei­ner Son­der­vor­schrift im Kün­di­gungs­schutz­ge­setz (KSchG) be­ginnt die drei­wö­chi­ge Frist für die Er­he­bung ei­ner Kün­di­gungs­schutz­kla­ge zu­guns­ten ei­ner ge­kün­dig­ten schwan­ge­ren Ar­beit­neh­me­rin erst viel spä­ter zu lau­fen als das nor­ma­ler­wei­se der Fall ist.

Denn nach § 4 Satz 4 KSchG be­ginnt die Drei­wo­chen­frist erst zu lau­fen, wenn die zu­stän­di­ge Be­hör­de der Ar­beit­neh­me­rin mit­teilt, dass sie dem An­trag des Ar­beit­ge­bers auf Zu­stim­mung zur Kün­di­gung statt­ge­ge­ben hat.

Die­se Vor­schrift ist aber, wie das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) hat­te in ei­nem ak­tu­el­len Fall klar­ge­stellt hat, nur auf den Fall an­zu­wen­den, in dem der Ar­beit­ge­ber bei Aus­spruch der Kün­di­gung von der Schwan­ger­schaft weiß.

Ist das nicht der Fall, kann sich die Ar­beit­neh­me­rin mit der Kün­di­gungs­schutz­kla­ge nicht so­lan­ge Zeit las­sen, bis die Be­hör­de ent­schie­den und ih­re Ent­schei­dung be­kannt ge­ge­ben hat. Und auch ei­ne nach­träg­li­che Zu­las­sung der Kla­ge ist zu­guns­ten ei­ner Schwan­ge­ren nur mög­lich, wenn sie erst nach Ab­lauf der Kla­ge­frist von ih­rer Schwan­ger­schaft Kennt­nis er­langt hat: BAG, Ur­teil vom 19.02.2009, 2 AZR 286/07.

Son­derkündi­gungs­schutz von be­stimm­ten Per­so­nen­grup­pen

Will sich ein Ar­beit­neh­mer ge­gen ei­ne Kündi­gung weh­ren, muss er gemäß § 4 Satz 1 KSchG in­ner­halb von drei Wo­chen nach Er­halt der Kündi­gung Kündi­gungs­schutz­kla­ge beim Ar­beits­ge­richt ein­ge­reicht ha­ben. Ver­passt er die­se Frist, gilt die Kündi­gung, wie feh­ler­haft sie auch sein mag, als wirk­sam.

Von die­ser Re­gel gibt es aber Aus­nah­men:

Zum ei­nen gibt es Fälle, bei de­nen der Ar­beit­ge­ber vor Aus­spruch der Kündi­gung die Zu­stim­mung ei­ner Behörde benötigt, so ins­be­son­de­re bei der Kündi­gung ei­nes schwer­be­hin­der­ten Men­schen oder ei­ner Schwan­ge­ren. Gemäß § 4 Satz 4 KSchG be­ginnt die Frist in sol­chen Fällen nicht schon mit Er­halt der Kündi­gung son­dern erst dann zu lau­fen, wenn dem Ar­beit­neh­mer die Ent­schei­dung der Behörde be­kannt ge­ge­ben wor­den ist.

Zum an­de­ren kann ein Ar­beit­neh­mer gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG die nachträgli­che Zu­las­sung ei­ner Kündi­gungs­frist be­an­tra­gen, wenn er oh­ne sein Ver­schul­den die Kla­ge­frist versäumt hat, et­wa weil er im re­le­van­ten Zeit­raum im Kran­ken­haus lag. Er hat dann nach Weg­fall die­ses Hin­der­nis­ses zwei Wo­chen Zeit, nachträglich Kündi­gungs­schutz­kla­ge zu er­he­ben. Für Schwan­ge­re, die erst nach Ab­lauf der Kündi­gungs­schutz­kla­ge­frist von ih­rer Schwan­ger­schaft er­fah­ren, ist die Möglich­keit der nachträgli­chen Kla­ge­zu­las­sung in Ab­satz 1 Satz 2 spe­zi­ell ge­re­gelt.

Frag­lich ist, ob die in § 4 Satz 4 KSchG vor­ge­se­he­ne Verlänge­rung der Kla­ge­frist auch dann gilt, wenn der Ar­beit­ge­ber zwar zum Zeit­punkt der Kündi­gung noch nichts von der Schwan­ger­schaft wuss­te, aber durch die Ar­beit­neh­me­rin nach Aus­spruch der Kündi­gung und noch vor Ab­lauf der Kla­ge­frist da­von er­fuhr, wenn er dar­auf­hin mit der gekündig­ten Schwan­ge­ren über ei­ne Ab­fin­dung ver­han­delt und wenn im Zu­ge der Ab­fin­dungs­ver­hand­lun­gen die Kla­ge­frist ver­streicht.

Nach ei­ner Ent­schei­dung des BAG aus dem Jahr 2008 (Ur­teil vom 13.02.2008, 2 AZR 864/06) be­ginnt die re­guläre dreiwöchi­ge Frist bei der Kündi­gung ei­nes schwer­be­hin­der­ten Men­schen, falls das In­te­gra­ti­ons­amt nicht zu­ge­stimmt hat, nur dann nicht zu lau­fen, wenn der Ar­beit­ge­ber bei Aus­spruch der Kündi­gung schon Kennt­nis von der Schwer­be­hin­de­rung hat­te. Mögli­cher­wei­se gilt das­sel­be auch bei der feh­len­den Zu­stim­mung der Ar­beits­behörde im Fal­le der Kündi­gung ei­ner Schwan­ge­ren.

Mit die­sen Fra­gen be­fasst sich ein Ur­teil des BAG vom 19.02.2009 (2 AZR 286/07).

Der Fall: be­triebs­be­ding­te Kündi­gung ei­ner Schwan­ge­ren in Un­kennt­nis ih­rer "an­de­ren Umstände"

Die kla­gen­de Ar­beit­neh­me­rin war als Ver­kaufs- und Ver­an­stal­tungs­lei­te­rin in dem be­klag­ten Ho­tel beschäftigt. Im Frühjahr 2005 wur­de sie schwan­ger. Hier­von wuss­te ihr Ar­beit­ge­ber zunächst nichts.

Am 30.06.2005 er­hielt die Ar­beit­neh­me­rin ei­ne or­dent­li­che be­triebs­be­ding­te Kündi­gung. Die Zu­stim­mung der zuständi­gen Behörde hat­te der Ar­beit­ge­ber in­fol­ge sei­ner Un­kennt­nis von der Schwan­ger­schaft nicht be­an­tragt.

Ei­ne Wo­che nach Er­halt der Kündi­gung teil­te die Ar­beit­neh­me­rin dem Ar­beit­ge­ber mit, dass sie schwan­ger sei. Im Fol­gen­den ver­su­chen bei­de, sich über die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis oder (an­dern­falls) über die Zah­lung ei­ner Ab­fin­dung zu ei­ni­gen, was je­doch letzt­end­lich schei­ter­te.

Erst An­fang Au­gust und so­mit nach Ab­lauf der Drei­wo­chen­frist er­hob die Ar­beit­neh­me­rin Kündi­gungs­schutz­kla­ge.

So­wohl das Ar­beits­ge­richt als auch das Lan­des­ar­beits­ge­richt Nie­der­sach­sen (Ur­teil vom 22.01.2007, 5 Sa 626/06) wie­sen die Kündi­gungs­schutz­kla­ge ab, und zwar mit Ver­weis auf die zum Zeit­punkt der Kla­ge be­reits ab­ge­lau­fe­ne Kla­ge­frist.

BAG: Kei­ne nachträgli­che Kla­ge­zu­las­sung bei po­si­ti­ver Kennt­nis der Schwan­ger­schaft

Die­ser Auf­fas­sung schloss sich das BAG an und wies die Re­vi­si­on zurück. Auch das BAG be­wer­te­te die Kündi­gungs­schutz­kla­ge als ver­spätet, da mehr als drei Wo­chen seit Er­halt der Kündi­gung ver­stri­chen wa­ren.

Nach An­sicht des BAG war der Be­ginn der Frist nicht auf den Zeit­punkt hin­aus­ge­scho­ben, zu dem die zuständi­ge Behörde der Ar­beit­neh­me­rin die Zu­stim­mung oder Ver­wei­ge­rung zur Kündi­gung be­kannt ge­ge­ben hätte (§ 4 Satz 4 KSchG). Die­se Vor­schrift gilt nach An­sicht des BAG nur für den Fall, dass der Ar­beit­ge­ber be­reits bei Aus­spruch der Kündi­gung von der Schwan­ger­schaft weiß.

Denn mit der Verlänge­rung der Kla­ge­frist gemäß § 4 Satz 4 KSchG soll das In­for­ma­ti­ons­de­fi­zit von Ar­beit­neh­mern kom­pen­siert wer­den, die vor Be­kannt­ga­be durch die Behörde nicht wis­sen können, ob der Ar­beit­ge­ber die Behörde über­haupt um Zu­stim­mung ge­be­ten hat und wie die behörd­li­che Ent­schei­dung ggf. aus­ge­fal­len ist. Es wäre da­her un­ge­recht­fer­tigt, Ar­beit­neh­mer in ei­ner sol­chen La­ge durch knap­pe Fris­ten in ei­nen Pro­zess hin­ein­zu­trei­ben.

In ei­nem Fall wie dem vor­lie­gen­den, so das BAG, weiß die Ar­beit­neh­me­rin je­doch, dass der Ar­beit­ge­ber über die den Son­derkündi­gungs­schutz be­gründen­de Schwan­ger­schaft nicht in­for­miert ist und des­halb gar kei­nen An­lass hat, die zuständi­ge Behörde an­zu­ru­fen.

Außer­dem ist in § 5 Abs.1 Satz 2 KSchG die nachträgli­che Kla­ge­zu­las­sung in Fällen der Schwan­ger­schaft spe­zi­ell ge­re­gelt. Das Pro­blem, dass ei­ne Ar­beit­neh­me­rin erst nach Ab­lauf der dreiwöchi­gen Kla­ge­frist vom Be­ste­hen ih­rer Schwan­ger­schaft zum Kündi­gungs­zeit­punkt erfährt, wird dort ge­ra­de nicht durch ei­nen späte­ren Be­ginn der Kla­ge­frist, son­dern durch die Möglich­keit der nachträgli­chen Kla­ge­zu­las­sung gelöst.

Die kla­gen­de Ar­beit­neh­me­rin konn­te im vor­lie­gen­den Fall auch durch die­se Möglich­keit ih­re mehr als drei Wo­chen nach Er­halt der Kündi­gung ein­ge­leg­te Kla­ge nicht mehr „ret­ten“. Denn die nachträgli­che Kla­ge­zu­las­sung gilt, so das BAG, nur für den Fall, dass die Kla­ge­frist schon ver­stri­chen ist, wenn die Ar­beit­neh­me­rin von ih­rer Schwan­ger­schaft erfährt.

Im vor­lie­gen­den Fall kann­te die Kläge­rin ih­re Schwan­ger­schaft aber be­reits ei­ne Wo­che nach Er­halt der Kündi­gung. Sie hätte al­so noch zwei Wo­chen Zeit zur Kla­ge­er­he­bung ge­habt. Dass sie dies versäum­te, kann sie nicht über den Weg der nachträgli­chen Kla­ge­zu­las­sung gemäß § 5 Satz 2 KSchG aus­glei­chen.

Fa­zit: Erfährt ei­ne schwan­ge­re Ar­beit­neh­mer nach Aus­spruch ei­ner Kündi­gung während der noch lau­fen­den Drei­wo­chen­frist von ih­rer Schwan­ger­schaft, läuft die Kla­ge­frist für die Kündi­gungs­schutz­kla­ge wie sonst auch ab Zu­gang der Kündi­gung. Be­trof­fe­nen ist da­zu zu ra­ten, möglichst schnell Kla­ge zu er­he­ben.

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Letzte Überarbeitung: 12. März 2018

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