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BAG, Ur­teil vom 20.11.2014, 2 AZR 651/13

   
Schlagworte: Kündigung: Fristlos, Kündigung: Außerordentlich, Sexuelle Belästigung
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 2 AZR 651/13
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 20.11.2014
   
Leitsätze: Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs.4 AGG stellt nach § 7 Abs.3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Sie ist "an sich" als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs.1 BGB geeignet. Ob sie im Einzelfall zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, ist abhängig von den Umständen des Einzelfalls, ua. von ihrem Umfang und ihrer Intensität.
Vorinstanzen: Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 12.06.2013, 7 Sa 1878/12
Arbeitsgericht Wuppertal, Urteil vom 13.11.2012, 5 Ca 2425/12
   

Bun­des­ar­beits­ge­richt

2 AZR 651/13
7 Sa 1878/12
Lan­des­ar­beits­ge­richt
Düssel­dorf

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am
20. No­vem­ber 2014

UR­TEIL

Schmidt, Ur­kunds­be­am­tin
der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Kläger, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­ons­be­klag­ter,

hat der Zwei­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 20. No­vem­ber 2014 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Kreft, die Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Ber­ger, den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Nie­mann so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Kri­chel und Dr. Grim­berg für Recht er­kannt:

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Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Düssel­dorf vom 12. Ju­ni 2013 - 7 Sa 1878/12 - wird auf ih­re Kos­ten zurück­ge­wie­sen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über die Wirk­sam­keit ei­ner außer­or­dent­li­chen frist­lo­sen Kündi­gung

Der Kläger ist bei der Be­klag­ten und de­ren Rechts­vorgänge­rin seit 1996 als Kfz-Me­cha­ni­ker tätig. Die Be­klag­te beschäftigt re­gelmäßig mehr als zehn Ar­beit­neh­mer

Am 27. Ju­li 2012 be­trat der Kläger die So­zi­alräume der Be­klag­ten, um sich um­zu­zie­hen. Er traf dort auf die ihm bis­lang un­be­kann­te Mit­ar­bei­te­rin ei­nes ex­ter­nen Rei­ni­gungs­un­ter­neh­mens. Bei sei­nem Ein­tref­fen lehn­te die­se - Frau M. - in der Tür zwi­schen Wasch- und Um­klei­de­raum und un­ter­hielt sich mit zwei Kol­le­gen des Klägers, die sich im Wasch­raum be­fan­den. Dort­hin be­gab sich auch der Kläger. Nach­dem die bei­den Kol­le­gen die Räum­lich­kei­ten ver­las­sen hat­ten, führ­ten der Kläger - während er sich Hände und Ge­sicht wusch - und Frau M. ein Gespräch. In des­sen Ver­lauf stell­te die­se sich zunächst vor das Wasch­be­cken und an­sch­ließend ne­ben den Kläger. Der Kläger sag­te zu ihr, sie ha­be ei­nen schönen Bu­sen und berühr­te sie an ei­ner Brust. Frau M. erklärte, dass sie dies nicht wünsche. Der Kläger ließ so­fort von ihr ab. Er zog sich um und ver­ließ den So­zi­al­raum. Frau M. ar­bei­te­te wei­ter. Sie schil­der­te den Vor­fall später ih­rem Ar­beit­ge­ber, der sei­ner­seits an die Be­klag­te her­an­trat. 

Am 31. Ju­li 2012 bat die Be­klag­te den Kläger zu ei­nem Gespräch. Er ge­stand den Vor­fall ein und erklärte, er ha­be sich ei­ne Se­kun­de lang ver­ges­sen. „Die Sa­che“ tue ihm furcht­bar leid. Er schäme sich, so et­was wer­de sich nicht wie­der­ho­len.

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Mit Schrei­ben vom 31. Ju­li 2012 kündig­te die Be­klag­te das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en außer­or­dent­lich mit so­for­ti­ger Wir­kung. 

In der Fol­ge rich­te­te der Kläger ein Ent­schul­di­gungs­schrei­ben an Frau M. Er führ­te mit ihr un­ter Zah­lung ei­nes Schmer­zens­gelds ei­nen Täter-Op­fer-Aus­gleich her­bei. Frau M. nahm sei­ne Ent­schul­di­gung an und ver­si­cher­te, die An­ge­le­gen­heit sei da­mit für sie er­le­digt. Sie ha­be kein In­ter­es­se mehr an ei­ner Straf­ver­fol­gung. Das ge­gen den Kläger ein­ge­lei­te­te Er­mitt­lungs­ver­fah­ren wur­de gemäß § 170 Abs. 2 St­PO ein­ge­stellt. 

Der Kläger hat frist­ge­recht Kündi­gungs­schutz­kla­ge er­ho­ben. Er hat vor­ge­tra­gen, er ha­be - sub­jek­tiv un­strei­tig - den Ein­druck ge­habt, Frau M. ha­be mit ihm ge­flir­tet. Dann sei es zu ei­nem plötz­li­chen „Black­out“ ge­kom­men und er ha­be sich zu dem im Rück­blick un­verständ­li­chen Überg­riff hin­reißen las­sen. So un­ent­schuld­bar sein Fehl­ver­hal­ten sei, so recht­fer­ti­ge es doch kei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung. Es ha­be sich um ei­nen ein­ma­li­gen „Aus­rut­scher“ ge­han­delt. Ei­ne Ab­mah­nung sei als Re­ak­ti­on der Be­klag­ten aus­rei­chend ge­we­sen. 

Der Kläger hat be­an­tragt

fest­zu­stel­len, dass das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis durch die Kündi­gung vom 31. Ju­li 2012 nicht auf­gelöst wor­den ist. 

Die Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen. Sie hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, der Kläger ha­be durch sei­ne Be­mer­kung und die an­sch­ließen­de Berührung zwei ei­genständi­ge se­xu­el­le Belästi­gun­gen be­gan­gen. Auf­grund der Schwe­re der Pflicht­ver­let­zun­gen sei die frist­lo­se Kündi­gung ge­recht­fer­tigt. Sie - die Be­klag­te - sei ver­pflich­tet, so­wohl ihr ei­ge­nes als auch das weib­li­che Per­so­nal des ex­ter­nen Un­ter­neh­mens vor wei­te­ren se­xu­el­len Belästi­gun­gen durch den Kläger zu schützen. Des­sen Ent­schul­di­gun­gen sei­en le­dig­lich un­ter dem Druck der aus­ge­spro­che­nen Kündi­gung er­folgt.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen, das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat ihr statt­ge­ge­ben. Mit ih­rer Re­vi­si­on be­gehrt die Be­klag­te die Wie­der­her­stel­lung des erst­in­stanz­li­chen Ur­teils. 

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Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on ist un­be­gründet. 

A. Die außer­or­dent­li­che Kündi­gung vom 31. Ju­li 2012 hat das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en nicht auf­gelöst. Es fehlt an ei­nem wich­ti­gen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB. 

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Ar­beits­verhält­nis aus wich­ti­gem Grund oh­ne Ein­hal­tung ei­ner Kündi­gungs­frist gekündigt wer­den, wenn Tat­sa­chen vor­lie­gen, auf­grund de­rer dem Kündi­gen­den un­ter Berück­sich­ti­gung al­ler Umstände des Ein­zel­falls und Abwägung der In­ter­es­sen bei­der Ver­trags­tei­le die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses selbst bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist nicht zu­ge­mu­tet wer­den kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sach­ver­halt oh­ne sei­ne be­son­de­ren Umstände „an sich“, dh. ty­pi­scher­wei­se als wich­ti­ger Grund ge­eig­net ist. Als­dann be­darf es der Prüfung, ob dem Kündi­gen­den die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses un­ter Berück­sich­ti­gung der kon­kre­ten Umstände des Falls - je­den­falls bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist - zu­mut­bar ist oder nicht (BAG 10. April 2014 - 2 AZR 684/13 - Rn. 39; 21. No­vem­ber 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 15, BA­GE 146, 203). 

II. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat zu Recht ei­nen „an sich“ wich­ti­gen Grund an­ge­nom­men. Der Kläger hat sei­ne ar­beits­ver­trag­li­chen Pflich­ten in er­heb­li­cher Wei­se ver­letzt. Er hat Frau M. se­xu­ell belästigt. 

1. Ei­ne se­xu­el­le Belästi­gung iSv. § 3 Abs. 4 AGG stellt nach § 7 Abs. 3 AGG ei­ne Ver­let­zung ver­trag­li­cher Pflich­ten dar. Sie ist „an sich“ als wich­ti­ger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB ge­eig­net. Ob die se­xu­el­le Belästi­gung im Ein­zel­fall zur außer­or­dent­li­chen Kündi­gung be­rech­tigt, ist abhängig von den kon­kre­ten Umständen, ua. von ih­rem Um­fang und ih­rer In­ten­sität (BAG 9. Ju­ni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 16 mwN). 

2. Der Kläger hat Frau M. so­wohl ver­bal als auch körper­lich se­xu­ell belästigt. 

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a) Ei­ne se­xu­el­le Belästi­gung iSv. § 3 Abs. 4 AGG liegt vor, wenn ein un­erwünsch­tes, se­xu­ell be­stimm­tes Ver­hal­ten, wo­zu auch se­xu­ell be­stimm­te körper­li­che Berührun­gen und Be­mer­kun­gen se­xu­el­len In­halts gehören, be­zweckt oder be­wirkt, dass die Würde der be­tref­fen­den Per­son ver­letzt wird, ins­be­son­de­re wenn ein et­wa von Entwürdi­gun­gen oder Be­lei­di­gun­gen ge­kenn­zeich­ne­tes Um­feld ge­schaf­fen wird. Im Un­ter­schied zu § 3 Abs. 3 AGG können auch ein­ma­li­ge se­xu­ell be­stimm­te Ver­hal­tens­wei­sen den Tat­be­stand ei­ner se­xu­el­len Belästi­gung erfüllen (BAG 9. Ju­ni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 18 mwN). 

b) Bei der Aus­sa­ge, Frau M. ha­be ei­nen schönen Bu­sen, han­del­te es sich nicht um ein so­zi­al­adäqua­tes Kom­pli­ment, son­dern um ei­ne un­an­ge­mes­se­ne Be­mer­kung se­xu­el­len In­halts. Die Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts tra­gen in­des - ent­ge­gen der An­sicht der Re­vi­si­on - nicht die An­nah­me, der Kläger ha­be zum Aus­druck brin­gen wol­len, Frau M. stel­le in anzügli­cher Wei­se ih­re Rei­ze zur Schau oder sol­le dies für ihn tun (zu ei­nem sol­chen Fall vgl. BAG 9. Ju­ni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 21). In der an­sch­ließen­den Berührung lag ein se­xu­ell be­stimm­ter Ein­griff in die körper­li­che In­tim­sphäre von Frau M. So­wohl die Be­mer­kung als auch die fol­gen­de Berührung wa­ren ob­jek­tiv un­erwünscht. Dies war für den Kläger er­kenn­bar (vgl. BAG 9. Ju­ni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 22). Un­maßgeb­lich ist, wie er selbst sein Ver­hal­ten zunächst ein­geschätzt und emp­fun­den ha­ben mag und ver­stan­den wis­sen woll­te (vgl. BAG 9. Ju­ni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 24). Mit sei­nen er­kenn­bar un­erwünsch­ten Hand­lun­gen hat der Kläger iSv. § 3 Abs. 4 AGG die Würde von Frau M. ver­letzt und sie zum Se­xu­al­ob­jekt er­nied­rigt. 

III. Ob­schon der Kläger Frau M. se­xu­ell belästigt hat, ist es der Be­klag­ten zu­zu­mu­ten, ihn wei­ter zu beschäfti­gen. Nach den Umständen des Streit­falls hätte ei­ne Ab­mah­nung als Re­ak­ti­on von ih­rer Sei­te aus­ge­reicht. 

1. Bei der Prüfung, ob dem Ar­beit­ge­ber ei­ne Wei­ter­beschäfti­gung des Ar­beit­neh­mers trotz Vor­lie­gens ei­ner er­heb­li­chen Pflicht­ver­let­zung je­den­falls bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist zu­mut­bar ist, ist in ei­ner Ge­samtwürdi­gung das In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers an der so­for­ti­gen Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält-

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nis­ses ge­gen das In­ter­es­se des Ar­beit­neh­mers an des­sen Fort­be­stand ab­zuwägen. 

a) Es hat ei­ne Be­wer­tung des Ein­zel­falls un­ter Be­ach­tung des Verhält­nismäßig­keits­grund­sat­zes zu er­fol­gen. Da­bei las­sen sich die Umstände, an­hand de­rer zu be­ur­tei­len ist, ob dem Ar­beit­ge­ber die Wei­ter­beschäfti­gung zu­min­dest bis zum En­de der Frist für ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung zu­mut­bar war oder nicht, nicht ab­sch­ließend fest­le­gen. Zu berück­sich­ti­gen sind aber re­gelmäßig das Ge­wicht und die Aus­wir­kun­gen ei­ner Ver­trags­pflicht­ver­let­zung, der Grad des Ver­schul­dens des Ar­beit­neh­mers, ei­ne mögli­che Wie­der­ho­lungs­ge­fahr so­wie die Dau­er des Ar­beits­verhält­nis­ses und des­sen störungs­frei­er Ver­lauf. Ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung kommt nur in Be­tracht, wenn es kei­nen an­ge­mes­se­nen Weg gibt, das Ar­beits­verhält­nis fort­zu­set­zen, weil dem Ar­beit­ge­ber sämt­li­che mil­de­ren Re­ak­ti­onsmöglich­kei­ten un­zu­mut­bar sind. Im Ver­gleich zu ei­ner außer­or­dent­li­chen frist­lo­sen Kündi­gung kom­men als mil­de­re Mit­tel ins­be­son­de­re ei­ne Ab­mah­nung oder ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung in Be­tracht. Sie sind dann al­ter­na­ti­ve Ge­stal­tungs­mit­tel, wenn schon sie ge­eig­net sind, den mit der außer­or­dent­li­chen Kündi­gung ver­folg­ten Zweck - nicht die Sank­ti­on pflicht­wid­ri­gen Ver­hal­tens, son­dern die Ver­mei­dung des Ri­si­kos künf­ti­ger Störun­gen des Ar­beits­verhält­nis­ses - zu er­rei­chen (BAG 23. Ok­to­ber 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 47; 25. Ok­to­ber 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 15 mwN). 

b) Be­ruht die Ver­trags­pflicht­ver­let­zung auf steu­er­ba­rem Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers, ist grundsätz­lich da­von aus­zu­ge­hen, dass sein künf­ti­ges Ver­hal­ten schon durch die An­dro­hung von Fol­gen für den Be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses po­si­tiv be­ein­flusst wer­den kann. Or­dent­li­che und außer­or­dent­li­che Kündi­gung we­gen ei­ner Ver­trags­pflicht­ver­let­zung set­zen des­halb re­gelmäßig ei­ne Ab­mah­nung vor­aus. Ei­ner sol­chen be­darf es nach Maßga­be des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Aus­druck kom­men­den Verhält­nismäßig­keits­grund­sat­zes nur dann nicht, wenn be­reits ex an­te er­kenn­bar ist, dass ei­ne Ver­hal­tensände­rung in Zu­kunft auch nach Ab­mah­nung nicht zu er­war­ten steht, oder es sich um ei­ne so schwe­re Pflicht­ver­let­zung han­delt, dass selbst de­ren erst­ma­li­ge Hin­nah­me dem Ar­beit­ge­ber nach ob­jek­ti­ven Maßstäben un­zu­mut­bar

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und da­mit of­fen­sicht­lich - auch für den Ar­beit­neh­mer er­kenn­bar - aus­ge­schlos­sen ist (BAG 23. Ok­to­ber 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 47; 25. Ok­to­ber 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 16). 

c) Der Verhält­nismäßig­keits­grund­satz wird zu­dem durch § 12 Abs. 3 AGG kon­kre­ti­siert. Da­nach hat der Ar­beit­ge­ber bei Verstößen ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot des § 7 Abs. 1 AGG, zu de­nen auch se­xu­el­le Belästi­gun­gen iSv. § 3 Abs. 4 AGG gehören, die ge­eig­ne­ten, er­for­der­li­chen und an­ge­mes­se­nen ar­beits­recht­li­chen Maßnah­men - wie Ab­mah­nung, Um­set­zung, Ver­set­zung oder Kündi­gung - zu er­grei­fen. Wel­che Maßnah­men er als verhält­nismäßig an­se­hen darf, hängt von den kon­kre­ten Umständen ab. § 12 Abs. 3 AGG schränkt das Aus­wahler­mes­sen al­ler­dings in­so­weit ein, als der Ar­beit­ge­ber die Be­nach­tei­li­gung zu „un­ter­bin­den“ hat. Ge­eig­net iSd. Verhält­nismäßig­keit sind da­her nur sol­che Maßnah­men, von de­nen der Ar­beit­ge­ber an­neh­men darf, dass sie die Be­nach­tei­li­gung für die Zu­kunft ab­stel­len, dh. ei­ne Wie­der­ho­lung aus­sch­ließen (BAG 9. Ju­ni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 28 mwN). 

d) Dem Be­ru­fungs­ge­richt kommt bei der Prüfung und In­ter­es­sen­abwägung ein Be­ur­tei­lungs­spiel­raum zu. Sei­ne Würdi­gung wird in der Re­vi­si­ons­in­stanz le­dig­lich dar­auf­hin über­prüft, ob es bei der Un­ter­ord­nung des Sach­ver­halts un­ter die Rechts­nor­men Denk­ge­set­ze oder all­ge­mei­ne Er­fah­rungssätze ver­letzt und ob es al­le vernünf­ti­ger­wei­se in Be­tracht zu zie­hen­den Umstände wi­der­spruchs­frei berück­sich­tigt hat (BAG 27. Sep­tem­ber 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 42 mwN).

2. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Abwägung feh­ler­frei vor­ge­nom­men. Es hat die Kündi­gung als un­verhält­nismäßig an­ge­se­hen. Die Be­klag­te sei ver­pflich­tet ge­we­sen, den Kläger vor­ran­gig ab­zu­mah­nen. Die­se Würdi­gung liegt in­ner­halb des tatrich­ter­li­chen Be­ur­tei­lungs­spiel­raums. Es lie­gen kei­ne Umstände vor, die zu der An­nah­me be­rech­tig­ten, selbst nach ei­ner Ab­mah­nung sei von ei­ner Wie­der­ho­lungs­ge­fahr aus­zu­ge­hen. Die in Re­de ste­hen­de Pflicht­ver­let­zung des Klägers wiegt auch nicht so schwer, dass ei­ne Ab­mah­nung aus die­sem Grund ent­behr­lich ge­we­sen wäre. 

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a) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat oh­ne Rechts­feh­ler an­ge­nom­men, dass ei­ne Ab­mah­nung nicht des­halb ver­zicht­bar war, weil be­reits ex an­te er­kenn­bar ge­we­sen wäre, dass ei­ne Ver­hal­tensände­rung auch nach Ab­mah­nung in Zu­kunft nicht zu er­war­ten stand. 

aa) Es ist zu Recht da­von aus­ge­gan­gen, dass der Kläger nicht unfähig sei, sein Ver­hal­ten zu ändern. Mit dem Hin­weis auf ei­nen un­erklärli­chen „Black­out“ woll­te er aus­drücken, dass es sich bei sei­ner Hand­lungs­wei­se um ein ihm we­sens­frem­des, ein­ma­li­ges „Au­gen­blicks­ver­sa­gen“ ge­han­delt ha­be. Es spricht nichts dafür, dass der Kläger sich noch ein­mal irrtümlich ein­bil­den könn­te, „an­ge­flir­tet“ zu wer­den, und auf ei­ne sol­che An­nah­me er­neut in ver­gleich­ba­rer Wei­se re­agie­ren müss­te. Er­sicht­lich war er im­stan­de, sei­ne Fehl­einschätzung so­fort zu er­ken­nen und ent­spre­chend die­ser Ein­sicht zu han­deln, nämlich au­gen­blick­lich von Frau M. ab­zu­las­sen. 

bb) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat rechts­feh­ler­frei an­ge­nom­men, dass der Kläger auch nicht un­wil­lig sei, sein Ver­hal­ten zu ändern. 

(1) Ent­ge­gen der An­sicht der Re­vi­si­on hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt durch­aus er­kannt, dass es sich um ei­ne mehr­ak­ti­ge se­xu­el­le Belästi­gung von sich stei­gern­der In­ten­sität ge­han­delt hat. Es ist al­ler­dings an­ge­sichts des un­strei­ti­gen Ge­sche­hens­ab­laufs von ei­ner natürli­chen Hand­lungs­ein­heit aus­ge­gan­gen und hat dem Kläger zu­gu­t­ege­hal­ten, dass er sich über die Un­erwünscht­heit sei­nes Ver­hal­tens ge­irrt und die­ses nach Er­ken­nen sei­ner Fehl­einschätzung so­fort be­en­det ha­be. Dar­aus hat es den Schluss ge­zo­gen, der Kläger wer­de in die­ser Wei­se künf­tig nicht mehr vor­ge­hen und ge­nau­er zwi­schen ei­ge­nen Be­ob­ach­tun­gen und sub­jek­ti­ven Schluss­fol­ge­run­gen un­ter­schei­den (vgl. da­zu BAG 27. Sep­tem­ber 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 43). Dies ist oh­ne Ein­schränkung ver­tret­bar. Der Kläger hat nicht et­wa no­to­risch Gren­zen über­schrit­ten. Sein Ver­hal­ten ist nicht zu ver­glei­chen mit dem des Klägers in der von der Be­klag­ten her­an­ge­zo­ge­nen Ent­schei­dung des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 9. Ju­ni 2011 (- 2 AZR 323/10 -). Die­ser war be­reits ein­schlägig ab­ge­mahnt und hat­te ei­ner Mit­ar­bei­te­rin gleich­wohl über meh­re­re Ta­ge in im­mer neu­en Va­ri­an­ten bei un­ter­schied­lichs­ten Ge­le­gen­hei­ten trotz von ihm er­kann­ter ab­leh­nen­der Hal­tung

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zu­ge­setzt und da­mit für die­se ein Ar­beits­um­feld ge­schaf­fen, in dem sie je­der­zeit mit wei­te­ren entwürdi­gen­den Anzüglich­kei­ten rech­nen muss­te. 

(2) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat sich auf­grund der ge­sam­ten Umstände des Streit­falls die Über­zeu­gung iSv. § 286 Abs. 1 ZPO ge­bil­det, be­reits durch ei­ne Ab­mah­nung wer­de ei­ne Wie­der­ho­lung iSv. § 12 Abs. 3 AGG „aus­ge­schlos­sen“. Es hat die­se Über­zeu­gung dar­auf gestützt, dass es sich um den ers­ten Vor­fall nach langjähri­ger, be­an­stan­dungs­frei­er Beschäfti­gung ge­han­delt und der Kläger in dem Gespräch am 31. Ju­li 2012 sein Fehl­ver­hal­ten oh­ne Zögern ein­geräumt ha­be, ob­wohl er es auf­grund der „Vier-Au­gen-Si­tua­ti­on“ im Wasch­raum mögli­cher­wei­se er­folg­reich hätte ab­strei­ten können. Aus sei­ner Erklärung im Per­so­nal­gespräch mit der Be­klag­ten, der Vor­fall tue ihm furcht­bar leid und er schäme sich dafür, hat es den Schluss ge­zo­gen, dass der Kläger über sein Ver­hal­ten ehr­lich er­schro­cken ge­we­sen sei. In die­se Rich­tung wie­sen auch das Ent­schul­di­gungs­schrei­ben und die Her­beiführung ei­nes Täter-Op­fer-Aus­gleichs un­ter Zah­lung ei­nes Schmer­zens­gelds. 

(3) Die Re­vi­si­on setzt die­ser ver­tret­ba­ren Würdi­gung nur ih­re ei­ge­ne Be­wer­tung ent­ge­gen. Rechts­feh­ler zeigt sie nicht auf. Ein sol­cher liegt nicht dar­in, dass das Lan­des­ar­beits­ge­richt ent­schul­di­gen­des Ver­hal­ten berück­sich­tigt hat, das der Kläger erst auf Vor­halt der Be­klag­ten und un­ter dem Ein­druck ei­ner - dro­hen­den - Kündi­gung und ei­nes - dro­hen­den - Straf­ver­fah­rens ge­zeigt hat. Zwar wirkt sich „Nacht­at­ver­hal­ten“ vor Zu­gang der Kündi­gung un­ter die­sen Umständen nur schwach ent­las­tend aus (vgl. BAG 9. Ju­ni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 39). Je­doch kann es zu­min­dest dann die An­nah­me feh­len­der Wie­der­ho­lungs­ge­fahr stützen, wenn es sich um die Fort­set­zung ei­ner zu­vor ge­zeig­ten Ein­sicht han­delt (zur Berück­sich­ti­gung nachträglich ein­ge­tre­te­ner Umstände vgl. all­ge­mein BAG 10. Ju­ni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 53, BA­GE 134, 349). Das Lan­des­ar­beits­ge­richt durf­te auf­grund sei­nes Ver­hal­tens nach der Zurück­wei­sung durch Frau M. da­von aus­ge­hen, dass der Kläger noch vor dem Gespräch mit der Be­klag­ten sein Fehl­ver­hal­ten und des­sen Schwe­re er­kannt und - auch aus­weis­lich sei­ner späte­ren Bemühun­gen - sei­ne „Lek­ti­on“ schon

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von sich aus so weit ge­lernt hat­te, dass ei­ne Ab­mah­nung ihr Übri­ges zum Aus­schluss ei­ner Wie­der­ho­lungs­ge­fahr ge­tan hätte. 

b) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat nicht aus­drück­lich ge­prüft, ob es ei­ner Ab­mah­nung des­halb nicht be­durf­te, weil es sich um ei­ne solch schwe­re Pflicht­ver­let­zung han­del­te, dass selbst de­ren erst­ma­li­ge Hin­nah­me der Be­klag­ten nach ob­jek­ti­ven Maßstäben un­zu­mut­bar war. In der Sa­che hat es die­se Prüfung bei der ab­sch­ließen­den In­ter­es­sen­abwägung vor­ge­nom­men. Ei­ne ei­ge­ne Be­ur­tei­lung durch das Re­vi­si­ons­ge­richt ist in­so­weit möglich, wenn die des Be­ru­fungs­ge­richts feh­ler­haft oder un­vollständig ist und - wie hier - al­le re­le­van­ten Tat­sa­chen fest­ste­hen (BAG 25. Ok­to­ber 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 31 mwN). 

aa) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat zu Recht an­geführt, dass es sich um ei­ne ein­ma­li­ge Ent­glei­sung ge­han­delt und der Kläger kei­nen Belästi­gungs­wil­len ge­habt ha­be. Er ha­be sich über die Un­erwünscht­heit sei­nes Ver­hal­tens ge­irrt (vgl. da­zu BAG 9. Ju­ni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 38). 

bb) Ent­ge­gen der An­nah­me der Re­vi­si­on hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt den Irr­tum des Klägers nicht für un­ver­schul­det er­ach­tet oder gar Frau M. für die­sen ver­ant­wort­lich ge­macht. Es hat we­der den Gesprächs­in­halt als verfäng­lich ein­ge­stuft, noch Frau M. die räum­li­che Annäherung vor­ge­wor­fen. Es ist nicht da­von aus­ge­gan­gen, dass sie ih­rer­seits die Pri­vat­sphäre des Klägers tan­giert oder ein „Um­schla­gen“ der Si­tua­ti­on pro­vo­ziert ha­be. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt durf­te in­des auch ei­ne ver­meid­ba­re Fehl­einschätzung zu­guns­ten des Klägers berück­sich­ti­gen (vgl. BAG 27. Sep­tem­ber 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 44; 14. Fe­bru­ar 1996 - 2 AZR 274/95 - zu II 4 der Gründe). 

c) Da ei­ne Ab­mah­nung schon aus die­sem Grun­de nicht ent­behr­lich war, kommt es nicht mehr dar­auf an, dass das Lan­des­ar­beits­ge­richt auch die wei­te­re In­ter­es­sen­abwägung an­ge­sichts des Irr­tums über die Un­erwünscht­heit sei­nes Ver­hal­tens, der lan­gen, be­an­stan­dungs­frei­en Beschäfti­gungs­zeit, des Einräum­ens der Pflicht­ver­let­zung trotz des Feh­lens von Zeu­gen, der Ent­schul­di­gung und der Durchführung ei­nes Täter-Op­fer-Aus­gleichs un­ter Zah­lung ei­nes Schmer­zens­gelds rechts­feh­ler­frei zu­guns­ten des Klägers vor­ge­nom­men hat.

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Das Be­en­di­gungs­in­ter­es­se der Be­klag­ten über­wiegt nicht et­wa auf­grund ei­ner Druck­si­tua­ti­on (vgl. da­zu ErfK/Müller-Glöge 14. Aufl. § 626 BGB Rn. 185; ErfK/Oet­ker 14. Aufl. § 1 KSchG Rn. 142 ff.; Dei­nert RdA 2007, 275, 278). Es ist nicht er­sicht­lich, dass der Ar­beit­ge­ber von Frau M. als Auf­trag­neh­mer der Be­klag­ten von die­ser ei­ne be­stimm­te Re­ak­ti­on ge­genüber dem Kläger ge­for­dert hätte.

B. Ei­ne Um­deu­tung (§ 140 BGB) in ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung kommt nicht in Be­tracht. Ei­ne sol­che wäre durch das Ver­hal­ten des Klägers nicht iSv. § 1 Abs. 2 KSchG so­zi­al ge­recht­fer­tigt. Der Be­klag­ten war es aus den dar­ge­leg­ten Gründen zu­zu­mu­ten, auf das mil­de­re Mit­tel der Ab­mah­nung zurück­zu­grei­fen (vgl. BAG 25. Ok­to­ber 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 38). 

C. Die Be­klag­te hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kos­ten ih­rer er­folg­lo­sen Re­vi­si­on zu tra­gen.

Kreft  

Ber­ger 

Nie­mann 

Kri­chel 

Grim­berg  

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