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LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.01.2011, 19 Sa 67/10
Schlagworte: | Kündigung: Personenbedingt, Kündigung: Verhaltensbedingt, Außerdienstliches Verhalten | |
Gericht: | Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg | |
Aktenzeichen: | 19 Sa 67/10 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 26.01.2011 | |
Leitsätze: | Einzelfallentscheidung zur politischen Treuepflicht und zur Eignung wegen begründeter Zweifel an der Verfassungstreue. | |
Vorinstanzen: | Arbeitsgericht Karlsruhe, Urteil vom 10.03.2010, 4 Ca 403/09 Nachgehend Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 06.09.2012, 2 AZR 372/11 |
|
Landesarbeitsgericht
Baden-Württemberg
- Kammern Mannheim -
Verkündet
am 26.01.2011
Aktenzeichen:
19 Sa 67/10
4 Ca 403/09 (ArbG Karlsruhe)
(Bitte bei allen Schreiben angeben!)
Schleck
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Kammern Mannheim - - 19. Kammer - durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Dr. Auweter, den ehrenamtlichen Richter Krieg und den ehrenamtlichen Richter Lüders
auf die mündliche Verhandlung vom 26.01.2011
für Recht erkannt:
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Karlsruhe vom 10.03.2010, Az.: 4 Ca 403/09, wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
2. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.
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Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen Arbeitgeberkündigung zum 31.12.2009. Hinsichtlich des Sachverhalts wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils verwiesen. Das Arbeitsgericht hat die Anträge des Klägers,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die mit Schriftsatz der Beklagten vom 16. September 2009 erklärte Kündigung nicht aufgelöst worden ist,
2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbesteht,
3. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger für den Fall des Obsiegens mit den Feststellungsanträgen zu 1 und 2 als Verwaltungsangestellten bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag weiter zu beschäftigen und tätig werden zu lassen,
abgewiesen und dies damit begründet, dass die Kündigung des beklagten Landes gem. § 1 Abs. 2 KSchG aus Gründen in der Person des Klägers sozial gerechtfertigt sei, weil der Kläger aufgrund seiner verfassungsfeindlichen Aktivitäten nicht geeignet sei, die Funktion eines Verwaltungsangestellten des Landes B. wahrzunehmen. Er sei nicht in der Lage, das Mindestmaß an Loyalität gegenüber dem Vertragspartner aufzubringen, das ihm als Verwaltungsangestellter des Druck- und Versandzentrums der Oberfinanzdirektion K. abverlangt werde. Auch bezüglich der Entscheidungsgründe wird auf das Urteil des Arbeitsgerichts Karlsruhe vom 10.03.2010 Bezug genommen.
Gegen dieses dem Kläger am 17.05.2010 zugestellte Urteil richtet sich die am 15.06.2010 bzw. 17.06.2010 eingelegte und innerhalb der bis 17.08.2010 verlängerten Berufungsbegründungs-frist mit per Telefax am 17.08.2010 eingegangenem Schriftsatz vom 16.08.2010 ausgeführte Berufung des Klägers. Das Arbeitsgericht habe zwar zu Recht festgestellt, dass der lediglich im Angestelltenverhältnis für das beklagte Land tätig gewesene Kläger weder einer gesteigerten politischen Treuepflicht unterlag, noch in hervorgehobener Stellung tätig war. Das Gericht ziehe aber den falschen Schluss, wenn es davon ausgehe, der Kläger habe das zu fordernde Min-
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destmaß an Loyalität gegenüber dem beklagten Land vermissen lassen. Der Kläger habe das beklagte Land zu keinem Zeitpunkt, insbesondere auch nicht durch Kundtun seiner politischen Meinung außerhalb seiner Arbeitstätigkeit, überhaupt angegriffen. Eine Beschreibung und Sub-sumtion der speziell und konkret vom Kläger gegenüber dem Land B. geschuldeten Mindestlo-yalität habe das Arbeitsgericht überhaupt nicht vorgenommen, sondern nur pauschal behauptet, der Newsletter vom 11.06.2009 sei Beleg dafür, dass der Kläger sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung wenden würde. Entgegen der Behauptung des Ausgangsgerichts akzeptierten die Verfasser des vorbenannten Newsletter die FDGO und befürworteten mitnichten einen gewaltsamen Umsturz. Wenn dies so wäre, hätten die in den letzten Jahren ergangenen Verbote auch die Verfasser, die „J. N.“, erfasst. Dessen ungeachtet stelle der Demonstrationsaufruf auch keinerlei ausdrückliches Bekenntnis zu gewaltsamer Beseitigung der FDGO dar. Im Übrigen sei der bloß technische Vertreiber einer Äußerung - und als solcher allein habe der Kläger fungiert - bereits presserechtlich nicht in gleichem Maße für publizierte Inhalte haftbar, wie der Urheber. Dementsprechend könne der Inhalt dieser Erklärung dem Kläger jedenfalls nicht mit der Folge angelastet werden, dass die Kündigung der Beklagten gerechtfertigt gewesen wäre. Darüber hinaus habe das zu beurteilende Verhalten des Klägers sich nicht auf seine spezielle und konkrete Arbeitstätigkeit für das beklagte Land ausgewirkt, weil der Kläger in einem in keiner Weise politischen Feld tätig gewesen sei und sich insbesondere mit formalen Druckabläufen beschäftigt habe. Dass der Kläger seine politische Ansicht in die Arbeitsabläufe oder den Kollegenkreis eingebracht habe, habe das beklagte Land selbst nicht behauptet. Der Kläger wisse nämlich seine Berufstätigkeit sehr wohl von seinem freizeitlichen Engagement zu trennen. Die neuerliche Kündigung erscheine endgültig in politischem Licht und zeige, dass das beklagte Land den Kläger um jeden Preis loswerden wolle. Sei man jedoch der Auffassung, dass der politische „Kampf gegen rechts“ jedenfalls nicht in die Justiz hineingetragen werden dürfe, um den Rechtsstaat nicht zum politischen Büttel mutieren zu lassen, könne das mit der Berufung angegriffene Urteil keinen Bestand haben. Der Kläger beantragt deshalb,
das Urteil des Arbeitsgerichts Karlsruhe vom 10.03.2010, Az.: 4 Ca 403/09, abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die mit Schriftsatz der Beklagten vom 16.09.2009 erklärte Kündigung nicht aufgelöst worden ist.
Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung. Sie verteidigt die erstinstanzliche Ent-scheidung. Die Ausführungen in der Berufungsbegründung seien nicht geeignet, die Zweifel an der Loyalität des Klägers auszuräumen und seine mangelnde Eignung für eine Tätigkeit im öf-fentlichen Dienst zu widerlegen. Das formelhaft wiederholte Bekenntnis des Klägers zur freiheitlich demokratischen Grundordnung sei angesichts der unstreitigen politischen Aktivitäten ersichtlich ein bloßes Lippenbekenntnis. Bereits aus dem „B.-Nachruf“ im Newsletter vom
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25.07.2008 lasse sich ableiten, dass die Verfasser und diejenigen, die ihn verbreiteten, verfas-sungsfeindliche Ziele verfolgten. Als Absender im Namen der NPD-KV K.-Land habe sich der Kläger aus Sicht eines Außenstehenden mit dessen Inhalt identifiziert und zu keinem Zeitpunkt distanziert. Die Distanz des Klägers zur Verfassung der BRD ergebe sich ferner sehr deutlich aus der Neujahrsbotschaft für das Jahr 2009, die der Kläger mit Newsletter vom 01.01.2009 verbreitete. Der Begriff „raumorientierte Volkswirtschaft“ erinnere an die „raumorientierte“ Politik der Nationalsozialisten im Dritten Reich. Es sei von „Kapitalismuskritik“, einer „Neuen Wirtschaftsordnung“ und einer „Kollaboration mit der verbrecherischen Politik der Besatzungsmächte“ durch die „BRD-Mächtigen“ die Rede. Der Kläger verbreite anhaltend rechtsradikales Gedankengut. Die streitgegenständliche Kündigung sei schließlich erfolgt, nachdem dem beklagten Land der Newsletter vom 11.06.2009 mit dem Betreff „... - ein Volk steht auf und kämpft sich frei - Zeit einen neuen Aufstand zu wagen“ bekanntgeworden sei. Dieser JN-Aufruf, den der Kläger ohne jegliche Distanzierung verbreitet habe, bringe in erschreckender Deutlichkeit zum Ausdruck, dass die Verfasser die verfassungsmäßige Ordnung des Staates ablehnten und den gewaltsamen Umsturz befürworteten. Dass weder die NPD noch deren Jugendorganisation JN verboten seien, sei für die Frage der mangelnden Eignung des Klägers unter dem Aspekt der Zweifel an seiner Loyalität gegenüber dem beklagten Land nicht ausschlaggebend. Diese Zweifel manifestierten sich konkret in der Verbreitung der Newsletter vom 25.07.2008, 01.01.2009 und insbesondere vom 11.06.2009 mit eindeutig verfassungsfeindlichen Inhalten. Inhaltlich habe der Kläger sich von den Aufrufen nicht distanziert, sondern sich ausdrücklich auf die Meinungsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG und die Freiheit des weltanschaulichen Bekenntnisses gem. Art. 4 Abs. 1 GG berufen. Für die Frage der Eignung spiele das aber ebenso wenig eine Rolle wie die strafrechtliche Relevanz der Äußerungen. Da das beklagte Land Teil der durch das Grundgesetz verfassten föderalen Staatsordnung sei, beinhalte die undifferenzierte Verunglimpfung des Staates und erst Recht die Aufforderung zu dessen Überwindung immer auch einen direkten Angriffen auf das beklagte Land als Arbeitgeber des Klägers. Ersichtlich unzutreffend sei, dass der Kläger nur für die technische Verbreitung der Aufrufe gesorgt habe. Er sei vielmehr für die Information der seinem Verteilerkreis angeschlossenen Mitglieder und Sympathisanten der NPD/JN zuständig und entscheide in seiner Funktion als Herausgeber des Newsletter verantwortlich, ob und welche Beiträge er weiterleite. Außerdem spreche er als namentlich bezeichneter Absender die Empfänger direkt an. Die in seinen politischen Aktivitäten zum Ausdruck kommende mangelnde Loyalität des Klägers wirke sich auch unmittelbar auf das Arbeitsverhältnis aus, weil sie gegen die in § 3 Abs. 1 TV-L normierte politische Treuepflicht eines Angestellten des öffentlichen Dienstes verstoße. Ein öffentlicher Dienstherr als Arbeitgeber könne von seinen Bediensteten wenigstens erwarten, dass sie sich nicht in offene Gegnerschaft zu ihm begeben. Der Kläger sei in der Oberfinanzdirektion für die Planung und Überwachung der zentralen elektronischen Drucksteuerung aller Finanzbehörden des Landes zuständig. Missachte er
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seine Arbeitsanweisungen, komme der Druckversand zum Erliegen und die Finanzverwaltung könne landesweit ihre Aufgaben nicht mehr wahrnehmen. Ferner habe der Kläger über das elektronische System des Druckzentrums die Möglichkeit, personenbezogene Daten von Steu-erpflichtigen zu missbrauchen. Die politische Treuepflicht diene auch der Abwehr solcher abs-trakter Gefahren. Die politische Betätigung des Klägers sei darüber hinaus geeignet, das Anse-hen der Oberfinanzdirektion als eine in der Öffentlichkeit stark wahrgenommene Behörde des Landes zu beeinträchtigen. Die Öffentlichkeit erwarte nämlich von aus Steuermitteln bezahlten Angestellten des öffentlichen Dienstes ein Mindestmaß an Loyalität auch außerhalb ihres Dienstes. Im Newsletter vom 11.06.2009 werde sich über den „alles über alles raffenden... Staat“ geäußert. Damit verunglimpfe der Kläger insbesondere die Finanzverwaltung als seine Anstellungsbehörde. Letztendlich werde dadurch bei einer weiteren Beschäftigung des Klägers das Vertrauen der Bürger in eine ordnungsgemäß arbeitende Finanzverwaltung erschüttert. Schließlich habe der Kläger sein Angestelltenverhältnis zum beklagten Land auch dadurch ausgenutzt, dass er die im Rahmen eines In-Haus-Seminars erworbenen Kenntnisse zum Thema „Überzeugen, Präsentieren, Moderieren“ für seine politische Betätigung in der NPD nutzte.
Im Kammertermin hat der Vertreter des beklagten Landes eine Aufstellung der Kunden des Druckzentrums der Oberfinanzdirektion K. übergeben und darauf verwiesen, dass nicht nur die Finanzverwaltung dorthin Druckaufträge erteile. Der Kläger hat diese Aufstellung inhaltlich bestätigt. Im Rahmen der Erörterung, inwieweit der Kläger sich inhaltlich von den von ihm verbreiteten Newsletter distanziere, gab der Kläger die Erklärung ab, er distanziere sich von der Interpretation, dass im Aufruf zum 17. Juni Tote gefordert würden.
Hinsichtlich des Berufungsvorbringens im Übrigen wird ergänzend auf den schriftsätzlichen Vortrag der Parteien sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 26.01.2011 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gem. § 64 Abs. 2 c) ArbGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Kündigung des beklagten Landes vom 16.09.2009 zum 31.12.2009 zu Recht für sozial gerechtfertigt erachtet (§ 1 Abs. 2 KSchG). Die Kammer schließt sich den zutreffenden Ausführungen im Urteil vom 10.03.2010 an. Die vom Kläger im Berufungsverfahren vorgebrachten Angriffe führen im Ergebnis nicht zu einer anderen Gewichtung der beiderseitigen Interessen.
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I.
Zutreffend geht das Arbeitsgericht zunächst davon aus, dass die Kündigung nicht auf das au-ßerdienstliche Verhalten des Klägers gestützt werden kann.
1. Zwar hat der Kläger sich in § 5 des Arbeitsvertrages vom 01.08.2003 durch Inbezugnahme der für den öffentlichen Dienst geltenden Tarifverträge verpflichtet, sich durch sein gesamtes Verhalten zur Freiheitlich Demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen (§ 3 Abs. 1 TV-L). In seiner Funktion unterliegt er jedoch keiner gesteigerten politischen Treuepflicht.
Auch Angestellte des öffentlichen Dienstes sind in ihrer außerdienstlichen politischen Betä-tigung frei, solange kein Zusammenhang mit ihrer dienstlichen Tätigkeit besteht. Ein solcher Zusammenhang besteht nur, wenn das Arbeitsverhältnis durch die im außerdienstlichen Bereich entfaltete politische Betätigung - sei es im Leistungsbereich, im Bereich der Ver-bundenheit aller bei der Dienststelle beschäftigten Mitarbeiter, im persönlichen Vertrauens-bereich oder im behördlichen Aufgabenbereich konkret beeinträchtigt wäre. Eine die verhal-tensbedingte Kündigung rechtfertigende konkrete Beeinträchtigung wiederum liegt nicht schon vor, wenn der Arbeitsablauf oder der Betriebsfrieden „abstrakt“ oder „konkret“ gefährdet ist, sondern erst dann, wenn insoweit eine konkrete Störung bereits eingetreten ist (BAG, Urteil vom 20.07.1989, 2 AZR 114/87, AP Nr. 2 zu § 2 KSchG Sicherheitsbedenken, NJW 1990, 597, Rdnr. 27 f.). Allein die nicht näher begründete Befürchtung des beklagten Landes, der Kläger könne die gesamte Finanzverwaltung und weitere Verwaltungsbereiche darüber hinaus zum Erliegen bringen, oder sensible Daten ausspähen, genügt deshalb nicht für eine konkrete Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses. Deshalb kann hier dahinstehen, ob der Kläger in seiner Position in der Produktionssteuerung des Druckzentrums der Oberfinanzdirektion K. tatsächlich einen nachhaltigen Einfluss auf die Funktionsfähigkeit der Verwaltung nehmen könnte.
2. Aus den gleichen Gründen lässt sich auch ein Verstoß gegen die in § 241 Abs. 2 BGB ge-regelte Pflicht, auf die Interessen des Vertragspartners Rücksicht zu nehmen, nicht feststellen. Zwar hat ein Arbeitnehmer danach seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsvertrag so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsvertrag stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seine eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben billiger Weise verlangt werden kann. Er ist deshalb auch außerhalb der Arbeitszeit verpflichtet, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Allerdings kann ein außerdienstliches Verhalten des Arbeit-
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nehmers berechtigte Interessen des Arbeitgebers oder anderer Arbeitnehmer grundsätzlich nur beeinträchtigen, wenn es einen Bezug zur dienstlichen Tätigkeit hat. Fehlt ein solcher Zusammenhang, scheidet eine Verletzung der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht regel-mäßig aus (BAG, Urteil vom 28.10.2010, 2 AZR 293/09, n. v., juris, Rdnr. 19). Die Kammer hat keine Anhaltspunkte dafür, dass die außerdienstlichen politischen Aktivitäten des Klägers derzeit zu dem beklagten Land als Anstellungsbehörde in Verbindung gebracht werden. Auch das beklagte Land stellt darauf ab, dass das Vertrauen der Bürger in eine ordnungsgemäß arbeitende Finanzverwaltung erschüttert würde, wenn die politischen Anschauungen des Klägers im Zusammenhang mit seiner Zugehörigkeit zur Oberfinanzdirektion über die Medien einer größeren Zahl steuerpflichtiger Bürger bekannt würde.
II.
Die Kündigung ist jedoch aus Gründen in der Person des Klägers gerechtfertigt, weil ihm auf-grund begründeter Zweifel an der Verfassungstreue die Eignung zur Ausübung der arbeitsver-traglich geschuldeten Leistung fehlt (BAG, Urteil vom 10.07.1989, 2 AZR 114/87, a. a. O., Leitsatz 2 und Rdnr. 32).
1. Zutreffend geht das Arbeitsgericht nämlich davon aus, dass dem Kläger ein Mindestmaß an Loyalität gegenüber dem beklagten Land obliegt, das auch nach Stellung und Aufgabenkreis des Klägers hier mindestens erfordert, dass der Kläger den Staat und dessen Verfas-sungsordnung, die freiheitlich demokratische Grundordnung, nicht aktiv bekämpft (BAG, Ur-teil vom 20.07.1989, 2 AZR 114/87, a. a. O., Rndr. 39). Die strafrechtliche Einordnung seines Handelns spielt für dessen kündigungsrechtliche Beurteilung keine Rolle.
a) Dementsprechend fehlt dem Kläger allerdings nicht schon deshalb die Eignung als Verwaltungsangestellter der Oberfinanzdirektion K., weil er - ungeachtet des Art. 21 Abs. 2 GG - überzeugter Anhänger der NPD bzw. deren Jugendorganisation JN ist. Mitgliedschaft und aktives Eintreten selbst für eine verfassungsfeindliche Organisation können zwar Zweifel an der Eignung setzen, führen aber nicht ohne Weiteres zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung (BAG, Urteil vom 06.06.1984, 7 AZR 456/82, AP Nr. 11 zu § 1 KSchG verhaltensbedingte Kündigung, NJW 1985, 507, Rdnr. 36).
b) Mit der Verbreitung des hier streitgegenständlichen Newsletter vom 11.06.2009 hat der Kläger allerdings Aktivitäten entfaltet, mit denen er zum Ausdruck bringt, dass er selbst die BRD in ihrer verfassungsmäßigen Ordnung nicht nur in Frage stellt, sondern aktiv zu bekämpfen befürwortet.
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(1) Die Kammer teilt die Auffassung des Arbeitsgerichts, dass der Newsletter vom 11.06.2009 nach seinem objektiven Sinngehalt die gewaltsame Ablösung eines von Grund auf verachteten politischen Systems fordert.
(2) Der Kläger hat sich bis zuletzt von diesem wesentlichen Inhalt des Newsletter nicht distanziert. Insbesondere die Protokollerklärung, er distanziere sich von der Interpretation, dass in dem Newsletter zum 17. Juni Tote gefordert würden, enthält keine Abkehr von der Forderung, das bestehende Staatssystem durch einen „Volksaufstand“ bzw. eine „bürgerliche Revolution“ abzuschaffen.
(3) Auch wenn der Kläger den Newsletter nicht selbst verfasst, sondern nur „technisch“ weitergleitet hat, verbreitet er damit unter seinem Namen ohne jegliche inhaltliche Distanzierung Inhalte, die der freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht nur entgegenstehen, sondern zu deren Bekämpfung aufrufen. In Anbetracht des Multiplikationseffekts des Internet, wo ein Mausklick genügt, um eine unbegrenzte Vielzahl von Empfängern anzusprechen, kann schon deshalb nicht mehr davon ausgegangen werden, er habe dem Mindestmaß an Loyalität gegenüber seinem Arbeitgeber genügt.
(4) Dass der Kläger nicht die Interessen seines Arbeitgebers zu wahren in der Lage ist, zeigt sich daran, dass schon die Verbreitung des Newsletter vom 25.07.2008 (B.-Nachruf) das Arbeitsverhältnis in einer Weise belastet hat, dass dem beklagten Land jedenfalls die Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens im Verfahren 14 Sa 101/08 (LAG Baden-Württemberg, 2 AZR 479/09) unzumutbar war. Es ist deshalb auch nicht zu erwarten, dass der Kläger künftig zur Einhaltung seiner Loyalitätspflichten in der Lage sein wird.
2. Das Arbeitsgericht geht weiter davon aus, dass auch eine personenbedingte Kündigung wegen fehlender Eignung in Folge begründeter Zweifel an der Verfassungstreue des Ar-beitnehmers bei einer außerdienstlichen politischen Betätigung nur dann eine ordentliche Kündigung rechtfertigen, wenn sie in die Dienststelle hineinwirken und entweder die allge-meine Aufgabenstellung des öffentlichen Arbeitgebers oder das konkrete Aufgabengebiet des Arbeitnehmers berühren (BAG, Urteil vom 06.06.1984, 7 AZR 456/82, a. a. O., Rndr. 36). Die Kammer lässt dahinstehen, ob bei einer außerdienstlichen politischen Betätigung, die sich wie hier aktiv gegen den Bestand des politischen Systems und damit gegen das
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beklagte Land selbst richtet, ein solches „Hineinwirken“ überhaupt erforderlich ist oder ob der Bezug zur arbeitsvertraglich geschuldeten Leistung sich in diesen Fällen nicht gerade aus der fehlenden Fähigkeit des Klägers zur Loyalität ergibt. Jedenfalls kann aber in diesen Fällen nicht der gleiche konkrete Bezug zur vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung gefordert werden, wie im Fall einer verhaltensbedingten Kündigung. Vielmehr müssen allgemeine Erwägungen, wie sie das Arbeitsgericht unter I. 3. b) seiner Entscheidung angestellt hat, ausreichen. Letztendlich kann das beklagte Land nicht verpflichtet werden, einen Arbeitnehmer zu beschäftigen, der aktiv dessen Abschaffung anstrebt.
3. Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, dass in dem Newsletter vom 11.06.2006 das beklagte Land als sein Vertragspartner gar nicht angegriffen werde; denn auch das Land B. ist Teil der verfassungsmäßigen Ordnung der BRD.
III.
Die Interessenabwägung im Rahmen des § 1 Abs. 3 KSchG berücksichtigt im hinreichenden Maß auch die verfassungsrechtlich geschützten Grundrechtpositionen des Klägers. Die Berufung erhebt insoweit keine Einwendungen gegen die Ausführungen des Arbeitsgerichts. Im Übrigen fungiert die Justiz nicht als politischer Büttel, sondern hat hier unter Abwägung der beiderseitigen Interessen allein zu beurteilen, ob dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter den genannten Umständen zumutbar war. Dies hat die Kammer, wie auch das Arbeitsgericht, verneint.
IV.
Die Berufung war deshalb zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Kammer hat im Hinblick auf die vorgreifliche Kündigung vom 08.05.2008, die Gegenstand des Revisionsverfahrens mit dem Az.: 2 AZR 479/09 ist, die Revision auch gegen die vorliegende Entscheidung zugelassen.
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Rechtsmittelbelehrung
1. Gegen dieses Urteil kann d. Kläg. nach Maßgabe ihrer Zulassung im Urteilstenor schriftlich Revision einlegen. Die Revision muss innerhalb einer Frist von einem Monat, die Revisions-begründung innerhalb einer Frist von zwei Monaten bei dem
Bundesarbeitsgericht
Hugo-Preuss-Platz 1
99084 Erfurt
eingehen.
Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
Die Revision und die Revisionsbegründung müssen von einem Prozessbevollmächtigten un-terzeichnet sein. Als Prozessbevollmächtigte sind nur zugelassen:
a. Rechtsanwälte,
b. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit ver-gleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
c. juristische Personen, die die Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 ArbGG erfül-len.
In den Fällen der lit. b und c müssen die handelnden Personen die Befähigung zum Richter-amt haben.
2. Für das beklagte Land ist gegen dieses Urteil ein Rechtsmittel nicht gegeben. Auf § 72a ArbGG wird hingewiesen.
Dr. Auweter
Lüders
Krieg
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