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LAG Schles­wig-Hol­stein, Ur­teil vom 17.07.2008, 3 Sa 159/08

   
Schlagworte: Tarifvertrag, Bezugnahmeklausel
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Aktenzeichen: 3 Sa 159/08
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 17.07.2008
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Lübeck, 2. April 2008, 5 Ca 3139/07, Urteil
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt Schles­wig-Hol­stein

Ak­ten­zei­chen: 3 Sa 159/08
5 Ca 3139/07 ArbG Lübeck (Bit­te bei al­len Schrei­ben an­ge­ben!)

 

Verkündet am 17.07.2008

gez. ...
als Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

 

Ur­teil

Im Na­men des Vol­kes

In dem Rechts­streit pp.

hat die 3. Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Schles­wig-Hol­stein auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 17.07.2008 durch die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin am Lan­des­ar­beits­ge­richt ... als Vor­sit­zen­de und d. eh­ren­amt­li­chen Rich­ter ... als Bei­sit­zer und d. eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin ... als Bei­sit­ze­rin

für Recht er­kannt:

Die Be­ru­fung der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Lübeck vom 02.04.2008 – 5 Ca 3139/07 – wird auf ih­re Kos­ten zurück­ge­wie­sen.

Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.

Rechts­mit­tel­be­leh­rung

Ge­gen die­ses Ur­teil kann durch Ein­rei­chung ei­ner Re­vi­si­ons­schrift bei dem Bun­des­ar­beits­ge­richt in 99084 Er­furt, Hu­go-Preuß-Platz 1, Te­le­fax: (0361) 26 36 - 20 00 Re­vi­si­on ein­ge­legt wer­den.

Die Re­vi­si­ons­schrift muss

bin­nen ei­ner Not­frist von ei­nem Mo­nat

 

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beim Bun­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­gen sein.

Der Re­vi­si­onskläger muss die Re­vi­si­on be­gründen. Die Re­vi­si­ons­be­gründung ist, so­fern sie nicht be­reits in der Re­vi­si­ons­schrift ent­hal­ten ist, in ei­nem Schrift­satz bei dem Bun­des­ar­beits­ge­richt ein­zu­rei­chen. Die Frist für die Re­vi­si­ons­be­gründung beträgt

zwei Mo­na­te.

Die Fris­ten für die Ein­le­gung und die Be­gründung der Re­vi­si­on be­gin­nen mit der Zu­stel­lung des in vollständi­ger Form ab­ge­fass­ten Ur­teils, spätes­tens aber mit Ab­lauf von fünf Mo­na­ten nach der Verkündung.

Die Re­vi­si­ons­schrift muss das Ur­teil be­zeich­nen, ge­gen das die Re­vi­si­on ge­rich­tet wird, und die Erklärung ent­hal­ten, dass ge­gen die­ses Ur­teil Re­vi­si­on ein­ge­legt wer­de.

Der Re­vi­si­ons­schrift soll ei­ne Aus­fer­ti­gung oder be­glau­big­te Ab­schrift des an­ge­foch­te­nen Ur­teils bei­gefügt wer­den.

Die Re­vi­si­on und die Re­vi­si­ons­be­gründung müssen von ei­nem bei ei­nem deut­schen Ge­richt zu­ge­las­se­nen Rechts­an­walt un­ter­zeich­net sein.

Der Schrift­form wird auch durch Ein­rei­chung ei­nes elek­tro­ni­schen Do­ku­ments genügt, wenn es für die Be­ar­bei­tung durch das Ge­richt ge­eig­net ist. Schriftsätze können da­zu über ei­ne ge­si­cher­te Ver­bin­dung in den elek­tro­ni­schen Ge­richts­brief­kas­ten des Bun­des­ar­beits­ge­richts ein­ge­legt wer­den. Die er­for­der­li­che Zu­gangs- und Über­tra­gungs­soft­ware kann li­zenz­kos­ten­frei über die In­ter­net­sei­te des Bun­des­ar­beits­ge­richts (www.bun­des­ar­beits­ge­richt.de) her­un­ter­ge­la­den wer­den. Das Do­ku­ment ist mit ei­ner qua­li­fi­zier­ten Si­gna­tur nach dem Si­gna­tur­ge­setz zu ver­se­hen. Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den sich auf der In­ter­net­sei­te des Bun­des­ar­beits­ge­richts (s.o.) so­wie un­ter www.egvp.de.

(Rechts­mit­tel­schrif­ten, Rechts­mit­tel­be­gründungs­schrif­ten und wech­sel­sei­ti­ge Schriftsätze im Ver­fah­ren vor dem Bun­des­ar­beits­ge­richt sind in sie­ben­fa­cher - für je­den wei­te­ren Be­tei­lig­ten ei­ne wei­te­re - Aus­fer­ti­gung ein­zu­rei­chen.)

Tat­be­stand

 

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Die Kläge­rin be­gehrt an­tei­li­ge Ein­mal­zah­lung und an­tei­li­ge Prämie aus ar­beits­ver­trag­li­cher Be­zug­nah­me auf ei­nen Ta­rif­ver­trag von der nicht ta­rif­ge­bun­de­nen Be­klag­ten.

Die Kläge­rin ist seit dem 18.06.1998 bei der Be­klag­ten bzw. de­ren Rechts­vorgänge­rin­nen als Ma­schi­nen­be­die­ne­rin tätig. Seit No­vem­ber 2005 ar­bei­tet sie 30 St­un­den pro Wo­che mit ei­nem Ent­gelt von zu­letzt 1.437,43 EUR Grund­lohn zuzüglich ei­ner Prämie von 503,10 EUR brut­to. Die Kläge­rin ist Mit­glied der IG Me­tall.

Das Ar­beits­verhält­nis be­gann mit ei­nem Ar­beits­ver­trag vom 02.06./08.06.1998 mit der in der Me­tall­in­dus­trie ta­rif­ge­bun­de­nen D. GmbH. Un­ter Zif­fer 7.2 heißt es dort wie folgt:

„7.2 Sons­ti­ge Re­ge­lun­gen

Im übri­gen gel­ten für das An­stel­lungs­verhält­nis die Be­stim­mun­gen der gülti­gen Ta­rif­verträge der Me­tall­in­dus­trie Schles­wig-Hol­stein in der je­weils gülti­gen Fas­sung und al­le be­trieb­li­chen Re­ge­lun­gen, Richt­li­ni­en, Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen der D. GmbH in ih­rer je­weils gülti­gen Fas­sung, so­fern Sie un­ter de­ren Gel­tungs­be­reich fal­len.“ (An­la­ge B 1 – Bl. 13 d. A.)

Das Ar­beits­verhält­nis ging auf die N. GmbH über, die eben­falls ta­rif­ge­bun­den war. Mit Wir­kung vom 01.11.2005 schloss die Kläge­rin mit die­ser aus An­lass ei­ner Ar­beits­zeit­re­du­zie­rung ei­ne „Ver­ein­ba­rung zum be­ste­hen­den und fort­gel­ten­den Ar­beits­ver­trag“. Dort heißt es un­ter an­de­rem wie folgt:

„Die Mit­ar­bei­te­rin wird als Ma­schi­nen­be­die­ne­rin in der Kst. 626 (Stan­ze­rei) in Prämi­en­lohn ein­ge­setzt.
...
Die ein­schlägi­gen Ta­rif­verträge der Me­tall­in­dus­trie in Schles­wig-Hol­stein in ih­rer je­wei­li­gen Fas­sung sind Be­stand­teil die­ser Ver­ein­ba­rung.“ (An­la­ge B 2 – Bl. 14 d. A.).

Mit Wir­kung zum 01.07.2006 fand ein Be­triebsüber­gang von der N. GmbH auf die Be­klag­te statt. Die­se ist nicht ta­rif­ge­bun­den.

Knapp ein Jahr nach dem Be­triebsüber­gang kam es zu ei­nem neu­en Ta­rif­ab­schluss der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en der Me­tall­in­dus­trie Schles­wig-Hol­steins, die un­ter an­de­rem

 

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zu ei­ner ta­rif­li­chen Ent­gel­terhöhung von 4,1 % ab 1. Ju­ni 2007 führ­te. Des Wei­te­ren wur­de für den Mo­nat Mai 2007 ei­ne Ein­mal­zah­lung für Voll­zeit­kräfte, ba­sie­rend auf ei­ner 35-St­un­den-Wo­che, in Höhe von 400,00 EUR brut­to ver­ein­bart. Die Kläge­rin be­gehrt mit der vor­lie­gen­den Kla­ge für den Zeit­raum 01.06. – 16.09.2007 rech­ne­risch rich­tig den un­strei­ti­gen Be­trag aus der pro­zen­tua­len Ent­gel­terhöhung in Höhe von 281,11 EUR brut­to, so­wie be­zo­gen auf ei­ne 30-St­un­den-Wo­che die an­tei­li­ge Ein­mal­zah­lung in Höhe von 342,85 EUR brut­to. Der Be­trag ist außer­ge­richt­lich gel­tend ge­macht wor­den mit Schrei­ben vom 06.09.2007. Die Be­klag­te hat die Zah­lung un­ter Hin­weis auf ih­re feh­len­de Ta­rif­bin­dung ver­wei­gert, so dass die Kläge­rin am 6. De­zem­ber 2007 die vor­lie­gen­de Kla­ge er­ho­ben hat.

Die Kläge­rin hat be­an­tragt,

die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, 623,96 EUR brut­to nebst Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz auf 551,53 EUR ab dem 30.09.2007 so­wie zzgl. Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent-punk­ten über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz auf 42,43 EUR ab Zu­stel­lung der Klag­schrift vom 06.12.2007 an die Kläge­rin zu zah­len.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Das Ar­beits­ge­richt hat der Zah­lungs­kla­ge – mit Aus­nah­me von we­ni­gen Zins­ansprüchen – statt­ge­ge­ben und das Er­geb­nis auf die Ent­schei­dun­gen des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 14.12.2005 – 4 AZR 536/04 – und vom 18.04.2007 – 4 AZR 652/05 – gestützt. Das ist im We­sent­li­chen mit der Be­gründung ge­sche­hen, die ar­beits­ver­trag­li­chen Klau­seln sei­en nach dem ein­deu­ti­gen Wort­laut dy­na­misch. Maßgeb­lich sei auf die Be­zug­nah­me­klau­sel vom 01.11.2005 ab­zu­stel­len. Es han­de­le sich um ei­nen For­mu­lar­ver­trag, der an den Vor­schrif­ten der zum 01.01.2002 in Kraft ge­tre­te­nen Schuld­rechts­re­form zu mes­sen sei. Die ver­trag­li­che dy­na­mi­sche Bin­dung an ein­schlägi­ge Ta­rif­verträge en­de nicht, wenn und so­bald der Ar­beit­ge­ber nicht ta­rif­ge­bun­den sei. Die­se Aus­le­gung ver­s­toße auch an­ge­sichts der langjähri­gen an­ders­lau-

 

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ten­den Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­rich­tes nicht ge­gen den Ver­trau­ens­schutz­ge­dan­ken, zu­mal die Ände­rungs­ver­ein­ba­rung vom 01.11.2005 nach In­kraft­tre­ten der Schuld­rechts­re­form er­folgt sei. Eben­so we­nig lie­ge ein Ver­s­toß ge­gen die ne­ga­ti­ve Ko­ali­ti­ons­frei­heit vor. Hin­sicht­lich der Ein­zel­hei­ten der Ent­schei­dungs­gründe wird auf das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Lübeck vom 02.04.2008 Be­zug ge­nom­men.

Ge­gen die­se der Be­klag­ten am 29.04.2008 zu­ge­stell­te Ent­schei­dung leg­te sie am 13.05.2008 Be­ru­fung ein, die am 09.06.2008 be­gründet wur­de. Die Be­klag­te hält das an­ge­foch­te­ne Ur­teil für rechts­feh­ler­haft. Sie ist der An­sicht, dass es sich bei den For­mu­lie­run­gen im Ar­beits­ver­trag nicht um ei­ne kon­sti­tu­ti­ve, son­dern le­dig­lich um ei­ne de­kla­ra­to­ri­sche Be­zug­nah­me auf die Ta­rif­verträge der Me­tall­in­dus­trie Schles­wig-Hol­stein han­de­le. Mit ihr wer­de kei­ne in­di­vi­du­al­ver­trag­li­che, son­dern ei­ne ta­rif­li­che Ver­pflich­tung erfüllt. Darüber hin­aus ge­nieße die Be­klag­te Ver­trau­ens­schutz. Es sei auf die be­reits im Ar­beits­ver­trag vom 02.06./08.06.1998 ent­hal­te­ne Be­zug­nah­me­klau­sel ab­zu­stel­len. Die Ar­beits­ver­tragsände­rung vom 01.11.2005 ent­hal­te nur ei­ne Wie­der­ho­lung der al­ten ver­trag­li­chen Klau­sel. Zu­dem lie­ge ein Ver­s­toß ge­gen die ne­ga­ti­ve Ko­ali­ti­ons­frei­heit der Be­klag­ten vor, wenn mit Über­gang der Ar­beits­verhält­nis­se trotz feh­len­der Ta­rif­bin­dung ih­rer­seits die Ta­rif­verträge der Me­tall­in­dus­trie Schles­wig-Hol­stein wei­ter­hin dy­na­misch fort­gel­ten würden. Das Ur­teil über­se­he darüber hin­aus die Ent­schei­dung des Eu­ropäischen Ge­richts­ho­fes vom 09.03.2006 – C¬499/04 – und wen­de – fälsch­lich - § 613a Abs. 1 S. 1 BGB an, ob­gleich le­dig­lich § 613a Abs. 1 S. 2 BGB maßgeb­lich sei. Ne­ben § 613a Abs. 1 S. 2 BGB sei § 613a Abs. 1 S. 1 BGB nicht an­wend­bar. Nach dem Be­triebsüber­gang ver­ein­bar­te Ta­rif­loh­nerhöhun­gen schul­de sie da­her man­gels Ta­rif­bin­dung nicht.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Lübeck vom 02.04.2008, Az. 5 Ca 3139/07, ab­zuändern und die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Die Kläge­rin be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

 

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Sie hält das an­ge­foch­te­ne Ur­teil so­wohl in tatsäch­li­cher als auch in recht­li­cher Hin­sicht für zu­tref­fend.

Hin­sicht­lich des wei­te­ren Vor­brin­gens wird auf den münd­lich vor­ge­tra­ge­nen In­halt der ge­wech­sel­ten Schriftsätze nebst An­la­gen Be­zug ge­nom­men.

Ent­schei­dungs­gründe

A) Die Be­ru­fung ist zulässig. Sie ist form- und frist­ge­recht ein­ge­legt und in­ner­halb der Be­ru­fungs­be­gründungs­frist auch be­gründet wor­den.

B) Die Be­ru­fung ist je­doch nicht be­gründet. Die Be­klag­te ist trotz feh­len­der Ta­rif­bin­dung ver­pflich­tet, der Kläge­rin ab dem 1. Ju­ni 2007 die ta­rif­li­che Vergütungs­erhöhung der Me­tall­in­dus­trie in Schles­wig-Hol­stein in Höhe von 4,1 % so­wie die ta­rif­li­che an­tei­li­ge Ein­mal­zah­lung für den Mo­nat Mai 2007 zu zah­len. Der An­spruch er­gibt sich aus der aus­drück­li­chen ein­zel­ver­trag­li­chen Ver­ein­ba­rung und ist Frucht der Ver­trags­frei­heit.

I. Die Rechts­nor­men der Ta­rif­verträge der Me­tall­in­dus­trie in ih­rer je­weils gel­ten­den Fas­sung wa­ren zum Zeit­punkt des Be­triebsüber­gangs am 01.07.2006 In­halt des Ar­beits­verhält­nis­ses der Kläge­rin mit der N. GmbH. Die Ta­rif­verträge der Me­tall­in­dus­trie in Schles­wig-Hol­stein gal­ten zwi­schen der Kläge­rin und der N. GmbH kraft Ta­rif­bin­dung und gleich­zei­tig als Ver­trags­recht auch kraft ar­beits­ver­trag­li­cher Be­zug­nah­me­klau­sel. Die in Be­zug ge­nom­me­nen Ta­rif­verträge sind da­mit aus zwei ver­schie­de­nen recht­li­chen Gründen für das Ar­beits­verhält­nis maßge­bend.

1. Bei den Be­zug­nah­me­klau­seln vom 02.06.1998 und vom 01.11.2005 han­delt es sich je­weils um ei­ne so­ge­nann­te klei­ne dy­na­mi­sche Be­zug­nah­me­klau­sel. Klei­ne dy­na­mi­sche Be­zug­nah­me­klau­seln be­inhal­ten die An­wen­dung ei­nes be­stimm­ten Ta­rif­ver­tra­ges bzw. Ver­trags­wer­kes ei­ner be­stimm­ten Bran­che in der je­weils gülti­gen Fas­sung. Die Dy­na­mik be­zieht sich al­lein auf das zeit­li­che Mo­ment be­zieht. An­halts­punk­te für ei­nen wei­ter­ge­hen­den Re­ge­lungs­ge­halt sind vor­lie­gend nicht ge­ge­ben.

 

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2. Die Ta­rif­nor­men wa­ren be­reits gemäß § 4 Abs. 1 TVG In­halt des Ar­beits­verhält­nis­ses. So­wohl die Kläge­rin als auch zunächst die D. GmbH, dann die N. GmbH wa­ren nor­ma­tiv an die Ta­rif­verträge für die ge­werb­li­chen Ar­beit­neh­mer und die An¬ge­stell­ten der Me­tall­in­dus­trie in Schles­wig-Hol­stein ge­bun­den. Die Kläge­rin ist Mit­glied der IG Me­tall, die die Ta­rif­verträge auf Ar­beit­neh­mer­sei­te ab­ge­schlos­sen hat. Die D. GmbH so­wie die N. GmbH wa­ren Mit­glieds­un­ter­neh­men des ta­rif­sch­ließen­den Ar­beit­ge­ber­ver­ban­des. Da­mit be­stand Ta­rif­bin­dung gemäß § 3 Abs. 1 TVG mit den Rechts­fol­gen des § 4 Abs. 1 TVG. In­so­weit hätte es der ar­beits­ver­trag­li­chen Be­zug­nah­me der Rechts­vorgänge­rin­nen der Be­klag­ten auf die Be­stim­mun­gen der je­weils gülti­gen Ta­rif­verträge der Me­tall­in­dus­trie Schles­wig-Hol­stein nicht be­durft.

3. An­ge­sichts die­ser da­ma­li­gen bei­der­sei­ti­gen Ta­rif­bin­dung rich­ten sich die Rech­te und Pflich­ten der jet­zi­gen Par­tei­en auf Grund des Be­triebsüber­gangs nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB. Aus § 613a Abs. 1 S. 2 BGB folgt, dass die den In­halt des Ar­beits­verhält­nis­ses gem. § 4 Abs. 1 TVG be­stim­men­den ta­rif­li­chen Ver­pflich­tun­gen aus den gülti­gen Ta­rif­verträgen der Me­tall­in­dus­trie Schles­wig-Hol­stein nun­mehr mit dem Be­triebsüber­gang am 01.07.2006 In­halt des zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis­ses ge­wor­den sind. Da die Be­klag­te nicht ta­rif­ge­bun­den ist, greift für die bis­lang nor­ma­tiv gel­ten­den Rech­te die Auf­fang­re­ge­lung des § 613a Abs. 1 S. 2 BGB ein (vgl. BAG vom 19.9.2004 – 4 AZR 711/06 – zi­tiert nach JURIS; Rz. 18 m. w. N.)

4. Die An­wend­bar­keit die­ser Vor­schrift hat zur Fol­ge, dass die ta­rif­lich ge­re­gel­ten In­halts­nor­men im Ar­beits­ver­trag nur noch sta­tisch fort­gel­ten.

Das Ar­beits­verhält­nis geht re­gelmäßig gem. § 613a Abs. 1 BGB nur mit den Rech­ten und Pflich­ten auf den Er­wer­ber über, die zum Zeit­punkt des Be­triebsüber­gangs be­ste­hen. So­weit Rech­te und Pflich­ten des bis­he­ri­gen Ar­beits­verhält­nis­ses in ei­nem nor­ma­tiv wir­ken­den Ta­rif­ver­trag ge­re­gelt sind, wer­den sie bei feh­len­der Ta­rif­bin­dung des Er­wer­bers re­gelmäßig nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB in das Ar­beits­verhält­nis trans­for­miert und er­hal­ten ei­nen an­de­ren Gel­tungs­grund. Da­her ge­hen auch die­je­ni­gen Rech­te und Pflich­ten des Ar­beits­verhält­nis­ses auf den Be­triebs­er­wer­ber über,

 

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die in den ge­nann­ten Kol­lek­tiv­nor­men ge­re­gelt sind, oh­ne dass späte­re Ände­run­gen der Kol­lek­tiv­nor­men selbst Ein­fluss auf die Wei­ter­gel­tung nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB ha­ben. Auch für die Kol­lek­tiv­nor­men gilt, dass sie in dem Zu­stand über­ge­hen, in dem sie sich zum Zeit­punkt des Über­g­an­ges be­fin­den. Sie gel­ten sta­tisch fort (BAG vom 19.09.2007 – 4 AZR 711/06 – Rz. 24; BAG vom 14.11.2007 – 4 AZR 828/06 – je­weils zi­tiert nach JURIS). Der Ta­rif­ver­trag wird in der zum Zeit­punkt des Be­triebsüber­gangs be­ste­hen­den Fas­sung re­gelmäßig „ein­ge­fro­ren“ (BAG vom 19.09.2007 – 4 AZR 711/06, Rz. 25).

5. Da­nach hat die Kläge­rin anläss­lich der vor dem Be­triebsüber­gang be­ste­hen­den bei­der­sei­ti­gen Ta­rif­ge­bun­den­heit nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB kei­nen An­spruch auf ta­rif­ver­trag­li­che Leis­tun­gen, die auf erst nach dem Be­triebsüber­gang ver­ein­bar­te Ände­run­gen der Ta­rif­verträge der Me­tall­in­dus­trie zurück­zuführen sind. Die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en der Me­tall­in­dus­trie ha­ben den Lohn­ta­rif­ver­trag mit der 4,1 %igen Grund­loh­nerhöhung ab Ju­ni 2007 und der Ein­mal­zah­lung für Mai 2007 erst am 7. Mai 2007, al­so knapp ein Jahr nach dem Be­triebsüber­gang ab­ge­schlos­sen. Für die Kläge­rin er­gibt sich aus § 613a Abs. 1 S. 2 BGB da­her kein An­spruch auf die­se Ta­rif­erhöhun­gen. In­so­weit ist der Be­klag­ten zu fol­gen.

II. Der An­spruch der Kläge­rin er­gibt sich je­doch aus Ver­trags­recht und da­mit aus § 613a Abs. 1 S. 1 BGB. Das hat Ar­beits­ge­richt im Er­geb­nis zu­tref­fend fest­ge­stellt. Er be­ruht auf der aus­drück­li­chen ar­beits­ver­trag­li­chen kon­sti­tu­ti­ven Ver­ein­ba­rung der dy­na­mi­schen An­wend­bar­keit der bran­chenmäßig nach wie vor ein­schlägi­gen Ta­rif­verträge der Me­tall­in­dus­trie in Schles­wig-Hol­stein. § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB ist ne­ben § 613a Abs. 1 S. 2 BGB an­wend­bar. Das kann zu un­ter­schied­li­chen Rechts­fol­gen aus ver­trags­recht­li­cher und ta­rif­recht­li­cher Sicht führen.

1. Die vor­ge­nann­ten Ta­rif­verträge gal­ten zwi­schen der Kläge­rin und der N. GmbH un­abhängig von der bei­der­sei­ti­gen Ta­rif­bin­dung kraft aus­drück­li­cher ar­beits­ver­trag­li­cher Ver­ein­ba­rung gleich­zei­tig als Ver­trags­recht. Die­se ar­beits­ver­trag­li­che Ver­ein­ba­rung ist als kon­sti­tu­ti­ve Be­zug­nah­me auf die Ta­rif­verträge der Me­tall­in­dus­trie in Schles­wig-Hol­stein in ih­rer je­wei­li­gen Fas­sung aus­zu­le­gen. Das hat zur Fol­ge, dass sie als in­di­vi­du­al­recht­li­che Ver­pflich­tung nach § 613a Abs. 1 S. 1 BGB auch für den

 

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in die Rech­te und Pflich­ten des Ar­beits­ver­tra­ges ein­ge­tre­te­nen nicht ta­rif­ge­bun­de­nen Ar­beit­ge­ber gilt.

a) Ab­zu­stel­len ist auf die im Zu­sam­men­hang mit der Ver­tragsände­rung ver­ein­bar­te Be­zug­nah­me­klau­sel vom 01.11.2005. Mit ihr wur­den die ar­beits­ver­trag­li­chen Be­din­gun­gen und auch die Be­zug­nah­me­klau­sel auf ei­ne an­de­re Grund­la­ge ge­stellt. Ne­ben der Ar­beits­zeit­re­du­zie­rung wur­de auch und ge­ra­de die Be­zug­nah­me­klau­sel um­for­mu­liert. Während die D. GmbH, die ers­te Ar­beit­ge­be­rin der Be­klag­ten, die Be­stim­mun­gen der je­weils gülti­gen Ta­rif­verträge der Me­tall­in­dus­trie Schles­wig-Hol­stein in Ziff. 7.2 nach ih­rem Wort­laut aus­drück­lich da­von abhängig ge­macht hat, dass die Kläge­rin („Sie“) un­ter de­ren Gel­tungs­be­reich fällt, ist hier­von in der Ver­ein­ba­rung vom 01.11.2005 nicht mehr die Re­de. Der Wort­laut der Be­zug­nah­me­klau­sel vom 01.11.2005 enthält, an­ders als im Ver­trag von 1998, kei­ner­lei Hin­wei­se mehr dar­auf, dass die Be­zug­nah­me von der Ta­rif­ge­bun­den­heit ei­ner oder bei­der Ar­beits­ver­trags­par­tei­en abhängig sein soll. Da­mit ist von ei­ner kon­sti­tu­ti­ven Neu­ver­ein­ba­rung am 01.11.2005 aus­zu­ge­hen. Die Ur­sprungs­ver­ein­ba­rung aus dem Jah­re 1998 ist ab­gelöst wor­den.

b) Bei der Be­zug­nah­me­klau­sel im Ar­beits­ver­trag der Par­tei­en han­delt es sich um ei­ne ty­pi­sche (For­mu­lar-)Ver­trags­klau­sel. Sie wur­de mit dem gewähl­ten Wort­laut von der N. GmbH ge­stellt und in ei­ner Viel­zahl von Ar­beits­verträgen von ihr ver­wen­det. Al­lein bei der Be­klag­ten sind nach wie vor noch ca. 20 Ar­beit­neh­mer mit gleich­lau­ten­den Ar­beits­verträgen tätig. Die Klau­sel ist da­her zu mes­sen an den Vor­ga­ben der §§ 305c, 307 BGB.

c) Die Be­zug­nah­me­klau­sel vom 01.11.2005 hat ent­ge­gen der An­nah­me der Be­klag­ten rechts­be­gründen­de (kon­sti­tu­ti­ve) Be­deu­tung. Ihr kommt nicht nur de­kla­ra­to­ri­sche Be­deu­tung zu. Das er­gibt ih­re Aus­le­gung.

aa) Gemäß § 157 BGB sind Verträge so aus­zu­le­gen, wie Treu und Glau­ben mit Rück­sicht auf die Ver­kehrs­sit­te es er­for­dern. Da­bei ist nach § 133 BGB der wirk­li­che Wil­le des Erklären­den zu er­for­schen und nicht am buchstäbli­chen Sinn des Aus­drucks zu haf­ten. Bei der Aus­le­gung sind al­le tatsächli­chen Be­gleit­umstände der Er-

 

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klärung zu berück­sich­ti­gen, die für die Fra­ge von Be­deu­tung sein können, wel­chen Wil­len der Erklären­de bei sei­ner Erklärung ge­habt hat und wie die Erklärung von ih­rem Empfänger zu ver­ste­hen war (BAG vom 20.09.2006 – 10 AZR 715/05; BAG vom 03.05.2006 – 10 AZR 310/05 m. w. N. – je­weils zi­tiert nach JURIS). Die Aus­le­gung hat nach ei­nem ob­jek­ti­vier­ten Empfänger­ho­ri­zont zu er­fol­gen (BAG vom 18.04.2007 – 4 AZR 652/05 – Rz. 30 zi­tiert nach JURIS).

bb) Nach der langjähri­gen ständi­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­rich­tes war die Be­zug­nah­me in ei­nem von ei­nem ta­rif­ge­bun­de­nen Ar­beit­ge­ber vor­for­mu­lier­ten Ar­beits­ver­trag auf die für das Ar­beits­verhält­nis ein­schlägi­gen Ta­rif­verträge in der je­wei­li­gen Fas­sung re­gelmäßig in bis zum 31. De­zem­ber 2001 ab­ge­schlos­se­nen Ar­beits­verträgen als Gleich­stel­lungs­ab­re­de aus­zu­le­gen, wenn es kei­ne in­ner­halb oder außer­halb der Ver­trags­ur­kun­de lie­gen­den an­de­ren An­halts­punk­te gab. Die­se Aus­le­gungs­re­gel ist je­doch für Verträge/Ver­trags­klau­seln, die nach dem 31. De­zem­ber 2001, nach der Schuld­rechts­re­form, ab­ge­schlos­sen wor­den sind, bei dy­na­mi­schen Ver­wei­sun­gen auf ein­schlägi­ge Ta­rif­verträge und Ta­rif­wer­ke nicht mehr an­wend­bar, da sie der Un­klar­hei­ten­re­gel des § 305c Abs. 2 BGB und auch dem Trans­pa­renz­ge­bot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB nicht Rech­nung tra­gen (BAG vom 14.12.2005 – 4 AZR 536/04; vgl. auch BAG vom 18.04.2007 – 4 AZR 652/05 – je­weils zi­tiert nach JURIS). Ei­ne in­di­vi­du­al­ver­trag­li­che Klau­sel, die ih­rem Wort­laut nach oh­ne Ein­schränkung auf ei­nen be­stimm­ten Ta­rif­ver­trag oder be­stimm­te Ta­rif­wer­ke in ih­rer je­wei­li­gen Fas­sung ver­weist, ist viel­mehr im Re­gel­fall da­hin­ge­hend aus­zu­le­gen, dass die­ser Ta­rif­ver­trag in sei­ner je­wei­li­gen Fas­sung gel­ten soll und dass die­se Gel­tung nicht von Fak­to­ren abhängt, die nicht im Ver­trag ge­nannt oder sonst für bei­de Par­tei­en er­sicht­lich zur Vor­aus­set­zung ge­macht wor­den sind (BAG vom 18.04.2007 – 4 AZR 652/05 – Rz. 29, zi­tiert nach JURIS). Die Mo­ti­ve, aus de­nen je­der der Part­ner den Ver­trag schließt, sind für die Rechts­fol­gen des Ver­tra­ges grundsätz­lich un­be­acht­lich, weil sie nicht Teil der ver­trag­li­chen Ver­ein­ba­rung selbst, nämlich der Be­stim­mung von Leis­tung und Ge­gen­leis­tung, sind (BAG a.a.O., Rz. 29 und 30).

cc) Vor die­sem recht­li­chen Hin­ter­grund stellt die Be­zug­nah­me­klau­sel in der Ände­rungs­ver­ein­ba­rung der Kläge­rin vom 01.11.2005 ei­ne kon­sti­tu­ti­ve Ver­wei­sungs­klau­sel dar, die ihr ei­nen ar­beits­ver­trag­li­chen An­spruch auf Vergütung nach den ein-

 

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schlägi­gen Ta­rif­verträgen der Me­tall­in­dus­trie in Schles­wig-Hol­stein in ih­rer je­wei­li­gen Fas­sung gewährt, un­abhängig von der Ta­rif­ge­bun­den­heit der Ar­beit­ge­ber­sei­te.

(1) Der Wort­laut der Ver­ein­ba­rung ist ein­deu­tig. Da­nach lie­gen dem Ar­beits­verhält­nis die ein­schlägi­gen Ta­rif­verträge der Me­tall­in­dus­trie in Schles­wig-Hol­stein in ih­rer je­wei­li­gen Fas­sung zu­grun­de. Dass dies nur so­lan­ge gel­ten soll, wie der Ar­beit­ge­ber oder sein Rechts­nach­fol­ger ta­rif­ge­bun­den ist, kann dem Wort­laut der Klau­sel nicht ent­nom­men wer­den.

(2) Es sind auch kei­ne sons­ti­gen Umstände er­kenn­bar, aus de­nen sich Ein­schränkun­gen die­ser Wil­lens­erklärung ent­neh­men können und die für die Kläge­rin so deut­lich ge­wor­den sind, dass sie ih­nen zu­ge­stimmt und die­se da­mit zum Ver­trags­in­halt ge­macht hat. Der­ar­ti­ge Umstände sind nicht vor­ge­tra­gen wor­den.

(3) Her­vor­zu­he­ben ist in die­sem Zu­sam­men­hang, dass mit der Ver­ein­ba­rung vom 01.11.2005 die ar­beits­ver­trag­li­chen Be­din­gun­gen und auch die Be­zug­nah­me­klau­sel auf ei­ne an­de­re Grund­la­ge ge­stellt wer­den. Die Tat­sa­che der Neu­for­mu­lie­rung der Be­zug­nah­me­klau­sel, die im Zu­sam­men­hang mit der Ver­ein­ba­rung ei­ner Ar­beits­zeit­re­du­zie­rung gar nicht nötig ge­we­sen wäre, konn­te die Kläge­rin nur da­hin­ge­hend ver­ste­hen, dass die je­wei­li­gen Ta­rif­verträge der Me­tall­in­dus­trie in Schles­wig-Hol­stein im­mer den In­halt ih­res Ar­beits­ver­tra­ges, vor al­lem im­mer ih­re Vergütungshöhe be­stim­men soll­ten, un­abhängig da­von, ob sie oder die Ar­beit­ge­ber­sei­te oder bei­de ta­rif­ge­bun­den sind. Dem­ge­genüber hat­te die Rechts­vorgänge­rin, die D. , ge­ra­de die An­wend­bar­keit der Ta­rif­verträge von der Ta­rif­bin­dung der Kläge­rin abhängig ge­macht. Es soll­ten die Ta­rif­verträge der Me­tall­in­dus­trie Schles­wig-Hol­stein in der je­weils gülti­gen Fas­sung nur gel­ten, so­fern „Sie“ – die Kläge­rin - un­ter de­ren Gel­tungs­be­reich fiel.
Da­mit muss die Ver­ein­ba­rung vom 01.11.2005 als kon­sti­tu­ti­ve dy­na­mi­sche Ver­wei­sungs­klau­sel ein­ge­ord­net wer­den, die von der Ta­rif­ge­bun­den­heit des Ar­beit­ge­bers nicht berührt wird.

d) Die­ser Aus­le­gung steht der Ge­dan­ke des Ver­trau­ens­schut­zes nicht ent­ge­gen.

 

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aa) Wie be­reits dar­ge­legt, ist vor­lie­gend die am 01.11.2005 ver­ein­bar­te Be­zug­nah­me­klau­sel maßgeb­lich. Die­se stellt, auch das ist be­reits dar­ge­legt, al­lein schon auf­grund des geänder­ten Wort­lauts ei­ne kon­sti­tu­ti­ve Neu­ver­ein­ba­rung und nicht nur ei¬ne de­kla­ra­to­ri­sche Wie­der­ho­lung dar, was nach der Ent­schei­dung des Bun­des­ar­beits­ge­richts BAG vom 18.04.2007 – 4 AZR 652/05 Rz. 60) aber per se zu kei­nem un­ter­schied­li­chen Er­geb­nis führen würde. Da­her un­terfällt die Be­zug­nah­me­klau­sel nicht dem Schutz ei­nes et­wai­gen Alt­ver­trags (BAG vom 14.12.2005 – 4 AZR 536/04 – zi­tiert nach JURIS).

bb) Die Schuld­rechts­re­form, die die Recht­spre­chungsände­rung nicht nur, aber auch mit aus­gelöst hat, ist be­reits zum 01.01.2002 in Kraft ge­tre­ten. Die Ver­ein­ba­rung da­tiert vom 01.11.2005. Die §§ 305, 307 ff. BGB gal­ten da­her zum Zeit­punkt des Ab­schlus­ses der Ver­ein­ba­rung be­reits na­he­zu drei Jah­re lang. Die Recht­spre­chung zur Gleich­stel­lungs­ab­re­de ist auch zu­vor be­reits seit Jah­ren auf Kri­tik ges­toßen. In­so­weit sei nur auf die Viel­zahl der vom Bun­des­ar­beits­ge­richt in sei­ner Ent­schei­dung vom 14.12.2005, 4 AZR 536/04, an­geführ­ten Fund­stel­len ver­wie­sen (Rz. 17 – zi­tiert nach JURIS). Auf Ver­trau­ens­schutz kann sich die Be­klag­te da­her nicht be­ru­fen. Mit dem In­kraft­tre­ten der Schuld­rechts­re­form wa­ren die „Warn­zei­chen“ für die wei­te­re Ver­wen­dung der Klau­sel in der bis­he­ri­gen Form so deut­lich, dass es für ei­nen Ar­beit­ge­ber kei­ne un­zu­mut­ba­re Härte mehr dar­stellt, wenn er an dem Wort­laut der von ihm ein­geführ­ten Ver­trags­klau­sel fest­ge­hal­ten wird und das von ihm mögli­cher­wei­se Ge­woll­te, aber vom Wort­laut der Klau­sel Ab­wei­chen­de nicht als Ver­trags­in­halt an­ge­se­hen wird.

Die Kam­mer folgt in­so­weit un­ein­ge­schränkt den Ausführun­gen des Bun­des­ar­beits­ge­richts in sei­ner Ent­schei­dung vom 18.04.2007 – 4 AZR 652/05 – Rz. 42 – 60). Die Be­klag­te wird auch nicht schützens­wer­ter, weil der Ver­trags­klau­sel vom 01.11.2005 ei­ne Alt­ver­trags­klau­sel vom 02.06.1998/08.06.1998 vor­aus­ge­gan­gen ist.

3. Der Be­klag­ten ist nicht dar­in zu fol­gen, § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB ver­dränge Ansprüche aus § 613a Abs. 1 S. 1 BGB. Bei­de Vor­schrif­ten sind ne­ben­ein­an­der an-

 

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wend­bar, mit even­tu­ell un­ter­schied­li­chen Rechts­fol­gen aus ver­trags­recht­li­cher und ta­rif­recht­li­cher Sicht.

Die mögli­chen un­ter­schied­li­chen Aus­wir­kun­gen der dy­na­mi­schen ver­trag­li­chen Ansprüche aus § 613a Abs. 1 S. 1 BGB und der sta­tisch ge­wor­de­nen Ansprüche aus § 613a Abs. 1 S. 2 BGB für ei­nen nicht ta­rif­ge­bun­de­nen Be­triebsüber­neh­mer führen nicht zu ei­ner Ver­drängung et­wai­ger kon­sti­tu­ti­ver dy­na­mi­scher ver­trag­li­cher Ansprüche bei Fest­schrei­bung der ein­ge­fro­re­nen nor­ma­ti­ven Re­ge­lun­gen. Die Wir­kung ei­ner klei­nen dy­na­mi­schen Be­zug­nah­me­klau­sel wird nicht da­durch berührt, dass der in Be­zug ge­nom­me­ne Ta­rif­ver­trag noch aus ei­nem wei­te­ren recht­li­chen Grund für das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en maßge­bend ist. Gem. § 613a Abs. 1 S. 1 BGB ve¬bleibt es bei der ver­ein­bar­ten Gel­tung der je­weils gülti­gen Ta­rif­verträge der Me­tall­in­dus­trie Schles­wig-Hol­stein auf ver­trag­li­cher Grund­la­ge. Ei­ne Ver­drängung die­ser Ansprüche aus Ver­trags­recht durch § 613a Abs. 1 S. 2 BGB er­folgt nicht (vgl. BAG vom 29.08.2007 – 4 AZR 767/06 – zi­tiert nach JURIS). An­dern­falls stünde die Ver­trags­par­tei, de­ren Ansprüche sich beim Be­triebsüber­gang ne­ben ei­ner ar­beits­ver­trag­li­chen Grund­la­ge zusätz­lich auf die nor­ma­ti­ven Wir­kun­gen ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges kraft Ta­rif­bin­dung stützen ließen, oh­ne ihr Zu­tun schlech­ter, als die Par­tei, die von vorn­her­ein „nur“ ei­nen gem. § 613a Abs. 1 S. 1 BGB ge­si­cher­ten An­spruch aus Ver­trags­recht hat.

Die­se bei­den An­spruchs­grund­la­gen, die für den nicht ta­rif­ge­bun­de­nen Be­triebs­er­wer­ber zu un­ter­schied­li­chen Rechts­fol­gen führen, ste­hen da­her nicht in ei­nem Kon­kur­renz­verhält­nis. In­so­weit gilt der Güns­tig­keits­grund­satz des § 4 Abs. 3 TVG (vgl. auch BAG vom 29.8.2007 – 4 AZR 767/06 – Rz. 20 – zi­tiert nach JURIS). Die kon­sti­tu­ti­ve ar­beits­ver­trag­li­che Be­zug­nah­me­klau­sel ist für die Kläge­rin güns­ti­ger als die Ansprüche, die sich aus der zum Zeit­punkt des Be­triebsüber­g­an­ges be­ste­hen­den Ta­rif­bin­dung nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB er­ge­ben.

III. Die­se Bin­dung des neu­en nicht ta­rif­ge­bun­de­nen Be­triebs­in­ha­bers an die Aus­wir­kun­gen der ver­trag­lich ver­ein­bar­ten dy­na­mi­schen Be­zug­nah­me­klau­sel verstößt nicht ge­gen die ne­ga­ti­ve Ko­ali­ti­ons­frei­heit.

 

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1. Die in­di­vi­du­el­le ne­ga­ti­ve Ko­ali­ti­ons­frei­heit aus Art. 9 Abs. 3 GG schützt den nicht ver­bands­an­gehöri­gen Be­triebs­er­wer­ber vor un­zulässi­gem Zwang oder Druck in Rich­tung auf ei­ne Mit­glied­schaft. Die Kläge­rin nimmt die Be­klag­te nicht aus ta­rif­ver­trag­li­chen Re­ge­lun­gen in An­spruch. Sie stützt ihr Be­geh­ren auf ih­ren Ar­beits­ver­trag. Die Bin­dung an den Ta­rif­ver­trag be­ruht hier je­doch nicht auf Ver­bands­bei­tritt. Ihr Grund ist die fort­be­ste­hen­de Bin­dung kraft Ar­beits­ver­trag. Die Bin­dung an den Ta­rif­ver­trag ist da­her Frucht der Ver­trags­frei­heit. In ihr hat sie den Ur­sprung, nicht in der Ver­ei­ni­gungs­frei­heit. Die ne­ga­ti­ve Ver­ei­ni­gungs­frei­heit kann, auch wenn man sie weit ver­steht, die pri­vat­au­to­no­me Ent­schei­dung zur Bin­dung nicht ne­gie­ren (Thüsing, Eu­ro­pa­recht­li­che Bezüge der Be­zug­nah­me­klau­sel, NZA 2006, 473 (474)).

2. Ei­ne ge­setz­li­che An­ord­nung da­hin­ge­hend, dass gemäß § 613a Abs. 1 S. 2 BGB fort­wir­ken­de Ta­rif­verträge dy­na­misch fort­gel­ten, würde zwar womöglich die ne­ga­ti­ve Ko­ali­ti­ons­frei­heit ver­let­zen. Be­ruht die Dy­na­mik hin­ge­gen auf ei­ner ein­zel­ver­trag­li­chen Ab­ma­chung, wie dies bei Be­zug­nah­me­klau­seln der Fall ist, sind die­se Be­den­ken nicht an­ge­bracht (Wil­lem­sen, Ho­hen­statt, Sch­wei­bert, Seibt, Um­struk­tu­rie­rung und Über­tra­gung von Un­ter­neh­men, 3. Aufl. 2008, E Rz. 197 am En­de m. w. N.).

3. Auch aus eu­ro­pa­recht­li­cher Sicht ist die Be­klag­te nicht in ih­rer ne­ga­ti­ven Ko­ali­ti­ons­frei­heit im Sin­ne von Art. 11 EM­RK be­ein­träch­tigt. Die Bin­dung der nicht ta­rif­ge­bun­de­nen Be­klag­ten an die Aus­wir­kun­gen des dy­na­mi­schen Be­zug­nah­me­klau­sel verstößt nicht ge­gen Grundsätze, die der Eu­ropäische Ge­richts­hof ins­be­son­de­re in der Ent­schei­dung vom 9. März 2006 – C–499/04 - (Wehr­hof) even­tu­ell auf­stel­len woll­te. Mit der Ent­schei­dung vom 09.03.2006 stell­te der EuGH fest, dass Art. 3 Abs. 1 der Be­triebsüber­g­angs­richt­li­nie 77/187/EWG ei­ner Aus­le­gung nicht ent­ge­gen­steht, dass der Er­wer­ber, der nicht Par­tei ei­nes den Veräußern­den bin­den­den Kol­lek­tiv­ver­trags ist, auf den der Ar­beits­ver­trag ver­weist, durch Kol­lek­tiv­verträge, die dem zum Zeit­punkt des Be­triebsüber­g­an­ges gel­ten­den nach­fol­gen, nicht ge­bun­den ist, weil an­de­ren­falls die ne­ga­ti­ve Ko­ali­ti­ons­frei­heit be­ein­träch­tigt sein könn­te.

Hier geht es um die Bin­dung an ar­beits­ver­trag­lich be­gründe­te Ansprüche. Sie sind we­der kol­lek­tiv­recht­lich be­gründet noch er­ge­ben sie sich un­mit­tel­bar aus dem Ge­setz. Die Bin­dung an den Ta­rif­ver­trag be­ruht hier nicht auf Ver­bands­bei­tritt. Sie ist

 

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da­her nicht Frucht der Ver­ei­ni­gungs­frei­heit. Ihr Grund ist die fort­be­ste­hen­de Bin­dung kraft Ar­beits­ver­trag, nicht die Igno­rie­rung der ta­rif­li­chen Nicht­bin­dung. Die Recht­spre­chung des EuGH könn­te al­so nur dann Aus­wir­kun­gen ha­ben, wenn das Eu­ro­pa­recht sol­che Ver­ein­ba­run­gen ver­bie­ten und un­mit­tel­bar wir­ken würde. Das ist aber nicht der Fall. Ei­ne eu­ro­pa­rechts­kon­for­me Aus­le­gung pri­va­ter Wil­lens­erklärun­gen gibt es nicht (Thüsing, a. a. O., S. 475).

Da hier die dy­na­mi­sche Fort­gel­tung der Ta­rif­verträge der Me­tall­in­dus­trie auf der ein­zel­ver­trag­li­chen Ab­ma­chung vom 01.11.2005 be­ruht, ist hier­durch we­der die ne­ga­ti­ve Ko­ali­ti­ons­frei­heit berührt noch ei­ne Ab­wei­chung von eu­ropäischem Recht und Grundsätzen des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs ge­ge­ben.

IV. Nach al­le­dem hat die Kläge­rin ge­genüber der Be­klag­ten ei­nen ar­beits­ver­trag­li­chen An­spruch auf Vergütung nach dem Lohn­ta­rif­ver­trag der Me­tall­in­dus­trie Schles­wig-Hol­stein in der ab 1.Ju­ni 2007 gel­ten­den Fas­sung. Die Be­rech­nung des gel­tend ge­mach­ten Zahl­be­tra­ges ist der Höhe nach un­strei­tig.

Aus den ge­nann­ten Gründen ist der Zah­lungs­kla­ge, so­weit zweit­in­stanz­lich von Be­deu­tung, zu Recht statt­ge­ge­ben wor­den. Die Be­ru­fung war da­her zurück­zu­wei­sen.

Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 97 ZPO.

Die Re­vi­si­on war gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG we­gen grundsätz­li­cher Be­deu­tung zu­zu­las­sen. Ge­ra­de die­se Rechts­fra­ge et­wai­ger ge­setz­li­cher Kon­kur­ren­zen der Wir­kun­gen ei­ner ar­beits­ver­trag­li­chen klei­nen dy­na­mi­schen Be­zug­nah­me­klau­sel ist bis­her, so­weit er­sicht­lich, höchst­rich­ter­lich noch nicht ent­schie­den wor­den und auch nicht von der Ent­schei­dung des BAG vom 29.08.2007 – 4 AZR 767/06 – er­fasst.

 

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