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LAG Mün­chen, Ur­teil vom 08.07.2008, 8 Sa 112/08

   
Schlagworte: Diskriminierung: Behinderung
   
Gericht: Landesarbeitsgericht München
Aktenzeichen: 8 Sa 112/08
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 08.07.2008
   
Leitsätze: Entschädigung wegen der Annahme einer Behinderung und darauf beruhender Nichteinstellung - Fragen nach Krankheiten bei Vorstellungsgesprächen.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Regensburg
   

8 Sa 112/08
3 Ca 1161/07 S

(Re­gens­burg)

Verkündet am:

8. Ju­li 2008


He­ger, ROS
als Ur­kunds­be­am­ter

der Geschäfts­stel­le

 


LAN­DES­AR­BEITS­GERICHT MÜNCHEN

IM NA­MEN DES VOL­KES

UR­TEIL

In dem Rechts­streit

Dr. Z.
- Kläger und Be­ru­fungs­be­klag­ter -

Pro­zess­be­vollmäch­tig­te:


g e g e n


Dr. B.
- Be­klag­ter und Be­ru­fungskläger -

Pro­zess­be­vollmäch­tig­te:

hat die Ach­te Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts München auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 8. Ju­li 2008 durch den Rich­ter am Ar­beits­ge­richt Neu­mei­er so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Jo­hann und Am­micht für Recht er­kannt:


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1. Auf die Be­ru­fung des Be­klag­ten wird das En­dur­teil des Ar­beits­ge­richts Re­gens­burg vom 05.12.2007 - Az.: 3 Ca 1161/07 S - auf­ge­ho­ben.


2. Die Kla­ge wird ab­ge­wie­sen.


3. Der Kläger trägt die Kos­ten des Rechts­streits.


4. Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.


T a t b e s t a n d :


Die Par­tei­en strei­ten über ei­ne Entschädi­gung we­gen Dis­kri­mi­nie­rung.


Der Kläger ist pro­mo­vier­ter Di­plom-Bio­lo­ge. Der Be­klag­te ist Arzt und be­treibt u. a. die Fa. M. C., die in der For­schung und Ent­wick­lung im Be­reich Me­di­zin tätig ist.


Der Be­klag­te hat­te über die Bun­des­agen­tur für Ar­beit ei­ne Stel­le für ei­nen Bio­lo­gen oder Tier­arzt mit aka­de­mi­schem Ti­tel zur Mit­ar­beit an wis­sen­schaft­li­chen Stu­di­en und in der kli­ni­schen For­schung aus­ge­schrie­ben (vgl. Bl. 6 ff. d. A.). Mit Schrei­ben vom 30.07.2006 be­warb sich der Kläger auf die­se Stel­len­an­zei­ge. Am 01.08.2006 fand in den Geschäftsräum­en des Be­klag­ten ein Vor­stel­lungs­gespräch statt. Im Rah­men die­ses Vor­stel­lungs­gesprächs muss­te der Kläger zunächst ei­nen Test ab­sol­vie­ren, wel­cher in ei­ner In­ter­net­re­cher­che und der Er­stel­lung ei­ner Power­point-Präsen­ta­ti­on be­stand. Des Wei­te­ren soll­te über ei­nen wis­sen­schaft­li­chen Auf­satz ein Kurz­vor­trag in eng­li­scher Spra­che ge­hal­ten wer­den.


Bei die­sem ers­ten Vor­stel­lungs­gespräch erzähl­te der Kläger, dass er in den letz­ten Jah­ren kei­ner be­ruf­li­chen Tätig­keit nach­ge­gan­gen sei, da er sei­ne kran­ke Mut­ter ha­be pfle­gen müssen. Außer­dem be­rich­te­te er von ei­nem tödli­chen Ver­kehrs­un­fall sei­nes Bru­ders. Auch über Ge­halts­vor­stel­lun­gen wur­de ge­spro­chen.

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Am 08.08.2006 fand ein wei­te­res Vor­stel­lungs­gespräch statt, an dem ne­ben dem Kläger der Zeu­ge N. für den Be­klag­ten teil­nahm. Anläss­lich des Gesprächs frag­te die­ser den Kläger, ob er in psych­ia­tri­scher Be­hand­lung sei. Er wur­de von die­sem Zeu­gen auf­ge­for­dert zu un­ter­schrei­ben, dass dies nicht der Fall sei. Bei die­sem zwei­ten Gespräch wur­de der Kläger auf ei­ne mögli­che Tätig­keit als frei­er Mit­ar­bei­ter an­ge­spro­chen.


Am 13.09.2006 fand ei­ne wei­te­re Be­spre­chung statt, bei der auch der Be­klag­te an­we­send war. Nach­dem der Kläger die­sen ge­fragt hat­te, war­um der Zeu­ge N. ihn nach sei­nem Ge­sund­heits­zu­stand be­fragt ha­be, ant­wor­te­te der Be­klag­te, dass der stei­fe Gang des Klägers auf „Mor­bus Bech­te­rev“ schließen las­se. „Mor­bus Bech­te­rev“ führe bei Pa­ti­en­ten häufig zu De­pres­sio­nen. Der Be­klag­te for­der­te den Kläger auf, sich von ihm hin­sicht­lich des Wir­belsäulen­zu­stan­des un­ter­su­chen und rönt­gen zu las­sen. Die­ser war aber mit ei­ner Un­ter­su­chung nicht ein­ver­stan­den. Des Wei­te­ren wur­de über ei­ne Tätig­keit des Klägers als frei­er Mit­ar­bei­ter im Rah­men ei­nes Buch­pro­jekts ge­spro­chen. Hier­zu wur­den ihm zwei Bücher zum Ein­le­sen über­las­sen.


Ei­ne wei­te­re Kon­takt­auf­nah­me er­folg­te zunächst nicht. Am 02.10.2006 er­folg­te ein Schrei­ben des Zeu­gen N. an den Kläger, wo­nach man be­daue­re, dass die­ser sich nicht mehr ge­mel­det ha­be und man da­von aus­ge­he, dass er kein In­ter­es­se an ei­ner Mit­ar­beit bei dem Buch­pro­jekt ha­be. Es wur­de um Rück­sen­dung der Bücher ge­be­ten. Ei­ne wei­te­re Ant­wort er­folg­te von­sei­ten des Klägers nicht. Sch­ließlich wur­de er un­ter dem 14.11.2006 auf­ge­for­dert, die Bücher zurück­zu­sen­den, was mit an­walt­li­chem Schrei­ben vom 30.11.2006 wie­der­holt wur­de. Der Kläger brach­te die Bücher dar­auf­hin persönlich am 11.12.2006 zurück.


Mit Schrei­ben vom 12.12.2006 teil­te der Be­klag­te dem Kläger mit, dass sei­ne Be­wer­bung nicht berück­sich­tigt wer­den konn­te (vgl. Bl. 9 d. A.).


Im vor­lie­gen­den Ver­fah­ren macht der Kläger ei­ne Entschädi­gungs­zah­lung gel­tend, da er un­ter Ver­let­zung des Be­nach­tei­li­gungs­ver­bo­tes nicht ein­ge­stellt wor­den sei.


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Der Kläger war erst­in­stanz­lich der Auf­fas­sung, dass er we­gen ei­ner von­sei­ten des Be­klag­ten an­ge­nom­me­nen Be­hin­de­rung nicht ein­ge­stellt wor­den sei. In­so­weit lie­ge ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung vor. Auf­grund der Fra­gen des Zeu­gen N. und des Be­klag­ten nach evtl. Er­kran­kun­gen des Klägers sei zu schließen, dass er we­gen ei­ner von­sei­ten des Be­klag­ten an­ge­nom­me­nen Er­kran­kung bzw. Be­hin­de­rung nicht ein­ge­stellt wor­den sei. Denn im Rah­men der Vor­stel­lungs­gespräche sei nach Krank­hei­ten ge­fragt wor­den, die häufig zu ei­ner Be­hin­de­rung führen. Auf­grund der übli­cher­wei­se für die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le zu zah­len­den mo­nat­li­chen Vergütung in Höhe von € 4.539,57, wel­che sich aus der Vergütung im öffent­li­chen Dienst für ei­ne ent­spre­chen­de Stel­le er­ge­be, ha­be der Kläger da­her An­spruch auf Entschädi­gung in Höhe von drei Mo­nats­vergütun­gen, al­so ins­ge­samt in Höhe von € 13.618,71. Er sei für die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le auch fach­lich ge­eig­net ge­we­sen. Auch sei­ne Ge­halts­vor­stel­lun­gen sei­en nicht für die Ab­sa­ge der Be­wer­bung maßgeb­lich ge­we­sen.


Der Kläger be­an­trag­te erst­in­stanz­lich:


Der Be­klag­te wird ver­ur­teilt, an den Kläger € 13.618,71 nebst fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz hier­aus seit 22.01.2007 zu zah­len.


Der Be­klag­te be­an­trag­te:


Kla­ge­ab­wei­sung.


Er war erst­in­stanz­lich der Auf­fas­sung, dass ein Entschädi­gungs­an­spruch nicht in Be­tracht kom­me, da die Be­wer­bung des Klägers nicht aus den von ihm an­ge­ge­be­nen Gründen, son­dern le­dig­lich we­gen sei­ner Ge­halts­vor­stel­lun­gen und der Er­geb­nis­se des Eig­nungs­tests nicht er­folg­reich ge­we­sen sei. Er ha­be Tei­le des Eig­nungs­tests nicht be­stan­den. Auf­grund sei­ner Ge­halts­vor­stel­lun­gen ha­be man be­reits nach dem ers­ten Gespräch le­dig­lich noch ei­ne freie Mit­ar­beit sei­ner­seits in Be­tracht ge­zo­gen. Da der dann ein­ge­stell­te Be­wer­ber bes­ser ab­ge­schnit­ten ha­be, sei die­ser zum Zu­ge ge­kom­men. Le­dig­lich auf­grund der Schil­de­run­gen des Klägers im ers­ten Vor­stel­lungs­gespräch ha­be man ihn nach psych­ia­tri­schen Er­kran­kun­gen ge­fragt. Die­se Fra­ge sei aber für die Ein­stel­lung un­maßgeb­lich ge­we­sen.
 


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Im Übri­gen wird auf die erst­in­stanz­li­chen Schriftsätze der Par­tei­en so­wie die Sit­zungs­nie­der­schrif­ten, ein­sch­ließlich der vor­ge­nom­me­nen Be­weis­auf­nah­me, Be­zug ge­nom­men.


Mit dem an­ge­grif­fe­nen En­dur­teil des Ar­beits­ge­richts Re­gens­burg vom 05.12.2007 hat die­ses der Kla­ge in Höhe ei­nes Be­tra­ges von € 8.000,-- statt­ge­ge­ben. Es hat dies da­mit be­gründet, dass auf­grund der von­sei­ten des Klägers ge­schil­der­ten Abläufe der Vor­stel­lungs­gespräche In­di­zi­en dafür vor­ge­le­gen hätten, dass der Be­klag­te bei ihm ei­ne Be­hin­de­rung ver­mu­tet ha­be und er des­halb nicht ein­ge­stellt wor­den sei. Er sei in je­dem Fall für die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le ge­eig­net ge­we­sen und ha­be sich hier­auf auch ernst­haft be­wor­ben. Auf­grund der Fra­gen des Zeu­gen N. nach ei­ner psych­ia­tri­schen Be­hand­lung, ins­be­son­de­re nach ei­ner be­hand­lungs­bedürf­ti­gen De­pres­si­on, sei da­von aus­zu­ge­hen, dass die­ser ein er­heb­li­ches Krank­heits­bild an­ge­nom­men ha­be, das die be­ruf­li­che Tätig­keit des Klägers maßgeb­lich be­ein­träch­ti­gen könn­te. Auf­grund der Schwe­re der an­zu­neh­men­den De­pres­si­on und ih­res übli­chen Be­hand­lungs­ver­laufs sei da­her von ei­ner Be­hin­de­rung i. S. d. § 1 AGG aus­zu­ge­hen. We­gen der von­sei­ten des Zeu­gen N. und des Be­klag­ten ge­stell­ten Fra­gen sei da­her ei­ne Ver­mu­tung dafür ge­ge­ben, dass die­se an­ge­nom­me­ne Be­hin­de­rung für die Aus­wah­l­ent­schei­dung mit maßgeb­lich ge­we­sen sei. Die­se Ver­mu­tungs­wir­kung ha­be der Be­klag­te auch nicht wi­der­le­gen können. Zwar ha­be der Zeu­ge N. bei sei­ner Ein­ver­nah­me be­kun­det, dass der Kläger auf­grund des Er­geb­nis­ses des Tests be­reits nach dem ers­ten Vor­stel­lungs­gespräch nicht mehr für ei­ne Ein­stel­lung in Be­tracht ge­zo­gen wor­den sei. Dem ste­he aber ent­ge­gen, dass der Be­klag­te im Rah­men des ers­ten schriftsätz­li­chen Vor­trags sich nur auf Ge­halts­vor­stel­lun­gen des Klägers als maßgeb­li­chen Ent­schei­dungs­grund be­ru­fen ha­be. Ge­halts­vor­stel­lun­gen aber sei­en nach Aus­sa­ge des Zeu­gen N. nicht ent­spre­chend ent­schei­dend ge­we­sen. Da der Zeu­ge K. die Eig­nung des Klägers bestätigt ha­be, sei auch nicht da­von aus­zu­ge­hen, dass die­ser we­gen der Er­geb­nis­se des Tests nicht ge­nom­men wur­de und da die Fra­ge des Zeu­gen N. nach ei­ge­nem Be­kun­den so­gar für die Tätig­keit als frei­er Mit­ar­bei­ter maßgeb­lich ge­we­sen sei, sei erst Recht da­von aus­zu­ge­hen, dass die ge­sund­heit­li­che Eig­nung auch im Rah­men der Fest­an­stel­lung maßgeb­lich ge­we­sen sei. Auf­grund ei­ner an­zu­neh­men­den er­ziel­ba­ren Vergütung in Höhe von € 4.000,-- sei im Rah­men ei­ner Ge­samt­abwägung dem Kläger ein Entschädi­gungs­an­spruch in Höhe von zwei Mo­nats­vergütun­gen, al­so in Höhe von € 8.000,-- zu­zu­bil­li­gen.


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Ge­gen die­ses Ur­teil rich­tet sich die Be­ru­fung des Be­klag­ten mit Schrift­satz vom 08.02.2008, am glei­chen Tag am Lan­des­ar­beits­ge­richt München ein­ge­gan­gen. Der Be­klag­te trägt im Rah­men der frist­ge­rech­ten Be­gründung der Be­ru­fung vor, dass der Kläger schon die Ansprüche nicht im Rah­men der Aus­schluss­frist des § 15 Abs. 4 AGG gel­tend ge­macht ha­be. Be­reits im Rah­men des zwei­ten Vor­stel­lungs­gesprächs sei ihm mit­ge­teilt wor­den, dass er für die Fest­an­stel­lung nicht mehr in Be­tracht kom­me. In­so­weit sei die Frist versäumt. Er ha­be sich auch nicht ernst­haft be­wor­ben. Dies zei­ge sein Ver­hal­ten in Be­zug auf die Rück­ga­be der ihm an­ver­trau­ten Bücher. Auch ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­ner Be­hin­de­rung ha­be er nicht hin­rei­chend nach­ge­wie­sen. Ei­ne Be­hin­de­rung lie­ge bei ihm ge­ra­de nicht vor. Ei­ne mut­maßli­che Be­hin­de­rung in der Vor­stel­lung des Be­klag­ten rei­che für ei­ne Entschädi­gung nicht aus. Al­len­falls sei ei­ne Er­kran­kung an­ge­spro­chen wor­den, wel­che zu ei­ner Be­hin­de­rung führen könne. Ei­ne der­ar­ti­ge Be­nach­tei­li­gung sei aber nicht aus­rei­chend. Der Kläger ha­be auch kei­ne hin­rei­chen­den In­di­zi­en für das Vor­lie­gen ei­ner Be­nach­tei­li­gung schil­dern können. Je­den­falls lie­ge auf­grund der ge­schil­der­ten Tat­sa­chen kei­ne über­wie­gen­de Wahr­schein­lich­keit dafür vor, dass er we­gen ei­ner ver­mu­te­ten Be­hin­de­rung be­nach­tei­ligt wor­den sei. Er sei auch des­halb für die Stel­le nicht in Be­tracht ge­kom­men, da er überhöhte Ge­halts­vor­stel­lun­gen ge­habt ha­be, was sich dar­in do­ku­men­tie­re, dass die tatsächlich zum Zu­ge ge­kom­me­nen Be­wer­ber für die Stel­le je­weils nur € 2.200,-mo­nat­lich ver­dient hätten. Der Kläger sei darüber hin­aus auch we­gen des Er­geb­nis­ses der Tests nicht ge­nom­men wor­den. Für die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le sei­en die In­ter­net­re­cher­che und die Power­point­präsen­ta­ti­on im Vor­der­grund ge­stan­den. Hier­bei ha­be der Kläger schlech­te­re Er­geb­nis­se er­zielt als an­de­re Be­wer­ber. Da­her sei zu­min­dest ei­ne In­dizwir­kung wi­der­legt.


Der Be­klag­te be­an­tragt:

1. Das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Re­gens­burg - Az.: 3 Ca 1161/07 S - wird auf­ge­ho­ben.


2. Die Kla­ge wird ab­ge­wie­sen.

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Der Kläger be­an­tragt:


Zurück­wei­sung der Be­ru­fung.


Er ist der Auf­fas­sung, die Frist zur Gel­tend­ma­chung der Entschädi­gung sei ein­ge­hal­ten, da ihm aus­weis­lich der Aus­sa­ge des Zeu­gen N. die ab­leh­nen­de Ent­schei­dung noch nicht im zwei­ten oder drit­ten Vor­stel­lungs­gespräch mit­ge­teilt wor­den sei. Dies sei erst mit der schrift­li­chen Mit­tei­lung vom 12.12.2006 ge­sche­hen. Für die Entschädi­gungs­zah­lung sei es aus­rei­chend, wenn nach­ge­wie­sen wer­de, dass we­gen der An­nah­me des Vor­lie­gens ei­nes Be­nach­tei­li­gungs­grun­des i. S. d. § 1 AGG die Be­wer­bung ab­ge­lehnt wor­den sei. Dies sei im vor­lie­gen­den Fal­le auf­grund der Fra­gen des Zeu­gen N. und des Be­klag­ten der Fall ge­we­sen. Nicht maßgeb­lich sei, ob ei­ne Be­hin­de­rung tatsächlich vor­lie­ge, auf­grund der Fra­gen des Zeu­gen N. und des Be­klag­ten ha­be aber dar­auf ge­schlos­sen wer­den können, dass die­se vom Vor­lie­gen ei­ner Be­hin­de­rung aus­ge­gan­gen sei­en. Denn die Fra­gen hätten auf Er­kran­kun­gen ab­ge­zielt, wel­che re­gelmäßig ei­ne Be­hin­de­rung be­inhal­te­ten. Der Be­klag­te ha­be auch die Ver­mu­tungs­wir­kung der In­di­zi­en nicht wi­der­le­gen können. In­so­weit sei die Aus­sa­ge des Zeu­gen N. nicht hin­rei­chend ge­we­sen, um we­nigs­tens ei­ne Mit­ursäch-lich­keit aus­zu­sch­ließen.


Im Übri­gen wird auf den zweit­in­stanz­li­chen Sach­vor­trag in den Schriftsätzen vom 10.02.2008 und 07.05.2008 so­wie auf die Sit­zungs­nie­der­schrift vom 08.07.2008 Be­zug ge­nom­men.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :



Die zulässi­ge Be­ru­fung ist auch be­gründet.
 


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I.


Die gem. § 64 Abs. 2 b ArbGG statt­haf­te Be­ru­fung des Be­klag­ten ist form- und frist­ge­recht ein­ge­legt und be­gründet wor­den und da­her zulässig (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).


II.

Die Be­ru­fung ist auch be­gründet.


1. Vor­aus­set­zung für den vom Kläger gel­tend ge­mach­ten Entschädi­gungs­an­spruch nach § 15 Abs. 2 AGG ist, dass er un­ter Ver­let­zung des Be­nach­tei­li­gungs­ver­bots des § 7 Abs. 1 i. V. m. § 1 AGG nicht ein­ge­stellt wur­de. Ei­ne der­ar­ti­ge Be­nach­tei­li­gung liegt vor, wenn er in Form der Nicht­ein­stel­lung ei­ne ungüns­ti­ge­re Be­hand­lung er­fah­ren hat als an­de­re Per­so­nen, d. h. an­de­re Be­wer­ber. Ver­bo­ten ist die­se ungüns­ti­ge­re Be­hand­lung, wenn sie we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des - im vor­lie­gen­den Fall kommt nur das Merk­mal der Be­hin­de­rung in Be­tracht - er­folgt. Die Be­wer­bung muss da­bei ernst­haft er­folgt sei, für die ge­trof­fe­ne Ein­stel­lungs­ent­schei­dung muss das Merk­mal der Be­hin­de­rung zu­min­dest mit­ursächlich ge­we­sen sein. Der An­spruch muss schließlich recht­zei­tig in­ner­halb der Frist des § 15 Abs. 4 AGG gel­tend ge­macht wor­den sein.

Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der ers­ten In­stanz ist die Be­ru­fungs­kam­mer der Mei­nung, dass der Kläger nicht hin­rei­chend nach­wei­sen konn­te, dass ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen des Merk­mals der Be­hin­de­rung im Rah­men der Stel­len­be­set­zung beim Be­klag­ten er­folgt ist.


a) Das Ge­richt konn­te es letzt­lich da­hin­ge­stellt sein las­sen, ob der Kläger recht­zei­tig die Entschädi­gung gel­tend ge­macht hat. Hierfür spricht in je­dem Fall die Tat­sa­che, dass die schrift­li­che Ab­leh­nung erst mit dem Schrei­ben vom 12.12.2006 er­folgt ist. Nach der Aus­sa­ge des Zeu­gen N. bezüglich des drit­ten Vor­stel­lungs­gesprächs war bis da­hin auch dem Kläger die ab­leh­nen­de Ent­schei­dung nicht mit­ge­teilt


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wor­den. Je­den­falls war der Aus­sa­ge die­ses Zeu­gen nicht zu ent­neh­men, dass be­reits im Rah­men des zwei­ten Vor­stel­lungs­gesprächs ei­ne ein­deu­ti­ge Ab­leh­nung ge­genüber dem Kläger zum Aus­druck ge­bracht wur­de. In­so­weit ist die Frist des § 15 Abs. 4 AGG ge­wahrt.


b) Das Ge­richt hat darüber hin­aus auch kei­ne Zwei­fel, dass sich der Kläger ernst­haft auf die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le be­wor­ben hat (vgl. hier­zu z. B. LAG Ba­den-Würt­tem­berg Be­schluss vom 13.08.2007 - 3 Ta 119/07). Auf­grund sei­ner be­ruf­li­chen Qua­li­fi­ka­ti­on und sei­nes Ver­hal­tens im Rah­men der Vor­stel­lungs­gespräche kann nicht dar­auf ge­schlos­sen wer­den, dass er nicht ernst­haft an ei­ner Be­wer­bung in­ter­es­siert war. Al­lein die Tat­sa­che, dass er sich im Rah­men der Rück­ga­be der Bücher mögli­cher­wei­se un­ge­schickt ver­hal­ten hat, lässt nicht dar­auf schließen, dass er an ei­ner Fest­an­stel­lung nicht in­ter­es­siert war. Ggf. be­zog sich sein Ver­hal­ten al­len­falls auf die zu­letzt im Gespräch be­find­li­che Tätig­keit als frei­er Mit­ar­bei­ter.


c) Der Kläger war auch ob­jek­tiv für die Po­si­ti­on ge­eig­net. Selbst wenn er hin­sicht­lich der zu erfüllen­den Qua­li­fi­ka­tio­nen nicht die Er­war­tun­gen des Be­klag­ten erfüllt hat, kann dar­aus noch nicht ge­schlos­sen wer­den, dass er für die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le ob­jek­tiv völlig un­ge­eig­net ge­we­sen wäre. Dies er­gibt sich im Übri­gen auch aus der Aus­sa­ge des Zeu­gen K., der die Eig­nung des Klägers ge­ne­rell bestätigt hat. Im­mer­hin hat die­ser Zeu­ge die Eig­nungs­tests auch durch­geführt. Dem­gemäß hat der Be­klag­te auch nicht hin­rei­chend dar­ge­legt, dass der Kläger dem An­for­de­rungs­pro­fil, das der Ar­beit­ge­ber zulässi­ger­wei­se auf­stel­len darf, nicht ent­spro­chen ha­be. Der Kläger erfüll­te die An­for­de­run­gen, die aus der Stel­len­aus­schrei­bung er­sicht­lich wa­ren. Er hat le­dig­lich die von­sei­ten des Be­klag­ten an die Qua­lität der Erfüllung der Auf­ga­ben ge­stell­ten An­for­de­run­gen im Test nicht er­reicht. Die ge­ne­rel­le Eig­nung für die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le hat der Zeu­ge K. hin­rei­chend her­aus­ge­stellt.


d) Den­noch ist die Be­ru­fungs­kam­mer der Auf­fas­sung, dass aus den von­sei­ten des Klägers dar­ge­stell­ten In­di­zi­en nicht dar­auf ge­schlos­sen wer­den kann, dass er we­gen ei­ner beim Be­klag­ten vor­han­de­nen Vor­stel­lung ei­ner Be­hin­de­rung nicht für die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le aus­gewählt wur­de.


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aa) Die Kam­mer ist zwar der Auf­fas­sung, dass die von­sei­ten des Klägers ge­schil­der­ten und letz­ten En­des un­strei­ti­gen Fra­gen des Zeu­gen N. im Hin­blick auf ei­ne psych­ia­tri­sche Er­kran­kung des Klägers bzw. auch die Fra­gen des Be­klag­ten bezüglich sei­ner Be­reit­schaft zur Un­ter­su­chung auf Vor­lie­gen der Er­kran­kung „Mor­bus Bech­te­rev“ ein­deu­tig dar­auf schließen las­sen, dass die Aus­wah­l­ent­schei­dung zu­min­dest auch von die­sen Fra­gen mit ge­prägt war. Wie be­reits das erst­in­stanz­li­che Ge­richt fest­ge­stellt hat, las­sen ge­ra­de die Nach­hal­tig­keit der ent­spre­chen­den Fra­gen, z. B. auch die Äußerung des Zeu­gen N., wo­nach die Schil­de­run­gen des Klägers im Rah­men des ers­ten Vor­stel­lungs­gesprächs ihm auffällig vor­ge­kom­men sei, so­wie auch das Be­geh­ren auf Aus­stel­len ei­ner schrift­li­chen Erklärung, der Kläger sei nicht in psych­ia­tri­scher Be­hand­lung, deut­lich dar­auf schließen, dass der­ar­ti­ge Er­kran­kun­gen für die Aus­wah­l­ent­schei­dung der Be­klag­ten mit ent­schei­dend wa­ren.


Der Zeu­ge N. hat darüber hin­aus auch im Rah­men sei­ner Zeu­gen­ein­ver­nah­me die In­dizwir­kung nicht ein­deu­tig wi­der­le­gen können. Ei­ne ein­deu­ti­ge Aus­sa­ge da­hin­ge­hend, dass auf­grund der Ge­halts­vor­stel­lun­gen des Klägers die­ser nicht zum Zu­ge ge­kom­men sei, kann der Aus­sa­ge die­ses Zeu­gen nicht ent­nom­men wer­den. Die­ser hat die Ge­halts­vor­stel­lun­gen des Klägers na­he­zu nicht zur Kennt­nis ge­nom­men. Er hat auch nichts dafür dar­ge­legt, dass et­wa im Rah­men in­ter­ner Be­spre­chun­gen die Ge­halts­vor­stel­lun­gen des Klägers als das maßgeb­li­che Kri­te­ri­um zur Aus­wahl her­an­ge­zo­gen wor­den wären. So­weit der Be­klag­te sich auf die Eig­nung des Klägers in­fol­ge des Nicht­be­ste­hens des Tests in be­stimm­ten Tei­len be­ru­fen hat, so hat dies zwar der Zeu­ge N. bestätigt, aus der Nach­hal­tig­keit der Nach­fra­ge des Zeu­gen oder auch des Be­klag­ten zum Ge­sund­heits­zu­stand des Klägers kann je­doch ge­schlos­sen wer­den, dass selbst ne­ben ei­ner ggf. zwei­fel­haf­ten Eig­nung des Klägers bzw. ei­nem bes­se­ren Ab­schnei­den des Mit­be­wer­bers auch die ge­sund­heit­li­chen Fra­gen für den Be­klag­ten von maßgeb­li­cher Be­deu­tung wa­ren.


Auf­grund der Nach­hal­tig­keit der Nach­fra­gen ist da­her die Kam­mer durch­aus der Auf­fas­sung, dass die­se In­di­zi­en für die Mit­ursächlich­keit bei der ge­fun­de­nen Ent­schei­dung des Be­klag­ten spre­chen und die­ser tatsächlich im Rah­men sei­ner Ent­schei­dung an­ge­nom­men hat, dass be­stimm­te ge­sund­heit­li­che Pro­ble­me beim Kläger vor­han­den sein könn­ten, was für die letz­ten En­des ge­trof­fe­ne Aus­wah­l­ent­schei­dung auch zu­min­dest mit ursächlich war. Dies ist aber auch aus­rei­chend, um vom Grund-
 


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satz her den Entschädi­gungs­an­spruch aus­zulösen. Der zu miss­bil­li­gen­de Grund muss nur Be­stand­teil ei­nes Mo­tivbündels sein, das zur Ent­schei­dung geführt hat (vgl. BAG Ur­teil vom 05.02.2004 - 8 AZR 112/03 zu § 611a BGB).


bb) Vor­aus­set­zung für ei­nen Entschädi­gungs­an­spruch gem. § 15 Abs. 2
AGG ist je­doch, dass gem. § 7 Abs. 1, 2. Halb­satz AGG die Be­nach­tei­li­gung dar­in be­steht, dass die Nicht­ein­stel­lung we­gen der An­nah­me des Vor­lie­gens ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des er­folgt. Dass dies der Fall war, kann die Kam­mer je­doch nicht er­ken­nen.


Dem An­spruch steht zwar nicht ent­ge­gen, dass der Kläger un­strei­tig nicht be­hin­dert ist. Ent­schei­dend für ei­ne Be­nach­tei­li­gung ist das Vor­lie­gen „in­ne­rer Tat­sa­chen“, d. h. die Mo­ti­va­ti­on des Be­nach­tei­li­gen­den. Dies er­gibt sich aus der For­mu­lie­rung des § 7 Abs. 1, 2. Halb­satz AGG (vgl. Bau­er/Göpfert/Krie­ger AGG § 7 Rn. 10).


Zwar mag beim Be­klag­ten, wie oben dar­ge­stellt, die An­nah­me vor­han­den ge­we­sen sein, dass der Kläger in ge­sund­heit­li­cher Hin­sicht Be­ein­träch­ti­gun­gen auf­zu­wei­sen hat. Die Kam­mer ist aber nicht der Auf­fas­sung, dass der Be­klag­te dies­bezüglich auch vom Vor­lie­gen ei­ner Be­hin­de­rung i. S. d. § 1 AGG aus­ge­gan­gen ist.


Das AGG selbst enthält kei­ne Be­griffs­be­stim­mung für die Be­hin­de­rung. Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Men­schen be­hin­dert, wenn ih­re körper­li­che Funk­ti­on, geis­ti­ge Fähig­keit oder see­li­sche Ge­sund­heit mit ho­her Wahr­schein­lich­keit länger als sechs Mo­na­te von dem für das Le­bens­al­ter ty­pi­schen Zu­stand ab­wei­chen und da­her ih­re Teil­ha­be am Le­ben in der Ge­sell­schaft be­ein­träch­tigt ist. Da das AGG nur von dem Be­nach­tei­lungs­merk­mal Be­hin­de­rung und nicht Schwer­be­hin­de­rung spricht, ist Vor­aus­set­zung je­den­falls nicht, dass ei­ne Schwer­be­hin­de­rung i. S. d. SGB IX vor­liegt. Aus­rei­chend ist in je­dem Fall ei­ne Be­hin­de­rung.


Das Ge­richt konn­te es letzt­lich da­hin­ge­stellt sein las­sen, ob die De­fi­ni­ti­on des § 2 Abs. 1 SGB IX auch dem Be­griff der Be­hin­de­rung i. S. d. AGG zu­grun­de zu le­gen ist. Der Eu­ropäische Ge­richts­hof hat in sei­ner Ent­schei­dung vom 11.07.2006 (NZA 2006, 839) dar­ge­legt, was un­ter der Be­hin­de­rung i. S. d. Richt­li­nie 2000/78/EG, zu de­ren Um­set­zung das AGG auch er­las­sen wur­de, zu ver­ste­hen ist. Da­nach muss es sich

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um ei­ne Ein­schränkung han­deln, die ins­be­son­de­re auf phy­si­sche, geis­ti­ge oder psy­chi­sche Be­ein­träch­ti­gun­gen zurück­zuführen ist und die ein Hin­der­nis für die Teil­ha­be des Be­tref­fen­den am Be­rufs­le­ben bil­det. Des Wei­te­ren muss wahr­schein­lich sein, dass die Ein­schränkung von lan­ger Dau­er ist. Der Eu­ropäische Ge­richts­hof ist in die­ser Ent­schei­dung in­so­weit auch zu dem Er­geb­nis ge­kom­men, dass Krank­heit als sol­che nicht oh­ne wei­te­res ein ver­bo­te­nes Dis­kri­mi­nie­rungs­merk­mal dar­stellt. Erst wenn die Krank­heit den Grad der Be­hin­de­rung er­reicht, wird sie vom Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bot er­fasst (vgl. hier­zu auch BAG Ur­teil vom 03.04.2007 - 9 AZR 823/06). Krank­heit al­lei­ne ist je­der re­gel­wid­ri­ge körper­li­che und geis­ti­ge Zu­stand (vgl. z. B. BAG Ur­teil vom 07.08.1991 - 5 AZR 410/90). Nicht je­de Krank­heit ist da­her mit ei­ner Be­hin­de­rung gleich­zu­set­zen. Maßgeb­li­ches Un­ter­schei­dungs­merk­mal ist in­so­weit die Dau­er­haf­tig­keit (vgl. EuGH a. a. O.).


Ent­schei­dend er­scheint in­so­weit, ob die von­sei­ten des Klägers im Rah­men der Vor­stel­lungs­gespräche ge­schil­der­ten Fra­gen un­zulässig wa­ren und in­so­weit auf ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­ner an­ge­nom­me­nen Be­hin­de­rung schließen las­sen.


Grundsätz­lich ist der Ar­beit­ge­ber be­rech­tigt, die ge­sund­heit­li­che Eig­nung des Ar­beit­neh­mers für die in Aus­sicht ge­nom­me­ne Tätig­keit zu er­kun­den oder sie im We­ge ei­ner Ein­stel­lungs­un­ter­su­chung über­prüfen zu las­sen. Er darf nur nicht we­gen ei­ner Be­hin­de­rung dis­kri­mi­nie­ren (vgl. Däubler/Bertz­bach AGG § 7 Rn. 35).


Be­reits un­ter die­sem Blick­win­kel er­scheint es der Kam­mer nicht als un­zulässi­ge Dis­kri­mi­nie­rung, wenn der Ar­beit­ge­ber nach psy­chi­schen Er­kran­kun­gen fragt, die die Eig­nung für die aus­zuüben­de Tätig­keit durch­aus be­ein­träch­ti­gen könn­ten, zu­mal wenn man der An­sicht des Erst­ge­richts fol­gen würde und er­heb­li­che Be­ein­träch­ti­gun­gen in der Leis­tungsfähig­keit in­fol­ge von De­pres­sio­nen oder „Mor­bus Bech­te­rev“ an­neh­men würde.


Selbst wenn man aber die ge­ne­rel­le Eig­nung des Klägers für die Tätig­keit nicht in Zwei­fel zie­hen und in­so­weit als An­lass für die Fra­gen nur das In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers se­hen würde, die An­zahl der Ar­beits­unfähig­keits­ta­ge möglichst ge­ring zu hal­ten (vgl. BAG Ur­teil vom 03.04.2007 - 9 AZR 823/06 a. E.), so läge den­noch nur ei­ne Fra­ge nach ei­ner Krank­heit und nicht nach ei­ner Be­hin­de­rung bzw. nach ei­nem
 


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Grund­lei­den, das un­ter Umständen zu Ein­schränkun­gen führen kann, vor. Ei­ne Be­nach­tei­li­gung des­we­gen ist aber nicht un­zulässig (vgl. Bau­er/Göpfert/Krie­ger AGG § 1 Rn. 41 a).


Die Kam­mer ist in­so­weit der Auf­fas­sung, dass den Fra­gen des Zeu­gen N. und des Be­klag­ten in­so­weit nicht zu ent­neh­men ist, dass die­se Per­so­nen be­reits vom Grad ei­ner Be­hin­de­rung aus­ge­gan­gen sind. Zunächst zie­len die Fra­gen auf das Vor­lie­gen ei­ner Er­kran­kung ab. Dies um­fasst so­wohl ei­ne psy­chi­sche Er­kran­kung als auch ggf. „Mor­bus Bech­te­rev“, wo­bei die Dar­stel­lung der Aus­sa­gen des Be­klag­ten durch den Kläger im drit­ten Vor­stel­lungs­gespräch vor al­lem auf ei­ne psy­chi­sche Er­kran­kung ab­zie­len, da der Be­klag­te aus der Er­kran­kung „Mor­bus Bech­te­rev“ die häufi­ge Fol­ge ei­ner De­pres­si­on ab­lei­tet. Aus den Fra­gen nach dem Vor­lie­gen der­ar­ti­ger Er­kran­kun­gen kann aber nicht ge­schlos­sen wer­den, dass die Ent­schei­dungs­träger bei der Be­set­zung der Stel­le da­von aus­ge­gan­gen sind, dass der Kläger be­reits der­art schwer­wie­gen­de Be­ein­träch­ti­gun­gen auf­zu­wei­sen hat, dass von ei­ner lang an­dau­ern­den Be­hin­de­rung der Teil­ha­be am Be­rufs­le­ben aus­zu­ge­hen ist. Dies schließt die Kam­mer ins­be­son­de­re dar­aus, dass der Be­klag­te mit dem Kläger durch­aus wei­te­re Gespräche zu­min­dest im Rah­men auch ei­ner Tätig­keit als frei­er Mit­ar­bei­ter geführt hat. Aber auch ge­ra­de für ei­ne Tätig­keit als frei­er Mit­ar­bei­ter wäre es von maßgeb­li­chem In­ter­es­se, ob die­ser ggf. an der­ar­ti­gen lang an­dau­ern­den Be­ein­träch­ti­gun­gen lei­det. Ob­wohl der Kläger es al­so ab­ge­lehnt hat, ei­ne schrift­li­che Erklärung über feh­len­de psych­ia­tri­sche Be­hand­lung vor­zu­le­gen bzw. sich auf „Mor­bus Bech­te­rev“ un­ter­su­chen zu las­sen, hat der Be­klag­te ei­ne freie Mit­ar­beit durch­aus in Be­tracht ge­zo­gen. Dies zeigt die Tat­sa­che, dass mit dem Kläger bezüglich der Mit­ar­beit beim Buch­pro­jekt zwei Vor­stel­lungs­gespräche geführt und ihm dies­bezüglich auch be­reits Bücher zur Vor­be­rei­tung aus­gehändigt wur­den. Wäre dem Be­klag­ten die Un­ter­su­chung auf „Mor­bus Bech­te­rev“ so maßgeb­lich ge­we­sen, dass er hier be­reits das Vor­lie­gen ei­ner Be­hin­de­rung, al­so ei­ner phy­si­schen, geis­ti­gen oder psy­chi­schen Be­ein­träch­ti­gung von lan­ger Dau­er, an­ge­nom­men hätte, hätte die­ser kaum die Beschäfti­gung des Klägers im Rah­men ei­ner frei­en Mit­ar­beit in Be­tracht ge­zo­gen. Je­den­falls spricht dies da­ge­gen, dass der Be­klag­te, selbst wenn er vom Vor­lie­gen bzw. der Ge­fahr ei­ner Er­kran­kung des Klägers aus­ge­gan­gen ist, je­den­falls ei­ne Schwe­re der Er­kran­kung i. S. ei­ner Be­hin­de­rung in Be­tracht ge­zo­gen hat. Selbst wenn der Be­klag­te al­so durch sei­ne und die­je­ni­gen Fra­gen des Zeu­gen N., die er sich zu­rech­nen las­sen

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muss, ein In­diz dafür ge­setzt hat, dass er das Vor­han­den­sein ggf. von Er­kran­kun­gen beim Kläger an­ge­nom­men hat, so heißt dies nicht gleich­zei­tig, dass er auch vom Vor­lie­gen der­art schwer­wie­gen­der dau­er­haf­ter Be­ein­träch­ti­gun­gen aus­ge­gan­gen ist, dass die­se be­reits als Be­hin­de­rung an­zu­se­hen wären. Selbst wenn Er­kran­kun­gen wie De­pres­sio­nen oder „Mor­bus Bech­te­rev“ ab ei­nem be­stimm­ten Sta­di­um den Grad der Be­hin­de­rung er­rei­chen können, kann aus Fra­gen da­nach nicht oh­ne wei­te­res dar­auf ge­schlos­sen wer­den, dass der Fra­gen­de das Vor­lie­gen ei­ner Be­hin­de­rung an­nimmt. Der Schutz des AGG geht in­so­weit auch nicht so weit, dass der nicht ge­nom­me­ne Be­wer­ber da­vor geschützt wer­den soll, dass die ab­leh­nen­de Ent­schei­dung dar­auf ba­siert, dass der Stel­len­be­set­zer an­nimmt, der Be­wer­ber könne in Zu­kunft das Sta­di­um der Be­hin­de­rung er­rei­chen. Der Schutz tritt erst ein, wenn die Be­nach­tei­li­gung des­we­gen er­folgt, weil der po­ten­zi­el­le Ar­beit­ge­ber vom Vor­lie­gen ei­ner Be­hin­de­rung aus­geht und des­we­gen die Stel­le nicht ver­gibt.


Da die Be­ru­fungs­kam­mer da­her der Auf­fas­sung ist, dass ei­ne Be­nach­tei­li­gung al­len­falls in­so­weit an­ge­nom­men wer­den konn­te, als von der An­nah­me beim Be­klag­ten aus­zu­ge­hen ist, dass die­ser das Vor­lie­gen von Krank­hei­ten, aber nicht das Vor­lie­gen ei­ner Be­hin­de­rung beim Kläger ver­mu­te­te, war auf die Be­ru­fung des Be­klag­ten hin das erst­in­stanz­li­che Ur­teil auf­zu­he­ben und die Kla­ge ab­zu­wei­sen.


2. Die Kos­ten­ent­schei­dung be­ruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.


III.

Gem. § 72 Abs. 2 ArbGG wur­de die Re­vi­si­on zum Bun­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­sen, da dem Rechts­streit ei­ne grundsätz­li­che Be­deu­tung im Hin­blick auf den Schutz des AGG bei ver­mu­te­ter Be­hin­de­rung bzw. künf­tig mögli­chem Ein­tre­ten der Be­hin­de­rung zu­kommt. Im Ein­zel­nen gilt:

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Rechts­mit­tel­be­leh­rung:


Ge­gen die­ses Ur­teil kann der Kläger Re­vi­si­on ein­le­gen.


Für den Be­klag­ten ist ge­gen die­ses Ur­teil kein Rechts­mit­tel ge­ge­ben.


Die Re­vi­si­on muss in­ner­halb ei­ner Frist von ei­nem Mo­nat ein­ge­legt und in­ner­halb ei­ner Frist von zwei Mo­na­ten be­gründet wer­den.
Bei­de Fris­ten be­gin­nen mit der Zu­stel­lung des in vollständi­ger Form ab­ge­fass­ten Ur­teils, spätes­tens aber mit Ab­lauf von fünf Mo­na­ten nach der Verkündung des Ur­teils.


Die Re­vi­si­on muss beim


Bun­des­ar­beits­ge­richt

Hu­go-Preuß-Platz 1

99084 Er­furt


Post­an­schrift:


Bun­des­ar­beits­ge­richt
99113 Er­furt


Fax-Num­mer:
(03 61) 26 36 - 20 00


ein­ge­legt und be­gründet wer­den.


Die Re­vi­si­ons­schrift und Re­vi­si­ons­be­gründung müssen von ei­nem Rechts­an­walt un­ter­zeich­net sein.

Neu­mei­er

Jo­hann

Am­micht
 


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Hin­weis der Geschäfts­stel­le:
Das Bun­des­ar­beits­ge­richt bit­tet, al­le Schriftsätze in sie­ben­fa­cher Aus­fer­ti­gung ein­zu­rei­chen.

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