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BAG, Ur­teil vom 13.03.2008, 2 AZR 1037/06

   
Schlagworte: Kündigung: Betriebsbedingt, Fremdvergabe, Kündigung: Austauschkündigung, Scheinselbständigkeit, Austauschkündigung
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 2 AZR 1037/06
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 13.03.2008
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht München, Urteil vom 13.05.2005, 14 Ca 12496/04
Landesarbeitsgericht München, Urteil vom 20.10.2006, 11 Sa 979/05
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

2 AZR 1037/06
11 Sa 979/05
Lan­des­ar­beits­ge­richt

München

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

13. März 2008

UR­TEIL


Schmidt, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläger, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­onskläger,

pp.

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Zwei­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf Grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 13. März 2008 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Prof. Dr. Rost, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Ey­lert und
 


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Schmitz-Scho­le­mann so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Dr. Ro­eckl und Eu­len für Recht er­kannt:

Die Re­vi­si­on des Klägers ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts München von 20. Ok­to­ber 2006 - 11 Sa 979/05 - wird auf Kos­ten des Klägers zurück­ge­wie­sen.

Von Rechts we­gen!


Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über die Wirk­sam­keit ei­ner auf be­trieb­li­che Gründe gestütz­ten or­dent­li­chen Kündi­gung.

Der 1950 ge­bo­re­ne Kläger war bei der Be­klag­ten seit 1997 zunächst als „Su­b­un­ter­neh­mer“, seit 1. Ja­nu­ar 2001 als Ar­beit­neh­mer in der Funk­ti­on ei­nes so ge­nann­ten „Mos­ki­to-An­schlägers“ tätig. Die Auf­ga­be ei­nes „Mos­ki­to-An­schlägers“ be­steht im An­brin­gen von Wer­be­pla­ka­ten an Schalt­schränken. Die Pla­ka­te wer­den da­bei in Wech­sel­rah­men ein­ge­spannt.

Im Ju­ni 2004 schloss die Be­klag­te mit dem bei ihr be­ste­hen­den Be­triebs­rat ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich. Dar­in ist die Ein­stel­lung sämt­li­cher ge­werb­li­cher Tätig­kei­ten, ins­be­son­de­re der Pla­ka­tie­rung, vor­ge­se­hen. In § 2 des In­ter­es­sen­aus­gleichs heißt es ua.:

§ 2
Durchführung


1. Ge­werb­li­che Mit­ar­bei­ter/Pla­ka­tie­rung


a) Die Ein­stel­lung der Be­rei­che Pla­ka­tie­rung und Ser­vice er­folgt zum 31. Au­gust 2004, für die Pla­kat­lo­gis­tik und -dis­tri­bu­ti­on zum 31. De­zem­ber 2004. Die be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis­se der in dem Be­reich täti­gen ge­werb­li­chen Mit­ar­bei­ter wer­den aus be­triebs­be­ding­ten Gründen un­ter Ein­hal­tung der je­weils gülti­gen Kündi­gungs­frist gekündigt. ...
 


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b) Den ge­werb­li­chen Mit­ar­bei­tern im Be­reich der Pla­ka­tie­rung wird an­ge­bo­ten, zukünf­tig für den Kon­zern als selbstständi­ge Un­ter­neh­mer die Pla­ka­tie­rungstätig­keit aus­zuüben.“

Nach Anhörung des Be­triebs­rats kündig­te die Be­klag­te dem Kläger mit Schrei­ben vom 29. Ju­li 2004 or­dent­lich zum 31. Au­gust 2004.

Der Kläger hat Kündi­gungs­schutz­kla­ge er­ho­ben. Er hat im We­sent­li­chen die Auf­fas­sung ver­tre­ten, die Ver­ga­be der Pla­ka­tie­rungs­ar­bei­ten an Su­b­un­ter­neh­mer ha­be nicht zum Weg­fall sei­nes Ar­beits­plat­zes geführt. Die so ge­nann­ten Su­b­un­ter­neh­mer sei­en nach wie vor als Ar­beit­neh­mer ein­zu­stu­fen, da sie wei­sungs­ge­bun­den tätig sei­en und kei­ner­lei ei­ge­ne un­ter­neh­me­ri­sche Frei­heit hätten. Die Pla­ka­tie­rung er­fol­ge un­verändert nach den vor­ge­ge­be­nen Lis­ten, die von den An­schlägern oh­ne Spiel­raum ab­zu­ar­bei­ten sei­en. In Wahr­heit han­de­le es sich um ei­ne un­zulässi­ge Aus­tauschkündi­gung. Der Kläger hat - so­weit für das Re­vi­si­ons­ver­fah­ren von In­ter­es­se - zu­letzt be­an­tragt:


Es wird fest­ge­stellt, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en durch die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 29. Ju­li 2004 nicht auf­gelöst wird.


Die Be­klag­te hat Kla­ge­ab­wei­sung be­an­tragt. Der Ar­beits­platz des Klägers sei ent­fal­len. Bei der Ver­ga­be der Pla­ka­tie­rungs­ar­bei­ten an Su­b­un­ter­neh­mer han­de­le es sich um ei­ne nur auf Willkür zu über­prüfen­de un­ter­neh­me­ri­sche Ent­schei­dung. Die künf­tig als Su­b­un­ter­neh­mer täti­gen An­schläger sei­en nicht in ar­beit­neh­mer­ty­pi­scher Wei­se abhängig. Die Bin­dung an Rou­ten und Ter­mi­ne er­ge­be sich aus der Na­tur der Sa­che.


Das Ar­beits­ge­richt hat die Kündi­gungs­schutz­kla­ge ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­ru­fung des Klägers zurück­ge­wie­sen. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt der Kläger sei­nen Kündi­gungs­schutz­an­trag wei­ter. Die Be­klag­te be­an­tragt Zurück­wei­sung der Re­vi­si­on.
 


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Ent­schei­dungs­gründe


Die Re­vi­si­on ist un­be­gründet. 


A. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge­ab­wei­sung im We­sent­li­chen 9 da­mit be­gründet, die Ent­schei­dung der Be­klag­ten, „Mos­ki­to-An­schläger“ künf­tig nur noch in frei­er Mit­ar­beit zu beschäfti­gen, sei we­der willkürlich noch of­fen­sicht­lich un­sach­lich. Die Beschäfti­gungs­verhält­nis­se der Su­b­un­ter­neh­mer sei­en nicht als Ar­beits­verhält­nis­se, son­dern als freie Mit­ar­bei­ter­verhält­nis­se zu be­wer­ten. Die Su­b­un­ter­neh­mer un­terlägen kei­nen ar­beit­neh­mer­ty­pi­schen Wei­sun­gen.

B. Dem stimmt der Se­nat zu. 


I. Die streit­ge­genständ­li­che Kündi­gung ist aus drin­gen­den be­trieb­li­chen Er­for­der­nis­sen so­zi­al ge­recht­fer­tigt, § 1 Abs. 2 KSchG.

1. Ei­ne Kündi­gung ist aus drin­gen­den be­trieb­li­chen Gründen ge­recht­fer­tigt, wenn sich der Ar­beit­ge­ber zu ei­ner or­ga­ni­sa­to­ri­schen Maßnah­me ent­schließt, bei de­ren Um­set­zung das Bedürf­nis für die Wei­ter­beschäfti­gung ei­nes oder meh­re­rer Ar­beit­neh­mer entfällt (vgl. Se­nat 29. März 1990 - 2 AZR 369/89 - BA­GE 65, 61, zu B II 1 der Gründe; neu­er­lich Se­nat 1. Fe­bru­ar 2007 - 2 AZR 710/05 - AP BGB § 162 Nr. 6 = EzA KSchG § 1 Be­triebs­be­ding­te Kündi­gung Nr. 153, zu B I 1 a der Gründe). Vom Ge­richt nach­zu­prüfen ist, ob ei­ne sol­che un­ter­neh­me­ri­sche Ent­schei­dung tatsächlich vor­liegt und durch ih­re Um­set­zung das Beschäfti­gungs­bedürf­nis für ein­zel­ne Ar­beit­neh­mer ent­fal­len ist. Da­ge­gen ist die Un­ter­neh­mer­ent­schei­dung selbst nicht auf ih­re sach­li­che Recht­fer­ti­gung oder ih­re Zweckmäßig­keit zu über­prüfen, son­dern nur dar­auf, ob sie of­fen­bar un­vernünf­tig oder willkürlich ist (Se­nat 7. De­zem­ber 1978 - 2 AZR 155/77 - BA­GE 31, 157, zu II 1 b der Gründe; 9. Mai 1996 - 2 AZR 438/95 - BA­GE 83, 127, zu B I 2 a der Gründe).


2. Die da­nach maßgeb­li­chen Vor­aus­set­zun­gen lie­gen vor. 



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a) Durch die im In­ter­es­sen­aus­gleich vom 29. Ju­ni 2004 um­schrie­be­nen Maßnah­men sind zum 31. Au­gust 2004 sämt­li­che ge­werb­li­chen Ar­beitsplätze im Be­reich Pla­ka­tie­ren ent­fal­len. Da­von ist auch der Ar­beits­platz des Klägers er­fasst. Künf­tig sol­len die Pla­ka­tie­rungs­ar­bei­ten aus­sch­ließlich von selbständig un­ter­neh­me­risch täti­gen Per­so­nen durch­geführt wer­den. Die ent­spre­chen­den Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts sind von der Re­vi­si­on nicht mit durch­grei­fen­den Ver­fah­rensrügen (§ 551 Abs. 3 Nr. 2b ZPO) an­ge­grif­fen wor­den und da­mit für den Se­nat bin­dend (§ 559 Abs. 2 ZPO).

b) Der Weg­fall des Bedürf­nis­ses an der Wei­ter­beschäfti­gung des Klägers als Ar­beit­neh­mer kann nicht des­halb in Zwei­fel ge­zo­gen wer­den, weil durch die von der Be­klag­ten nach dem In­ter­es­sen­aus­gleich an­ge­bo­te­nen „Su­b­un­ter­neh­mer­verträge“ le­dig­lich „ver­schlei­er­te“ Ar­beits­verhält­nis­se entstünden und das vor­ge­ge­be­ne un­ter­neh­me­ri­sche Kon­zept aus Rechts­gründen in Wahr­heit nicht durch­geführt wer­de, wie die Re­vi­si­on dies gel­tend macht. Die von der Be­klag­ten an­ge­streb­te Um­ge­stal­tung der Ver­trags­be­zie­hung würde viel­mehr das Rechts­verhält­nis des Klägers von ei­nem Ar­beits­verhält­nis in ein frei­es Mit­ar­bei­ter­verhält­nis überführen. Das ist recht­lich nicht zu be­an­stan­den.

aa) Das Be­ru­fungs­ge­richt hat den von der Be­klag­ten vor­ge­leg­ten Su­b­un­ter­neh­mer­ver­trag zu Recht da­hin­ge­hend aus­ge­legt, dass „Mos­ki­to-An­schläger“ als freie Mit­ar­bei­ter/Su­b­un­ter­neh­mer und nicht als Ar­beit­neh­mer tätig wer­den sol­len.

(1) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt ist bei sei­ner Aus­le­gung von der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts zur Ab­gren­zung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses von dem Rechts­verhält­nis ei­nes frei­en Mit­ar­bei­ters aus­ge­gan­gen. Bei­de Ver­trags­verhält­nis­se un­ter­schei­den sich durch den Grad der persönli­chen Abhängig­keit, in der sich der zur Dienst­leis­tung Ver­pflich­te­te be­fin­det, wo­bei ei­ne wirt­schaft­li­che Abhängig­keit we­der er­for­der­lich noch aus­rei­chend ist. Ar­beit­neh­mer ist, wer auf Grund ei­nes pri­vat­recht­li­chen Ver­trags im Diens­te ei­nes an­de­ren zur Leis­tung wei­sungs­ge­bun­de­ner, fremd­be­stimm­ter Ar­beit in persönli­cher Abhängig­keit ver­pflich­tet ist (BAG 16. Fe­bru­ar 2000 - 5 AZB

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71/99 - BA­GE 93, 310, zu II 2 b aa der Gründe; 26. Sep­tem­ber 2002 - 5 AZB 19/01 - BA­GE 103, 20, zu B II 1 der Gründe).

(a) Die ver­trag­lich ge­schul­de­te Leis­tung ist im Rah­men ei­ner von Drit­ten be­stimm­ten Ar­beits­or­ga­ni­sa­ti­on zu er­brin­gen. Die Ein­glie­de­rung in die frem­de Ar­beits­or­ga­ni­sa­ti­on zeigt sich ins­be­son­de­re dar­in, dass der Beschäftig­te ei­nem Wei­sungs­recht sei­nes Ver­trags­part­ners (Ar­beit­ge­bers) un­ter­liegt. Das Wei­sungs­recht kann In­halt, Durchführung, Zeit, Dau­er und Ort der Tätig­keit be­tref­fen. Ar­beit­neh­mer ist der­je­ni­ge Mit­ar­bei­ter, der nicht im We­sent­li­chen frei sei­ne Tätig­keit ge­stal­ten und sei­ne Ar­beits­zeit be­stim­men kann (BAG 22. April 1998 - 5 AZR 342/97 - BA­GE 88, 263, zu I 1 der Gründe mwN; 19. Ja­nu­ar 2000 - 5 AZR 644/98 - BA­GE 93, 218, zu B III 1 a der Gründe). Selbständig ist da­ge­gen, wer im We­sent­li­chen frei sei­ne Tätig­keit ge­stal­ten und sei­ne Ar­beits­zeit be­stim­men kann, § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB.

(b) Der je­wei­li­ge Ver­trags­typ er­gibt sich aus dem wirk­li­chen Geschäfts­in­halt. Wi­der­spre­chen sich Ver­ein­ba­rung und tatsächli­che Durchführung, ist das Letz­te­re maßge­bend. Da­bei kommt es auf ei­ne Ge­samtwürdi­gung der Umstände des Ein­zel­falls an (BAG 6. Mai 1998 - 5 AZR 347/97 - BA­GE 88, 327, zu I 1 der Gründe; 20. Sep­tem­ber 2000 - 5 AZR 271/99 - BA­GE 95, 324, zu I 1 der Gründe; 9. März 2005 - 5 AZR 493/04 - AP BGB § 611 Leh­rer, Do­zen­ten Nr. 167 = EzA BGB 2002 § 611 Ar­beit­neh­mer­be­griff Nr. 3, zu II 1 a der Gründe).


(2) Die ver­trag­lich vor­ge­se­he­ne Art der Tätig­keit - Pla­ka­t­an­schlag - spricht nicht schon für sich für das Be­ste­hen ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses. Nach dem Ver­trags­ge­gen­stand soll der Be­tref­fen­de mit der lau­fen­den Be­ar­bei­tung der in den Tou­ren­lis­ten auf­geführ­ten Schalt­schrank­rah­men in München be­fasst wer­den und ins­be­son­de­re Pla­ka­te an­brin­gen, Wech­sel un­brauch­ba­rer Mo­tiv­träger durchführen und Fremdkörper auf den Schalt­schränken be­sei­ti­gen. Die­se Tätig­keit, die außer­halb ei­ner vor­ge­prägten, räum­lich fest­ge­leg­ten be­trieb­li­chen Or­ga­ni­sa­ti­on er­folgt, er­for­dert nicht von vorn­her­ein ei­ne Ein­bin­dung in ein kon­kre­tes, mit an­de­ren Per­so­nen ab­zu­stim­men­des Ord­nungs­gefüge und lässt sich in der auch räum­lich weitläufi­gen Art so­wohl - wie bis­her - im Ar­beits-
 


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verhält­nis, als auch in frei­er Mit­ar­beit prak­ti­zie­ren (vgl. zu Pla­kat­kle­be­ar­bei­ten: BAG 25. Ju­ni 1996 - 1 ABR 6/96 -).

(3) Mit den Re­ge­lun­gen des von der Be­klag­ten vor­ge­leg­ten Ver­trags­mus­ters ist kein Ar­beits­verhält­nis, son­dern das­je­ni­ge ei­nes Un­ter­neh­mers be­schrie­ben.

(a) Nach Nr. 2 des Ver­trags ver­pflich­tet sich der Auf­trag­neh­mer zur pünkt­li­chen An­brin­gung der Pla­ka­te nach Vor­ga­be der Auf­trag­ge­be­rin so, wie es die so ge­nann­ten Tou­ren­lis­ten (Tou­ren­pläne) vor­se­hen. Der Re­vi­si­on ist zu­zu­ge­ben, dass der Tou­ren­plan den Tag der Pla­ka­tie­rung und die je­wei­li­gen Or­te vor­gibt. In­des bringt je­de ver­trag­li­che Bin­dung - auch die des frei­en Un­ter­neh­mers - ei­ne ge­wis­se Ein­schränkung der Frei­heit mit sich. Die­se mit jeg­li­cher Ver­trags­bin­dung ein­her­ge­hen­de Frei­heits­ein­buße führt aber nicht stets da­zu, dass ein Ar­beits­verhält­nis entstünde. Das ist erst dann der Fall, wenn die Be­gren­zung der persönli­chen Frei­heit, ins­be­son­de­re in räum­li­cher und zeit­li­cher Hin­sicht, ei­ne Dich­te er­reicht, die sich nicht al­lein aus der Na­tur der zu leis­ten­den Tätig­keit, son­dern ge­ra­de aus der ver­trag­lich dem Ar­beit­ge­ber zu­ge­stan­de­nen Verfügungs­macht über die Ar­beits­leis­tung er­gibt. Der hier in Re­de ste­hen­de ver­trag­li­che Rah­men für den „Mos­ki­to-An­schläger“ folgt je­doch zwin­gend aus dem Um­stand, dass die mit Pla­ka­ten zu bestücken­den Schalt­schränke fest in­stal­liert sind und da­mit ein be­stimm­ter Ab­lauf der Tätig­keit von vorn­her­ein zu­min­dest na­he­liegt. In­ner­halb die­ser Gren­zen ist der Auf­trag­neh­mer aber im We­sent­li­chen frei sei­ne Tätig­keit zu ge­stal­ten. We­der dem Ver­trag noch dem Tou­ren­plan ist ei­ne ge­naue zeit­li­che Vor­ga­be zu ent­neh­men, bis zu wel­chen Zeit­punkt der Auf­trag aus­geführt sein muss. Es wird nur der Wo­chen­tag vor­ge­ge­ben und da­mit ein 24 St­un­den um­fas­sen­der Zeit­kor­ri­dor. Ei­ne en­ge­re Vor­ga­be lässt sich auch nicht aus dem - von der Be­klag­ten aus­drück­lich be­strit­te­nen - Vor­trag des Klägers ent­neh­men, die Pla­ka­tie­rung sol­le „möglichst frühzei­tig“ am je­wei­li­gen Tag er­fol­gen. Dar­in liegt kei­ne zeit­li­che Wei­sung.
 


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(b) Auch aus der so ge­nann­ten „Frachtführer“-Ent­schei­dung des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 19. No­vem­ber 1997 (- 5 AZR 653/96 - BA­GE 87, 129) er­gibt sich, ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Re­vi­si­on, nichts an­de­res. Im dort ent­schie­de­nen Fall war der Frachtführer ver­pflich­tet, sich spätes­tens um 6.00 Uhr am De­pot der Auf­trag­ge­be­rin ein­zu­fin­den, um die zu­zu­stel­len­den Wa­ren zu über­neh­men. Bis spätes­tens 8.00 Uhr muss­te das De­pot wie­der ver­las­sen wer­den. Die zu­ge­wie­se­nen Fracht­aufträge wa­ren in en­gen, vom Auf­trag­ge­ber vor­ge­ge­be­nen Zeit­fens­tern (bis 9.00 Uhr, bis 10.00 Uhr, bis 12.00 Uhr) ab­zu­wi­ckeln und ab 11.00 Uhr muss­te sich der Frachtführer stünd­lich mit der Dis­po­si­ti­on in Ver­bin­dung set­zen. Bei der­art stren­gen zeit­li­chen Vor­ga­ben war die Zeit­sou­veränität der Mit­ar­bei­ter der Sa­che nach auf­ge­ho­ben. Sol­che ein­ge­hen­den Vor­ga­ben des Auf­trag­ge­bers feh­len hier. Es wird le­dig­lich der Zeit­punkt der Auf­trags­ausführung auf ei­nen be­stimm­ten Wo­chen­tag ein­ge­schränkt. Dar­in liegt ei­ne bei vie­len „frei­en“ Ver­trags­verhält­nis­sen an­zu­tref­fen­de Ver­ab­re­dung über den zeit­li­chen Rah­men (vgl. BAG 25. Ju­ni 1996 - 1 ABR 6/96 -).

(c) So­weit die Re­vi­si­on in die­sem Zu­sam­men­hang auf die so ge­nann­te „Zei­tungs­zu­stel­ler“-Ent­schei­dung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (16. Ju­li 1997 - 5 AZR 312/96 - BA­GE 86, 170) hin­weist, führt auch dies nicht zur An­nah­me ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses. An­ders als bei den Zei­tungs­zu­stel­lern, die ih­re Ar­beits­leis­tung werktäglich in­ner­halb ei­nes en­gen, nur we­ni­ge St­un­den in der Frühe um­fas­sen­den Zeit­fens­ters ver­rich­ten müssen, steht es dem „Mos­ki­to-An­schläger“ frei, sei­ne Ar­beits­zeit in­ner­halb von 24 St­un­den an ei­nem vor­ge­ge­be­nen Wo­chen­tag zu er­brin­gen. Da­mit ist - bei nur spo­ra­di­schen Kon­trol­len - kei­ne den Zei­tungs­zu­stel­lern ähn­li­che Ein­bin­dung in die Ar­beits­or­ga­ni­sa­ti­on des Auf­trag­ge­bers ver­bun­den.

(d) Außer­dem ist der Auf­trag­neh­mer nach Nr. 1 Satz 2 des Ver­trags aus­drück­lich be­rech­tigt, sich der Hil­fe Drit­ter zu be­die­nen. Da­mit re­geln die Par­tei­en - in be­wuss­ter Ab­wei­chung von § 613 BGB - die Möglich­keit für den Auf­trag­neh­mer, die Dienst­leis­tung nicht in Per­son zu er­brin­gen, son­dern Drit­te ein­zu­set­zen. Ty­pisch für ein Ar­beits­verhält­nis ist aber die persönli­che Ver-
 


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pflich­tung zur Dienst­leis­tung, die grundsätz­lich ei­ner Über­tra­gung der Dienst­ver­pflich­tung an ei­nen Drit­ten ent­ge­gen­steht (ErfK/Preis 8. Aufl. § 613 BGB Rn. 2 f.).


(e) Ge­gen ein Ar­beits­verhält­nis spricht auch die Re­ge­lung in Nr. 1 Satz 3 des Ver­trags, durch die dem Auf­trag­neh­mer auch aus­drück­lich die Be­rech­ti­gung zu­ge­stan­den wird, für an­de­re Un­ter­neh­men ggf. der glei­chen Bran­che tätig zu wer­den. Ei­ne sol­che Re­ge­lung, die letzt­lich aus­drück­lich ei­ne Kon­kur­renztätig­keit zulässt, ist für ein Ar­beits­verhält­nis un­ty­pisch (vgl. § 60 HGB).

(f) Die in Nr. 3 Ab­satz 2 des Ver­trags vor­ge­se­he­nen Be­richts­pflich­ten spre­chen nicht für ein Ar­beits­verhält­nis. Die­se Be­richts­pflich­ten be­zie­hen sich nicht auf die Art und Wei­se der Durchführung des Auf­trags und da­mit die Ge­stal­tung der Tätig­keit des frei­en Mit­ar­bei­ters bzw. Su­b­un­ter­neh­mers, son­dern be­tref­fen den Zu­stand der vom Auf­trag­ge­ber be­wirt­schaf­te­ten Aus-hang­stel­len. Ein Ein­fluss des Auf­trag­ge­bers auf die Ausführung des Auf­trags im Sin­ne der Ausübung des Di­rek­ti­ons­rechts kann dar­aus nicht ab­ge­lei­tet wer­den.

bb) Die Um­stel­lung des Kon­zepts, das zum Weg­fall der Beschäfti­gungsmöglich­keit des Klägers geführt hat, ist als freie Un­ter­neh­mer­ent­schei­dung ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Re­vi­si­on nicht of­fen­sicht­lich un­sach­lich oder willkürlich. Das hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt eben­falls zu­tref­fend er­kannt.

(1) Ei­ne be­schlos­se­ne und tatsächlich durch­geführ­te Un­ter­neh­mer­ent­schei­dung hat die Ver­mu­tung für sich, dass sie aus sach­li­chen Gründen er­folgt ist (vgl. Se­nat 30. April 1987 - 2 AZR 184/86 - BA­GE 55, 262, zu III 2 c der Gründe; 24. Ok­to­ber 1979 - 2 AZR 940/77 - BA­GE 32, 150, zu II 2 a der Gründe). Rechts­miss­brauch ist die Aus­nah­me (vgl. Se­nat 21. Fe­bru­ar 2002 - 2 AZR 556/00 - EzA KSchG § 2 Nr. 45, zu II 2 der Gründe). Im Kündi­gungs­schutz­pro­zess hat der Ar­beit­neh­mer die Umstände dar­zu­le­gen und im Streit­fall zu be­wei­sen, aus de­nen sich er­ge­ben soll, dass die ge­trof­fe­ne in­ner­be­trieb­li­che Struk­tur­maßnah­me of­fen­bar un­sach­lich, un­vernünf­tig oder willkürlich ist (Se­nat 21. Sep­tem­ber 2006 - 2 AZR 607/05 - Rn. 31, AP KSchG 1969 § 2 Nr. 130 =


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EzA KSchG § 2 Nr. 62 mwN; 17. Ju­ni 1999 - 2 AZR 522/98 - BA­GE 92, 61, zu II 1 c der Gründe). Die­se Auf­fas­sung erfährt in der Li­te­ra­tur weit­ge­hend Zu­stim­mung (vgl. mit Un­ter­schie­den im Ein­zel­nen: APS/Kiel 3. Aufl. § 1 KSchG Rn. 463 ff.; ErfK/Oet­ker 8. Aufl. § 1 KSchG Rn. 263; v. Ho­y­nin­gen-Hue­ne/Linck KSchG 14. Aufl. § 1 Rn. 705 ff.; HWK/Quecke 2. Aufl. § 1 KSchG Rn. 267; KR-Grie­be­ling 8. Aufl. § 1 KSchG Rn. 521 ff.; Stahl­ha­cke/Preis/Vos­sen-Preis Kündi­gung und Kündi­gungs­schutz im Ar­beits­verhält­nis 9. Aufl. Rn. 1035).


(2) Die Re­vi­si­on ist der Auf­fas­sung, die Ent­schei­dung sei des­halb of­fen­sicht­lich un­sach­lich und willkürlich, weil sie ein­zig da­zu die­ne dem Kläger den Sta­tus ei­nes kündi­gungs­geschützen Ar­beit­neh­mers zu ent­zie­hen. In­des hat die Be­klag­te ih­re Un­ter­neh­mer­ent­schei­dung im Zu­sam­men­hang mit ei­ner tief­grei­fen­den Neu­ord­nung be­schlos­sen. Dass auch künf­tig die Pla­ka­te an den Schalt­schränken an­zu­brin­gen sind, steht hier­bei außer Zwei­fel. Es ist aber von der Un­ter­neh­mer­frei­heit ge­deckt, wenn die Be­klag­te sich ent­schließt, die­se Bestückung nicht mehr selbst un­ter Ein­satz ei­ge­ner Ar­beit­neh­mer vor­zu­neh­men, son­dern durch Drit­te vor­neh­men zu las­sen. Das Ge­setz zwingt den Markt­teil­neh­mer nicht, den Be­darf an Leis­tun­gen aus­sch­ließlich durch Ar­beits­verträge zu de­cken. Er kann viel­mehr auf je­den recht­lich zulässi­gen Ver­trags­typ zurück­grei­fen, muss aber dann auch die je­wei­li­gen - auch nach­tei­li­gen - recht­li­chen Fol­gen in Kauf neh­men. So ver­zich­tet er, wenn er kei­ne Ar­beits­verträge schließt, auf das Di­rek­ti­ons­recht. Die Be­klag­te be­gibt sich in Um­set­zung ih­rer un­ter­neh­me­ri­schen Ent­schei­dung ih­res ge­ra­de durch das persönli­che Wei­sungs­recht ge­prägten Ein­flus­ses auf ih­re vor­ma­li­gen Ar­beit­neh­mer. Von ei­nem schlich­ten Ab­strei­fen des Be­stands­schut­zes un­ter Bei­be­hal­tung des Wei­sungs­rechts kann im Streit­fall kei­ne Re­de sein.

II. Die Kündi­gung ist nicht aus an­de­ren Gründen un­wirk­sam. Dass die Be­klag­te ih­re im In­ter­es­sen­aus­gleich fest­ge­leg­ten Ver­pflich­tun­gen nicht ein­ge­hal­ten hat, ist we­der vor­ge­tra­gen noch sonst er­sicht­lich.
 


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III. Die Kos­ten der er­folg­lo­sen Re­vi­si­on fal­len dem Kläger nach § 97 Abs. 1 ZPO zur Last.

Rost 

Ey­lert 

Schmitz-Scho­le­mann

K. Ro­eckl 

Jan Eu­len

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