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LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 17.02.2012, 10 Sa 1734/11

   
Schlagworte: Gehalt: Stundung, Lohn und Gehalt: Stundung
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen: 10 Sa 1734/11
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 17.02.2012
   
Leitsätze: Die Stundung von Arbeitsentgelt ist in der Regel auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses beschränkt.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 21.06.2011, 8 Ca 10626/09
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt

Ber­lin-Bran­den­burg

 

Verkündet

am 17. Fe­bru­ar 2012

Geschäfts­zei­chen (bit­te im­mer an­ge­ben)

10 Sa 1734/11

8 Ca 10626/09
Ar­beits­ge­richt Ber­lin  

G.-K.,
Ge­richts­beschäfti­ge
als Ur­kunds­be­am­ter/in
der Geschäfts­stel­le


Im Na­men des Vol­kes

 

Ur­teil

In Sa­chen

pp

hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, 10. Kam­mer,
auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 17. Fe­bru­ar 2012
durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt W.-M. als Vor­sit­zen­den
so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Herrn D. und Frau K.

für Recht er­kannt:

Auf die Be­ru­fung der Be­klag­ten wird das Vor­be­halts­ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ber­lin vom 21. Ju­ni 2011 - 8 Ca 10626/09 - ge­ringfügig ab­geändert und zur Klar­stel­lung neu ge­fasst.

I.
Die Be­klag­te wird un­ter dem Vor­be­halt der rechts­kräfti­gen Ent­schei­dung über die von ihr mit Schrift­satz vom 30. März 2009 erklärte Auf­rech­nung mit Scha­den­er­satz­ansprüchen aus vorsätz­lich be­gan­ge­nen un­er­laub­ten Hand­lun­gen (Land­ge­richt Ber­lin, Az.: 16 O …/08) ver­ur­teilt, an den Kläger

1.
24.627,00 EUR brut­to (vier­und­zwan­zig­tau­send­sechs­hun­dert­sie­ben­und­zwan­zig) abzüglich 1.582,83 EUR net­to (ein­tau­sendfünf­hun­dert­zwei­und­acht­zig 83/100) (Ab­zugs­beträge So­zi­al­ver­si­che­rung gemäß den für Ok­to­ber 2005 bis Ju­ni 2006 er­teil­ten Ab­rech­nun­gen) so­wie abzüglich wei­te­rer 1.100,00 EUR net­to (ein­tau­send­ein­hun­dert) nebst Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 28. Ja­nu­ar 2009 zu zah­len;

2.
702,64 EUR brut­to (sie­ben­hun­dert­zwei 64/100) nebst Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 1. Sep­tem­ber 2007 zu zah­len;

 

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II.
Im Übri­gen wird die Be­ru­fung zurück­ge­wie­sen.

III.
Die Kos­ten des Rechts­streits vor dem Ar­beits­ge­richt trägt der Kläger bei ei­nem Ge­samt­ver­fah­rens­streit­wert zu 36,41% und die Be­klag­te zu 63,59%.

Die Kos­ten des Be­ru­fungs­ver­fah­rens trägt der Kläger zu 8,19% und die Be­klag­te zu 91,81%.

IV.
Der Wert des Be­ru­fungs­ver­fah­rens wird auf 24.666,90 EUR fest­ge­setzt.

V.
Die Re­vi­si­on wird nicht zu­ge­las­sen.

 

- 4 -

T a t b e s t a n d

Die Par­tei­en strei­ten um Vergütungs­ansprüche des Klägers aus der Zeit von Ok­to­ber 2005 bis März 2007 so­wie Rest­ur­laubs­ab­gel­tungs­ansprüche.

Der Kläger ist 36 Jah­re alt (…… 1976) und war nach er­folg­rei­cher Ab­sol­vie­rung ei­ner Aus­bil­dung bei der Be­klag­ten seit Ok­to­ber 2001 dort in der Zeit vom Sep­tem­ber 2004 bis ein­sch­ließlich Au­gust 2007 mit ei­nem mo­nat­li­chen Brut­to­ge­halt von 1.903,00 EUR beschäftigt.

Die zu­letzt noch of­fe­nen Vergütungs­ansprüche in Höhe von 24.627,00 EUR brut­to abzüglich 1.582,83 EUR net­to so­wie abzüglich wei­te­rer 1.100,00 EUR net­to so­wie die Ur­laubs­gel­tung in Höhe von 2.722,73 EUR für 31 Ur­laubs­ta­ge (87,83 EUR je Ur­laubs­tag) sind in rech­ne­ri­scher Höhe un­strei­tig.

Ge­gen die Vergütungs­ansprüche wen­det die Be­klag­te ei­ne fort­dau­ern­de St­un­dungs­ver­ein­ba­rung der Par­tei­en ein.

Der Kläger be­strei­tet die St­un­dungs­ab­re­de. Es ha­be zwar im Som­mer 2006 ein Gespräch des Geschäftsführers der Be­klag­ten mit ihm ge­ge­ben, doch ha­be es sich le­dig­lich um ei­nen Mo­no­log des Geschäftsführers ge­han­delt, zu dem sich der Kläger nicht geäußert ha­be.

Zur Ur­laubs­ab­gel­tung meint der Kläger, dass er ei­ne sol­che für 31 Ta­ge be­an­spru­chen könne. Wie in den Ab­rech­nun­gen aus­ge­wie­sen, sei der Ver­fall des Ur­laubs zum En­de des Ka­len­der­jah­res oder zum En­de des Über­tra­gungs­zeit­raums nicht prak­ti­ziert wor­den. Es sei auch nicht nur in den Ab­rech­nun­gen der Rest­ur­laub des Vor­jah­res un­be­fris­tet auf­geführt wor­den, son­dern es sei auch so prak­ti­ziert wor­den.

Die Be­klag­te er­wi­dert, dass es auf­grund er­heb­li­cher wirt­schaft­li­cher Schwie­rig­kei­ten der Be­klag­ten mit dem Kläger wie mit ei­ni­gen an­de­ren Ar­beit­neh­mern Ab­spra­chen ge­ge­ben ha­be, dass nur noch ein klei­ne­rer Teil des Ge­hal­tes aus­ge­zahlt wer­de und die übri­ge ge­stun­de­te Vergütung erst wie­der im Jahr 2007 nach­ge­zahlt wer­de, wenn die Be­klag­te ei­nen Ge­winn er­wirt­schaf­te, der zur Be­glei­chung der Ver­bind­lich­kei­ten rei­che. Für den

 

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Fall ei­nes un­zu­rei­chen­den Ge­win­nes im Jah­re 2007 wer­de die Fällig­keit auf die Jah­re 2008 oder später her­aus­ge­scho­ben.

Es ha­be zwar wohl mit dem Kläger kei­ne schrift­li­che Ver­ein­ba­rung ge­ge­ben, aber der Kläger sei mit den Kon­di­tio­nen ähn­lich der schrift­li­chen St­un­dungs­ver­ein­ba­rung mit dem Ar­beit­neh­mer K. (Bl. 798-799 d.A.) ein­ver­stan­den ge­we­sen. Nach ei­nem Vor­gespräch des Klägers mit dem Ar­beit­neh­mer G. während ei­ner Rauch­pau­se am 4. Ju­li 2006 sei ei­ne ent­spre­chen­de Ver­ein­ba­rung zwi­schen dem Geschäftsführer der Be­klag­ten I. R. und dem Kläger zu­stan­de ge­kom­men. Die­se sei mit den ein­zel­nen Ar­beit­neh­mern je­weils in­di­vi­du­ell un­ter­schied­lich zu­stan­de ge­kom­men.

Die Be­klag­te hat ei­ne den Be­haup­tun­gen des Klägers ent­spre­chen­de Hand­ha­bung des Um­gangs mit dem Rest­ur­laub be­strit­ten.

Die Par­tei­en strei­ten in ei­nem Rechts­streit 16 O …./08 vor dem Land­ge­richt Ber­lin u.a. um ur­he­be­recht­li­che und wett­be­werbs­recht­li­che Scha­den­er­satz­ansprüche. Die­ses Ver­fah­ren wird der­zeit vor dem Kam­mer­ge­richt im Ver­fah­ren 24 U …./11 ver­han­delt. Mit die­sen Scha­den­er­satzsprüchen hat die Be­klag­te hilfs­wei­se auf­ge­rech­net.

Das Ar­beits­ge­richt hat der Kla­ge mit ei­nem Vor­be­halts­ur­teil vom 21. Ju­ni 2011 statt­ge­ge­ben und die vorläufi­ge Voll­streck­bar­keit aus­ge­schlos­sen. Zur Be­gründung hat es aus­geführt, dass auf­grund der Auf­rech­nung mit ei­ner rechts­weg­frem­den For­de­rung und dem Um­stand, dass die dor­ti­gen Scha­den­er­satz­for­de­run­gen die hie­si­gen Vergütungs­for­de­run­gen er­heb­lich über­stei­gen würden, der ar­beits­ge­richt­li­che Rechts­streit nach Rechts­kraft an das Land­ge­richt ver­wie­sen wer­den sol­le.

Das Ar­beits­ge­richt hat wei­ter aus­geführt, dass der Vergütungs­an­spruch des Klägers der Höhe nach un­strei­tig sei und dass die­ser we­der ge­stun­det, noch verjährt oder ver­wirkt sei.

Der Vor­trag der Be­klag­ten sei in­kon­sis­tent. Denn zunächst ha­be die Be­klag­te an­ge­deu­tet, dass es ei­ne schrift­li­che St­un­dungs­ver­ein­ba­rung mit dem Kläger ge­be. Später ha­be die Be­klag­te sich je­doch auf münd­li­che Ab­spra­chen be­schränkt. Als münd­li­che Ver­ein­ba­rung sei der Vor­trag der

 

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Be­klag­ten aber zu all­ge­mein ge­blie­ben, um da­mit ei­ne St­un­dung an­zu­neh­men. Denn es sei da­zu nicht kon­kret ver­ein­bart wor­den, bis zu wel­chem Zeit­punkt die rückständi­gen Gehälter ge­zahlt würden.

An­ge­sichts der vom Kläger zwar nicht ver­ein­bar­ten, aber hin­ge­nom­me­nen Ge­haltskürzun­gen aus wirt­schaft­li­chen Gründen sei es treu­wid­rig, die­sem Um­stand nun­mehr die Ein­re­de der Verjährung ent­ge­gen zu hal­ten.

Da die Kla­ge­for­de­rung aus Sicht der Be­klag­ten noch gar nicht fällig sei, könne sie auch nicht dar­auf ver­trau­en, vom Kläger nicht für die rückständi­ge Vergütung in An­spruch ge­nom­men zu wer­den.

Der Ur­laubs­an­spruch des Klägers be­ste­he in dem in der letz­ten Ge­halts­ab­rech­nung aus­ge­wie­se­nen Um­fang, da die Be­klag­te dem Vor­brin­gen des Klägers, dass das auch der Pra­xis ent­spro­chen ha­be, nicht hin­rei­chend ent­ge­gen­ge­tre­ten sei.

Ge­gen die­ses dem Be­klag­ten­ver­tre­ter am 19. Ju­li 2011 zu­ge­stell­te Ur­teil leg­te die­ser am 19. Au­gust 2011 Be­ru­fung ein und be­gründe­te die­se am 19. Sep­tem­ber 2011.

Die Be­klag­te führt aus, dass den Vergütungs­ansprüchen des Klägers ei­ne wirk­sa­me St­un­dungs­ab­re­de ent­ge­gen­ste­he. Da­zu schil­der­te die Be­klag­te im Ein­zel­nen das Zu­stan­de­kom­men die­ser Ab­re­de so­wie die In­di­vi­dua­lität der mit meh­re­ren Ar­beit­neh­mern ver­ein­bar­ten St­un­dun­gen. Im Ein­zel­nen wird auf den Vor­trag der Be­klag­ten auf Sei­te 5-14 der Be­ru­fungs­be­gründung (Bl. 992-1001 d.A.) ver­wie­sen.

Hin­sicht­lich der Ur­laubs­ab­gel­tung hat die Be­klag­te noch ein­mal aus­drück­lich ih­ren Vor­trag ers­ter In­stanz be­kräftigt, dass es ge­ra­de kei­ne den An­ga­ben in der Ab­rech­nung ent­spre­chen­de be­trieb­li­che Pra­xis ge­ge­ben ha­be.

 

- 7 -

Die Be­klag­te und Be­ru­fungskläge­rin be­an­tragt,

un­ter Abände­rung des Vor­be­halts­ur­teils des Ar­beits­ge­richts Ber­lin vom 21. Ju­ni 2011 - Geschäfts­zei­chen: 8 Ca 10626/09 - die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Der Kläger und Be­ru­fungs­be­klag­te be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Der Kläger be­strei­tet den Ab­schluss ei­ner St­un­dungs­ver­ein­ba­rung. Er be­strei­tet hilfs­wei­se die In­di­vi­dua­lität ei­ner sol­chen und meint nach wie vor, dass die Pra­xis der Ur­laubsüber­tra­gung den An­ga­ben in den Vergütungs­ab­rech­nun­gen ent­spro­chen ha­be. Ei­nen kon­kre­ten Fall, bei dem es zum Tra­gen ge­kom­men sei, könne er al­ler­dings nicht nen­nen.

We­gen des wei­te­ren Vor­brin­gens der Par­tei­en in der Be­ru­fungs­in­stanz wird auf den vor­ge­tra­ge­nen In­halt der Be­ru­fungs­be­gründung der Be­klag­ten vom 19. Sep­tem­ber 2011 und des Schrift­sat­zes vom 6. Ja­nu­ar 2012 so­wie auf die Be­ru­fungs­be­ant­wor­tung des Klägers vom 20. Ok­to­ber 2011 und im Schrift­satz vom 2. Ja­nu­ar 2012 so­wie das Sit­zungs­pro­to­koll vom 17. Fe­bru­ar 2012 Be­zug ge­nom­men.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.

Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG statt­haf­te Be­ru­fung der Be­klag­ten ist form- und frist­ge­recht im Sin­ne der §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 Zi­vil­pro­zess­ord­nung (ZPO) ein­ge­legt und be­gründet wor­den.


II.

Im Er­geb­nis ist je­doch weit­ge­hend kei­ne an­de­re Be­ur­tei­lung als in ers­ter In­stanz ge­recht­fer­tigt. Die Be­ru­fung ist des­halb über­wie­gend un­be­gründet und da­her weit­ge­hend zurück­zu­wei­sen. Die An­grif­fe der Be­ru­fung sind

 

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nicht ge­eig­net, das Er­geb­nis des Rechts­streits grund­le­gend an­ders zu be­ur­tei­len und ge­ben nur An­lass zu fol­gen­den An­mer­kun­gen:

1.
Zwi­schen den Par­tei­en ist zunächst im Kern un­strei­tig, dass sich die Be­klag­te in fi­nan­zi­el­len Schwie­rig­kei­ten be­fand und die Vergütung des Klägers nicht mehr in vol­ler Höhe ge­zahlt hat. Mit die­ser Ver­fah­rens­wei­se hat der Kläger sich ein­ver­stan­den erklärt. Ob das ei­ne aus­drück­li­che Zu­stim­mung oder ei­ne schweig­sa­me aber kon­klu­den­te Zu­stim­mung ge­we­sen ist, kann da­hin­ste­hen. Denn je­den­falls ent­sprach die Ver­fah­rens­wei­se der Par­tei­en ei­ner St­un­dung wie von der Be­klag­ten vor­ge­tra­gen.

1.1
Nach dem ei­ge­nen Vor­trag der Be­klag­ten ori­en­tier­te sich die St­un­dungs­ver­ein­ba­rung zwi­schen den Par­tei­en an ei­ner sol­chen vom 7. Ju­li 2006 zwi­schen der Be­klag­ten und ei­nem an­de­ren Ar­beit­neh­mer. In die­ser ist aus­drück­lich ver­ein­bart, dass der be­ste­hen­de Ar­beits­ver­trag un­verändert fort­be­ste­he. Ei­ne Aus­le­gung die­ser Klau­sel be­deu­tet, dass die St­un­dung auf die Dau­er des Ar­beits­verhält­nis­ses be­schränkt war. Da das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en aber am 31. Au­gust 2007 ge­en­det hat­te war da­nach die - der Höhe nach un­strei­ti­ge - Vergütung wie­der fällig.

Hin­zu kommt, dass es sich nach den Ausführun­gen der Be­klag­ten in der Be­ru­fungs­ver­hand­lung sehr wohl um ei­ne for­mu­larmäßig ver­wen­de­te Ver­ein­ba­rung ge­han­delt ha­ben dürf­te, da die Be­klag­te dar­auf hin­ge­wie­sen hat, dass die Rück­zah­lungs­klau­sel nicht ganz ein­fach zu ver­ste­hen sei und ex­tra von ei­nem In­sol­venz­recht­ler ent­wor­fen wor­den sei.

Das da­nach ge­ge­be­ne Verständ­nis, dass die St­un­dung für den Fall der Leis­tungs­unfähig­keit der Be­klag­ten qua­si le­bensläng­lich er­fol­ge oh­ne dafür ir­gend­ei­ne Ge­gen­leis­tung für den Kläger vor­zu­se­hen, be­nach­tei­ligt den Kläger un­an­ge­mes­sen im Sin­ne des § 307 BGB und macht die St­un­dungs­ver­ein­ba­rung un­wirk­sam.

 

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1.2
Selbst wenn man der Auf­fas­sung der Be­klag­ten nicht fol­gen soll­te, dass die St­un­dungs­ab­re­de der Par­tei­en in An­leh­nung an die des an­de­ren Ar­beit­neh­mers er­folgt sei, er­gibt sich aus dem Cha­rak­ter des Ar­beits­verhält­nis­ses als Dau­er­schuld­verhält­nis, dass die St­un­dung grundsätz­lich auf die Dau­er des Be­ste­hens die­ses Ver­trags­verhält­nis­ses be­schränkt ist. Denn ge­ra­de hier woll­ten die Par­tei­en ge­mein­sam die Soft­ware­ent­wick­lung vor­an­trei­ben, um so zu ei­nem wirt­schaft­li­chen Er­folg zu ge­lan­gen, der dann auch die Vergütungs­zah­lun­gen wie­der ab­ge­si­chert hätte. Dass ein Ar­beit­neh­mer aber auch dann, wenn er in­fol­ge sei­nes Aus­schei­dens über­haupt kei­nen Ein­fluss mehr auf die wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung ei­nes Un­ter­neh­mens hat, den­noch wei­ter sei­ne Vergütungs­ansprüche im Un­ter­neh­men belässt, wi­der­spricht jeg­li­chem wirt­schaft­li­chen Han­deln und auch jeg­li­cher Le­bens­er­fah­rung. So­fern die Par­tei­en ei­ner St­un­dungs­ver­ein­ba­rung ei­ne St­un­dung über das En­de ei­nes Dau­er­schuld­verhält­nis­ses hin­aus ver­ein­ba­ren wol­len, be­darf die­ses aus­drück­li­cher An­halts­punk­te in der je­wei­li­gen St­un­dungs­ver­ein­ba­rung, wel­che hier je­doch nicht ge­ge­ben sind.

So­weit die Be­klag­te in der Be­ru­fungs­ver­hand­lung aus­geführt hat, dass der St­un­dungs­zweck die Si­che­rung der Soft­ware­ent­wick­lung („der Er­halt des Ba­bys“) und nicht der Be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses ge­we­sen sei und dass zu den St­un­dungs­be­din­gun­gen nur die Leis­tungsfähig­keit der Be­klag­ten er­ho­ben wor­den sei, über­sieht die Be­klag­te ne­ben der un­ter 1.1 be­reits dar­ge­stell­ten un­an­ge­mes­se­nen Be­nach­tei­li­gung des Klägers durch ei­ne sol­che Re­ge­lung, dass der St­un­dungs­zweck nur aus Sicht ei­nes Ver­trags­part­ners dar­ge­stellt wur­de. Es mag zwar sein, dass ein Soft­ware-Ent­wick­ler gern auch das Ge­lin­gen sei­ner Soft­ware er­le­ben möch­te, aber es be­darf ganz be­son­de­rer An­halts­punk­te in ei­ner St­un­dungs­ver­ein­ba­rung wenn die­se von ei­nem al­lein aus al­tru­is­ti­schen Mo­ti­ven her­aus ab­ge­schlos­sen wird. Sol­che An­halts­punk­te sind aber we­der vor­ge­tra­gen noch er­sicht­lich.

1.3
Selbst wenn man der Auf­fas­sung ei­ner grundsätz­li­chen Be­fris­tung von St­un­dungs­ver­ein­ba­run­gen in Dau­er­schuld­verhält­nis­sen nicht fol­gen soll­te, ist zu be­ach­ten, dass ei­nem Gläubi­ger ein außer­or­dent­li­ches Kündi­gungs-

 

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bzw. Wi­der­rufs­recht zu­steht, wenn ihm ein Fest­hal­ten an der St­un­dungs­ver­ein­ba­rung nicht mehr zu­ge­mu­tet wer­den kann (vgl. OLG Saarbrücken, Ur­teil vom 21. Ju­li 2005 - 8 U 714/04). Ein sol­cher Wi­der­ruf kann auch kon­klu­dent durch Kla­ge­er­he­bung er­fol­gen (vgl. OLG München, Ur­teil vom 21. De­zem­ber 2009 - 19 U 4050/08).

Mit der Kla­ge­er­he­bung am 22. Ja­nu­ar 2009 hat der Kläger hin­rei­chend deut­lich ge­macht, dass er sich an die St­un­dungs­ver­ein­ba­rung nicht mehr ge­bun­den se­he. Da ein Fest­hal­ten an ei­ner St­un­dungs­ver­ein­ba­rung über das En­de des Ar­beits­verhält­nis­ses hin­aus in der Re­gel auch nicht zu­mut­bar ist (vgl. oben 1.2), hat der Kläger die an­ge­nom­me­ne St­un­dung spätes­tens mit Zu­stel­lung der Kla­ge am 28. Ja­nu­ar 2009 gekündigt bzw. wi­der­ru­fen.

2.
Hin­sicht­lich der Ur­laubs­ab­gel­tung hat die Kla­ge teil­wei­se Er­folg.

2.1
Wie die Be­klag­te zu­tref­fend dar­ge­stellt hat, geht das Bun­des­ar­beits­ge­richt da­von aus, dass man­gels an­der­wei­ti­ger Ab­spra­chen oder Hand­ha­bun­gen ei­ne Ge­halts­ab­rech­nung grundsätz­lich kein Schuld­an­er­kennt­nis enthält.

Der Lohn­ab­rech­nung kann re­gelmäßig nicht ent­nom­men wer­den, dass der Ar­beit­ge­ber die Zahl der an­ge­ge­be­nen Ur­laubs­ta­ge auch dann gewähren will, wenn er die­sen Ur­laub nach Ge­setz, Ta­rif­ver­trag oder Ar­beits­ver­trag nicht schul­det. Erst recht er­gibt sich aus ihr nicht, dass der Ar­beit­ge­ber auf die künf­ti­ge Ein­wen­dung des Erlöschens des Ur­laubs­an­spruchs durch Zeit­ab­lauf ver­zich­ten will. Will der Ar­beit­ge­ber mit der Ab­rech­nung ei­ne der­ar­ti­ge Erklärung ab­ge­ben, so müssen dafür be­son­de­re An­halts­punk­te vor­lie­gen (vgl. BAG, Ur­teil vom 10. März 1987 - 8 AZR 610/84, bestätigt durch Ur­teil vom 18. Ok­to­ber 2011 - 9 AZR 303/10).

Da der Kläger über die An­ga­ben in der Ge­halts­ab­rech­nung hin­aus trotz aus­drück­li­cher Nach­fra­ge in der Be­ru­fungs­ver­hand­lung kei­ner­lei An­ga­ben zur prak­ti­schen Hand­ha­bung mit zu über­tra­gen­dem Ur­laub ma­chen konn­te, konn­te die die er­ken­nen­de Kam­mer auch kei­ne Ab­wei­chung von dem vom Bun­des­ar­beits­ge­richt zu­tref­fend auf­ge­stell­ten Grund­satz er­ken­nen.

 

- 11 -

2.2
Der Kläger hätte zum Aus­schei­den aus dem Ar­beits­verhält­nis ei­nen An­spruch auf 8/12 des ver­trag­li­chen Ur­laubs (16,66 = 17 Ta­ge) oder 12/12 des ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laubs (20 Ta­ge) ge­habt. Der Kläger hat­te Ur­laub vom 15.-26. Fe­bru­ar 2007 (8 Ta­ge), am 30. April 2007 (1 Tag), am 18. Mai 2007 (1 Tag) und vom 20.-31. Au­gust 2007 (10 Ta­ge) gewährt be­kom­men und ge­nom­men.

Da der Kläger un­strei­tig 18 Ta­ge aus dem Jahr 2006 in das Jahr 2007 über­tra­gen und da­von im Über­tra­gungs­zeit­raum 8 in An­spruch ge­nom­men hat­te, ver­fie­len die rest­li­chen 10 Ta­ge am 31. März 2007. Von den 20 Ur­laubs­ta­gen des ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laubs hat­te der Kläger ab dem 1. April 2007 ins­ge­samt 12 in An­spruch ge­nom­men. Die rest­li­chen 8 Ur­laubs­ta­ge wa­ren mit dem Ur­laubs­ent­gelt von 87,83 EUR zu mul­ti­pli­zie­ren. Die­ses er­gab ei­ne Ge­samt­sum­me von 702,64 EUR.


III.

Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 64 Abs.6 ArbGG in Ver­bin­dung mit § 92 ZPO. Die Kos­ten des Rechts­streits vor dem Ar­beits­ge­richt wa­ren eben­so wie die Kos­ten des Be­ru­fungs­ver­fah­rens ent­spre­chend dem je­wei­li­gen An­teil am Ob­sie­gen und Un­ter­lie­gen an­tei­lig zu berück­sich­ti­gen.

Die Zu­las­sung der Re­vi­si­on gemäß § 72 Abs.2 ArbGG kam nicht in Be­tracht, da die ge­setz­li­chen Vor­aus­set­zun­gen nicht vor­ge­le­gen ha­ben.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Ge­gen die­se Ent­schei­dung ist kein Rechts­mit­tel ge­ge­ben. Die Par­tei­en wer­den auf die Möglich­keit der Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de gemäß § 72 a ArbGG hin­ge­wie­sen.

 

W.-M.

D.

K.

 

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Lan­des­ar­beits­ge­richt

Ber­lin-Bran­den­burg  

 

Geschäfts­zei­chen (bit­te im­mer an­ge­ben)

10 Sa 1734/11

8 Ca 10626/09
Ar­beits­ge­richt Ber­lin
 

Be­schluss

In Sa­chen

pp

hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, 10. Kam­mer,
durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt
W.-M. am 16. März 2012 be­schlos­sen:

Das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ber­lin-Bran­den­burg vom 17. Fe­bru­ar 2012 wird we­gen of­fen­sicht­li­cher Un­rich­tig­keit da­hin­ge­hend be­rich­tigt, dass der klar­stel­len­de Te­nor in I. um ei­ne Zif­fer 3 ergänzt wird, die wie folgt lau­tet:

„Die vorläufi­ge Voll­streck­bar­keit des Ur­teils wird aus­ge­schlos­sen.“

Be­gründung:

Mit Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ber­lin vom 21. Ju­ni 2011 - 8 Ca 10626/09 - wur­de die Be­klag­te un­ter teil­wei­ser Ab­wei­sung der Kla­ge im Rah­men ei­nes Vor­be­halts­ur­teils zu Zah­lun­gen an den Kläger ver­ur­teilt. Da­bei han­del­te es sich zum ei­nen um Beträge aus noch nicht ge­zahl­ter Vergütung und zum an­de­ren um Beträge aus ei­ner Ur­laubs­ab­gel­tung. Die vorläufi­ge Voll­streck­bar­keit des Ur­teils wur­de vom Ar­beits­ge­richt in Zif­fer IV. des Ur­teils aus­ge­schlos­sen.

 

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Ge­gen die­ses Ur­teil wand­te sich al­lein die Be­klag­te mit dem Rechts­mit­tel der Be­ru­fung. Der Kläger leg­te ge­gen die­ses Ur­teil kei­ner­lei Rechts­mit­tel ein. Im Rah­men des Be­ru­fungs­ver­fah­rens bestätig­te das Lan­des­ar­beits­ge­richt weit­ge­hend die ar­beits­ge­richt­li­che Ent­schei­dung und änder­te sie nur hin­sicht­lich der Höhe der Ur­laubs­ab­gel­tung. Da das Ar­beits­ge­richt die dem Kläger zu­ge­spro­che­ne Sum­me aus bei­den Rechts­gründen zu­sam­men­ge­fasst te­n­o­riert hat­te, for­mu­lier­te das Lan­des­ar­beits­ge­richt den Te­nor in verständ­li­che­rer Form, in­dem die bei­den Zah­lungs­gründe ein­sch­ließlich der dar­aus re­sul­tie­ren­den Zins­ansprüche ge­trennt te­n­o­riert wur­den.

Da­bei wur­de of­fen­sicht­lich (§ 319 Abs. 1 ZPO) über­se­hen, dass die Zif­fer IV. im Rah­men des Be­ru­fungs­ver­fah­rens über­haupt nicht an­ge­grif­fen wor­den war und des­halb un­verändert fort­be­stand. Wäre der Te­nor des Ur­teils des Lan­des­ar­beits­ge­richts in der Form for­mu­liert wor­den, dass auf die Be­ru­fung die an­ge­foch­te­ne Ent­schei­dung teil­wei­se ab­geändert wor­den und die Kla­ge auch in­so­weit ab­ge­wie­sen wor­den wäre wie der Kläger zu mehr als … ver­ur­teilt wor­den war, hätte der Te­nor Zif­fer IV. selbst­verständ­lich wei­ter Be­stand ge­habt. Die Fra­ge des Aus­schlus­ses der vorläufi­gen Voll­streck­bar­keit war we­der Ge­gen­stand der schriftsätz­li­chen Ausführun­gen der Par­tei­en im Be­ru­fungs­ver­fah­ren noch der Erörte­run­gen in der Be­ru­fungs­ver­hand­lung. In­so­fern ist es of­fen­sicht­lich, dass das Lan­des­ar­beits­ge­richt an dem Aus­schluss der vorläufi­gen Voll­streck­bar­keit we­der ei­ne Ände­rung vor­neh­men woll­te noch durf­te.

Des­halb war der klar­stel­len­de Te­nor in dem Be­ru­fungs­ur­teil vom 17. Fe­bru­ar 2012 um den Satz „Die vorläufi­ge Voll­streck­bar­keit des Ur­teils wird aus­ge­schlos­sen.“ zu ergänzen.

Ge­gen die­sen Be­schluss ist kein Rechts­mit­tel ge­ge­ben. Die Zu­las­sung der Rechts­be­schwer­de ist nicht ver­an­lasst, weil die Gründe des § 574 ZPO nicht vor­lie­gen.

 

W.-M.
Vor­sit­zen­der Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt


 

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