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HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

Hes­si­sches LAG, Ur­teil vom 08.07.2015, 6 Sa 257/14

   
Schlagworte: Betriebsrente: Vorzeitige Inanspruchnahme, Rente: Schwerbehinderung
   
Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 6 Sa 257/14
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 08.07.2015
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Wiesbaden, Urteil vom 22.01.2014, 11 Ca 1524/13
Nachgehend Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.10.2016, 3 AZR 439/15
   

Ak­ten­zei­chen:
6 Sa 257/14
11 Ca 1524/13
Ar­beits­ge­richt Wies­ba­den
Ent­schei­dung vom 08.07.2015

Te­nor:

Die Be­ru­fung des Klägers ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­rich­tes Wies­ba­den vom 22. Ja­nu­ar 2014 - 11 Ca 1524/13 - wird kos­ten­pflich­tig zurück­ge­wie­sen.

Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.

Tat­be­stand:

Die Par­tei­en strei­ten darüber, ob die Be­klag­te den seit 01. Ja­nu­ar 1996 er­wor­be­nen Teil der Be­triebs­ren­te des Klägers kürzen darf um 0,4 % für je­den Mo­nat, den die Ren­te vor Voll­endung des 65. Le­bens­jah­res in An­spruch ge­nom­men wird.

Der am 12. April 1953 ge­bo­re­ne Kläger trat am 01. April 1980 in die Diens­te der Be­klag­ten. Die Be­klag­te gewährt ih­ren Ar­beit­neh­mern be­trieb­li­che Al­ters­ver­sor­gung gemäß den darüber ge­schlos­se­nen Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen. Die Be­triebs­ver­ein­ba­rung über be­trieb­li­che Al­ters­ver­sor­gung vom 21. April 1972 wur­de zu­letzt ab­gelöst durch die Be­triebs­ver­ein­ba­rung vom 23. De­zem­ber 1992 (An­la­ge BB 1 zur Be­ru­fungs­er­wi­de­rungs­schrift, Bl. 160 ff. d. A.), durch die Be­triebs­ver­ein­ba­rung vom 15. De­zem­ber 1995 (vgl. An­la­ge 2 zur Kla­ge­er­wi­de­rung Bl. 57 ff. d. A.) und durch die Be­triebs­ver­ein­ba­rung vom 07. De­zem­ber 2001 (vgl. An­la­ge 3 zur Kla­ge­er­wi­de­rung Bl. 70 ff. d. A.).

In der Be­triebs­ver­ein­ba­rung vom 23. De­zem­ber 1992 heißt es u. a.:

"§ 1 Al­ters­ver­sor­gung

...

(2) Ein An­spruch auf Leis­tun­gen ent­steht, wenn der Ar­beit­neh­mer spätes­tens am letz­ten Tag des Mo­nats, in dem das 65. Le­bens­jahr voll­endet ist, un­un­ter­bro­chen 10 Jah­re in ei­nem Ar­beits­verhält­nis zu den So­zi­al­kas­sen der Bau­wirt­schaft ge­stan­den hat und aus dem Dienst zur Kas­se we­gen Al­ters-, Er­werbs- oder Be­rufs­unfähig­keit aus­ge­schie­den ist.

...

§ 2 Leis­tungs­ar­ten

Die Kas­se er­bringt ih­ren Ar­beit­neh­mern und de­ren Hin­ter­blie­be­nen im Ver­sor­gungs­fall wie­der­keh­ren­de Leis­tun­gen als

a) Al­ters­ren­te

b) Er­werbs- oder Be­rufs­unfähig­keits­ren­te

c) Wit­wen­ren­te / Wit­wer­ren­te

d) Wai­sen­ren­te.

Zu a) Al­ters­ren­te:

Ei­ne Be­triebs­ren­te wird gewährt, wenn der Ar­beit­neh­mer aus der Kas­se aus­schei­det und zu die­sem Zeit­punkt An­spruch auf ei­ne Al­ters­ren­te in vol­ler Höhe (Voll­ren­te) aus der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung hat oder ha­ben würde, wenn er nicht von der Bei­trags­pflicht be­freit wäre. ... Macht der Ar­beit­neh­mer von der ge­setz­li­chen Teil­ren­te Ge­brauch, be­steht kein An­spruch auf Be­triebs­ren­te. ...

§ 3 Leis­tungshöhe

(1) Die Be­triebs­ren­te beträgt nach 10-jähri­ger An­wart­schafts­zeit mo­nat­lich 8 von 100 der letz­ten Ge­halts- bzw. Lohn­zu­sa­ge des Ar­beit­neh­mers (So­ckel­be­trag).

Die Be­triebs­ren­te stei­gert sich für je­des nach der 10-jähri­gen An­wart­schafts­zeit voll­ende­te Dienst­jahr um 0,8 von hun­dert der Be­mes­sungs­grund­la­ge nach Abs. 1."

In der ablösen­den Be­triebs­ver­ein­ba­rung vom 15. De­zem­ber 1995 heißt es aus­zugs­wei­se wie folgt:

"§ 1 An­spruchs­vor­aus­set­zung

(1) Die So­zi­al­kas­sen der Bau­wirt­schaft gewähren ih­ren Ar­beit­neh­mer, mit de­nen bis ein­sch­ließlich 31. De­zem­ber 1995 ein Ar­beits­ver­trag ab­ge­schlos­sen wur­de und die spätes­tens am 31. De­zem­ber 1995 ih­ren Dienst an­ge­tre­ten ha­ben, nach Maßga­be die­ser Be­triebs­ver­ein­ba­rung ei­ne be­trieb­li­che Ver­sor­gung als wie­der­keh­ren­de Leis­tung (Be­triebs­ren­te).

(2) Ein An­spruch auf Be­triebs­ren­te ent­steht, wenn der Ar­beit­neh­mer spätes­tens am letz­ten Tag des Mo­nats, in dem das 65. Le­bens­jahr voll­endet ist, un­un­ter­bro­chen in ei­nem Ar­beits­verhält­nis zu den So­zi­al­kas­sen der Bau­wirt­schaft ge­stan­den hat (War­te­zeit) und aus dem Dienst we­gen Al­ters, Er­werbs- oder Be­rufs­unfähig­keit aus­ge­schie­den ist. ...

§ 2 Leis­tungs­ar­ten

Die So­zi­al­kas­sen der Bau­wirt­schaft er­brin­gen ih­ren aus­ge­schie­de­nen Ar­beit­neh­mern im Ver­sor­gungs­fall wie­der­keh­ren­de Leis­tun­gen (Be­triebs­ren­ten) im Sin­ne des § 1 Ziff. 1) bei Be­zug

a) ge­setz­li­cher Al­ters­ren­te

b) ge­setz­li­cher Er­werbs- oder Be­rufs­unfähig­keits­ren­te den Hin­ter­blie­be­nen der aus­ge­schie­de­nen Ar­beit­neh­mer

c) Wit­wen­ren­te / Wit­wer­ren­te.

d) Wai­sen­ren­te.

Zu a) Be­triebs­ren­te bei Be­zug ge­setz­li­cher Ren­te:

Das Be­gin­nal­ter für die­se Be­triebs­ren­te ist grundsätz­lich die Voll­endung des 65. Le­bens­jahrs.

Die­se Be­triebs­ren­te wird gewährt, wenn der Ar­beit­neh­mer bei Vor­lie­gen der An­spruchs­vor­aus­set­zung gemäß § 1 das 65. Le­bens­jahr voll­endet hat.

Nimmt der Ar­beit­neh­mer bei Vor­lie­gen der An­spruchs­vor­aus­set­zung gemäß § 1 vor Voll­endung des 65. Le­bens­jahr Al­ters­ren­te in vol­ler Höhe (Voll­ren­te) aus der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung in An­spruch oder könn­te er die­se in An­spruch neh­men, wenn er nicht von der Bei­trags­pflicht be­freit wäre, wird die gemäß § 4 er­mit­tel­te Be­triebs­ren­te ent­spre­chend § 3 Ziff. 2 gekürzt.

...

§ 3 Leis­tungshöhe

(1) Der Ar­beit­neh­mer er­wirbt für je­des voll­enden­de Jahr tatsäch­li­cher Dienst­zeit zu den So­zi­al­kas­sen der Bau­wirt­schaft ei­ne An­wart­schaft in Höhe von 0,8 von hun­dert, be­zo­gen auf die vor Ein­tritt des Ver­sor­gungs­falls letz­te Brut­to­ge­halts-/Lohn­zu­sa­ge (So­ckel­be­trag).

Zu berück­sich­ti­gen sind sämt­li­che wie­der­keh­rend ge­zahl­ten Bezüge ...

(2) Nimmt ein Ar­beit­neh­mer die Be­triebs­ren­te gemäß § 2 a) vor Voll­endung des 65. Le­bens­jah­res in An­spruch, wer­den die ab 01. Ja­nu­ar 1996 er­wor­be­nen An­wart­schaf­ten während der ge­sam­ten Lauf­zeit für je­den Mo­nat des vor­zei­ti­gen Aus­schei­dens um 0,4 von hun­dert gekürzt (Stand der Recht­spre­chung und Li­te­ra­tur 01. Ja­nu­ar 1995). Die bis zum 31. De­zem­ber 1995 er­wor­be­nen An­wart­schaf­ten blei­ben un­gekürzt. Ändert sich die Kürzungs­größe, hat im Ein­ver­neh­men mit dem Be­triebs­rat ei­ne An­pas­sung zu er­fol­gen, oh­ne dass es ei­ner Kündi­gung die­ser Be­triebs­ver­ein­ba­rung be­darf. ..."

Mit der ablösen­den Be­triebs­ver­ein­ba­rung vom 07. De­zem­ber 2001 wur­de § 3 Abs. 2 der Be­triebs­ver­ein­ba­rung wie folgt neu ge­fasst:

"(2) Nimmt ein Ar­beit­neh­mer die Be­triebs­ren­te vor Voll­endung des 65. Le­bens­jahrs in An­spruch, wer­den die ab dem 01. Ja­nu­ar 1996 er­wor­be­nen An­wart­schaf­ten während der ge­sam­ten Lauf­zeit für je­den Vor­griffs­mo­nat des vor­zei­ti­gen Aus­schei­dens vor der Voll­endung des 65. Le­bens­jah­res um 0,4 von hun­dert pro Mo­nat gekürzt."

Der Kläger be­zieht seit dem 01. Mai 2013 ei­ne ge­setz­li­che Al­ters­ren­te für Schwer­be­hin­der­te. Die Be­klag­te hat für den an­tei­lig er­wor­be­nen Be­triebs­ren­ten­an­spruch ab dem 01. Ja­nu­ar 1996 in Höhe von € 794,58 ei­nen Kürzungs­be­trag von € 190,69 er­rech­net und die­sen von der auf € 1.515,10 be­rech­ne­ten Be­triebs­ren­te ab­ge­zo­gen. We­gen der Be­rech­nung der Be­triebs­ren­te im Ein­zel­nen wird auf die An­la­ge 1 zur Kla­ge­er­wi­de­rung (Bl. 54 - 56 d. A.) ver­wie­sen. Der Kläger hält die erst­ma­li­ge Einführung ei­nes ver­si­che­rungs­ma­the­ma­ti­schen Ab­schlags für die Einführung der Be­triebs­ren­te vor der Al­ters­gren­ze 65 nicht für rechtmäßig.

Der Kläger hat be­an­tragt,

die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an ihn € 953,45 brut­to nebst Zin­sen in Höhe von fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 04. Ok­to­ber 2014 zu zah­len.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Es hat an­ge­nom­men, die Re­ge­lung in § 3 Satz 2 der Be­triebs­ver­ein­ba­rung vom 15. De­zem­ber 1995 ver­s­toße nicht ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot des AGG, denn auch dem Kläger als schwer­be­hin­der­ten Men­schen sei es möglich ge­we­sen, bis zur Al­ters­gren­ze von 65 Jah­ren wei­ter zu ar­bei­ten. Es hat wei­ter an­ge­nom­men, die Be­triebs­ver­ein­ba­rung vom 15. De­zem­ber 1995 wie auch die Be­triebs­ver­ein­ba­rung vom 07. De­zem­ber 2001 würden nicht rück­wir­kend in be­reits er­wor­be­ne An­wart­schaf­ten ein­grei­fen, da aus­drück­lich nur die Kürzung der ab 01. Ja­nu­ar 1996 er­wor­be­nen An­wart­schaf­ten im We­ge ei­ner vor­zei­ti­gen In­an­spruch­nah­me der Ren­ten vor­ge­se­hen sei. We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des erst­in­stanz­li­chen Vor­brin­gens der Par­tei­en und der Erwägun­gen des Ar­beits­ge­richts wird auf die an­ge­grif­fe­ne Ent­schei­dung Be­zug ge­nom­men.

Ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­rich­tes hat der Kläger in­ner­halb der zu Pro­to­koll der Be­ru­fungs­ver­hand­lung vom 08. Ju­li 2015 fest­ge­stell­ten und dort er­sicht­li­chen Fris­ten Be­ru­fung ein­ge­legt. Mit der Be­ru­fungs­be­gründungs­schrift legt der Kläger ei­ne Ent­schei­dung des Hes­si­schen Lan­des­ar­beits­ge­richts vom 12. Ja­nu­ar 2000 zum Ak­ten­zei­chen 8 Sa 2086/98 (Bl. 102 - 106 d. A.) vor. Dar­in hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt fest­ge­stellt, die Re­ge­lung in § 3 Abs. 2 der Be­triebs­ver­ein­ba­rung vom 15. De­zem­ber 1995, mit der in künf­ti­ge Zuwächse der An­wart­schaf­ten aus der be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung ein­ge­grif­fen wer­de, ent­beh­re ei­nes sach­li­chen Grun­des. In die­ser Ent­schei­dung hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt aus­geführt, dass ins­be­son­de­re der sach­li­che Grund ent­spre­chend der Recht­spre­chung des EuGH zur Gleich­be­hand­lung von Männern und Frau­en in der Al­ters­ver­sor­gung (Ba­ber-Ur­teil) nicht be­ste­he, da die erst­ma­li­ge Einführung ei­ner ver­si­che­rungs­ma­the­ma­ti­schen Kürzung bei vor­zei­ti­ger In­an­spruch­nah­me der Ren­te die Un­gleich­be­hand­lung zu Guns­ten der Männer nicht be­sei­ti­ge. Die­se Ausführun­gen des Ur­teils des Hes­si­schen Lan­des­ar­beits­ge­rich­tes vom 12. Ja­nu­ar 2000 macht sich der Kläger zu Ei­gen.

Der Kläger be­an­tragt,

un­ter Abände­rung des Ur­teils des Ar­beits­ge­rich­tes Wies­ba­den vom 22. Ja­nu­ar 2014 - 11 Ca 1524/13 - die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an ihn € 953,45 brut­to nebst Zin­sen in Höhe von fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 04. Ok­to­ber 2014 zu zah­len.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Die Be­klag­te ver­tei­digt die an­ge­grif­fe­ne Ent­schei­dung. Die Be­klag­te ver­weist dar­auf, dass erst­mals mit der Be­triebs­ver­ein­ba­rung vom 23. De­zem­ber 1995 nicht nur ein ver­si­che­rungs­ma­the­ma­ti­scher Ab­schlag ein­geführt wur­de, son­dern eben­falls der An­spruch auf be­trieb­li­che Al­ters­ren­te auf die Re­gel­al­ters­gren­ze auf die Voll­endung des 65. Le­bens­jah­res her­auf­ge­setzt wur­de. Nach der Re­ge­lung der Be­triebs­ver­ein­ba­rung vom 15. De­zem­ber 1992 ha­ben Frau­en, die un­ter be­stimm­ten ge­setz­li­chen Vor­aus­set­zun­gen die ge­setz­li­che Al­ters­ren­te ab dem 60. Le­bens­jahr be­an­spru­chen konn­ten, eben­falls ab Voll­endung des 60. Le­bens­jah­res An­spruch auf die be­trieb­li­che Al­ters­ren­te, während bei Männern dies frühes­tens ab dem 63. Le­bens­jahr der Fall war. Die­se Un­gleich­be­hand­lung sei mit der Einführung ei­ner ein­heit­li­chen Al­ters­gren­ze ab Voll­endung des 65. Le­bens­jah­res eu­ro­pa­rechts­kon­form durch die Be­triebs­ver­ein­ba­rung vom 15. De­zem­ber 1995 ab­ge­schafft wor­den. Die Be­klag­te meint wei­ter, dass auch der ver­si­che­rungs­ma­the­ma­ti­sche Ab­schlag von 0,4 % bei vor­zei­ti­ger In­an­spruch­nah­me wirk­sam sei. Dies nähme die Recht­spre­chung un­ter zwei Ge­sichts­punk­ten an. Ein­mal wird in das Ge­gen­sei­tig­keits­verhält­nis, das der Be­rech­nung der Voll­ren­te zu­grun­de liegt, da­durch ein­ge­grif­fen, dass der Ar­beit­neh­mer die Be­triebs­treue bis zum Zeit­punkt der fes­ten Al­ters­gren­ze nicht er­bracht ha­be. Zum an­de­ren er­ge­be sich ei­ne Ver­schie­bung des in der Ver­sor­gungs­ord­nung fest­ge­leg­ten Verhält­nis­ses von Leis­tung und Ge­gen­leis­tung dar­aus, dass die er­dien­te Be­triebs­ren­te mit höhe­rer Wahr­schein­lich­keit früher und länger als mit der Ver­sor­gungs­zu­sa­ge ver­spro­chen in An­spruch ge­nom­men wer­de. Das Bun­des­ar­beits­ge­richt ha­be in­zwi­schen so­gar ei­nen Re­duk­ti­ons­satz von 0,6% pro Mo­nat für zulässig er­ach­tet. Die Be­klag­te meint wei­ter, es lie­ge auch kei­ne Un­gleich­be­hand­lung von Frau­en und Schwer­be­hin­der­ten vor. Auch Männer, die Al­ters­ren­te vor Voll­endung des 65. Le­bens­jahrs in An­spruch neh­men, müss­ten nach der Re­ge­lung der Be­triebs­ver­ein­ba­rung den ver­si­che­rungs­ma­the­ma­ti­schen Ab­schlag hin­neh­men. Das Ri­si­ko der Schwer­be­hin­de­rung müsse zu­dem nicht ab­ge­deckt wer­den, da es nicht zu den Ri­si­ken im Sin­ne des § 1 Abs. 1 Be­trAVG gehöre.

We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des Be­ru­fungs­vor­brin­gens der Par­tei­en wird auf den vor­ge­tra­ge­nen In­halt der ge­wech­sel­ten Schriftsätze nebst An­la­gen und den übri­gen Ak­ten­in­halt Be­zug ge­nom­men.

Ent­schei­dungs­gründe:

Die Be­ru­fung des Klägers ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­rich­tes Wies­ba­den vom 22. Ja­nu­ar 2014 - 11 Ca 1524/13 - ist statt­haft (§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und Abs. 2 lit b ArbGG), außer­dem form- und frist­ge­recht ein­ge­legt und be­gründet wor­den (§ 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. §§ 517, 519, 520 ZPO und da­mit ins­ge­samt zulässig.

In der Sa­che ist die Be­ru­fung des Klägers je­doch un­be­gründet. Der Kläger hat kei­nen An­spruch auf ei­ne un­gekürz­te Be­triebs­ren­te.

Die Ver­sor­gungs­ansprüche des Klägers ge­gen die Be­klag­te be­stim­men sich nach der Be­triebs­ver­ein­ba­rung vom 15. De­zem­ber 1995 bzw. nach der Be­triebs­ver­ein­ba­rung vom 07. De­zem­ber 2001. Die für den An­spruch des Klägers auf Leis­tung der be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung zu­vor maßgeb­li­che Be­triebs­ver­ein­ba­rung vom 23. De­zem­ber 1992 wur­de wirk­sam zum 01. Ja­nu­ar 1996 ab­gelöst. Der Kläger hat An­spruch auf Leis­tun­gen der be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung nach Maßga­be der je­weils gülti­gen Be­triebs­ver­ein­ba­rung. Wird ei­ne Be­triebs­ver­ein­ba­rung ge­schlos­sen, die ei­ne älte­re Be­triebs­ver­ein­ba­rung ablösen soll, so gilt nicht das Güns­tig­keits­prin­zip, son­dern die sog. Zeit­kol­li­si­ons­re­gel (Ablöse­prin­zip). Die jünge­re Norm er­setzt die älte­re mit Wir­kung für die Zu­kunft (vgl. BAG, U. v. 10.02.2009 - 3 AZR 653/07; U. v. 15.04.2008 - 9 AZR 26/07; U. v. 05.10.2000 - 1 AZR 48/00). Die Ablösung von Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen, die Ansprüche auf be­trieb­li­che Al­ters­ver­sor­gung zum Ge­gen­stand ha­ben, ist je­doch nur un­ter Be­ach­tung der Grundsätze des Ver­trau­ens­schut­zes und der Verhält­nismäßig­keit zulässig. Der Ar­beit­neh­mer kann grundsätz­lich er­war­ten, dass er für die von ihm er­brach­ten Vor­leis­tun­gen durch Be­triebs­treue, die er nur ein­mal er­brin­gen kann, auch die ihm in Aus­sicht ge­stell­te Ge­gen­leis­tung erhält, so­weit dem nicht Gründe auf Sei­ten des Ar­beit­ge­bers ent­ge­gen­ste­hen, die sei­ne schützens­wer­ten In­ter­es­sen über­wie­gen. Die Ein­schnit­te in Ver­sor­gungs­rech­te müssen den Grundsätzen des Ver­trau­ens­schut­zes und der Verhält­nismäßig­keit ent­spre­chen, wel­che nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts durch ein drei­stu­fi­ges Prüfungs­sche­ma präzi­siert wur­den (vgl. ständi­ge Recht­spre­chung BAG, U. v. 17.04.1985 - 3 AZR 72/83 - zu B II 3 c d. Gr.). Den ab­ge­stuf­ten Be­sitzständen der Ar­beit­neh­mer sind ent­spre­chend ab­ge­stuf­te, un­ter­schied­lich ge­wich­te­te Ein­griffs­gründe des Ar­beit­ge­bers ge­genüber zu stel­len. Der un­ter der Gel­tung der bis­he­ri­gen Ord­nung und in dem Ver­trau­en auf de­ren In­halt be­reits er­dien­te und ent­spre­chend § 2 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 Be­trAVG er­mit­tel­te Teil­be­trag kann hier­nach nur in sel­te­nen Aus­nah­mefällen ent­zo­gen wer­den. Das setzt zwin­gen­de Gründe vor­aus. Zuwächse, die sich - wie et­wa bei end­ge­halts­be­zo­ge­nen Zu­sa­gen -dienst­zeit­un­abhängig aus va­ria­blen Be­rech­nungs­fak­to­ren er­ge­ben (er­dien­te Dy­na­mik), können nur aus trif­ti­gen Gründen ge­schmälert wer­den. Für Ein­grif­fe in dienst­zeit­abhängi­ge, noch nicht er­dien­te Zu­wachs­ra­ten genügen sach­lich-pro­por­tio­na­le Gründe (vgl. et­wa BAG, U. v. 15.01.2013 - 3 AZR 169/10). Das die Grundsätze des Ver­trau­ens­schut­zes und der Verhält­nismäßig­keit kon­kre­ti­sie­ren­de drei­stu­fi­ge Prüfungs­sche­ma gilt al­ler­dings nur für Ein­grif­fe in die Höhe der Ver­sor­gungs­an­wart­schaf­ten. Auf an­de­re Ein­grif­fe in Ver­sor­gungs­rech­te oder sons­ti­ge Ände­run­gen von zu­ge­sag­ten Ver­sor­gungs­leis­tun­gen lässt es sich nicht oh­ne Wei­te­res über­tra­gen. Der­ar­ti­ge Ver­schlech­te­run­gen von Ver­sor­gungs­rech­ten sind des­halb an den dem Drei-Stu­fen-Mo­dell zu­grun­de lie­gen­den all­ge­mei­nen Grundsätzen des Ver­trau­ens­schut­zes und der Verhält­nismäßig­keit zu mes­sen (vgl. BAG, U. v. 30.09.2014 - 3 AZR 998/12).

Durch die An­he­bung der Al­ters­gren­ze ein­heit­lich für Frau­en und Männer auf das 65. Le­bens­jahr gemäß § 2 der Be­triebs­ver­ein­ba­rung vom 15. De­zem­ber 1995 wur­de in die Höhe der Ver­sor­gungs­an­wart­schaf­ten des Klägers nach der Be­triebs­ver­ein­ba­rung vom 23. De­zem­ber 1992 ein­ge­grif­fen. Es liegt ein Ein­griff in künf­ti­ge und da­mit noch nicht er­dien­te, dienst­zeit­abhängi­ge Zuwächse vor. Die­ser Ein­griff ist durch sach­lich-pro­por­tio­na­le Gründe ge­recht­fer­tigt. Die bis zum In­kraft­tre­ten der Be­triebs­ver­ein­ba­rung vom 15. De­zem­ber 1995 er­dien­te An­wart­schaft auf Be­triebs­ren­te beträgt, nach den in­so­weit nicht be­an­stan­de­ten Be­rech­nun­gen der Be­klag­ten € 794,56. In die­sen Teil der Be­triebs­ren­te wird durch die Her­auf­set­zung der Al­ters­gren­ze und die Einführung ei­nes ver­si­che­rungs­ma­the­ma­ti­schen Ab­schlags bei In­an­spruch­nah­me der Be­triebs­ren­te vor Voll­endung des 65. Le­bens­jah­res nach den Re­ge­lun­gen der Be­triebs­ver­ein­ba­rung vom 15. De­zem­ber 1995 nicht ein­ge­grif­fen. Die An­he­bung der Al­ters­gren­ze greift al­ler­dings in künf­ti­ge, dienst­zeit­abhängi­ge Zuwächse der Be­triebs­ren­te ein. Die­ser Ein­griff ist je­doch durch sach­lich-pro­por­tio­na­le Gründe ge­recht­fer­tigt, da da­mit die bis­lang zu­letzt gemäß der Be­triebs­ver­ein­ba­rung vom 23. De­zem­ber 1992 vor­ge­se­he­nen un­ter­schied­li­chen Al­ters­gren­zen für Frau­en und Männer ver­ein­heit­licht wer­den. Durch die Ver­ein­heit­li­chung wird die Ent­gelt­gleich­heit von Frau­en und Männern nach Art. 119 EWG-Ver­trag ver­wirk­licht. Auch die Re­ge­lun­gen über den ver­si­che­rungs­ma­the­ma­ti­schen Ab­schlag in § 3 Abs. 2 der Be­triebs­ver­ein­ba­rung vom 15. De­zem­ber 1995 und der nach­fol­gen­den Be­triebs­ver­ein­ba­rung vom 07. De­zem­ber 2001 ver­s­toßen nicht ge­gen die all­ge­mei­nen Grundsätze des Ver­trau­ens­schut­zes und der Verhält­nismäßig­keit. Die An­he­bung der Al­ters­gren­ze auf das 65. Le­bens­jahr führt da­zu, dass sich ei­ne In­an­spruch­nah­me der Be­triebs­ren­te nach § 6 Be­trAVG als vor­ge­zo­ge­ne Be­triebs­ren­te er­ge­ben kann. Die vor­ge­zo­ge­ne In­an­spruch­nah­me der Be­triebs­ren­te führt al­ler­dings zu ei­ner Ver­schie­bung des in der Ver­sor­gungs­zu­sa­ge fest­ge­leg­ten Verhält­nis­ses von Leis­tung und Ge­gen­leis­tung. Die Be­triebs­ren­te wird mit höhe­rer Wahr­schein­lich­keit früher und länger als mit der Ver­sor­gungs­zu­sa­ge ver­spro­chen in An­spruch ge­nom­men (vgl. BAG, U. v. 19.06.2012 -3 AZR 289/10). Auf die­se Störung im Äqui­va­lenz­verhält­nis durf­ten die Be­triebs­par­tei­en mit der Einführung ei­nes ver­si­che­rungs­ma­the­ma­ti­schen Ab­schlags re­agie­ren. Es ist auch nicht zu be­an­stan­den, dass mit der Ver­ein­heit­li­chung der Al­ters­gren­ze für Frau­en und Männer nun­mehr auch die Al­ters­gren­ze für schwer­be­hin­der­te Men­schen an­ge­ho­ben wur­de. Das Ri­si­ko der Schwer­be­hin­de­rung zählt nicht zu den Ri­si­ken im Sin­ne des § 1 Abs. 1 Be­trAVG.

Der Kläger hat die Kos­ten sei­nes er­folg­lo­sen Rechts­mit­tels zu tra­gen.

Die Zu­las­sung der Re­vi­si­on er­folg­te we­gen grundsätz­li­cher Be­deu­tung des Streit­falls.

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