HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

BVerfG, Ur­teil vom 20.12.2007, 2 BvR 2433/04 2 BvR 2434/04

   
Schlagworte: Arbeitsgemeinschaft, Selbstverwaltungsgarantie
   
Gericht: Bundesverfassungsgericht
Aktenzeichen: 2 BvR 2433/04
2 BvR 2434/04
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 20.12.2007
   
Leitsätze: Arbeitsgemeinschaften gemäß § 44b SGB II widersprechen dem Grundsatz eigenverantwortlicher Aufgabenwahrnehmung, der den zuständigen Verwaltungsträger verpflichtet, seine Aufgaben grundsätzlich durch eigene Verwaltungseinrichtungen, also mit eigenem Personal, eigenen Sachmitteln und eigener Organisation wahrzunehmen.
Vorinstanzen:
   

BUN­DES­VER­FASSUN­GS­GERICHT

- 2 BvR 2433/04 -
- 2 BvR 2434/04 -

Verkündet
am 20. De­zem­ber 2007
Herr
Re­gie­rungs­an­ge­stell­te
als Ur­kunds­be­am­tin
der Geschäfts­stel­le

 

IM NA­MEN DES VOL­KES

 

In den Ver­fah­ren

über

die Ver­fas­sungs­be­schwer­den

1)

des

Land­krei­ses B…,

2)

des

Land­krei­ses B...,

3)

des

Land­krei­ses F...,

4)

des

Land­krei­ses M...,

5)

des

Land­krei­ses M...,

6)

des

Krei­ses S...

 

- Be­vollmäch­tig­ter:

Prof. Dr. Hans-Günter Hen­ne­ke,
Re­gens­bur­ger Straße 33 A, 10777 Ber­lin -

ge­gen

Art. 1 § 6, § 44b so­wie Art. 2 Nr. 3 Vier­tes Ge­setz für mo­der­ne Dienst­leis­tun­gen am Ar­beits­markt vom 24. De­zem­ber 2003 (BGBl I S. 2954) und Art. 1 Nr. 4 und Nr. 21 Ge­setz zur op­tio­na­len Träger­schaft von Kom­mu­nen nach dem Zwei­ten Buch So­zi­al­ge­setz­buch (Kom­mu­na­les Op­ti­ons­ge­setz - KOG) vom 30. Ju­li 2004 (BGBl I S. 2014) so­wie Art. 1 Nr. 22a, d KOG 

- 2 BvR 2433/04 -,


- 2 -

1)

des

Land­krei­ses

A...,

2)

des

Krei­ses G...,

3)

des

Land­krei­ses

S...,

4)

des

Land­krei­ses

T...,

5)

des

Land­krei­ses

W...

- Be­vollmäch­tig­ter: Prof. Dr. Hans-Günter Hen­ne­ke,
Re­gens­bur­ger Straße 33 A, 10777 Ber­lin -

ge­gen Art. 1 § 6b so­wie Art. 2 Nr. 3 Vier­tes Ge­setz für mo­der­ne Dienst­leis­tun­gen am Ar­beits­markt vom 24. De­zem­ber 2003 (BGBl I S. 2954) und Art. 1 Nr. 4 Ge­setz zur op­tio­na­len Träger­schaft von Kom­mu­nen nach dem Zwei­ten Buch So­zi­al­ge­setz­buch (Kom­mu­na­les Op­ti­ons­ge­setz - KOG) vom 30. Ju­li 2004 (BGBl I S. 2014) so­wie Art. 1 Nr. 22a, d KOG

- 2 BvR 2434/04 -

 

hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt - Zwei­ter Se­nat

- un­ter Mit­wir­kung der Rich­te­rin­nen und Rich­ter

Vi­ze­präsi­dent Has­se­mer,

Broß,

Os­ter­loh, Di Fa­bio,

Mel­ling­hoff,

Lübbe-Wolff,

Ger­hardt,

Land­au

auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 24. Mai 2007

durch

U rt e i l

für Recht er­kannt:

 


- 3 -

§ 44b SGB II ist mit Ar­ti­kel 28 Ab­satz 2 Satz 1 und 2 in Ver­bin­dung mit Ar­ti­kel 83 des Grund­ge­set­zes un­ver­ein­bar. Die Vor­schrift bleibt bis zum 31. De­zem­ber 2010 an­wend­bar, wenn der Ge­setz­ge­ber nicht zu­vor ei­ne an­de­re Re­ge­lung trifft.

Im Übri­gen wer­den die Ver­fas­sungs­be­schwer­den zurück­ge­wie­sen.

Die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land hat den Be­schwer­deführern in dem Ver­fah­ren

2 BvR 2433/04 die Hälf­te der not­wen­di­gen Aus­la­gen zu er­stat­ten.

 

G r ü n d e :

A.

Die Be­schwer­deführer sind Krei­se und Land­krei­se. Sie wen­den sich ge­gen die Zu­wei­sung der Zuständig­keit für ein­zel­ne Leis­tun­gen der Grund­si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de („Hartz IV“) oh­ne vollständi­gen Aus­gleich der sich dar­aus er­ge­ben­den fi­nan­zi­el­len Mehr­be­las­tun­gen. Die Be­schwer­deführer im Ver­fah­ren 2 BvR 2433/04 be­an­stan­den zu­dem die Ver­pflich­tung, Ar­beits­ge­mein­schaf­ten mit der Bun­des­agen­tur für Ar­beit zu bil­den.

I.

1. Die Bun­des­re­gie­rung und die sie tra­gen­den Bun­des­tags­frak­tio­nen von SPD und BÜND­NIS 90/DIE GRÜNEN leg­ten im Rah­men des „Zu­kunfts­pro­gramms Agen­da 2010“ gleich­lau­ten­de Entwürfe


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ei­nes Ge­set­zes für mo­der­ne Dienst­leis­tun­gen am Ar­beits­markt vor (BT­Drucks 15/1516, S. 1638). Kern des Re­ge­lungs­an­lie­gens war die Zu­sam­menführung von Ar­beits­lo­sen- und So­zi­al­hil­fe zu ei­ner ein­heit­li­chen Leis­tung, der Grund­si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de. Nach § 6 SGB II-E soll­te die Bun­des­agen­tur für Ar­beit für das Er­brin­gen der Leis­tun­gen zuständig sein. Da­mit soll­ten die Ver­wal­tungs­leis­tun­gen der Hil­fe bei der Ar­beitsu­che und der An­spruchsprüfung und -gewährung un­ter ei­nem Dach gebündelt wer­den. Mit­ar­bei­ter der bis­he­ri­gen Träger der So­zi­al­hil­fe soll­ten durch ei­nen ge­setz­li­chen Auf­trag (§ 93 SGB X) be­tei­ligt wer­den (BT­Drucks 15/1516, S. 45, 47, 48). Die Auf­wen­dun­gen für die Grund­si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de soll­te der Bund tra­gen; sein An­teil am Um­satz­steu­er­auf­kom­men soll­te dafür stei­gen (BT­Drucks 15/1516, S. 33 f.). Die fi­nan­zi­el­le Ent­las­tung der Kom­mu­nen war aus­drück­li­ches Ziel des Ge­setz­ent­wurfs (BT­Drucks 15/1516, S. 41).

Der Ge­setz­ent­wurf war in meh­re­ren Ge­sichts­punk­ten um­strit­ten. Die Be­schluss­emp­feh­lung des fe­derführen­den Bun­des­tags­aus­schus­ses für Wirt­schaft und Ar­beit nahm ei­ni­ge der aus den Op­po­si­ti­ons­frak­tio­nen vor­ge­brach­ten Be­den­ken auf. Dies führ­te et­wa zu Ände­run­gen des Ent­wurfs in Be­zug auf die Re­ge­lun­gen über die Er­werbsfähig­keit, die Zu­mut­bar­keit ei­ner Be­schäfti­gung oder die Vermögen­s­an­rech­nung. Die Re­ge­lun­gen über die Zuständig­keit (§ 6 SGB II-E) und die Fi­nan­zie­rung aus Bun­des­mit­teln (§ 46 SGB II-E) blie­ben aber un­an­ge­tas­tet (BT­Drucks 15/1728, S. 171, 191).


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Ins­be­son­de­re die Zuständig­keit für die Grund­si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de war je­doch um­strit­ten. Die Op­po­si­ti­on im Bun­des­tag hielt die Kom­mu­nen, nicht die Bun­des­agen­tur für Ar­beit für die ge­eig­ne­ten Träger der Be­treu­ung von Ar­beits­lo­sen und der Ar­beits­ver­mitt­lung (BT­Drucks 15/1749, S. 19). Sie lehn­te den Re­gie­rungs­ent­wurf auch aus die­sem Grun­de ab.

Die Bun­des­tags­frak­ti­on der CDU/CSU hat­te ei­ge­ne Ge­setz­ent­würfe ein­ge­bracht, die iden­tisch wa­ren mit Bun­des­rats­entwür­fen, die dort vom Land Hes­sen ein­ge­bracht wor­den wa­ren. Im Ent­wurf ei­nes Exis­tenz­grund­la­gen­ge­set­zes wa­ren die Krei­se und kreis­frei­en Städte und nach lan­des­recht­li­cher Be­stim­mung die kreis­an­gehöri­gen Ge­mein­den als Leis­tungs­träger vor­ge­se­hen (BT­Drucks 15/1523, S. 31; § 101 SGB XII-E). Die Zu­wei­sung al­ler Ver­mitt­lungs-, Be­ra­tungs- und Leis­tungs­auf­ga­ben an die Kom­mu­nen sei un­ab­ding­ba­re Vor­aus­set­zung für ein ef­fek­ti­ves Hil­fe­sys­tem (BT­Drucks 15/1523, S. 63). Außer­dem soll­te in das Grund­ge­setz ein Art. 106b ein­gefügt wer­den, wo­nach den Län­dern die durch Ar­beits­lo­sig­keit ver­ur­sach­ten Auf­wen­dun­gen, für die Leis­tun­gen der Ar­beits­lo­sen­ver­si­che­rung nicht be­reit­ste­hen, aus dem Steu­er­auf­kom­men des Bun­des er­stat­tet wer­den; die Länder soll­ten ver­pflich­tet wer­den, die­se Er­stat­tung an die zuständi­gen Leis­tungs­träger wei­ter­zu­ge­ben (BT­Drucks 15/1527).

Der Bun­des­tag nahm den Ge­setz­ent­wurf der Mehr­heits­frak­tio­nen an und lehn­te die Op­po­si­ti­ons­entwürfe ab. Die Bun­des­rats-


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mehr­heit be­harr­te auf ei­ner kom­mu­na­len Zuständig­keit für die Ar­beits­ver­mitt­lung und für die Leis­tun­gen an Ar­beits­lo­se. Der Bun­des­rat ver­lang­te, den Ver­mitt­lungs­aus­schuss ein­zu­be­ru­fen.

Der Ver­mitt­lungs­aus­schuss emp­fahl ei­ne Ände­rung der Re­ge­lun­gen über die Zuständig­keit (BT­Drucks 15/2259): Die Krei­se und kreis­frei­en Städte soll­ten für ein­zel­ne der Leis­tun­gen zuständig sein, nämlich für die Be­treu­ung von Kin­dern, die Pfle­ge von An­gehöri­gen, die psy­cho­so­zia­le Be­treu­ung, die Schuld­ner­be­ra­tung, die Sucht­be­ra­tung, die Leis­tun­gen für Un­ter­kunft und Hei­zung, die Leis­tun­gen für Erst­aus­stat­tun­gen für die Woh­nung und für Be­klei­dung so­wie für mehrtägi­ge Klas­sen­fahr­ten; im Übri­gen soll­te die Bun­des­agen­tur zuständig blei­ben (§ 6 Abs. 1 SGB II-E). Da­mit die Ver­wal­tung der Leis­tung den­noch aus ei­ner Hand er­fol­gen könne, sah § 44b SGB II-E nun die Bil­dung von Ar­beits­ge­mein­schaf­ten aus den Agen­tu­ren für Ar­beit und den kom­mu­na­len Trägern vor. Der Bund soll­te nur noch die Auf­wen­dun­gen der von der Bun­des­agen­tur für Ar­beit zu er­brin­gen­den Leis­tun­gen tra­gen (§ 46 SGB II-E). Der Ge­set­zes­be­schluss wur­de auch in Be­zug auf die Um­satz­steu-er­ver­tei­lung geändert, und es wur­de ei­ne Son­der­be­darfs-Bun­des­ergänzungs­zu­wei­sung an die neu­en Länder zum Aus­gleich der Las­ten aus struk­tu­rel­ler Ar­beits­lo­sig­keit vor­ge­se­hen (BT­Drucks 15/2259, S. 8).

Der Bun­des­tag nahm die Be­schluss­emp­feh­lung an, und der Bun­des­rat stimm­te dem Ge­setz zu. Das Vier­te Ge­setz für mo­der-


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ne Dienst­leis­tun­gen am Ar­beits­markt vom 24. De­zem­ber 2003 wur­de am 29. De­zem­ber 2003 verkündet (BGBl I S. 2954). Die hier um­strit­te­nen Re­ge­lun­gen tra­ten am 1. Ja­nu­ar 2004 in Kraft (Art. 61 Abs. 2).

Sie lau­te­ten im Ein­zel­nen:

So­zi­al­ge­setz­buch (SGB) Ers­tes Buch (I) - All­ge­mei­ner Teil -

§ 19a Leis­tun­gen der Grund­si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de

(1) Nach dem Recht der Grund­si­che­rung für Ar­beitsu­chen­de können in An­spruch ge­nom­men wer­den

1. Leis­tun­gen zur Ein­glie­de­rung in Ar­beit,

2. Leis­tun­gen zur Si­che­rung des Le­bens­un­ter­halts.

(2) Zuständig sind die Agen­tu­ren für Ar­beit und die sons­ti­gen Dienst­stel­len der Bun­des­agen­tur für Ar­beit, so­wie die kreis­frei­en Städte und Krei­se, so­weit durch Lan­des­recht nicht an­de­re Träger be­stimmt sind.

So­zi­al­ge­setz­buch (SGB) Zwei­tes Buch (II) - Grund­si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de -

§ 6 Träger der Grund­si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de Träger der Leis­tun­gen nach die­sem Buch sind:

1. die Bun­des­agen­tur für Ar­beit (Bun­des­agen­tur), so­weit Num­mer 2 nichts An­de­res be­stimmt,

2. die kreis­frei­en Städte und Krei­se (kom­mu­na­le Träger) für die Leis­tun­gen nach § 16 Abs. 2 Satz 1, 2 Nr. 1 bis 4, § 22 und § 23 Abs. 3, so­weit durch Lan­des­recht nicht an­de­re Träger be­stimmt sind.

Zu ih­rer Un­terstützung können sie Drit­te mit der Wahr­neh­mung von Auf­ga­ben be­auf­tra­gen.

§ 44b Ar­beits­ge­mein­schaf­ten

(1) Zur ein­heit­li­chen Wahr­neh­mung ih­rer Auf­ga­ben nach die­sem Buch er­rich­ten die Träger der Leis­tun-


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gen nach die­sem Buch im Be­zirk je­der Agen­tur für Ar­beit ei­ne Ar­beits­ge­mein­schaft in den nach § 9 Abs. 1a des Drit­ten Bu­ches ein­ge­rich­te­ten Job-Cen­tern. Die Aus­ge­stal­tung und Or­ga­ni­sa­ti­on der Ar­beits­ge­mein­schaf­ten soll die Be­son­der­hei­ten der be­tei­lig­ten Träger, des re­gio­na­len Ar­beits­mark­tes und der re­gio­na­len Wirt­schafts­struk­tur berück­sich­ti­gen.

(2) Die Geschäfte der Ar­beits­ge­mein­schaft führt ein Geschäftsführer. Er ver­tritt die Ar­beits­ge­mein­schaft außer­ge­richt­lich und ge­richt­lich. Können die Agen­tur für Ar­beit und die Kom­mu­nen sich bei der Er­rich­tung der Ar­beits­ge­mein­schaft nicht auf ein Ver­fah­ren zur Be­stim­mung des Geschäftsführers ei­ni­gen, wird er von der Agen­tur für Ar­beit und den Kom­mu­nen ab­wech­selnd je­weils für ein Jahr ein­sei­tig be­stimmt. Das Los ent­schei­det, ob die ers­te eins­ei­ti­ge Be­stim­mung durch die Agen­tur für Ar­beit oder die Kom­mu­nen er­folgt.

(3) Die Ar­beits­ge­mein­schaft nimmt die Auf­ga­ben der Agen­tur für Ar­beit als Leis­tungs­träger nach die­sem Buch wahr. Die kom­mu­na­len Träger sol­len der Ar­beits­ge­mein­schaft die Wahr­neh­mung ih­rer Auf­ga­ben nach die­sem Buch über­tra­gen; § 94 Abs. 4 in Ver­bin­dung mit § 88 Abs. 2 Satz 2 des Zehn­ten Bu­ches gilt nicht. Die Ar­beits­ge­mein­schaft ist be­rech­tigt, zur Erfüllung ih­rer Auf­ga­ben Ver­wal­tungs­ak­te und Wi­der­spruchs­be­schei­de zu er­las­sen.

(4) Die Agen­tur für Ar­beit teilt dem kom­mu­na­len Träger al­le Tat­sa­chen mit, von de­nen sie Kennt­nis erhält und die für sei­ne Leis­tun­gen er­heb­lich sein können.

(5) In den Fällen des § 6a gel­ten die Absätze 1 bis 4 nicht.

§ 46 Fi­nan­zie­rung aus Bun­des­mit­teln

(1) Der Bund trägt die Auf­wen­dun­gen der Grund­si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de, so­weit die Leis­tun­gen von der Bun­des­agen­tur er­bracht wer­den. Er er­stat­tet der Bun­des­agen­tur hierfür die Ver­wal­tungs­kos­ten. In den Fällen des § 6a re­gelt das Bun­des­ge­setz nach § 6a ei­ne ent­spre­chen­de Fi­nan­zie­rung; ei­ne Pau­scha­lie-rung ist zulässig. Der Bund kann fest­le­gen, nach wel­chen Maßstäben die Mit­tel für Leis­tun­gen zur Ein­glie­de­rung in Ar­beit auf die Agen­tu­ren für Ar­beit zu ver­tei­len sind, es sei denn, dass die Maß-


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stäbe in ei­ner Ziel­ver­ein­ba­rung (§ 48) ge­re­gelt sind.

(2) Die Bun­des­agen­tur er­stat­tet dem Bund je­weils zum 15. Fe­bru­ar, 15. Mai, 15. Au­gust und 15. No­vem­ber ei­nen Aus­steue­rungs­be­trag, der dem Zwölf­fa­chen der durch­schnitt­li­chen mo­nat­li­chen Auf­wen­dun­gen für Ar­beits­lo­sen­geld II, So­zi­al­geld und Beiträge zur So­zi­al­ver­si­che­rung im vor­an­ge­gan­ge­nen Ka­len­der­vier­tel­jahr für ei­ne Be­darfs­ge­mein­schaft, ver­vielfäl­tigt mit der Zahl der Per­so­nen, die im vor­an­ge­gan­ge­nen Ka­len­der­vier­tel­jahr in­ner­halb von drei Mo­na­ten nach dem Be­zug von Ar­beits­lo­sen­geld ei­nen An­spruch auf Ar­beits­lo­sen­geld II er­wor­ben ha­ben, ent­spricht.

2. Die Aus­ge­stal­tung der Op­ti­on kom­mu­na­ler Träger­schaft der Auf­ga­ben nach dem So­zi­al­ge­setz­buch – Zwei­tes Buch -, al­so des Ver­zichts auf die Ar­beits­ge­mein­schaf­ten zu Guns­ten der Al­lein­zuständig­keit der Krei­se oder kreis­frei­en Städte, konn­te im Ver­mitt­lungs­ver­fah­ren nicht ab­sch­ließend be­stimmt wer­den. Sie wur­de ei­nem wei­te­ren Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­ren zu­ge­wie­sen.

Da­zu leg­ten die Bun­des­tags­frak­tio­nen von SPD und BÜND­NIS 90/DIE GRÜNEN den Ent­wurf ei­nes Kom­mu­na­len Op­ti­ons­ge­set­zes vor (BT­Drucks 15/2816). Der Ent­wurf sah auch die Ände­rung von Vor­schrif­ten vor, die die Op­ti­on nicht be­tra­fen. Durch Lan­des­recht soll­te be­stimmt wer­den, dass die Krei­se ih­re Ge­mein­den zur Auf­ga­ben­erfüllung her­an­zie­hen können. Als Auf­sichts­behörde der Ar­beits­ge­mein­schaf­ten war die obers­te Lan­des­be­hörde im Be­neh­men mit dem Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Wirt­schaft und Ar­beit vor­ge­se­hen.


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Auch die­ser Ge­setz­ent­wurf ge­riet nach dem Be­schluss des Bun­des­tags auf Ver­lan­gen des Bun­des­rats in das Ver­mitt­lungs­ver­fah­ren. Ne­ben der Aus­ge­stal­tung der Op­ti­on bemängel­te die Bun­des­rats­mehr­heit vor al­lem ei­ne nach ih­rer Auf­fas­sung durch das So­zi­al­ge­setz­buch – Zwei­tes Buch - be­wirk­te fi­nan­zi­el­le Be­las­tung der Kom­mu­nen, ins­be­son­de­re durch das Wohn­geld (BRat­PlPr 799, S. 196 A ff., 198 C f., 201 C f.).

Die Be­schluss­emp­feh­lung des Ver­mitt­lungs­aus­schus­ses (BT­Drucks 15/3495) sah da­zu ei­ne Ver­pflich­tung auf ei­ne Ent­las­tung der Kom­mu­nen um jähr­lich 2,5 Mil­li­ar­den Eu­ro vor. Der Bund soll­te ei­nen be­stimm­ten An­teil an den von den Kom­mu­nen zu er­brin­gen­den Leis­tun­gen für Un­ter­kunft und Hei­zung tra­gen. Der Bun­des­tag nahm den Ver­mitt­lungs­vor­schlag an, und der Bun­des­rat stimm­te dem Ge­setz zu. Das Ge­setz zur op­tio­na­len Trä­ger­schaft von Kom­mu­nen nach dem Zwei­ten Buch So­zi­al­ge­setz­buch (Kom­mu­na­les Op­ti­ons­ge­setz) vom 30. Ju­li 2004 wur­de am 5. Au­gust 2004 verkündet (BGBl I S. 2014). Die Ände­run­gen der hier an­ge­grif­fe­nen §§ 6 und 46 SGB II tra­ten am Tag nach der Ver­kündung in Kraft (Art. 17 Abs. 1).

Die Vor­schrif­ten lau­te­ten nun­mehr:

So­zi­al­ge­setz­buch (SGB) Ers­tes Buch (I)
- All­ge­mei­ner Teil -

§ 19a Leis­tun­gen der Grund­si­che­rung für
Ar­beit­su­chen­de

(1) Nach dem Recht der Grund­si­che­rung für Ar­beitsu­chen­de können in An­spruch ge­nom­men wer­den

1. Leis­tun­gen zur Ein­glie­de­rung in Ar­beit,

2. Leis­tun­gen zur Si­che­rung des Le­bens­un­ter­halts.


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(2) Zuständig sind die Agen­tu­ren für Ar­beit und die sons­ti­gen Dienst­stel­len der Bun­des­agen­tur für Ar­beit, so­wie die kreis­frei­en Städte und Krei­se, so­weit durch Lan­des­recht nicht an­de­re Träger be­stimmt sind. In den Fällen des § 6a des Zwei­ten Bu­ches ist ab­wei­chend von Satz 1 der zu­ge­las­se­ne kom­mu­na­le Träger zuständig.

So­zi­al­ge­setz­buch (SGB) Zwei­tes Buch (II) - Grund­si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de -

§ 6 Träger der Grund­si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de

(1) Träger der Leis­tun­gen nach die­sem Buch sind:

1. die Bun­des­agen­tur für Ar­beit (Bun­des­agen­tur), so­weit Num­mer 2 nichts An­de­res be­stimmt,

2. die kreis­frei­en Städte und Krei­se für die Leis­tun­gen nach § 16 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis 4, §§ 22 und 23 Abs. 3, so­weit durch Lan­des­recht nicht an­de­re Träger be­stimmt sind (kom­mu­na­le Träger).

Zu ih­rer Un­terstützung können sie Drit­te mit der Wahr­neh­mung von Auf­ga­ben be­auf­tra­gen.

(2) Die Länder können be­stim­men, dass und in­wie­weit die Krei­se ih­nen zu­gehöri­ge Ge­mein­den oder Ge­mein­de­verbände zur Durchführung der in Ab­satz 1 Satz 1 Nr. 2 ge­nann­ten Auf­ga­ben nach die­sem Ge­setz her­an­zie­hen und ih­nen da­bei Wei­sun­gen er­tei­len können; in die­sen Fällen er­las­sen die Krei­se den Wi­der­spruchs­be­scheid nach dem So­zi­al­ge­richts­ge­setz. § 44b Abs. 3 Satz 3 bleibt un­berührt. Die Sätze 1 und 2 gel­ten auch in den Fällen des § 6a.

(3) Die Länder Ber­lin, Bre­men und Ham­burg wer­den ermäch­tigt, die Vor­schrif­ten die­ses Ge­set­zes über die Zuständig­keit von Behörden für die Grund­si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de dem be­son­de­ren Ver­wal­tungs­auf­bau ih­rer Länder an­zu­pas­sen.

§ 44b Ar­beits­ge­mein­schaf­ten

(1) Zur ein­heit­li­chen Wahr­neh­mung ih­rer Auf­ga­ben nach die­sem Buch er­rich­ten die Träger der Leis­tun­gen nach die­sem Buch durch pri­vat­recht­li­che oder öffent­lich-recht­li­che Verträge Ar­beits­ge­mein­schaf­ten in den nach § 9 Abs. 1a des Drit­ten Bu­ches ein­ge­rich­te­ten Job-Cen­tern. Be­fin­den sich im Be­reich ei­nes kom­mu­na­len Trägers meh­re­re Agen­tu­ren für Ar­beit, ist ei­ne Agen­tur als fe­derführend zu be­nen­nen. Die Aus­ge­stal­tung und Or­ga­ni­sa­ti­on der Ar-


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beits­ge­mein­schaf­ten soll die Be­son­der­hei­ten der be­tei­lig­ten Träger, des re­gio­na­len Ar­beits­mark­tes und der re­gio­na­len Wirt­schafts­struk­tur berück­sich­ti­gen.

(2) Die Geschäfte der Ar­beits­ge­mein­schaft führt ein Geschäftsführer. Er ver­tritt die Ar­beits­ge­mein­schaft außer­ge­richt­lich und ge­richt­lich. Können die Agen­tur für Ar­beit und die Kom­mu­nen sich bei der Er­rich­tung der Ar­beits­ge­mein­schaft nicht auf ein Ver­fah­ren zur Be­stim­mung des Geschäftsführers ei­ni­gen, wird er von der Agen­tur für Ar­beit und den Kom­mu­nen ab­wech­selnd je­weils für ein Jahr ein­sei­tig be­stimmt. Das Los ent­schei­det, ob die ers­te eins­ei­ti­ge Be­stim­mung durch die Agen­tur für Ar­beit oder die Kom­mu­nen er­folgt.

(3) Die Ar­beits­ge­mein­schaft nimmt die Auf­ga­ben der Agen­tur für Ar­beit als Leis­tungs­träger nach die­sem Buch wahr. Die kom­mu­na­len Träger sol­len der Ar­beits­ge­mein­schaft die Wahr­neh­mung ih­rer Auf­ga­ben nach die­sem Buch über­tra­gen; § 94 Abs. 4 in Ver­bin­dung mit § 88 Abs. 2 Satz 2 des Zehn­ten Bu­ches gilt nicht. Die Ar­beits­ge­mein­schaft ist be­rech­tigt, zur Erfüllung ih­rer Auf­ga­ben Ver­wal­tungs­ak­te und Wi­der­spruchs­be­schei­de zu er­las­sen. Die Auf­sicht über die Ar­beits­ge­mein­schaft führt die zuständi­ge obers­te Lan­des­behörde im Be­neh­men mit dem Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Wirt­schaft und Ar­beit.

(4) Die Agen­tur für Ar­beit und der kom­mu­na­le Träger tei­len sich al­le Tat­sa­chen mit, von de­nen sie Kennt­nis er­hal­ten und die für die Leis­tun­gen des je­weils an­de­ren Trägers er­heb­lich sein können.

(5) (weg­ge­fal­len)

§ 46 Fi­nan­zie­rung aus Bun­des­mit­teln

(1) Der Bund trägt die Auf­wen­dun­gen der Grund­si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de ein­sch­ließlich der Ver­wal­tungs­kos­ten, so­weit die Leis­tun­gen von der Bun­des­agen­tur er­bracht wer­den. Der Bun­des­rech­nungs­hof prüft die Leis­tungs­gewährung. Dies gilt auch, so­weit die Auf­ga­ben von Ar­beits­ge­mein­schaf­ten nach § 44b wahr­ge­nom­men wer­den. Ei­ne Pau­scha­lie­rung von Ein­glie­de­rungs­leis­tun­gen und Ver­wal­tungs­kos­ten ist zulässig. Die Mit­tel für die Er­brin­gung von Ein­glie­de­rungs­leis­tun­gen und Ver­wal­tungs­kos­ten wer­den in ei­nem Ge­samt­bud­get ver­an­schlagt.

(2) Der Bund kann fest­le­gen, nach wel­chen Maßstäben die Mit­tel nach Ab­satz 1 Satz 4 auf die Agen­tu­ren für Ar­beit zu ver­tei­len sind. Bei der Zu­wei­sung

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wird die Zahl der er­werbsfähi­gen Be­zie­her von Leis­tun­gen zur Grund­si­che­rung zu­grun­de ge­legt. Das Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Wirt­schaft und Ar­beit kann im Ein­ver­neh­men mit dem Bun­des­mi­nis­te­ri­um der Fi­nan­zen durch Rechts­ver­ord­nung oh­ne Zu­stim­mung des Bun­des­ra­tes ergänzen­de an­de­re Maßstäbe für die Ver­tei­lung der Mit­tel für Leis­tun­gen zur Ein­glie­de­rung in Ar­beit fest­le­gen.

(3) Nicht ver­aus­gab­te Mit­tel nach Ab­satz 1 Satz 5 sind zur Hälf­te in das Fol­ge­jahr über­trag­bar. Die über­trag­ba­ren Mit­tel dürfen ei­nen Be­trag von 10 vom Hun­dert des Ge­samt­bud­gets des lau­fen­den Jah­res nicht über­stei­gen.

(4) Die Bun­des­agen­tur er­stat­tet dem Bund je­weils zum 15. Fe­bru­ar, 15. Mai, 15. Au­gust und 15. No­vem­ber ei­nen Aus­steue­rungs­be­trag, der dem Zwölf­fa­chen der durch­schnitt­li­chen mo­nat­li­chen Auf­wen­dun­gen für Ar­beits­lo­sen­geld II, So­zi­al­geld und Beiträge zur So­zi­al­ver­si­che­rung im vor­an­ge­gan­ge­nen Ka­len­der­vier­tel­jahr für ei­ne Be­darfs­ge­mein­schaft, ver­vielfäl­tigt mit der Zahl der Per­so­nen, die im vor­an­ge­gan­ge­nen Ka­len­der­vier­tel­jahr in­ner­halb von drei Mo­na­ten nach dem Be­zug von Ar­beits­lo­sen­geld ei­nen An­spruch auf Ar­beits­lo­sen­geld II er­wor­ben ha­ben, ent­spricht.

(5) Der Bund be­tei­ligt sich zweck­ge­bun­den an den Leis­tun­gen für Un­ter­kunft und Hei­zung nach § 22 Abs. 1, um si­cher­zu­stel­len, dass die Kom­mu­nen durch das Vier­te Ge­setz für mo­der­ne Dienst­leis­tun­gen am Ar­beits­markt un­ter Berück­sich­ti­gung der sich aus ihm er­ge­ben­den Ein­spa­run­gen der Länder um jähr­lich 2,5 Mil­li­ar­den Eu­ro ent­las­tet wer­den.

(6) Der Bund trägt im Jah­re 2005 29,1 vom Hun­dert der in Ab­satz 5 ge­nann­ten Leis­tun­gen. Die­ser An­teil wird zum 1. März 2005 und zum 1. Ok­to­ber 2005 über­prüft. Er­gibt die Über­prüfung, dass die Ent­las­tung der Kom­mu­nen den Be­trag von 2,5 Mil­li­ar­den Eu­ro jähr­lich über­steigt oder un­ter­schrei­tet, ist der An­teil des Bun­des rück­wir­kend zum 1. Ja­nu­ar 2005 ent­spre­chend an­zu­pas­sen, al­ler­dings nicht mehr als auf ei­ne Stel­le hin­ter dem Kom­ma ge­nau. Mit der Über­prüfung zum 1. Ok­to­ber 2005 wird darüber hin­aus der An­teil des Bun­des für das Jahr 2006 fest­ge­legt.

(7) Die Über­prüfung für die Jah­re 2006 und 2007 ist je­weils zum 1. Ok­to­ber vor­zu­neh­men. Er­gibt sie, dass die Ent­las­tung der Kom­mu­nen den Be­trag von 2,5 Mil­li­ar­den Eu­ro jähr­lich über­steigt oder un­ter­schrei­tet, ist der An­teil des Bun­des rück­wir­kend zum 1. Ja­nu­ar des je­wei­li­gen Jah­res ent­spre­chend


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an­zu­pas­sen, al­ler­dings nicht mehr als auf ei­ne Stel­le hin­ter dem Kom­ma ge­nau. Mit der Über­prüfung zum 1. Ok­to­ber 2006 wird darüber hin­aus der An­teil des Bun­des für das Jahr 2007 und mit der Über­prü­fung zum 1. Ok­to­ber 2007 der An­teil des Bun­des ab dem Jah­re 2008 fest­ge­legt.

(8) Wei­te­re Über­prüfun­gen und An­pas­sun­gen sind zum 1. Ok­to­ber 2009 und da­nach al­le zwei Jah­re vor­zu­neh­men.

(9) Für die Über­prüfun­gen und An­pas­sun­gen des in Ab­satz 5 ge­nann­ten An­teils des Bun­des nach den Ab­sätzen 6 bis 8 sind die in der An­la­ge ge­nann­ten Kri­te­ri­en maßge­bend.

(10) Der An­teil des Bun­des an den in Ab­satz 5 ge­nann­ten Leis­tun­gen wird den Ländern er­stat­tet. Der Ab­ruf der Er­stat­tun­gen ist zur Mo­nats­mit­te und zum Mo­nats­en­de zulässig. Wenn die Über­prüfung des in Ab­satz 5 ge­nann­ten An­teils des Bun­des nach den Ab­sätzen 6 bis 8 er­gibt, dass die­ser zu erhöhen ist, wer­den bis zur ge­setz­li­chen Fest­set­zung ei­nes er­höhten An­teils des Bun­des auf An­trag ei­nes Lan­des mo­nat­lich im Vor­aus Ab­schläge auf den bis da­hin gel­ten­den An­teil des Bun­des ge­zahlt. Die Ab­schläge können bis zu ei­nem Mo­nat vor­ge­zo­gen wer­den.

Die Fi­nan­zie­rungs­re­ge­lun­gen des § 46 Abs. 6 bis 10 SGB II wur­den im De­zem­ber 2005 auf fes­te An­tei­le des Bun­des für die Jah­re 2005 und 2006 um­ge­stellt; die zu­vor ge­re­gel­ten Ände­rungs­me­cha­nis­men ent­fie­len (Ers­tes Ge­setz zur Ände­rung des Zwei­ten Bu­ches So­zi­al­ge­setz­buch vom 22. De­zem­ber 2005, BGBl I S. 3675).

3. Mit dem Ge­setz zur Fort­ent­wick­lung der Grund­si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de vom 20. Ju­li 2006 (BGBl I S. 1706) wur­de der neue Zu­schnitt der Zuständig­kei­ten der Bun­des­mi­nis­te­ri­en nach­voll­zo­gen: Das Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Ar­beit und So­zia­les trat an die Stel­le des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Wirt­schaft und


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Ar­beit. Art. 1 Nr. 3 die­ses Ge­set­zes änder­te § 6 SGB II; in Abs. 1 Satz 2 wur­de fol­gen­der Halb­satz ein­gefügt: „sie sol­len ei­nen Außen­dienst zur Bekämp­fung von Leis­tungs­miss­brauch ein­rich­ten.“ Die Ände­rung soll­te für die Träger der Grund­si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de die Auf­ga­be be­gründen, ei­nen Außen­dienst zur Bekämp­fung des Leis­tungs­miss­brauchs ein­zu­rich­ten, um zu über­prüfen, ob die An­spruchs­vor­aus­set­zun­gen von Per­so­nen, die Leis­tun­gen der Grund­si­che­rung be­zie­hen oder be­zo­gen, vor­lie­gen oder vor­la­gen (BT­Drucks 16/1410, S. 18). In § 6 Abs. 2 Satz 3 SGB II wur­den nach der An­ga­be von „§ 6a“ die Wörter „mit der Maßga­be, dass ei­ne Her­an­zie­hung auch für die Auf­ga­ben nach § 6b Abs. 1 Satz 1 er­fol­gen kann“ ein­gefügt. Durch die­se Ände­rung soll­te klar­ge­stellt wer­den, dass die zu­ge­las­se­nen kom­mu­na­len Träger Ge­mein­den und Ge­mein­de­verbände im Rah­men ei­ner lan­des­recht­li­chen Re­ge­lung zur Erfüllung der Auf­ga­ben als zu­ge­las­se­ner kom­mu­na­ler Träger gemäß § 6b Abs. 1 SGB II her­an­zie­hen können (BT­Drucks 16/1410, S. 18).

Da sich die Ver­pflich­tung der Agen­tu­ren für Ar­beit, gemäß § 9 Abs. 1a SGB III Job-Cen­ter als ein­heit­li­ches Or­ga­ni­sa­ti­ons­mo­dell für al­le ein­zu­rich­ten, in der Pra­xis auf­grund der Um- und Neu­struk­tu­rie­rung der Agen­tu­ren für Ar­beit und der he­te­ro­ge­nen Struk­tur der Ar­beits­ge­mein­schaf­ten und zu­ge­las­se­nen kom­mu­na­len Träger als nicht um­setz­bar er­wies (BT­Drucks 16/1410, S. 31), wur­de die Re­ge­lung des § 9 Abs. 1a SGB III wie­der auf­ge­ho­ben. Dies führ­te da­zu, dass auch die in § 44b Abs. 1 Satz 1 SGB II ge­re­gel­te Ver­pflich­tung, die Ar­beits­ge-


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mein­schaf­ten in den Job-Cen­tern ein­zu­rich­ten, auf­ge­ho­ben wur­de. Die Ver­pflich­tung der kom­mu­na­len Träger, mit den Agentu­ren für Ar­beit durch pri­vat­recht­li­che oder öffent­lich-recht­li­che Ver­pflich­tung Ar­beits­ge­mein­schaf­ten zu bil­den (§ 44b Abs. 1 Satz 1 SGB II) und den Ar­beits­ge­mein­schaf­ten die Wahr­neh­mung ih­rer Auf­ga­ben zu über­tra­gen (§ 44b Abs. 3 Satz 2 SGB II), blieb un­berührt. Außer­dem wur­de § 44b Abs. 3 Satz 4 SGB II neu ge­fasst, um den zuständi­gen obers­ten Lan­des­behörden die Möglich­keit zu ge­ben, für die Auf­sichtsfüh­rung über die Ar­beits­ge­mein­schaf­ten ei­ne an­de­re Stel­le zu be­stim­men. Satz 4 lau­tet nun­mehr: „Die Auf­sicht über die Ar­beits­ge­mein­schaft führt die zuständi­ge obers­te Lan­des­behörde oder die von ihr be­stimm­te Stel­le im Be­neh­men mit dem Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Ar­beit und So­zia­les.“

4. Die letz­te Ände­rung des So­zi­al­ge­setz­buchs – Zwei­tes Buch - durch das Ge­setz zur Ände­rung des Zwei­ten Bu­ches So­zi­al­ge­setz­buch und des Fi­nanz­aus­gleichs­ge­set­zes vom 22. De­zem­ber 2006 (BGBl I S. 3376), das am 1. Ja­nu­ar 2007 in Kraft trat, ließen § 6 und § 44b SGB II un­berührt. Geändert wur­den hin­ge­gen die Fi­nan­zie­rungs­re­ge­lun­gen des Bun­des gemäß § 46 SGB II; der Bund erhöhte sei­ne Be­tei­li­gung an den Leis­tun­gen der kom­mu­na­len Träger für Un­ter­kunft und Hei­zung für 2007 von 29,1 vom Hun­dert auf 35,2 vom Hun­dert für Ba­den-Würt­tem­berg, 41,2 vom Hun­dert für Rhein­land-Pfalz und für die übri­gen Län­der auf 31,2 vom Hun­dert. Ab 2008 be­stimmt sich die Be­tei­li­gung nach ei­ner For­mel (BT­Drucks 16/3269, S. 4).


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II.

Die Be­schwer­deführer mei­nen, die an­ge­grif­fe­nen Re­ge­lun­gen ver­letz­ten Art. 28 Abs. 2 GG.

1. Die Be­stim­mung der Zuständig­keit der Krei­se für ein­zel­ne Leis­tun­gen der Grund­si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de durch § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II und § 19a Abs. 2 SGB I sei ein un­zulässi­ger Durch­griff des Bun­des auf die kom­mu­na­le Ebe­ne. Die Kom­pe­tenz­ord­nung nach Art. 83 und Art. 84 Abs. 1 GG se­he als Re­gel­fall vor, dass die Länder in ei­ge­ner Ver­ant­wor­tung ent­schei­den, ob Bun­des­ge­set­ze durch un­mit­tel­ba­re oder mit­tel­ba­re Lan­des­ver­wal­tung aus­geführt wer­den sol­len. Die Ein­be­zie­hung von Ge­mein­den und Ge­mein­de­verbänden rich­te sich dann nach dem Lan­des­recht. Das führe bei ei­ner Auf­ga­ben­zu­wei­sung an die Kom­mu­nen zu lan­des­ver­fas­sungs­recht­li­chen Schutz­me­cha­nis­men, nämlich ins­be­son­de­re dem in vie­len Lan­des­ver­fas­sun­gen ge­re­gel­ten Kon­ne­xitätsprin­zip: das Land müsse Kos­ten­er­satz für die mit der Auf­ga­ben­zu­wei­sung ver­bun­de­nen Be­las­tun­gen leis­ten. Wei­se der Bund die Auf­ga­be zu, dann sei das Land nicht zum Kos­ten­er­satz ver­pflich­tet, und auch zwi­schen dem Bund und den Kom­mu­nen ge­be es di­rek­te Fi­nanz­be­zie­hun­gen, die zum Aus­gleich ge­nutzt wer­den könn­ten, nicht.

Wenn ei­ne bun­des­ge­setz­li­che Zu­wei­sung von Zuständig­kei­ten an die Kom­mu­nen über­haupt von Art. 84 Abs. 1 GG ge­deckt sein könne, müsse sie je­den­falls an en­ge Vor­aus­set­zun­gen ge­bun­den blei­ben. Es dürfe sich bei der Auf­ga­ben­zu­wei­sung nur um ei­ne


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punk­tu­el­le An­nex­re­ge­lung han­deln, und die­se An­nex­re­ge­lung müsse zum wirk­sa­men Voll­zug der ma­te­ri­el­len Be­stim­mun­gen not­wen­dig sein. Bei­de Vor­aus­set­zun­gen würden durch die an­ge­grif­fe­nen Re­ge­lun­gen nicht erfüllt. Die den Kom­mu­nen zu­ge­wie­se­nen Auf­ga­ben sei­en neu; sie sei­en nämlich durch die Neu­re­ge­lung nicht nur um­be­nannt, son­dern neu kon­zi­piert wor­den. Um ei­ne An­nex­re­ge­lung han­de­le es sich nicht, weil die Auf­ga­ben­zu­wei­sung ge­ra­de­zu das or­ga­ni­sa­ti­ons­recht­li­che Herzstück des neu­en So­zi­al­ge­setz­buchs – Zwei­tes Buch - dar­stel­le. Auch der er­heb­li­che Um­fang der zu­ge­wie­se­nen Auf­ga­ben spre­che ge­gen ei­ne bloße An­nex­re­ge­lung.

Die Auf­ga­ben­zu­wei­sung an die Kom­mu­nen sei zum Ge­set­zes­voll­zug auch nicht not­wen­dig, son­dern so­gar hin­der­lich. Da es sich bei den den Kom­mu­nen zu­ge­wie­se­nen Leis­tun­gen nicht um ab­ge­grenz­te Leis­tun­gen, son­dern um Ele­men­te des ein­heit­li­chen Ar­beits­lo­sen­gel­des II han­de­le, sei es fol­ge­rich­tig ge­we­sen, dass der Ge­setz­ent­wurf ei­ne ein­heit­li­che Auf­ga­ben­träger­schaft vor­ge­se­hen ha­be. Nur um den Kom­mu­nen fi­nan­zi­el­le Las­ten auf­zubürden, sei im Ver­mitt­lungs­ver­fah­ren die Auf­ga­ben­ver­ant­wor­tung ei­ner­seits auf­ge­teilt und an­de­rer­seits in den Ar­beits­ge­mein­schaf­ten wie­der zu­sam­men­geführt wor­den. Der Lan­des­rechts-vor­be­halt be­le­ge zu­dem, dass der Ge­setz­ge­ber selbst die Be­stim­mung der Kom­mu­nen zu Auf­ga­ben­trägern nicht für not­wen­dig hal­te.

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Der Bund ha­be ge­gen das Ver­bot ver­s­toßen, die fi­nan­zi­el­len Verhält­nis­se der Kom­mu­nen oh­ne Ein­schal­tung der Länder zu ord­nen. In­dem er die Aus­gleichs­leis­tun­gen für die über­tra­ge­nen Auf­ga­ben be­gren­ze, be­stim­me er selbst un­mit­tel­bar, wel­che Las­ten die Kom­mu­nen selbst tra­gen müss­ten. Der Bund hätte, wenn er schon Auf­ga­ben an die Kom­mu­nen zu­wei­se, ei­nen voll­ständi­gen Mehr­be­las­tungs­aus­gleich leis­ten müssen. Statt­des­sen könne er nicht ein­mal si­cher­stel­len, dass der gewähr­te un­zu­rei­chen­de Aus­gleich von den Ländern an ih­re Kom­mu­nen wei­ter­ge­lei­tet wer­de.

2. Die Be­schwer­deführer im Ver­fah­ren 2 BvR 2433/04 be­an­stan­den zu­dem ei­nen Ver­s­toß ge­gen Art. 28 Abs. 2 GG durch die in § 44b SGB II ge­re­gel­te Ver­pflich­tung, Ar­beits­ge­mein­schaf­ten mit den Agen­tu­ren für Ar­beit zu er­rich­ten und die­sen die Auf­ga­ben der kom­mu­na­len Träger zu über­tra­gen. Die­se Kon­struk­ti­on die­ne al­lein dem Bei­be­hal­ten ein­heit­li­cher Auf­ga­ben­wahr­neh­mung trotz der Las­ten­zu­wei­sung ins­be­son­de­re für die Leis­tun­gen für Un­ter­kunft und Hei­zung an die Kom­mu­nen. Die Kom­mu­nen müss­ten die Wahr­neh­mung der Auf­ga­ben an die Ar­beits­ge­mein­schaf­ten über­tra­gen, ob­wohl sie Auf­ga­ben­träger und da­mit fi­nan­zie­rungs­ver­ant­wort­lich blie­ben. Das wi­der­spre­che

Art. 104a Abs. 1 GG, der die Aus­ga­ben­last an die Wahr­neh­mung, nicht an die Träger­schaft knüpfe. Zu­dem sei ei­ne un­zulässi­ge Misch­ver­wal­tung ent­stan­den.


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3. Mit ei­nem am 11. Au­gust 2006 ein­ge­reich­ten Schrift­satz ha­ben die Be­schwer­deführer erklärt, ih­re Ver­fas­sungs­be­schwer­den auch auf die geänder­te Fas­sung des § 46 SGB II zu er­st­re­cken.

Ergänzend führen die Be­schwer­deführer aus, dass das in sei­nen ma­te­ri­ell­recht­li­chen Be­stim­mun­gen zum 1. Ja­nu­ar 2005 in Kraft ge­tre­te­ne So­zi­al­ge­setz­buch – Zwei­tes Buch - nicht le­dig­lich die Fortführung be­ste­hen­der Auf­ga­ben sei, son­dern dass es sich um ei­ne bun­des­ge­setz­lich neu ge­re­gel­te Auf­ga­be han­de­le, die auf­grund der neu­en ge­setz­ge­be­ri­schen Kon­zep­ti­on un­ter an­de­rem zu ei­nem ex­or­bi­tan­ten An­stieg der An­spruchs­be­rech­tig­ten geführt ha­be, oh­ne dass die kom­mu­na­len Träger ent­spre­chend ent­las­tet wor­den sei­en. Die Be­schwer­deführer in dem Ver­fah­ren 2 BvR 2433/04 würden durch § 44b SGB II in Ar­beits­ge­mein­schaf­ten hin­ein­ge­zwun­gen. Von ei­ner völli­gen recht­li­chen Tren­nung der Stränge der Auf­ga­ben­er­le­di­gung könne kei­ne Re­de sein.

III.

Zu den Ver­fas­sungs­be­schwer­den ha­ben die Bun­des­re­gie­rung, das Bun­des­so­zi­al­ge­richt, der Deut­sche Land­kreis­tag und der Deut­sche Ver­ein für öffent­li­che und pri­va­te Fürsor­ge e.V. Stel­lung ge­nom­men. Außer­dem ha­ben sich der Säch­si­sche Da­ten­schutz­be­auf­trag­te und der Bun­des­be­auf­trag­te für den Da­ten­schutz und die In­for­ma­ti­ons­frei­heit geäußert.


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1. Die Bun­des­re­gie­rung ver­tei­digt die an­ge­grif­fe­nen Re­ge­lun­gen. Sie be­schreibt das Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­ren, ge­ra­de in Be­zug auf die Re­ge­lun­gen über die Zuständig­keit, als ei­ne schwie­ri­ge Su­che nach Kom­pro­mis­sen. Das Er­geb­nis, auch die an­ge­grif­fe­nen Nor­men, ha­be des­halb fer­ner ex­pe­ri­men­tel­len Cha­rak­ter. Das er­wei­te­re den Ge­stal­tungs­spiel­raum des Ge­setz­ge­bers und en­ge die Kon­troll­be­fug­nis­se des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts ein. Die ver­fas­sungs­ge­richt­li­che Über­prüfung müsse berück­sich­ti­gen, dass die Steue­rungsmöglich­kei­ten zur Bekämp­fung der Mas­sen­ar­beits­lo­sig­keit be­schränkt sei­en. Auch und ge­ra­de Or­ga­ni­sa­ti­ons­re­ge­lun­gen sei­en Teil des Pro­blem­zu­griffs und da­her von dem Pro­gno­se- und Be­ur­tei­lungs­spiel­raum um­fasst, der die In­ten­sität der Nor­men­kon­trol­le be­schränke.

Über das An­lie­gen, die Ar­beits­lo­sen- und die So­zi­al­hil­fe zu ei­ner neu­en, ein­heit­li­chen Leis­tung zu­sam­men­zuführen, sei­en sich die am Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­ren Be­tei­lig­ten weit­ge­hend ei­nig ge­we­sen. Im Mit­tel­punkt der Aus­ein­an­der­set­zun­gen ha­be die Be­stim­mung des Leis­tungs­trägers ge­stan­den. Schon früh ha­be sich die dann Ge­setz ge­wor­de­ne Lösung an­ge­deu­tet. Sie stam­me we­der erst aus den Dis­kus­sio­nen in den letz­ten Ver­fah­rens­ab­schnit­ten noch die­ne sie der Ver­schie­bung der Fi­nanz­ver­ant­wor­tung zu Las­ten der Kom­mu­nen, die im Er­geb­nis so­gar ent­las­tet würden. Für die Auf­ga­benüber­tra­gung an die Kom­mu­nen hätten we­sent­li­che Sach­gründe ge­spro­chen: Die so­zia­le und psy­cho­so­zia­le Be­treu­ung nähmen die Kom­mu­nen seit Jahr­zehn­ten wahr; nur sie kenn­ten die Pro­ble­me vor Ort. Für die Leis­tung

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der Un­ter­kunfts­kos­ten sprächen die re­gio­nal und lo­kal er­heb­li­chen Un­ter­schie­de im Woh­nungs­markt und der häufi­ge Zu­sam­men­hang un­ge­si­cher­ter Wohn­verhält­nis­se mit an­de­ren persönli­chen Kri­sen­la­gen, für de­ren Bewälti­gung die Kom­mu­nen so­zia­le Be­treu­ung anböten. Im Er­geb­nis sei­en den Kom­mu­nen da­mit nicht neue Auf­ga­ben zu­ge­wie­sen, son­dern ih­nen sei ein Teil der ih­nen bis­lang nach dem Bun­des­so­zi­al­hil­fe­ge­setz ob­lie­gen­den Zu­ständig­kei­ten be­las­sen wor­den.

Mit den Ar­beits­ge­mein­schaf­ten wer­de der Ver­such un­ter­nom­men, trotz der auf­ge­teil­ten Zuständig­keit bürger­freund­lich ei­ne ein­heit­li­che Ver­wal­tungs­leis­tung aus ei­ner Hand zu er­brin­gen. Dem Bun­des­ge­setz­ge­ber sei be­wusst ge­we­sen, dass er we­gen der Ga­ran­tie der kom­mu­na­len Selbst­ver­wal­tung, die die ei­gen­ver­ant­wort­li­che Auf­ga­ben­wahr­neh­mung und Ver­ant­wor­tungs­klar­heit um­fas­se, die Über­tra­gung von kom­mu­na­len Auf­ga­ben und die Be­tei­li­gung an den Ar­beits­ge­mein­schaf­ten nicht er­zwin­gen dürfe. Mit der For­mu­lie­rung „sol­len“ in § 44b Abs. 3 Satz 2 SGB II sei da­her nicht mehr als ein ge­setz­ge­be­ri­scher Ap­pell ge­re­gelt wor­den. Be­tei­li­ge sich ei­ne Kom­mu­ne an ei­ner Ar­beits­ge­mein­schaft, so blie­ben bei­de Part­ner für die ih­nen je­weils ob­lie­gen­den Leis­tun­gen ver­ant­wort­lich. Die Anträge wür­den in en­ger Ab­stim­mung be­ar­bei­tet und in ei­nem gebündel­ten Be­scheid be­schie­den, aber da­bei han­de­le es sich bloß um die äußere Ver­bin­dung ver­schie­de­ner ein­zel­ner Ver­wal­tungs­ak­te in ei­ner Sam­mel­verfügung un­ter dem Na­men der Ar­beits­ge­mein­schaft.


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Mo­tiv für die vor­ge­nom­me­ne Auf­ga­ben­ver­tei­lung sei nicht die Neu­ver­tei­lung der fi­nan­zi­el­len Las­ten ge­we­sen. Die an­ge­streb­ten und zu er­war­ten­den Ein­spa­run­gen durch die Zu­sam­men­le­gung von Ar­beits­lo­sen- und So­zi­al­hil­fe soll­ten zwi­schen Bund und Kom­mu­nen auf­ge­teilt wer­den. Der Bund ha­be die Kom­mu­nen er­heb­lich ent­las­ten wol­len. Da­zu se­he das Ge­setz ei­nen Ga­ran­tie-Ent­las­tungs­be­trag von 2,5 Mil­li­ar­den Eu­ro vor, der über­schrit­ten wer­den könne, wenn die ge­re­gel­te Be­rech­nungs­me­tho­de ei­ne Mehr­be­las­tung der Kom­mu­nen ergäbe. Die Wei­ter­lei­tung die­ser Son­der­zu­wei­sung des Bun­des durch die Länder dürfe der Bund nach der Kom­pe­tenz­ord­nung des Grund­ge­set­zes nicht er­zwin­gen. Sie fal­le in den Zuständig­keits- und Ver­ant­wor­tungs­be­reich der Länder.

Dies berück­sich­tigt, sei schon die Zulässig­keit der Ver­fas­sungs­be­schwer­den zwei­fel­haft. Die an­ge­grif­fe­nen Re­ge­lun­gen wie­sen den Kom­mu­nen nicht neue Auf­ga­ben zu, son­dern be­ließen es bei ei­ner Auf­ga­ben­zu­wei­sung - der­je­ni­gen des Bun­des­so­zi­al­hil­fe­ge­set­zes -, die das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt ge­bil­ligt ha­be. Die Re­ge­lun­gen über die Bil­dung und Er­rich­tung von Ar­beits­ge­mein­schaf­ten be­schwer­ten die Kom­mu­nen nicht, weil ei­ne Ver­pflich­tung nicht be­gründet wer­de. Ver­wei­ger­ten die Kom­mu­nen die Auf­ga­benüber­tra­gung, so ge­be es kein recht­lich zuläs­si­ges Mit­tel, die­se Wei­ge­rung zu über­win­den.

Auch ge­gen die Re­ge­lun­gen zur fi­nan­zi­el­len Be­tei­li­gung des Bun­des könn­ten sich die Kom­mu­nen nicht mit der Ver­fas­sungs­be-


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schwer­de wen­den, weil sie gar nicht Adres­sa­ten die­ser Nor­men sei­en. Tatsächlich rügten sie auch nicht die ge­trof­fe­ne, son­dern das Un­ter­las­sen ei­ner ih­nen güns­ti­ge­ren Re­ge­lung. Die Kom­mu­nal­ver­fas­sungs­be­schwer­de könne sich in­des nicht ge­gen ge­setz­ge­be­ri­sches Un­ter­las­sen wen­den.

Je­den­falls sei­en die Ver­fas­sungs­be­schwer­den un­be­gründet. Die an­ge­grif­fe­ne Auf­ga­ben­zu­wei­sung ge­he nicht über das hin­aus, was die Kom­mu­nen schon bis­lang als An­ge­le­gen­heit der ört­li­chen Ge­mein­schaft er­le­digt hätten. Ih­nen sei­en die zu­vor durch das Bun­des­so­zi­al­hil­fe­ge­setz zu­ge­wie­se­nen Auf­ga­ben ver­blie­ben; dies sei - an­ders als ein Ent­zug die­ser Auf­ga­ben - ver­fas­sungs­recht­lich nicht recht­fer­ti­gungs­bedürf­tig. Nur der recht­li­che Rah­men sei nun ein an­de­rer. Die Kos­ten für Un­terkünf­te und Hei­zung sei­en zu­vor von der all­ge­mei­nen Hil­fe zum Le­bens­un­ter­halt um­fasst ge­we­sen; ein­ma­li­ge Leis­tun­gen für Woh­nung, Be­klei­dung, Schwan­ger­schaft, Ge­burt und Klas­sen­fahr­ten sei­en zu­vor eben­falls nach dem Bun­des­so­zi­al­hil­fe­ge­setz gewährt wor­den; glei­ches gel­te schließlich für die Schuld­ner-be­ra­tung, die psy­cho­so­zia­le Be­treu­ung, die Sucht­be­ra­tung und die auf Aus­bil­dung, Ar­beits­platz und Woh­nung be­zo­ge­nen Hil­fen. Neue Auf­ga­ben sei­en mit­hin nicht ge­re­gelt wor­den, und die Er­wei­te­rung des Krei­ses der An­spruchs­be­rech­tig­ten grei­fe nicht in Zuständig­kei­ten ein.

Ei­ne Be­ein­träch­ti­gung der Selbst­ver­wal­tungs­ga­ran­tie könne nur an­ge­nom­men wer­den, wenn die­se auch vor ei­ner Ver­knap­pung


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der fi­nan­zi­el­len Mit­tel schütz­te oder wenn sie ein Recht auf ei­ne be­stimm­te fi­nan­zi­el­le Aus­stat­tung um­fass­te. Das Grundge­setz ga­ran­tie­re in­des ei­ne tatsächli­che Fi­nanz­aus­stat­tung der Kom­mu­nen nicht. Ansprüche auf ei­ne Min­dest­aus­stat­tung oder ei­nen Aus­gleich neu­er Las­ten, wie sie in Lan­des­ver­fas­sun­gen vor­ge­se­hen sei­en, ken­ne das Grund­ge­setz nicht.

Der Bund sei für die an­ge­grif­fe­ne Re­ge­lung der Auf­ga­ben­zu­wei­sung ge­setz­ge­bungs­be­fugt ge­we­sen. Die Sach­re­ge­lungs­be­fug-nis zur Zu­sam­men­le­gung von Ar­beits­lo­sen- und So­zi­al­hil­fe er­ge­be sich aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG. Für die Or­ga­ni­sa­ti­ons-und Ver­fah­rens­re­ge­lun­gen be­ste­he ent­we­der ei­ne An­nex­zustän-dig­keit, die der Sach­re­ge­lungs­be­fug­nis fol­ge, oder ei­ne auf Art. 84 Abs. 1 Halb­satz 2 GG be­ru­hen­de Ge­setz­ge­bungs­zustän­dig­keit. Die sich aus die­ser Norm er­ge­ben­de Kom­pe­tenz zur Auf­ga­benüber­tra­gung auch an die Kom­mu­nen sei grundsätz­lich un­be­grenzt, un­ter­lie­ge ins­be­son­de­re kei­nen Be­schränkun­gen aus Art. 72 Abs. 2 GG oder aus dem Über­maßver­bot.

Die lan­des­ver­fas­sungs­recht­li­chen Kon­ne­xitäts­re­ge­lun­gen be­schränk­ten den Bund bei der Auf­ga­ben­zu­wei­sung nicht. Der Bund sei nicht ver­pflich­tet, auf Schutz­vor­keh­run­gen der Lan­des­ver­fas­sun­gen Rück­sicht zu neh­men. An­dern­falls würde Lan­des­ver-fas­sungs­recht zum Maßstab der Aus­le­gung von Bun­des­ver­fas­sungs­recht. Die Öff­nungs­klau­sel zu Guns­ten ei­ner lan­des­recht­li­chen Be­stim­mung an­de­rer Auf­ga­ben­träger ver­min­de­re den et­wai­gen Überg­riff in die Or­ga­ni­sa­ti­ons­ge­walt der Länder und


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könne des­halb nicht zur Ver­fas­sungs­wid­rig­keit der bun­des­ge­setz­li­chen Auf­ga­ben­zu­wei­sung führen.

Ergänzend ver­weist die Bun­des­re­gie­rung für ih­ren Rechts­stand­punkt auf ein Rol­len­pa­pier „Die Ar­beits­ge­mein­schaf­ten und ih­re Träger im SGB II“ vom 12. Ja­nu­ar 2007.

2. Das Bun­des­so­zi­al­ge­richt sieht kei­nen Be­zug der Ver­fas­sungs­be­schwer­den zu sei­ner Recht­spre­chung. Selbst wenn mit der Er­rich­tung der Ar­beits­ge­mein­schaf­ten auch de­ren Be­fug­nis zum Er­lass von Ver­wal­tungs­ak­ten ver­fas­sungs­wid­rig wäre, lie­ge ein Nich­tig­keits­grund nach § 40 Abs. 2 SGB X nicht vor. Auch die Auf­he­bung ei­nes von ei­ner Ar­beits­ge­mein­schaft er­las­se­nen Ver­wal­tungs­ak­tes wer­de nicht be­an­sprucht wer­den können.

3. Der Deut­sche Land­kreis­tag hält die Ver­fas­sungs­be­schwer­den für zulässig und be­gründet.

Die Vor­ga­ben des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts für ei­ne Auf­ga­ben­zu­wei­sung an die Kom­mu­nen durch Bun­des­ge­setz sei­en nicht ein­ge­hal­ten. Die Be­stim­mung der Land­krei­se und kreis­frei­en Städte zu Auf­ga­ben­trägern sei für den wirk­sa­men Voll­zug des Ge­set­zes nicht not­wen­dig. Der Lan­des­rechts­vor­be­halt spre­che da­ge­gen, und die Not­wen­dig­keit sei auch im Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­ren an kei­ner Stel­le dar­ge­legt wor­den. Ge­gen ei­ne bloß punk­tu­el­le An­nex­re­ge­lung sprächen schon die fi­nan­zi­el­le Di­men­si­on der Auf­ga­be und zu­dem der er­heb­li­che Ver­wal­tungs­auf­wand, den die­se größte Re­form des deut­schen So­zi­al­we­sens er­for­de­re. Die bun­des­ge­setz­li­che Re­ge­lung um­ge­he die lan­des­ver-


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fas­sungs­recht­li­chen Kon­ne­xitäts­re­ge­lun­gen. Ei­nen An­spruch ge­gen den Bund auf Aus­gleich der ent­ste­hen­den Mehr­aus­ga­ben hät­ten die Kom­mu­nen nicht.

Die Soll-Re­ge­lung des § 44b Abs. 3 Satz 2 SGB II ver­pflich­te die Kom­mu­nen zur Auf­ga­benüber­tra­gung auf die Ar­beits­ge­mein­schaf­ten, wenn nicht über­wie­gen­de Gründe für ei­nen aty­pi­schen Fall sprächen. Die durch Art. 28 Abs. 2 GG ge­schütz­te Ei­gen­ver­ant­wort­lich­keit der Auf­ga­ben­wahr­neh­mung sei da­durch be­ein­träch­tigt. Das Ob der Über­tra­gung sei der Ent­schei­dungs­be­fug­nis der Kom­mu­nen ent­zo­gen, und die et­wa auf die Führung der Geschäfte be­zo­ge­nen Vor­ga­ben schränk­ten auch die Ge­stalt­bar­keit der Auf­ga­ben­er­le­di­gung ein. Zu­dem sei mit den Ar­beits­ge­mein­schaf­ten oh­ne sach­li­chen Grund ei­ne Misch­ver­wal­tung aus Bun­des- und Lan­des­behörden ge­bil­det wor­den. Dies die­ne al­lein als fi­nan­zi­el­les Kom­pen­sa­ti­ons­mo­dell für den Bund. Die Ex­pe­ri­men­tier­klau­sel (§ 6a SGB II) zei­ge, dass ei­ne Misch­ver­wal­tung nicht zwin­gend oder sach­lich ge­bo­ten sei.

4. Der Deut­sche Ver­ein für öffent­li­che und pri­va­te Fürsor­ge hält die an­ge­grif­fe­nen Re­ge­lun­gen für ver­fas­sungs­wid­rig.

Die Auf­ga­ben­zu­wei­sung berühre den Schutz­be­reich der kom­mu­na­len Selbst­ver­wal­tungs­ga­ran­tie (Art. 28 Abs. 2 GG), ver­let­ze ihn aber nicht. Die teil­wei­se Wahr­neh­mung von Auf­ga­ben der Grund­si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de sei ei­ne An­ge­le­gen­heit der ört­li­chen Ge­mein­schaft und gehöre zu den tra­di­tio­nel­len Leis-

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tun­gen der Kom­mu­nen. Ei­ne Auf­ga­ben­neu­zu­wei­sung er­fol­ge hier nicht. Die Leis­tun­gen für Un­ter­kunft und Hei­zung sei­en hin­ge­gen bis­lang in Bun­des­auf­trags­ver­wal­tung nach dem Wohn­geldge-setz er­le­digt wor­den. Die Ver­wei­sung in den Be­reich der kom­mu­na­len Selbst­ver­wal­tung sei je­doch durch ei­ne An­nex­kom­pe­tenz zur Kom­pe­tenz­norm des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG zulässig.

Ver­letzt sei aber die Or­ga­ni­sa­ti­ons­ho­heit der Kom­mu­nen. Die Or­ga­ni­sa­ti­ons­be­stim­mun­gen des So­zi­al­ge­setz­buchs – Zwei­tes Buch - ver­letz­ten den Kern­be­reich der kom­mu­na­len Selbst­ver­wal­tungs­ga­ran­tie. § 44b SGB II be­stim­me die Art und Wei­se der Er­le­di­gung der Auf­ga­ben der Grund­si­che­rung, in­dem die Bil­dung ei­ner Ar­beits­ge­mein­schaft und die Über­tra­gung von Auf­ga­ben auf die­se Ar­beits­ge­mein­schaft an­ge­ord­net wer­de. Da­durch wer­de den Kom­mu­nen die Or­ga­ni­sa­ti­ons- und Per­so­nal­ho­heit für die­sen Be­reich ent­zo­gen. Die Steue­rung und Über­wa­chung der Mit­ar­bei­ter und des Ver­wal­tungs­voll­zugs würden ein­ge­schränkt. Die for­ma­le sach­li­che Zuständig­keit blei­be oh­ne die Kom­pe­tenz zur or­ga­ni­sa­to­ri­schen Aus­ge­stal­tung ei­ne lee­re Hülse. Das Er­brin­gen so­zia­ler Leis­tun­gen sei für die Kom­mu­nen Teil der po­li­ti­schen Ge­samt­steue­rung, die sie oh­ne die Or­ga­ni­sa­ti­ons­ge­walt nicht mehr sinn­voll ausüben können.

Oh­ne ei­nen adäqua­ten Fi­nanz­aus­gleich der Mehr­be­las­tung grei­fe ei­ne Auf­ga­ben­zu­wei­sung in die Fi­nanz­ho­heit der Kom­mu­nen ein. Ei­ne Aus­gleichs­pflicht des Bun­des ge­genüber den Kom­mu­nen sei zwar nicht ex­pli­zit nor­miert, fin­de aber ei­nen Nie-


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der­schlag in Art. 106 Abs. 8 GG. Ei­ne pau­scha­le, bun­des­weit wir­ken­de Aus­gleichs­leis­tung sei un­zu­rei­chend. Ei­ne kom­mu­nal­in­di­vi­du­ell an­ge­pass­te Aus­gleichs­leis­tung sei un­ab­ding­bar.

Die ge­schaf­fe­ne Form der Misch­ver­wal­tung ver­let­ze we­gen der un­zu­rei­chen­den auf­sichts­recht­li­chen Durch­for­mung das De­mo­kra­tie­prin­zip. Die Ar­beits­ge­mein­schaf­ten sei­en pri­vat­recht­lich or­ga­ni­sier­te Be­lie­he­ne, für die ei­ne Fach­auf­sicht nicht aus­rei­chend si­cher­ge­stellt sei.

5. Der Säch­si­sche Da­ten­schutz­be­auf­trag­te und der Bun­des­be­auf­trag­te für den Da­ten­schutz und die In­for­ma­ti­ons­frei­heit wei­sen auf die Schwie­rig­kei­ten hin, die sich dar­aus ergäben, dass die Da­ten­schutz­kon­trol­le der Tätig­kei­ten der Ar­beits­ge­mein­schaf­ten teil­wei­se beim Bun­des­be­auf­trag­ten für den Da­ten­schutz und teil­wei­se bei den Lan­des­da­ten­schutz­be­auf­trag­ten liegt. Der Bun­des­be­auf­trag­te für den Da­ten­schutz und die In­for­ma­ti­ons­frei­heit weist dar­auf hin, die bis­he­ri­ge Pra­xis zei­ge, dass sach­ge­rech­te Lösun­gen im Um­gang mit dem Kon­strukt der Ar­beits­ge­mein­schaf­ten möglich sei­en.

IV.

In der münd­li­chen Ver­hand­lung am 24. Mai 2007 ha­ben die Be­schwer­deführer und die Bun­des­re­gie­rung ih­re schriftsätz­li-chen Äußerun­gen erläutert, ver­tieft und ergänzt.

Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat sach­verständi­ge Einschät­zun­gen von zwei Geschäftsführern von Ar­beits­ge­mein­schaf­ten zu

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den tatsächli­chen Abläufen in­ner­halb von Ar­beits­ge­mein­schaf­ten gehört. Der Geschäftsführer der Ar­beits­ge­mein­schaft im Kreis Aa­chen, G., und der Geschäftsführer der Ar­beits­ge­mein­schaft SGB II Er­furt, R., ha­ben sich zu den struk­tu­rel­len und or­ga­ni­sa­to­ri­schen Fra­gen bei der prak­ti­schen Um­set­zung geäu­ßert und sind ins­be­son­de­re auf die Ent­schei­dungs­struk­tu­ren, Wei­sungs­stränge, die Auf­sicht durch ver­schie­de­ne Behörden, Per­so­nal­fra­gen, die Fi­nanz­aus­stat­tung und die tech­ni­sche Inf­ra­struk­tur ein­ge­gan­gen. Außer­dem wur­den Prof. Dr. H. und Prof. Dr. R. als sach­kun­di­ge Aus­kunfts­per­so­nen (§ 27a BVerfGG) zur prak­ti­schen Um­set­zung der ge­setz­li­chen Vor­ga­ben, zu den Ent­schei­dungs­struk­tu­ren und zu mögli­chen Pro­ble­men des ge­mein­sa­men Auf­ga­ben­voll­zugs von Ge­mein­de­verbänden und der Bun­des­agen­tur für Ar­beit in den Ar­beits­ge­mein­schaf­ten gehört.

B.

Die Ver­fas­sungs­be­schwer­den sind zulässig.

Die Be­schwer­deführer sind be­schwer­de­be­fugt. Sie ha­ben ei­ne mögli­che Ver­let­zung ih­res Rechts auf Selbst­ver­wal­tung

(Art. 28 Abs. 2 GG) aus­rei­chend sub­stan­ti­iert be­haup­tet.

So­weit die Bun­des­re­gie­rung meint, die Be­schwer­deführer könn­ten schon ei­ne Be­schwer durch die Er­rich­tung der Ar­beits­ge­mein­schaf­ten nicht aus­rei­chend dar­le­gen, weil § 44b Abs. 3 Satz 2 SGB II nur ei­nen Ap­pell des Ge­setz­ge­bers ent­hal­te und


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die kom­mu­na­len Träger nicht ver­pflich­te, Auf­ga­ben zu über­tra­gen, kann dem nicht ge­folgt wer­den.

§ 44b Abs. 3 Satz 2 SGB II enthält für den Re­gel­fall ei­ne Ver­pflich­tung der kom­mu­na­len Träger, ih­re Auf­ga­ben (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II) der Ar­beits­ge­mein­schaft zu über­tra­gen. Die For­mu­lie­rung „sol­len“ be­deu­tet in der Ge­set­zes­spra­che ei­ne den Adres­sa­ten tref­fen­de Ver­bind­lich­keit, die Aus­nah­men nur für aty­pi­sche Fälle zulässt. Er­mes­sen soll durch ei­ne sol­che Re­ge­lung nicht eröff­net wer­den.

Ein Wil­le, dem Wort „sol­len“ hier ei­nen an­de­ren als den übli­chen Sinn bei­zu­mes­sen, ist auch den Ge­setz­ge­bungs­ma­te­ria­li­en nicht zu ent­neh­men. Ei­ne Be­deu­tungs­ab­wei­chung vom übli­chen Ge­brauch des Wor­tes „sol­len“ wird dort nicht erörtert. Das aus dem Rechts­staats­prin­zip fol­gen­de Ge­bot der Verständ­lich­keit gel­ten­der Nor­men steht ei­ner Aus­le­gung ent­ge­gen, die auf den Wil­len der­je­ni­gen ab­stel­len würde, die mit der For­mu­lie­rung „sol­len“ ei­nen un­ver­bind­li­chen, de­kla­ra­to­risch vor­ge­tra­ge­nen Wunsch aus­drücken woll­ten. Al­lein die An­wei­sung an die Kom­mu­nen, ih­re Auf­ga­ben im Re­gel­fall auf die Ar­beits­ge­mein­schaf­ten zu über­tra­gen, ist dem Ge­setz zu ent­neh­men. Die Tat­sa­che, dass die ge­setz­li­chen Re­ge­lun­gen kei­ne Sank­ti­on oder an­der­wei­ti­ge Maßnah­men re­geln, um die­se Rechts­fol­ge durch­zu­set­zen, ändert an die­sem Be­fund nichts.


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C.

Die Ver­fas­sungs­be­schwer­den sind un­be­gründet, so­weit sie sich ge­gen die Auf­ga­ben­zu­wei­sung in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II und ge­gen die Fi­nan­zie­rungs­re­ge­lung in § 46 Abs. 1 und Abs. 5 bis 10 SGB II rich­ten. So­weit die Be­schwer­deführer in dem Ver­fah­ren 2 BvR 2433/04 die Ver­fas­sungs­wid­rig­keit der in § 44b SGB II ge­re­gel­ten Ar­beits­ge­mein­schaf­ten rügen, hat die Kom­mu­nal­ver­fas­sungs­be­schwer­de Er­folg.

I.

So­weit sich die Ver­fas­sungs­be­schwer­den ge­gen die Auf­ga­ben­zu­wei­sung (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II) rich­ten, blei­ben sie er­folg­los und sind zurück­zu­wei­sen. Die Be­stim­mung der Krei­se und kreis­frei­en Städte zu Trägern der Grund­si­che­rung ver­letzt nicht das Recht auf kom­mu­na­le Selbst­ver­wal­tung. Ei­ne Ver­let­zung von Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG durch Auf­ga­ben­zu­wei­sung ist nicht er­kenn­bar (1.). So­weit die Be­schwer­deführer sich auf ei­ne Ver­let­zung von Art. 84 Abs. 1 GG be­ru­fen, ha­ben ih­re Ver­fas­sungs­be­schwer­den eben­falls kei­nen Er­folg (2.).

1. Der die Be­schwer­deführer schützen­de Ga­ran­tie­ge­halt des Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG wird durch die Auf­ga­ben­zu­wei­sung des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II nicht ver­letzt.

a) Das Recht der Selbst­ver­wal­tung ist den Ge­mein­de­verbän­den nach Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG für die Aus­ge­stal­tung ih­res Auf­ga­ben­be­reichs nur ein­ge­schränkt gewähr­leis­tet. An­ders als


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bei den Ge­mein­den (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) be­schreibt die Ver­fas­sung die Auf­ga­ben der Krei­se nicht selbst, son­dern übe­r­ant­wor­tet dies dem Ge­setz­ge­ber (vgl. BVerfGE 79, 127 <150>; 83, 363 <383>; Drei­er, in: Drei­er, Grund­ge­setz, Band II, 2. Aufl. 2006, Art. 28 Rn. 174; Löwer, in: von Münch/ Ku­nig, GG, 4./5. Aufl. 2001, Art. 28 Rn. 85; Stern, in: Dol-zer/Vo­gel/Graßhof, Bon­ner Kom­men­tar <BK>, Lo­sebl. <Ju­li 2006>, Art. 28 Rn. 168; Wa­ech­ter, Kom­mu­nal­recht, 3. Aufl. 1997, Rn. 172). Des­sen Ge­stal­tungs­spiel­raum bei der Re­ge­lung des Auf­ga­ben­be­reichs der Krei­se fin­det erst dort Gren­zen, wo ver­fas­sungs­recht­li­che Gewähr­leis­tun­gen des Selbst­ver­wal­tungs­rechts der Krei­se ent­wer­tet würden. Der Ge­setz­ge­ber darf die­se Gewähr­leis­tung nicht un­ter­lau­fen, in­dem er kei­ne Auf­ga­ben zu­weist, die in der von der Ver­fas­sung selbst gewähr­ten Ei­gen­ver­ant­wort­lich­keit wahr­ge­nom­men wer­den könn­ten. Der Ge­setz­ge­ber muss des­halb ei­nen Min­dest­be­stand an Auf­ga­ben zu­wei­sen, die die Krei­se un­ter voll­kom­me­ner Ausschöpfung der auch ih­nen gewähr­ten Ei­gen­ver­ant­wort­lich­keit er­le­di­gen kön­nen.

Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG spricht zwar nicht da­ge­gen, den Krei­sen auch staat­li­che Auf­ga­ben in den über­tra­ge­nen Wir­kungs­kreis zu­zu­wei­sen; aber er ga­ran­tiert da­ne­ben ei­ne Zu­wei­sung in den ei­ge­nen Wir­kungs­kreis, al­so ei­nen Be­stand an überört­li­chen, kreis­kom­mu­na­len An­ge­le­gen­hei­ten des ei­ge­nen Wir­kungs­krei­ses (vgl. BVerfGE 83, 363 <383 f.>; Löwer,

a.a.O., Art. 28 Rn. 85). Die­ser Auf­ga­ben­be­stand muss für sich


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ge­nom­men und im Ver­gleich zu zu­ge­wie­se­nen staat­li­chen Auf­ga­ben ein Ge­wicht ha­ben, das der in­sti­tu­tio­nel­len Ga­ran­tie der Krei­se als Selbst­ver­wal­tungskörper­schaf­ten ge­recht wird. Wür­den ih­nen ne­ben ei­nem Schwer­ge­wicht an Auf­ga­ben im über­tra­ge­nen Wir­kungs­kreis nur ganz randständi­ge, in Be­deu­tung und Um­fang ne­bensächli­che Selbst­ver­wal­tungs­auf­ga­ben des ei­ge­nen Wir­kungs­krei­ses zu­ge­wie­sen, so wäre die Ga­ran­tie des Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG durch den Ge­setz­ge­ber um­gan­gen und ent­wer­tet (vgl. Schmidt-Aßmann/Röhl, Kom­mu­nal­recht, in: Schmidt-Aßmann, Be­son­de­res Ver­wal­tungs­recht, 13. Aufl. 2005, Rn. 138). Hält der Ge­setz­ge­ber die­se Be­gren­zung ein, so bleibt ihm ein wei­ter Spiel­raum, der die Gewähr­leis­tung des Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG nicht berührt (vgl. Schmidt-Aßmann/Röhl, a.a.O.).

b) Nicht nur ein Ent­zug von Auf­ga­ben (vgl. BVerfGE 79, 127), son­dern auch ei­ne Auf­ga­ben­zu­wei­sung kann in das Recht auf Selbst­ver­wal­tung ein­grei­fen, wenn da­durch die Möglich­keit ein­ge­schränkt wird, Selbst­ver­wal­tungs­auf­ga­ben wahr­zu­neh­men, die zum ver­fas­sungs­recht­lich geschütz­ten Auf­ga­ben­be­stand ge­hören (vgl. NW­VerfGH, Ur­teil vom 22. Sep­tem­ber 1992 - VerfGH 3/91 -, NVwZ-RR 1993, S. 486 <487>; Ur­teil vom 12. De­zem­ber 1995 - VerfGH 5/94 -, NVwZ 1996, S. 1100; Ur­teil vom 9. De­zem­ber 1996 - VerfGH 11, 12, 15, 34 u. 37/95 -, NVwZ 1997, S. 793 f.; RhPf­VerfGH, Ur­teil vom 16. März 2001 - VGH

88/00 -, NVwZ 2001, S. 912 <914>; Sachs­AnhVerfG, Ur­teil vom 8. De­zem­ber 1998 - LVG 10-97 -, NVwZ-RR 1999, S. 393 <396>;


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Sto­ber, Kom­mu­nal­recht in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, 3. Aufl. 1996, § 7 IV 1 b bb; Wa­ech­ter, a.a.O., Rn. 149).

Bei Ge­mein­den wird die ge­meind­li­che Selbst­ver­wal­tung be­reits da­durch berührt, dass ei­ne Auf­ga­ben­zu­wei­sung ih­nen er­schwert, neue Selbst­ver­wal­tungs­auf­ga­ben zu über­neh­men; denn zur Ga­ran­tie der ge­meind­li­chen Selbst­ver­wal­tung gehört das Zu­griffs­recht auf al­le Auf­ga­ben der ört­li­chen Ge­mein­schaft, die nicht an­de­ren Ver­wal­tungs­trägern rechtmäßig zu­ge­wie­sen sind. Dem­ge­genüber können sich Krei­se nur un­ter be­son­de­ren Umständen ge­gen ei­ne Auf­ga­ben­zu­wei­sung durch den Ge­setz­ge­ber weh­ren. Ei­nen Ab­wehran­spruch ge­gen Verände­run­gen des ge­setz­li­chen Auf­ga­ben­be­stands gewährt Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG den Ge­mein­de­verbänden in der Re­gel nicht (vgl. Wa­ech­ter, a.a.O., Rn. 178).

An­ders als bei den Ge­mein­den spricht bei den Ge­mein­de­ver­bänden die Ver­mu­tung zunächst ge­gen ei­nen Ein­griff in das Selbst­ver­wal­tungs­recht; da die­se auf ei­nen ge­setz­lich be­schrie­be­nen Auf­ga­ben­be­stand ver­wie­sen sind, be­deu­tet ei­ne Än­de­rung in al­ler Re­gel nicht ei­nen Ein­griff in den ver­fas­sungs­recht­lich ga­ran­tier­ten Auf­ga­ben­be­stand, son­dern ei­ne neue Um­schrei­bung sei­nes Um­fangs. Ein Ein­griff in das ver­fas­sungs­recht­lich ga­ran­tier­te Selbst­ver­wal­tungs­recht der Ge­mein­de­verbände kann erst an­ge­nom­men wer­den, wenn die Über­tra­gung ei­ner neu­en Auf­ga­be ih­re Ver­wal­tungs­ka­pa­zitäten so sehr in An­spruch nimmt, dass sie nicht mehr aus­rei­chen, um ei­nen Min-


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dest­be­stand an zu­ge­wie­se­nen Selbst­ver­wal­tungs­auf­ga­ben des ei­ge­nen Wir­kungs­krei­ses wahr­zu­neh­men, der für sich ge­nom­men und im Ver­gleich zu zu­ge­wie­se­nen staat­li­chen Auf­ga­ben ein Ge­wicht auf­weist, das der in­sti­tu­tio­nel­len Ga­ran­tie der Krei­se als Selbst­ver­wal­tungskörper­schaf­ten ge­recht wird.

Außer­halb ei­nes sol­chen Min­dest­be­stands an ech­ten Selbst­ver­wal­tungs­auf­ga­ben schützt Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG ge­gen Auf­ga­ben­ent­zie­hun­gen und -zu­wei­sun­gen nicht; den Ge­mein­de­ver­bänden ist, an­ders als den Ge­mein­den, kein be­stimm­ter Auf­ga­ben­be­reich un­mit­tel­bar durch die Ver­fas­sung zu­ge­wie­sen (vgl. BVerfGE 21, 117 <128 f.>; 23, 353 <365>; 79, 127 <150 ff.>; 83, 363 <383>; Drei­er, a.a.O., Art. 28 Rn. 178; Gern, Deut­sches Kom­mu­nal­recht, 3. Aufl. 2003, Rn. 97; Stern, a.a.O., Art. 28 Rn. 169; Wa­ech­ter, a.a.O., Rn. 178).

c) Ei­ne Ver­let­zung des Kern­be­reichs oder We­sens­ge­halts der Selbst­ver­wal­tung durch die Auf­ga­ben­zu­wei­sung in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II ha­ben die Be­schwer­deführer nicht dar­ge­tan. Die Be­schwer­deführer be­zeich­nen die fi­nan­zi­el­len Fol­gen der Zu­wei­sung der Auf­ga­ben der Grund­si­che­rung für Ar­beitsu­chen­de als gra­vie­rend. Der Schutz des strik­ten Kon­ne­xi-tätsprin­zips nach dem Ver­fas­sungs­recht der Länder wer­de um­gan­gen, so dass ein vollständi­ger fi­nan­zi­el­ler Aus­gleich für die zu über­neh­men­den Auf­ga­ben aus­blei­be.

Auf die­se Wei­se können Krei­se ei­ne Ver­let­zung des We­sens­ge­halts der Selbst­ver­wal­tung nicht mit Er­folg gel­tend ma­chen.


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Die Be­schwer­deführer be­kla­gen durch den Hin­weis auf fi­n­an­ziel­le Be­las­tun­gen mit­tel­bar man­geln­den Spiel­raum zur Erfül­lung frei­wil­li­ger Selbst­ver­wal­tungs­auf­ga­ben. Da aber Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG die Wahr­neh­mung frei­wil­li­ger Selbst­ver­wal­tungs­auf­ga­ben nicht ga­ran­tiert, kann ein Ver­fas­sungs­ver­s­toß nicht fest­ge­stellt wer­den. Über den Be­stand ih­rer Pflicht­auf­ga­ben im ei­ge­nen Wir­kungs­kreis und über die Wahr­neh­mung die­ser Auf­ga­ben ge­ben die Be­schwer­deführer kei­ne Aus­kunft. Sie le­gen nicht dar, wie es um die Auf­ga­ben be­stellt ist, die nach Lan­des­recht übli­cher­wei­se den Krei­sen als Pflicht­auf­ga­ben im ei­ge­nen Wir­kungs­kreis zu­ge­wie­sen sind wie die Träger­schaft für wei­terführen­de Schu­len, die Nah­ver­kehr­sträger-schaft, die Ab­fall­ent­sor­gung oder et­wa die Kran­ken­haus­ver­sor­gung. Es kommt in Be­tracht, die­sen Auf­ga­ben­kreis we­nigs­tens als ei­nen Min­dest­be­stand an „kreis­kom­mu­na­len“ - al­so überört­li­chen - Auf­ga­ben zu be­ur­tei­len, der das Bild der Krei­se als Selbst­ver­wal­tungskörper­schaf­ten und als nicht nur staat­li­che Ver­wal­tungs­stel­len aus­rei­chend prägen kann. So­lan­ge aber ei­ne ernst­haf­te Be­ein­träch­ti­gung der Erfüllung sol­cher Auf­ga­ben nicht nach­prüfbar dar­ge­legt ist, kann ei­ne Ver­let­zung des We­sens­ge­halts der Selbst­ver­wal­tung der Krei­se durch Ein­grif­fe in den Auf­ga­ben­be­stand nicht an­ge­nom­men wer­den.

2. So­weit sich die Be­schwer­deführer auf ei­ne Ver­let­zung von Art. 84 Abs. 1 GG be­ru­fen, ha­ben ih­re Ver­fas­sungs­be­schwer­den eben­falls kei­nen Er­folg.


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a) Ge­mein­den und Ge­mein­de­verbände können sich im Rah­men der Kom­mu­nal­ver­fas­sungs­be­schwer­de nur ein­ge­schränkt dar­auf be­ru­fen, dass ei­ne ge­setz­li­che Re­ge­lung auch sons­ti­ges Ver­fas­sungs­recht ver­letzt; denn die Kom­mu­nal­ver­fas­sungs­be­schwer­de folgt, auch wenn sie aus­sch­ließlich ge­gen Rechts­nor­men ge­rich­tet wer­den kann, nicht den Re­geln der abs­trak­ten Nor­men­kon­trol­le. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt ist nicht be­fugt, im Ge­fol­ge ei­ner zulässi­gen Kom­mu­nal­ver­fas­sungs­be­schwer­de die Be­gründet­heits­prüfung be­lie­big auf an­de­re Ver­fas­sungs­be­stim­mun­gen aus­zu­wei­ten (vgl. Be­th­ge, in: Maunz/Schmidt-Bleib­treu/ Klein/Be­th­ge, BVerfGG, § 91 Rn. 63).

Ist die Selbst­ver­wal­tungs­ga­ran­tie durch ei­ne an­ge­grif­fe­ne Re­ge­lung nicht berührt, kann ei­ne Über­prüfung am Maßstab der grund­ge­setz­li­chen Kom­pe­tenz­ord­nung im Ver­fah­ren der Kom­mu­nal­ver­fas­sungs­be­schwer­de nicht er­reicht wer­den (vgl. BVerfG, Be­schluss der 1. Kam­mer des Zwei­ten Se­nats vom 23. Sep­tem­ber 1994 - 2 BvR 1547/85 -, NVwZ 1995, S. 370 <371>; Be­schluss der 2. Kam­mer des Zwei­ten Se­nats vom 7. Ja­nu­ar 1999 - 2 BvR 929/97 -, NVwZ 1999, S. 520 <522>; Be­schluss der 3. Kam­mer des Zwei­ten Se­nats vom 13. März 2000 - 2 BvR 860/95 -, BayVBl 2000, S. 721 <722>).

Im Rah­men ei­ner Kom­mu­nal­ver­fas­sungs­be­schwer­de können an­de­re Ver­fas­sungs­nor­men als Art. 28 Abs. 2 GG nur in­so­weit als Prüfungs­maßstab her­an­ge­zo­gen wer­den, als sie ih­rem In­halt nach das ver­fas­sungs­recht­li­che Bild der Selbst­ver­wal­tung mit-


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zu­be­stim­men ge­eig­net sind (vgl. BVerfGE 1, 161 <181>; 56, 298 <310>; 71, 25 <37>; 91, 228 <242>). Die Rüge ei­ner Ver­let­zung von Art. 84 Abs. 1 GG oder Vor­schrif­ten über die Ge­setz­ge­bung des Bun­des kann nur in dem Rah­men er­ho­ben wer­den, den der Ga­ran­tie­ge­halt des Art. 28 Abs. 2 GG eröff­net; sie ist ak­zes­so-risch (vgl. Be­th­ge, a.a.O., § 91 Rn. 59 ff.; sie­he auch

Ro­bra, Or­ga­ni­sa­ti­on der SGB II-Leis­tungs­träger im Schnitt­be­reich zwi­schen Staats­or­ga­ni­sa­ti­ons-, Fi­nanz­ver­fas­sungs- und kom­mu­na­lem Selbst­ver­wal­tungs­recht, 2007, S. 160).

So­weit ei­ne an­de­re Norm des Grund­ge­set­zes ei­nen Be­zug zur Selbst­ver­wal­tungs­ga­ran­tie des Art. 28 Abs. 2 GG auf­weist, wird sie nicht in vol­lem Um­fang zum Prüfungs­maßstab im Rah­men ei­ner kom­mu­na­len Ver­fas­sungs­be­schwer­de, son­dern nur in­so­weit, als sie sich als Kon­kre­ti­sie­rung des Art. 28 Abs. 2 GG dar­stellt (vgl. BVerfGE 71, 25 <38>). Nur so­weit die Ver­fas­sungs­norm in den Gewähr­leis­tungs­um­fang des Art. 28 Abs. 2 GG hin­ein­wirkt, kann sie im Rah­men ei­ner Kom­mu­nal­ver­fas­sungs­be­schwer­de als Prüfungs­maßstab her­an­ge­zo­gen wer­den.

Die­se Ein­schränkun­gen der Kom­mu­nal­ver­fas­sungs­be­schwer­de auf den Gewähr­leis­tungs­be­reich des Art. 28 Abs. 2 GG er­ge­ben sich aus dem in der Ver­fas­sung ge­re­gel­ten ge­genständ­lich be­schränk­ten An­trags­recht der Ge­mein­den und Ge­mein­de­verbände (vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG) und las­sen ei­ne Rei­he von Kon­stel­la­tio­nen zu, in de­nen Ver­fas­sungs­verstöße nicht gel­tend ge­macht wer­den können und da­her - sei­en sie noch so of-

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fen­sicht­lich - nicht zu ei­ner ver­fas­sungs­ge­richt­li­chen Be­an­stan­dung führen können, wenn die frag­li­che Norm nicht in ei­ner an­de­ren Ver­fah­rens­art - et­wa der abs­trak­ten oder kon­k­re­ten Nor­men­kon­trol­le - Prüfungs­ge­gen­stand wird.

b) Da­nach muss of­fen blei­ben, ob der Bund durch § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II ge­gen Art. 84 Abs. 1 GG a.F. ver­s­toßen hat; denn die Be­schwer­deführer können sich, so­weit der Schutz­be­reich der Selbst­ver­wal­tungs­ga­ran­tie des Art. 28

Abs. 2 Satz 2 GG nicht berührt ist, im Rah­men ei­ner Kom­mu­nal­ver­fas­sungs­be­schwer­de nicht auf die­se Norm des Grund­ge­set­zes be­ru­fen.

aa) Art. 84 Abs. 1 GG a.F. dien­te nicht da­zu, den Kern­be­reich kom­mu­na­ler Selbst­ver­wal­tung zu er­hal­ten, son­dern soll­te vor ei­nem un­zulässi­gen Ein­griff des Bun­des in die Ver­wal­tungs­zuständig­keit der Länder schützen (vgl. auch BVerfGE 22, 180 <209 f.>). Art. 84 GG a.F. be­traf die Aus­ge­stal­tung der Lan­des­ei­gen­ver­wal­tung und ermöglich­te ei­nen wirk­sa­men Voll­zug von Bun­des­ge­set­zen. So­weit es um die Auf­ga­ben­zu­wei­sung an die Ge­mein­den und Ge­mein­de­verbände geht, konn­te es nur dar­um ge­hen zu ver­hin­dern, dass die Länder in der Ge­stal­tung der von lan­des­or­ga­ni­sa­to­ri­schen Be­son­der­hei­ten abhängi­gen Ver­wal­tungs­or­ga­ni­sa­ti­on ein­ge­schränkt wer­den, oh­ne dass dies das Grund­ge­setz aus­drück­lich be­stimmt oder zulässt (vgl. Hen­ne-ke/Ru­ge, in: Schmidt-Bleib­treu/Klein, Kom­men­tar zum Grundge­setz, 10. Aufl. 2004, Art. 84 Rn. 10). Der Schutz ei­nes Min-

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dest­be­stands an Selbst­ver­wal­tungs­auf­ga­ben der Ge­mein­de­verbän­de wird da­mit nicht be­zweckt.

So­weit sich die Be­schwer­deführer dar­auf be­ru­fen, dass lan­des­recht­li­che Kon­ne­xitäts­vor­schrif­ten um­gan­gen würden, führt dies eben­falls nicht da­zu, dass sich Ge­mein­de­verbände im Rah­men ei­ner Kom­mu­nal­ver­fas­sungs­be­schwer­de vor dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt ge­gen die Zu­wei­sung von Auf­ga­ben auf Art. 84 Abs. 1 GG a.F. be­ru­fen können.

Die Be­schwer­deführer ma­chen gel­tend, dass die Kom­pe­tenz­fra­ge im vor­lie­gen­den Zu­sam­men­hang nicht nur von bun­des­staat­li­cher Be­deu­tung sei. Die Zuständig­keits­ab­gren­zung zwi­schen Bund und Ländern sei aus der Sicht der be­trof­fe­nen Krei­se und kreis­frei­en Städte von her­aus­ra­gen­dem ma­te­ri­el­len In­ter­es­se, weil im Fal­le ei­ner bun­des­ge­setz­li­chen Auf­ga­ben­zu­wei­sung al­le lan­des­ver­fas­sungs­recht­li­chen Schutz­me­cha­nis­men un­an­wend­bar würden. Da­mit wird aber le­dig­lich dar­ge­legt, dass aus ver­fas­sungs­sys­te­ma­ti­schen Gründen und im Hin­blick auf die in­ner­halb der Länder aus­gelösten fi­nanz­ver­fas­sungs­recht­li­chen Fol­gen ein Durch­griff des Bun­des auf die kom­mu­na­le Ebe­ne ver­fas­sungs­wid­rig sei. Da­mit sich die Ge­mein­de­verbände im Rah­men der Kom­mu­nal­ver­fas­sungs­be­schwer­de oh­ne wei­te­res auf Art. 84 Abs. 1 GG a.F. be­ru­fen können, müss­te die­se Vor­schrift je­doch da­zu die­nen, die Ge­mein­de­verbände vor ei­ner Auf­ga­ben­zu­wei­sung in ih­ren Kern­be­reich zu schützen. Dies lässt sich Art. 84 Abs. 1 GG a.F. nicht ent­neh­men.


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Sch­ließlich können sich die Be­schwer­deführer auch nicht auf die bis­he­ri­ge Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts be­ru­fen. Da­nach er­laub­te Art. 84 Abs. 1 GG a.F. dem Bun­des­ge­setz­ge­ber je­den­falls in Aus­nah­mefällen die Zu­wei­sung von Auf­ga­ben an Ge­mein­den oder Ge­mein­de­verbände als Selbst­ver­wal­tungs­auf­ga­ben. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat als ei­nen sol­chen Aus­nah­me­fall die Ein­schal­tung von Ge­mein­den in den Voll­zug von Bun­des­ge­set­zen auch im Be­reich des ei­ge­nen Wir­kungs­krei­ses für zulässig er­ach­tet, wenn es sich um ei­ne punk­tu­el­le An­nex­re­ge­lung zu ei­ner zur Zuständig­keit des Bun­des­ge­setz­ge­bers gehören­den ma­te­ri­el­len Re­ge­lung han­del­te und wenn die­se An­nex­re­ge­lung für den wirk­sa­men Voll­zug der ma­te­ri­el­len Be­stim­mun­gen des Ge­set­zes not­wen­dig war (vgl. BVerfGE 22, 180 <209 f.>; 77, 288 <299>). Grund für die­se Ein­schrän­kung war nicht ei­ne Kon­kre­ti­sie­rung des Kern­be­reichs der Selbst­ver­wal­tungs­ga­ran­tie der Ge­mein­de­verbände; viel­mehr stell­te das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt dar­auf ab, dass das Grund­ge­setz die Ma­te­rie des Kom­mu­nal­rechts nicht dem Bund zu­weist, son­dern sie aus­sch­ließlich den Ländern belässt

(Art. 30, 70 ff. GG). Ei­ne Er­wei­te­rung des Schutz­be­reichs der kom­mu­na­len Selbst­ver­wal­tung hat das Ge­richt in Art. 84 Abs. 1 GG a.F. nicht ge­se­hen.

bb) Sch­ließlich enthält Art. 84 Abs. 1 GG a.F. kei­ne Kon­kre­ti­sie­rung des Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG. An­ders als Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG in der Fas­sung des Ge­set­zes zur Ände­rung des Grund­ge­set­zes vom 28. Au­gust 2006 (BGBl I S. 2034) ließ sich


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der frühe­ren Fas­sung des Art. 84 Abs. 1 GG kein ab­so­lu­tes Ver­bot der Auf­ga­ben­zu­wei­sung auf die kom­mu­na­le Ebe­ne ent­neh­men.

c) So­weit die Be­schwer­deführer dar­auf ver­wei­sen, dass die nach ih­rer Auf­fas­sung ver­fas­sungs­wid­ri­ge Auf­ga­ben­zu­wei­sung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II in der Zu­kunft ei­ne Er­wei­te­rung durch Bun­des­ge­setz ermögli­che und die Be­schwer­de­führer dem schutz­los aus­ge­lie­fert sei­en, wer­fen sie Fra­gen na­ment­lich des Über­g­angs­rechts des Art. 125a GG auf, die in die­sem Ver­fah­ren zu klären kein An­lass be­steht.

II.

Die Ver­fas­sungs­be­schwer­den sind auch un­be­gründet, so­weit die Be­schwer­deführer sich ge­gen § 46 Abs. 1 und Abs. 5 bis 10 SGB II wen­den. Die Vor­schrift ord­net ei­ne Geld­zah­lung des Bun­des an die Länder an. Die Höhe des vom Bund an die Länder zu zah­len­den Be­trags soll ei­ne Ent­las­tung der Kom­mu­nen in be­stimm­ter Höhe be­wir­ken. Die Norm be­rech­tigt und ver­pflich­tet al­lein den Bund und die Länder. Ansprüche oder Pflich­ten der Kom­mu­nen wer­den nicht ge­re­gelt.

Ei­ne Ver­let­zung des Rechts aus Art. 28 Abs. 2 GG ist aus­ge­schlos­sen; denn § 46 SGB II verstößt we­der ge­gen Art. 28 Abs. 2 GG noch ge­gen ei­ne an­de­re Norm der Ver­fas­sung.

1. Die Be­schwer­deführer set­zen vor­aus, der Bund sei we­der be­rech­tigt noch ver­pflich­tet, die fi­nan­zi­el­len Verhält­nis­se


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der Kom­mu­nen oh­ne Ein­schal­tung der Länder zu ord­nen, und mei­nen, da­ge­gen ver­s­toße § 46 SGB II, weil die­se Norm ver­bind­lich be­stim­me, wel­che Aus­gleichs­leis­tun­gen die kom­mu­na­len Träger der Grund­si­che­rung aus dem Bun­des­haus­halt er­hal­ten und wel­che Las­ten sie folg­lich selbst zu tra­gen hätten.

Dem wi­der­spricht der Wort­laut des § 46 SGB II. Nach des­sen Ab­satz 6 bis 8 hat der Bund je­dem Land ei­nen be­stimm­ten An­teil der von den Kom­mu­nen zu er­brin­gen­den Leis­tun­gen zu er­stat­ten. Ei­nen Zah­lungs­an­spruch ge­gen den Bund er­wer­ben aus § 46 SGB II mit­hin al­lein die Länder. Die Aus­ga­ben der Krei­se und kreis­frei­en Städte be­stim­men die Höhe des Be­trags, den je­des Land vom Bund be­an­spru­chen kann. § 46 SGB II bie­tet aber kei­nen An­halts­punkt für ei­nen An­spruch der Krei­se und kreis­frei­en Städte, we­der ge­gen den Bund noch ge­gen das Land.

§ 46 Abs. 5 SGB II for­mu­liert die Ab­sicht, die Kom­mu­nen in be­stimm­ter Höhe durch die Zah­lung des Bun­des zu ent­las­ten. Aber ein Rechts­verhält­nis zwi­schen den Kom­mu­nen und dem Bund ent­steht nicht. Die Re­ge­lung ge­bie­tet auch dem Land nicht, den Be­trag an die Krei­se und kreis­frei­en Städte wei­ter­zu­ge­ben, noch be­schränkt sie ei­ne nach et­wai­gem Lan­des­recht zu leis­ten­de Zah­lung auf den vom Bund er­hal­te­nen Be­trag.

2. Da­her braucht auch aus An­lass die­ses Ver­fah­rens nicht ent­schie­den zu wer­den, ob Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG die Ge­währ­leis­tung der Selbst­ver­wal­tung sach­lich er­wei­tert oder we­nigs­tens ma­te­ri­ell­recht­lich verstärkt hat oder ob zu der

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durch Art. 28 Abs. 2 GG gewähr­leis­te­ten kom­mu­na­len Fi­nanz­ho­heit über ei­ne ei­gen­ver­ant­wort­li­che Ein­nah­men- und Aus­ga­ben-wirt­schaft hin­aus auch ei­ne an­ge­mes­se­ne Fi­nanz­aus­stat­tung oder je­den­falls ei­ne fi­nan­zi­el­le Min­dest­aus­stat­tung gehört. Selbst wenn es Aus­gleichs­ansprüche der Ge­mein­den und Krei­se ge­gen den Bund gäbe, die aus der Über­tra­gung von Zuständig­kei­ten folg­ten, könn­te § 46 SGB II ei­nen sol­chen An­spruch nicht ver­let­zen.

Mit der Be­haup­tung, sie hätten ei­nen An­spruch, während § 46 SGB II das Land be­rech­ti­ge, führen die Be­schwer­deführer ei­nen un­taug­li­chen An­griff ge­gen die Norm. Der Be­rech­tig­te ei­nes Zah­lungs­an­spruchs hat kein Ab­wehr­recht ge­gen die Zah­lung an den Nicht­be­rech­tig­ten, son­dern al­lein ein Recht auf Leis­tung an sich. Für die Be­schwer­deführer hätte al­len­falls die Möglich­keit be­stan­den, ein ge­setz­ge­be­ri­sches Un­ter­las­sen zu rügen und zu be­an­stan­den, dass ei­ne sie be­rech­ti­gen­de Norm fehlt.

III.

So­weit die Be­schwer­deführer in dem Ver­fah­ren 2 BvR 2433/04 die Ver­fas­sungs­wid­rig­keit der in § 44b SGB II ge­re­gel­ten Ar­beits­ge­mein­schaf­ten rügen, ist die Ver­fas­sungs­be­schwer­de be­gründet. § 44b SGB II verstößt ge­gen Art. 28 Abs. 2 GG in Ver­bin­dung mit Art. 83 GG.


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1. Die in § 44b SGB II ge­re­gel­te Pflicht der Krei­se zur Auf­ga­benüber­tra­gung auf die Ar­beits­ge­mein­schaf­ten und die ge­mein­sa­me Auf­ga­ben­wahr­neh­mung in den Ar­beits­ge­mein­schaf­ten be­trifft die Ga­ran­tie der ei­gen­ver­ant­wort­li­chen Auf­ga­ben­er­le­di­gung, die den Ge­mein­de­verbänden in glei­chem Um­fan­ge gewährt ist wie den Ge­mein­den (Art. 28 Abs. 2 Sätze 1 und 2 GG).

a) Das Recht zur ei­gen­ver­ant­wort­li­chen Führung der Ge­schäfte be­deu­tet all­ge­mein die Frei­heit von staat­li­cher Reg­le­men­tie­rung in Be­zug auf die Art und Wei­se der Auf­ga­ben­er­le­di­gung und die Or­ga­ni­sa­ti­on der Ge­mein­de­ver­wal­tung ein­schließlich der Ent­schei­dun­gen über die Auf­stel­lung des Haus­halts und die Aus­wahl und Ver­wen­dung des Per­so­nals (vgl. BVerfGE 83, 363 <382>; 91, 228 <245>; 107, 1 <14>). Zur Be­fug­nis ei­gen­ver­ant­wort­li­cher Führung der Geschäfte gehört ins­be­son­de­re die Fest­le­gung der Abläufe und Ent­schei­dungs­zu­ständig­kei­ten für die Wahr­neh­mung der Auf­ga­ben (vgl. BVerfGE 91, 228 <236>). Die Ge­mein­den und Ge­mein­de­verbände können grundsätz­lich nach ei­ge­nem Er­mes­sen Behörden, Ein­rich­tun­gen und Dienst­stel­len er­rich­ten, ändern und auf­he­ben, die­se aus­stat­ten, be­auf­sich­ti­gen und die Steue­rungs­me­cha­nis­men fest­le­gen (vgl. Löwer, a.a.O., Art. 28 Rn. 70). Ei­ne Aus­prägung der kom­mu­na­len Selbst­ver­wal­tungs­ga­ran­tie ist die Be­fug­nis, dar­über zu be­fin­den, ob ei­ne be­stimm­te Auf­ga­be ei­genständig oder ge­mein­sam mit an­de­ren Ver­wal­tungs­trägern wahr­ge­nom­men wird und ob zu die­sem Zweck ge­mein­sa­me In­sti­tu­tio­nen ge­gründet wer­den (vgl. zur sog. Ko­ope­ra­ti­ons­ho­heit: Nier­haus, in: Sachs


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<Hrsg.>, Grund­ge­setz, 4. Aufl. 2007, Art. 28 Rn. 53; Thors­ten I. Schmidt, Kom­mu­na­le Ko­ope­ra­ti­on, 2005, S. 55 ff.; Mem­pel, Hartz IV-Or­ga­ni­sa­ti­on auf dem ver­fas­sungs­recht­li­chen Prüf­stand, 2007, S. 129). Außer­dem ha­ben Ge­mein­den und Ge­mein­de­verbände grundsätz­lich das Recht auf freie Aus­wahl, An­s­tel­lung, Beförde­rung und Ent­las­sung ih­rer Mit­ar­bei­ter (vgl. BVerfGE 9, 268 <289 f.>; 17, 172 <182>; 91, 228 <245>). Zum Kern­be­reich der kom­mu­na­len Selbst­ver­wal­tungs­ga­ran­tie gehören in die­sem Zu­sam­men­hang die Dienst­her­renfähig­keit und die ei­ge­ne Per­so­nal­aus­wahl (vgl. Löwer, a.a.O., Art. 28 Rn. 67).

b) Die ei­gen­ver­ant­wort­li­che Auf­ga­ben­wahr­neh­mung wird den Ge­mein­den und Ge­mein­de­verbänden je­doch nur nach Maßga­be der Ge­set­ze gewähr­leis­tet (vgl. BVerfGE 91, 228 <236 f., 240>). Sie un­ter­liegt nor­ma­ti­ver Prägung durch den Ge­setz­ge­ber, der sie in­halt­lich aus­for­men und be­gren­zen darf (vgl. BVerfGE 91, 228 <240>). Die Über­tra­gung der ver­wal­tungsmäßigen Be­sor­gung ge­meind­li­cher Auf­ga­ben auf ei­nen an­de­ren Träger be­gründet dem­nach für sich ge­nom­men noch kei­ne Ver­let­zung des Kern­be­reichs ei­gen­ver­ant­wort­li­cher Auf­ga­ben­er­le­di­gung. Denn Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG be­rech­tigt den Ge­setz­ge­ber, den Ge­mein­den Vor­ga­ben zu ih­rer Or­ga­ni­sa­ti­on zu ma­chen, und ver­schafft ihm da­her mit­tel­bar auch Ein­fluss auf die Auf­ga­ben­er­le­di­gung. Dies ist mit der Re­ge­lungs­kom­pe­tenz des Ge­setz­ge­bers zur Or­ga­ni­sa­ti­on der Ge­mein­den un­aus­weich­lich ver­bun­den und auch ge­wollt. Durch die Möglich­keit or­ga­ni­sa­to­ri­scher Rah­men­set­zung soll der Ge­setz­ge­ber auf ei­ne ef­fek­ti­ve Auf­ga­ben­er­le­di-


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gung durch die Ge­mein­den hin­wir­ken können (BVerfGE 107, 1 <19>).

c) Der Ge­setz­ge­ber muss bei der Be­stim­mung der Reich­wei­te der Selbst­ver­wal­tungs­ga­ran­tie aber nicht nur ei­nen Kern­be­reich un­an­ge­tas­tet las­sen, um den We­sens­ge­halt der Selbst­ver­wal­tung vor Aushöhlung zu schützen. Viel­mehr hat er den ver­fas­sungs­ge­woll­ten prin­zi­pi­el­len Vor­rang ei­ner de­zen­tra­len, al­so ge­meind­li­chen, vor ei­ner zen­tral und da­mit staat­lich de­ter­mi­nier­ten Auf­ga­ben­wahr­neh­mung zu berück­sich­ti­gen. In­halt­li­che Vor­ga­ben bedürfen da­mit ei­nes ge­mein­wohlori­en­tier­ten recht­fer­ti­gen­den Grun­des, ins­be­son­de­re et­wa durch das Ziel, ei­ne ord­nungs­gemäße Auf­ga­ben­wahr­neh­mung si­cher­zu­stel­len. Sie sind zu be­schränken auf das­je­ni­ge, was der Ge­setz­ge­ber zur Wah­rung des je­wei­li­gen Ge­mein­wohl­be­langs für er­for­der­lich hal­ten kann, wo­bei er an­ge­sichts der un­ter­schied­li­chen Aus­deh­nung, Ein­woh­ner­zahl und Struk­tur der Ge­mein­den ty­pi­sie­ren darf und auch im Übri­gen ei­nen grundsätz­lich wei­ten Einschät-zungs- und Be­ur­tei­lungs­spiel­raum hat (vgl. BVerfGE 83, 363 <382 f.> m.w.N.).

Die ei­gen­ver­ant­wort­li­che Auf­ga­ben­wahr­neh­mung der Ge­mein­den und Ge­mein­de­verbände wird aber be­ein­träch­tigt, wenn der Ge­setz­ge­ber oh­ne hin­rei­chend recht­fer­ti­gen­den Grund die gleich­zei­ti­ge Auf­ga­ben­wahr­neh­mung durch ver­schie­de­ne Ver­wal­tungs­be­hörden ver­bind­lich an­ord­net (vgl. Löwer, a.a.O., Art. 28

Rn. 72 f. m.w.N.).


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d) Ord­net der Ge­setz­ge­ber – wie bei den Ar­beits­ge­mein­schaf­ten nach § 44b SGB II – an, dass die Auf­ga­ben ge­mein­sam von Bund und Ge­mein­den oder Ge­mein­de­verbänden wahr­ge­nom­men wer­den, ist für die ver­fas­sungs­recht­li­che Prüfung auch ent­schei­dend, ob die Ver­wal­tungs­zuständig­kei­ten von Bund und Ländern gemäß Art. 83 ff. GG ein­ge­hal­ten sind. Über­schrei­tet der Ge­setz­ge­ber die ihm dort ge­setz­ten Gren­zen des zulässi­gen Zu­sam­men­wir­kens von Bun­des- und Lan­des­behörden, führt dies gleich­zei­tig zu ei­ner Ver­let­zung der kom­mu­na­len Selbst­ver­wal­tungs­ga­ran­tie in ih­rer Aus­prägung als Ga­ran­tie ei­gen­ver­ant­wort­li­cher Auf­ga­ben­wahr­neh­mung im Sin­ne des Art. 28 Abs. 2 GG.

Die Kom­pe­tenz­auf­tei­lung nach Art. 83 GG ist ei­ne wich­ti­ge Aus­for­mung des bun­des­staat­li­chen Prin­zips des Grund­ge­set­zes und dient da­zu, die Länder vor ei­nem Ein­drin­gen des Bun­des in den ih­nen vor­be­hal­te­nen Be­reich der Ver­wal­tung zu schützen (vgl. BVerfGE 108, 169 <181 f.>). Die Ver­wal­tungs­zuständig­kei­ten von Bund und Ländern sind grundsätz­lich ge­trennt und können selbst mit Zu­stim­mung der Be­tei­lig­ten nur in den vom Grund­ge­setz vor­ge­se­he­nen Fällen zu­sam­men­geführt wer­den. Zu­ge­wie­se­ne Zuständig­kei­ten sind mit ei­ge­nem Per­so­nal, ei­ge­nen Sach­mit­teln und ei­ge­ner Or­ga­ni­sa­ti­on wahr­zu­neh­men. Aus­nah­men hier­von sind nur in sel­te­nen Fällen und un­ter en­gen Vor­aus­set­zun­gen zulässig. Die­se Grundsätze gel­ten auch für das Ver­hält­nis von Bund und Kom­mu­nen. Die Ge­mein­den und Ge­mein­de­ver­bände sind staats­or­ga­ni­sa­ti­ons­recht­lich und fi­nanz­ver­fas-


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sungs­recht­lich den Ländern zu­ge­ord­net (vgl. BVerfGE 39, 96 <109>). Sie können sich zwar auf die Selbst­ver­wal­tungs­ga­ran­tie in Art. 28 Abs. 2 GG stützen, blei­ben je­doch hin­sicht­lich der grund­ge­setz­li­chen Ver­tei­lung der Ver­wal­tungs­kom­pe­ten­zen stets Be­stand­teil der Länder (vgl. auch Mem­pel, a.a.O.,

S. 36).

aa) Die Ver­wal­tung des Bun­des und die Ver­wal­tung der Län­der, zu de­nen auch die Kom­mu­nen gehören, sind or­ga­ni­sa­to­risch und funk­tio­nell im Sin­ne von in sich ge­schlos­se­nen Ein­hei­ten prin­zi­pi­ell von­ein­an­der ge­trennt (vgl. BVerfGE 108, 169 <182>). Die Ver­wal­tungs­zuständig­kei­ten von Bund und Ländern sind in den Art. 83 ff. GG erschöpfend ge­re­gelt und grund­sätz­lich nicht ab­ding­ba­res Recht (vgl. BVerfGE 32, 145 <156>; 41, 291 <311>; 63, 1 <39>). Bund und Länder dürfen von der in die­sen Be­stim­mun­gen vor­ge­schrie­be­nen „Ver­wal­tungs­ord­nung“ nicht ab­wei­chen. Es gilt der all­ge­mei­ne Ver­fas­sungs­satz (vgl. BVerfGE 4, 115 <139>), dass we­der der Bund noch die Länder über ih­re im Grund­ge­setz fest­ge­leg­ten Kom­pe­ten­zen verfügen können; Kom­pe­tenz­ver­schie­bun­gen zwi­schen Bund und Ländern sind selbst mit Zu­stim­mung der Be­tei­lig­ten nicht zulässig (vgl. BVerfGE 32, 145 <156>).

Der Spiel­raum bei der or­ga­ni­sa­to­ri­schen Aus­ge­stal­tung der Ver­wal­tung fin­det in den Kom­pe­tenz- und Or­ga­ni­sa­ti­ons­nor­men der Art. 83 ff. GG sei­ne Gren­zen (BVerfGE 63, 1 <39>). Aus dem Norm­gefüge der Art. 83 ff. GG folgt, dass Mit­pla­nungs-,


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Mit­ver­wal­tungs- und Mit­ent­schei­dungs­be­fug­nis­se gleich wel­cher Art im Auf­ga­ben­be­reich der Länder, wenn die Ver­fas­sung dem Bund ent­spre­chen­de Sach­kom­pe­ten­zen nicht über­tra­gen hat, durch das Grund­ge­setz aus­ge­schlos­sen sind (vgl. BVerfGE 32, 145 <156>; 108, 169 <182>). Das Grund­ge­setz schließt, von be­grenz­ten Aus­nah­men ab­ge­se­hen, auch ei­ne so­ge­nann­te Misch­ver­wal­tung aus (vgl. BVerfGE 63, 1 <38 ff.>; 108, 169 <182> m.w.N.).

Die Re­ge­lun­gen der Art. 83 ff. GG ge­hen da­mit grundsätz­lich von der Un­ter­schei­dung zwi­schen Bun­des- und Lan­des­ver­wal­tung aus. Sie las­sen frei­lich auch er­ken­nen, dass die Ver­wal­tungs­be­rei­che von Bund und Ländern in der Ver­fas­sung nicht starr von­ein­an­der ge­schie­den sind. Ein Zu­sam­men­wir­ken von Bund und Ländern bei der Ver­wal­tung ist in vielfälti­ger Form vor­ge­se­hen (vgl. nur die bei der Auf­trags­ver­wal­tung und im Rah­men der Ausführung der Bun­des­ge­set­ze durch die Länder als ei­ge­ne An­ge­le­gen­heit mögli­chen Ein­wir­kun­gen des Bun­des <Art. 84, 85 GG>). In­ner­halb des durch die Art. 83 ff. GG ge­zo­ge­nen Rah­mens ist ei­ne zwi­schen Bund und Ländern auf­ge­teil­te Ver­wal­tung des­halb zulässig (vgl. BVerfGE 63, 1 <38 ff.>;

BVerfG, Be­schluss der 3. Kam­mer des Ers­ten Se­nats vom 14. Mai 2007 - 1 BvR 2036/05 -, NVwZ 2007, S. 942 <944>). Da­mit wird dem Bedürf­nis der öffent­li­chen Ge­walt, in ih­rem Stre­ben nach an­ge­mes­se­nen Ant­wor­ten auf neue staat­li­che Her­aus­for­de­run­gen nicht durch ei­ne zu strik­te Tren­nung der Ver­wal­tungsräume ge­bun­den zu wer­den, Rech­nung ge­tra­gen.


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bb) Die grundsätz­li­che Tren­nung der Ver­wal­tungsräume von Bund und Ländern gewähr­leis­tet durch ei­ne kla­re und auf Voll­ständig­keit an­ge­leg­te Zu­ord­nung von Kom­pe­ten­zen die Ver­ant­wort­lich­keit der han­deln­den Staats­or­ga­ne.

Vor die­sem Hin­ter­grund hat der Ge­setz­ge­ber auch bei der Be­stim­mung von Ver­wal­tungs­zuständig­kei­ten die rechts­staat­li­chen Grundsätze der Nor­men­klar­heit und Wi­der­spruchs­frei­heit (vgl. BVerfGE 21, 73 <79>; 78, 214 <226>; 98, 106 <119>; 108, 169 <181 f.>) zu be­ach­ten, um die Länder vor ei­nem Ein­drin­gen des Bun­des in den ih­nen vor­be­hal­te­nen Be­reich der Ver­wal­tung zu schützen und ei­ne Aushöhlung des Grund­sat­zes des Art. 30 GG zu ver­hin­dern (vgl. BVerfGE 108, 169 <181 f.>).

Aus Sicht des Bürgers be­deu­tet rechts­staat­li­che Ver­wal­tungs­or­ga­ni­sa­ti­on eben­falls zu­al­ler­erst Klar­heit der Kom­pe­tenz­ord­nung; denn nur so wird die Ver­wal­tung in ih­ren Zustän­dig­kei­ten und Ver­ant­wort­lich­kei­ten für den ein­zel­nen „greif­bar“ (vgl. Schmidt-Aßmann, Der Rechts­staat, in: HStR,

3. Aufl., § 26 Rn. 79; vgl. auch Ro­bra, a.a.O., S. 188).

Ei­ne hin­rei­chend kla­re Zu­ord­nung von Ver­wal­tungs­zuständig­kei­ten ist vor al­lem im Hin­blick auf das De­mo­kra­tie­prin­zip er­for­der­lich, das ei­ne un­un­ter­bro­che­ne Le­gi­ti­ma­ti­ons­ket­te vom Volk zu den mit staat­li­chen Auf­ga­ben be­trau­ten Or­ga­nen und Amts­wal­tern for­dert und auf die­se Wei­se de­mo­kra­ti­sche Ver­ant­wort­lich­keit ermöglicht (vgl. BVerfGE 47, 253 <275>; 52, 95 <130>; 77, 1 <40>; 83, 60 <72 f.>; 93, 37 <66 f.>). De­mo­kra-


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ti­sche Le­gi­ti­ma­ti­on kann in ei­nem föde­ral ver­fass­ten Staat grundsätz­lich nur durch das Bun­des- oder Lan­des­volk für sei­nen je­wei­li­gen Be­reich ver­mit­telt wer­den (vgl. Tru­te, in: Hoff­mann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuh­le <Hrsg.>, Grund­la­gen des Ver­wal­tungs­rechts, 1. Aufl. 2006, Bd. 1, § 6 Rn. 5). Aus ver­fas­sungs­recht­li­cher Sicht ist zwar nicht die Form der de­mo­kra­ti­schen Le­gi­ti­ma­ti­on staat­li­chen Han­delns ent­schei­dend, son­dern de­ren Ef­fek­ti­vität; not­wen­dig ist ein be­stimm­tes Le­gi­ti­ma­ti­ons­ni­veau (vgl. BVerfGE 83, 60 <72>; 93, 37 <66 f.>). Dar­an fehlt es aber, wenn die Auf­ga­ben durch Or­ga­ne oder Amts­wal­ter un­ter Be­din­gun­gen wahr­ge­nom­men wer­den, die ei­ne kla­re Ver­ant­wor­tungs­zu­ord­nung nicht ermögli­chen. Der Bürger muss wis­sen können, wen er wofür - auch durch Ver­ga­be oder Ent­zug sei­ner Wähler­stim­me - ver­ant­wort­lich ma­chen kann.

cc) Der Ver­wal­tungs­träger, dem durch ei­ne Kom­pe­tenz­norm des Grund­ge­set­zes Ver­wal­tungs­auf­ga­ben zu­ge­wie­sen wor­den sind, hat die­se Auf­ga­ben grundsätz­lich durch ei­ge­ne Ver­wal­tung­s­ein­rich­tun­gen, al­so mit ei­ge­nem Per­so­nal, ei­ge­nen Sach­mit­teln und ei­ge­ner Or­ga­ni­sa­ti­on wahr­zu­neh­men. Der Grund­satz ei­gen­ver­ant­wort­li­cher Auf­ga­ben­wahr­neh­mung schließt zwar die In­an­spruch­nah­me der „Hil­fe“ - auch so­weit sie sich nicht auf ei­ne bloße Amts­hil­fe im Ein­zel­fall be­schränkt - nicht zuständi­ger Ver­wal­tungs­träger durch den zuständi­gen Ver­wal­tungs­träger nicht schlecht­hin aus, setzt ihr aber Gren­zen: Von dem Ge­bot, die Auf­ga­ben ei­gen­ver­ant­wort­lich wahr­zu­neh­men, darf nur we­gen ei­nes be­son­de­ren sach­li­chen Grun­des ab­ge­wi­chen wer­den. Dem


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Grund­ge­dan­ken ei­ner Kom­pe­tenz­norm (wie auch der fi­nan­zi­el­len Las­ten­auf­tei­lung zwi­schen Bund und Ländern) wi­derspräche es, wenn in wei­tem Um­fang Ein­rich­tun­gen der Lan­des­ver­wal­tung für Zwe­cke der Bun­des­ver­wal­tung her­an­ge­zo­gen würden (vgl. BVerfGE 63, 1 <41>).

Da­her kann die Her­an­zie­hung an sich un­zuständi­ger Ver­wal­tungs­ein­rich­tun­gen nur hin­sicht­lich ei­ner eng um­grenz­ten Ver­wal­tungs­ma­te­rie in Be­tracht kom­men (vgl. BVerfGE 63, 1 <41>) und ist an be­son­de­re Vor­aus­set­zun­gen ge­bun­den.

2. Da­nach ver­letzt § 44b SGB II die Selbst­ver­wal­tungs­ga­ran­tie der Ge­mein­den; das in die­ser Vor­schrift ge­re­gel­te Zu­sam­men­wir­ken von Bun­des- und Lan­des­behörden über­schrei­tet die Gren­zen des ver­fas­sungs­recht­lich Zulässi­gen.

a) § 44b SGB II ord­net an, dass die Agen­tu­ren für Ar­beit und die kom­mu­na­len Träger zur ein­heit­li­chen Wahr­neh­mung ih­rer Auf­ga­ben Ar­beits­ge­mein­schaf­ten bil­den. Die Ar­beits­ge­mein­schaf­ten neh­men kraft Ge­set­zes die Auf­ga­ben der Agen­tur für Ar­beit als Leis­tungs­träger wahr; die kom­mu­na­len Träger sol­len ih­re Auf­ga­ben den Ar­beits­ge­mein­schaf­ten über­tra­gen. Ziel der Re­ge­lung ist es da­nach, die Auf­ga­ben grundsätz­lich ge­mein­sam in den und durch die Ar­beits­ge­mein­schaf­ten zu voll­zie­hen.

Zwar überlässt der Ge­setz­ge­ber den Trägern der Leis­tung die Ent­schei­dung darüber, in wel­cher Form die Ar­beits­ge­mein­schaf­ten er­rich­tet und wie sie im Ein­zel­nen or­ga­ni­sa­to­risch aus­ge­stal­tet wer­den. Das ändert je­doch nichts dar­an, dass es


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sich um ei­ne ge­mein­schaft­li­che Ein­rich­tung ei­ner­seits der dem Bund zu­zu­ord­nen­den Agen­tu­ren für Ar­beit und an­de­rer­seits der kom­mu­na­len Träger han­delt. Auch wenn die Ar­beits­ge­mein­schaf­ten nicht als Träger für die Leis­tun­gen nach § 6 Abs. 1 SGB II be­stimmt wor­den sind, wird ih­nen in § 44b SGB II ei­ne ei­ge­ne Auf­ga­ben­zuständig­keit ein­geräumt. Bei den Ar­beits­ge­mein­schaf­ten han­delt es sich nicht le­dig­lich um ei­ne räum­li­che Zu­sam­men­fas­sung ver­schie­de­ner Behörden; denn die bei­den Träger der Grund­si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de über­tra­gen die Auf­ga­ben­wahr­neh­mung auf die Ar­beits­ge­mein­schaf­ten (vgl. § 44 Abs. 3 SGB II). Die Ar­beits­ge­mein­schaf­ten sol­len sich nicht auf ei­ne bloße Zu­sam­men­fas­sung selbständi­ger Ein­hei­ten be­schränken, son­dern die ge­sam­ten ope­ra­ti­ven Auf­ga­ben ei­ner ho­heit­li­chen Leis­tungs­ver­wal­tung wahr­neh­men (vgl. Mem­pel, a.a.O., S. 122). § 44b SGB II sieht ei­ne selbständi­ge, so­wohl von der So­zi­al- als auch von der Ar­beits­ver­wal­tung ge­trenn­te Or­ga­ni­sa­ti­ons­ein­heit vor, die sich nicht auf ko­or­di­nie­ren­de und in­for­mie­ren­de Tätig­kei­ten be­schränkt, son­dern die ge­sam­ten Auf­ga­ben ei­ner ho­heit­li­chen Leis­tungs­ver­wal­tung im Be­reich der Grund­si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de um­fasst (vgl. Ber­lit, in: LPK-SGB II, § 44b Rn. 3).

Die Ar­beits­ge­mein­schaft ist nach § 44b Abs. 3 Satz 3 SGB II be­rech­tigt, zur Erfüllung ih­rer Auf­ga­ben Ver­wal­tungs­ak­te und Wi­der­spruchs­be­schei­de zu er­las­sen. Die Leis­tun­gen der Grund­si­che­rung sol­len trotz ge­teil­ter Leis­tungs­träger­schaft „aus ei­ner Hand“ gewährt wer­den (vgl. Ru­ge/Vor­holz,


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DVBl 2005, S. 403 <404>; Kers­ten, ZfPR 2005, S. 130; Ri­xen, in: Ei­cher/Spell­brink, SGB II, 1. Aufl. 2005, § 44b Rn. 1; Gröschel-Gun­der­mann, in: Jeh­le/Lin­hart/Adolph, So­zi­al­ge­setz­buch II, So­zi­al­ge­setz­buch XII, Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz, Ord­ner I, Stand: Ja­nu­ar 2005, § 44b Rn. 1; Lu­the, in: Hauck/Noftz, So­zi­al­ge­setz­buch II, Stand: De­zem­ber 2006, § 44b Rn. 2; Bro­si­us-Gers­dorf, VSSR 2005, S. 335 <356 f.>).

Die Ar­beits­ge­mein­schaf­ten sind da­mit ge­mein­schaft­li­che Ver­wal­tungs­ein­rich­tun­gen der Bun­des­agen­tur und der kom­mu­na­len Träger zum Voll­zug der Grund­si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de. An die­ser Ein­ord­nung ändert sich auch nichts da­durch, dass die Fi­nan­zie­rungs- und Gewähr­leis­tungs­ver­ant­wor­tung bei der Bun­des­agen­tur und den kom­mu­na­len Trägern ver­blei­ben soll. Die Recht­spre­chung stellt in­so­weit zwar teil­wei­se dar­auf ab, dass die Ar­beits­ge­mein­schaf­ten nicht die Be­fug­nis zur Erfüllung der Auf­ga­ben er­hal­ten hätten, son­dern dass in ih­nen nur die Kom­pe­tenz zur Wahr­neh­mung der Auf­ga­ben gebündelt wer­de (vgl. Bun­des­so­zi­al­ge­richt, Ur­teil des 7b. Se­nats vom 7. No­vem­ber 2006 – B 7b AS 6/06 R –, FE­VS 58, 347 <349>; Ur­teil des

11b. Se­nats vom 23. No­vem­ber 2006 – B 11b AS 1/06 R –, FE­VS 58, 353 <354 f.>). Auch bei ei­ner fort­be­ste­hen­den Un­abhängig­keit und Ei­genständig­keit der Träger der Grund­si­che­rung fin­det in den Ar­beits­ge­mein­schaf­ten aber ein ge­mein­schaft­li­cher Voll­zug von Auf­ga­ben des Bun­des und der kom­mu­na­len Träger statt. Ob die mit der Auf­ga­be­ner­brin­gung be­trau­ten Ver­wal­tungs­stel­len zu­gleich Träger der Auf­ga­be sind, ist für die


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Zu­ord­nung der Ver­wal­tungs­kom­pe­ten­zen nach Art. 83 ff. GG ir­re­le­vant (vgl. Bro­si­us-Gers­dorf, a.a.O., S. 335 <349>).

b) Die Ar­beits­ge­mein­schaf­ten sind als Ge­mein­schaft­sein­rich­tung von Bun­des­agen­tur und kom­mu­na­len Trägern nach der Kom­pe­tenz­ord­nung des Grund­ge­set­zes nicht vor­ge­se­hen (aa). Be­son­de­re Gründe, die aus­nahms­wei­se die ge­mein­schaft­li­che Auf­ga­ben­wahr­neh­mung in den Ar­beits­ge­mein­schaf­ten recht­fer­ti­gen könn­ten, exis­tie­ren nicht (bb).

aa) Das Grund­ge­setz enthält kei­ne Vor­schrift, die ei­ne Ge­mein­schafts­ein­rich­tung von Bund und Ländern zur ge­mein­sa­men Auf­ga­ben­wahr­neh­mung der Leis­tun­gen nach dem So­zi­al­ge­setz­buch (Zwei­tes Buch) vor­sieht. Nach der Sys­te­ma­tik des Grund­ge­set­zes wird der Voll­zug von Bun­des­ge­set­zen ent­we­der von den Län­dern oder vom Bund, nicht hin­ge­gen zu­gleich von Bund und Land oder ei­ner von bei­den ge­schaf­fe­nen drit­ten In­sti­tu­ti­on wahr­ge­nom­men.

Nach Art. 83 ff. GG führen die Länder, zu de­nen die Kom­mu­nen gehören, die Bun­des­ge­set­ze aus, so­weit das Grund­ge­setz nichts an­de­res be­stimmt oder zulässt. Zwar enthält Art. 87 Abs. 2 GG für so­zia­le Ver­si­che­rungs­träger ei­ne von der Grund­re­gel des Art. 83 GG ab­wei­chen­de Re­ge­lung, und Art. 87 Abs. 3 GG ermöglicht dem Bund, selbständi­ge Bun­des­ober­behörden und neue bun­des­un­mit­tel­ba­re Körper­schaf­ten und An­stal­ten des öf­fent­li­chen Rechts durch Bun­des­ge­setz zu er­rich­ten. Es kann of­fen­blei­ben, ob der Bund nach die­sen Vor­schrif­ten die Ver-


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wal­tungs­zuständig­keit für die Grund­si­che­rung für Ar­beitsu­chen­de nach dem So­zi­al­ge­setz­buch – Zwei­tes Buch – an sich zie­hen kann, denn bei den Ar­beits­ge­mein­schaf­ten nach § 44b SGB II han­delt es sich nicht um Bun­des­ver­wal­tung gemäß Art. 87 Abs. 2 oder Abs. 3 GG (vgl. Bro­si­us-Gers­dorf, a.a.O., S. 335 <356 f.>), son­dern um ge­mein­sa­me Ein­rich­tun­gen von bun­des­un­mit­tel­ba­ren Körper­schaf­ten des öffent­li­chen Rechts und Ver­wal­tungs­ein­rich­tun­gen der Kom­mu­nen (Länder).

bb) Zwar be­darf das Zu­sam­men­wir­ken von Bund und Ländern im Be­reich der Ver­wal­tung nicht in je­dem Fall ei­ner be­son­de­ren ver­fas­sungs­recht­li­chen Ermäch­ti­gung (vgl. BVerfGE 63, 1 <40>). Al­ler­dings wi­der­spricht es der Kom­pe­tenz­ord­nung des Grund­ge­set­zes, wenn in wei­tem Um­fang Mit­ver­wal­tungs- und Mit-ent­schei­dungs­be­fug­nis­se des Bun­des im Auf­ga­ben­be­reich der Länder oh­ne ent­spre­chen­de ver­fas­sungs­recht­li­che Ermäch­ti­gung vor­ge­se­hen wer­den. Ei­ne Aus­nah­me von den Kom­pe­tenz- und Or­ga­ni­sa­ti­ons­nor­men der Art. 83 ff. GG be­darf da­her ei­nes be­son­de­ren sach­li­chen Grun­des und kann nur hin­sicht­lich ei­ner eng um­grenz­ten Ver­wal­tungs­ma­te­rie in Be­tracht kom­men (s. oben C. III. 1. d) cc).

(1) Bei den Re­ge­lun­gen über die Grund­si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de han­delt es sich nicht um ei­ne eng um­grenz­te Ver­wal­tungs­ma­te­rie, die aus­nahms­wei­se ein Ab­wei­chen vom Grund­satz der ei­gen­ver­ant­wort­li­chen Auf­ga­ben­wahr­neh­mung recht­fer­ti­gen könn­te. Bei der Grund­si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de han­delt es

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sich um ei­nen der größten So­zi­al­ver­wal­tungs­be­rei­che, der ei­nen beträcht­li­chen Teil der So­zi­al­leis­tun­gen des Staa­tes um­fasst. So­wohl nach der An­zahl der von den Re­ge­lun­gen be­trof­fe­nen Per­so­nen als auch nach dem Fi­nanz­vo­lu­men han­delt es sich um ei­ne be­son­ders be­deut­sa­me Ver­wal­tungs­ma­te­rie. Die Re­ge­lun­gen im So­zi­al­ge­setz­buch – Zwei­tes Buch -, die so­wohl staat­li­che Trans­fer­leis­tun­gen als auch die Be­ra­tung und Be­treu­ung von bedürf­ti­gen Er­werbsfähi­gen zum Ge­gen­stand ha­ben, be­tref­fen nach se­riösen Schätzun­gen et­wa 6 bis 7 Mil­lio­nen Men­schen (vgl. Lühmann, DöV 2004, S. 677; Pres­se­mit­tei­lung des Deut­schen Land­kreis­tags vom 27. Sep­tem­ber 2007). Die Zuständig­kei­ten der Leis­tungs­träger nach § 6 Abs. 1 Satz 1 SGB II ma­chen je­weils ei­nen er­heb­li­chen Teil der Sach­auf­ga­ben von Bun­des­agen­tur und kom­mu­na­len Trägern aus (vgl. Mem­pel, a.a.O., S. 127). Die so­zia­len und fi­nan­zi­el­len Di­men­sio­nen der Grund­si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de spre­chen klar ge­gen das Vor­lie­gen ei­ner eng um­grenz­ten Ver­wal­tungs­ma­te­rie.

(2) Un­abhängig da­von, dass ein Ab­wei­chen von der Kom­pe­tenz­ord­nung des Grund­ge­set­zes schon we­gen Be­deu­tung und Um­fang der Grund­si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de aus­schei­det, fehlt es auch an ei­nem hin­rei­chen­den sach­li­chen Grund, der ei­ne ge­mein­schaft­li­che Auf­ga­ben­wahr­neh­mung in den Ar­beits­ge­mein­schaf­ten recht­fer­ti­gen könn­te.

Das An­lie­gen, die Grund­si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de „aus ei­ner Hand“ zu gewähren, ist zwar ein sinn­vol­les Re­ge­lungs-


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ziel. Die­ses kann aber so­wohl da­durch er­reicht wer­den, dass der Bund für die Ausführung den Weg des Art. 87 GG wählt, als auch da­durch, dass der Ge­samt­voll­zug nach der Grund­re­gel des Art. 83 GG ins­ge­samt den Ländern als ei­ge­ne An­ge­le­gen­heit über­las­sen wird.

Ein sach­li­cher Grund zur Ver­mi­schung bei­der Möglich­kei­ten be­steht nicht. Schon die un­ter­schied­li­chen Vor­schläge im Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­ren zei­gen, dass es nicht er­for­der­lich ist, zunächst zwei Träger für die Grund­si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de zu be­stim­men, um die­se so­dann zur ge­mein­schaft­li­chen Auf­ga­ben­wahr­neh­mung in den Ar­beits­ge­mein­schaf­ten zu ver­pflich­ten. So sah der ursprüng­li­che Ent­wurf ei­nes Ge­set­zes für mo­der­ne Dienst­leis­tun­gen am Ar­beits­markt der Bun­des­re­gie­rung vor, dass al­lein die Bun­des­agen­tur für Ar­beit für das Er­brin­gen der Leis­tun­gen zuständig sein soll­te. Dem­ge­genüber wa­ren nach dem Ent­wurf ei­nes Exis­tenz­grund­la­gen­ge­set­zes der da­ma­li­gen Op­po­si­ti­on die Krei­se und kreis­frei­en Städte und nach lan­des­recht­li­cher Be­stim­mung die kreis­an­gehöri­gen Ge­mein­den als al­lei­ni­ge Leis­tungs­träger vor­ge­se­hen. Die Re­ge­lung des § 6a SGB II zeigt, dass der Bun­des­ge­setz­ge­ber selbst ei­ne in der Na­tur der Auf­ga­be be­gründe­te Not­wen­dig­keit für die gemäß § 44b SGB II or­ga­ni­sier­te Auf­ga­ben­wahr­neh­mung von Bun­des­agen­tur und kom­mu­na­len Trägern nicht ge­se­hen hat. Denn die­se Re­ge­lung sieht oh­ne wei­te­re Vor­aus­set­zun­gen vor, dass an­stel­le der Ar­beits­ge­mein­schaf­ten Krei­se und kreis­freie Städte - in be­schränk­ter An­zahl - die Leis­tun­gen der Grund­si­che­rung für


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Ar­beit­su­chen­de außer­halb der Re­gellösung des § 44b SGB II voll­zie­hen können. Wes­halb dies nicht auch oh­ne die in § 6a Abs. 3 Satz 1 SGB II vor­ge­se­he­ne zah­lenmäßige Be­schränkung möglich sein soll­te, ist nicht er­sicht­lich.

Als sach­li­cher Grund für die Ar­beits­ge­mein­schaf­ten kann auch nicht an­geführt wer­den, dass sich die po­li­tisch Han­deln­den nicht auf ei­ne al­lei­ni­ge Auf­ga­ben­wahr­neh­mung ent­we­der durch die Bun­des­agen­tur oder durch die kom­mu­na­le Ebe­ne ei­ni­gen konn­ten. Man­geln­de po­li­ti­sche Ei­ni­gungsfähig­keit kann kei­nen Kom­pro­miss recht­fer­ti­gen, der mit der Ver­fas­sung nicht ver­ein­bar ist.

Sch­ließlich recht­fer­tigt auch das his­to­risch ge­wach­se­ne Ne­ben­ein­an­der von kom­mu­nal ver­wal­te­ter So­zi­al­hil­fe und von ge­samt­staat­lich ver­wal­te­ter Ar­beits­lo­sen­hil­fe nicht die auf Dau­er an­ge­leg­te ge­mein­schaft­li­che Auf­ga­ben­wahr­neh­mung in den Ar­beits­ge­mein­schaf­ten. Zwar hat­te sich seit Jahr­zehn­ten und lan­ge vor Be­ste­hen der Bun­des­re­pu­blik die ge­trenn­te Gewährung die­ser So­zi­al­leis­tun­gen ent­wi­ckelt, und der Ge­setz­ge­ber ver­folgt mit der Zu­sam­men­le­gung der Ar­beits­lo­sen­hil­fe und der So­zi­al­hil­fe für Er­werbsfähi­ge, als de­ren Fol­ge die hier an­ge­grif­fe­ne Re­ge­lung er­las­sen wur­de, ein Ziel, das in der Wis­sen­schaft eben­so wie im po­li­ti­schen Wil­lens­bil­dungs­pro­zess von der weit über­wie­gen­den Mei­nung als not­wen­dig er­ach­tet wor­den ist. In die­ser Si­tua­ti­on muss er sich aber für ei­ne


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Lösung ent­schei­den, die mit der Kom­pe­tenz­ord­nung des Grundge­set­zes ver­ein­bar ist.

c) Die Ein­rich­tung der Ar­beits­ge­mein­schaft in § 44b SGB II wi­der­spricht dem Grund­satz ei­gen­ver­ant­wort­li­cher Auf­ga­ben­wahr­neh­mung, der den zuständi­gen Ver­wal­tungs­träger ver­pflich­tet, die­se Auf­ga­ben grundsätz­lich durch ei­ge­ne Ver­wal­tungs­ein­rich­tun­gen, al­so mit ei­ge­nem Per­so­nal, ei­ge­nen Sach­mit­teln und ei­ge­ner Or­ga­ni­sa­ti­on wahr­zu­neh­men (vgl. oben C. III. 1. d) cc). Den Ge­mein­den und Ge­mein­de­verbänden ist in Art. 28 Abs. 2 GG die ei­gen­ver­ant­wort­li­che Führung der Geschäfte ga­ran­tiert, zu der auch die Fest­le­gung der Abläufe und Ent­schei­dungs­zuständig­kei­ten für die Wahr­neh­mung der Auf­ga­ben gehört (vgl. oben C. III. 1. a).

aa) Ei­ne ei­gen­ver­ant­wort­li­che Auf­ga­ben­wahr­neh­mung ist in den Ar­beits­ge­mein­schaf­ten we­der für die Agen­tu­ren für Ar­beit noch für die kom­mu­na­len Träger gewähr­leis­tet. Die von § 44b Abs. 1 Satz 1 SGB II ge­for­der­te ein­heit­li­che Auf­ga­ben­wahr­neh­mung führt da­zu, dass die Auf­ga­ben nur dann nach den Vors­tel­lun­gen des je­wei­li­gen Ver­wal­tungs­trägers voll­zo­gen wer­den können, wenn die­se sich mit den­je­ni­gen des an­de­ren Trägers de­cken.

(1) In den Ar­beits­ge­mein­schaf­ten sind un­abhängi­ge und ei­genständi­ge Ent­schei­dun­gen über die Auf­ga­ben­wahr­neh­mung durch den je­wei­li­gen Ver­wal­tungs­träger in wei­tem Um­fang we­der vor­ge­se­hen noch möglich. § 44b Abs. 1 Satz 1 SGB II be­stimmt,


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dass die Auf­ga­ben in den Ar­beits­ge­mein­schaf­ten ein­heit­lich wahr­ge­nom­men wer­den. Die­se ein­heit­li­che Auf­ga­ben­wahr­neh­mung zwingt die bei­den Träger der Grund­si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de, sich in we­sent­li­chen Fra­gen der Or­ga­ni­sa­ti­on und der Leis­tungs­er­brin­gung zu ei­ni­gen. In­ner­halb der Ar­beits­ge­mein­schaf­ten sind die Auf­ga­ben der Ar­beits­agen­tu­ren und der kom­mu­na­len Träger un­trenn­bar ver­bun­den und wer­den in­te­griert und ganz­heit­lich wahr­ge­nom­men; ge­ra­de dies ist der Sinn der Re­ge­lung. Or­ga­ni­sa­to­ri­sche, per­so­nel­le und recht­li­che Maßnah­men, die ei­ner der bei­den Leis­tungs­träger er­greift, ha­ben Ein­fluss auf den Auf­ga­ben­voll­zug des je­weils an­de­ren Leis­tungs­trägers.

Die Mit­ar­bei­ter der Ar­beits­ge­mein­schaf­ten ent­schei­den ein­heit­lich über die von bei­den Trägern zu gewähren­den Leis­tun­gen der Grund­si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de. Hier­bei han­delt es sich nicht le­dig­lich um zu­sam­men­ge­setz­te - und dem­ent­sp­re­chend in Tei­le, die je­weils ei­nem der be­tei­lig­ten Leis­tungs­träger zu­zu­ord­nen sind, zer­leg­ba­re - Ver­wal­tungs­ak­te oder Wi­der­spruchs­be­schei­de; viel­mehr wird über zen­tra­le Fra­gen wie die Er­werbsfähig­keit und Hil­fe­bedürf­tig­keit ein­heit­lich ent­schie­den (vgl. auch §§ 44a, 45 SGB II). Wei­sun­gen oder An­ord­nun­gen ei­nes der bei­den Leis­tungs­träger ha­ben da­mit un­mit­tel­ba­ren Ein­fluss auf die Leis­tung des je­weils an­de­ren.

Die Bünde­lung von Wahr­neh­mungs­kom­pe­ten­zen mit dem Ziel, für den Bürger Leis­tun­gen aus ei­ner Hand an­bie­ten zu können, for­dert darüber hin­aus ei­ne Zu­sam­menführung von Da­ten so­wie


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de­ren ge­mein­sa­me Ver­wal­tung und Ver­ar­bei­tung. Der Vor­trag der Be­schwer­deführer zu den zwin­gen­den Vor­ga­ben der Bun­des­agen­tur hin­sicht­lich der da­zu ein­zu­set­zen­den Soft­ware (ins­be­son­de­re A2LL, Ver­BIS, FI­NAS) wur­de durch die Ausführun­gen des Ge­schäftsführers der Ar­beits­ge­mein­schaft im Kreis Aa­chen in der münd­li­chen Ver­hand­lung bestätigt. Den kom­mu­na­len Trägern der Grund­si­che­rung bleibt hin­sicht­lich der Or­ga­ni­sa­ti­on der elek­tro­ni­schen Da­ten­ver­ar­bei­tung kei­ne Wahlmöglich­keit. Da­durch wer­den, wie die sach­verständi­ge Aus­kunfts­per­son G. in der münd­li­chen Ver­hand­lung bestätigt hat (vgl. auch Graaf, Der Land­kreis 2007, S. 344 <347>), ver­fah­rens- und in­halt­li­che Ent­schei­dungsmöglich­kei­ten mit Wir­kung für bei­de Leis­tungs­träger auf die mit der vor­ge­ge­be­nen Soft­ware ver­ar­beit-ba­ren Lösun­gen be­grenzt. Durch die soft­ware­be­ding­ten Vor­ga­ben ver­lie­ren die an den Ar­beits­ge­mein­schaf­ten be­tei­lig­ten Land­krei­se und Krei­se Ent­schei­dungs­spielräume, die ih­nen im Rah­men ei­gen­ver­ant­wort­li­cher Auf­ga­ben­erfüllung zustünden.

(2) Die Or­ga­ni­sa­ti­ons­struk­tur der Ar­beits­ge­mein­schaf­ten wi­der­spricht eben­falls der ei­gen­ver­ant­wort­li­chen Auf­ga­ben­wahr­neh­mung. Schon aus dem Ge­setz er­gibt sich, dass die Per­so­nal­aus­wahl ins­be­son­de­re hin­sicht­lich der Behörden­lei­tung er­heb­lich ein­ge­schränkt wird. Gemäß § 44b Abs. 2 SGB II wer­den die Geschäfte der Ar­beits­ge­mein­schaft von ei­nem Ge­schäftsführer geführt. Können sich die bei­den Träger der Grund­si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de nicht ei­ni­gen, kommt es ge­mäß § 44b Abs. 2 Satz 3 SGB II zu ei­ner wech­seln­den, je­weils


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auf ein Jahr be­fris­te­ten Geschäftsführung ei­ner der bei­den Ver­wal­tungs­träger.

Ne­ben dem in § 44b SGB II ge­re­gel­ten Geschäftsführer se­hen die AR­GE-Mus­ter­verträge bei den pri­vat­recht­li­chen Rechts­for­men die Ge­sell­schaf­ter­ver­samm­lung und im Übri­gen die Träger­ver­samm­lung vor, die sich pa­ritätisch aus den Ver­tre­tern der Ge­sell­schaf­ter der Ar­beits­ge­mein­schaft oder den Ver­tre­tern der Ver­trags­part­ner zu­sam­men­set­zen. We­sent­li­che Ent­schei­dun­gen über die Auf­ga­ben­wahr­neh­mung wer­den in die­sen Gre­mi­en ge­trof­fen. Da­bei kommt es zu ei­ner Ver­schränkung von Bun­des­agen­tur und kom­mu­na­len Trägern und zu ei­ner Ver­ge­mein­schaf-tung der Wil­lens­bil­dung. Die Fol­ge ist ei­ner­seits die unum­gäng­li­che Mit­ent­schei­dung des je­weils an­de­ren Ver­wal­tungs­trä­gers bei der Auf­ga­ben­wahr­neh­mung. An­de­rer­seits er­ge­ben sich aus die­ser Or­ga­ni­sa­ti­ons­form sys­tem­im­ma­nen­te Blo­cka­demöglich­kei­ten und Kom­pro­miss­zwänge (vgl. Ber­lit, a.a.O., § 44b

Rn. 11; Mem­pel, a.a.O., S. 123).

Ei­gen­ver­ant­wort­li­che Auf­ga­ben­wahr­neh­mung setzt vor­aus, dass der je­weils zuständi­ge Ver­wal­tungs­träger auf den Auf­ga­ben­voll­zug hin­rei­chend nach sei­nen ei­ge­nen Vor­stel­lun­gen ein­wir­ken kann. Dar­an fehlt es in der Re­gel, wenn Ent­schei­dun­gen über Or­ga­ni­sa­ti­on, Per­so­nal und Auf­ga­ben­erfüllung nur in Ab­stim­mung mit ei­nem an­de­ren Träger ge­trof­fen wer­den können. Be­steht, wie bei den Ar­beits­ge­mein­schaf­ten nach § 44b SGB II, kei­ne Letz­tent­schei­dungsmöglich­keit im Rah­men der Auf­ga­ben-


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wahr­neh­mung, kann kei­ner der be­tei­lig­ten Ver­wal­tungs­träger sei­nen ei­ge­nen Auf­ga­ben­be­reich ei­gen­ver­ant­wort­lich wahr­neh­men.

(3) Um die da­mit ver­bun­de­nen Pro­ble­me zu lösen, ist die Bun­des­agen­tur für Ar­beit z.B. in der Rah­men­ver­ein­ba­rung zur „Wei­ter­ent­wick­lung der Grundsätze der Zu­sam­men­ar­beit der Trä­ger der Grund­si­che­rung in den Ar­beits­ge­mein­schaf­ten gemäß § 44b SGB II“ vom 1. Au­gust 2005 ei­ne Selbst­be­schränkung ein­ge­gan­gen, nach der un­ter be­stimm­ten Vor­aus­set­zun­gen auf Wei­sun­gen zur ope­ra­ti­ven Um­set­zung der Grund­si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de ver­zich­tet wird. Wer­den von den Ar­beits­ge­mein­schaf­ten jähr­lich ab­ge­schlos­se­ne Ziel­ver­ein­ba­run­gen so­wie die Con­trol­ling-Be­richt­er­stat­tung, das Bench­mar­king und die Min­dest­stan­dards bei der Leis­tungs­er­brin­gung als ver­bind­lich an­er­kannt, wird so­wohl auf Wei­sun­gen bei der Um­set­zung des ge­setz­li­chen Auf­trags als auch auf ei­ne Re­chen­schaft der Ar­beits­ge­mein­schaf­ten über das auf­trags­gemäße Han­deln ver­zich­tet. In dem vom Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Ar­beit und So­zia­les und der Bun­des­agen­tur für Ar­beit er­stell­ten so ge­nann­ten Rol­len­pa­pier „Die Ar­beits­ge­mein­schaf­ten und ih­re Träger im SGB II“ vom 12. Ja­nu­ar 2007 wird fest­ge­stellt, dass ein­sei­ti­ge Ein­grif­fe der Leis­tungs­träger als Auf­trag­ge­ber der Ar­beits­ge­mein­schaf­ten für ih­ren je­wei­li­gen Auf­ga­ben­be­reich die Aus­nah­me sein sol­len, „aber we­gen der Ver­ant­wor­tung als Leis­tungs­träger grundsätz­lich nicht aus­ge­schlos­sen wer­den“ könn­ten. In der münd­li­chen Ver­hand­lung ist deut­lich ge­wor­den, dass bei


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ge­gensätz­li­cher Auf­fas­sung der je­wei­li­gen Träger die Leis­tun­gen nur er­bracht wer­den können, wenn ei­ner der bei­den – in der Pra­xis zu­meist der kom­mu­na­le Träger – auf sein Wei­sungs­recht und da­mit auf sei­ne Ein­wir­kungsmöglich­kei­ten ver­zich­tet.

Selbst­be­schränkun­gen ei­nes der bei­den Ver­wal­tungs­träger er­wei­tern zwar die Möglich­kei­ten des an­de­ren Ver­wal­tungs­trä­gers, sei­ne ei­ge­nen Vor­stel­lun­gen durch­zu­set­zen. Die Selbst­be­schränkung ei­nes der Auf­ga­ben­träger ist aber je­den­falls hier gleich­zei­tig mit der Nicht­wahr­neh­mung der ei­ge­nen Ver­ant­wor­tung ver­bun­den. So­weit et­wa nach der Rah­men­ver­ein­ba­rung vom 1. Au­gust 2005 die Kom­mu­nen auf die Ausführung von Bun­des­auf­ga­ben ein­wir­ken und die­se ope­ra­tiv steu­ern (vgl. Mem-pel, a.a.O., S. 152), kann dies nur auf der Grund­la­ge ent­spre­chend zurück­ge­nom­me­ner Steue­rungs­ansprüche auf Sei­ten des Bun­des funk­tio­nie­ren. Ent­spre­chen­des gilt in um­ge­kehr­ter Rich­tung. In die­sen Fällen kann je­den­falls bei ei­nem der bei­den Ver­wal­tungs­träger nicht mehr von ei­ner ei­gen­ver­ant­wort­li­chen Auf­ga­ben­wahr­neh­mung ge­spro­chen wer­den.

Da­her ist es fol­ge­rich­tig, dass et­wa der Bun­des­rech­nungs­hof in sei­nem Be­richt vom 19. Mai 2006 zur Durchführung der Grund­si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de (GZ.: VI 6/VI 2 – 2006 - 1219, Ziff. 6.1.1.2) die ver­trag­li­che Be­schränkung der Bun­des­agen­tur auf die Gewähr­leis­tungs­ver­ant­wor­tung und in dem Ver­zicht auf ver­bind­li­che Wei­sun­gen ei­ne un­zulässi­ge Ei­nen-


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gung ih­rer ge­setz­li­chen Rol­le als Leis­tungs­träge­rin sieht. Um ih­rer Ver­ant­wor­tung für die rechtmäßige und wirt­schaft­li­che Auf­ga­ben­er­le­di­gung durch die Ar­beits­ge­mein­schaf­ten nach­zu­kom­men, dürfe die Bun­des­agen­tur in ih­ren un­mit­tel­ba­ren Ein­fluss­möglich­kei­ten nicht be­schränkt wer­den.

Eben­so we­nig wie die Bun­des­agen­tur auf ih­re ei­gen­ver­ant­wort­li­che Auf­ga­ben­wahr­neh­mung ver­zich­ten darf, be­steht die­se Möglich­keit für die kom­mu­na­len Träger, denn auch in die­sem Fall würden die zu­ge­wie­se­nen Kom­pe­ten­zen nicht in ver­fas­sungs­gemäßer Wei­se wahr­ge­nom­men. Das Grund­pro­blem lässt sich da­her nicht durch ei­ne Ver­schie­bung der Ein­wir­kungsmöglich­kei­ten zur ei­nen oder an­de­ren Sei­te hin be­wir­ken; viel­mehr fehlt es an ei­ner ein­deu­ti­gen Auf­ga­ben- und Ver­ant­wort­lich­keits­zu­ord­nung, die der Kom­pe­tenz­ord­nung des Grund­ge­set­zes ent­spricht.

(4) Die Auf­sichts­re­ge­lun­gen be­le­gen den Man­gel ei­gen­ver­ant­wort­li­cher Auf­ga­ben­wahr­neh­mung.

Nach § 44b Abs. 3 Satz 4 SGB II führt die Auf­sicht über die Ar­beits­ge­mein­schaft die zuständi­ge obers­te Lan­des­behörde oder die von ihr be­stimm­te Stel­le im Be­neh­men mit dem Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Ar­beit und So­zia­les. Dies be­trifft die Auf­sicht über die Ar­beits­ge­mein­schaft hin­sicht­lich ih­rer or­ga­ni­sa­to­ri­schen Aus­ge­stal­tung (vgl. BT­Drucks 16/1410, S. 17; vgl. Ehr­hardt, in: Merg­ler/Zink, So­zi­al­ge­setz­buch II, Stand: Ju­li 2004, § 47 Rn. 4: Auf­sicht über die Ar­beits­ge­mein­schaf­ten als


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sol­che). Für die von den je­wei­li­gen Leis­tungs­trägern zu ver­ant­wor­ten­den Be­rei­che be­ste­hen zwar ei­genständi­ge Auf­sichts­re­ge­lun­gen. So un­ter­liegt die Bun­des­agen­tur für Ar­beit, so­weit sie Leis­tun­gen nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II er­bringt, der Rechts- und Fach­auf­sicht durch das Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Ar­beit und So­zia­les (§ 47 Abs. 1 Satz 1 SGB II). So­weit die kreis­frei­en Städte und Krei­se Leis­tun­gen nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II er­brin­gen, un­ter­lie­gen sie der all­ge­mei­nen lan­des­recht­li­chen Kom­mu­nal­auf­sicht (BT­Drucks 15/2816, S. 13; O'Sul­li­van, in: Es­tel­mann, So­zi­al­ge­setz­buch Zwei­tes Buch, Stand: De­zem­ber 2006, § 47 Rn. 14; Ho­ehl, in: Schle­gel/Voelz­ke, SGB II, 2005, § 44b Rn. 55). Die mehr­fa­che Auf­sicht über die Ar­beits­ge­mein­schaf­ten spie­gelt je­doch die pro­ble­ma­ti­sche Zwi­schen­stel­lung der Ar­beits­ge­mein­schaf­ten als Misch­ver­wal­tung ei­ner Bun­des­behörde und ei­ner staats­or­ga­ni­sa-ti­ons­recht­lich den Ländern zu­zu­ord­nen­den kom­mu­na­len Behörde wi­der (vgl. Ber­lit, a.a.O., § 44 Rn. 54).

Die Aus­ge­stal­tung der Auf­sicht über die Ar­beits­ge­mein­schaf­ten als sol­che wi­der­spricht der ei­gen­ver­ant­wort­li­chen Auf­ga­ben­wahr­neh­mung. Die in § 44b Abs. 3 SGB II vor­ge­se­he­ne Rechts­auf­sicht um­fasst un­ter an­de­rem ei­ne Über­prüfung der Ein­hal­tung von Rechts­vor­schrif­ten et­wa im Hin­blick auf die Geschäfts- und Rech­nungsführung der Ar­beits­ge­mein­schaf­ten, Fra­gen der Rechts­form oder des Da­ten­schut­zes (vgl. BT­Drucks 16/1410, S. 28). Es er­scheint schon frag­lich, ob das Feh­len ei­ner Fach­auf­sicht in die­sem Be­reich nicht zu un­zu­rei­chen­der


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Auf­sicht und Kon­trol­le führt (vgl. Lu­the, a.a.O., § 44b Rn. 7). Je­den­falls er­hal­ten durch § 44b Abs. 3 Satz 4 SGB II die Länder Auf­sichts­be­fug­nis­se auch ge­genüber den Mit­ar­bei­tern der Bun­des­agen­tur für Ar­beit in den Ar­beits­ge­mein­schaf­ten. Ent­spre­chen­de Pro­ble­me er­ge­ben sich, so­weit nach an­de­ren Vor­schrif­ten (z.B. § 89 Abs. 5 SGB X; s. zur Reich­wei­te der An­wend­bar­keit der Auf­trags­re­ge­lun­gen der §§ 94, 88, 89 SGB X i.V.m. § 44b Abs. 3 Satz 2 SGB II Gröschel-Gun­der­mann, a.a.O., § 44b Rn. 1; Ho­ehl, a.a.O., § 44b Rn. 46) der Bun­des­agen­tur für Ar­beit und mit­tel­bar dem die­ser ge­genüber auf-sichtführen­den Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Ar­beit und So­zia­les (§ 47 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB II) Auf­sichts- und Wei­sungs­rech­te ge­genüber den Ar­beits­ge­mein­schaf­ten zu­ste­hen. Die mit § 44b Abs. 3 Satz 4 SGB II vor­ge­nom­me­ne Zu­wei­sung der Auf­sicht an die zuständi­ge obers­te Lan­des­behörde, die die­se im Be­neh­men mit dem Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Ar­beit und So­zia­les zu führen hat, führt zu­dem gleich­sam zu ei­ner „Mischauf­sicht“ oh­ne wirk­sa­me Vor­keh­run­gen für den Fall, dass Ein­ver­neh­men nicht er­zielt wer­den kann (vgl. Bro­si­us-Gers­dorf, a.a.O., S. 335 <357>; Ber­lit, a.a.O., § 44b Rn. 53; Graaf, a.a.O., S. 345; Gröschel-Gun­der­mann, a.a.O., § 44b Rn. 2).

bb) Das Grund­ge­setz for­dert nicht nur die ei­gen­ver­ant­wort­li­che Auf­ga­ben­wahr­neh­mung des je­weils zuständi­gen Ver­wal­tungs­trägers; viel­mehr hat der Ge­setz­ge­ber auch bei der Be­stim­mung von Ver­wal­tungs­zuständig­kei­ten die rechts­staat­li­chen Grundsätze der Nor­men­klar­heit und Wi­der­spruchs­frei­heit zu be-


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ach­ten. Selbst wenn man da­von aus­gin­ge, dass die ge­mein­schaft­li­che Auf­ga­ben­wahr­neh­mung in den Ar­beits­ge­mein­schaf­ten von der Kom­pe­tenz­ord­nung des Grund­ge­set­zes ge­deckt wäre, wür­de § 44b SGB II ge­gen den Grund­satz der Ver­ant­wor­tungs­klar­heit ver­s­toßen.

(1) Zwar ließe sich noch be­stim­men, wel­cher der bei­den Träger der Grund­si­che­rung für die je­wei­li­ge Leis­tung zustän­dig ist. Die or­ga­ni­sa­to­ri­sche und per­so­nel­le Ver­flech­tung bei der Auf­ga­ben­wahr­neh­mung be­hin­dert aber ei­ne kla­re Zu­rech­nung staat­li­chen Han­delns zu ei­nem der bei­den Leis­tungs­träger. Die trägerüberg­rei­fen­de ge­mein­schaft­li­che Auf­bau- und Ab­lauf­or­ga­ni­sa­ti­on, die ein­heit­li­che Geschäftsführung und die ge­mein­sa­me Steue­rung der Ar­beits­ge­mein­schaf­ten über die Träger­ver­samm­lung er­schwe­ren ei­ne kla­re Ab­gren­zung von Ver­ant­wor­tungs­be­rei­chen der Bun­des­agen­tur für Ar­beit und der kom­mu­na­len Träger (vgl. Mem­pel, a.a.O., S. 124; Lühmann, a.a.O., S. 677 <683>).

(2) Aus­druck der man­gel­haf­ten Zu­ord­nung von Ver­ant­wort­lich­kei­ten, die mit der un­kla­ren Zu­ord­nung der Ar­beits­ge­mein­schaf­ten zur Bun­des- oder zur kom­mu­na­len Ebe­ne zu­sam­menhängt, sind auch Un­si­cher­hei­ten hin­sicht­lich der An­wend­bar­keit von Bun­des- und Lan­des­recht, wie sie et­wa im Voll­stre­ckungs­recht und beim Da­ten­schutz auf­ge­tre­ten sind.

Un­si­cher­hei­ten über die Zu­ord­nung von Zuständig­kei­ten tau­chen bei der Ver­wal­tungs­voll­stre­ckung auf, wenn gewähr­te


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Leis­tun­gen zurück­ge­for­dert und ent­spre­chen­de Be­schei­de zwangs­wei­se durch­ge­setzt wer­den müssen. So ist um­strit­ten, ob für Leis­tun­gen, für wel­che die Bun­des­agen­tur für Ar­beit als Träger ver­ant­wort­lich ist, Bun­des­ver­wal­tungs­voll­stre­ckungs-recht an­zu­wen­den sei (dies of­fen las­send: Be­schluss des 28. Se­nats des Lan­des­so­zi­al­ge­richts Ber­lin-Bran­den­burg vom 7. März 2007 - L 28 B 134/07 AS, L 28 B 119/07 AS PKH -, zi­tiert nach JURIS) oder ob aus­ge­hend von der Ein­ord­nung der Ar­beits­ge­mein­schaft als lan­des­recht­li­ches Sub­jekt (vgl. § 44b Abs. 3 Satz 4 SGB II) um­fas­send Lan­des­ver­wal­tungs­voll­st­re-ckungs­recht zur An­wen­dung zu brin­gen sei. Folg­te man dem erst­ge­nann­ten An­satz, könn­te dies An­lass für un­ter­schied­li­che Voll­stre­ckungs­ver­fah­ren bie­ten, nämlich dann, wenn, wie häu­fig, die ge­sam­te gewähr­te Leis­tung zurück­ge­for­dert wird und da­mit teil­wei­se Leis­tun­gen in der Träger­schaft der Bun­des­agen­tur und teil­wei­se sol­che in kom­mu­na­ler Träger­schaft be­rührt sind.

(3) Die Über­tra­gung der Wahr­neh­mungs­kom­pe­tenz auf die Ar­beits­ge­mein­schaf­ten, an de­nen Bund und kom­mu­na­le Träger be­tei­ligt sind, führt auch zu Rechts­un­si­cher­hei­ten bei der An­wen­dung des so­zi­al­recht­li­chen Da­ten­schut­zes. Grundsätz­lich wird die Zuständig­keit im Be­reich des so­zi­al­recht­li­chen Da­ten­schut­zes (§§ 67 ff. SGB X) auf den Bund zurück­geführt, so­weit Stel­len des Bun­des be­tei­ligt sind (vgl. § 81 Abs. 1 Nr. 1 SGB X), und auf das Land, so­weit Stel­len des Lan­des be­tei­ligt sind (vgl. § 81 Abs. 1 Nr. 2 SGB X). Ge­genwärtig be-


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ste­hen für die­sel­ben Prüfungs­ge­bie­te so­wohl An­knüpfun­gen für die Zuständig­keit des Bun­des­be­auf­trag­ten für den Da­ten­schutz und die In­for­ma­ti­ons­frei­heit, wenn nach § 50 Abs. 2 SGB II die Bun­des­agen­tur für Ar­beit zur ver­ant­wort­li­chen Stel­le im Sin­ne des § 67 Abs. 9 SGB X für die Auf­ga­ben­wahr­neh­mung in den Ar­beits­ge­mein­schaf­ten be­stimmt wird, als auch für die Lan­des­da­ten­schutz­be­auf­trag­ten, wenn An­knüpfungs­punkt für die Ab­gren­zung der Zuständig­keit und da­mit auch der Ver­ant­wort­lich­keit die Ar­beits­ge­mein­schaft als sol­che ist, wel­che nicht über den Be­reich ei­nes Lan­des hin­aus tätig wird (vgl. § 81 Abs. 3 Satz 1 SGB X). Die­se Un­klar­hei­ten wir­ken sich als Hin­der­nis­se für ei­ne wirk­sa­me Kon­trol­le ins­be­son­de­re dann aus, wenn die mit der Kon­trol­le be­auf­trag­ten Behörden des Bun­des und der Länder ei­ne Tat­sa­chen- oder Rechts­fra­ge un­ter­schied­lich be­ur­tei­len.

cc) Die Un­klar­hei­ten in Be­zug auf Ein­wir­kungsmöglich­kei­ten und Ver­ant­wor­tungs­zu­rech­nung führen zu Freiräum­en in den Ar­beits­ge­mein­schaf­ten, die die Ge­fahr ei­ner Ver­selbständi­gung oh­ne hin­rei­chen­de Kon­trol­le durch ei­nen ver­ant­wort­li­chen Trä­ger mit sich brin­gen. Oh­ne kla­re Zuständig­kei­ten be­steht kein ef­fek­ti­ves Wei­sungs- und Auf­sichts­recht der zuständi­gen Auf­sichts­behörde. Es kann dann ei­ner­seits zu Kom­pe­tenz­kon­flik­ten von Auf­sichts­or­ga­nen kom­men; an­de­rer­seits be­steht die Ge­fahr, dass zur Ver­mei­dung sol­cher Kon­flik­te auf not­wen­di­ge Steue-rungs- und Kon­troll­maßnah­men über­haupt ver­zich­tet wird.

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Die Möglich­keit ei­ner sol­chen Ent­wick­lung wur­de in der münd­li­chen Ver­hand­lung ins­be­son­de­re von der sach­kun­di­gen Aus­kunfts­per­son Pro­fes­sor H. her­vor­ge­ho­ben, der auf die Ver­selb-ständi­gungs­ten­den­zen auf­grund un­kla­rer Auf­sichts-, Kon­troll-und Steue­rungs­for­men hin­wies. Es ge­be zwar vielfälti­ge Prü­fun­gen durch die Bun­des­agen­tur, kom­mu­na­le Prüfungsämter, Bun­des- und Lan­des­rech­nungshöfe, je­doch kei­ne wirk­li­chen Kon­se­quen­zen für den ört­li­chen Voll­zug.

dd) Die ge­mein­schaft­li­che Auf­ga­ben­wahr­neh­mung in den Ar­beits­ge­mein­schaf­ten be­ein­träch­tigt auch die Per­so­nal­ho­heit der Ge­mein­de­verbände.

Nach den recht­li­chen Vor­ga­ben aus den Gründungs­ver­ein­ba­run­gen der Ar­beits­ge­mein­schaf­ten bleibt die Ver­ant­wor­tung für das zur Verfügung ge­stell­te Per­so­nal zwar bei dem je­wei­li­gen Mit­glied der Ar­beits­ge­mein­schaft (vgl. § 9 Abs. 1 Mus­ter­ver­ein­ba­rung Öffent­lich-recht­li­cher Ver­trag und GbR-Gründungs-ver­trag; § 4 Abs. 1 Mus­ter­ver­ein­ba­rung GmbH). Je­doch ist zu berück­sich­ti­gen, dass we­sent­li­che Ele­men­te der tatsächli­chen Per­so­nalführung in der Pra­xis nur in den Händen des Ge­schäftsführers der Ar­beits­ge­mein­schaft lie­gen können, der als Ver­mitt­ler für die An­stel­lungskörper­schaft wir­ken muss. Da­mit ist die Per­so­nalführung in ei­nem un­auf­heb­ba­ren Di­lem­ma zwi­schen fak­ti­scher Ent­lee­rung der kom­mu­na­len Per­so­nal­ho­heit und sach­wid­rig verkürz­ter Ein­flussmöglich­keit des Geschäftsfüh­rers ge­fan­gen.

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Durch die Aus­glie­de­rung des der Ar­beits­ge­mein­schaft zur Verfügung ge­stell­ten Per­so­nals aus den sons­ti­gen kom­mu­na­len Beschäfti­gungs­struk­tu­ren wer­den den Ge­mein­de­verbänden ge­ziel­te Per­so­nal­ent­wick­lungs­maßnah­men er­schwert, da sich die bei den Ar­beits­ge­mein­schaf­ten Beschäftig­ten re­gelmäßig nur noch sehr be­grenzt im tatsächli­chen Ein­fluss­be­reich des Ge­mein­de­ver­ban­des be­fin­den und be­reits die Be­wer­tung von Stärken und Schwächen über den Um­weg des Geschäftsführers der Ar­beits­ge­mein­schaft er­fol­gen muss. Mit dem Ver­lust der di­rek­ten Kennt­nis vom Ent­wick­lungs­stand ei­nes Teils des Per­so­nals ver­lie­ren die kom­mu­na­len Träger die Möglich­keit ei­ner ein­heit­li­chen, ei­gen­be­stimm­ten und auf den Be­darf des Per­so­nals ab­ge­stimm­ten Per­so­nal­ent­wick­lung.

ee) Sch­ließlich berühren Vor­ga­ben des SGB II über das Zu­sam­men­wir­ken von kom­mu­na­len Trägern der Grund­si­che­rung und der Bun­des­agen­tur auch die kom­mu­na­le Fi­nanz­ho­heit (vgl. da­zu BVerfG, Be­schluss der 2. Kam­mer des Zwei­ten Se­nats vom 7. Ja­nu­ar 1999 - 2 BvR 929/97 -, NVwZ 1999, S. 520).

Ge­ra­de im Be­reich der ak­ti­ven Leis­tun­gen nach dem SGB II, al­so der re­gulären Ein­glie­de­rungs­leis­tun­gen und der flan­kie­ren­den Maßnah­men (§§ 14 ff. SGB II), hängen Art und Um­fang der zu er­brin­gen­den Leis­tun­gen in er­heb­li­chem Maße von ge­mein­sa­men Pla­nun­gen der Grund­si­che­rungs­träger und im Ein­zel­fall von ei­ner ein­ver­nehm­li­chen Ein­glie­de­rungs­ver­ein­ba­rung mit dem Hil­fe­bedürf­ti­gen ab (vgl. § 15 Abs. 1 SGB II). Da­mit


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wird über Aus­ga­ben­um­fang und -art zwi­schen den Trägern der Grund­si­che­rung kon­sen­su­al ent­schie­den; in­so­weit ist ei­ne fi­nan­zi­el­le Ei­gen­ver­ant­wor­tung nur noch ein­ge­schränkt ge­ge­ben. Es be­steht viel­mehr, wie dies auch vom Sach­verständi­gen Pro­fes­sor H. in der münd­li­chen Ver­hand­lung dar­ge­legt und in den da­nach von ihm vor­ge­leg­ten schrift­li­chen Ausführun­gen ver­tieft wor­den ist, ei­ne star­ke wech­sel­sei­ti­ge Be­ein­flus­sung der Fi­nan­zie­rungs­ver­ant­wor­tung im Voll­zug der Leis­tun­gen.

3. § 44b SGB II ver­letzt da­nach Art. 28 Abs. 2 Sätze 1 und 2 GG in Ver­bin­dung mit Art. 83 GG. Verstößt ei­ne Norm ge­gen das Grund­ge­setz, führt dies in der Re­gel zur Nich­tig­keit der an­ge­grif­fe­nen Norm. Im Hin­blick auf ei­nen ge­ord­ne­ten Ge­set­zes­voll­zug im Be­reich der Grund­si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de ist § 44b SGB II je­doch nur für un­ver­ein­bar mit dem Grundge­setz zu erklären und kann längs­tens bis zum 31. De­zem­ber 2010 wei­ter an­ge­wen­det wer­den.

a) Die bloße Un­ver­ein­ba­r­erklärung, ver­bun­den mit der An­ord­nung be­fris­te­ter Fort­gel­tung der ver­fas­sungs­wid­ri­gen Re­ge­lung, kommt statt der ge­setz­lich vor­ge­se­he­nen Nich­tig­keit als Rechts­fol­ge dann in Be­tracht, wenn es aus ver­fas­sungs­recht­li­chen Gründen un­ab­ding­bar ist, ei­ne ver­fas­sungs­wid­ri­ge Vor­schrift für ei­ne Über­g­angs­zeit fort­be­ste­hen zu las­sen, da­mit in die­ser Zeit nicht ein Zu­stand be­steht, der von der ver­fas­sungsmäßigen Ord­nung noch wei­ter ent­fernt ist als der bis­he­ri­ge (vgl. BVerfGE 33, 303 <347>; 61, 319 <356>; 92, 53 <73>;


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111, 191 <224>). Ne­ben den Grund­rech­ten (vgl. BVerfGE 83, 130 <154>; 92, 158 <186>) wird vor al­lem das Rechts­staats­prin­zip in der Aus­prägung des Prin­zips der Rechts­si­cher­heit (vgl. BVerfGE 37, 217 <261>; 73, 40 <101 f.>) als ein Rechts­gut an­er­kannt, zu des­sen Schutz die be­fris­te­te Wei­ter­gel­tung ei­ner nicht ver­fas­sungs­kon­for­men Re­ge­lung ge­recht­fer­tigt und ge­bo­ten sein kann. Die­ses ist dann be­trof­fen, wenn mit der Nich-ti­gerklärung der an­ge­grif­fe­nen Re­ge­lung ein recht­li­ches Va­ku­um auf­träte und so­wohl bei den Behörden als auch bei den Rechts­un­ter­wor­fe­nen Un­si­cher­heit über die Rechts­la­ge entstün­de (vgl. BVerfGE 37, 217 <261>; 73, 40 <102>; 92, 53 <74>). Die Fest­stel­lung der Un­ver­ein­bar­keit ei­ner Rechts­la­ge mit dem Grund­ge­setz darf auch nicht da­zu führen, dass der Ver­wal­tung zeit­wei­lig die Erfüllung ver­fas­sungs­recht­li­cher Pflicht­auf­ga­ben man­gels hin­rei­chen­der ge­setz­li­cher Grund­la­ge unmöglich ge­macht wird (vgl. BVerfGE 83, 130 <152 ff.>; auch 51, 268 <290 f.>); dies gilt auch für die tatsächli­che Wahr­neh­mung der ihr über­tra­ge­nen Auf­ga­ben.

b) Da­nach ist § 44b SGB II le­dig­lich für mit der Ver­fas­sung un­ver­ein­bar zu erklären, um zu ver­hin­dern, dass durch die Nich­ti­gerklärung der an­ge­grif­fe­nen Re­ge­lung bei den be­trof­fe­nen Behörden und Rechts­un­ter­wor­fe­nen Un­si­cher­heit über die Rechts­la­ge be­steht, und um ei­ne wir­kungs­vol­le, durch das So­zi­al­staats­prin­zip ge­bo­te­ne Auf­ga­ben­wahr­neh­mung zu ermögli­chen.


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Die durch die Grund­si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de gewähr­ten Leis­tun­gen de­cken wei­te Be­rei­che der So­zi­al­leis­tun­gen des Staa­tes ab. Bei ei­ner Nich­ti­gerklärung könn­ten die Auf­ga­ben ab so­fort nicht mehr ein­heit­lich durch die nach § 44b SGB II ge­gründe­ten Ar­beits­ge­mein­schaf­ten wahr­ge­nom­men wer­den. Hier­von wären ei­ne ho­he Zahl von Leis­tungs­empfängern und die Mit­ar­bei­ter in den Ar­beits­ge­mein­schaf­ten be­trof­fen. Oh­ne ei­ne hin­rei­chen­de Über­g­angs­zeit ist es nicht möglich, ei­ne ge­ord­ne­te So­zi­al­ver­wal­tung si­cher­zu­stel­len.

Die wei­te­re An­wen­dung der an­ge­grif­fe­nen Norm ist bis zu ei­ner ge­setz­li­chen Neu­re­ge­lung, längs­tens bis zum 31. De­zem­ber 2010 zu­zu­las­sen. Die­ser Zeit­raum ist dem Ge­setz­ge­ber zur Schaf­fung ei­ner Neu­re­ge­lung im Rah­men der hier be­trof­fe­nen be­son­ders kom­ple­xen Re­ge­lungs­ma­te­rie zu­zu­bil­li­gen. Da­bei ist ins­be­son­de­re zu berück­sich­ti­gen, dass der Ge­setz­ge­ber mit den hier an­ge­grif­fe­nen Re­ge­lun­gen, die Teil der Zu­sam­men­le­gung der Ar­beits­lo­sen­hil­fe und der So­zi­al­hil­fe für Er­werbsfähi­ge sind, ein Ziel ver­folgt, das in der Wis­sen­schaft eben­so wie im po­li­ti­schen Wil­lens­bil­dungs­pro­zess von der weit über­wie­gen­den Mei­nung als not­wen­dig er­ach­tet wor­den ist, dass zu­gleich aber die bis­he­ri­ge Zu­ord­nung der ge­trennt wahr­ge­nom­me­nen je­weils be­deu­ten­den Auf­ga­ben­kom­ple­xe teils zum Bund, teils zur den Ländern zu­gehöri­gen Kom­mu­nal­ebe­ne zur Er­rei­chung die­ses Ziels Um­stel­lun­gen von un­gewöhn­li­chem Aus­maß er­for­dert.


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Mit der Zu­sam­men­le­gung der So­zi­al­leis­tun­gen der So­zi­al-und der Ar­beits­lo­sen­hil­fe hat sich der Ge­setz­ge­ber ei­ner his­to­risch ein­ma­li­gen Auf­ga­be ge­stellt, die un­ter­schied­li­che Lö­sun­gen zulässt. Dies zeigt sich auch an den im Vor­feld des Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­rens ge­mach­ten ver­schie­den­ar­ti­gen Vor­schlägen aus Po­li­tik und Wis­sen­schaft (vgl. Kom­mis­si­on zum Ab­bau der Ar­beits­lo­sig­keit und zur Um­struk­tu­rie­rung der Bun­des­an­stalt für Ar­beit, Mo­der­ne Dienst­leis­tun­gen am Ar­beits­markt, 2002, S. 67 ff., S. 125 ff.; zu den Vor­schlägen im Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­ren vgl. oben A. I. 1.). Zum Zeit­punkt des Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­rens, aus dem die hier an­ge­grif­fe­nen Nor­men her­vor­gin­gen, sah sich der Ge­setz­ge­ber ei­nem his­to­risch ge­wach­se­nen Ne­ben­ein­an­der von kom­mu­nal ver­wal­te­ter So­zi­al­hil­fe und ge­samt­staat­lich ver­wal­te­ter Ar­beits­lo­sen­hil­fe ge­gen­über. Seit Jahr­zehn­ten und lan­ge vor Be­ste­hen der Bun­des­re­pu­blik hat­te sich die ge­trenn­te Leis­tungs­gewährung die­ser So­zi­al­leis­tun­gen ent­wi­ckelt (vgl. Sachße/Tenn­stedt, Ge­schich­te der Ar­menfürsor­ge in Deutsch­land, Band 2, 1988, S. 98 f., S. 146 f.). Die­se his­to­risch be­ding­te Auf­tei­lung des Sach­ver­stands auf den Ge­bie­ten der Fürsor­ge und der Ar­beits­ver­mitt­lung auf die Kom­mu­nen als öffent­li­che Träger der So­zi­al­hil­fe nach dem Bun­des­so­zi­al­hil­fe­ge­setz ei­ner­seits und die Bun­des­ar­beits­ver­wal­tung an­de­rer­seits ei­ner ein­heit­li­chen Auf­ga­ben­wahr­neh­mung zu­zuführen, wird all­ge­mein als sinn­voll und not­wen­dig an­ge­se­hen.


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Na­ment­lich die im Fe­bru­ar 2002 durch die Bun­des­re­gie­rung be­auf­trag­te Kom­mis­si­on zum Ab­bau der Ar­beits­lo­sig­keit und zur Um­struk­tu­rie­rung der Bun­des­an­stalt für Ar­beit schlug in ih­rem Be­richt „Mo­der­ne Dienst­leis­tun­gen am Ar­beits­markt“ vom

16. Au­gust 2002 vor, Ar­beits­lo­sen­hil­fe und So­zi­al­hil­fe zu­sam­men­zuführen. Je­der, der So­zi­al­leis­tun­gen be­zie­he, sol­le von ei­ner ein­zi­gen Stel­le be­treut wer­den und ei­ne ein­zi­ge Leis­tung er­hal­ten. Durch die Zu­sam­menführung wer­de nach den Aus­führun­gen der Kom­mis­si­on ei­ne ent­schei­den­de Schwach­stel­le der bis­he­ri­gen Sys­te­me be­sei­tigt, nämlich die aus den je­wei­li­gen Ei­gen­in­ter­es­sen der Leis­tungs­träger re­sul­tie­ren­den „Ver­schie­be­bahnhöfe“ be­stimm­ter Ziel­grup­pen (Kom­mis­si­on zum Ab­bau der Ar­beits­lo­sig­keit und zur Um­struk­tu­rie­rung der Bun­des­an­stalt für Ar­beit, Mo­der­ne Dienst­leis­tun­gen am Ar­beits­markt, 2002, S. 67 ff. und S. 125 ff.).

Dem Ge­setz­ge­ber muss für ei­ne Neu­re­ge­lung, die das Ziel ei­ner Bünde­lung des Voll­zugs der Grund­si­che­rung für Ar­beitsu­chen­de ver­folgt, ein der Größe der Um­struk­tu­rie­rungs­auf­ga­be an­ge­mes­se­ner Zeit­raum be­las­sen wer­den. Da­bei muss ihm die Möglich­keit ge­ge­ben wer­den, die Er­fah­run­gen der ein­heit­li­chen Auf­ga­ben­wahr­neh­mung in den so ge­nann­ten Op­ti­ons­kom­mu­nen des § 6a SGB II und die Er­geb­nis­se der gemäß § 6c SGB II vor­ge­se­he­nen Wir­kungs­for­schung zu den Aus­wir­kun­gen der Neu­re­ge­lung des So­zi­al­ge­setz­buchs – Zwei­tes Buch - zu berück­sich­ti­gen.

IV.


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Die Ver­fas­sungs­be­schwer­den im Ver­fah­ren 2 BvR 2434/04 ha­ben kei­nen Er­folg. Die Ver­fas­sungs­be­schwer­den im Ver­fah­ren 2 BvR 2433/04 sind be­gründet, so­weit sie sich ge­gen § 44b SGB II wen­den; so­weit sie §§ 6 und 46 SGB II an­grei­fen, sind sie un­be­gründet. Die er­folg­lo­se Be­an­stan­dung der Auf­ga­ben­zu­wei­sung hat­te we­sent­li­ches Ge­wicht im Vor­trag der Be­schwer­de­führer. Der nur teil­wei­se Er­folg lässt es ge­recht­fer­tigt er­schei­nen, dass den Be­schwer­deführern in die­sem Ver­fah­ren ge­mäß § 34a Abs. 2 BVerfGG die Hälf­te ih­rer not­wen­di­gen Aus­la­gen er­stat­tet wird.

   
   

Has­se­mer

Broß

Os­ter­loh  

Di Fa­bio

Mel­ling­hoff

Lübbe-Wolff

Ger­hardt  

Land­au 

 

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