HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 19/025

Neue BAG-Recht­spre­chung zur sach­grund­lo­sen Be­fris­tung 2019

Kei­ne sach­grund­lo­se Be­fris­tung, wenn acht Jah­re zu­vor ein ein­ein­halb­jäh­ri­ges Ar­beits­ver­hält­nis mit ver­gleich­ba­ren Auf­ga­ben be­stand: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 23.01.2019, 7 AZR 733/16
Abrisskalender

25.01.2019. Vor gut ei­nem hal­ben Jahr hat­te das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) ent­schie­den, dass die Er­leich­te­rung sach­grund­los be­fris­te­ter Ar­beits­ver­trä­ge ge­mäß der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) im We­sent­li­chen ver­fas­sungs­wid­rig ist (wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 18/143 BAG-Recht­spre­chung zum Vor­be­schäf­ti­gungs­ver­bot ge­kippt).

Auf­grund die­ser Ent­schei­dung des BVerfG muss­te das BAG sei­ne bis­he­ri­ge Li­nie kor­ri­gie­ren und hat das mit ei­nem vor­ges­tern er­gan­ge­nen Ur­teil auch ge­tan: BAG, Ur­teil vom 23.01.2019, 7 AZR 733/16 (Pres­se­mel­dung des Ge­richts).

Sie­ben Jah­re Streit über die Aus­le­gung des Vor­beschäfti­gungs­ver­bots

§ 14 Abs.2 Tz­B­fG er­laubt bei Neu­ein­stel­lun­gen die Be­fris­tung von Ar­beits­verhält­nis­sen oh­ne ei­nen Sach­grund, und zwar bis zu ei­ner Dau­er von ma­xi­mal zwei Jah­ren. Für länge­re Be­fris­tun­gen bzw. Be­fris­tungs­ket­ten sind sach­li­che Gründe er­for­der­lich. Die ers­ten bei­den Sätze von § 14 Abs.2 Tz­B­fG lau­ten:

„Die ka­len­dermäßige Be­fris­tung ei­nes Ar­beits­ver­tra­ges oh­ne Vor­lie­gen ei­nes sach­li­chen Grun­des ist bis zur Dau­er von zwei Jah­ren zulässig; bis zu die­ser Ge­samt­dau­er von zwei Jah­ren ist auch die höchs­tens drei­ma­li­ge Verlänge­rung ei­nes ka­len­dermäßig be­fris­te­ten Ar­beits­ver­tra­ges zulässig. Ei­ne Be­fris­tung nach Satz 1 ist nicht zulässig, wenn mit dem­sel­ben Ar­beit­ge­ber be­reits zu­vor ein be­fris­te­tes oder un­be­fris­te­tes Ar­beits­verhält­nis be­stan­den hat.“

Das heißt: Be­stand zwi­schen ei­nem Ar­beit­ge­ber und ei­nem "neu" ein­ge­stell­ten Ar­beit­neh­mer schon ein­mal ein Ar­beits­verhält­nis, ist ei­ne sach­grund­lo­se Be­fris­tung un­zulässig. Da­bei macht das Ge­setz kei­ner­lei Aus­nah­men, d.h. sach­grund­lo­se Be­fris­tun­gen sind (an­schei­nend) auch dann aus­ge­schlos­sen, wenn das vor­he­ri­ge Ar­beits­verhält­nis z.B. schon 20 Jah­re zurück­liegt und nur von kur­zer Dau­er war.

Mit ei­nem sol­chen un­be­schränk­ten "Vor­beschäfti­gungs­ver­bot" woll­te sich das BAG nicht ab­fin­den und ent­schied im Jah­re 2011, dass die Be­fris­tung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses oh­ne Sach­grund be­reits dann möglich ist, wenn zwi­schen den Par­tei­en mehr als drei Jah­re lang kein Ar­beits­verhält­nis be­stand (BAG, Ur­teil vom 06.04.2011, 7 AZR 716/09, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 11/074 Sach­grund­lo­se Be­fris­tung von Ar­beits­verträgen er­leich­tert).

Die­se BAG-Recht­spre­chung war um­strit­ten, da die aus dem Jah­re 2000 stam­men­de Be­fris­tungs­re­ge­lung des § 14 Abs.2 Satz 2 Tz­B­fG kei­ne An­halts­punk­te für ei­ne dreijähri­ge Ka­renz­zeit bie­tet. Die Do­ku­men­ta­ti­on der Ge­set­zes­ent­ste­hung, d.h. der Dis­kus­sio­nen im Bun­des­tag und in den Ausschüssen, spricht viel­mehr dafür, dass die da­ma­li­ge rot-grüne Re­gie­rungs­mehr­heit die Möglich­keit sach­grund­lo­ser Be­fris­tun­gen ziem­lich ra­di­kal be­schränken woll­te, d.h. die­se Möglich­keit soll­te es nur bei ei­nem (wirk­lich) erst­ma­li­gen Ver­trags­ab­schluss ge­ben.

Da­her ur­teil­ten seit 2011 ei­ni­ge Ar­beits- und Lan­des­ar­beits­ge­rich­te (LAG) ab­wei­chend von der BAG-Li­nie. Sie ga­ben Ar­beit­neh­mern, die ge­gen ei­ne sach­grund­lo­se Be­fris­tung klag­ten, auch dann recht, wenn der Be­fris­tung ei­ne länger als drei Jah­re zurück­lie­gen­de Vor­beschäfti­gung vor­aus­ging (wir be­rich­te­ten u.a. in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 16/347 Stutt­gar­ter LAG con­tra Bun­des­ar­beits­ge­richt).

Der oben erwähn­te BVerfG-Be­schluss vom 06.06.2018 (1 BvL 7/14 und 1 BvR 1375/14) be­en­de­te die­se Dis­kus­si­on im Sin­ne der Kri­ti­ker des BAG: Ei­ne Drei­jah­res-Gren­ze er­gibt sich nicht aus dem Ge­setz, so die Karls­ru­her Rich­ter. Da­her verstößt die BAG-Recht­spre­chung ge­gen die Bin­dung der Jus­tiz an Ge­setz und Recht (Art.20 Abs.3 Grund­ge­setz - GG) und ist da­mit ver­fas­sungs­wid­rig (BVerfG, Be­schluss vom 06.06.2018, 1 BvL 7/14 und 1 BvR 1375/14, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 18/143 BAG-Recht­spre­chung zum Vor­beschäfti­gungs­ver­bot ge­kippt).

Al­ler­dings ist auch das BVerfG der Mei­nung, dass es in (sel­te­nen) Ex­tremfällen ge­bo­ten ist, sach­grund­lo­se Be­fris­tun­gen trotz ei­ner Vor­beschäfti­gung als wirk­sam zu be­wer­ten, um un­zu­mut­ba­re Er­geb­nis­se zu ver­mei­den. Sol­che Aus­nah­mefälle lie­gen z.B. dann vor, wenn ein frühe­res Ar­beits­verhält­nis schon "sehr lang zurück­liegt, ganz an­ders ge­ar­tet war oder von sehr kur­zer Dau­er ge­we­sen ist" (BVerfG, Be­schluss vom 06.06.2018, 1 BvL 7/14 und 1 BvR 1375/14, Rn.63).

Liegt ein Ar­beits­verhält­nis aber be­reits dann "sehr lan­ge" zurück, wenn seit­dem acht Jah­re ver­gan­gen sind?

Der Fall des BAG: Sach­grund­los be­fris­te­ter Ar­beit­neh­mer ei­nes Stutt­gar­ter Au­to­her­stel­lers war be­reits vor acht Jah­ren dort beschäftigt

In dem vom BAG ent­schie­de­nen Streit­fall ging es um ei­nen 1972 ge­bo­re­nen Me­tall­fach­ar­bei­ter, der be­reits vom 19.03.2004 bis zum 30.09.2005 und da­mit gut ein­ein­halb Jah­re als ge­werb­li­cher Ar­beit­neh­mer bei dem be­klag­ten Au­to­mo­bil­pro­du­zen­ten ge­ar­bei­tet hat­te.

Da­nach trenn­ten sich die We­ge der Par­tei­en für knapp acht Jah­re, bis der Ar­beit­neh­mer er­neut bei sei­nem Ex-Ar­beit­ge­ber als Fach­ar­bei­ter im Be­reich „Pro­duk­ti­on und Lo­gis­tik“ ein­ge­stellt wur­de, und zwar sach­grund­los be­fris­tet vom 19.08.2013 bis zum 28.02.2014. Nach drei wei­te­ren Verlänge­run­gen en­de­te die­ses Ar­beits­verhält­nis mit dem Ab­lauf des 18.08.2015, d.h. es hat­te ei­ne Dau­er von ge­nau zwei Jah­ren.

Der Ar­beit­neh­mer woll­te sich die­se Be­fris­tung nicht ge­fal­len las­sen und er­hob Ent­fris­tungs­kla­ge vor dem Ar­beits­ge­richt Stutt­gart, das ihm recht gab (Ur­teil vom 14.01.2016, 21 Ca 5246/15). Das für die Be­ru­fung zuständi­ge LAG Ba­den-Würt­tem­berg ent­schied eben­falls zu sei­nen Guns­ten (LAG Ba­den-Würt­tem­berg Ur­teil vom 11.8.2016, 3 Sa 8/16). 

BAG: Kei­ne sach­grund­lo­se Be­fris­tung, wenn acht Jah­re zu­vor ein ein­ein­halbjähri­ges Ar­beits­verhält­nis mit ver­gleich­ba­ren Auf­ga­ben be­stand

Auch in Er­furt vor dem BAG hat­te der Kläger Er­folg, der da­mit sei­ne Ent­fris­tung durch­set­zen konn­te. In der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mel­dung des BAG heißt es zur Be­gründung:

Seit 2011 hat­te das BAG zwar ent­schie­den, dass § 14 Abs.2 Satz 2 Tz­B­fG nicht auf Vor­beschäfti­gun­gen an­zu­wen­den ist, die länger als drei Jah­re zurück­lie­gen. Die­se BAG-Recht­spre­chung kann je­doch auf­grund des BVerfG-Be­schlus­ses vom 06.06.2018 (1 BvL 7/14 und 1 BvR 1375/14) nicht auf­recht­er­hal­ten wer­den, so das BAG re­umütig. Denn mit die­ser Recht­spre­chung hat­te das BAG "die Gren­zen ver­tret­ba­rer Aus­le­gung ge­setz­li­cher Vor­ga­ben über­schrit­ten", weil der Ge­setz­ge­ber des Jah­res 2000 ei­ne sol­che Ka­renz­zeit "er­kenn­bar nicht re­geln" woll­te.

Dem­nach stellt sich hier im Streit­fall nur die Fra­ge, ob die­ser ein Aus­nah­me­fall im o.g. Sin­ne ist, d.h. ob es dem Au­to­bau­er mögli­cher­wei­se un­zu­mut­bar war, das Ver­bot der sach­grund­lo­sen Be­fris­tung zu be­fol­gen. Das setzt vor­aus, so das BAG im An­schluss an das BVerfG, dass die Vor­beschäfti­gung sehr lang zurück­liegt, ganz an­ders ge­ar­tet war oder von sehr kur­zer Dau­er ge­we­sen ist.

Die­se Vor­aus­set­zun­gen für die aus­nahms­wei­se Wirk­sam­keit ei­ner sach­grund­lo­sen Be­fris­tung trotz ei­ner (sehr lan­ge) zurück­lie­gen­den Vor­beschäfti­gung la­gen im Streit­fall aber nicht vor, so das BAG. Ins­be­son­de­re, so die Er­fur­ter Rich­ter, lag das vor­an­ge­gan­ge­ne Ar­beits­verhält­nis (erst) acht Jah­re und da­mit nicht sehr lang zurück.

Sch­ließlich konn­te sich der Ar­beit­ge­ber auch nicht dar­auf be­ru­fen, dass er bei Ab­schluss des sach­grund­los be­fris­te­ten Ver­trags auf die seit 2011 be­ste­hen­de BAG-Recht­spre­chung ver­traut hat­te. Ei­nen sol­chen Ver­trau­ens­schutz gewährt das BAG (zu­recht) nicht. Denn der Ar­beit­ge­ber muss­te bei Ab­schluss des ers­ten Ver­trags und der drei Verlänge­rungs­ver­ein­ba­run­gen mit der Möglich­keit rech­nen, dass die für ihn güns­ti­ge BAG-Recht­spre­chung vor dem BVerfG kei­nen Be­stand ha­ben könn­te.

Fa­zit: Zu den vom BVerfG ge­nann­ten (sel­te­nen) Aus­nah­mefällen, in de­nen die strik­te An­wen­dung des Vor­beschäfti­gungs­ver­bots zu ei­nem "un­zu­mut­ba­ren" Er­geb­nis führen würde, gehört ein zeit­li­cher Ab­stand von nur acht Jah­ren seit dem letz­ten Ar­beits­verhält­nis (si­cher) nicht.

Außer­dem steht Ar­beit­ge­bern kein Ver­trau­ens­schutz zu, wenn sie von April 2011 bis zur Ent­schei­dung des BVerfG im Ju­ni 2018 un­ter Be­ru­fung auf die da­mals "gel­ten­de" BAG-Recht­spre­chung sach­grund­los be­fris­te­te Ar­beits­erträge ver­ein­bart ha­ben, ob­wohl der "neu ein­ge­stell­te" Ar­beit­neh­mer be­reits früher ein­mal bei ih­nen beschäftigt war.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 28. September 2021

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de
Bewertung: 5.0 von 5 Sternen (1 Bewertung)

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de