HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 19/021

Neue Re­geln für Mi­ni­jobs 2019

Kurz­fris­ti­ge Be­schäf­ti­gung kann auch in Zu­kunft drei Mo­na­te bzw. 70 Ta­ge lang aus­ge­übt wer­den. Gleit­zo­nen-Ar­beit­neh­mer dür­fen ab Ju­li 2019 bis zu 1.300,00 EUR ver­die­nen: Qua­li­fi­zie­rungs­chan­cen­ge­setz, vom 18.12.2018; RV-Leis­tungs­ver­bes­se­rungs- und -Sta­bi­li­sie­rungs­ge­setz, vom 28.11.2018
Versandhandel, Paketlager, Mitarbeiter am Fließband, Amazon

26.01.2019. Sai­son­ar­beit­neh­mer kön­nen auch über den 31.12.2018 hin­aus drei Mo­na­te lang ei­ne so­zi­al­ver­si­che­rungs­freie Kurz­frist­be­schäf­ti­gung aus­üben. Die bis­lang nur vor­über­ge­hend von 2015 bis En­de 2018 gel­ten­de Re­ge­lung gilt un­be­fris­tet in § 8 Abs.1 Nr.2 SGB IV wei­ter (Qua­li­fi­zie­rungs­chan­cen­ge­setz, vom 18.12.2018 - Art.4).

Au­ßer­dem hat die Gleit­zo­nen­be­schäf­ti­gung Mit­te 2019 aus­ge­dient. Sie wird durch ei­nen sog. Über­gangs­be­reich er­setzt, der Ein­kom­men von 450,01 EUR bis 1.300,00 EUR brut­to be­trifft.

Ge­ring­ver­die­ner in die­sem Über­gangs­be­reich zah­len (wie bis­her) nicht den vol­len Ren­ten­bei­trag, wer­den aber künf­tig auch oh­ne Auf­sto­ckung so ge­stellt, als hät­ten sie ihn be­zahlt, d.h. sie er­wer­ben kraft Ge­set­zes Ren­ten­punk­te aus ih­rem Brut­to­ein­kom­men: Art.1 Nr.4 Ge­setz über Leis­tungs­ver­bes­se­run­gen und Sta­bi­li­sie­rung in der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung (RV-Leis­tungs­ver­bes­se­rungs- und -Sta­bi­li­sie­rungs­ge­setz), vom 28.11.2018.

Für die kurz­fris­ti­ge Beschäfti­gung gilt auch künf­tig die Gren­ze von drei Mo­na­ten bzw. von 70 Ta­gen, und zwar dau­er­haft

Wird ein Ar­beit­neh­mer in ge­ringfügi­gem Um­fang beschäftigt, fal­len Lohn­steu­ern und So­zi­al­ab­ga­ben nicht in vol­ler Höhe an. Viel­mehr ist die Ab­ga­ben­last deut­lich re­du­ziert und wird bei sog. 450-Eu­ro-Jobs für Ar­beit­neh­mer im Nor­mal­fall gar nicht spürbar: Sie be­kom­men 450,00 EUR mo­nat­lich "brut­to gleich net­to". Al­lein der Ar­beit­ge­ber muss ge­setz­lich pau­scha­li­sier­te Steu­ern und So­zi­al­ab­ga­ben abführen, der­zeit 31,2 Pro­zent des Lohns. Für Ar­beit­ge­ber kos­ten 450-Eu­ro-Kräfte da­her mo­nat­lich (450 x 1,312 =) 590,40 EUR.

Ne­ben die­ser sog. Ent­gelt­ge­ringfügig­keit gibt es nach § 8 Abs.1 Nr.2 Vier­tes Buch So­zi­al­ge­setz­buch (SGB IV) ei­ne wei­te­re Form der ge­ringfügi­gen Beschäfti­gung, die Zeit­ge­ringfügig­keit oder Kurz­frist­beschäfti­gung, die für die Sai­son­ar­beit ge­dacht ist. Sai­son­ar­beit kommt tra­di­tio­nell vor al­lem in der Gas­tro­no­mie und in der Land­wirt­schaft vor, seit ei­ni­gen Jah­ren auch im On­line­han­del während der Vor­weih­nachts­zeit.

Dann su­chen Be­trie­be während ei­ni­ger Wo­chen oder Mo­na­te ih­rer "Hoch­sai­son" Ar­beit­neh­mer, die nur vorüber­ge­hend ar­bei­ten sol­len, das al­ler­dings nicht nur für 450,00 EUR im Mo­nat (und da­mit auf­grund des ge­setz­li­chen Min­dest­lohns nur für et­wa 50 St­un­den pro Mo­nat), son­dern voll­zei­tig und oft auch über­voll­zei­tig.

Die Sai­son­ar­beit in Form der Zeit­ge­ringfügig­keit hat zur Fol­ge, dass gar kei­ne So­zi­al­ab­ga­ben ab­zuführen sind, dafür aber im Nor­mal­fall Lohn­steu­ern in vol­ler Höhe. Sie sind dem­ent­spre­chend auch nicht an die Knapp­schaft Bahn-See (Mi­ni­job­zen­tra­le) zu zah­len, son­dern an das für den Ar­beit­ge­ber zuständi­ge Be­triebsstätten­fi­nanz­amt.

Ge­setz­li­che Vor­aus­set­zung für die kurz­fris­ti­ge Beschäfti­gung bzw. Zeit­ge­ringfügig­keit ist gemäß § 8 Abs.1 Nr.2 SGB IV die Ein­hal­tung ei­ner ma­xi­ma­len Ein­satz­zeit pro Ka­len­der­jahr. Die­se Höchst­dau­er der kurz­fris­ti­gen Beschäfti­gung be­trug

  • bis En­de 2014 zwei Mo­na­te pro Ka­len­der­jahr oder 50 Ar­beits­ta­ge, und
  • von An­fang 2015 bis En­de 2018 drei Mo­na­te pro Ka­len­der­jahr oder 70 Ar­beits­ta­ge.

Die vorüber­ge­hend für vier Jah­re gel­ten­de Verlänge­rung auf drei Mo­na­te bzw. auf 70 Ar­beits­ta­ge war in § 115 SGB IV al­te Fas­sung ent­hal­ten. Sie war Be­stand­teil des Ge­set­zes zur Einführung des Min­dest­lohns, des sog. Ta­rif­au­to­no­miestärkungs­ge­set­zes vom 14.08.2014 (BGBl I, S.1348 - Art.9 Nr.3). Hin­ter­grund die­ser Aus­wei­tung der Kurz­frist­beschäfti­gung wa­ren Befürch­tun­gen, dass Be­trie­be, die auf Sai­son­kräfte an­ge­wie­sen sind, durch die Einführung des Min­dest­lohns in Schwie­rig­kei­ten ge­ra­ten könn­ten (Be­schluss­emp­feh­lung und Be­richt des 11. Aus­schus­ses zum Ge­setz­ent­wurf der Bun­des­re­gie­rung, Ent­wurf ei­nes Ta­rif­au­to­no­miestärkungs­ge­set­zes, BT-Drucks. 18/2010, S.27).

Durch das Ge­setz zur Stärkung der Chan­cen für Qua­li­fi­zie­rung und für mehr Schutz in der Ar­beits­lo­sen­ver­si­che­rung (Qua­li­fi­zie­rungs­chan­cen­ge­setz), vom 18.12.2018 (BGBl.I S.2651 - Art.4), wur­de die zunächst auf vier Jah­re be­fris­te­te Re­ge­lung dau­er­haft in § 8 Abs.1 Nr.2 SGB IV über­nom­men.

An den übri­gen recht­li­chen Vor­aus­set­zun­gen der Sai­son­beschäfti­gung in Form der Zeit­ge­ringfügig­keit ändert sich aber nichts. So ist nach der Recht­spre­chung der So­zi­al­ge­rich­te wei­ter­hin er­for­der­lich, dass die Sai­son­ar­beit "un­re­gelmäßig" bzw. nur "ge­le­gent­lich" aus­geübt wird. An­dern­falls entfällt die Ver­si­che­rungs­frei­heit, denn dann le­ben die an­geb­li­chen "Sai­son­kräfte" ja von die­ser Form der Tätig­keit. Das ist z.B. der Fall, wenn ein Ar­beit­neh­mer in ei­nem Ka­len­der­jahr zu­erst zwei Mo­na­te im Som­mer als Aus­hilfs­kraft in ei­nem Ho­tel ar­bei­tet, dann sechs Wo­chen als Ern­te­hel­fer und schließlich fünf Wo­chen im Pa­ket­ver­sand.

Ab Ju­li 2019 dürfen Mi­di-Job­ber deut­lich mehr ver­die­nen: Die Gleit­zo­ne wird auf 1.300 EUR aus­ge­wei­tet und heißt dann Über­g­angs­be­reich

Wer dau­er­haft mehr als 450,00 EUR im Mo­nat ver­dient, aber nicht über 850,00 EUR hin­aus­kommt, liegt mit sei­nem Ein­kom­men in der Gleit­zo­ne. Für sol­che "Mi­di­jobs" gilt nicht die vol­le So­zi­al­ver­si­che­rungs­pflicht. Viel­mehr zahlt der Ar­beit­ge­ber den re­gulären An­teil am So­zi­al­ver­si­che­rungs­bei­trag, während Ar­beit­neh­mer (er­heb­lich) we­ni­ger zah­len, und zwar auf der Grund­la­ge ei­nes künst­lich her­un­ter­ge­rech­ne­ten Brut­to­lohns.

Die­ser künst­li­che Brut­to­lohn ist am un­te­ren En­de der Gleit­zo­ne deut­lich nied­ri­ger als der wirk­li­che Lohn und nähert sich erst am obe­ren En­de der Gleit­zo­ne im­mer mehr dem wirk­li­chen Lohn an. Trotz der ge­rin­ge­ren Be­las­tung mit So­zi­al­ab­ga­ben ha­ben Ar­beit­neh­mer in der Gleit­zo­ne im Prin­zip An­spruch auf al­le Leis­tun­gen der So­zi­al­ver­si­che­rung, vor al­lem auf Geld­leis­tun­gen wie Kran­ken­geld und Ar­beits­lo­sen­geld. Die­se So­zi­al­leis­tun­gen wer­den nach dem ver­si­cher­ten Brut­to­ein­kom­men be­rech­net (ob­wohl der Ar­beit­neh­mer ge­rin­ge­re So­zi­al­beiträge zahlt als die­sem Brut­to­ein­kom­men ent­spricht).

Ei­ne Aus­nah­me gilt bis­her al­ler­dings für die Ren­ten­ver­si­che­rung: Hier er­wer­ben Ar­beit­neh­mer Ent­gelt­punk­te nur auf der Grund­la­ge des her­un­ter­ge­rech­ne­ten Brut­to­lohns. Da­her ha­ben sie die Möglich­keit, auf die An­wen­dung der Gleit­zo­nen­re­ge­lung bei der Ren­ten­ver­si­che­rung zu ver­zich­ten, d.h. sie können den Ren­ten­bei­trag zur Ver­mei­dung von Bei­trags­ausfällen auf­sto­cken.

Da vie­le Mi­di-Job­ber von die­ser Möglich­keit kei­nen Ge­brauch ma­chen, trägt ih­re "Ent­las­tung" von Ren­ten­beiträgen zur un­zu­rei­chen­den Al­ters­vor­sor­ge bei und erhöht das Ri­si­ko der Al­ters­ar­mut. Da­her ver­bes­sert das Ge­setz über Leis­tungs­ver­bes­se­run­gen und Sta­bi­li­sie­rung in der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung (RV-Leis­tungs­ver­bes­se­rungs- und -Sta­bi­li­sie­rungs­ge­setz), vom 28.11.2018 (Art.1 Nr.4), die Ren­ten­an­wart­schaf­ten von Gleit­zo­nen-Ar­beit­neh­mern, in­dem die­se künf­tig au­to­ma­tisch Ren­ten­an­wart­schaf­ten bzw. Ent­gelt­punk­te nach ih­rem Brut­to­ein­kom­men er­wer­ben, d.h. auch dann, wenn ih­re Bei­trags­an­tei­le gleit­zo­nen­be­dingt ge­rin­ger sind als bei re­gulärer Beschäfti­gung.

Da­mit entfällt künf­tig die Auf­sto­ckung des Ar­beit­neh­mer-Ren­ten­bei­trags in der Gleit­zo­ne, weil das Ge­setz selbst die Beschäftig­ten so stellt, als hätten sie sich für die Auf­sto­ckung ent­schie­den. Da­zu heißt es in ei­nem neu­en § 70 Abs.1a Sechs­tes Buch So­zi­al­ge­setz­buch (SGB VI):

„(1a) Ab­wei­chend von Ab­satz 1 Satz 1 wer­den Ent­gelt­punk­te für Bei­trags­zei­ten aus ei­ner Beschäfti­gung im Über­g­angs­be­reich (§ 20 Ab­satz 2 Vier­tes Buch) ab dem 1. Ju­li 2019 aus dem Ar­beits­ent­gelt er­mit­telt."

Zu­gleich mit die­ser bes­se­ren ren­ten­recht­li­chen Ab­si­che­rung von Ge­ring­ver­die­nern in Gleit­zo­ne wird die­se er­heb­lich aus­ge­wei­tet, nämlich auf Ein­kom­men von 450,01 EUR bis 1.300,00 EUR brut­to. Die­ser Ein­kom­mens­be­reich heißt künf­tig nicht mehr Gleit­zo­ne, son­dern Über­g­angs­be­reich (§ 20 Abs.2, 1. Halb­satz SGB IV neue Fas­sung).

Die Neu­re­ge­lun­gen zur Gleit­zo­nen­beschäfti­gung tre­ten zum 01.07.2019 in Kraft (Art.7 RV-Leis­tungs­ver­bes­se­rungs- und -Sta­bi­li­sie­rungs­ge­setz).

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 28. September 2021

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de