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ARBEITSRECHT
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ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 06|2023

Update Arbeitsrecht 06|2023 vom 22.03.2023

Entscheidungsbesprechungen

BAG: Darlegungs- und Beweislast bei Berufung des Arbeitnehmers auf den Gleichbehandlungsgrundsatz

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.10.2022, 5 AZR 135/22

Trägt der Arbeitnehmer Anhaltspunkte für eine begünstigte Arbeitnehmergruppe und für seine Gruppenzugehörigkeit vor, muss der Arbeitgeber den Vortrag zur Gruppenbildung substantiiert widerlegen.

Art.3 Abs.1 Grundgesetz (GG); §§ 253 Abs.2 Nr.2; 254 Zivilprozessordnung (ZPO); § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

Rechtlicher Hintergrund

Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet Arbeitgeber dazu, Arbeitnehmer und Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in einer vergleichbaren Lage befinden, bei der Anwendung von arbeitgeberseitig gesetzten Regeln gleich zu behandeln. 

In erster Linie verbietet der Gleichbehandlungsgrundsatz willkürliche Benachteiligungen einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Arbeitnehmergruppe. Er verbietet aber auch eine auf willkürlichen Gründen beruhende („sachfremde“) Gruppenbildung.

Ein wichtiger Anwendungsfall des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist die Anhebung von Gehältern in Form einer „Lohnwelle“, d.h. eine Situation, in der die Gehälter allgemein angehoben werden. Ein anderer Anwendungsfall sind finanzielle Leistungen, die Arbeitnehmern nach einem generalisierenden Prinzip gewährt werden. 

In solchen Fällen dürfen einzelne Arbeitnehmer von den Vergünstigungen nicht ohne triftigen Sachgrund ausgenommen werden. Dies wäre eine willkürliche Schlechterstellung und daher ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz.

Oft setzt die Berufung eines Arbeitnehmers auf den Gleichbehandlungsgrundsatz beim Thema Bezahlung voraus, dass er vom Arbeitgeber Informationen über die Bezahlung vergleichbarer Arbeitnehmer erhält. Dazu muss der Arbeitnehmer einen Auskunftsanspruch haben und im Streitfall gerichtlich geltend machen.

Ein Auskunftsanspruch besteht nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aufgrund von § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) 

  • im Rahmen der arbeitsvertraglichen Beziehung, 
  • wenn der Arbeitnehmer dem Grunde nach einen Leistungsanspruch hat oder wenn ein solcher Anspruch zumindest wahrscheinlich ist, 
  • wenn sich der Arbeitnehmer in einer entschuldbaren Ungewissheit über das Bestehen und den Umfang seiner Rechte befindet und 
  • wenn dem Arbeitgeber die Erteilung der Auskunft zuzumuten ist.

In einem aktuellen Urteil kam das BAG zu dem Ergebnis, dass ein außertariflicher Angestellter einen solchen Auskunftsanspruch möglicherweise hatte: BAG, Urteil vom 12.10.2022, 5 AZR 135/22.

Sachverhalt

Ein Angestellter in leitender Position hatte seinen Arbeitgeber auf Auskunft über die Gehaltsanpassungen zugunsten leitender Angestellter in den Jahren 2017 bis 2019 verklagt sowie dazu, sein Jahreszielgehalt nach Maßgabe dieser Auskunft in gleicher Weise anzupassen. 

Eine solche sog. Stufenklage ist gemäß § 254 Zivilprozessordnung (ZPO) möglich. Danach kann eine Klage auf Rechnungslegung oder auf eine andere Information verbunden werden mit einer Leistungsklage, deren konkrete Fassung bzw. Bezifferung sich der Kläger vorbehält, bis er die auf erster Stufe der Klage verlangte Information erhalten hat.

Nachdem der Arbeitgeber das Jahreszieleinkommen des Angestellten im Jahr 2015 von 165.000,00 EUR auf 170.000,00 EUR und im Jahr 2016 auf 172.550,00 EUR angehoben hatte, stellte er den Angestellten im November 2016 von der Arbeit frei. Später sprach er zwei Kündigungen aus, gegen die sich der Angestellte mit Erfolg gerichtlich zur Wehr setzte. Ab Februar 2019 wurde er wieder beschäftigt.

Im Arbeitsvertrag des Angestellten war festgelegt, dass er zum Kreis der „leitenden Führungskräfte“ gehören sollte. In den Jahren 2017 bis 2020 erhöhte der Arbeitgeber das Gehalt von 13 „Führungskräften“, die der Angestellte auch namentlich benennen konnte. Er dagegen ging in diesen Jahren leer aus, u.a. infolge der unwirksamen Kündigungen und der Abwesenheit von der Arbeit von November 2016 bis Januar 2019.

Das Arbeitsgericht Celle (Urteil vom 20.01.2021, 2 Ca 214/20) und das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen wiesen die Klage ab (Urteil vom 09.11.2021, 10 Sa 176/21). 

Aus ihrer Sicht hatte der Angestellte nicht genau genug vorgetragen, dass der Arbeitgeber eine Gruppenbildung der „leitenden Angestellten“ vorgenommen und diesen nach einer allgemeinen Regel Gehaltserhöhungen gewährt hatte.

Entscheidung des BAG

Das BAG hob das Urteil des LAG Niedersachsen auf und verwies den Rechtsstreit zum LAG zurück, das den Fall jetzt noch einmal prüfen muss. Zur Begründung heißt es:

Der Kläger hatte unter Berufung auf den Arbeitsvertrag seine Zugehörigkeit zu den „leitenden Führungskräften“ vorgetragen. Außerdem konnte er immerhin 13 nach seiner Ansicht vergleichbare Führungskräfte benennen, die in der streitigen Zeit von 2017 bis 2019 Gehaltserhöhungen erhalten hatten. Damit hatte er, so das BAG, die rechtlichen Voraussetzungen für den Auskunftsanspruch schlüssig dargelegt.

Daher wäre es jetzt am Arbeitgeber gewesen, das Vorbringen des Klägers zur Gruppenbildung zu entkräften und darzulegen, wie groß die begünstigte Arbeitnehmergruppe ist, wer zu ihr gehört und wer nicht, nach welchen Kriterien diese Gruppe abgegrenzt wird und warum der Kläger nicht dazugehört. Einen solchen substantiierten Gegenvortrag hatte der Arbeitgeber nicht gehalten. 

Infolgedessen hätten das Arbeitsgericht und das LAG die Klage (noch) nicht abweisen dürfen. Dadurch hatten sie die gerade erst begonnene prozessuale Aufklärung eines möglichen Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz voreilig abgebrochen.

Ergänzend macht das BAG klar, warum die bisherigen Ausführungen des Arbeitgebers unzureichend waren. Er hatte zwar auf unterschiedliche Hierarchieebenen, Managementlevel und Gehaltsbänder verwiesen und damit versucht, die Vergleichbarkeit des Klägers mit den von ihm benannten 13 Führungskräften in Abrede zu stellen. Allerdings hatte der Arbeitgeber nicht erklärt, dass und warum solche Aspekte (Hierarchieebenen, Managementlevel, Gehaltsbänder) bei der Gruppenbildung eine Rolle spielen. 

Ohne Erfolg hatte sich der Arbeitgeber auch auf individuelle Vertragsverhandlungen mit den begünstigten Arbeitnehmern berufen. Denn dazu hätte er diese Vertragsverhandlungen im Einzelnen schildern müssen (BAG, Urteil, Rn.31).

Auch das Argument des Arbeitgebers, dass neben dem Kläger weitere Arbeitnehmer leer ausgegangen waren, wies das BAG zurück. Denn möglicherweise waren auch diese Arbeitnehmer sachwidrig benachteiligt worden. Außerdem hatte der Arbeitgeber auch hier nicht erläutert, warum der Kläger mit diesen Arbeitnehmern vergleichbar sein sollte.

Schließlich konnte der Arbeitgeber die Entscheidung über Gehaltserhöhungen gemäß einer allgemeinen Regel auch nicht mit dem Argument widerlegen, dass er den jeweiligen Vorgesetzten die Entscheidung über Gehaltserhöhungen übertragen hatte. Denn dazu verfügten sie über ein festgelegtes Budget und mussten bei ihren Entscheidungen die Vorgaben des Arbeitgebers beachten.

Praxishinweis

Die Entscheidung des BAG ist richtig. Der Arbeitgeber hatte im Streitfall „gemauert“ und sich auf den Standpunkt zurückgezogen, dass es angeblich keine generelle Regel gab, nach der leitende Führungskräfte in den Jahren 2017 bis 2019 Gehaltserhöhungen bekommen hatten.

Das war zu wenig, nachdem der Angestellte immerhin 13 (!) aus seiner Sicht mit ihm vergleichbare Führungskräfte benennen konnte, die im streitigen Zeitraum Gehaltserhöhungen bekommen hatten. 

Die Ausführungen des BAG machen deutlich, dass es vom Arbeitgeber ziemlich genaue Ausführungen zur Gruppenbildung usw. verlangt, wenn der Arbeitnehmer seinerseits konkrete Anhaltspunkte für eine Gruppenbildung und für eine allgemeine Vergünstigung für eine solche Gruppe vorgetragen hat.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.10.2022, 5 AZR 135/22

 

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