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LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 10.09.2014, 15 Sa­Ga 1468/14

   
Schlagworte: Abordnung, Versetzung
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen: 15 SaGa 1468/14
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 10.09.2014
   
Leitsätze: Ehemalige Mitarbeiter der Staatssicherheit der DDR können von der Behörde des Beauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheisdienstes jedenfalls dann zu anderen Behörden abgeordnet und versetzt werden, wenn der neue Arbeitsplatz nur 500 m entfernt ist.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 01.07.2014 -16 Ga 8789/14
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt

Ber­lin-Bran­den­burg  

Verkündet

am 10. Sep­tem­ber 2014



Geschäfts­zei­chen (bit­te im­mer an­ge­ben)
15 Sa­Ga 1468/14
16 Ga 8789/14
Ar­beits­ge­richt Ber­lin

H.
Ge­richts­beschäftig­te
als Ur­kunds­be­am­ter/in
der Geschäfts­stel­le


Im Na­men des Vol­kes

Ur­teil

 

In Sa­chen


hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, 15. Kam­mer,
auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 10. Sep­tem­ber 2014
durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt K. als Vor­sit­zen­der
so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Herrn S. und Herrn B.
für Recht er­kannt:

Die Be­ru­fung des Klägers ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ber­lin vom
01.07.2014 - 16 Ga 8789/14 - wird auf sei­ne Kos­ten zurück­ge­wie­sen.


K.  

S.  

B.


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Von der Dar­stel­lung ei­nes Tat­be­stan­des wird ab­ge­se­hen (§ 69 Abs. 4 ArbGG i. V. m. § 313a I 1 ZPO).


Ent­schei­dungs­gründe

Die Be­ru­fung ist form- und frist­ge­recht ein­ge­legt und be­gründet wor­den. Sie ist da­her zulässig. In der Sa­che hat sie je­doch kei­nen Er­folg. Zu Recht hat das Ar­beits­ge­richt Ber­lin den An­trag auf Er­lass ei­ner einst­wei­li­gen Verfügung zurück­ge­wie­sen. Gemäß §§ 935, 940 ZPO war die vom Verfügungskläger (künf­tig: der Kläger) be­an­trag­te einst­wei­li­ge Verfügung so­wohl hin­sicht­lich des Haupt­an­tra­ges als auch des Hilfs­an­tra­ges zurück­zu­wei­sen, da es schon an ei­nem Verfügungs­an­spruch fehlt. Die Verfügungs­be­klag­te (künf­tig: die Be­klag­te) durf­te im Rah­men des ihr zu­ste­hen­den Di­rek­ti­ons­rechts den Kläger viel­mehr zu dem 500 m ent­fern­ten Bun­des­ver­wal­tungs­amt ab­ord­nen mit dem Ziel der endgülti­gen Ver­set­zung.

Nach § 106 Ge­wO kann der Ar­beit­ge­ber In­halt, Ort und Zeit der Ar­beits­leis­tung nach bil­li­gem Er­mes­sen näher be­stim­men, so­weit die­se Ar­beits­be­din­gun­gen nicht durch Ar­beits­ver­trag, Be­triebs­ver­ein­ba­rung, Ta­rif­ver­trag oder ge­setz­li­che Vor­schrif­ten fest­ge­legt sind. Die Gren­zen die­ses ar­beits­recht­li­chen Di­rek­ti­ons­rechts er­ge­ben sich aus § 315 Abs. 3 BGB. Nach ständi­ger Recht­spre­chung wird in­so­fern ver­langt, dass die we­sent­li­chen Umstände des Fal­les ab­ge­wo­gen und die bei­der­sei­ti­gen In­ter­es­sen an­ge­mes­sen berück­sich­tigt wer­den. Dies un­ter­liegt der ge­richt­li­chen Kon­trol­le (BAG 24.04.1996 – 5 AZR 1031/94 – Rn 11). In­so­fern ist der Ar­beit­ge­ber auch nicht ver­pflich­tet, stets das mil­des­te Mit­tel an­zu­wen­den. Es ist sei­ne Sa­che, wie er auf Kon­flikt­la­gen re­agie­ren will und zwar un­abhängig von ei­nem mögli­chen Streit über die Ur­sa­chen (a. a. O. Rnr. 14 f.).

Bei An­wen­dung die­ser Grundätze ent­spricht die Ab­ord­nung mit dem Ziel der Ver­set­zung bil­li­gem Er­mes­sen i. S. d. § 315 Abs. 3 BGB. Das Di­rek­ti­ons­recht der Be­klag­ten ist durch den Ar­beits­ver­trag nicht ein­ge­schränkt. Dort ist ei­ne Re­ge­lung zum Ar­beits­ort nicht ent­hal­ten. Auch durch ta­rif­ver­trag­li­che Re­ge­lun­gen fin­det ei­ne Ein­schränkung nicht statt. § 4 TVöD er­laubt ei­ne Ver­set­zung und Ab­ord­nung aus dienst­li­chen oder be­trieb­li­chen Gründen. Dienst­li­che Gründe können auch in der Per­son des Ar­beit­neh­mers lie­gen (BAG 30.10.1985 – 7 AZR 216/83 – Rn 14; 21.06.1978 – 4 AZR 816/76 – Rn 56). Die ehe­ma­li­ge Beschäfti­gung des Klägers bei der Staats­si­cher­heit ist an sich ein solch dienst­li­cher Grund, da die­se

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Tätig­keit – je nach den Umständen des Ein­zel­fal­les – ihn un­ge­eig­net macht für ei­ne Wei­ter­beschäfti­gung in der Behörde des Be­auf­trag­ten für die Un­ter­la­gen des Staats­si­cher­heits­diens­tes der ehe­ma­li­gen DDR.

Das Di­rek­ti­ons­recht der Be­klag­ten war auch nicht al­lein des­we­gen ein­ge­schränkt, weil der Kläger seit 1991 un­be­an­stan­det in der ehe­ma­li­gen Dienst­stel­le tätig war. Ei­ne Kon­kre­ti­sie­rung auf die Tätig­keit bei der ehe­ma­li­gen Dienst­stel­le und da­mit ein Ver­zicht der Be­klag­ten auf die Ausübung des Di­rek­ti­ons­rechts ist hier­in nicht zu se­hen. Der rei­ne Zeit­ab­lauf – selbst von 30 Jah­ren – reicht nicht aus, um ei­nen Ver­zicht des Ar­beit­ge­bers auf die Ausübung des Di­rek­ti­ons­rechts an­zu­neh­men (BAG 15.09.2009 – 9 AZR 757/08 – Rn 53). Es müssen be­son­de­re Umstände hin­zu­tre­ten, die er­ken­nen las­sen, dass der Ar­beit­neh­mer nur noch ver­pflich­tet sein soll, sei­ne Ar­beit un­verändert zu er­brin­gen (a. a. O. Rn 54). Sol­che Umstände sind vor­lie­gend nicht er­sicht­lich. Die rei­ne Untätig­keit frühe­rer Behörden­lei­ter reicht hierfür nicht aus. Zu Guns­ten des Klägers und der Bei­be­hal­tung sei­ner Tätig­keit bei der Sta­si-Un­ter­la­gen­behörde spricht, dass sei­ne Vor­beschäfti­gung bei der Staats­si­cher­heit der ehe­ma­li­gen DDR oh­ne ho­hes Ge­wicht war (der Kläger war Wachschützer), die­se Tätig­keit be­kannt war und all dies seit 1991 nicht zu ar­beits­recht­li­chen Maßnah­men führ­te. Um­ge­kehrt kann die Be­klag­te dar­auf ver­wei­sen, dass die Dis­kus­si­on über die Fort­beschäfti­gung ehe­ma­li­ger Sta­si-Mit­ar­bei­ter so­wohl behörden­in­tern als auch in der öffent­li­chen De­bat­te nie ab­ge­klun­gen ist. Die Be­klag­te ver­weist in­so­fern auf Seit 3 der Be­ru­fungs­er­wi­de­rung auf zahl­rei­che Bei­rats­sit­zun­gen zwi­schen 1996 und 2011. Auch in der Öffent­lich­keit wur­de hierüber dis­ku­tiert und dies nicht nur von in­ter­es­sier­ten Op­fer­verbänden. In­so­fern ist das In­ter­es­se der Be­klag­ten durch­aus an­er­ken­nens­wert, un­ter Ausschöpfung al­ler ar­beits­recht­li­chen Möglich­kei­ten nur noch möglichst we­ni­ge der ehe­ma­li­gen Sta­si-Beschäftig­ten in der Behörde des Bun­des­be­auf­trag­ten für die Un­ter­la­gen des Staats­si­cher­heits­diens­tes der ehe­ma­li­gen DDR wei­ter tätig wer­den zu las­sen. Auch wenn der Kläger aus dem ihm ver­trau­ten Um­feld her­aus­ge­nom­men wird, so sind die wei­te­ren Aus­wir­kun­gen im Hin­blick auf die künf­ti­ge Tätig­keit ge­ring. Der Kläger wird nicht ein­mal außer­halb Ber­lins ein­ge­setzt. In ört­li­cher Hin­sicht ver­la­gert sich sei­ne Tätig­keit nur um 500 m. In vie­len an­de­ren Be­ru­fen, ins­be­son­de­re auch im pri­va­ten Wach­dienst und bei den an­ge­stell­ten Wach­po­li­zis­ten des Lan­des Ber­lin wird ein viel höhe­res Maß an ört­li­cher Fle­xi­bi­lität nicht nur er­war­tet, son­dern auch um­ge­setzt.

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Auch aus ver­fas­sungs­recht­li­chen Gründen ist ei­ne an­de­re Ent­schei­dung nicht ge­bo­ten. Art. 12 GG ga­ran­tiert ne­ben der frei­en Wahl des Be­ru­fes auch die freie Wahl des Ar­beits­plat­zes. Dem Staat ob­liegt in­so­fern hin­sicht­lich des durch Art. 12 Abs. 1 GG geschütz­ten In­ter­es­ses des Ar­beit­neh­mers auf Ach­tung der aus­geübten Ar­beits­platz­wahl grundsätz­lich le­dig­lich ei­ne Schutz­pflicht, der er ins­be­son­de­re im Kündi­gungs­recht durch das Kündi­gungs­schutz­ge­setz nach­ge­kom­men ist (BVerfG 25.01.2011 – 1 BvR 1741/09 – Rn 69, 72). Vor­lie­gend ist nicht freie Wahl des Ar­beits­plat­zes tan­giert, denn der Kläger behält sei­nen Ar­beits­platz bei der be­klag­ten Bun­des­re­pu­blik bei. Be­trof­fen ist nur die Mo­da­lität der Be­rufs­ausübung, da die Be­klag­te im Rah­men des ihr zu­ste­hen­den Di­rek­ti­ons­rechts dem Kläger hin­sicht­lich des Orts der Ar­beits­leis­tung ei­ne Ände­rung ab­ver­langt. Mit Schaf­fung des § 106 Ge­wO ist der Staat auch sei­nen Schutz­pflich­ten im Rah­men von Ein­grif­fen durch das Di­rek­ti­ons­recht nach­ge­kom­men. Die Be­klag­te hat ihr Di­rek­ti­ons­recht auch nicht willkürlich aus­geübt. Die Ab­ord­nung mit dem Ziel der Ver­set­zung ist ein ge­eig­ne­tes Mit­tel (BVerfG 24.03.2009 – 1 BvR144/09) um den von der Be­klag­ten ver­folg­ten Zweck zu er­rei­chen. In die­sem Sin­ne ist ei­ne Maßnah­me ge­eig­net, wenn mit ih­rer Hil­fe der gewünsch­te Er­folg gefördert wer­den kann, so dass die Möglich­keit der Zweck­er­rei­chung genügt (BVerfG a. a. O. Rn 12). Die Be­klag­te möch­te die jah­re­lan­gen De­bat­ten um die Beschäfti­gung von ehe­ma­li­gen Sta­si-Mit­ar­bei­tern, die so­wohl in­tern als auch ex­tern geführt wur­den, be­en­den, so dass ei­ner­seits die Re­pu­ta­ti­on der Behörde erhöht wird und an­de­rer­seits in­ter­ne Kräfte für die­se De­bat­ten nicht mehr auf­ge­wandt wer­den müssen. Dies ist auch rea­lis­tisch. Die Be­klag­te kann nach Durchführung ih­rer Maßnah­men je­den­falls dar­auf ver­wei­sen, dass sie al­les von der Rechts­ord­nung Mögli­che un­ter­nom­men hat, um möglichst we­nig ehe­ma­li­ge Sta­si-Mit­ar­bei­ter wei­ter zu beschäfti­gen. Die­se Maßnah­men sind auch er­for­der­lich, denn es ist nicht er­sicht­lich, mit wel­cher Al­ter­na­ti­ve ein ver­gleich­ba­rer Eig­nungs­grad er­reicht wer­den kann. Die Maßnah­me ist auch un­ter ver­fas­sungs­recht­li­chen Ge­sichts­punk­ten verhält­nismäßig. Dies er­gibt sich aus den obi­gen Erörte­run­gen. Der Hin­weis des Klägers auf die Recht­spre­chung des BAG und des BGH (Sei­ten 13 f. der An­trags­schrift) kann ein an­de­res Er­geb­nis nicht be­gründen. Die­se Recht­spre­chung be­zieht sich zum ei­nen auf den viel ge­wich­ti­ge­ren Ein­griff im Rah­men der Be­en­di­gung durch ei­ne Kündi­gung, zum an­de­ren auf den eben­falls ge­wich­ti­ge­ren Ein­griff in den ein­ge­rich­te­ten und aus­geübten Ge­wer­be­be­trieb (BGH 15.05.2012 – VI ZR 117/11). So­weit der Kläger all­ge­mein meint, nach ei­nem be­stimm­ten Zeit­ab­lauf dürf­te sei­ne ehe­ma­li­ge Sta­si-Tätig­keit über­haupt kei­ne Rol­le mehr spie­len, kann dem nicht ge­folgt wer­den. Rich­tig hier­an ist al­len­falls, dass mit zu­neh­men­dem Zeit­ab­lauf Ein­grif­fe in die Rechts­po­si­ti­on des Klägers auch nur noch ein ent­spre­chend

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ge­rin­ge­res Ge­wicht ha­ben dürfen. Vor­lie­gend ist die Ein­griff­s­in­ten­sität ge­ring, denn der Kläger behält sei­nen Ar­beits­platz bei, wird nur in ei­ne an­de­re Behörde in­te­griert, wo­bei sich in ört­li­cher Hin­sicht die Tätig­keit nur um 500 m ver­la­gert. Auch un­ter ver­fas­sungs­recht­li­chen Ge­sichts­punk­ten stellt sich die­se Maßnah­me da­her als bil­li­gens­wert dar.

Da die von der Be­klag­ten er­grif­fe­ne Maßnah­me schon nach den all­ge­mei­nen ar­beits­recht­li­chen Nor­men ge­recht­fer­tigt ist, kann of­fen blei­ben, ob der ab 2011 neu ein­geführ­te § 37 a StUG ver­fas­sungs­kon­form ist. Die Kam­mer hat al­ler­dings auch kei­ne Zwei­fel an der Ver­fas­sungs­gemäßheit die­ser Norm. So­weit auf Ba­sis die­ser Norm Ver­set­zun­gen (oder auch Ab­ord­nun­gen) vor­ge­nom­men wer­den, ist das Di­rek­ti­ons­recht der Ar­beit­ge­be­rin auch nicht er­wei­tert wor­den. Auch nach die­ser Norm kommt es auf die Zu­mut­bar­keit im Ein­zel­fall an, so dass auch in­so­fern ei­ne In­ter­es­sen­abwägung vor­zu­neh­men ist.

Da die Maßnah­me ins­ge­samt rechtmäßig ist, braucht eben­falls nicht ent­schie­den zu wer­den, ob der hie­si­ge An­trag schon des­we­gen ab­zu­wei­sen ist, weil es auch an ei­nem Verfügungs­grund fehlt.

Der Kläger hat die Kos­ten des er­folg­lo­sen Rechts­mit­tels zu tra­gen (§ 97 ZPO). Da die hie­si­ge Ent­schei­dung im einst­wei­li­gen Verfügungs­ver­fah­ren er­gan­gen ist, ist kei­ner­lei Rechts­mit­tel ge­ge­ben.

K.  

S.  

B.

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