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BAG, Ur­teil vom 09.08.2016, 9 AZR 575/15

   
Schlagworte: Urlaub, Mutterschutz, Beschäftigungsverbot
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 9 AZR 575/15
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 09.08.2016
   
Leitsätze: 1. Ein tätigkeitsbezogenes generelles Beschäftigungsverbot nach § 4 MuSchG verhindert den zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs nach § 362 Abs. 1 BGB erforderlichen Leistungserfolg auch dann, wenn der Urlaubszeitraum bereits vor Eintritt des Beschäftigungsverbots festgelegt war und der Arbeitgeber der Arbeitnehmerin keine zumutbare Ersatztätigkeit zugewiesen hat.
2. § 17 Satz 2 MuSchG regelt die Unvereinbarkeit von Urlaub und einer (vollständigen) Arbeitsbefreiung infolge mutterschutzrechtlicher Beschäftigungsverbote mit der Folge, dass das Risiko der Leistungsstörung durch ein in den festgelegten Urlaubszeitraum fallendes Beschäftigungsverbot dem Arbeitgeber zugewiesen wird.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Erfurt, Urteil vom 05.03.2014, 4 Ca 1834/13
Thüringer Landesarbeitsgericht, Urteil vom 25.03.2015, 4 Sa 91/14
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

9 AZR 575/15
4 Sa 91/14
Thürin­ger
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am
9. Au­gust 2016

UR­TEIL

Brüne, Ur­kunds­be­am­tin
der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Be­klag­te, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Kläge­rin, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

 

hat der Neun­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 9. Au­gust 2016 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Brühler, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Krasshöfer und Zim­mer­mann so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Ro­pertz und Lücke für Recht er­kannt:

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1. Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Thürin­ger Lan­des­ar­beits­ge­richts vom 25. März 2015 - 4 Sa 91/14 - wird zurück­ge­wie­sen.

2. Die Be­klag­te hat die Kos­ten der Re­vi­si­on zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über die Ab­gel­tung von 17 Ur­laubs­ta­gen aus dem Jahr 2013.

Die Kläge­rin war seit dem 1. Ju­li 2008 bei der Be­klag­ten als sog. Ope­ra­to­rin im Blut­spen­de­be­reich mit ei­ner wöchent­li­chen Ar­beits­zeit von 40 St­un­den und ei­nem mo­nat­li­chen Brut­to­ar­beits­ent­gelt von 1.790,00 Eu­ro tätig. Zu ih­rem Auf­ga­ben­be­reich zähl­te die Ent­nah­me von men­sch­li­chem Blut und Blut­be­stand­tei­len von Spen­dern.

An­fang des Jah­res 2013 teil­te die Kläge­rin der Be­klag­ten mit, dass sie ua. am 11. und 12. Ju­li 2013, vom 19. bis zum 30. Au­gust 2013 und vom 21. bis zum 25. Ok­to­ber 2013 Ur­laub wünsche. Die zuständi­ge Zen­trums­ma­na­ge­rin über­nahm die Ur­laubswünsche in ei­nen Ur­laubs­plan und er­teil­te hierfür ei­nen Frei­ga­be­ver­merk, der den Mit­ar­bei­tern in ei­ner Dienst­be­spre­chung am 20. Fe­bru­ar 2013 mit­ge­teilt wur­de.

Die Kläge­rin in­for­mier­te die Be­klag­te am 2. Ju­ni 2013 un­ter Vor­la­ge ei­ner ärzt­li­chen Be­schei­ni­gung über ih­re Schwan­ger­schaft. Vor­aus­sicht­li­cher Ent­bin­dungs­ter­min war der 29. De­zem­ber 2013. Die Be­klag­te sprach ge­genüber der Kläge­rin mit Schrei­ben vom 5. Ju­ni 2013 ein Beschäfti­gungs­ver­bot aus. Dar­in heißt es aus­zugs­wei­se:

„Auf­grund des mit Ih­rer Tätig­keit ver­bun­de­nen Um­gan­ges mit po­ten­ti­ell in­fek­tiösem Ma­te­ri­al, und zwar Blut und Plas­ma, und der feh­len­den Möglich­keit der Um­ge­stal­tung Ih­res Ar­beits­plat­zes bzw. ei­nes Ar­beits­platz­wech­sels se­hen wir bei ei­ner Wei­ter­beschäfti­gung für die Fort­dau­er

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Ih­rer Schwan­ger­schaft ein erhöhtes Ge­sund­heits­ri­si­ko für Sie und Ihr un­ge­bo­re­nes Kind.

Auf der Grund­la­ge von § 4 der Ver­ord­nung zum Schut­ze der Mütter am Ar­beits­platz i.V.m. § 4 Mut­ter­schutz­ge­setz er­tei­len wir Ih­nen mit Wir­kung ab dem 05. Ju­ni 2013 bis zum Be­ginn der Mut­ter­schutz­frist nach § 3 Ab­satz 2 Mut­ter­schutz­ge­setz ein Beschäfti­gungs­ver­bot. Wir [be]hal­ten uns ei­nen Wi­der­ruf des Beschäfti­gungs­ver­bo­tes aus­drück­lich vor.

...

Das Beschäfti­gungs­ver­bot er­folgt un­ter An­rech­nung der Ih­nen be­wil­lig­ten Ur­laubs­ta­ge:

11.07.2013 bis 12.07.2013 2 Ur­laubs­ta­ge
19.08.2013 bis 30.08.2013 10 Ur­laubs­ta­ge
21.10.2013 bis 25.10.2013 5 Ur­laubs­ta­ge

...“

Nach Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses be­gehr­te die Kläge­rin von der Be­klag­ten die Ab­gel­tung von 17 Ur­laubs­ta­gen aus dem Jahr 2013 mit 1.400,80 Eu­ro brut­to. Sie hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, die Gewährung von Ur­laub während des Beschäfti­gungs­ver­bots ver­s­toße ge­gen § 17 Satz 2 MuSchG.

Die Kläge­rin hat zu­letzt be­an­tragt, 

die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an sie 1.400,80 Eu­ro brut­to zu zah­len.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen. Sie hat gel­tend ge­macht, sie ha­be den Ur­laubs­an­spruch der Kläge­rin aus dem Jahr 2013 durch tatsächli­che Gewährung erfüllt. In der Mit­tei­lung des Ur­laubs­plans ha­be die ver­bind­li­che Fest­le­gung des Ur­laubs ge­le­gen. Das tätig­keits­be­zo­ge­ne Beschäfti­gungs­ver­bot ste­he der Erfüllung des Ur­laubs­an­spruchs nicht ent­ge­gen, weil der Kläge­rin nicht jed­we­de ar­beits­ver­trag­li­che Tätig­keit, son­dern nur Ar­bei­ten iSv. § 4 MuSchG iVm. § 4 der Ver­ord­nung zum Schut­ze der Mütter am Ar­beits­platz (MuSch­ArbV) un­ter­sagt sei­en. Je­den­falls sei die Be­klag­te durch die ver­bind­li­che An­ord­nung des Ur­laubs nach § 275 Abs. 1 BGB von ih­rer Leis­tungs-

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pflicht frei ge­wor­den. § 17 Satz 2 MuSchG sei nicht auf Beschäfti­gungs­ver­bo­te nach § 4 MuSchG an­zu­wen­den.

Das Ar­beits­ge­richt hat der - noch während des be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis­ses auf Fest­stel­lung des Be­ste­hens ei­nes Ur­laubs­an­spruchs ge­rich­te­ten - Kla­ge statt­ge­ge­ben. Nach Kla­geände­rung in der Be­ru­fungs­in­stanz hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt die Be­ru­fung der Be­klag­ten zurück­ge­wie­sen und die­se zur Zah­lung von 1.400,80 Eu­ro brut­to ver­ur­teilt. Mit ih­rer Re­vi­si­on ver­folgt die Be­klag­te die Ab­wei­sung der Kla­ge wei­ter.

Ent­schei­dungs­gründe

Die zulässi­ge Re­vi­si­on der Be­klag­ten ist un­be­gründet. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat der Kla­ge zu Recht statt­ge­ge­ben. Die Be­klag­te ist nach § 7 Abs. 4 BUrlG ver­pflich­tet, 17 Ur­laubs­ta­ge aus dem Jahr 2013 mit 1.400,80 Eu­ro brut­to ab­zu­gel­ten.

I. In die­sem Um­fang ist der Ur­laubs­an­spruch nicht durch Erfüllung gemäß § 362 Abs. 1 BGB un­ter­ge­gan­gen. Der Erfüllung des Ur­laubs­an­spruchs stand ent­ge­gen, dass für die Kläge­rin in­fol­ge des mut­ter­schutz­recht­li­chen Beschäfti­gungs­ver­bots gemäß § 4 Abs. 1 und Abs. 4 Nr. 1 MuSchG iVm. § 4 Abs. 1 Satz 1 MuSch­ArbV kei­ne Ar­beits­pflicht be­stand.

1. Zur Erfüllung des Ur­laubs­an­spruchs be­darf es ei­ner Frei­stel­lungs­erklärung des Ar­beit­ge­bers. Die­se ist nur ge­eig­net, das Erlöschen des Ur­laubs­an­spruchs zu be­wir­ken, wenn der Ar­beit­neh­mer er­ken­nen muss, dass der Ar­beit­ge­ber ihn zur Erfüllung des An­spruchs auf Er­ho­lungs­ur­laub von der Ar­beits­pflicht frei­stel­len will (st. Rspr., zB BAG 10. Fe­bru­ar 2015 - 9 AZR 455/13 - Rn. 19, BA­GE 150, 355; 19. Mai 2009 - 9 AZR 433/08 - Rn. 16, BA­GE 131, 30). Ei­ne Frei­stel­lungs­erklärung des Ar­beit­ge­bers kann nach § 362 Abs. 1 BGB das Erlöschen des Ur­laubs­an­spruchs nur be­wir­ken, so­weit für den Frei­stel­lungs­zeit­raum ei­ne Ar­beits­pflicht des Ar­beit­neh­mers be­steht (st. Rspr., zB BAG

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10. Fe­bru­ar 2015 - 9 AZR 455/13 - aaO; 18. März 2014 - 9 AZR 669/12 - Rn. 16).

2. Für die Kläge­rin be­stand im frag­li­chen Zeit­raum kei­ne Ar­beits­pflicht. Die Kläge­rin durf­te gemäß § 4 Abs. 1 und Abs. 4 Nr. 1 MuSchG iVm. § 4 Abs. 1 Satz 1 MuSch­ArbV die ge­schul­de­te Tätig­keit nicht mehr er­brin­gen. Die Beschäfti­gungs­ver­bo­te des § 4 MuSchG tre­ten un­mit­tel­bar kraft Ge­set­zes ein (BVerwG 27. Mai 1993 - 5 C 42.89 -). Ei­ne Er­satztätig­keit, zu de­ren Auf­nah­me die Kläge­rin ver­pflich­tet ge­we­sen wäre (vgl. hier­zu BAG 15. No­vem­ber 2000 - 5 AZR 365/99 - zu II 1 der Gründe, BA­GE 96, 228), hat die Be­klag­te nicht zu­ge­wie­sen. Da­nach war die Kläge­rin we­der ver­trag­lich ver­pflich­tet noch tatsächlich in der La­ge, an­de­re, nicht vom mut­ter­schutz­recht­li­chen Beschäfti­gungs­ver­bot er­fass­te Tätig­kei­ten aus­zuüben. Der nach § 362 Abs. 1 BGB er­for­der­li­che Leis­tungs­er­folg konn­te mit­hin nicht ein­tre­ten (vgl. BAG 9. Au­gust 1994 - 9 AZR 384/92 - zu 2 a der Gründe, BA­GE 77, 296). Es ist un­er­heb­lich, dass un­abhängig da­von bei der Ar­beit­neh­me­rin der Zweck der Ur­laubs­gewährung ein­tre­ten kann. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Be­klag­ten ist es da­her oh­ne Be­deu­tung, ob sich die Kläge­rin trotz des tätig­keits­be­zo­ge­nen ge­ne­rel­len Beschäfti­gungs­ver­bots hätte er­ho­len können (vgl. für den Fall der Flug­dienst­un­taug­lich­keit ei­nes Flug­zeugführers BAG 18. März 2014 - 9 AZR 669/12 - Rn. 26; aA für das Beschäfti­gungs­ver­bot nach § 4 MuSchG, weil nur die zulässi­ge Beschäfti­gung, nicht aber die Ar­beits­pflicht als sol­che be­schränkt sei: HWK/Her­genröder 7. Aufl. § 17 MuSchG Rn. 2; Buch­ner/Be­cker MuSchG/BEEG 8. Aufl. Vor §§ 3 bis 8 MuSchG Rn. 50; Hk-MuSchG/BEEG/Pep­ping 4. Aufl. § 17 MuSchG Rn. 18; wohl auch Frie­se NZA 2003, 597, 601).

II. Der Ur­laubs­an­spruch der Kläge­rin ist nicht durch Ein­tritt nachträgli­cher Unmöglich­keit gemäß § 275 Abs. 1 BGB un­ter­ge­gan­gen. § 17 Satz 2 MuSchG ver­hin­dert den Un­ter­gang des Ur­laubs­an­spruchs, der nach Fest­le­gung des Ur­laubs­zeit­raums in­fol­ge ei­nes mut­ter­schutz­recht­li­chen Beschäfti­gungs­ver­bots nicht ge­nom­men wer­den kann.

1. Nach § 17 Satz 2 MuSchG kann die Ar­beit­neh­me­rin den vor Be­ginn der Beschäfti­gungs­ver­bo­te nicht oder nicht vollständig er­hal­te­nen Er­ho­lungs­ur­laub

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auch noch nach Ab­lauf der Fris­ten im lau­fen­den Jahr oder im Fol­ge­jahr in An­spruch neh­men. Die Be­stim­mung re­gelt nicht nur das für das Fris­ten­re­gime des § 7 Abs. 3 BUrlG maßgeb­li­che Ur­laubs­jahr (vgl. BAG 15. De­zem­ber 2015 - 9 AZR 52/15 - Rn. 19), son­dern auch die Un­ver­ein­bar­keit von Ur­laub und ei­ner (vollständi­gen) Ar­beits­be­frei­ung in­fol­ge mut­ter­schutz­recht­li­cher Beschäfti­gungs­ver­bo­te mit der Fol­ge, dass das Ri­si­ko der Leis­tungsstörung durch ein in den zu­vor fest­ge­leg­ten Ur­laubs­zeit­raum fal­len­des Beschäfti­gungs­ver­bot dem Ar­beit­ge­ber zu­ge­wie­sen wird (Düwell in ju­risPK-Ver­ein­bar­keit von Fa­mi­lie und Be­ruf Kap. 5.23 Rn. 12).

2. Ei­ne Ar­beit­neh­me­rin hat auch dann iSv. § 17 Satz 2 MuSchG ih­ren Ur­laub vor Be­ginn der Beschäfti­gungs­ver­bo­te nicht oder nicht vollständig er­hal­ten, wenn der Ar­beit­ge­ber den Ur­laubs­zeit­raum be­reits vor Ein­tritt des mut­ter­schutz­recht­li­chen Beschäfti­gungs­ver­bots fest­ge­legt hat­te. Die Ar­beit­neh­me­rin „erhält“ ih­ren Ur­laub, wenn die mit der Fest­le­gung des Ur­laubs­zeit­raums be­zweck­te Erfüllungs­wir­kung ein­tritt. Da­mit die Ver­pflich­tung zur Ur­laubser­tei­lung nach § 362 Abs. 1 BGB er­lischt, genügt nicht al­lein die Vor­nah­me der er­for­der­li­chen Leis­tungs­hand­lung, son­dern es muss auch der Leis­tungs­er­folg ein­tre­ten (BAG 9. Au­gust 1994 - 9 AZR 384/92 - zu 2 a der Gründe, BA­GE 77, 296). Kann die Ar­beit­neh­me­rin nach dem Wort­laut des § 17 Satz 2 MuSchG den vor den Beschäfti­gungs­ver­bo­ten nicht er­hal­te­nen Ur­laub da­nach un­gekürzt in An­spruch neh­men, folgt dar­aus die ge­setz­ge­be­ri­sche Wer­tung, dass Ur­laub während der mut­ter­schutz­recht­li­chen Beschäfti­gungs­ver­bo­te nicht erlöschen kann. § 17 Satz 2 MuSchG enthält ei­ne in­so­weit den Rechts­wir­kun­gen des § 9 BUrlG ent­spre­chen­de Aus­nah­me von den Rechts­fol­gen des § 275 Abs. 1 BGB (vgl. hier­zu BAG 18. März 2014 - 9 AZR 669/12 - Rn. 23). Oh­ne die Re­ge­lung in § 17 Satz 2 MuSchG würde die Ar­beit­neh­me­rin ih­ren Ur­laubs­an­spruch gemäß § 275 Abs. 1 BGB er­satz­los ver­lie­ren, wenn ihr vor Ein­tritt der mut­ter­schutz­recht­li­chen Beschäfti­gungs­ver­bo­te Ur­laub für die­sen Zeit­raum be­wil­ligt wor­den wäre. Der Ar­beit­ge­ber würde von der Leis­tungs­pflicht frei, weil er mit der Fest­le­gung des Ur­laubs­zeit­raums als Schuld­ner des Ur­laubs­an­spruchs das nach § 7 Abs. 1 BUrlG Er­for­der­li­che ge­tan hätte. Würde die Frei­stel­lung durch den späte­ren Ein­tritt der mut­ter­schutz­recht­li­chen Beschäfti­gungs­ver­bo­te nachträg-

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lich unmöglich, oh­ne dass der Ar­beit­ge­ber die­se Unmöglich­keit zu ver­tre­ten hätte, würde er nach § 275 Abs. 1 BGB von der Ver­pflich­tung zur Frei­stel­lung frei (so aus­drück­lich zur Rechts­la­ge vor In­kraft­tre­ten des § 17 Satz 2 MuSchG BAG 9. Au­gust 1994 - 9 AZR 384/92 - zu 2 b der Gründe, aaO). Die­se Rechts­fol­ge ver­hin­dert § 17 Satz 2 MuSchG zu­guns­ten der schwan­ge­ren Ar­beit­neh­me­rin (AnwK-ArbR/Düwell 2. Aufl. Bd. 2 § 7 BUrlG Rn. 82 f.; ders. in ju­risPK-Ver­ein­bar­keit von Fa­mi­lie und Be­ruf Kap. 5.23 Rn. 12; Graue AiB 2002, 589, 592).

3. Die mut­ter­schutz­recht­li­chen Beschäfti­gungs­ver­bo­te des § 4 MuSchG sind nicht vom An­wen­dungs­be­reich des § 17 Satz 2 MuSchG aus­ge­schlos­sen. Un­ter die­se Re­ge­lung fal­len Ur­laubs­ansprüche, die in­fol­ge von ge­ne­rel­len oder in­di­vi­du­el­len Beschäfti­gungs­ver­bo­ten nicht erfüllt wer­den konn­ten. Der in § 17 MuSchG ge­nann­te Be­griff „mut­ter­schutz­recht­li­che Beschäfti­gungs­ver­bo­te“ macht deut­lich, dass die Re­ge­lung nicht nur für die ge­ne­rel­len Beschäfti­gungs­ver­bo­te nach § 3 Abs. 2 und § 6 Abs. 1 MuSchG gilt, son­dern auch für die wei­te­ren mut­ter­schutz­recht­li­chen Beschäfti­gungs­ver­bo­te (vgl. BAG 15. De­zem­ber 2015 - 9 AZR 52/15 - Rn. 14). Hier­zu zählen die in­di­vi­du­el­len mut­ter­schutz-recht­li­chen Beschäfti­gungs­ver­bo­te wie bei­spiels­wei­se § 3 Abs. 1 MuSchG (so aus­drück­lich BAG 15. De­zem­ber 2015 - 9 AZR 52/15 - aaO). Für die Nicht­an­wen­dung des § 17 Satz 2 MuSchG auf die tätig­keits­be­zo­ge­nen ge­ne­rel­len Beschäfti­gungs­ver­bo­te des § 4 Abs. 1 und Abs. 2 MuSchG in Fällen, in de­nen der Ar­beit­ge­ber - wie vor­lie­gend die Be­klag­te - der Ar­beit­neh­me­rin kei­ne zu­mut­ba­re Er­satztätig­keit zu­weist, fin­det sich im Ge­setz kei­ne Stütze. § 17 Satz 2 MuSchG un­ter­schei­det nicht zwi­schen den ver­schie­de­nen Ar­ten von Beschäfti­gungs­ver­bo­ten. Auch nach dem In­halt der Beschäfti­gungs­ver­bo­te ist kei­ne Dif­fe­ren­zie­rung ge­bo­ten. Durch ein tätig­keits­be­zo­ge­nes ge­ne­rel­les Beschäfti­gungs­ver­bot ist die kon­kre­te Beschäfti­gung mit der ver­bo­te­nen Ar­beit un­ter­sagt. Weist der Ar­beit­ge­ber der Ar­beit­neh­me­rin zur Ver­mei­dung ei­nes Ar­beits­aus­falls kei­nen Er­satz­ar­beits­platz zu, ist die Ar­beit­neh­me­rin - wie bei sons­ti­gen Beschäfti­gungs­ver­bo­ten - ins­ge­samt von ih­rer Leis­tungs­pflicht ent­bun­den.

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III. Der Rest­ur­laub aus dem Jahr 2013 ver­fiel we­der mit Ab­lauf des 31. De­zem­ber 2013 noch des 31. März 2014. Die Kläge­rin konn­te in­fol­ge der mut­ter­schutz­recht­li­chen Beschäfti­gungs­ver­bo­te nach § 4 Abs. 1, § 3 Abs. 2 und § 6 Abs. 1 MuSchG ih­ren Ur­laub aus dem Jahr 2013 nicht in die­sem Ur­laubs­jahr neh­men. Nach Ab­lauf der Ver­bo­te im Jahr 2014 be­stand die­ser Ur­laub gemäß § 17 Satz 2 MuSchG noch bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses (vgl. BAG 15. De­zem­ber 2015 - 9 AZR 52/15 - Rn. 13 ff.). Er war des­halb auf­grund der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses mit der Höhe nach un­strei­ti­gen 1.400,80 Eu­ro brut­to ab­zu­gel­ten.

IV. Die Be­klag­te hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kos­ten der Re­vi­si­on zu tra­gen.

Brühler
Krasshöfer
Zim­mer­mann
Ro­pertz
Lücke

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