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HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

LAG Nürn­berg, Vor­la­ge­be­schluss vom 09.03.2010, 7 Sa 430/09

   
Schlagworte: Annahmeverzug, Kündigungsschutz, Annahmeverzugslohn
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Nürnberg
Aktenzeichen: 7 Sa 430/09
Typ: Vorlagebeschluss
Entscheidungsdatum: 09.03.2010
   
Leitsätze: § 615 Satz 2 BGB und § 11 KSchG enthalten bezüglich der Anrechnung ersparter Aufwendungen unterschiedliche Regelungen, durch die Arbeitnehmer im Kleinbetrieb benachteiligt werden, ohne dass hierfür ein sachlicher Grund ersichtlich ist.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Bamberg, Urteil vom 20.05.2009, 3 Ca 61/06 C
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt Nürn­berg

7 Sa 430/09

3 Ca 61/06 C

(Ar­beits­ge­richt Bam­berg)

In Sa­chen

H... L...

- Kläge­rin und Be­ru­fungskläge­rin -

Pro­zess­be­vollmäch­tig­ter: Rechts­an­walt M... L...

ge­gen

Fir­ma Au­to-Cen­trum K..., In­ha­ber Herr St... T...

- Be­klag­te und Be­ru­fungs­be­klag­te -

Pro­zess­be­vollmäch­tig­te:

Rechts­anwälte E... und Kol­le­gen

erlässt das Lan­des­ar­beits­ge­richt Nürn­berg durch die Vor­sit­zen­de der Kam­mer 7,

Vor­sit­zen­de Rich­te­rin am Lan­des­ar­beits­ge­richt Weißen­fels, und die eh­ren­amt­li­cher Rich­ter Bach­mann und Zieg­ler auf Grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 09.03.2010 fol­gen­den

Be­schluss:

1. Das Ver­fah­ren wird gemäß Art. 100 Ab­satz 1 Satz 1 GG aus­ge­setzt.

2. Es wird ei­ne Ent­schei­dung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts darüber ein­ge­holt, ob die Be­stim­mung des § 615 Satz 2 BGB, wo­nach sich der Ar­beit­neh­mer im Fal­le des An­nah­me­ver­zugs auf die Vergütung das an­rech­nen las­sen muss, was er in­fol­ge des Un­ter­blei­bens der Dienst­leis­tung er­spart, ge­gen Art. 3 GG verstößt.


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Gründe:

I.

Die Par­tei­en strei­ten, so­weit hier von Be­deu­tung, um Ansprüche der Kläge­rin aus An­nah­me­ver­zug.

Die Kläge­rin war seit 01.09.2004 beim Be­klag­ten als Buch­hal­te­rin beschäftigt.

Auf das Ar­beits­verhält­nis fand, da der Be­klag­te ei­nen Klein­be­trieb im Sin­ne des § 23 Ab­satz 1 KSchG führt, das Kündi­gungs­schutz­ge­setz kei­ne An­wen­dung.

Der Be­klag­te be­haup­te­te, er ha­be der Kläge­rin am 31.10.2005 ei­ne Kündi­gung zum 30.11.2005 aus­gehändigt. Er mel­de­te die Kläge­rin zum 30.11.2005 bei der DAK K... ab.

Die Kläge­rin er­hob am 16.01.2006 die vor­lie­gen­de Kla­ge und be­an­trag­te, fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en un­gekündigt fort­be­ste­he. Außer­dem mach­te sie für die Zeit ab De­zem­ber 2005 Vergütungs­ansprüche gel­tend.

Mit Teil­ur­teil vom 16.05.2007 gab das Ar­beits­ge­richt Bam­berg dem Fest­stel­lungs­an­trag statt. Das Ur­teil ist rechts­kräftig.

Die Par­tei­en be­en­de­ten das Ar­beits­verhält­nis zum 30.11.2007.

Mit Ur­teil vom 20.05.2009 (Bl. 150 ff d.A.) ent­schied das Ar­beits­ge­richt Bam­berg u.a. über die Zah­lungs­ansprüche für den Zeit­raum De­zem­ber 2005 bis No­vem­ber 2007. Es sprach der Kläge­rin teils Ent­gelt­fort­zah­lung im Krank­heits­fall, teils gemäß § 615 Satz 1 BGB An­nah­me­ver­zugs­lohn zu. Im Rah­men des An­nah­me­ver­zugs­lohns brach­te das Erst­ge­richt gemäß § 615 Satz 2 BGB die Fahrt­kos­ten in Ab­zug, die sich die Kläge­rin da­durch er­spar­te, dass sie nicht von zu Hau­se zur Ar­beitsstätte fah­ren muss­te. Für den ge­sam­ten Zeit­raum er­gab sich hierfür ein Ab­zug in Höhe von 2.617,50 €. In­so­weit wur­de die Kla­ge ab­ge­wie­sen


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Die Kläge­rin leg­te ge­gen das Ur­teil bezüglich der Kla­ge­ab­wei­sung in Höhe von 2.617,50 € frist­ge­recht Be­ru­fung ein. Auf An­trag der Kläge­rin wur­de die Be­ru­fungs­be­gründungs­frist bis 22.09.2009 verlängert. Die Be­ru­fungs­be­gründungs­schrift vom 21.09.2009 ging am 23.09.2009 beim Lan­des­ar­beits­ge­richt Nürn­berg ein.

Der Pro­zess­be­vollmäch­tig­te der Kläge­rin wur­de mit Schrei­ben vom 23.09.2009 darüber in­for­miert, dass der Schrift­satz vom 21.09.2009 erst am 23.09.2009 bei Ge­richt ein­ge­gan­gen sei. Mit Schrift­satz vom 25.09.2009, beim Lan­des­ar­beits­ge­richt Nürn­berg ein­ge­gan­gen am 28.09.2009, be­an­trag­te der Pro­zess­be­vollmäch­tig­te der Kläge­rin vor­sorg­lich Wie­der­ein­set­zung in den vo­ri­gen Stand. Zur Be­gründung führ­te er aus, der Schrift­satz sei, nach­dem er ge­gen 17.10 Uhr fer­tig ge­stellt wor­den sei, an das Lan­des­ar­beits­ge­richt Nürn­berg ge­faxt wor­den. Dem Schrift­satz vom 25.09.2009 war der Sen­de­be­richt bei­gefügt. Aus ihm er­gibt sich, dass der fünf­sei­ti­ge Schrift­satz vom 21.09.2009 am sel­ben Tag um 17.15 Uhr an das Lan­des­ar­beits­ge­richt Nürn­berg ge­faxt wor­den ist.

II.

Die Ent­schei­dung über die Be­ru­fung der Kläge­rin hängt von der Fra­ge ab, ob § 615 Satz 2 BGB an­zu­wen­den ist.

Die Be­ru­fung ist zulässig. Sie ist ins­be­son­de­re nicht gemäß § 64 Ab­satz 6 ArbGG iVm § 522 Ab­satz 1 Satz 1 ZPO zu ver­wer­fen.

Zwar hat die Kläge­rin die frist­ge­recht ein­ge­leg­te Be­ru­fung nicht in­ner­halb der bis 22.09.2009 verlänger­ten Frist be­gründet. Der Be­ru­fungs­be­gründungs­schrift­satz vom 21.09.2009 ist (im Ori­gi­nal) erst am 23.09.2009 bei Ge­richt ein­ge­gan­gen.

Der Kläge­rin ist in­des Wie­der­ein­set­zung in den vo­ri­gen Stand zu gewähren, § 64 Ab­satz 6 ArbGG iVm den §§ 525, 233, 234, 236 ZPO. Die Kläge­rin hat den An­trag auf Wie­der­ein­set­zung in den vo­ri­gen Stand frist­gemäß ge­stellt


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Dass die Be­ru­fungs­be­gründungs­schrift nicht recht­zei­tig bei Ge­richt ein­ging, be­ruht dar­auf, dass der Schrift­satz vom 21.09.2009 of­fen­sicht­lich nicht per Fax beim Empfänger an­ge­kom­men ist. Hier­von er­hielt der Pro­zess­be­vollmäch­tig­te der Kläge­rin erst ab Zu­gang des ent­spre­chen­den ge­richt­li­chen Hin­wei­ses vom 23.09.2009 Kennt­nis. Der An­trag auf Wie­der­ein­set­zung in den vo­ri­gen Stand ging am 28.09.2009, al­so je­den­falls in­ner­halb der 2-Wo­chen­frist bei Ge­richt ein.

Der An­trag auf Wie­der­ein­set­zung in den vo­ri­gen Stand ist auch be­gründet.

Die Kläge­rin war oh­ne ihr Ver­schul­den ver­hin­dert, die Frist zur Be­ru­fungs­be­gründung ein­zu­hal­ten.

Der Pro­zess­be­vollmäch­tig­te der Kläge­rin hat al­le Vor­keh­run­gen ge­trof­fen, um zu gewähr­leis­ten, dass der Schrift­satz mit der Be­ru­fungs­be­gründung frist­ge­recht ein­ge­reicht wur­de.

Ins­be­son­de­re genügte es, den Schrift­satz vor­ab per Fax an das Ge­richt zu sen­den.

Dass der Schrift­satz an das Lan­des­ar­beits­ge­richt ge­sen­det wur­de, er­gibt sich aus dem vor­ge­leg­ten Sen­de­be­richt. Die­ser enthält als Empfänger des Fa­xes das Lan­des­ar­beits­ge­richt Nürn­berg mit der zu­tref­fen­den Fax­num­mer (0911/9282750) so­wie ei­nen Teil der ers­ten Sei­te, aus der sich die Par­tei­en, das Ak­ten­zei­chen des Be­ru­fungs­ver­fah­rens und das an­ge­foch­te­ne Ur­teil er­ge­ben.

Es ist da­her glaub­haft ge­macht, dass der Schrift­satz vom 21.09.2009 ord­nungs­gemäß auf den Weg ge­bracht wur­de und aus Gründen, die je­den­falls nicht von der Kläge­rin bzw. von ih­rem Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten zu ver­tre­ten sind, das Lan­des­ar­beits­ge­richt Nürn­berg nicht er­reich­te.

Die Be­ru­fung der Kläge­rin ist in der Sa­che nur dann er­folg­reich, wenn § 615 Satz 2 BGB kei­ne An­wen­dung fin­det. Nach der be­ste­hen­den Rechts­la­ge ist § 615 Satz 2 BGB an­zu­wen­den.


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Die ein­zi­ge An­spruchs­grund­la­ge für die von der Kläge­rin gel­tend ge­mach­ten Ansprüche ist, so­weit es um Zeiträume geht, in de­nen die Kläge­rin nicht ar­beits­unfähig er­krankt war, § 615 Satz 1 BGB.

Gemäß §§ 611, 614 BGB setzt ein Vergütungs­an­spruch ne­ben dem Be­ste­hen ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses vor­aus, dass der Ar­beit­neh­mer die von ihm ge­schul­de­te Ar­beits­leis­tung er­bracht hat. § 615 Satz 1 BGB enthält ei­ne Aus­nah­me von die­sem Grund­satz dann, wenn sich der Ar­beit­ge­ber mit der An­nah­me der Ar­beits­leis­tung gemäß den §§ 293 ff BGB im Ver­zug be­fin­det.

Die­se Vor­aus­set­zun­gen sind vor­lie­gend ge­ge­ben.

Zwi­schen den Par­tei­en be­stand im streit­ge­genständ­li­chen Zeit­raum ein Ar­beits­verhält­nis. Dies ist – vor al­lem auch im Hin­blick auf das rechts­kräfti­ge Teil­ur­teil des Ar­beits­ge­richts Bam­berg vom 16.05.2007 – zwi­schen den Par­tei­en un­strei­tig.

Der Be­klag­te be­fand sich im An­nah­me­ver­zug.

Die Kläge­rin hat zwar ih­re Ar­beits­leis­tung we­der tatsächlich noch wört­lich an­ge­bo­ten. Nach ständi­ger Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts, der das er­ken­nen­de Ge­richt folgt, ist ein sol­ches An­ge­bot in­des gemäß § 296 BGB ent­behr­lich, wenn der Ar­beit­ge­ber sei­ne Mit­wir­kungs­hand­lung, die dar­in be­steht, dem Ar­beit­neh­mer ei­nen Ar­beits­platz zu­zu­wei­sen, nicht er­bringt (vgl. Bun­des­ar­beits­ge­richt – Ur­teil vom 13.07.2006 - 8 AZR 382/05 mwN).

Der Be­klag­te hat der Kläge­rin ab De­zem­ber 2005 kei­nen Ar­beits­platz mehr zur Verfügung ge­stellt. Dies wird zum ei­nen da­durch do­ku­men­tiert, dass sich der Be­klag­te auf den Stand­punkt stell­te, das Ar­beits­verhält­nis sei durch ei­ne Kündi­gung vom 31.10.2005 zum 30.11.2005 be­en­det wor­den. Zum an­de­ren er­gibt sich dies dar­aus, dass der Be­klag­te die Kläge­rin zum 30.11.2005 bei der DAK K... ab­mel­de­te.

Dem An­nah­me­ver­zug des Be­klag­ten steht nicht ent­ge­gen, dass die Kläge­rin im De­zem­ber 2005 und zum Zeit­punkt der Er­he­bung der Fest­stel­lungs­kla­ge ar­beits­unfähig er­krankt war. Nach ständi­ger Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts, der das er­ken­nen­de Ge­richt folgt, tre­ten die Ver­zugs­fol­gen des § 615 Satz 1 BGB nach un­wirk­sa­mer Ar­beit­ge­berkündi­gung un­abhängig da­von ein, ob der ar­beits­unfähig er­krank­te Ar­beit­neh­mer sei­ne wie­der­ge-


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won­ne­ne Ar­beitsfähig­keit dem Ar­beit­ge­ber an­zeigt (vgl. Bun­des­ar­beits­ge­richt – Ur­teil vom 24.11.1994 – 2 AZR 179/94).

Die Kläge­rin hat da­her An­spruch auf die Vergütung, die sie er­zielt hätte, hätte der Be­klag­te sie ver­trags­gemäß beschäftigt.

Nach § 615 Satz 2 BGB ist auf die Vergütungs­ansprüche al­ler­dings das an­zu­rech­nen, was die Kläge­rin sich da­durch an Auf­wen­dun­gen er­spart hat, dass sie nicht ge­ar­bei­tet hat. Bei den in § 615 Satz 2 BGB ge­nann­ten er­spar­ten Auf­wen­dun­gen han­delt es sich um sol­che Auf­wen­dun­gen, die dem Ar­beit­neh­mer im Fal­le der Wei­ter­ar­beit ent­stan­den wären. Hier­zu gehören ty­pi­scher­wei­se Fahrt­kos­ten für die An­fahrt zum Ar­beits­platz (vgl. auch Pa­landt, Bürger­li­ches Ge­setz­buch, 69. Auf­la­ge, Rd­Nr. 19 zu § 615).

Es fie­len für die Kläge­rin, so­lan­ge der Be­klag­te sie nicht beschäftig­te, kei­ne Fahrt­kos­ten für die An­fahrt von ih­rer Woh­nung zum Ar­beits­platz an.

Ent­spre­chend § 615 Satz 2 BGB hat das Erst­ge­richt dem­gemäß von der Kla­ge­for­de­rung für den streit­ge­genständ­li­chen Zeit­raum 2.617,50 € in Ab­zug ge­bracht.

Ein Ab­zug wäre al­ler­dings nicht vor­zu­neh­men, wenn im vor­lie­gen­den Fall § 11 KSchG an­zu­wen­den wäre.

§ 11 KSchG stellt wie § 615 Satz 2 BGB ei­ne An­rech­nungs­be­stim­mung dar, die in­des an­ders als § 615 Satz 2 BGB kei­ne An­rech­nung er­spar­ter Auf­wen­dun­gen vor­sieht. Viel­mehr sind nach § 11 KSchG an­zu­rech­nen der tatsächli­che an­der­wei­ti­ge Ver­dienst (§ 11 Zif­fer 1 KSchG), der fik­ti­ve Ver­dienst (§ 11 Zif­fer 2 KSchG) so­wie be­stimm­te öffent­lich­recht­li­che Leis­tun­gen (§ 11 Zif­fer 3 KSchG).

§ 11 KSchG ist für die Zeit nach Ab­lauf der Kündi­gungs­frist maßge­bend. Die Vor­schrift ver­drängt als lex spe­cia­lis § 615 Satz 2 (ständi­ge Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts, vgl. Bun­des­ar­beits­ge­richt – Ur­teil vom 25.10.2007 - 8 AZR 917/06). Hier­zu gehören auch die Fälle, in de­nen der Ar­beit­ge­ber den Zu­gang der Kündi­gung nicht nach­wei­sen kann. § 11 KSchG ist in­des vor­lie­gend gleich­wohl nicht an­zu­wen­den.


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Gemäß § 23 Ab­satz 1 Satz 2 KSchG gel­ten die Re­ge­lun­gen des Ers­ten Ab­schnitts, dem

§ 11 an­gehört, nicht für Klein­be­trie­be. Aus­ge­nom­men sind le­dig­lich die §§ 4 bis 7 und § 13 Ab­satz 1 Satz 1 und 2 KSchG.

Kraft Ge­set­zes wer­den so­mit Ar­beit­neh­mer, die in ei­nem Klein­be­trieb tätig sind, schlech­ter be­han­delt als Ar­beit­neh­mer, die in ei­nem Be­trieb beschäftigt sind, auf den das Kündi­gungs-schutz­ge­setz an­zu­wen­den ist. Während die Ar­beit­neh­mer ei­nes Klein­be­triebs sich er­spar­te Auf­wen­dun­gen auf den Ver­dienst an­rech­nen las­sen müssen, ist dies bei Ar­beit­neh­mern, die in ei­nem Be­trieb ar­bei­ten, der un­ter das Kündi­gungs­schutz­ge­setz fällt, nicht der Fall.

Nach ständi­ger Recht­spre­chung ins­be­son­de­re des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts ge­bie­tet der all­ge­mei­ne Gleich­heits­satz, we­sent­lich Glei­ches gleich und we­sent­lich Un­glei­ches un­gleich zu be­han­deln. Aus ihm er­ge­ben sich je nach Re­ge­lungs­ge­gen­stand und Dif­fe­ren­zie­rungs­merk­ma­len un­ter­schied­li­che Gren­zen für den Ge­setz­ge­ber, die vom bloßen Willkürver­bot bis zu ei­ner stren­gen Bin­dung an Verhält­nismäßig­keits­er­for­der­nis­se rei­chen. Art. 3 Ab­satz 1 GG ist da­nach je­den­falls dann ver­letzt, wenn sich ein vernünf­ti­ger, sich aus der Na­tur der Sa­che er­ge­ben­der oder sonst wie ein­leuch­ten­der Grund für die ge­setz­li­che Dif­fe­ren­zie­rung oder Gleich­be­hand­lung nicht fin­den lässt (vgl. Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt – Be­schluss vom 17.11.2009 - 1 BvR 2192/05).

Ge­mes­sen an die­sen Grundsätzen sieht das er­ken­nen­de Ge­richt kei­nen Grund, der es ge­bie­tet oder auch nur als ver­tret­bar er­schei­nen lässt, die Fra­ge, ob Ar­beit­neh­mer sich auf den An­nah­me­ver­zugs­lohn er­spar­te Auf­wen­dun­gen an­rech­nen las­sen müssen, in Abhängig­keit von der Größe des Be­triebs, in dem sie beschäftigt sind, zu re­geln.

Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat sich be­reits in sei­ner Ent­schei­dung vom 27.01.1998 (1 BvL 15/87) mit der Klein­be­triebs­klau­sel des § 23 Ab­satz 1 KSchG aus­ein­an­der­ge­setzt. Da­bei ging es al­ler­dings um die Fra­ge, ob es mit Art. 3 Ab­satz 1 GG zu ver­ein­ba­ren sei, dass Ar­beit­neh­mer, die in Klein­be­trie­ben tätig sind, vom Kündi­gungs­schutz nach § 1 KSchG aus­ge­schlos­sen sind. Dies wur­de be­jaht. Die tra­gen­de Be­gründung hierfür war die Über­le­gung, dass bei en­ger persönli­cher Zu­sam­men­ar­beit, ins­be­son­de­re persönli­cher Mit­ar­beit des Ar­beit­ge­bers im Be­trieb, so­wie bei ge­rin­ge­rer Fi­nanz­aus­stat­tung und Ver­wal­tungs­ka­pa­zität des Un­ter­neh­mens gu­te Gründe dafür sprächen, dem Ar­beit­ge­ber freie­re Hand bei der Ausübung sei­nes Kündi­gungs­rechts ein­zuräum­en, als ihm die all­ge­mei­nen Vor­schrif­ten des Kündi­gungs­schutz­ge­set­zes er­lau­ben.


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Nach Auf­fas­sung des er­ken­nen­den Ge­richts sind die­se Gründe nicht ge­eig­net, die un­ter­schied­li­che Re­ge­lung bei der An­rech­nung er­spar­ter Auf­wen­dun­gen zu be­gründen. Ge­ra­de die ge­rin­ge­re Ver­wal­tungs­ka­pa­zität klei­ne­rer Be­trie­be spricht da­ge­gen, die Ab­rech­nung der An­nah­me­ver­zugs­ansprüche auch noch bezüglich der er­spar­ten Auf­wen­dun­gen zu kom­pli­zie­ren.

Die ge­rin­ge­re Fi­nanz­aus­stat­tung recht­fer­tigt die un­ter­schied­li­che Be­hand­lung eben­falls nicht. Ob der Ar­beit­neh­mer im Hin­blick auf die Er­brin­gung der Ar­beits­leis­tung Auf­wen­dung hat, berührt das Verhält­nis Ar­beit­neh­mer/Ar­beit­ge­ber nicht. Ins­be­son­de­re wir­ken sich et­wai­ge Auf­wen­dun­gen des Ar­beit­neh­mers nicht auf die Ar­beits­vergütung aus, son­dern wer­den in al­ler Re­gel im Rah­men der steu­er­li­chen Be­hand­lung des Ein­kom­mens vom Ar­beit­neh­mer als ab­zugsfähi­ge Wer­bungs­kos­ten gel­tend ge­macht.

War­um dies im Fall des An­nah­me­ver­zugs zu ei­ner Min­de­rung des Ar­beits­loh­nes führen soll, ist oh­ne­hin nicht oh­ne wei­te­res nach­zu­voll­zie­hen.

Die Gründe, die den Ge­setz­ge­ber be­wo­gen ha­ben, § 11 KSchG an­ders zu re­geln als § 615 Satz 2 BGB, stel­len eben­falls kei­nen sach­li­chen Grund für die Un­gleich­be­hand­lung dar. Der Re­gie­rungs­ent­wurf zum Ge­setz von 1951 hat­te zunächst eben­falls ei­ne An­rech­nungs­pflicht vor­ge­se­hen. Der zuständi­ge Aus­schuss des Bun­des­tags hat aber im Hin­blick auf die Ge­ringfügig­keit der in Be­tracht kom­men­den Beträge die­se Vor­schrift ge­stri­chen, um „nicht klein­lich zu ver­fah­ren“ (vgl. Hu­eck/v.Ho­y­nin­gen-Hue­ne, Kündi­gungs­schutz­ge­setz, 14. Auf­la­ge, Rd­Nr. 48 zu § 11).

Die­se Über­le­gung trifft auch für Klein­be­trie­be zu.

Nach An­sicht des er­ken­nen­den Ge­richts ist da­her die Re­ge­lung des § 615 Satz 2 BGB we­gen Ver­s­toßes ge­gen Art. 3 Ab­satz 1 GG ver­fas­sungs­wid­rig.

Ei­ne ver­fas­sungs­kon­for­me Aus­le­gung kommt nicht in Be­tracht. Der Rich­ter darf ins­be­son­de­re ein­deu­ti­ge Ent­schei­dun­gen des Ge­setz­ge­bers nicht durch ei­ge­ne rechts­po­li­ti­sche Vor­stel­lun­gen verändern.


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Der ein­deu­ti­ge Wort­laut des § 615 Satz 2 BGB lässt ei­ne Aus­le­gung da­hin­ge­hend, die er­spar­ten Auf­wen­dun­gen nicht an­zu­rech­nen, nicht zu.

Auch ei­ne ana­lo­ge An­wen­dung des § 11 KSchG schei­det we­gen der aus­drück­li­chen Re­ge­lung in § 23 Ab­satz 1 Satz 1 KSchG aus.

Das er­ken­nen­de Ge­richt ist nicht be­fugt, selbst die Ver­fas­sungs­wid­rig­keit des § 615 Satz 2 BGB fest­zu­stel­len.

Nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts ist Art. 100 Ab­satz 1 GG da­hin­ge­hend aus­zu­le­gen, dass dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt le­dig­lich für Ge­set­ze, die nach In­kraft­tre­ten des GG verkündet wor­den sind, ein Ver­wer­fungs­mo­no­pol zu­kommt. Hin­ge­gen ist Art. 100 Ab­satz 1 GG grundsätz­lich nicht auf vor­kon­sti­tu­tio­nel­le Ge­set­ze iSd § 123 GG an­wend­bar. Da­bei ste­hen sol­che vor­kon­sti­tu­tio­nel­len Ge­set­ze den nach­kon­sti­tu­tio­nel­len Nor­men gleich, die der Ge­setz­ge­ber nach In­kraft­tre­ten des Grund­ge­set­zes in sei­nen Wil­len auf­ge­nom­men hat (vgl. Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt - Be­schluss vom 21.12.1997 - 2 BvL 6/95).

Da­nach ist ei­ne vor­kon­sti­tu­tio­nel­le Norm in den Wil­len des nach­kon­sti­tu­tio­nel­len Ge­setz­ge­bers dann auf­ge­nom­men, wenn die­ser sei­nen kon­kre­ten Bestäti­gungs­wil­len im Ge­setz selbst zu er­ken­nen gibt oder sich ein sol­cher Wil­le aus dem en­gen sach­li­chen Zu­sam­men­hang zwi­schen un­veränder­ten und geänder­ten Nor­men ob­jek­tiv er­sch­ließen lässt. Das ist ins­be­son­de­re an­zu­neh­men, wenn die al­te Norm als Ge­setz neu verkündet wird, ei­ne neue (nach­kon­sti­tu­tio­nel­le) Norm auf die al­te Norm ver­weist oder ein be­grenz­tes und über­schau­ba­res Rechts­ge­biet durch­grei­fend geändert wird und ein en­ger sach­li­cher Zu­sam­men­hang zwi­schen veränder­ten und un­veränder­ten Nor­men be­steht (vgl. Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt – Be­schluss vom 22.02.1983 - 1 BvL 17/81 mwN).

Ge­mes­sen an die­sen Grundsätzen stellt § 615 Satz 2 BGB nach­kon­sti­tu­tio­nel­les Recht dar.

Zwar ist das Bürger­li­che Ge­setz­buch oh­ne Zwei­fel vor­kon­sti­tu­tio­nel­les Recht. Der Ge­setz­ge­ber hat § 615 BGB in­des durch das Schuld­rechts­mo­der­ni­sie­rungs­ge­setz mit Wir­kung ab 01.01.2002 um den Satz 3 ergänzt. Zu die­sem Zeit­punkt be­stand auch § 11 KSchG. Der Ge­setz­ge­ber hat die Ände­rung des § 615 BGB nicht zum An­lass ge­nom­men, ei­ne An­glei­chung


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der bei­den ein­an­der wi­der­spre­chen­den Nor­men vor­zu­neh­men. Da­mit hat er die Gel­tung des § 615 Satz 2 BGB bestätigt.

Der Rechts­streit war da­her gemäß Art. 100 Ab­satz 1 GG aus­zu­set­zen und die Fra­ge, ob

§ 615 Satz 2 BGB ver­fas­sungs­wid­rig ist, dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt zur Ent­schei­dung vor­zu­le­gen.


Weißen­fels Bach­mann Zieg­ler

Vor­sit­zen­der Rich­ter Eh­ren­amt­li­cher Eh­ren­amt­li­cher

am Lan­des­ar­beits­ge­richt Rich­ter Rich­ter

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