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LAG Schles­wig-Hol­stein, Be­schluss vom 11.01.2016, 1 Sa 224/15

   
Schlagworte: Mindestlohn, Mindestlohngesetz
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Aktenzeichen: 1 Sa 224/15
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 11.01.2016
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Kiel, 2 Ca 165 a/15
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt Schles­wig-Hol­stein

Ak­ten­zei­chen: 1 Sa 224715

2 Ca 165 a/15 ArbG Kiel

Be­schluss

In dem Rechts­streit betr. Pro­zess­kos­ten­hil­fe

pp.

hat die 1. Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Schles­wig-Hol­stein am 11.01.2016 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt ... als Vor­sit­zen­den

be­schlos­sen:

Der An­trag des Klägers auf Be­wil­li­gung von Pro­zess­kos­ten­hil­fe für das Be­ru­fungs­ver­fah­ren wird zurück­ge­wie­sen.

Die Rechts­be­schwer­de wird nicht zu­ge­las­sen.

Gründe

 

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A.

Der Kläger be­gehrt Pro­zess­kos­ten­hil­fe für die Durchführung ei­nes Be­ru­fungs­ver­fah­rens, nach­dem das Ar­beits­ge­richt sei­ne Kla­ge auf Zah­lung an­ge­mes­se­ner Vergütung ab­ge­wie­sen hat.

Der 1975 ge­bo­re­ne Kläger ist schwer­be­hin­dert mit ei­nem GdB von 70 und be­zieht ei­ne Ren­te we­gen vol­ler Er­werbs­min­de­rung. Für ihn sind ein Be­treu­er und ei­ne Ergänzungs­be­treue­rin be­stellt. Seit dem 15.08.1994 ist er in der Werk­statt M. des Be­klag­ten tätig, zu­letzt auf Grund­la­ge des Werk­statt­ver­trags vom 10.12.2013/17.01.2014 (An­la­gen K2 und K3, Bl. 7 - 16 d. A.). Beim M. han­delt es sich um ei­ne Werk­statt für be­hin­der­te Men­schen (WfbM) im Sin­ne des § 136 SGB IX. Der Kläger, der zunächst auch im M. wohn­te, lebt seit Au­gust 2013 al­lein und erhält un­terstützend am­bu­lan­te Be­treu­ung. Die Kos­ten des Klägers für des­sen teil­sta­ti­onäre Be­treu­ung durch den M. wer­den vom Kreis R./E. im Rah­men der Ein­glie­de­rungs­hil­fe über­nom­men. Die ent­spre­chen­den Be­schei­de er­folg­ten auf Grund­la­ge von Ent­wick­lungs­be­rich­ten, die für 2014 und 2015 in­so­weit übe­rein­stim­mend aus­zugs­wei­se fest­stel­len:

„Die Grund­la­gen zum Ver­bleib in ei­ner Werk­statt für be­hin­der­te Men­schen sind ge­ge­ben. Herrn H. ge­lingt es ein Min­dest­maß an wirt­schaft­lich ver­wert­ba­rer Ar­beit zu er­brin­gen. Ei­ne außer­gewöhn­li­che Pfle­ge­bedürf­tig­keit liegt nicht vor.

...

Wir befürwor­ten da­her die wei­te­re ar­beitspädago­gi­sche Be­glei­tung und Förde­rung des Herrn H. im Ar­beits­be­reich des M., Werk­statt für be­hin­der­te Men­schen.“

Ergänzend wird auf die An­la­gen K5 (Bl. 67 - 69 d. A.) und B5 (Bl. 160 - 163 d. A.) Be­zug ge­nom­men.

Aus­weis­lich sei­nes Werk­statt­ver­trags wird der Kläger in der Ar­beits­grup­pe Gemüse­bau ein­ge­setzt. Ne­ben dem Ein­satz im Gemüse­an­bau und Pa­ck­ar­bei­ten lie­fert er

 

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nach ihm be­kann­ten fes­ten Tou­ren Gemüse­kis­ten an Kun­den des M. aus. Der Kläger ist im Be­sitz ei­nes Führer­scheins. Kurz­fris­ti­ge Verände­run­gen sei­ner Tou­ren kann er oh­ne in­ten­si­ve Ein­wei­sung nicht um­set­zen.

Die Ent­loh­nung des Klägers rich­tet sich aus­weis­lich der Ver­ein­ba­rung in § 5 des Werk­statt­ver­trags nach den für den Be­klag­ten gel­ten­den „Grundsätzen der Ent­loh­nung“ (Bl. 16 f. d. A.). Nach I. Ziff. 3.3 die­ser Grundsätze er­folgt die Lohn­ver­tei­lung an die Mit­ar­bei­ter nach der Lohn­stu­fen­grup­pie­rung. Das ent­spre­chen­de Ein­grup­pie­rungs­sche­ma des Be­klag­ten sieht 10 Lohn­grup­pen vor, in die die be­hin­der­ten Men­schen je nach Quan­tität, Qua­lität und Schwie­rig­keit der Ar­beit so­wie ih­rer Aus­dau­er auf Grund­la­ge ei­ner Be­wer­tung des Vor­ge­setz­ten ein­grup­piert wer­den. Der Kläger erhält ein Ent­gelt nach der Lohn­grup­pe 9, das sind net­to 216,75 € im Mo­nat.

Der Kläger ist der Auf­fas­sung, sei­ne Vergütung sei un­an­ge­mes­sen nied­rig und meint, aus­ge­hend von ei­ner 38,5 St­un­den-Wo­che und ei­nem St­un­den­lohn von 6,-- € für das Jahr 2014 ste­he ihm für die­ses Jahr ein wei­ter­ge­hen­der Vergütungs­an­spruch in Höhe von 8.959,56 € und für Ja­nu­ar 2015 auf Grund­la­ge des Min­dest­lohns ein wei­te­rer Vergütungs­an­spruch in Höhe von 1.160,02 € zu. Er hat ge­meint, er sei Ar­beit­neh­mer des Be­klag­ten und wie ein sol­cher zu vergüten.

Der Be­klag­te hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, der Kläger ste­he zu ihm in ei­nem ar­beit-neh­merähn­li­chen Ver­trags­verhält­nis und ha­be die ihm zu­ste­hen­de Vergütung er­hal­ten.

We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des erst­in­stanz­li­chen Vor­trags der Par­tei­en wird auf den Tat­be­stand des an­ge­foch­te­nen Ur­teils Be­zug ge­nom­men.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge durch Ur­teil ab­ge­wie­sen und zur Be­gründung im We­sent­li­chen aus­geführt, zwi­schen den Par­tei­en sei im Werk­statt­ver­trag wirk­sam ei­ne Vergütungs­ab­re­de ge­trof­fen; die­se Ab­re­de sei nicht sit­ten­wid­rig. Der Kläger könne nicht die für ei­nen Ar­beit­neh­mer an­ge­mes­se­ne Vergütung ver­lan­gen, weil er nicht als Ar­beit­neh­mer für den Be­klag­ten tätig sei, son­dern zu die­sem in ei­nem ar­beit­neh­merähn­li­chen Rechts­verhält­nis ste­he. Dies sei bei schwer­be­hin­der­ten Men- 

 

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schen, die in ei­ner WfbM ar­bei­te­ten, gemäß § 138 Abs. 1 SGB IX re­gelmäßig an­zu­neh­men. Zu den Vor­aus­set­zun­gen sei­ner Ar­beit­neh­mer­ei­gen­schaft ha­be der Kläger nicht aus­rei­chend vor­ge­tra­gen. Da er nicht Ar­beit­neh­mer sei, ste­he ihm ab Ja­nu­ar 2015 auch nicht der ge­setz­li­che Min­dest­lohn zu.

Ge­gen die­ses Ur­teil hat der Kläger form- und frist­ge­recht Be­ru­fung ein­ge­legt und be­gründet.

Er trägt vor:
Er sei als Ar­beit­neh­mer für den Be­klag­ten tätig. An drei Ta­gen in der Wo­che ar­bei­te er im Gemüse­an­bau und er­le­di­ge al­le Tätig­kei­ten, die im pri­vat­wirt­schaft­li­chen Be­reich „als Gar­ten­bau­hel­fer zu vergüten wären“. Er ar­bei­te selbstständig oh­ne An­lei­tung. Darüber hin­aus führe er al­le Ar­bei­ten durch, die mit der Abokis­te ver­bun­den sei­en. Er ar­bei­te die Auf­träge ei­genständig ab, in­dem er die Wa­ren in Kis­ten sor­tie­re, die­se ver­pa­cke und dann zu den je­wei­li­gen Kun­den brin­ge. In­so­weit sei sei­ne Ar­beit mit der ei­nes Gar­ten­bau­ar­bei­ters im Be­trieb bzw. ei­nes Han­dels­fach­pa­ckers ver­gleich­bar. Da­mit er­zie­le er für den Be­klag­ten ei­nen Mehr­wert.

Sei­ne Tätig­keit die­ne nicht vor­ran­gig der Beschäfti­gung und Be­treu­ung, the­ra­peu­ti­sche oder me­di­zi­ni­sche Zwe­cke stünden nicht im Vor­der­grund. Ergänzend ver­weist der Kläger auf den erst­in­stanz­lich vor­ge­leg­ten Ent­wick­lungs­be­richt vom 29.04.2014 (An­la­ge K5, Bl. 67 - 69 d. A.). Sein An­spruch fol­ge auch aus der UN-Be­hin­der­ten­rechts­kon­ven­ti­on und der Richt­li­nie 2007/78/EG.

Der zwi­schen den Par­tei­en ge­schlos­se­ne Werk­statt­ver­trag sei in sei­nen we­sent­li­chen Punk­ten wie ein Ar­beits­ver­trag aus­ge­stal­tet, un­abhängig da­von sei er wei­sungs­abhängig für den Be­klag­ten tätig ge­we­sen. Die an ihn im Jahr 2014 ge­zahl­te Vergütung sei da­mit sit­ten­wid­rig, für Ja­nu­ar 2015 ste­he ihm der Min­dest­lohn zu.

Hilfs­wei­se be­ruft sich der Kläger dar­auf, dass das Ein­grup­pie­rungs­sys­tem des Be­klag­ten sei­ne Leis­tun­gen nicht zu­tref­fend berück­sich­tigt. Der Be­klag­te könne den Lohn ein­sei­tig fest­set­zen und ha­be hier­bei die Gren­zen des § 315 BGB über­schrit- 

 

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ten. Das Ge­richt ha­be da­her die Lohnhöhe nach § 315 Abs. 3 BGB durch Ur­teil fest­zu­set­zen.

Äußerst hilfs­wei­se sei er je­den­falls un­zu­tref­fend ein­grup­piert. Seit Ja­nu­ar 2014 ste­he ihm zu­min­dest Ent­gelt nach der Lohn­grup­pe 10 zu.

Der Kläger be­an­tragt,

ihm Pro­zess­kos­ten­hil­fe für die Be­ru­fungs­in­stanz zu gewähren für den An­trag,

die Be­klag­te un­ter Abände­rung des Ur­teils des Ar­beits­ge­richts Kiel vom 19.06.2015 - ö. D. 2 Ca 165 a/15 - zu ver­ur­tei­len, an den Kläger 10.159,58 € nebst Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit Rechtshängig­keit zu zah­len.

Der Be­klag­te hat ei­nen An­trag auf Zurück­wei­sung der Be­ru­fung an­gekündigt.

Er er­wi­dert:
Der Kläger sei nicht als Ar­beit­neh­mer im M. beschäftigt. Dort wer­de ver­sucht, ein möglichst nor­ma­les Ar­beits­um­feld zu schaf­fen, das den Verhält­nis­sen auf dem all­ge­mei­nen Ar­beits­markt je­den­falls ähn­lich sei. Der Kläger ar­bei­te re­la­tiv selbstständig, sei je­doch auf­grund der Schwe­re sei­ner Be­hin­de­rung (noch) nicht auf dem all­ge­mei­nen Ar­beits­markt ein­satzfähig. Dies be­leg­ten die jähr­li­chen Ent­wick­lungs­be­rich­te, auch der Kreis R./. der tei­le die­se Einschätzung. Die Tätig­kei­ten des Klägers im Zu­sam­men­hang mit der Aus­lie­fe­rung der Gemüse­kis­ten er­for­der­ten auch kei­nen Grad der Selbständig­keit, wie er auf dem all­ge­mei­nen Ar­beits­markt ver­langt wer­de. Der Kläger bedürfe ei­ner deut­lich in­ten­si­ve­ren Auf­sicht. Ver­gleich­ba­res gel­te für den Be­reich der Land­schafts­pfle­ge wie der Be­klag­te im ein­zel­nen dar­legt. Der Kläger un­ter­lie­ge den Wei­sun­gen sei­ner Grup­pen­lei­ter we­sent­lich in­ten­si­ver als ein Ar­beit­neh­mer auf dem all­ge­mei­nen Ar­beits­markt. Da­mit sei die dem Kläger ge­zahl­te Vergütung auch nicht sit­ten­wid­rig. Da er nicht Ar­beit­neh­mer sei, könne der Kläger auch nicht die Zah­lung des Min­dest­lohns ver­lan­gen. Aus den An­ti­dis­kri­mi­nie­rungs­vor­schrif­ten zum Schutz der Be­hin­der­ten er­ge­be sich nichts an­de­res.

 

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Ergänzend wird auf den In­halt der Ak­te Be­zug ge­nom­men.

B.

Der An­trag des Klägers auf Be­wil­li­gung von Pro­zess­kos­ten­hil­fe für das Be­ru­fungs­ver­fah­ren ist un­be­gründet.

Gemäß § 114 S. 1 ZPO erhält ei­ne Par­tei, die nach ih­ren persönli­chen und wirt­schaft­li­chen Verhält­nis­sen die Kos­ten der Pro­zessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Ra­ten auf­brin­gen kann, auf ih­ren An­trag Pro­zess­kos­ten­hil­fe, wenn die be­ab­sich­tig­te Rechts­ver­fol­gung hin­rei­chen­de Aus­sicht auf Er­folg bie­tet und nicht mut­wil­lig er­scheint.

An die­sen Vor­aus­set­zun­gen fehlt es. Die vom Kläger be­ab­sich­tig­te Rechts­ver­fol­gung bie­tet kei­ne hin­rei­chen­de Aus­sicht auf Er­folg. Der Kläger hat auch im Be­ru­fungs­rechts­zug nicht schlüssig dar­ge­legt, dass ihm die gel­tend ge­mach­ten Zah­lungs­ansprüche zu­ste­hen.

I.

Wei­ter­ge­hen­de Zah­lungs­ansprüche für das Jahr 2014 be­ste­hen nach den Dar­le­gun­gen des Klägers nicht. Ins­be­son­de­re hat der Kläger kei­nen An­spruch nach § 612 Abs. 2 BGB auf die für ei­nen Ar­beit­neh­mer an­ge­mes­se­ne Vergütung. Die Par­tei­en des Rechts­streits ha­ben in § 5 des Werk­statt­ver­trags ei­ne wirk­sa­me Vergütungs­ab­re­de ge­trof­fen. Die­se ist nicht gemäß § 138 BGB sit­ten­wid­rig. Der Kläger hat nicht ei­ne für ei­nen Ar­beit­neh­mer un­an­ge­mes­se­ne nied­ri­ge Vergütung er­hal­ten.

Wie be­reits das Ar­beits­ge­richt zu­tref­fend aus­geführt hat, be­ruht das Vergütungs­sys­tem des Be­klag­ten auf § 138 Abs. 2 SGB IX und da­mit auf ge­setz­li­cher Grund­la­ge. 

 

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Es ent­spricht auch den Vor­ga­ben die­ses Ge­set­zes, in­dem es die Höhe der Vergütung an den in § 138 Abs. 2 SGB IX ge­nann­ten Kri­te­ri­en be­misst.

Der Kläger ist auch als be­hin­der­ter Mensch im Sin­ne des § 138 Abs. 2 SGB IX beim Be­klag­ten in des­sen Werk­statt M. tätig und steht zu die­sem in ei­nem ar­beit­neh­merähn­li­chen Rechts­verhält­nis. Die Dar­le­gun­gen des Klägers er­ge­ben in­so­weit nichts an­de­res, ins­be­son­de­re nicht, dass er als Ar­beit­neh­mer tätig ist und des­we­gen sit­ten­wid­rig zu nied­rig ent­lohnt wird.

1. Die Ar­beit­neh­mer­ei­gen­schaft des Klägers er­gibt sich zunächst ein­mal nicht aus dem zwi­schen den Par­tei­en ge­schlos­se­nen Werk­statt­ver­trag.

a) Nach § 2 Nr. 1 des Werk­statt­ver­trags ver­pflich­tet sich die­se die Leis­tungs- oder Er­werbsfähig­keit des Beschäftig­ten zu er­hal­ten, zu ent­wi­ckeln, zu ver­bes­sern oder wie­der her­zu­stel­len, sei­ne Persönlich­keit wei­ter zu ent­wi­ckeln und sei­ne Beschäfti­gung im Ar­beits­be­reich zu ermögli­chen oder zu si­chern und den Über­gang auf den all­ge­mei­nen Ar­beits­markt zu er­rei­chen. Nach § 2 Nr. 2 fördert die Werk­statt und gewähr­leis­tet ei­ne bestmögli­che ge­eig­ne­te Beschäfti­gung im Rah­men ih­res An­ge­bots an Ar­beitsplätzen.

Vom Beschäftig­ten wird dem­ge­genüber nach § 3 Ziff. 1 er­war­tet, dass er bei den Förder­maßnah­men mit­wirkt und die ihm über­tra­ge­nen Auf­ga­ben und Tätig­kei­ten ent­spre­chend sei­nem Leis­tungs­vermögen erfüllt. Es wird die Ein­hal­tung der Ar­beits­zeit ver­langt so­wie die Ach­tung der be­trieb­li­chen Ord­nung. Da­mit ent­spre­chen we­der die Auf­ga­ben der Werk­statt noch die des Beschäftig­ten den Rech­ten und Pflich­ten ei­nes Ar­beit­neh­mers in ei­nem Ar­beits­verhält­nis. Im Ar­beits­ver­trag ist der Ar­beit­neh­mer zur Leis­tung wei­sungs­ge­bun­de­ner abhängi­ger Ar­beit persönlich ver­pflich­tet. Die Ver­pflich­tung des Ar­beit­ge­bers er­streckt sich auf die Zu­wei­sung von Ar­beit (Beschäfti­gung) und letzt­lich die Ent­gelt­zah­lung. Ent­spre­chen­des ist im Werk­statt­ver­trag nicht ver­ein­bart. Dem­gemäß be­schreibt die Präam­bel des Werk­statt­ver­trags auch zu­tref­fend, dass das Werk­statt­verhält­nis als ar­beit­neh­merähn­li­ches, auf Dau­er an­ge­leg­tes Beschäfti­gungs­verhält­nis ge­stal­tet ist.

 

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Dass im Übri­gen im Werk­statt­ver­trag das Beschäfti­gungs­verhält­nis et­wa im Hin­blick auf Ar­beits­zeit, Ent­gelt­fort­zah­lung oder Ur­laub ei­nem Ar­beits­verhält­nis an­genähert ist, macht es ge­ra­de zu ei­nem ar­beit­neh­merähn­li­chen Rechts­verhält­nis, oh­ne da­mit den Sta­tus des Klägers als Ar­beit­neh­mer zu be­gründen.

2. Dass die­se ver­trag­lich als ar­beit­neh­merähn­li­ches Rechts­verhält­nis aus­ge­stat­te­te Rechts­be­zie­hung zwi­schen den Par­tei­en tatsächlich als Ar­beits­verhält­nis ge­lebt wor­den ist, trägt der Kläger auch im Be­ru­fungs­ver­fah­ren nicht aus­rei­chend vor.

a) Rich­tig ist, dass gemäß § 138 Abs. 1 SGB IX ein in ei­ner WfbM beschäftig­ter be­hin­der­ter Mensch den Sta­tus ei­nes Ar­beit­neh­mers er­lan­gen kann. Vor­aus­set­zung hierfür ist das Be­ste­hen ei­nes persönli­chen Abhängig­keits­verhält­nis­ses, al­so Wei­sungs­ge­bun­den­heit, die Ein­glie­de­rung in den Be­trieb, das Leis­ten von Ar­beit im wirt­schaft­li­chen Sin­ne. Der Um­stand, dass der Werk­statt­beschäftig­te ein Min­dest­maß wirt­schaft­lich ver­wert­ba­rer Ar­beits­leis­tung er­bringt, ist kein Kenn­zei­chen für ein Ar­beits­verhält­nis, son­dern Auf­nah­me­vor­aus­set­zung nach § 136. Ein Ar­beits­verhält­nis liegt erst dann vor, wenn der Haupt­zweck der Beschäfti­gung das Er­brin­gen der wirt­schaft­lich ver­wert­ba­ren Leis­tung ist und nicht der Zweck des § 138 Abs. 1 S. 1, nämlich die Ermögli­chung ei­ne an­ge­mes­se­ne Beschäfti­gung, im Vor­der­grund des Auf­ent­halts in der Werk­statt steht. Das kann in Be­tracht zu zie­hen sein, wenn der ein­zel­ne be­hin­der­te Mensch durch sei­ne Förde­rung vor al­lem im Ar­beits­be­reich der Werk­statt der spe­zi­fi­schen Leis­tun­gen nach § 41 Abs. 2 Nr. 2 nicht mehr be­darf und er durch die Leis­tun­gen der Re­ha­bi­li­ta­ti­ons­träger und der Werk­statt die Fähig­keit zur Ver­mitt­lung auf dem all­ge­mei­nen Ar­beits­markt er­langt hat (Dau/Düwell/Jous­sen, So­zi­al­ge­setz­buch IX, 4. Aufl., 2014, § 138, Rn 14). Der Ge­setz­ge­ber selbst geht für den Re­gel­fall da­von aus, dass be­hin­der­te Men­schen im Ar­beits­be­reich an­er­kann­ter Werkstätten in ei­nem ar­beit­neh­merähn­li­chen Rechts­verhält­nis tätig wer­den. Das Vor­lie­gen ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses ist die Aus­nah­me­re­ge­lung, wel­che ggf. auch vom Kläger zu be­wei­sen wäre (LAG Ba­den-Würt­tem­berg, Urt. v. 26.01.2009 - 9 Sa 60/08 - Ju­ris, Rn 50).

b) Da­nach ist der Vor­trag des Klägers zu sei­nem Ar­beit­neh­mer­sta­tus auch im Be­ru­fungs­ver­fah­ren nicht aus­rei­chend:

 

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aa) Un­strei­tig erhält der Kläger wei­ter­hin Leis­tun­gen nach § 41 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX. Da­nach sind Leis­tun­gen im Ar­beits­be­reich ei­ner an­er­kann­ten WfbM ge­rich­tet auf die Teil­nah­me an ar­beits­be­glei­ten­den Maßnah­men zur Er­hal­tung und Ver­bes­se­rung der im Be­rufs­bil­dungs­be­reich er­wor­be­nen Leis­tungsfähig­keit und zur Wei­ter­ent­wick­lung der Persönlich­keit.

Nach dem Ent­wick­lungs­be­richt vom 29.04./22.05.2014 wird für das Jahr 2014 die wei­te­re ar­beitspädago­gi­sche Be­glei­tung und Förde­rung des Klägers befürwor­tet. Auf Grund­la­ge die­ses Be­richts hat der Kreis R./E. die Kos­ten für die Be­treu­ung des Klägers über­nom­men. Der Kläger erhält da­mit wei­ter­hin die Maßnah­men nach § 41 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX. Der Kläger ist da­mit wei­ter­hin mit al­len Rech­ten und Pflich­ten an den Werk­statt­ver­trag ge­bun­den. Er hat den An­spruch ge­genüber der Be­klag­ten nach § 2 des Werk­statt­ver­trags dass der Be­klag­te sei­ne Leis­tungs-/Er­werbsfähig­keit erhält, ent­wi­ckelt, ver­bes­sert oder wie­der her­stellt, sei­ne Persönlich­keit wei­ter­ent­wi­ckelt und sei­ne Beschäfti­gung im Ar­beits­be­reich ermöglicht oder si­chert und den Über­gang auf den all­ge­mei­nen Ar­beits­markt ver­sucht zu er­rei­chen. Von ihm wird um­ge­kehrt die Mit­wir­kung an den Förder­maßnah­men er­war­tet und die Erfüllung sei­ner Auf­ga­ben im Rah­men sei­nes Leis­tungs­vermögens. Dass der Kläger be­reits die Fähig­keit er­langt hat, auf dem all­ge­mei­nen Ar­beits­markt ver­mit­telt zu wer­den, trägt er selbst nicht vor. Nach dem vom Be­klag­ten im Be­ru­fungs­ver­fah­ren zur Ge­richts­ak­te ge­reich­ten Ent­wick­lungs­be­richt für 2015 strebt er selbst auch ei­ne Über­lei­tung in ei­ne so­zi­al­ver­si­che­rungs­pflich­ti­ge Beschäfti­gung nicht an. Aus Sicht des So­zia­len Diens­tes des Be­klag­ten würde dies auch ei­ne Über­for­de­rung des Klägers dar­stel­len.

bb) Et­was an­de­res trägt auch der Kläger schlüssig nicht vor.

So­weit er ausführt, er sei zur selbstständi­gen Er­le­di­gung der Tätig­kei­ten im Gemüse­an­bau so­wie dem selbstständi­gen Pa­cken und Aus­lie­fern der Abokis­te in der La­ge und führe dies auch durch, ver­mag dies nicht die An­nah­me zu be­gründen, er sei Ar­beit­neh­mer der Be­klag­ten. Dass die Maßnah­men des Be­klag­ten zur Ent­wick­lung der Fähig­kei­ten und Persönlich­keit des Klägers Er­folg zei­gen und die­ser zu­neh­mend selbstständig wird, be­legt nicht, dass der Kläger Ar­beit­neh­mer ist. An kei­ner Stel­le

 

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sei­nes Vor­trags macht der Kläger deut­lich, wann, auf wel­che Art und auf­grund wel­cher Be­ge­ben­hei­ten die Par­tei­en zu­min­dest still­schwei­gend ver­ein­bart ha­ben, dass der Kläger mehr schul­de, als das in § 3 des Werk­statt­ver­trags Ver­ein­bar­te. Ei­ne hierüber aus­drück­lich ge­trof­fe­ne Ab­re­de gibt es er­sicht­lich nicht. In­diz für ei­ne ent­spre­chen­de Ver­ein­ba­rung könn­te et­wa sein, dass der Be­klag­te ar­beits­recht­li­che dis­zi­pli­na­ri­sche Maßnah­men (et­wa: Ab­mah­nung) ge­genüber dem Kläger er­greift und die­ser die­se oh­ne Hin­weis auf sein ein­ge­schränk­tes Leis­tungs­vermögen ak­zep­tiert. Der Um­stand, dass dem Kläger zu­neh­mend die selbstständi­ge Er­le­di­gung von Ar­bei­ten über­tra­gen wird, mag zwar be­le­gen, dass mit dem Kläger in der Zu­kunft ein Ar­beits­verhält­nis be­gründet wer­den könn­te, dass er tatsächlich als Ar­beit­neh­mer beschäftigt wird, ist hier­mit aber noch nicht ge­sagt.

Ob bei der Beschäfti­gung des Klägers the­ra­peu­ti­sche oder me­di­zi­ni­sche Zwe­cke nicht mehr im Vor­der­grund ste­hen, spielt für die Be­wer­tung sei­nes Sta­tus kei­ne Rol­le. Die Auf­ga­ben der WfbM er­ge­ben sich aus § 136 Abs. 1 SGB IX. Auch wenn das Leis­tungs­vermögen des Klägers sich dem ei­nes Ar­beit­neh­mers an­genähert hat, wird da­durch nicht der Haupt­zweck sei­ner Beschäfti­gung das Er­brin­gen ei­ner wirt­schaft­lich ver­wert­ba­ren Leis­tung.

II.

Dem Kläger steht auch für Ja­nu­ar 2015 kein Zah­lungs­an­spruch gemäß den §§ 1 Abs. 1, Abs. 2, 2 Abs. 1 Mi­LoG zu.

Die Vor­schrift fin­det auf das ar­beit­neh­merähn­li­che Rechts­verhält­nis der Par­tei­en kei­ne An­wen­dung. Gemäß § 22 Abs. 1 Mi­LoG gilt das Ge­setz für Ar­beit­neh­me­rin­nen und Ar­beit­neh­mer. Wie be­reits das Ar­beits­ge­richt zu­tref­fend und um­fang­reich aus­geführt hat, gilt das Mi­LoG da­mit nicht für ar­beit­neh­merähn­li­che Per­so­nen. Auf die ent­spre­chen­den Ausführun­gen des Ar­beits­ge­richts auf den Sei­ten 8 und 9 der Ent­schei­dung wird aus­drück­lich Be­zug ge­nom­men.

 

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Dem ste­hen auch we­der Art. 3 und Art. 5 der UN-Be­hin­der­ten­rechts­kon­ven­ti­on noch Art. 5 der Richt­li­nie 2000/78/Ent­eG ent­ge­gen, die je­weils den Schutz be­hin­der­ter Men­schen vor Dis­kri­mi­nie­run­gen re­geln. Der Kläger wird nicht we­gen sei­ner Be­hin­de­rung ge­genüber voll­beschäftig­ten Ar­beit­neh­mern un­gleich be­han­delt, son­dern weil er zum Be­klag­ten in ei­nem ar­beit­neh­merähn­li­chen Beschäfti­gungs­verhält­nis steht. Die Un­gleich­be­hand­lung be­ruht hier al­so auf der Un­ter­schei­dung zwi­schen Ar­beit­neh­mern und ar­beit­neh­merähn­lich beschäftig­ten Be­rufs­grup­pen.

So­weit das Ar­beits­ge­richt dem Kläger Pro­zess­kos­ten­hil­fe mit der Be­gründung be­wil­ligt hat, es wer­de in ei­nem Kom­men­tar die The­se ver­tre­ten auch an ar­beit­neh­merähn­li­che Per­so­nen in ei­ner WfbM sei der Min­dest­lohn zu zah­len, folgt dem das Be­ru­fungs­ge­richt nicht. Zwar dient das PKH-Ver­fah­ren nicht dem Zweck, über zwei­fel­haf­te Rechts­fra­gen ab­sch­ließend vor­weg zu ent­schei­den (Zöller, 29. Aufl., § 114, Rn 21).

Die Nicht­an­wen­dung des Min­dest­l­ohn­ge­set­zes auf die ar­beit­neh­merähn­li­chen Rechts­verhält­nis­se in ei­ner WfbM ist aber nicht zwei­fel­haft. So heißt es in dem vom Ar­beits­ge­richt zi­tier­ten Kom­men­tar (Düwell/Schu­bert, Min­dest­l­ohn­ge­setz, 2015, § 22, Rn 11), dass be­hin­der­te Per­so­nen in Be­hin­der­ten­werkstätten nach § 138 I SGB IX als ar­beit­neh­merähn­li­che Per­so­nen zu be­han­deln sei­en und da­mit kei­nen An­spruch auf den ge­setz­li­chen Min­dest­lohn ha­ben. Dies wird zwar im Fol­gen­den kri­tisch von den Kom­men­ta­to­ren be­ur­teilt, die ab­sch­ließen­de Fol­ge­rung, es sei „ein Ar­beits­verhält­nis an­zu­neh­men“ ist aber er­kenn­bar aus­sch­ließlich rechts­po­li­tisch mo­ti­viert. Das liegt auch des­we­gen na­he, weil bei­de Kom­men­ta­to­ren aus­weis­lich der An­ga­ben im Kom­men­tar in der ver.di Bun­des­ver­wal­tung im Be­reich Recht/Rechts­po­li­tik tätig sind.

III.

 

12

So­weit der Kläger sei­ne Ansprüche hilfs­wei­se dar­auf stützt, dass das Lohn­grup­pen­sys­tem vom Be­klag­ten ein­sei­tig fest­ge­setzt und un­bil­lig sei und des­we­gen ei­ne an­ge­mes­se­ne Ent­loh­nung durch das Ge­richt nach § 315 BGB fest­zu­set­zen sei, ist sein Vor­trag nicht nach­voll­zieh­bar.

Die Gel­tung des Lohn­grup­pen­sys­tems des Be­klag­ten ha­ben die Par­tei­en in § 5 des Werk­statt­ver­trags un­ter Be­zug­nah­me auf die „Grundsätze der Ent­loh­nung“, die dem Werk­statt­ver­trag bei­gefügt wa­ren (An­la­ge K3, Bl. 16 ff. d. A.) aus­drück­lich ver­ein­bart. Die in den Ent­loh­nungs­grundsätzen fest­ge­leg­ten An­for­de­run­gen an das Ent­loh­nungs­sys­tem de­cken sich mit den ge­setz­li­chen Vor­ga­ben. Nach § 138 SGB IX zah­len die Werkstätten aus ih­rem Ar­beits­er­geb­nis an die im Ar­beits­be­reich beschäftig­ten be­hin­der­ten Men­schen ein Ar­beits­ent­gelt, das sich nach näher ge­nann­ten Kri­te­ri­en be­stimmt. Das Ar­beits­er­geb­nis im Sin­ne des § 138 SGB IX ist die Dif­fe­renz aus den Erträgen und den not­wen­di­gen Kos­ten des lau­fen­den Be­triebs im Ar­beits­be­reich der Werk­statt (§ 12 Abs. 4 der Werkstätten­ver­ord­nung vom 13.08.1980). Wie sich Erträge und Kos­ten er­mit­teln, folgt aus den Sätzen 2 und 3 des § 12 Abs. 4 Werkstätten­ver­ord­nung.

Wenn der Kläger be­haup­ten will, dass die an ihn ge­zahl­te Vergütung im Er­geb­nis un­bil­lig fest­ge­setzt und zu nied­rig ist, müss­te er zunächst ein­mal dar­le­gen, dass das Ar­beits­er­geb­nis der Werk­statt ei­ne an­de­re Ver­tei­lung un­ter Berück­sich­ti­gung der Ansprüche al­ler wei­te­ren in ei­nem ar­beit­neh­merähn­li­chen Rechts­verhält­nis zum M. ste­hen­den Men­schen über­haupt zulässt. Dar­an fehlt es.

IV.

So­weit der Kläger äußerst hilfs­wei­se rügt, er sei falsch ein­grup­piert und nach der Ent­gelt­grup­pe 10 zu vergüten, hat das Ge­richt schon Zwei­fel, ob die­ser Vor­trag im Be­ru­fungs­ver­fah­ren über­haupt berück­sich­ti­gungsfähig ist. Hier­durch führt der Kläger nämlich ei­nen neu­en Streit­ge­gen­stand - die zu­tref­fen­de Ein­grup­pie­rung - in den Rechts­streit ein, oh­ne dass in­so­weit er­sicht­lich ist, dass die Vor­aus­set­zun­gen des § 533 ZPO vor­lie­gen.

 

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Im Übri­gen recht­fer­tigt der Vor­trag auch nicht den gel­tend ge­mach­ten Zah­lungs­an­spruch. Zur Vergütungs­dif­fe­renz zwi­schen den Lohn­grup­pen 9 und 10 trägt der Kläger nichts vor.

V.

Gründe für die Zu­las­sung der Rechts­be­schwer­de sind nicht er­kenn­bar.

gez. B.

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