HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

BAG, Ur­teil vom 19.05.2016, 8 AZR 470/14

   
Schlagworte: Diskriminierung: Bewerbung, Diskriminierung: Scheinbewerbung, Diskriminierung: Alter
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 8 AZR 470/14
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 19.05.2016
   
Leitsätze: 1. Die "objektive Eignung" des Bewerbers/der Bewerberin ist kein Kriterium der "vergleichbaren Situation" oder der vergleichbaren Lage iSv. § 3 Abs.1 und Abs.2 AGG und deshalb nicht Voraussetzung für einen Anspruch nach § 15 Abs.1 und Abs.2 AGG.

2. Schreibt der Arbeitgeber eine Stelle unter Verstoß gegen § 11 AGG aus, begründet dies die Vermutung iSv. § 22 AGG, dass der/die erfolglose Bewerber/in im Auswahlverfahren wegen eines Grundes iSv. § 1 AGG benachteiligt wurde.

3. § 6 Abs.1 Satz 2 Alt.1 AGG enthält einen formalen Bewerberbegriff. Auf die "subjektive Ernsthaftigkeit" der Bewerbung kommt es nicht an.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 06.06.2013, 29 Ca 606/12
Landesarbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 28.01.2014, 2 Sa 50/13
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

8 AZR 470/14
2 Sa 50/13
Lan­des­ar­beits­ge­richt
Ham­burg 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am
19. Mai 2016

UR­TEIL

Wirth, Ur­kunds­be­am­tin
der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläger, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­onskläger,

pp.

1. Be­klag­te zu 1., Be­ru­fungs­be­klag­te zu 1. und Re­vi­si­ons­be­klag­te zu 1.,

2. Be­klag­ter zu 2., Be­ru­fungs­be­klag­ter zu 2. und Re­vi­si­ons­be­klag­ter zu 2.,

3. Be­klag­ter zu 3., Be­ru­fungs­be­klag­ter zu 3. und Re­vi­si­ons­be­klag­ter zu 3.,

4. Be­klag­ter zu 4., Be­ru­fungs­be­klag­ter zu 4. und Re­vi­si­ons­be­klag­ter zu 4.,

 

- 2 -

hat der Ach­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 19. Mai 2016 durch die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Prof. Dr. Schlewing, die Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Win­ter, den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Vo­gel­sang so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Dr. Volz und Stahl für Recht er­kannt:

Auf die Re­vi­si­on des Klägers wird das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ham­burg vom 28. Ja­nu­ar 2014 - 2 Sa 50/13 - auf­ge­ho­ben.

Die Sa­che wird zur neu­en Ver­hand­lung und Ent­schei­dung - auch über die Kos­ten des Re­vi­si­ons­ver­fah­rens - an das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­ver­wie­sen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand


Die Par­tei­en strei­ten in der Re­vi­si­ons­in­stanz noch darüber, ob die Be­klag­ten als Ge­samt­schuld­ner ver­pflich­tet sind, an den Kläger ei­ne Entschädi­gung we­gen ei­nes Ver­s­toßes ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot des AGG zu zah­len. 

Der 1953 ge­bo­re­ne Kläger ist pro­mo­viert und als Ein­zel­an­walt in R schwer­punktmäßig in den Be­rei­chen Ar­beits­recht, Arzt­recht, Arzt­haf­tungs­recht, Me­di­zin­recht, Erbrecht, Fa­mi­li­en­recht, For­de­rungs­bei­trei­bung, Miet­recht, Straf­recht und Zi­vil­recht tätig. In den Jah­ren 1979 und 1983 ab­sol­vier­te er die bei­den ju­ris­ti­schen Staats­prüfun­gen in Ba­den-Würt­tem­berg und er­ziel­te da­bei je­weils die No­te be­frie­di­gend (7 Punk­te).

 

- 3 -

Die Be­klag­te zu 1. ist ei­ne im Jahr 2009 ge­gründe­te Part­ner­schaft von Rechts­anwälten in H, die Be­klag­ten zu 2. bis 4. sind die hier­in ver­bun­de­nen Part­ner. Die Kanz­lei ist auf das öffent­li­che Wirt­schafts­recht, das Bau- und Im­mo­bi­li­en­recht, PPP-Pro­jek­te so­wie das Ver­ga­be­recht spe­zia­li­siert. Al­le bei den Be­klag­ten an­ge­stell­ten Rechts­anwälte und Rechts­anwältin­nen ha­ben die bei­den ju­ris­ti­schen Staats­ex­ami­na mit Ab­schluss­no­ten von je­weils min­des­tens 9 Punk­ten (voll­be­frie­di­gend) be­stan­den. 

Im No­vem­ber 2012 veröffent­lich­te die Be­klag­te zu 1. in der Neu­en Ju­ris­ti­schen Wo­chen­schrift (im Fol­gen­den NJW) ei­ne Stel­len­an­zei­ge, die aus­zugs­wei­se den fol­gen­den In­halt hat:

"…

Zur Verstärkung un­se­res Teams su­chen wir ei­nen Rechts­an­walt (m/w) mit 0 - 2 Jah­ren Be­rufs­er­fah­rung für die Be­rei­che 

  • Im­mo­bi­li­en­wirt­schafts­recht, Bau­recht, Pro­jekt­ent­wick­lun­gen
  • Öffent­li­ches Wirt­schafts­recht, Ver­ga­be­recht, PPP

Wir bie­ten Ih­nen erst­klas­si­ge Ar­beits­be­din­gun­gen in ei­nem pro­fes­sio­nel­len Um­feld und ei­ne lang­fris­ti­ge Per­spek­ti­ve in ei­nem jun­gen und dy­na­mi­schen Team. Sie wer­den in ei­nem fun­dier­ten und pra­xis­ori­en­tier­ten Aus-/Wei­ter­bil­dungs­pro­gramm wei­ter qua­li­fi­ziert und spe­zia­li­siert. In die Be­ar­bei­tung be­deu­ten­der Man­da­te wer­den Sie von An­fang an ver­ant­wort­lich ein­be­zo­gen. 

Wir er­war­ten von Ih­nen Persönlich­keit, Team­geist, In­ter­es­se an wirt­schaft­li­chen Zu­sam­menhängen und ei­ne erst­klas­si­ge ju­ris­ti­sche Qua­li­fi­ka­ti­on. Be­wer­ber(in­nen) mit Be­rufs­er­fah­rung ha­ben idea­ler­wei­se in ei­ner wirt­schafts­be­ra­ten­den So­zietät in ei­nem der Be­rei­che Öffent­li­ches Recht oder Im­mo­bi­li­en­wirt­schafts­recht ge­ar­bei­tet.  

…"

Der Kläger be­warb sich mit Schrei­ben vom 9. No­vem­ber 2012 bei der Be­klag­ten zu 1. auf die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le. In sei­nem An­schrei­ben, dem wei­te­re Be­wer­bungs­un­ter­la­gen bei­gefügt wa­ren, heißt es: 

 

- 4 - 

"…

ich be­wer­be mich auf Ih­re Stel­len­an­zei­ge. Ich bin seit 1988 hier in R als Rechts­an­walt tätig, je­doch ört­lich un­ge­bun­den. Ich ha­be, wie aus den bei­gefügten Be­wer­bungs­un­ter­la­gen er­sicht­lich, zwei Prädi­kats­ex­amen und bin darüber hin­aus pro­mo­viert. Das Wirt­schafts­recht und Im­mo­bi­li­en­wirt­schafts­recht ken­ne ich umfäng­lich aus mei­ner langjähri­gen be­ruf­li­chen Tätig­keit als Rechts­an­walt.

Sehr gu­te Eng­lisch­kennt­nis­se sind selbst­verständ­lich.

Ich freue mich, demnächst von Ih­nen zu hören und blei­be 

mit freund­li­chen kol­le­gia­len Grüßen 

…"

Mit Schrei­ben vom 19. No­vem­ber 2012 teil­te die Be­klag­te zu 1. dem Kläger mit:

"…,

vie­len Dank für Ih­re Be­wer­bung und das da­mit ver­bun­de­ne In­ter­es­se an ei­ner Beschäfti­gung in un­se­rer Kanz­lei. Ih­re Be­wer­bung zeigt vie­le gu­te Qua­li­fi­ka­tio­nen.

Auf un­se­re An­zei­ge ha­ben wir ei­ne Viel­zahl von Be­wer­bun­gen er­hal­ten. Lei­der können wir Ih­re Be­wer­bung der­zeit nicht berück­sich­ti­gen. Ih­re Be­wer­bungs­un­ter­la­gen über­sen­den wir Ih­nen da­her an­lie­gend mit herz­li­chem Dank zurück.

Für Ih­re Zu­kunft und die wei­te­re Su­che nach ei­ner be­ruf­li­chen Her­aus­for­de­rung wünschen wir Ih­nen viel Er­folg. 

…"

Der Kläger mach­te dar­auf­hin mit ei­nem an die Be­klag­te zu 1. ge­rich­te­ten Schrei­ben vom 26. No­vem­ber 2012 Ansprüche auf Entschädi­gung und Scha­dens­er­satz gel­tend. In die­sem Schrei­ben heißt es:

"…,

ich hat­te mich mit Schrei­ben vom 9. No­vem­ber 2012 un­ter Beifügung von Be­wer­bungs­un­ter­la­gen auf die von Ih­nen in der NJW 2012 aus­ge­schrie­be­ne Stel­le als Rechts­an­walt be­wor­ben. Mit Schrei­ben vom 19. No­vem­ber 2012 ha­ben Sie die Be­wer­bungs­un­ter­la­gen an mich zurück­ge­sen­det und mit­ge­teilt, daß Sie mei­ne Be­wer­bung der­zeit nicht berück­sich­ti­gen können. 

 

- 5 - 

Die Be­hand­lung mei­ner Be­wer­bung er­folg­te ganz of­fen­sicht­lich un­ter Ver­s­toß ge­gen § 7 Abs. 1 in Ver­bin­dung mit § 1 AGG. Nach § 7 Abs. 1 AGG dürfen Ar­beit­ge­ber Beschäftig­te nicht we­gen ih­res Al­ters oder we­gen ei­nes an­de­ren in § 1 ge­nann­ten Grun­des be­nach­tei­li­gen. Das gilt auch für Stel­len­be­wer­ber (§ 6 Abs. 1 Satz 2 AGG). Daß Sie ge­gen die­se Vor­schrift ver­s­toßen ha­ben, be­legt be­reits ein Blick in die Stel­len­an­zei­ge, wo ganz of­fen ge­sagt wird, man su­che ei­nen Rechts­an­walt (m/w) mit ‚0-2 Jah­ren Be­rufs­er­fah­rung‘ mit­hin jünge­ren Al­ters. 

Sie schul­den dem­nach ei­ne Entschädi­gung und Scha­dens­er­satz nach § 15 AGG. Man­gels ge­nau­er Kennt­nis der nähe­ren Umstände und der von Ih­nen ge­zahl­ten Gehälter etc. können die­se For­de­run­gen der­zeit nur geschätzt wer­den. In­so­weit for­de­re ich ei­ne an­ge­mes­se­ne Entschädi­gung in Höhe von 10.000,00 EUR und Scha­dens­er­satz in Höhe von 50.000,00 EUR. Hin­zu kom­men mei­ne un­ten be­rech­ne­ten Rechts­an­walts­gebühren, so daß bis spätes­tens 

Mon­tag, den 10. De­zem­ber 2012

ins­ge­samt (10.000,00 EUR+50.000,00 EUR +1.761,08 EUR) 

61.761,08 EUR

auf mein Kon­to bei der S zu zah­len sind an­dern­falls ich oh­ne Wei­te­res Kla­ge er­he­ben wer­de.

Soll­te der oben ge­nann­te Be­trag pünkt­lich ge­zahlt wer­den, wer­de ich kei­ne wei­te­ren For­de­run­gen mehr gel­tend ma­chen, was hier­mit aus­drück­lich ver­si­chert wird.

Für den Fall der Frist­versäum­ung for­de­re ich Sie be­reits jetzt auf, Aus­kunft über die ein­ge­stell­ten Be­wer­ber und de­ren Qua­li­fi­ka­ti­on so­wie de­ren Be­zah­lung zu er­tei­len. 

…"

Mit Schrei­ben vom 6. De­zem­ber 2012 wies die Be­klag­te zu 1. die Ansprüche des Klägers zurück. Die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le wur­de letzt­lich nicht be­setzt, weil sich das auf die­ser Stel­le zu be­ar­bei­ten­de Pro­jekt ver­schob. 

Mit sei­ner am 13. De­zem­ber 2012 beim Ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nen Kla­ge hat der Kläger zunächst Aus­kunft über die Jah­res­vergütung der in der  

 

- 6 - 

NJW aus­ge­schrie­be­nen Stel­le so­wie Entschädi­gung und Scha­dens­er­satz in Höhe der er­teil­ten Aus­kunft nebst Zin­sen be­gehrt. Seit der Be­ru­fungs­in­stanz ver­folgt der Kläger aus­sch­ließlich den An­trag auf Zah­lung ei­ner Entschädi­gung nach § 15 Abs. 2 AGG wei­ter. Die auf der aus­ge­schrie­be­nen Stel­le er­ziel­ba­re Jah­res­vergütung hat er mit 60.000,00 Eu­ro be­zif­fert. 

Der Kläger hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, die Ab­leh­nung sei­ner Be­wer­bung be­ru­he auf ei­ner Be­nach­tei­li­gung we­gen sei­nes Al­ters. Mit der Stel­len­an­zei­ge in der NJW hätten die Be­klag­ten aus­drück­lich ei­ne Be­rufs­er­fah­rung von nur „0 - 2 Jah­ren“ er­war­tet und die Mit­ar­beit in ei­nem „jun­gen und dy­na­mi­schen Team“ an­gekündigt. Die­ser Um­stand be­gründe die Ver­mu­tung, dass er we­gen sei­nes Al­ters be­nach­tei­ligt wor­den sei. Die Be­klag­ten hätten we­der dar­ge­legt noch be­wie­sen, dass ei­ne nach dem AGG un­zulässi­ge Be­nach­tei­li­gung nicht vor­lie­ge. Er sei auch ob­jek­tiv für die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le ge­eig­net, die er bei dis­kri­mi­nie­rungs­frei­er Aus­wahl hätte er­hal­ten müssen. Sei­ne ju­ris­ti­sche Qua­li­fi­ka­ti­on sei als erst­klas­sig iSd. Stel­len­an­zei­ge an­zu­se­hen. Vor dem Hin­ter­grund sei­ner Pro­mo­ti­on und sei­ner Be­rufs­er­fah­rung von 30 Be­rufs­jah­ren kom­me es nicht in ers­ter Li­nie auf die von ihm er­ziel­ten Ex­amens­no­ten an, mit de­nen er sich im Übri­gen so­gar im obe­ren Fünf­tel (1. Staats­ex­amen) bzw. im obe­ren Drit­tel (2. Staats­ex­amen) al­ler Ab­sol­ven­ten be­fun­den ha­be. Sei­nem Entschädi­gungs­an­spruch ste­he auch nicht der durch­grei­fen­de Rechts­miss­brauchs­ein­wand ent­ge­gen. Ei­ne Viel­zahl er­ho­be­ner Entschädi­gungs­kla­gen rei­che nicht aus, um den Ein­wand des Rechts­miss­brauchs zu be­gründen. Er ha­be auch zu kei­nem Zeit­punkt geäußert, dass er sich nur be­wor­ben ha­be, um ei­nen Entschädi­gungs­an­spruch gel­tend ma­chen zu können. In dem Te­le­fo­nat mit dem Be­klag­ten zu 3. am 27. No­vem­ber 2012 ha­be er le­dig­lich ge­sagt, dass es, nach­dem sei­ne Be­wer­bung ab­ge­lehnt wor­den sei, nicht um ei­ne Hei­lung des Ver­s­toßes ge­gen das AGG ge­hen könne. 

Der Kläger hat zu­letzt be­an­tragt,

die Be­klag­ten als Ge­samt­schuld­ner zu ver­ur­tei­len, ihm ei­ne in das Er­mes­sen des Ge­richts ge­stell­te Entschädi­gung nebst Zin­sen hier­aus iHv. fünf Pro­zent­punk­ten über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz seit Rechtshängig­keit zu zah­len.

 

- 7 - 

Die Be­klag­ten ha­ben Kla­ge­ab­wei­sung be­an­tragt. Sie ha­ben die Auf­fas­sung ver­tre­ten, der Kläger sei schon kein Be­wer­ber iSd. AGG, da er sich nicht ernst­haft auf die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le be­wor­ben ha­be. Die man­geln­de Ernst­haf­tig­keit sei­ner Be­wer­bung er­ge­be sich ua. aus ei­nem Be­richt in der Zeit­schrift J, wo­nach der Kläger sich in zahl­rei­chen Fällen auf ihm dis­kri­mi­nie­rend er­schei­nen­de Stel­len­an­zei­gen be­wor­ben und an­sch­ließend Entschädi­gung und Scha­dens­er­satz nach § 15 Abs. 1 und Abs. 2 AGG ein­ge­klagt ha­be. Auch ha­be er im Rah­men ei­nes Te­le­fon­gesprächs am 27. No­vem­ber 2012 mit dem Be­klag­ten zu 3. geäußert, er ha­be kein In­ter­es­se an ei­ner Mit­ar­beit in der Kanz­lei der Be­klag­ten zu 1., son­dern wol­le le­dig­lich ei­ne Zah­lung. Zu­dem wir­ke sich aus, dass der Kläger die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le auch über­haupt nicht ha­be an­tre­ten können, weil er als Ein­zel­an­walt ein lau­fen­des De­zer­nat mit lau­fen­den Man­dats­verhält­nis­sen nicht kurz­fris­tig ha­be auf­ge­ben können. Je­den­falls sei die Be­wer­bung des Klägers rechts­miss­bräuch­lich er­folgt. Der Kläger sei für die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le auch ob­jek­tiv nicht ge­eig­net ge­we­sen. Sei­ne Ex­amen­s­er­geb­nis­se be­leg­ten nicht die in der Stel­len­aus­schrei­bung ge­for­der­te „erst­klas­si­ge ju­ris­ti­sche Qua­li­fi­ka­ti­on“. Im Übri­gen sei die von der Be­klag­ten zu 1. in der NJW veröffent­lich­te Stel­len­aus­schrei­bung auch nicht dis­kri­mi­nie­rend. Sie be­zie­he sich nicht auf das Al­ter po­ten­ti­el­ler Be­wer­ber. „0 - 2 Jah­re Be­rufs­er­fah­rung“ könn­ten auch älte­re Be­rufs­wechs­ler auf­wei­sen; die For­mu­lie­rung „in ei­nem jun­gen und dy­na­mi­schen Team“ sei aus­sch­ließlich im Zu­sam­men­hang mit ei­ner Selbst­dar­stel­lung der Kanz­lei zu se­hen.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Der Kläger hat hier­ge­gen teil­wei­se Be­ru­fung ein­ge­legt, so­weit das Ar­beits­ge­richt sei­nen An­trag auf Zah­lung ei­ner Entschädi­gung nach § 15 Abs. 2 AGG ab­ge­wie­sen hat. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­ru­fung des Klägers zurück­ge­wie­sen. Mit der Re­vi­si­on ver­folgt der Kläger den Entschädi­gungs­an­spruch wei­ter.

 

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Ent­schei­dungs­gründe

Die zulässi­ge Re­vi­si­on des Klägers ist be­gründet. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt ge­ge­be­nen Be­gründung durf­te die Be­ru­fung des Klägers nicht zurück­ge­wie­sen wer­den. Die Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts er­weist sich auch nicht aus ei­nem an­de­ren Grund als im Er­geb­nis zu­tref­fend (§ 561 ZPO). Ob und ggf. in wel­chem Um­fang die zulässi­ge Kla­ge be­gründet ist, kann vom Se­nat auf­grund der bis­lang vom Lan­des­ar­beits­ge­richt ge­trof­fe­nen Fest­stel­lun­gen nicht ab­sch­ließend be­ur­teilt wer­den; den Par­tei­en ist zu­dem Ge­le­gen­heit zu ergänzen­dem Vor­trag zu ge­ben. Dies führt zur Auf­he­bung des an­ge­foch­te­nen Ur­teils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurück­ver­wei­sung der Sa­che zur neu­en Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das Lan­des­ar­beits­ge­richt (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). 

A. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt ge­ge­be­nen Be­gründung durf­te die Kla­ge nicht ab­ge­wie­sen wer­den. 

I. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat an­ge­nom­men, der Kläger ha­be ge­gen die Be­klag­ten kei­nen An­spruch auf Entschädi­gung gemäß § 15 Abs. 2 AGG. Zum ei­nen sei der Kläger we­gen der nur mit „be­frie­di­gend“ be­stan­de­nen zwei Staats­ex­ami­na für die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le ob­jek­tiv nicht ge­eig­net, wes­halb es an dem Er­for­der­nis der „ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on“ iSv. § 3 Abs. 1 und Abs. 2 AGG feh­le. Ver­gleich­bar sei­en nur Be­wer­ber/in­nen, die das An­for­de­rungs­merk­mal der Stel­len­aus­schrei­bung „erst­klas­si­ge ju­ris­ti­sche Qua­li­fi­ka­ti­on“ erfüll­ten. Zu­dem ste­he dem Entschädi­gungs­an­spruch des Klägers der durch­grei­fen­de Rechts­miss­brauchs­ein­wand ent­ge­gen. Der Kläger sei nicht ernst­haft an der Stel­le in­ter­es­siert ge­we­sen, son­dern ha­be sich nur be­wor­ben, um ei­ne Entschädi­gung ver­lan­gen zu können. Be­reits der In­halt sei­nes Be­wer­bungs­schrei­bens spre­che für die man­geln­de Ernst­haf­tig­keit der Be­wer­bung. Das Schrei­ben ent­hal­te über­wie­gend for­mel­haf­te, nichts­sa­gen­de Wen­dun­gen, mit de­nen der Kläger nur schein­bar kon­kret auf die Stel­len­an­zei­ge und die in Aus­sicht ge­stell­te Tätig­keit nebst de­ren An­for­de­rungs­pro­fil ein­ge­he. Zu­dem las­se sich dem

 

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Be­wer­bungs­schrei­ben nicht ent­neh­men, was den Kläger ge­ra­de an der aus­ge­schrie­be­nen Tätig­keit in­ter­es­sie­re und wes­halb er, nach­dem er be­reits lan­ge Jah­re als selbstständi­ger Rechts­an­walt in R tätig sei, In­ter­es­se an ei­ner Be­rufs­ausübung in H ha­be. Ge­gen die Ernst­haf­tig­keit sei­ner Be­wer­bung spre­che zu­dem der in dem Ar­ti­kel der Zeit­schrift „J“ ge­schil­der­te Sach­ver­halt, wo­nach der Kläger sich un­abhängig vom Rechts­ge­biet, der Kanz­lei oder dem Ein­satz­ort stets auf Stel­len­an­zei­gen be­wer­be, in de­nen Be­rufs­ein­stei­ger und Be­rufs­ein­stei­ge­rin­nen oder Rechts­anwälte und Rechts­anwältin­nen mit ers­ter Be­rufs­er­fah­rung ge­sucht würden und im Fall der Ab­leh­nung 60.000,00 Eu­ro for­de­re. Nach den Re­cher­chen der Zeit­schrift ha­be der Kläger al­lein im Jahr 2013 sech­zehn der­ar­ti­ge Entschädi­gungs­kla­gen anhängig ge­macht, wo­bei er in noch wei­te­ren Fällen die An­for­de­run­gen an die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le of­fen­sicht­lich nicht erfüllt ha­be. Auch wenn al­lein ei­ne Viel­zahl von Entschädi­gungs­kla­gen kein In­diz für ei­nen Rechts­miss­brauch dar­stel­le, stel­le sich dies an­ders dar, wenn sich je­mand aus­sch­ließlich auf Stel­len be­wer­be, die un­ter Ver­s­toß ge­gen § 11 AGG aus­ge­schrie­ben wor­den sei­en. Da­von sei im vor­lie­gen­den Fall aus­zu­ge­hen, da der Kläger auch nicht dar­ge­tan ha­be, dass er sich ent­ge­gen den An­ga­ben in dem in der Zeit­schrift „J“ er­schie­ne­nen Ar­ti­kel auch noch auf wei­te­re, kei­nen An­lass für die An­nah­me ei­ner Dis­kri­mi­nie­rung bie­ten­de Stel­len­an­zei­gen be­wor­ben ha­be. 

II. Dies hält ei­ner re­vi­si­ons­recht­li­chen Über­prüfung nicht stand. 

1. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt durf­te die Kla­ge nicht mit der Be­gründung ab­wei­sen, der Kläger sei für die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le ob­jek­tiv nicht ge­eig­net, wes­halb es an dem Er­for­der­nis der „ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on“ iSv. § 3 Abs. 1 und Abs. 2 AGG feh­le. Viel­mehr be­fin­den sich, so­weit es um ei­ne - ins­be­son­de­re bei ei­ner Ein­stel­lung und Beförde­rung - zu tref­fen­de Aus­wah­l­ent­schei­dung des Ar­beit­ge­bers geht, Per­so­nen grundsätz­lich be­reits dann in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on, wenn sie sich für die­sel­be Stel­le be­wor­ben ha­ben (vgl. auch BAG 17. Au­gust 2010 - 9 AZR 839/08 - Rn. 29).

 

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a) Zwar ist das Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­tref­fend da­von aus­ge­gan­gen, dass das Vor­lie­gen ei­ner „ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on“ bzw. „ver­gleich­ba­ren La­ge“ nicht nur im Rah­men von § 3 Abs. 1 AGG, der die un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung zum Ge­gen­stand hat, son­dern auch im Rah­men von § 3 Abs. 2 AGG, der die mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung de­fi­niert, von Be­deu­tung ist. 

aa) Das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot in § 7 Abs. 1 AGG un­ter­sagt im An­wen­dungs­be­reich des AGG ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des, ua. we­gen des Al­ters. Da­bei ver­bie­tet § 7 Abs. 1 AGG so­wohl un­mit­tel­ba­re als auch mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gun­gen. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG liegt ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung vor, wenn ei­ne Per­son we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des, ua. we­gen des Al­ters, ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung erfährt als ei­ne an­de­re Per­son in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on erfährt, er­fah­ren hat oder er­fah­ren würde. Nach § 3 Abs. 2 AGG liegt ei­ne mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung vor, wenn dem An­schein nach neu­tra­le Vor­schrif­ten, Kri­te­ri­en oder Ver­fah­ren Per­so­nen we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des ge­genüber an­de­ren Per­so­nen in be­son­de­rer Wei­se be­nach­tei­li­gen können, es sei denn, die be­tref­fen­den Vor­schrif­ten, Kri­te­ri­en oder Ver­fah­ren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sach­lich ge­recht­fer­tigt und die Mit­tel sind zur Er­rei­chung die­ses Ziels an­ge­mes­sen und er­for­der­lich. 

bb) § 3 Abs. 2 AGG enthält nach sei­nem Wort­laut - an­ders als dies bei § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG der Fall ist - nicht aus­drück­lich das Er­for­der­nis „in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on“. Da al­ler­dings das Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bot des § 7 Abs. 1 AGG der spe­zi­fi­sche Aus­druck des all­ge­mei­nen Gleich­heits­sat­zes ist und die Grundsätze der Gleich­be­hand­lung und der Nicht­dis­kri­mi­nie­rung ge­ne­rell ver­lan­gen, dass glei­che Sach­ver­hal­te nicht un­ter­schied­lich und un­ter­schied­li­che Sach­ver­hal­te nicht gleich be­han­delt wer­den, es sei denn, dass ei­ne der­ar­ti­ge Be­hand­lung ob­jek­tiv ge­recht­fer­tigt ist (vgl. ua. EuGH 20. Sep­tem­ber 2007 - C-116/06 - [Ki­iski] Rn. 54, Slg. 2007, I-7643; 26. Ju­ni 2001 - C-381/99 - [Brunn­ho­fer] Rn. 28, Slg. 2001, I-4961), ist auch bei ei­ner mit­tel­ba­ren Dis­kri­mi­nie­rung die Fra­ge nach ei­ner „ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on“ bzw. ei­ner „ver­gleich­ba­ren La­ge“ von Be­deu­tung (vgl. ua. EuGH 28. Ju­ni 2012 - C-172/11 - [Er­ny] 

 

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Rn. 39 - 41; 16. Ju­li 2009 - C-537/07 - [Gómez-Limón] Rn. 54 - 56, Slg. 2009, I-6525; 12. Ok­to­ber 2004 - C-313/02 - [Wip­pel] Rn. 56 f., Slg. 2004, I-9483).  

b) So­weit das Lan­des­ar­beits­ge­richt al­ler­dings an­ge­nom­men hat, ver­gleich­bar sei die Aus­wahl­si­tua­ti­on nur für Be­wer­ber/in­nen, die glei­cher­maßen für die zu be­set­zen­de Stel­le ob­jek­tiv ge­eig­net sei­en, was beim Kläger nicht der Fall sei, da die­ser we­gen der nur mit „be­frie­di­gend“ be­stan­de­nen Staats­ex­ami­na das An­for­de­rungs­merk­mal der Stel­len­aus­schrei­bung „erst­klas­si­ge ju­ris­ti­sche Qua­li­fi­ka­ti­on“ nicht erfülle, hält dies ei­ner re­vi­si­ons­recht­li­chen Über­prüfung nicht stand.  

aa) Zwar be­fin­det sich ei­ne Per­son nach der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung des Se­nats nur dann in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on, wenn sie für die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le „ob­jek­tiv ge­eig­net“ ist (vgl. et­wa BAG 23. Ja­nu­ar 2014 - 8 AZR 118/13 - Rn. 18; 14. No­vem­ber 2013 - 8 AZR 997/12 - Rn. 29; 26. Sep­tem­ber 2013 - 8 AZR 650/12 - Rn. 20 ff.; 21. Fe­bru­ar 2013 - 8 AZR 180/12 - Rn. 28, BA­GE 144, 275; 16. Fe­bru­ar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 35; 13. Ok­to­ber 2011 - 8 AZR 608/10 - Rn. 26; 7. April 2011 - 8 AZR 679/09 - Rn. 37; aus­drück­lich of­fen­ge­las­sen neu­er­dings von BAG 20. Ja­nu­ar 2016 - 8 AZR 194/14 - Rn. 19 ff.; 22. Ok­to­ber 2015 - 8 AZR 384/14 - Rn. 21; 26. Ju­ni 2014 - 8 AZR 547/13 - Rn. 29). Dies hat der Se­nat im We­sent­li­chen da­mit be­gründet, dass ei­ne Be­nach­tei­li­gung nur an­ge­nom­men wer­den könne, wenn ei­ne Per­son, die an sich für die Tätig­keit ge­eig­net sei, nicht aus­gewählt oder nicht in Be­tracht ge­zo­gen wor­den sei. Könne hin­ge­gen auch ein ob­jek­tiv un­ge­eig­ne­ter Be­wer­ber im­ma­te­ri­el­le Entschädi­gung nach § 15 Abs. 2 AGG ver­lan­gen, ste­he dies nicht im Ein­klang mit dem Schutz­zweck des AGG, das nur vor un­ge­recht­fer­tig­ter Be­nach­tei­li­gung schützen, nicht aber ei­ne un­red­li­che Ge­sin­nung des (po­ten­ti­el­len) Ar­beit­ge­bers sank­tio­nie­ren wol­le. 

bb) An die­ser Recht­spre­chung hält der Se­nat al­ler­dings nicht fest.  

(1) Wie der Se­nat be­reits in sei­nen Ur­tei­len vom 20. Ja­nu­ar 2016 (- 8 AZR 194/14 - Rn. 19 ff.) so­wie vom 22. Ok­to­ber 2015 (- 8 AZR 384/14 - Rn. 21 ff.) aus­geführt hat, spricht ge­gen das Er­for­der­nis der „ob­jek­ti­ven Eig­nung“ be­reits
 

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der Um­stand, dass § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG den Entschädi­gungs­an­spruch für Per­so­nen, die „bei be­nach­tei­li­gungs­frei­er Aus­wahl nicht ein­ge­stellt wor­den“ wären, nicht aus­sch­ließt, son­dern le­dig­lich der Höhe nach be­grenzt. Denn auch bei „be­nach­tei­li­gungs­frei­er Aus­wahl“ würden die Be­wer­ber nicht ein­ge­stellt, de­nen die ob­jek­ti­ve Eig­nung für die zu be­set­zen­de Stel­le fehlt. 

(2) Könn­te nur ein „ob­jek­tiv ge­eig­ne­ter“ Be­wer­ber ei­ne Entschädi­gung nach § 15 Abs. 2 AGG be­an­spru­chen, würde dies auch da­zu führen, dass ihm die Ausübung der durch die Uni­ons­rechts­ord­nung - hier: durch die Richt­li­nie 2000/78/EG - ver­lie­he­nen Rech­te ent­ge­gen der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs der Eu­ropäischen Uni­on (ua. EuGH 16. Ja­nu­ar 2014 - C-429/12 - [Pohl] Rn. 23; vgl. auch BAG 26. Ju­ni 2014 - 8 AZR 547/13 - Rn. 28) durch ei­nen zu eng ge­fass­ten Ver­gleichs­maßstab prak­tisch unmöglich ge­macht, je­den­falls aber übermäßig er­schwert würde.  

(a) Das Er­for­der­nis der „ob­jek­ti­ven Eig­nung“ des An­spruch­stel­lers als Kri­te­ri­um der ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on bzw. ver­gleich­ba­ren La­ge iSv. § 3 Abs. 1 und Abs. 2 AGG würde den Entschädi­gungs­pro­zess mit der schwie­ri­gen Ab­gren­zung der „ob­jek­ti­ven Eig­nung“ von der „in­di­vi­du­el­len fach­li­chen und persönli­chen Qua­li­fi­ka­ti­on“ be­las­ten und da­durch die Wahr­neh­mung der durch das AGG und die Richt­li­nie 2000/78/EG ver­lie­he­nen Rech­te er­schwe­ren.  

In­so­weit hat der Se­nat in sei­ner Recht­spre­chung stets aus­geführt, dass maßgeb­lich für die ob­jek­ti­ve Eig­nung nicht al­lein das for­mel­le An­for­de­rungs­pro­fil sei, wel­ches der Ar­beit­ge­ber er­stellt ha­be, son­dern dass es in­so­weit auf die An­for­de­run­gen an­kom­me, die der Ar­beit­ge­ber an ei­nen Stel­len­be­wer­ber zulässi­ger­wei­se stel­len dürfe. Der Ar­beit­ge­ber dürfe an den/die Be­wer­ber/in kei­ne An­for­de­run­gen stel­len, die nach der im Ar­beits­le­ben herr­schen­den Ver­kehrs­an­schau­ung durch die Er­for­der­nis­se der wahr­zu­neh­men­den Auf­ga­ben un­ter kei­nem nach­voll­zieh­ba­ren Ge­sichts­punkt ge­deckt sei­en (vgl. et­wa BAG 26. Sep­tem­ber 2013 - 8 AZR 650/12 - Rn. 21 mwN; 7. April 2011 - 8 AZR 679/09 - Rn. 38; 22. Ju­li 2010 - 8 AZR 1012/08 - Rn. 55). Die ob­jek­ti­ve Eig­nung sei al­ler­dings zu un­ter­schei­den von der in­di­vi­du­el­len fach­li­chen und persönli­chen Qua­li­fi­ka­ti­on des Be­wer­bers, die nur als Kri­te­ri­um der Aus­wah­l­ent­sch­ei-

 

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dung auf der Ebe­ne der Kau­sa­lität zwi­schen Be­nach­tei­li­gung und Grund iSv. § 1 AGG ei­ne Rol­le spie­le. Da­mit wer­de gewähr­leis­tet, dass der Ar­beit­ge­ber über den der Stel­le zu­ge­ord­ne­ten Auf­ga­ben­be­reich frei ent­schei­den könne, wie Art. 12 Abs. 1 GG es ge­bie­te, aber nicht durch das Stel­len hierfür nicht er­for­der­li­cher An­for­de­run­gen an Be­wer­ber die Ver­gleich­bar­keit der Si­tua­ti­on selbst ge­stal­ten und den Schutz des AGG de fac­to be­sei­ti­gen könne. Denn auch Be­wer­ber, wel­che die auf der zu be­set­zen­den Stel­le aus­zuüben­den Tätig­kei­ten grundsätz­lich ver­rich­ten könn­ten, oh­ne aber je­de Vor­aus­set­zung des An­for­de­rungs­pro­fils zu erfüllen, bedürf­ten des Schut­zes vor Dis­kri­mi­nie­rung, weil ge­ra­de An­for­de­rungs­pro­fi­le in Stel­len­an­zei­gen häufig Qua­li­fi­ka­tio­nen be­nen­nen, de­ren Vor­han­den­sein der Ar­beit­ge­ber sich für den Ide­al­fall zwar wünsche, die aber kei­nes­falls zwin­gen­de Vor­aus­set­zung ei­ner er­folg­rei­chen Be­wer­bung sei­en (vgl. et­wa BAG 7. April 2011 - 8 AZR 679/09 - Rn. 39; 22. Ju­li 2010 - 8 AZR 1012/08 - Rn. 55).  

(b) Das Er­for­der­nis der „ob­jek­ti­ven Eig­nung“ des An­spruch­stel­lers als Kri­te­ri­um der ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on bzw. ver­gleich­ba­ren La­ge iSv. § 3 Abs. 1 und Abs. 2 AGG würde die Gel­tend­ma­chung ei­nes Entschädi­gungs­an­spruchs aus § 15 Abs. 2 AGG aber auch aus ei­nem an­de­ren Grund übermäßig er­schwe­ren.  

Wie der Se­nat in sei­nen Ur­tei­len vom 20. Ja­nu­ar 2016 (- 8 AZR 194/14 - Rn. 19 ff.) so­wie vom 22. Ok­to­ber 2015 (- 8 AZR 384/14 - Rn. 21 ff.) eben­falls aus­geführt hat, kann die Fra­ge, ob ei­ne „ver­gleich­ba­re Si­tua­ti­on“ bzw. ei­ne „ver­gleich­ba­re La­ge“ iSv. § 3 Abs. 1 und Abs. 2 AGG vor­liegt, nicht oh­ne Ver­gleichs­be­trach­tung be­ant­wor­tet wer­den. Denn an ei­ner „ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on“ oder „ver­gleich­ba­ren La­ge“ würde es - so­weit es um die „ob­jek­ti­ve Eig­nung“ der/des Be­wer­be­rin/Be­wer­bers geht - nur dann feh­len, wenn die­se/r die ge­for­der­te „ob­jek­ti­ve Eig­nung“ nicht auf­weist, während an­de­re Be­wer­ber/in­nen, je­den­falls aber der/die aus­gewähl­te Be­wer­ber/in ob­jek­tiv ge­eig­net sind. Das aus dem Merk­mal der ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on ab­ge­lei­te­te Er­for­der­nis der „ob­jek­ti­ven Eig­nung“ des Be­wer­bers würde mit­hin zu ei­ner Ver­en­gung des Ver­gleichs­maßstabs führen. Hier­durch würde die Gel­tend­ma­chung ei­nes Entschädi­gungs­an­spruchs aus § 15 Abs. 2 AGG übermäßig er­schwert. Dies gilt zu- 

 

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nächst, so­weit den/die Be­wer­ber/in für das Vor­lie­gen ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on oder ver­gleich­ba­ren La­ge iSv. § 3 Abs. 1 und Abs. 2 AGG die vol­le Dar­le­gungs- und Be­weis­last tref­fen soll­te. Dies gilt aber auch dann, wenn vor dem Hin­ter­grund, dass dem/der Be­wer­ber/in in der Re­gel nicht be­kannt ist, wer sich außer ihm/ihr mit wel­cher Qua­li­fi­ka­ti­on/Eig­nung auf die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le be­wor­ben hat und für wel­chen Be­wer­ber/wel­che Be­wer­be­rin der po­ten­ti­el­le Ar­beit­ge­ber sich ent­schie­den hat und er/sie ge­gen die­sen auch kei­nen da­hin­ge­hen­den Aus­kunfts­an­spruch hat (vgl. BAG 25. April 2013 - 8 AZR 287/08 - Rn. 56 un­ter Hin­weis auf EuGH 19. April 2012 - C-415/10 - [Meis­ter]), von ei­ner ab­ge­stuf­ten Dar­le­gungs- und Be­weis­last aus­zu­ge­hen wäre, wo­nach es aus­rei­chen würde, wenn der/die Be­wer­ber/in die ob­jek­ti­ve Eig­nung an­de­rer Be­wer­ber/in­nen oder des/der letzt­lich ein­ge­stell­ten Be­wer­bers/Be­wer­be­rin be­strei­tet mit der Fol­ge, dass der Ar­beit­ge­ber dann je­den­falls zur ob­jek­ti­ven Eig­nung die­ser Per­so­nen sub­stan­ti­iert vor­zu­tra­gen hätte. In die­sem Fall würde der Pro­zess in der Re­gel mit ei­ner aufwändi­gen Tat­sa­chen­fest­stel­lung und Klärung der Eig­nung oder Nich­t­eig­nung der an­de­ren Be­wer­ber/in­nen, je­den­falls aber des/der aus­gewähl­ten Be­wer­bers/Be­wer­be­rin be­las­tet, oh­ne dass sich in den Be­stim­mun­gen des AGG und den uni­ons­recht­li­chen Vor­ga­ben, ins­be­son­de­re in de­nen der Richt­li­nie 2000/78/EG für die Zulässig­keit ei­ner sol­chen Ver­en­gung des Ver­gleichs­maßstabs hin­rei­chen­de An­halts­punk­te fin­den (vgl. BAG 20. Ja­nu­ar 2016 - 8 AZR 194/14 - Rn. 21; 22. Ok­to­ber 2015 - 8 AZR 384/14 - Rn. 23). 

(c) Es kommt hin­zu, dass das Er­for­der­nis der „ob­jek­ti­ven Eig­nung“ der/des Be­wer­be­rin/Be­wer­bers als Kri­te­ri­um der ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on bzw. ver­gleich­ba­ren La­ge iSv. § 3 Abs. 1 und Abs. 2 AGG die Gel­tend­ma­chung ei­nes Entschädi­gungs­an­spruchs aus § 15 Abs. 2 AGG dann na­he­zu prak­tisch unmöglich ma­chen würde, wenn die­se/r die/der ein­zi­ge Be­wer­ber/in um die Stel­le war. In die­sem Fall exis­tiert nämlich kei­ne kon­kre­te Ver­gleichs­per­son; viel­mehr würde es nach § 3 Abs. 1 AGG auf ei­ne hy­po­the­ti­sche Ver­gleichs­per­son an­kom­men, de­ren ob­jek­ti­ve Eig­nung oder Nich­t­eig­nung sich nicht fest­stel­len ließe.

 

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2. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt durf­te die Kla­ge aber auch nicht mit der Be­gründung ab­wei­sen, der vom Kläger gel­tend ge­mach­te Entschädi­gungs­an­spruch nach § 15 Abs. 2 AGG sei dem durch­grei­fen­den Rechts­miss­brauchs­ein­wand (§ 242 BGB) aus­ge­setzt. Da­bei kann of­fen­blei­ben, ob dem Entschädi­gungs­ver­lan­gen des Klägers - ent­ge­gen des­sen Rechts­auf­fas­sung - über­haupt der Rechts­miss­brauchs­ein­wand nach § 242 BGB ent­ge­gen­ge­hal­ten wer­den kann. Die Würdi­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, die Vor­aus­set­zun­gen des durch­grei­fen­den Rechts­miss­brauchs­ein­wands sei­en im vor­lie­gen­den Ver­fah­ren erfüllt, hält ei­ner re­vi­si­ons­recht­li­chen Über­prüfung nicht stand. Aus die­sem Grund kommt es auf die Ant­wort des Ge­richts­hofs der Eu­ropäischen Uni­on in der Sa­che - C-423/15 - [Krat­zer] auf das Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen des Se­nats vom 18. Ju­ni 2015 (- 8 AZR 848/13 (A) -) nicht an. 

a) Nach Auf­fas­sung des Se­nats spricht al­les dafür, dass der vom Kläger gel­tend ge­mach­te Entschädi­gungs­an­spruch nach § 15 Abs. 2 AGG dem durch­grei­fen­den Rechts­miss­brauchs­ein­wand (§ 242 BGB) aus­ge­setzt wäre, so­fern die­ser sich nicht be­wor­ben ha­ben soll­te, um die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le zu er­hal­ten, son­dern es ihm dar­um ge­gan­gen sein soll­te, nur den for­ma­len Sta­tus als Be­wer­ber iSv. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG zu er­lan­gen mit dem aus­sch­ließli­chen Ziel, ei­ne Entschädi­gung gel­tend zu ma­chen.  

aa) Nach § 242 BGB sind durch un­red­li­ches Ver­hal­ten be­gründe­te oder er­wor­be­ne Rech­te oder Rechts­stel­lun­gen grundsätz­lich nicht schutzwürdig. Der Aus­nut­zung ei­ner rechts­miss­bräuch­lich er­wor­be­nen Rechts­po­si­ti­on kann dem­nach der Ein­wand der un­zulässi­gen Rechts­ausübung ent­ge­gen­ste­hen (vgl. et­wa BAG 17. März 2016 - 8 AZR 677/14 - Rn. 44; 21. Ok­to­ber 2014 - 3 AZR 866/12 - Rn. 48; 23. No­vem­ber 2006 - 8 AZR 349/06 - Rn. 33; BGH 6. Fe­bru­ar 2002 - X ZR 215/00 - zu I 2 c der Gründe; 6. Ok­to­ber 1971 - VIII ZR 165/69 - zu I der Gründe, BGHZ 57, 108). Al­ler­dings führt nicht je­des rechts- oder pflicht­wid­ri­ge Ver­hal­ten stets oder auch nur re­gelmäßig zur Un­zulässig­keit der Ausübung der hier­durch er­lang­ten Rechts­stel­lung. Hat der An­spruch­stel­ler sich die güns­ti­ge Rechts­po­si­ti­on aber ge­ra­de durch ein treu­wid­ri­ges Ver­hal­ten ver-

 

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schafft, liegt ei­ne un­zulässi­ge Rechts­ausübung iSv. § 242 BGB vor (et­wa BGH 28. Ok­to­ber 2009 - IV ZR 140/08 - Rn. 21).  

Die Dar­le­gungs- und Be­weis­last für das Vor­lie­gen der Vor­aus­set­zun­gen, die den - rechts­hin­dern­den - Ein­wand des Rechts­miss­brauchs be­gründen, trägt nach den all­ge­mei­nen Re­geln der Ver­tei­lung der Dar­le­gungs- und Be­weis­last der­je­ni­ge, der die­sen Ein­wand gel­tend macht (vgl. ua. BAG 18. Ju­ni 2015 - 8 AZR 848/13 (A) - Rn. 26; 23. Au­gust 2012 - 8 AZR 285/11 - Rn. 37; 13. Ok­to­ber 2011 - 8 AZR 608/10 - Rn. 54). 

bb) Da­nach hätte der Kläger die Rechts­stel­lung als Be­wer­ber iSv. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG treu­wid­rig er­wor­ben mit der Fol­ge, dass die Aus­nut­zung die­ser Rechts­po­si­ti­on rechts­miss­bräuch­lich wäre, wenn er sich nicht be­wor­ben ha­ben soll­te, um die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le zu er­hal­ten, son­dern es ihm dar­um ge­gan­gen sein soll­te, nur den for­ma­len Sta­tus als Be­wer­ber iSv. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG zu er­lan­gen mit dem aus­sch­ließli­chen Ziel, ei­ne Entschädi­gung gel­tend zu ma­chen (vgl. et­wa BAG 13. Ok­to­ber 2011 - 8 AZR 608/10 - Rn. 53 mwN; vgl. auch BVerwG 3. März 2011 - 5 C 16.10 - Rn. 33, BVerw­GE 139, 135). 

Nach § 1 AGG ist es das Ziel des AGG, in sei­nem An­wen­dungs­be­reich Be­nach­tei­li­gun­gen aus den in die­ser Be­stim­mung ge­nann­ten Gründen zu ver­hin­dern oder zu be­sei­ti­gen. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG wird auch der Zu­gang zur Beschäfti­gung vom sach­li­chen An­wen­dungs­be­reich des AGG er­fasst. Nach die­ser Be­stim­mung sind Be­nach­tei­li­gun­gen aus ei­nem in § 1 AGG ge­nann­ten Grund nach Maßga­be des Ge­set­zes ua. un­zulässig in Be­zug auf die Be­din­gun­gen, ein­sch­ließlich Aus­wahl­kri­te­ri­en und Ein­stel­lungs­be­din­gun­gen, für den Zu­gang zu un­selbstständi­ger und selbstständi­ger Er­werbstätig­keit. Aus die­sem Grund fal­len nicht nur Beschäftig­te iSv. § 6 Abs. 1 Satz 1 AGG, son­dern auch Be­wer­be­rin­nen und Be­wer­ber für ein Beschäfti­gungs­verhält­nis gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG un­ter den persönli­chen An­wen­dungs­be­reich des Ge­set­zes, sie gel­ten da­nach als Beschäftig­te iSv. § 6 Abs. 1 Satz 1 AGG.  

Be­reits mit die­sen Be­stim­mun­gen des AGG hat der na­tio­na­le Ge­setz­ge­ber zum Aus­druck ge­bracht, dass nur der­je­ni­ge den Schutz des AGG vor 

 

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Dis­kri­mi­nie­rung ein­sch­ließlich der in § 15 AGG ge­re­gel­ten Er­satz­leis­tun­gen für sich be­an­spru­chen kann, der auch tatsächlich Schutz vor Dis­kri­mi­nie­rung beim Zu­gang zur Er­werbstätig­keit sucht und dass hin­ge­gen ei­ne Per­son, die mit ih­rer Be­wer­bung nicht die be­tref­fen­de Stel­le er­hal­ten, son­dern nur die for­ma­le Po­si­ti­on ei­nes Be­wer­bers iSv. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG er­lan­gen will mit dem al­lei­ni­gen Ziel, ei­ne Entschädi­gung nach § 15 Abs. 2 AGG gel­tend zu ma­chen, sich nicht auf den durch das AGG ver­mit­tel­ten Schutz be­ru­fen kann; sie kann nicht Op­fer ei­ner ver­bo­te­nen Dis­kri­mi­nie­rung sein mit der Fol­ge, dass ihr die in § 15 AGG vor­ge­se­he­nen Sank­tio­nen mit ab­schre­cken­der Wir­kung ge­genüber dem Ar­beit­ge­ber (vgl. et­wa EuGH 25. April 2013 - C-81/12 - [Aso­cia­tia AC­CEPT] Rn. 63) zu­gu­te­kom­men müss­ten. Ei­ne Per­son, die ih­re Po­si­ti­on als Be­wer­ber iSv. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG treu­wid­rig her­beiführt, miss­braucht viel­mehr den vom AGG gewähr­ten Schutz vor Dis­kri­mi­nie­rung. 

cc) Nach Auf­fas­sung des Se­nats be­geg­net der Rechts­miss­brauchs­ein­wand nach § 242 BGB un­ter die­sen en­gen Vor­aus­set­zun­gen auch kei­nen uni­ons­recht­li­chen Be­den­ken.  

(1) Das Ver­bot des Rechts­miss­brauchs ist ein an­er­kann­ter Grund­satz des Uni­ons­rechts (vgl. ua. EuGH 28. Ja­nu­ar 2016 - C-50/14 - [CAS­TA ua.] Rn. 65). Nach ständi­ger Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs der Eu­ropäischen Uni­on ist ei­ne betrüge­ri­sche oder miss­bräuch­li­che Be­ru­fung auf das Uni­ons­recht nicht ge­stat­tet (et­wa EuGH 28. Ja­nu­ar 2015 - C-417/13 - [Star­ja­kob] Rn. 55 mwN; 9. März 1999 - C-212/97 - [Cen­tros] Rn. 24, Slg. 1999, I-1459; 2. Mai 1996 - C-206/94 - [Pa­let­ta] Rn. 24, Slg. 1996, I-2357).  

(2) Da­bei er­ge­ben sich aus der ständi­gen Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs der Eu­ropäischen Uni­on zu den Vor­aus­set­zun­gen, un­ter de­nen Rechts­miss­brauch an­ge­nom­men wer­den kann, ver­gleich­bar stren­ge An­for­de­run­gen wie nach deut­schem Recht.  

Die Fest­stel­lung ei­ner miss­bräuch­li­chen Pra­xis ver­langt das Vor­lie­gen ei­nes ob­jek­ti­ven und ei­nes sub­jek­ti­ven Ele­ments. Hin­sicht­lich des ob­jek­ti­ven Ele­ments muss sich aus ei­ner Ge­samtwürdi­gung der ob­jek­ti­ven Umstände er-

 

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ge­ben, dass trotz for­ma­ler Ein­hal­tung der in der be­tref­fen­den Uni­ons­re­ge­lung vor­ge­se­he­nen Be­din­gun­gen das Ziel die­ser Re­ge­lung nicht er­reicht wur­de. In Be­zug auf das sub­jek­ti­ve Ele­ment muss aus ei­ner Rei­he ob­jek­ti­ver An­halts­punk­te (ua. EuGH 17. De­zem­ber 2015 - C-419/14 - [Web­Mind­Li­cen­ses] Rn. 36 mwN) die Ab­sicht er­sicht­lich sein, sich ei­nen un­ge­recht­fer­tig­ten Vor­teil aus der Uni­ons­re­ge­lung da­durch zu ver­schaf­fen, dass die ent­spre­chen­den Vor­aus­set­zun­gen willkürlich ge­schaf­fen wer­den (zu der hier ein­schlägi­gen Richt­li­nie 2000/78/EG vgl. EuGH 28. Ja­nu­ar 2015 - C-417/13 - [Star­ja­kob] Rn. 56 mwN; vgl. iÜ. et­wa EuGH 13. März 2014 - C-155/13 - [SICES ua.] Rn. 31 ff.; 16. Ok­to­ber 2012 - C-364/10 - [Un­garn/Slo­wa­kei] Rn. 58; 21. Fe­bru­ar 2006 - C-255/02 - [Ha­li­fax ua.] Rn. 74 ff., Slg. 2006, I-1609; 21. Ju­li 2005 - C-515/03 - [Eichs­fel­der Schlacht­be­trieb] Rn. 39, Slg. 2005, I-7355; 14. De­zem­ber 2000 - C-110/99 - [Ems­land-Stärke] Rn. 52 und 53, Slg. 2000, I-11569). Das Miss­brauchs­ver­bot ist al­ler­dings nicht re­le­vant, wenn das frag­li­che Ver­hal­ten ei­ne an­de­re Erklärung ha­ben kann als nur die Er­lan­gung ei­nes Vor­teils (et­wa EuGH 13. März 2014 - C-155/13 - [SICES ua.] Rn. 33; 21. Fe­bru­ar 2006 - C-255/02 - [Ha­li­fax ua.] Rn. 75). Die Prüfung, ob die Tat­be­stands­vor­aus­set­zun­gen ei­ner miss­bräuch­li­chen Pra­xis erfüllt sind, hat gemäß den Be­weis­re­geln des na­tio­na­len Rechts zu er­fol­gen. Die­se Re­geln dürfen je­doch die Wirk­sam­keit des Uni­ons­rechts nicht be­ein­träch­ti­gen (ua. EuGH 17. De­zem­ber 2015 - C-419/14 - [Web­Mind­Li­cen­ses] Rn. 65 mwN). 

(3) So­wohl aus dem Ti­tel, als auch aus den Erwägungs­gründen und dem In­halt und der Ziel­set­zung der Richt­li­nie 2000/78/EG folgt, dass die­se ei­nen all­ge­mei­nen Rah­men schaf­fen soll, der gewähr­leis­tet, dass je­der „in Beschäfti­gung und Be­ruf“ gleich­be­han­delt wird, in­dem dem Be­trof­fe­nen ein wirk­sa­mer Schutz vor Dis­kri­mi­nie­run­gen aus ei­nem der in ih­rem Art. 1 ge­nann­ten Gründe - dar­un­ter das Al­ter - ge­bo­ten wird (ua. EuGH 26. Sep­tem­ber 2013 - C-546/11 - [Dansk Ju­rist- og Øko­nom­for­bund] Rn. 23; 8. Sep­tem­ber 2011 - C-297/10 und C-298/10 - [Hen­nigs und Mai] Rn. 49, Slg. 2011, I-7965). Fer­ner er­gibt sich aus Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richt­li­nie 2000/78/EG - eben­so wie aus Art. 1 Satz 2 Buchst. a und Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richt­li­nie 2006/54/EG -, dass die­se Richt­li­nie für ei­ne Per­son gilt, die ei­ne Beschäfti­gung sucht und dies auch in  

 

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Be­zug auf die Aus­wahl­kri­te­ri­en und Ein­stel­lungs­be­din­gun­gen für die­se Beschäfti­gung (vgl. EuGH 19. April 2012 - C-415/10 - [Meis­ter] Rn. 33).

Da­mit spricht al­les dafür, dass ei­ne Per­son, die mit ih­rer Be­wer­bung nicht die be­tref­fen­de Stel­le er­hal­ten, son­dern nur die for­ma­le Po­si­ti­on ei­nes Be­wer­bers iSv. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG er­lan­gen will mit dem al­lei­ni­gen Ziel, ei­ne Entschädi­gung nach § 15 Abs. 2 AGG gel­tend zu ma­chen, auch nach Uni­ons­recht rechts­miss­bräuch­lich han­delt.  

b) Die Würdi­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, die Vor­aus­set­zun­gen des durch­grei­fen­den Rechts­miss­brauchs­ein­wands sei­en im vor­lie­gen­den Ver­fah­ren erfüllt, hält ei­ner re­vi­si­ons­recht­li­chen Über­prüfung nicht stand. 

aa) Die Würdi­gung der Tat­sa­chen­ge­rich­te, ob bei ei­ner be­stimm­ten Sach­la­ge ein Ver­s­toß ge­gen § 242 BGB und da­mit ei­ne un­zulässi­ge Rechts­ausübung vor­liegt, ist in der Re­vi­si­ons­in­stanz als An­wen­dung ei­nes un­be­stimm­ten Rechts­be­griffs nur ein­ge­schränkt über­prüfbar (vgl. et­wa BAG 16. Ok­to­ber 2012 - 9 AZR 183/11 - Rn. 25, BA­GE 143, 194; 19. Au­gust 2010 - 8 AZR 645/09 - Rn. 66; 9. De­zem­ber 2009 - 10 AZR 850/08 - Rn. 34 mwN; 15. Ju­li 2009 - 5 AZR 867/08 - Rn. 31, BA­GE 131, 215; BGH 7. Ok­to­ber 2015 - VIII ZR 247/14 - Rn. 25 mwN). Die re­vi­si­ons­recht­li­che Kon­trol­le be­schränkt sich dar­auf zu prüfen, ob das Lan­des­ar­beits­ge­richt den Rechts­be­griff selbst ver­kannt hat, ob es sich bei der Un­ter­ord­nung des Sach­ver­halts un­ter die maßgeb­li­che Rechts­norm den Vor­ga­ben von § 286 Abs. 1 ZPO ent­spre­chend mit dem Pro­zess­stoff um­fas­send aus­ein­an­der­ge­setzt hat, sei­ne Würdi­gung al­so vollständig und des Wei­te­ren recht­lich möglich und in sich wi­der­spruchs­frei ist und nicht ge­gen Rechtssätze, Denk­ge­set­ze oder Er­fah­rungssätze verstößt. 

bb) Das Be­ru­fungs­ur­teil hält ei­ner sol­chen ein­ge­schränk­ten Über­prüfung nicht stand. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat den Rechts­be­griff des Rechts­miss­brauchs iSv. § 242 BGB ver­kannt und die­se Be­stim­mung in ei­ner Wei­se aus­ge­legt und an­ge­wandt, die das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot des AGG und der Richt­li­nie 2000/78/EG zu un­ter­lau­fen ge­eig­net ist. Die vom Lan­des­ar­beits­ge­richt sei­ner Würdi­gung zu­grun­de ge­leg­ten Umstände las­sen we­der je­weils für sich be-

 

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-trach­tet noch in der Ge­samt­schau den Schluss auf ein rechts­miss­bräuch­li­ches Ver­hal­ten des Klägers zu.  

(1) Ent­ge­gen der An­nah­me des Lan­des­ar­beits­ge­richts las­sen sich dem Be­wer­bungs­schrei­ben des Klägers vom 9. No­vem­ber 2012 be­reits kei­ne ob­jek­ti­ven Umstände ent­neh­men, die den Schluss auf ein rechts­miss­bräuch­li­ches Ver­hal­ten des Klägers er­lau­ben würden. So­weit das Lan­des­ar­beits­ge­richt ausführt, die­ses Schrei­ben ent­hal­te über­wie­gend for­mel­haf­te, nichts­sa­gen­de Wen­dun­gen, mit de­nen der Kläger nur schein­bar kon­kret auf die Stel­len­an­zei­ge und die in Aus­sicht ge­stell­te Tätig­keit nebst de­ren An­for­de­rungs­pro­fil ein­ge­he, es las­se sich dem Be­wer­bungs­schrei­ben auch nicht ent­neh­men, was den Kläger ge­ra­de an der aus­ge­schrie­be­nen Tätig­keit in­ter­es­sie­re und wes­halb er, nach­dem er be­reits lan­ge Jah­re als selbstständi­ger Rechts­an­walt in R tätig sei, In­ter­es­se an ei­ner Be­rufs­ausübung in H ha­be, legt es sei­ner Würdi­gung sei­ne Vor­stel­lun­gen darüber zu­grun­de, wo­durch sich ein gu­tes, an­spre­chen­des und er­folg­ver­spre­chen­des Be­wer­bungs­schrei­ben aus­zeich­net. Wie viel „Mühe“ ein Be­wer­ber sich mit sei­nem Be­wer­bungs­schrei­ben ge­ge­ben hat, wie an­spre­chend sei­ne Präsen­ta­ti­on ist und wie ein­dring­lich und über­zeu­gend er ein In­ter­es­se an der aus­ge­schrie­be­nen Stel­le be­kun­det hat, mag zwar ein Um­stand sein, der für die kon­kre­te Aus­wah­l­ent­schei­dung des Ar­beit­ge­bers den Aus­schlag ge­ben kann. Es exis­tiert hin­ge­gen we­der ein Er­fah­rungs­satz des In­halts, dass nur der­je­ni­ge, der ein sol­ches Be­wer­bungs­schrei­ben ver­fasst, an der Stel­le in­ter­es­siert ist, noch der ge­gen­tei­li­ge Er­fah­rungs­satz, dass der­je­ni­ge, des­sen Be­wer­bungs­schrei­ben die­sen Vor­ga­ben nicht ent­spricht, sich nur mit dem Ziel be­wirbt, die for­ma­le Po­si­ti­on des Be­wer­bers iSv. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG zu er­lan­gen mit dem aus­sch­ließli­chen Ziel, Entschädi­gungs­ansprüche nach § 15 Abs. 2 AGG gel­tend ma­chen zu können.  

(2) Auch die Würdi­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, der Entschädi­gungs­an­spruch des Klägers sei des­halb dem durch­grei­fen­den Rechts­miss­brauchs­ein­wand aus­ge­setzt, weil die­ser sich un­abhängig vom Rechts­ge­biet, der Kanz­lei oder dem Ein­satz­ort stets auf Stel­len be­wer­be, in de­nen Be­rufs­ein­stei­ger und Be­rufs­ein­stei­ge­rin­nen oder Rechts­anwälte und Rechts­anwältin­nen mit ers-

 

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ter Be­rufs­er­fah­rung ge­sucht würden, er im Fall der Ab­leh­nung stets 60.000,00 Eu­ro for­de­re, im Jahr 2013 16 Entschädi­gungs­kla­gen er­ho­ben ha­be und auch nicht dar­ge­tan ha­be, sich auch noch auf wei­te­re, kei­nen An­lass für die An­nah­me ei­ner Dis­kri­mi­nie­rung bie­ten­de Stel­len­an­zei­gen be­wor­ben zu ha­ben, hält ei­ner re­vi­si­ons­recht­li­chen Über­prüfung nicht stand. Die vom Lan­des­ar­beits­ge­richt sei­ner Würdi­gung zu­grun­de ge­leg­ten Umstände las­sen nicht den Schluss auf ein sys­te­ma­ti­sches und ziel­ge­rich­te­tes Vor­ge­hen des Klägers zu, das auf der An­nah­me be­ruht, bei wirt­schaft­li­cher Be­trach­tungs­wei­se wer­de letzt­lich ein auskömm­li­cher „Ge­winn“ ver­blei­ben, weil die Be­klag­ten - sei es be­reits un­ter dem Druck des Gel­tend­ma­chungs­schrei­bens oder im Ver­lauf des Entschädi­gungs­pro­zes­ses - frei­wil­lig die For­de­rung erfüllen oder sich ver­gleichs­wei­se auf ei­ne Entschädi­gungs­zah­lung ein­las­sen. 

(a) Auf Rechts­miss­brauch kann nicht be­reits dar­aus ge­schlos­sen wer­den, dass ei­ne Per­son ei­ne Viel­zahl er­folg­lo­ser Be­wer­bun­gen ver­sandt und meh­re­re Entschädi­gungs­pro­zes­se geführt hat oder führt (vgl. et­wa BAG 18. Ju­ni 2015 - 8 AZR 848/13 (A) - Rn. 24; 24. Ja­nu­ar 2013 - 8 AZR 429/11 - Rn. 63; 13. Ok­to­ber 2011 - 8 AZR 608/10 - Rn. 56 mwN; 21. Ju­li 2009 - 9 AZR 431/08 - Rn. 52, BA­GE 131, 232). Ein sol­ches Ver­hal­ten für sich be­trach­tet lässt sich eben­so da­mit erklären, dass ein ernst­haf­tes In­ter­es­se an dem Er­halt der je­wei­li­gen Stel­le be­stand und dass der/die Be­wer­ber/in, weil er/sie sich ent­ge­gen den Vor­ga­ben des AGG bei der Aus­wahl- und Be­set­zungs­ent­schei­dung dis­kri­mi­niert sieht, mit der Entschädi­gungs­kla­ge zulässi­ger­wei­se sei­ne/ih­re Rech­te nach dem AGG wahr­nimmt.  

(b) Dies gilt grundsätz­lich auch dann, wenn die Per­son sich stets auf sol­che Stel­len­aus­schrei­bun­gen be­wor­ben hat, die For­mu­lie­run­gen, insb. An­for­de­run­gen ent­hal­ten, die mit­tel­bar oder un­mit­tel­bar an ei­nen der in § 1 AGG ge­nann­ten Gründe an­knüpfen und des­halb „auf den ers­ten Blick“ den An­schein er­we­cken, der Ar­beit­ge­ber ha­be die Stel­le ent­ge­gen § 11 AGG, wo­nach ein Ar­beits­platz nicht un­ter Ver­s­toß ge­gen § 7 Abs. 1 AGG aus­ge­schrie­ben wer­den darf, aus­ge­schrie­ben. Dies folgt be­reits dar­aus, dass der/die Be­wer­ber/in auch in ei­nem sol­chen Fall mit ei­ner Entschädi­gungs­kla­ge grundsätz­lich ein nicht

 

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un­er­heb­li­ches Ri­si­ko ein­geht, den Pro­zess zu ver­lie­ren und da­mit nicht nur kei­ne Entschädi­gung nach § 15 Abs. 2 AGG zu er­lan­gen, son­dern auch mit den Kos­ten des Rechts­streits be­las­tet zu wer­den.  

(aa) Der Ar­beit­ge­ber schul­det ei­nem/ei­ner ab­ge­lehn­ten Be­wer­ber/in ei­ne Entschädi­gung nicht be­reits des­halb, weil die Stel­le un­ter Ver­s­toß ge­gen § 11 AGG aus­ge­schrie­ben wur­de und da­mit erst recht nicht al­lein des­halb, weil die Stel­len­aus­schrei­bung For­mu­lie­run­gen, insb. An­for­de­run­gen enthält, die „auf den ers­ten Blick“ den An­schein er­we­cken, der Ar­beit­ge­ber ha­be den Ar­beits­platz un­ter Ver­s­toß ge­gen § 11 AGG aus­ge­schrie­ben. Das Ge­setz knüpft an ei­nen Ver­s­toß ge­gen § 11 AGG kei­ne un­mit­tel­ba­ren Rechts­fol­gen.  

(bb) Vor­aus­set­zung für den Entschädi­gungs­an­spruch nach § 15 Abs. 2 AGG ist viel­mehr, dass der/die ab­ge­lehn­te Be­wer­ber/in ent­ge­gen § 7 Abs. 1 AGG we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des be­nach­tei­ligt wur­de. Zwi­schen der be­nach­tei­li­gen­den Be­hand­lung und ei­nem in § 1 AGG ge­nann­ten Grund muss dem­nach ein Kau­sal­zu­sam­men­hang be­ste­hen. Dafür ist es nicht er­for­der­lich, dass der be­tref­fen­de Grund iSv. § 1 AGG das aus­sch­ließli­che oder auch nur ein we­sent­li­ches Mo­tiv für das Han­deln des Be­nach­tei­li­gen­den ist; es muss nicht - ge­wis­ser­maßen als vor­herr­schen­der Be­weg­grund, Haupt­mo­tiv oder „Trieb­fe­der“ des Ver­hal­tens - hand­lungs­lei­tend oder be­wusst­seins­do­mi­nant ge­we­sen sein; viel­mehr ist der Kau­sal­zu­sam­men­hang be­reits dann ge­ge­ben, wenn die Be­nach­tei­li­gung an ei­nen Grund iSv. § 1 AGG an­knüpft oder durch die­sen mo­ti­viert ist, wo­bei die bloße Mit­ursächlich­keit genügt (vgl. et­wa BAG 26. Ju­ni 2014 - 8 AZR 547/13 - Rn. 34 mwN). Zu­dem darf die mit ei­ner ne­ga­ti­ven Aus­wah­l­ent­schei­dung des Ar­beit­ge­bers ver­bun­de­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung des/der Be­wer­bers/Be­wer­be­rin iSv. § 3 Abs. 1 AGG nicht nach §§ 8, 9 oder § 10 AGG zulässig sein. Ob­gleich nicht zu ver­ken­nen ist, dass ei­ne er­folg­lo­se Be­wer­bung auf ei­ne Stel­len­aus­schrei­bung, die For­mu­lie­run­gen, insb. An­for­de­run­gen enthält, die mit­tel­bar oder un­mit­tel­bar an ei­nen der in § 1 AGG ge­nann­ten Gründe an­knüpfen und des­halb „auf den ers­ten Blick“ den An­schein er­we­cken, der Ar­beit­ge­ber ha­be den Ar­beits­platz un­ter Ver­s­toß ge­gen § 11 AGG aus­ge­schrie­ben, die Er­folgs­aus­sich­ten ei­ner späte­ren Entschädi­gungs­kla­ge

 

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erhöht, ist es kei­nes­falls aus­ge­schlos­sen, dass die Kla­ge ab­ge­wie­sen wird, weil der er­for­der­li­che Kau­sal­zu­sam­men­hang zwi­schen dem Grund iSv. § 1 AGG und der be­nach­tei­li­gen­den Hand­lung nicht ge­ge­ben ist oder weil sich die mit der Ab­leh­nung der Be­wer­bung ver­bun­de­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung des Be­wer­bers/der Be­wer­be­rin iSv. § 3 Abs. 1 AGG nach §§ 8, 9 oder § 10 AGG als zulässig er­weist. 

(aaa) § 22 AGG sieht für den Rechts­schutz bei Dis­kri­mi­nie­run­gen im Hin­blick auf den Kau­sal­zu­sam­men­hang ei­ne Er­leich­te­rung der Dar­le­gungs­last, ei­ne Ab­sen­kung des Be­weis­maßes und ei­ne Um­kehr der Be­weis­last vor. Wenn im Streit­fall die ei­ne Par­tei In­di­zi­en be­weist, die ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des ver­mu­ten las­sen, trägt nach § 22 AGG die an­de­re Par­tei die Be­weis­last dafür, dass kein Ver­s­toß ge­gen die Be­stim­mun­gen zum Schutz vor Be­nach­tei­li­gung vor­ge­le­gen hat. Da­nach genügt ei­ne Per­son, die sich durch ei­ne Ver­let­zung des Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes für be­schwert hält, ih­rer Dar­le­gungs­last be­reits dann, wenn sie In­di­zi­en vorträgt, die mit über­wie­gen­der Wahr­schein­lich­keit dar­auf schließen las­sen, dass ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des er­folgt ist (vgl. BAG 21. Ju­ni 2012 - 8 AZR 364/11 - Rn. 33, BA­GE 142, 158; 15. März 2012 - 8 AZR 37/11 - Rn. 65, BA­GE 141, 48). Be­steht die Ver­mu­tung ei­ner Be­nach­tei­li­gung, trägt die an­de­re Par­tei die Dar­le­gungs- und Be­weis­last dafür, dass der Gleich­be­hand­lungs­grund­satz nicht ver­letzt wor­den ist (vgl. EuGH 25. April 2013 - C-81/12 - [Aso­cia­tia AC­CEPT] Rn. 55 mwN; 10. Ju­li 2008 - C-54/07 - [Fe­ryn] Rn. 32, Slg. 2008, I-5187; BAG 26. Sep­tem­ber 2013 - 8 AZR 650/12 - Rn. 27). Hierfür gilt je­doch das Be­weis­maß des sog. Voll­be­wei­ses (vgl. et­wa BAG 18. Sep­tem­ber 2014 - 8 AZR 753/13 - Rn. 33). Der Ar­beit­ge­ber muss dem­nach Tat­sa­chen vor­tra­gen und ggf. be­wei­sen, aus de­nen sich er­gibt, dass aus­sch­ließlich an­de­re als die in § 1 AGG ge­nann­ten Gründe zu ei­ner ungüns­ti­ge­ren Be­hand­lung geführt ha­ben (vgl. et­wa BAG 16. Fe­bru­ar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 58; 17. Au­gust 2010 - 9 AZR 839/08 - Rn. 45).  

(bbb) Auch wenn ei­ne Stel­len­aus­schrei­bung For­mu­lie­run­gen, insb. An­for­de­run­gen enthält, die „auf den ers­ten Blick“ den An­schein er­we­cken, der Ar­beit-

 

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ge­ber ha­be den Ar­beits­platz un­ter Ver­s­toß ge­gen § 11 AGG aus­ge­schrie­ben, be­gründet dies nicht oh­ne Wei­te­res die Ver­mu­tung, der/die Be­wer­ber/in sei im Aus­wahl- und Stel­len­be­set­zungs­ver­fah­ren we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des be­nach­tei­ligt wor­den. Ei­ne sol­che Ver­mu­tung be­steht viel­mehr nur dann, wenn die Stel­len­aus­schrei­bung ge­gen § 11 AGG verstößt. Dies ist in­des selbst bei For­mu­lie­run­gen, insb. An­for­de­run­gen in Stel­len­aus­schrei­bun­gen, die ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des be­wir­ken, dann nicht der Fall, wenn die Dis­kri­mi­nie­rung nach §§ 8, 9 oder § 10 AGG zulässig ist. Und bei For­mu­lie­run­gen, insb. An­for­de­run­gen in Stel­len­aus­schrei­bun­gen, die ei­ne mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des be­wir­ken können, schei­det nach § 3 Abs. 2 AGG ein Ver­s­toß ge­gen § 11 AGG dann aus, wenn die An­for­de­rung durch ein rechtmäßiges Ziel sach­lich ge­recht­fer­tigt und zur Er­rei­chung die­ses Ziels an­ge­mes­sen und er­for­der­lich ist. Ob­wohl § 11 AGG nach sei­nem Wort­laut nur auf § 7 Abs. 1 AGG ver­weist, muss die Be­stim­mung so aus­ge­legt wer­den, dass ein Ver­s­toß ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot des § 7 Abs. 1 AGG nicht vor­liegt, wenn die mögli­che mit­tel­ba­re oder die un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung nach § 3 Abs. 2 AGG oder §§ 8, 9 oder § 10 AGG ge­recht­fer­tigt ist. Es ist kein Grund er­sicht­lich, war­um Stel­len­aus­schrei­bun­gen stren­ge­ren An­for­de­run­gen un­ter­lie­gen soll­ten als dies bei al­len an­de­ren be­nach­tei­li­gen­den Hand­lun­gen iSd. AGG der Fall ist. 

(ccc) Aber auch dann, wenn die Stel­le un­ter Ver­s­toß ge­gen § 11 AGG aus­ge­schrie­ben wur­de und des­halb die Ver­mu­tung be­steht, dass der/die er­folg­lo­se Be­wer­ber/in we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des be­nach­tei­ligt wur­de, genügt dies nicht oh­ne Wei­te­res für ei­ne er­folg­rei­che Gel­tend­ma­chung ei­nes Entschädi­gungs­an­spruchs. Dem Ar­beit­ge­ber bleibt es nämlich un­be­nom­men, Tat­sa­chen vor­zu­tra­gen und ggf. zu be­wei­sen, aus de­nen sich er­gibt, dass aus­sch­ließlich an­de­re als die in § 1 AGG ge­nann­ten Gründe zu ei­ner ungüns­ti­ge­ren Be­hand­lung geführt ha­ben. 

(ddd) Zu­dem ist es nicht von vorn­her­ein aus­ge­schlos­sen, dass sich die mit der Ab­leh­nung der Be­wer­bung ver­bun­de­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung

 

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des/der Be­wer­bers/Be­wer­be­rin im Ein­zel­fall nach §§ 8, 9 oder § 10 AGG als zulässig er­weist. 

(c) Vor die­sem Hin­ter­grund und un­ter Berück­sich­ti­gung des Um­stands, dass selbst dann, wenn die Gel­tend­ma­chung von Entschädi­gungs­ansprüchen auf­grund an­de­rer er­folg­lo­ser Be­wer­bun­gen rechts­miss­bräuch­lich (ge­we­sen) sein soll­te, dies nicht oh­ne Wei­te­res auch für die je­weils streit­ge­genständ­li­che gel­ten muss, sind an die An­nah­me des durch­grei­fen­den Rechts­miss­brauchs­ein­wands ho­he An­for­de­run­gen zu stel­len. Es müssen im Ein­zel­fall be­son­de­re Umstände vor­lie­gen, die aus­nahms­wei­se den Schluss auf ein rechts­miss­bräuch­li­ches Ver­hal­ten recht­fer­ti­gen. Dies kann in die­sem Zu­sam­men­hang nur an­ge­nom­men wer­den, wenn sich ein sys­te­ma­ti­sches und ziel­ge­rich­te­tes Vor­ge­hen der Per­son fest­stel­len lässt, das auf der Erwägung be­ruht, bei wirt­schaft­li­cher Be­trach­tungs­wei­se wer­de letzt­lich ein auskömm­li­cher „Ge­winn“ ver­blei­ben, weil der Ar­beit­ge­ber - sei es be­reits un­ter dem Druck ei­ner an­gekündig­ten Entschädi­gungs­kla­ge oder im Ver­lau­fe ei­nes Entschädi­gungs­pro­zes­ses - frei­wil­lig die For­de­rung erfüllt oder sich ver­gleichs­wei­se auf ei­ne Entschädi­gungs­zah­lung einlässt.  

(d) Da­nach hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt zu Un­recht an­ge­nom­men, der vom Kläger gel­tend ge­mach­te Entschädi­gungs­an­spruch sei dem durch­grei­fen­den Rechts­miss­brauchs­ein­wand aus­ge­setzt. Es kann da­hin­ste­hen, ob der Um­stand, dass der Kläger im Fal­le der Ab­leh­nung sei­ner Be­wer­bung vom Ar­beit­ge­ber stets Scha­dens­er­satz und Entschädi­gung iHv. 60.000,00 Eu­ro ge­for­dert hat, im Rah­men der Würdi­gung, ob im vor­lie­gen­den Fall Rechts­miss­brauch an­zu­neh­men ist, über­haupt von Be­deu­tung ist. Die bis­lang vom Lan­des­ar­beits­ge­richt fest­ge­stell­ten Umstände recht­fer­ti­gen - auch un­ter Berück­sich­ti­gung die­ses Um­stands - nicht den Schluss, auch die Be­wer­bung des Klägers auf die von der Be­klag­ten zu 1. aus­ge­schrie­be­ne Stel­le und die sich an die Ab­leh­nung an­sch­ließen­de Entschädi­gungs­kla­ge sei­en Teil ei­nes sys­te­ma­ti­schen und ziel­ge­rich­te­ten Vor­ge­hens des Klägers im Rah­men des un­ter Rn. 58 dar­ge­stell­ten „Geschäfts­mo­dells“. Viel­mehr ver­bleibt die „gu­te Möglich­keit“, dass der Kläger ein ernst­haf­tes In­ter­es­se an dem Er­halt der Stel­le hat­te, und dass er mit der  

 

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Er­he­bung der Entschädi­gungs­kla­ge zulässi­ger­wei­se sei­ne Rech­te nach dem AGG wahr­ge­nom­men hat. Umstände, die ggf. ei­ne an­de­re Be­ur­tei­lung ge­bie­ten könn­ten, hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt nicht fest­ge­stellt. Es gibt we­der Fest­stel­lun­gen da­zu, wie häufig der Kläger sich ins­ge­samt auf Stel­len­aus­schrei­bun­gen be­wor­ben hat, die „auf den ers­ten Blick“ den An­schein er­weck­ten, die Stel­le sei un­ter Ver­s­toß ge­gen § 11 AGG aus­ge­schrie­ben wor­den, noch, wie ar­beit­ge­ber­sei­tig auf ein Gel­tend­ma­chungs­schrei­ben des Klägers re­agiert wur­de, noch, wie der Kläger sich in den 16 vom Lan­des­ar­beits­ge­richt fest­ge­stell­ten Entschädi­gungs­pro­zes­sen pro­zes­su­al ver­hal­ten hat und ob und ggf. wann die Ver­fah­ren in wel­cher In­stanz mit wel­chem Er­geb­nis be­en­det wur­den. Be­reits des­halb kommt es auf die Fra­ge, ob der Kläger sich auch auf Stel­len­aus­schrei­bun­gen be­wor­ben hat, de­ren In­halt kei­nen An­lass für die An­nah­me ei­ner Dis­kri­mi­nie­rung bot, nicht an. 

B. Die An­nah­me des Lan­des­ar­beits­ge­richts, die Kla­ge sei un­be­gründet, stellt sich auch nicht aus an­de­ren Gründen als rich­tig dar (§ 561 ZPO). 

I. Der persönli­che An­wen­dungs­be­reich des AGG ist eröff­net. Für den Kläger er­gibt sich dies aus § 6 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AGG.

Der Kläger ist als Be­wer­ber für ein Beschäfti­gungs­verhält­nis Beschäftig­ter iSd. AGG (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AGG). Dies folgt be­reits aus dem Um­stand, dass er ei­ne Be­wer­bung ein­ge­reicht hat. § 6 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AGG enthält ei­nen for­ma­len Be­wer­ber­be­griff. So­weit teil­wei­se in der Recht­spre­chung des Se­nats zusätz­lich die „sub­jek­ti­ve Ernst­haf­tig­keit der Be­wer­bung“ ge­for­dert wur­de (ua. BAG 18. Ju­ni 2015 - 8 AZR 848/13 (A) - Rn. 24; 19. Au­gust 2010 - 8 AZR 466/09 - Rn. 28; 21. Ju­li 2009 - 9 AZR 431/08 - Rn. 50, BA­GE 131, 232; vgl. je­doch of­fen­las­send oder ent­ge­gen­ge­setzt ua.: BAG 16. Fe­bru­ar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 24; 23. Au­gust 2012 - 8 AZR 285/11 - Rn. 18; 13. Ok­to­ber 2011 - 8 AZR 608/10 - Rn. 51 bis 56; 19. Au­gust 2010 - 8 AZR 530/09 - Rn. 32), hält der Se­nat hier­an nicht fest. Ei­ne sol­che Vor­aus­set­zung er­gibt sich we­der aus dem Wort­laut der Be­stim­mung und dem durch ihn ver­mit­tel­ten Wort­sinn noch aus dem Ge­samt­zu­sam­men­hang der Re­ge­lung oder ih­rem Sinn und Zweck. Die Fra­ge, ob ei­ne Be­wer­bung „nicht ernst­haft“ war, weil

 

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ei­ne Per­son sich nicht be­wor­ben hat, um die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le zu er­hal­ten, son­dern um ei­ne Entschädi­gung gel­tend zu ma­chen, be­trifft viel­mehr die Fra­ge, ob die­se sich un­ter Ver­s­toß ge­gen Treu und Glau­ben (§ 242 BGB) den for­ma­len Sta­tus als Be­wer­ber iSv. § 6 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AGG ver­schafft und da­mit für sich den persönli­chen An­wen­dungs­be­reich des AGG treu­wid­rig eröff­net hat, wes­halb der Aus­nut­zung die­ser Rechts­po­si­ti­on der durch­grei­fen­de Rechts­miss­brauchs­ein­wand ent­ge­gen­ste­hen könn­te (vgl. auch BAG 24. Ja­nu­ar 2013 - 8 AZR 429/11 - Rn. 25; 23. Au­gust 2012 - 8 AZR 285/11 - Rn. 18; 16. Fe­bru­ar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 24). 

II. Der Kläger hat den Entschädi­gungs­an­spruch auch frist- und form­ge­recht gel­tend ge­macht und ein­ge­klagt (§ 15 Abs. 4 AGG, § 61b Abs. 1 ArbGG).  

III. Der Entschädi­gungs­an­spruch des Klägers ist auch nicht auf­grund an­de­rer als der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt sei­ner Würdi­gung zu­grun­de ge­leg­ten Umstände dem durch­grei­fen­den Rechts­miss­brauchs­ein­wand (§ 242 BGB) aus­ge­setzt. Die von den Be­klag­ten in­so­weit vor­ge­tra­ge­nen Umstände las­sen we­der für sich be­trach­tet noch in ei­ner Ge­samt­schau den Schluss auf ein rechts­miss­bräuch­li­ches Ver­hal­ten des Klägers zu.  

1. So­weit die Be­klag­ten gel­tend ma­chen, der Kläger ha­be die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le nicht an­tre­ten können, weil er als Ein­zel­an­walt ein De­zer­nat mit lau­fen­den Man­dats­verhält­nis­sen nicht kurz­fris­tig ha­be auf­ge­ben können, lässt dies nicht auf ei­nen Rechts­miss­brauch schließen. Dass ein bis­her als Ein­zel­an­walt täti­ger Rechts­an­walt vor der Auf­nah­me ei­ner an­de­ren Tätig­keit ggf. Zeit benötigt, die bis­he­ri­ge Kanz­lei zu über­ge­ben oder ab­zu­wi­ckeln, mag zwar ein tatsächli­ches Hin­der­nis für ei­ne so­for­ti­ge Ar­beits­auf­nah­me sein; es ist je­doch fern­lie­gend, dar­aus zu schließen, der Kläger ha­be sich auf die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le nur be­wor­ben, um die for­ma­le Po­si­ti­on als Be­wer­ber iSv. § 6 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AGG zu er­lan­gen mit dem aus­sch­ließli­chen Ziel, Entschädi­gungs­ansprüche gel­tend zu ma­chen. Glei­ches gilt, so­weit die Be­klag­ten anführen, im Hin­blick auf die fach­li­che Aus­rich­tung und Spe­zia­li­sie­rung der Kanz­lei hätte der Kläger erläutern müssen, wes­halb er ge­ra­de an ei­ner Tätig­keit bei ih­nen in­ter­es­siert sei, in­so­weit sei die Be­wer­bung des Klägers nicht nach­voll-

 

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zieh­bar, und sie mut­maßen, der Kläger ha­be sei­ne Be­wer­bung mit ei­nem sog. An­walt­s­pro­gramm an­ge­fer­tigt. Auch der Um­stand, dass der Kläger im In­ter­net da­mit wirbt, als Ein­zel­an­walt im­mer für sei­ne Man­dan­ten als persönli­cher An­sprech­part­ner zur Verfügung zu ste­hen und dass er je­den­falls zeit­wei­se als Rechts­an­walt im Be­reich von Ab­mah­nun­gen tätig war, lässt nicht auf ei­nen Rechts­miss­brauch schließen. Letzt­lich kann der Rechts­miss­brauchs­ein­wand auch nicht er­folg­reich dar­auf gestützt wer­den, dass der Kläger wei­ter­hin sei­ne Kanz­lei be­trie­ben und nicht ab­ge­wi­ckelt hat. Im Ge­gen­teil liegt ein sol­ches Ver­hal­ten bei ei­ner Er­folg­lo­sig­keit von Be­wer­bungs­bemühun­gen auf der Hand.  

2. So­weit die Be­klag­ten sich dar­auf be­ru­fen, dass der Kläger am En­de sei­nes Gel­tend­ma­chungs­schrei­bens vom 26. No­vem­ber 2012 ne­ben Scha­dens­er­satz und Entschädi­gung ei­ne Er­stat­tung an­walt­li­cher Gebühren und Aus­la­gen ge­for­dert hat, liegt dar­in al­lein kein Um­stand, der den Schluss auf ein rechts­miss­bräuch­li­ches Ver­hal­ten des Klägers zu­ließe. Es gibt kei­nen Er­fah­rungs­satz des In­halts, dass ein Rechts­an­walt, der sich er­folg­los auf ei­ne aus­ge­schrie­be­ne Stel­le (als Rechts­an­walt) be­wor­ben hat und be­reits in sei­nem Gel­tend­ma­chungs­schrei­ben nicht nur Entschädi­gung und Scha­dens­er­satz, son­dern auch die Zah­lung an­walt­li­cher Gebühren und Aus­la­gen for­dert, von vorn­her­ein nur die Ab­sicht hat­te, sich die for­ma­le Po­si­ti­on ei­nes Be­wer­bers iSv. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG zu ver­schaf­fen mit dem al­lei­ni­gen Ziel, Entschädi­gungs­ansprüche gel­tend zu ma­chen. Es kann da­hin­ste­hen, ob und ggf. wel­che Be­deu­tung die­sem Um­stand im Rah­men der Prüfung zu­kommt, ob das Entschädi­gungs­ver­lan­gen aus­nahms­wei­se dem durch­grei­fen­den Rechts­miss­brauchs­ein­wand aus­ge­setzt ist, weil sich ein sys­te­ma­ti­sches und ziel­ge­rich­te­tes Vor­ge­hen der Per­son fest­stel­len lässt, das auf der Erwägung be­ruht, bei wirt­schaft­li­cher Be­trach­tungs­wei­se wer­de letzt­lich ein auskömm­li­cher „Ge­winn“ ver­blei­ben. In ei­nem Fall wie dem vor­lie­gen­den, in dem po­ten­ti­el­ler Ar­beit­ge­ber ei­ne Rechts­an­walts­kanz­lei ist, ist die An­nah­me fern­lie­gend, der Kläger ha­be dar­auf spe­ku­liert, den Be­klag­ten sei die in § 12a ArbGG zur Kos­ten­tra­gungs­pflicht ge­trof­fe­ne Be­stim­mung un­be­kannt und die­se sei­en nicht in der La­ge, die Ri­si­ken ei­nes Entschädi­gungs­pro­zes­ses ein­zuschätzen, und würden sich des­halb be­reits

 

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durch das Gel­tend­ma­chungs­schrei­ben so sehr be­ein­dru­cken las­sen, dass sie al­lein zur Ver­mei­dung wei­te­rer Kos­ten frühzei­tig „klein bei­ge­ben“. 

3. So­weit die Be­klag­ten schließlich be­haup­ten, der Kläger ha­be im Rah­men ei­nes Te­le­fo­nats mit dem Be­klag­ten zu 3. am 27. No­vem­ber 2012 geäußert, sei­ner­seits be­ste­he kein In­ter­es­se an ei­ner Mit­ar­beit in der Kanz­lei der Be­klag­ten, er wol­le le­dig­lich ei­ne Zah­lung, ist die­ses Vor­brin­gen un­be­acht­lich. Die Be­klag­ten ha­ben schon nicht sub­stan­ti­iert zum Ver­lauf des Gesprächs vor­ge­tra­gen, was vor dem Hin­ter­grund, dass der Kläger sich ge­genüber der Be­haup­tung der Be­klag­ten da­hin ver­tei­digt hat­te, er ha­be kein feh­len­des In­ter­es­se an ei­ner Mit­ar­beit in der Kanz­lei der Be­klag­ten geäußert, son­dern viel­mehr ge­sagt, dass nach Ab­leh­nung sei­ner Be­wer­bung durch die Ge­gen­sei­te ei­ne „Hei­lung“ des Ver­s­toßes ge­gen das AGG nicht in­fra­ge kom­me, aber er­for­der­lich ge­we­sen wäre.  

C. Auf­grund der bis­lang vom Lan­des­ar­beits­ge­richt ge­trof­fe­nen Fest­stel­lun­gen kann der Se­nat nicht ab­sch­ließend be­ur­tei­len, ob und ggf. in wel­cher Höhe die zulässi­ge Kla­ge be­gründet ist. Zu­dem ist den Par­tei­en Ge­le­gen­heit zu wei­te­rem Vor­brin­gen zu ge­ben. Dies führt zur Auf­he­bung des an­ge­foch­te­nen Ur­teils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurück­ver­wei­sung der Sa­che zur neu­en Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das Lan­des­ar­beits­ge­richt (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).  

I. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat - aus sei­ner Sicht kon­se­quent - nicht ge­prüft, ob der Kläger ent­ge­gen den Be­stim­mun­gen des AGG im Aus­wahl­ver­fah­ren we­gen sei­nes Al­ters be­nach­tei­ligt wur­de und hier­zu kei­ne Fest­stel­lun­gen ge­trof­fen. Dies wird das Lan­des­ar­beits­ge­richt nach­zu­ho­len ha­ben.  

1. Da­bei wird das Lan­des­ar­beits­ge­richt zunächst zu be­ach­ten ha­ben, dass die Ver­mu­tung iSv. § 22 AGG, dass der Kläger im späte­ren Aus­wahl­ver­fah­ren we­gen sei­nes Al­ters be­nach­tei­ligt wur­de, dann bestünde, wenn die Be­klag­te zu 1. die Stel­le, auf die sich der Kläger bei die­ser be­wor­ben hat, ent­ge­gen den Vor­ga­ben von § 11 AGG un­ter Ver­s­toß ge­gen das Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters (§ 7 Abs. 1 iVm. § 1 AGG) aus­ge­schrie­ben hat.

 

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Das Lan­des­ar­beits­ge­richt wird da­bei zu be­ach­ten ha­ben, dass das in der Stel­len­aus­schrei­bung ent­hal­te­ne An­for­de­rungs­kri­te­ri­um, mit dem ein Rechts­an­walt (m/w) „mit 0 - 2 Jah­ren Be­rufs­er­fah­rung“ ge­sucht wird, Per­so­nen we­gen des in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des „Al­ter“ ge­genüber an­de­ren Per­so­nen in be­son­de­rer Wei­se be­nach­tei­li­gen kann iSv. § 3 Abs. 2 AGG und dass die For­mu­lie­rung in der Stel­len­aus­schrei­bung, wo­nach dem/der Be­wer­ber/in ei­ne lang­fris­ti­ge Per­spek­ti­ve in ei­nem „jun­gen und dy­na­mi­schen Team“ ge­bo­ten wird, ei­ne un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters be­wirkt, so­dass es im Hin­blick auf die Fra­ge, ob die Stel­le ent­ge­gen den An­for­de­run­gen des § 11 AGG aus­ge­schrie­ben wur­de und des­halb die Ver­mu­tung be­steht, dass der Kläger im späte­ren Aus­wahl­ver­fah­ren we­gen sei­nes Al­ters be­nach­tei­ligt wur­de, nur noch dar­auf an­kommt, ob die un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters nach § 8 Abs. 1 oder § 10 AGG zulässig ist. Soll­te dies der Fall sein, wäre auch ei­ne mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung ge­recht­fer­tigt, da die An­for­de­run­gen an die Recht­fer­ti­gung ei­ner mit­tel­ba­ren Be­nach­tei­li­gung nicht höher als die­je­ni­gen an die Recht­fer­ti­gung ei­ner un­mit­tel­ba­ren Be­nach­tei­li­gung sind (vgl. EuGH 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Con­cern Eng­land] Rn. 62, 65, 66, Slg. 2009, I-1569; BAG 11. Au­gust 2009 - 3 AZR 23/08 - Rn. 35 mwN, BA­GE 131, 298).  

a) Die in der Stel­len­aus­schrei­bung ent­hal­te­ne An­for­de­rung „mit 0 - 2 Jah­ren Be­rufs­er­fah­rung“ kann Per­so­nen we­gen des in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des „Al­ter“ ge­genüber an­de­ren Per­so­nen in be­son­de­rer Wei­se be­nach­tei­li­gen. 

Bei der Be­rufs­er­fah­rung han­delt es sich um ein Kri­te­ri­um, das dem An­schein nach neu­tral ist iSv. § 3 Abs. 2 AGG. Un­mit­tel­bar wird da­mit nicht auf ein be­stimm­tes Al­ter Be­zug ge­nom­men. Je­doch ist das Kri­te­ri­um der Be­rufs­er­fah­rung mit­tel­bar mit dem in § 1 AGG ge­nann­ten Grund „Al­ter“ ver­knüpft. Be­wer­ber/in­nen mit ei­ner länge­ren Be­rufs­er­fah­rung wei­sen ge­genüber Be­rufs­anfänger/in­nen und ge­genüber Be­wer­ber/in­nen mit ers­ter oder kur­zer Be­rufs­er­fah­rung ty­pi­scher­wei­se ein höhe­res Le­bens­al­ter auf (vgl. nur BAG 18. Au­gust 2009 - 1 ABR 47/08 - Rn. 33, BA­GE 131, 342). Da die Be­klag­te zu 1. mit der in der Stel­len­aus­schrei­bung ent­hal­te­nen An­for­de­rung „mit 0 - 2 Jah­ren Be­rufs­er­fah­rung“ si­gna­li­siert, le­dig­lich In­ter­es­se an der Ge­win­nung jünge­rer Mit­ar­bei­ter/

 

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in­nen zu ha­ben, ist die­se An­for­de­rung ge­eig­net, älte­re ge­genüber jünge­ren Per­so­nen we­gen des Al­ters in be­son­de­rer Wei­se zu be­nach­tei­li­gen. Ty­pi­scher­wei­se wer­den älte­re Per­so­nen al­lein we­gen die­ser An­for­de­rung häufig von vorn­her­ein von ei­ner Be­wer­bung ab­se­hen. Dar­an ändert auch der Um­stand nichts, dass be­ruf­li­che Le­bensläufe heut­zu­ta­ge vielfälti­ger sind als früher und ein Wech­sel von ei­ner ju­ris­ti­schen Tätig­keit in ei­ne an­de­re ju­ris­ti­sche Tätig­keit auch nach länge­ren Be­rufs­jah­ren, ggf. auch erst nach dem Er­rei­chen des re­gulären Pen­si­ons­al­ters er­fol­gen kann. Der Be­fund, dass Be­rufs­anfänger/in­nen und Per­so­nen mit kur­zer Be­rufs­er­fah­rung ty­pi­scher­wei­se jun­ge Men­schen sind, be­steht je­doch nach wie vor. 

b) Die For­mu­lie­rung in der Stel­len­aus­schrei­bung, wo­nach dem/der Be­wer­ber/in ei­ne lang­fris­ti­ge Per­spek­ti­ve in ei­nem „jun­gen und dy­na­mi­schen Team“ ge­bo­ten wird, be­wirkt ei­ne un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters iSv. § 3 Abs. 1 AGG.  

Mit dem Be­griff „jung“ wird un­mit­tel­bar an das Le­bens­al­ter an­ge­knüpft. Verstärkt wird die­se Be­zug­nah­me auf das Le­bens­al­ter durch die Ver­bin­dung mit dem Be­griff „dy­na­misch“, der ei­ne Ei­gen­schaft be­schreibt, die im All­ge­mei­nen eher jünge­ren als älte­ren Men­schen zu­ge­schrie­ben wird. Wird in ei­ner Stel­len­aus­schrei­bung - wie hier - dar­auf hin­ge­wie­sen, dass ei­ne lang­fris­ti­ge Per­spek­ti­ve in ei­nem „jun­gen und dy­na­mi­schen Team“ ge­bo­ten wird, enthält die­ser Hin­weis re­gelmäßig nicht nur die Bot­schaft an po­ten­ti­el­le Stel­len­be­wer­ber/in­nen, dass die Mit­glie­der des Teams jung und des­halb dy­na­misch sind. Ei­ne sol­che An­ga­be in ei­ner Stel­len­an­zei­ge kann aus der Sicht ei­nes ob­jek­ti­ven Empfängers zu­dem re­gelmäßig nur so ver­stan­den wer­den, dass der Ar­beit­ge­ber ei­nen Ar­beit­neh­mer/ei­ne Ar­beit­neh­me­rin sucht, der/die in das Team passt, weil er/sie eben­so jung und dy­na­misch ist wie die Mit­glie­der des vor­han­de­nen Teams. Die An­nah­me, dass mit der Be­schrei­bung des Teams als „jung“ und „dy­na­misch“ der Zweck ver­folgt wird, den po­ten­ti­el­len Be­wer­ber/die po­ten­ti­el­le Be­wer­be­rin darüber zu in­for­mie­ren, dass das Team selbst noch nicht lan­ge Zeit be­steht, ist dem­ge­genüber fern­lie­gend, wenn die­ser Um­stand nicht zu­gleich in der Stel­len­aus­schrei­bung erläutert wird. So­fern dies - wie hier - nicht der Fall ist, kann der

 

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Zweck ei­ner sol­chen Stel­len­be­schrei­bung nur dar­in be­ste­hen, ei­nen zum vor­han­de­nen Team pas­sen­den neu­en Beschäftig­ten zu ge­win­nen. An­dern­falls wäre die so for­mu­lier­te Stel­len­be­schrei­bung oh­ne Aus­sa­ge­ge­halt und da­mit überflüssig. 

c) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt wird dem­nach ggf. zu prüfen ha­ben, ob die mit der For­mu­lie­rung „in ei­nem jun­gen und dy­na­mi­schen Team“ be­wirk­te un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters nach § 8 AGG oder nach § 10 AGG zulässig ist. Da­bei wird es zu be­ach­ten ha­ben, dass sich so­wohl § 8 AGG als auch § 10 AGG als für den Ar­beit­ge­ber güns­ti­ge Aus­nah­me vom grundsätz­li­chen Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des, hier des Al­ters, dar­stel­len (vgl. hier­zu et­wa EuGH 13. Sep­tem­ber 2011 - C-447/09 - [Prig­ge ua.] Rn. 72 und 81, Slg. 2011, I-8003; 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Con­cern Eng­land] Rn. 46, Slg. 2009, I-1569), wes­halb den Ar­beit­ge­ber - hier die Be­klag­ten - be­reits nach den all­ge­mei­nen Re­geln des na­tio­na­len Rechts die Dar­le­gungs- und Be­weis­last für das Vor­lie­gen der in den Be­stim­mun­gen ent­hal­te­nen Vor­aus­set­zun­gen trifft (zur Dar­le­gungs- und Be­weis­last nach Art. 6 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG vgl. et­wa EuGH 21. Ju­li 2011 - C-159/10, C-160/10 - [Fuchs und Köhler] Rn. 83, Slg. 2011, I-6919). 

aa) Nach § 8 Abs. 1 AGG ist ei­ne un­ter­schied­li­che Be­hand­lung we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des zulässig, wenn die­ser Grund we­gen der Art der aus­zuüben­den Tätig­keit oder der Be­din­gun­gen ih­rer Ausübung ei­ne we­sent­li­che und ent­schei­den­de be­ruf­li­che An­for­de­rung dar­stellt, so­fern der Zweck rechtmäßig und die An­for­de­rung an­ge­mes­sen ist.  

§ 8 Abs. 1 AGG dient der Um­set­zung von Art. 4 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG in das na­tio­na­le Recht. § 8 Abs. 1 AGG ist uni­ons­rechts­kon­form in Übe­rein­stim­mung mit der Richt­li­nie un­ter Berück­sich­ti­gung der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs der Eu­ropäischen Uni­on eng aus­zu­le­gen. Ei­ne Un­gleich­be­hand­lung we­gen des Al­ters ist nach § 8 Abs. 1 AGG nur ge­recht­fer­tigt, wenn sämt­li­che in der Be­stim­mung ge­nann­ten Vor­aus­set­zun­gen erfüllt sind. Stellt ein Merk­mal, das ins­be­son­de­re mit dem Al­ter zu­sam­menhängt, ei­ne we­sent­li­che und ent­schei­den­de be­ruf­li­che An­for­de­rung dar, kann ei­ne un­ter-

 

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schied­li­che Be­hand­lung zu­dem nur un­ter sehr be­grenz­ten Be­din­gun­gen ge­recht­fer­tigt sein (EuGH 13. Sep­tem­ber 2011 - C-447/09 - [Prig­ge ua.] Rn. 71, Slg. 2011, I-8003).  

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt wird bei der An­wen­dung von § 8 Abs. 1 AGG zu­dem zu be­ach­ten ha­ben, dass nicht der Grund, auf den die Un­gleich­be­hand­lung gestützt ist, son­dern nur ein mit die­sem Grund im Zu­sam­men­hang ste­hen­des Merk­mal ei­ne we­sent­li­che und ent­schei­den­de be­ruf­li­che An­for­de­rung dar­stel­len kann und dass ein sol­ches Merk­mal - oder sein Feh­len - nur dann ei­ne we­sent­li­che und ent­schei­den­de be­ruf­li­che An­for­de­rung iSd. § 8 Abs. 1 AGG ist, wenn da­von die ord­nungs­gemäße Durchführung der Tätig­keit abhängt (vgl. et­wa EuGH 13. Sep­tem­ber 2011 - C-447/09 - [Prig­ge ua.] Rn. 66, Slg. 2011, I-8003; 12. Ja­nu­ar 2010 - C-229/08 - [Wolf] Rn. 35, Slg. 2010, I-1; BAG 22. Mai 2014 - 8 AZR 662/13 - Rn. 34, BA­GE 148, 158).

bb) Nach § 10 Satz 1 AGG ist ei­ne un­ter­schied­li­che Be­hand­lung we­gen des Al­ters zulässig, wenn sie ob­jek­tiv und an­ge­mes­sen und durch ein le­gi­ti­mes Ziel ge­recht­fer­tigt ist. Nach § 10 Satz 2 AGG müssen die Mit­tel zur Er­rei­chung die­ses Ziels an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sein. § 10 Satz 3 AGG enthält ei­ne nicht ab­sch­ließen­de Aufzählung von Tat­beständen, nach de­nen un­ter­schied­li­che Be­hand­lun­gen we­gen des Al­ters iSv. § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG ins­be­son­de­re ge­recht­fer­tigt sein können (vgl. et­wa BAG 24. Ja­nu­ar 2013 - 8 AZR 429/11 - Rn. 45; 25. Fe­bru­ar 2010 - 6 AZR 911/08 - Rn. 35, BA­GE 133, 265; 22. Ja­nu­ar 2009 - 8 AZR 906/07 - Rn. 40, BA­GE 129, 181). 

Bei der An­wen­dung von § 10 AGG wird das Lan­des­ar­beits­ge­richt Fol­gen­des zu be­ach­ten ha­ben: 

(1) § 10 AGG dient der Um­set­zung von Art. 6 der Richt­li­nie 2000/78/EG in das na­tio­na­le Recht (da­zu auch BAG 18. März 2014 - 3 AZR 69/12 - Rn. 21, BA­GE 147, 279), wo­bei die Richt­li­nie ih­rer­seits das primärrecht­li­che Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters als all­ge­mei­ner Grund­satz des Uni­ons­rechts (EuGH 22. No­vem­ber 2005 - C-144/04 - [Man­gold] Rn. 75, Slg. 2005, I-9981; BVerfG 21. April 2015 - 2 BvR 1322/12, 2 BvR 1989/12 - Rn. 63, BVerfGE 139, 19) so­wie das in Art. 21 der Char­ta der Grund­rech­te der Eu­ropäischen Uni­on

 

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ver­an­ker­te Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters kon­kre­ti­siert (EuGH 13. Sep­tem­ber 2011 - C-447/09 - [Prig­ge ua.] Rn. 38, Slg. 2011, I-8003; BVerfG 21. April 2015 - 2 BvR 1322/12, 2 BvR 1989/12 - aaO). § 10 AGG ist uni­ons­rechts­kon­form in Übe­rein­stim­mung mit der Richt­li­nie un­ter Berück­sich­ti­gung der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs der Eu­ropäischen Uni­on aus­zu­le­gen (da­zu auch BAG 21. Ok­to­ber 2014 - 9 AZR 956/12 - Rn. 17, BA­GE 149, 315; 12. Ju­ni 2013 - 7 AZR 917/11 - Rn. 32; 5. März 2013 - 1 AZR 417/12 - Rn. 40). 

(2) § 10 Satz 1 AGG de­fi­niert nicht, was un­ter ei­nem le­gi­ti­men Ziel zu ver­ste­hen ist. Für die Kon­kre­ti­sie­rung des Be­griffs des le­gi­ti­men Ziels ist des­halb auf Art. 6 Abs. 1 Un­terabs. 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG zurück­zu­grei­fen. Le­gi­ti­me Zie­le iSv. Art. 6 Abs. 1 Un­terabs. 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG, dh. Zie­le, die als ge­eig­net an­ge­se­hen wer­den können, ei­ne Aus­nah­me vom Grund­satz des Ver­bots von Dis­kri­mi­nie­run­gen aus Gründen des Al­ters zu recht­fer­ti­gen, sind - ob­gleich die in Art. 6 Abs. 1 Un­terabs. 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG ent­hal­te­ne Aufzählung nicht erschöpfend ist (EuGH 13. Sep­tem­ber 2011 - C-447/09 - [Prig­ge ua.] Rn. 80, Slg. 2011, I-8003) - we­gen der als Bei­spie­le ge­nann­ten Be­rei­che Beschäfti­gungs­po­li­tik, Ar­beits­markt und be­ruf­li­che Bil­dung nur sol­che, die mit der Beschäfti­gungs­po­li­tik, dem Ar­beits­markt und der be­ruf­li­chen Bil­dung im Zu­sam­men­hang ste­hen, und da­mit nur rechtmäßige Zie­le aus dem Be­reich „So­zi­al­po­li­tik“ (vgl. EuGH 13. Sep­tem­ber 2011 - C-447/09 - [Prig­ge ua.] Rn. 81, aaO; da­zu auch BAG 23. Ju­li 2015 - 6 AZR 457/14 - Rn. 36, BA­GE 152, 134; 19. De­zem­ber 2013 - 6 AZR 790/12 - Rn. 26 mwN, BA­GE 147, 89). Zie­le, die als le­gi­tim iSd. Art. 6 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG an­ge­se­hen wer­den können, ste­hen als „so­zi­al­po­li­ti­sche Zie­le“ im All­ge­mein­in­ter­es­se. Da­durch un­ter­schei­den sie sich von Zie­len, die im Ei­gen­in­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers lie­gen, wie Kos­ten­re­du­zie­rung und Ver­bes­se­rung der Wett­be­werbsfähig­keit. Da­bei ist es zwar nicht aus­ge­schlos­sen, dass ei­ne na­tio­na­le Vor­schrift den Ar­beit­ge­bern bei der Ver­fol­gung der so­zi­al­po­li­ti­schen Zie­le ei­nen ge­wis­sen Grad an Fle­xi­bi­lität einräumt (EuGH 21. Ju­li 2011 - C-159/10, C-160/10 - [Fuchs und Köhler] Rn. 52, Slg. 2011, I-6919; 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Con­cern Eng­land] Rn. 46, Slg. 2009, I-1569). Ein un­abhängig von All­ge­mein­in­ter­es­sen ver­folg­tes

 

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Ziel ei­nes Ar­beit­ge­bers kann ei­ne Un­gleich­be­hand­lung je­doch nicht recht­fer­ti­gen (vgl. BAG 23. Ju­li 2015 - 6 AZR 457/14 - aaO). 

(3) Nach § 10 Satz 1 AGG reicht es - eben­so wie nach Art. 6 Abs. 1 Un­terabs. 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG - für die Recht­fer­ti­gung ei­ner un­mit­tel­ba­ren Be­nach­tei­li­gung we­gen des Al­ters nicht aus, dass der Ar­beit­ge­ber mit der un­ter­schied­li­chen Be­hand­lung ein le­gi­ti­mes Ziel iSv. § 10 Satz 1 AGG ver­folgt; hin­zu­kom­men muss nach § 10 Satz 2 AGG, dass die Mit­tel zur Er­rei­chung die­ses Ziels an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sind. Bei­des ist im Hin­blick auf das kon­kret an­ge­streb­te Ziel zu be­ur­tei­len (vgl. et­wa EuGH 9. Sep­tem­ber 2015 - C-20/13 - [Un­land] Rn. 43; 26. Sep­tem­ber 2013 - C-546/11 - [Dansk Ju­rist- og Øko­nom­for­bund] Rn. 55 f.). Da­bei sind in uni­ons­rechts­kon­for­mer Aus­le­gung von § 10 Satz 2 AGG die Mit­tel nur dann an­ge­mes­sen und er­for­der­lich, wenn sie es er­lau­ben, das mit der un­ter­schied­li­chen Be­hand­lung ver­folg­te Ziel zu er­rei­chen, oh­ne zu ei­ner übermäßigen Be­ein­träch­ti­gung der le­gi­ti­men In­ter­es­sen der­je­ni­gen Per­so­nen zu führen, die we­gen ih­res Al­ters be­nach­tei­ligt wer­den (vgl. et­wa EuGH 9. Sep­tem­ber 2015 - C-20/13 - [Un­land] aaO; 26. Fe­bru­ar 2015 - C-515/13 - [In­ge­niørfo­re­nin­gen i Dan­mark] Rn. 25; 26. Sep­tem­ber 2013 - C-546/11 - [Dansk Ju­rist- og Øko­nom­for­bund] Rn. 56) und die Maßnah­me nicht über das hin­aus­geht, was zur Er­rei­chung des an­ge­streb­ten Ziels not­wen­dig ist (vgl. EuGH 9. Sep­tem­ber 2015 - C-20/13 - [Un­land] aaO; 26. Sep­tem­ber 2013 - C-546/11 - [Dansk Ju­rist- og Øko­nom­for­bund] Rn. 59; 22. No­vem­ber 2005 - C-144/04 - [Man­gold] Rn. 65 mwN, Slg. 2005, I-9981). 

(4) Um dar­zu­tun, dass ei­ne un­ter­schied­li­che Be­hand­lung we­gen des Al­ters nach § 10 AGG ge­recht­fer­tigt ist, reicht es nicht aus, wenn der Ar­beit­ge­ber all­ge­mein be­haup­tet, dass die die un­ter­schied­li­che Be­hand­lung be­wir­ken­de Maßnah­me oder Re­ge­lung ge­eig­net sei, der Beschäfti­gungs­po­li­tik, dem Ar­beits­markt und der be­ruf­li­chen Bil­dung zu die­nen. Der­ar­ti­ge all­ge­mei­ne Be­haup­tun­gen las­sen nämlich nicht den Schluss zu, dass die gewähl­ten Mit­tel zur Ver­wirk­li­chung die­ses Ziels an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sind (vgl. EuGH 21. Ju­li 2011 - C-159/10, C-160/10 - [Fuchs und Köhler] Rn. 77, Slg. 2011, I-6919; 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Con­cern Eng­land] Rn. 51, Slg. 2009, I-1569;

 

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22. No­vem­ber 2005 - C-144/04 - [Man­gold] Rn. 65, Slg. 2005, I-9981; vgl. auch BAG 26. Mai 2009 - 1 AZR 198/08 - Rn. 35, BA­GE 131, 61). Der Ar­beit­ge­ber hat hier­zu viel­mehr sub­stan­ti­ier­ten Sach­vor­trag zu leis­ten (vgl. EuGH 21. Ju­li 2011 - C-159/10, C-160/10 - [Fuchs und Köhler] Rn. 82, aaO). 

2. Soll­te das Lan­des­ar­beits­ge­richt zu dem Er­geb­nis ge­lan­gen, dass die Stel­le, auf die der Kläger sich be­wor­ben hat, von der Be­klag­ten zu 1. un­ter Ver­s­toß ge­gen § 11 AGG aus­ge­schrie­ben wur­de und des­halb die Ver­mu­tung iSv. § 22 AGG be­steht, dass der Kläger im späte­ren Aus­wahl­ver­fah­ren we­gen sei­nes Al­ters be­nach­tei­ligt wur­de, wird es zu prüfen ha­ben, ob die Be­klag­ten Tat­sa­chen vor­ge­tra­gen und im Be­strei­tens­fall be­wie­sen ha­ben, aus de­nen sich er­gibt, dass aus­sch­ließlich an­de­re als die in § 1 AGG ge­nann­ten Gründe, hier: das Al­ter, zu ei­ner ungüns­ti­ge­ren Be­hand­lung des Klägers geführt ha­ben.  

a) Sol­che Gründe können zwar idR nicht dar­in lie­gen, dass der Ar­beit­ge­ber - wie hier - später von ei­ner Ein­stel­lung oder Beschäfti­gung ei­nes an­de­ren Be­wer­bers ab­sieht, die Stel­le al­so nach Be­ginn der ei­gent­li­chen Be­wer­be­r­aus­wahl un­be­setzt bleibt (vgl. im Ein­zel­nen BAG 23. Au­gust 2012 - 8 AZR 285/11 - Rn. 23 mwN). Die Aus­le­gung und An­wen­dung von § 22 AGG darf nicht da­zu führen, dass es der Ar­beit­ge­ber in der Hand hat, durch ei­ne ge­eig­ne­te Ver­fah­rens­ge­stal­tung die Chan­cen von Be­wer­bern und Be­wer­be­rin­nen we­gen der in § 1 AGG ge­nann­ten Gründe so zu min­dern, dass sei­ne Ent­schei­dung prak­tisch un­an­greif­bar wird (vgl. BVerfG 21. Sep­tem­ber 2006 - 1 BvR 308/03 - Rn. 13 mwN, BVerfGK 9, 218). Ei­ne an­de­re Be­wer­tung ist aber dann ge­bo­ten, wenn der Ar­beit­ge­ber sub­stan­ti­iert vorträgt und ggf. be­weist, dass das Aus­wahl­ver­fah­ren aus sach­li­chen und nach­voll­zieh­ba­ren Gründen, zB weil zwi­schen­zeit­lich das Er­for­der­nis, die Stel­le über­haupt (neu) zu be­set­zen, ent­fal­len ist, ab­ge­bro­chen wur­de, be­vor die Be­wer­bung der kla­gen­den Par­tei bei ihm ein­ge­gan­gen ist. In ei­nem sol­chen Fall hat es kein Aus­wahl­ver­fah­ren mehr ge­ge­ben, in des­sen Ver­lauf die kla­gen­de Par­tei hätte dis­kri­mi­niert wer­den können.  

b) Ent­spre­chen­des kann gel­ten, so­fern der Ar­beit­ge­ber sub­stan­ti­iert vorträgt und ggf. be­weist, dass das Aus­wahl­ver­fah­ren be­reits ab­ge­schlos­sen war, be­vor die Be­wer­bung der kla­gen­den Par­tei bei ihm ein­ge­gan­gen ist. Al­ler­dings

 

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schließt der Um­stand, dass ei­ne aus­ge­schrie­be­ne Stel­le be­reits vor Ein­gang der Be­wer­bung der kla­gen­den Par­tei be­setzt wur­de, nicht ge­ne­rell de­ren Be­nach­tei­li­gung iSv. § 3 Abs. 1 AGG aus (BAG 17. Au­gust 2010 - 9 AZR 839/08 - Rn. 42). Es kommt viel­mehr auf die Umstände des Ein­zel­falls an, bei­spiels­wei­se dar­auf, ob ggf. ei­ne vom Ar­beit­ge­ber ge­setz­te Be­wer­bungs­frist un­ter­lau­fen wird und/oder ob An­halts­punk­te dafür vor­lie­gen, dass ei­ne be­reits vor Ein­gang ei­ner Be­wer­bung er­folg­te Stel­len­be­set­zung gleich­wohl zu ei­ner Be­nach­tei­li­gung des nicht berück­sich­tig­ten Be­wer­bers führt (vgl. da­zu BAG 19. Au­gust 2010 - 8 AZR 370/09 - Rn. 30; 17. Au­gust 2010 - 9 AZR 839/08 - aaO). 

c) Der Ar­beit­ge­ber kann die Ver­mu­tung, er ha­be die kla­gen­de Par­tei we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des be­nach­tei­ligt, aber auch da­durch wi­der­le­gen, dass er sub­stan­ti­iert da­zu vorträgt und im Be­strei­tens­fall be­weist, dass er bei der Be­hand­lung al­ler Be­wer­bun­gen nach ei­nem be­stimm­ten Ver­fah­ren vor­ge­gan­gen ist, das ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des aus­sch­ließt. Dies kann zum Bei­spiel an­zu­neh­men sein, wenn der Ar­beit­ge­ber aus­nahms­los al­le Be­wer­bun­gen in ei­nem ers­ten Schritt dar­auf hin sich­tet, ob die Be­wer­ber/in­nen ei­ne zulässi­ger­wei­se ge­stell­te An­for­de­rung erfüllen und er all die Be­wer­bun­gen von vorn­her­ein aus dem wei­te­ren Aus­wahl­ver­fah­ren aus­schei­det, bei de­nen dies nicht der Fall ist. Der Ar­beit­ge­ber, der sich hier­auf be­ruft, muss dann al­ler­dings nicht nur dar­le­gen und ggf. be­wei­sen, dass ein sol­ches Ver­fah­ren prak­ti­ziert wur­de, son­dern auch, dass er das Ver­fah­ren kon­se­quent zu En­de geführt hat. Des­halb muss er auch sub­stan­ti­iert dar­tun und im Be­strei­tens­fall be­wei­sen, wie vie­le Be­wer­bun­gen ein­ge­gan­gen sind, wel­che Be­wer­ber/in­nen aus dem­sel­ben Grund eben­so aus dem Aus­wahl­ver­fah­ren aus­ge­nom­men wur­den, wel­che Be­wer­ber/in­nen, weil sie die An­for­de­rung erfüll­ten, im wei­te­ren Aus­wahl­ver­fah­ren ver­blie­ben sind und dass der/die letzt­lich aus­gewähl­te Be­wer­ber/in die An­for­de­rung, we­gen de­ren Feh­lens die kla­gen­de Par­tei aus dem wei­te­ren Aus­wahl­ver­fah­ren vor­ab aus­ge­nom­men wur­de, erfüllt.  

Da­bei muss sich die An­for­de­rung, we­gen de­ren Nich­terfüllung die kla­gen­de Par­tei und ggf. an­de­re Be­wer­ber/in­nen aus dem wei­te­ren Aus­wahl­ver- 

 

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fah­ren vor­ab aus­ge­nom­men wer­den, nicht aus­drück­lich aus der Stel­len­aus­schrei­bung er­ge­ben. In­so­weit reicht es in je­dem Fall aus, wenn die An­for­de­rung in der Stel­len­aus­schrei­bung „An­klang“ ge­fun­den hat oder sich aus dem in der Stel­len­aus­schrei­bung for­mu­lier­ten An­for­de­rungs­pro­fil ab­lei­ten lässt. Wird bei­spiels­wei­se mit ei­ner Stel­len­aus­schrei­bung ei­ne Per­son ge­sucht, die über ei­ne „her­aus­ra­gen­de“, „her­vor­ra­gen­de“ oder „erst­klas­si­ge“ (hier: ju­ris­ti­sche) Qua­li­fi­ka­ti­on verfügt, ist es je­den­falls dem pri­va­ten Ar­beit­ge­ber un­be­nom­men, all die Be­wer­ber/in­nen, die ei­ne be­stimm­te Ex­amens­no­te nicht er­zielt ha­ben, aus dem wei­te­ren Aus­wahl­ver­fah­ren aus­zu­neh­men. Je­de/r Be­wer­ber/in muss in ei­nem sol­chen Fall be­reits auf­grund der Stel­len­aus­schrei­bung da­mit rech­nen, dass in ei­nem Stel­len­be­set­zungs­ver­fah­ren, ins­be­son­de­re wenn vie­le Be­wer­bun­gen ein­ge­hen, womöglich nur die Be­wer­bun­gen mit be­stimm­ten Ex­amens­no­ten ei­ne Vor­sich­tung er­folg­reich durch­lau­fen. Al­ler­dings ist zu be­ach­ten, dass An­for­de­run­gen, die in der Stel­len­aus­schrei­bung kei­nen „An­klang“ ge­fun­den ha­ben und sich auch nicht aus dem in der Stel­len­aus­schrei­bung for­mu­lier­ten An­for­de­rungs­pro­fil ab­lei­ten las­sen, vom Ar­beit­ge­ber sei­ner Vor­aus­wahl nicht oh­ne Wei­te­res zu­grun­de ge­legt wer­den dürfen. In­so­weit muss der Ar­beit­ge­ber dar­tun und im Be­strei­tens­fall be­wei­sen, dass die­se An­for­de­run­gen nicht nur vor­ge­scho­ben wur­den (BAG 28. Mai 2009 - 8 AZR 536/08 - Rn. 43 mwN, BA­GE 131, 86). 

d) So­weit der Ar­beit­ge­ber dar­legt und im Be­strei­tens­fall be­weist, dass die kla­gen­de Par­tei ei­ne for­ma­le Qua­li­fi­ka­ti­on nicht auf­weist oder ei­ne for­ma­le An­for­de­rung nicht erfüllt, die un­ver­zicht­ba­re Vor­aus­set­zung für die Ausübung der Tätig­keit/des Be­rufs an sich ist, kann idR da­von aus­ge­gan­gen wer­den, dass die Be­wer­bung aus­sch­ließlich aus die­sem Grund oh­ne Er­folg blieb; in ei­nem sol­chen Fall be­steht dem­zu­fol­ge idR kein Kau­sal­zu­sam­men­hang zwi­schen der be­nach­tei­li­gen­den Be­hand­lung und ei­nem in § 1 AGG ge­nann­ten Grund. 

II. Soll­te sich er­ge­ben, dass nicht aus­sch­ließlich an­de­re Gründe als das Al­ter zu ei­ner ungüns­ti­ge­ren Be­hand­lung des Klägers geführt ha­ben, wird das Lan­des­ar­beits­ge­richt auf ein ent­spre­chen­des Vor­brin­gen der Be­klag­ten, das im Be­strei­tens­fall zu be­wei­sen wäre, auch der Fra­ge nach­zu­ge­hen ha­ben, ob die

 

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un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung, die der Kläger durch die Nicht­berück­sich­ti­gung im Aus­wahl­ver­fah­ren we­gen sei­nes Al­ters er­fah­ren hat, aus­nahms­wei­se ge­recht­fer­tigt ist.  

III. So­fern das Lan­des­ar­beits­ge­richt zu dem Er­geb­nis ge­lan­gen soll­te, das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot des AGG sei ver­letzt und dem Kläger ste­he nach § 15 Abs. 2 AGG dem Grun­de nach ei­ne Entschädi­gung zu, wird es zu be­ach­ten ha­ben, dass auch bei der Be­ur­tei­lung der an­ge­mes­se­nen Höhe der fest­zu­set­zen­den Entschädi­gung nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG al­le Umstände des Ein­zel­falls, wie et­wa die Art und Schwe­re der Be­nach­tei­li­gung, ih­re Dau­er und Fol­gen, der An­lass und der Be­weg­grund des Han­delns und der Sank­ti­ons­zweck der Entschädi­gungs­norm zu berück­sich­ti­gen sind (vgl. ua. BAG 22. Mai 2014 - 8 AZR 662/13 - Rn. 44, BA­GE 148, 158; 23. Au­gust 2012 - 8 AZR 285/11 - Rn. 38; 17. De­zem­ber 2009 - 8 AZR 670/08 - Rn. 38; 22. Ja­nu­ar 2009 - 8 AZR 906/07 - Rn. 82 mwN, BA­GE 129, 181). Die Entschädi­gung muss ei­nen tatsächli­chen und wirk­sa­men recht­li­chen Schutz gewähr­leis­ten (vgl. EuGH 25. April 2013 - C-81/12 - [Aso­cia­tia AC­CEPT] Rn. 63; 22. April 1997 - C-180/95 - [Draehm­pa­ehl] Rn. 24, 39 f., Slg. 1997, I-2195; BAG 22. Mai 2014 - 8 AZR 662/13 - aaO). Die Härte der Sank­tio­nen muss der Schwe­re des Ver­s­toßes ent­spre­chen, in­dem sie ins­be­son­de­re ei­ne wirk­lich ab­schre­cken­de Wir­kung ge­genüber dem Ar­beit­ge­ber gewähr­leis­tet, zu­gleich aber den all­ge­mei­nen Grund­satz der Verhält­nismäßig­keit wahrt (EuGH 25. April 2013 - C-81/12 - [Aso­cia­tia AC­CEPT] Rn. 63 mwN; BAG 22. Mai 2014 - 8 AZR 662/13 - aaO).  

D. Im Hin­blick auf die vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu tref­fen­de Kos­ten­ent­schei­dung weist der Se­nat dar­auf hin, dass sich die­se - ent­ge­gen der Rechts­auf­fas­sung des Klägers - nach § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 91 ff. ZPO rich­tet, wo­bei bei ei­nem nur teil­wei­sen Ob­sie­gen/Un­ter­lie­gen des Klägers Ver­an­las­sung be­ste­hen kann, von der in § 92 Abs. 2 Nr. 2 ZPO vor­ge­se­he­nen Möglich­keit Ge­brauch zu ma­chen. Zwar trifft es zu, dass Ver­fah­ren, die Kla­gen we­gen Verstößen ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot des AGG zum Ge­gen­stand ha­ben, nicht we­ni­ger güns­tig ge­stal­tet sein dürfen als Kla­ge­ver­fah­ren, die nur in­ner­staat­li­ches Recht be­tref­fen (Grund­satz der Äqui­va­lenz) und dass die Aus-

 

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übung der durch die Uni­ons­rechts­ord­nung ver­lie­he­nen Rech­te nicht prak­tisch unmöglich ge­macht oder übermäßig er­schwert wer­den darf (Grund­satz der Ef­fek­ti­vität) (st. Rspr. des EuGH, vgl. nur 28. Ja­nu­ar 2015 - C-417/13 - [Star­ja­kob] Rn. 61 mwN). Dies ist aber bei An­wen­dung der §§ 91 ff. ZPO, nach de­nen sich der ge­richt­li­che Kos­ten­aus­spruch ge­ne­rell und ein­heit­lich nach Ob­sie­gen und Un­ter­lie­gen rich­tet, oh­ne nach der „Her­kunft“ des gel­tend ge­mach­ten Kla­ge­an­spruchs zu dif­fe­ren­zie­ren, nicht der Fall.

Schlewing  

Win­ter 

Vo­gel­sang 

B. Stahl

Der eh­ren­amt­li­che Rich­ter Dr. Volz ist an der Un­ter­schrifts­leis­tung ver­hin­dert.

Schlewing  

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