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BSG, Be­schluss vom 12.12.2013, B 4 AS 9/13 R

   
Schlagworte: Grundsicherung, Leistungsausschluss, Unionsbürger, Europarechtskonformität
   
Gericht: Bundessozialgericht
Aktenzeichen: B 4 AS 9/13 R
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 12.12.2013
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Sozialgericht Berlin, Beschluss vom 19.12.2012, S 55 AS 18011/12
   

Bun­des­so­zi­al­ge­richt B 4 AS 9/13 R

 

I. Dem Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Ge­mein­schaf­ten wer­den gemäß Art 267 AEUV fol­gen­de Fra­gen zur Vor­ab­ent­schei­dung vor­ge­legt: 1. Gilt das Gleich­be­hand­lungs­ge­bot des Art 4 VO (EG) 883/2004 - mit Aus­nah­me des Ex­port­aus­schlus­ses des Art 70 Abs 4 VO (EG) 883/2004 - auch für die be­son­de­ren bei­trags­un­abhängi­gen Geld­leis­tun­gen im Sin­ne von Art 70 Abs 1, 2 VO (EG) 883/2004? 2. Falls 1) be­jaht wird: Sind - ge­ge­be­nen­falls in wel­chem Um­fang - Ein­schränkun­gen des Gleich­be­hand­lungs­ge­bots des Art 4 VO (EG) 883/2004 durch Be­stim­mun­gen in na­tio­na­len Rechts­vor­schrif­ten in Um­set­zung des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG möglich, nach de­nen der Zu­gang zu die­sen Leis­tun­gen aus­nahms­los nicht be­steht, wenn sich ein Auf­ent­halts­recht des Uni­onsbürgers in dem an­de­ren Mit­glied­staat al­lein aus dem Zweck der Ar­beit­su­che er­gibt? 3. Steht Art 45 Abs 2 AEUV in Ver­bin­dung mit Art 18 AEUV ei­ner na­tio­na­len Be­stim­mung ent­ge­gen, die Uni­onsbürgern, die sich als Ar­beit­su­chen­de auf die Ausübung ih­res Freizügig­keits­rechts be­ru­fen können, ei­ne So­zi­al­leis­tung, die der Exis­tenz­si­che­rung dient und gleich­zei­tig auch den Zu­gang zum Ar­beits­markt er­leich­tert, aus­nahms­los für die Zeit ei­nes Auf­ent­halts­rechts nur zur Ar­beit­su­che und un­abhängig von der Ver­bin­dung mit dem Auf­nah­me­staat ver­wei­gert? II. Der Rechts­streit wird aus­ge­setzt.

Gründe:

A. Ge­gen­stand und Sach­ver­halt des Aus­gangs­ver­fah­rens

I. Streit­ge­gen­stand Strei­tig ist die Auf­he­bung der Be­wil­li­gung von Leis­tun­gen zur Si­che­rung des Le­bens­un­ter­halts nach dem So­zi­al­ge­setz­buch - Grund­si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de - (SGB II) für den Mo­nat Mai 2012.

II. Sach­ver­halt Die Kläger sind schwe­di­sche Staats­an­gehöri­ge. Die 1966 in Bos­ni­en ge­bo­re­ne Kläge­rin zu 1) reis­te im Ju­ni 2010 er­neut mit ih­ren Kin­dern, der im Mai 1994 ge­bo­re­nen Kläge­rin zu 2) und den in den Jah­ren 1998 und 1999 ge­bo­re­nen Klägern zu 3) und 4), in die Bun­des­re­pu­blik ein. Die Kin­der sind in Deutsch­land ge­bo­ren. Den Klägern wur­de am 1.7.2010 ei­ne Be­schei­ni­gung nach § 5 FreizügG/EU er­teilt. Nach ih­rer Ein­rei­se be­zog die Kläge­rin zu 1) Kin­der­geld für die Kläger zu 2) bis 4). Die er­werbsfähi­gen Kläge­rin­nen zu 1) und 2) wa­ren seit Ju­ni 2010 in kürze­ren Beschäfti­gun­gen bzw Ar­beits­ge­le­gen­hei­ten von we­ni­ger als ei­nem Jahr tätig, je­doch nicht mehr in der Zeit ab Mai 2011. Im Übri­gen be­zo­gen sämt­li­che Kläger SGB II-Leis­tun­gen zur Si­che­rung des Le­bens­un­ter­halts, die zu­letzt für die Zeit vom 1.12.2011 bis 31.5.2012 be­wil­ligt wur­den (Be­scheid vom 9.9.2011, Ände­rungs­be­schei­de vom 26.11.2011 und 9.12.2011). Die Kläge­rin­nen zu 1) und 2) er­hiel­ten Alg II; die Kläger zu 3) und 4) So­zi­al­geld für nicht er­werbsfähi­ge Leis­tungs­be­rech­tig­te. Bei der Leis­tungs­be­wil­li­gung ging das be­klag­te Job­cen­ter (SGB II-Leis­tungs­träger) da­von aus, dass die Aus­schluss­re­ge­lung für ar­beit­su­chen­de Uni­onsbürger (§ 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II) nicht an­wend­bar ge­we­sen sei, weil sie bei den Klägern als schwe­di­sche Staats­an­gehöri­ge durch das Gleich­be­hand­lungs­ge­bot des Art 1 des Eu­ropäischen Fürsor­ge­ab­kom­mens (EFA) ver­drängt wor­den sei.

Un­ter Hin­weis auf den von der Bun­des­re­pu­blik im No­vem­ber 2011 erklärten Vor­be­halt zum EFA hob der Be­klag­te die Be­wil­li­gung für den Mo­nat Mai 2012 für die Kläge­rin zu 1) und ih­re min­derjähri­gen Kin­der in vol­lem Um­fang auf (Be­scheid vom 2.4.2012; Wi­der­spruchs­be­scheid vom 29.6.2012). Das SG hat die­sen Auf­he­bungs­be­scheid auf­ge­ho­ben (Ur­teil vom 19.12.2012). Zur Be­gründung sei­ner Ent­schei­dung hat es aus­geführt, die Kläger könn­ten auch im Mai 2012 wei­ter­hin SGB II-Leis­tun­gen be­an­spru­chen. Ei­ne we­sent­li­che Ände­rung in den recht­li­chen Verhält­nis­sen sei nicht ein­ge­tre­ten. Zwar könn­ten sich die Kläge­rin­nen zu 1) und 2) nach Be­en­di­gung der Beschäfti­gun­gen Mit­te 2011 in dem strei­ti­gen Auf­he­bungs­mo­nat Mai 2012 aus­sch­ließlich auf ein Auf­ent­halts­recht zur Ar­beit­su­che be­ru­fen. Der deut­sche Leis­tungs­aus­schluss nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II grei­fe je­doch nicht, weil Art 4 VO (EG) 883/2004 je­de Un­gleich­be­hand­lung von Uni­onsbürgern ge­genüber den ei­ge­nen Staats­an­gehöri­gen bei den hier vor­lie­gen­den be­son­de­ren bei­trags­un­abhängi­gen Geld­leis­tun­gen un­ter­sa­ge. Ein Wer­tungs­wi­der­spruch zu dem nur ein­ge­schränkt mögli­chen Be­zug von "So­zi­al­hil­fe­leis­tun­gen" nach der Freizügig­keitsRL 2004/38/EG (ins­be­son­de­re de­ren Art 24 Abs 2) be­ste­he nicht. Zu­dem ver­dränge das spe­zi­el­le­re Gleich­be­hand­lungs­ge­bot nach Art 1 EFA wei­ter­hin die Aus­schluss­re­ge­lung, weil der von der Bun­des­re­gie­rung erklärte Vor­be­halt nicht durch ein Ge­setz nach Art 59 Abs 2 S 1 GG in in­ner­staat­li­ches Recht trans­for­miert bzw wirk­sam ge­macht wor­den sei.

Mit sei­ner Sprung­re­vi­si­on macht das be­klag­te Job­cen­ter gel­tend, der Leis­tungs­aus­schluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2

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SGB II ver­s­toße nicht ge­gen EG-Recht, weil es sich bei den Leis­tun­gen zur Si­che­rung des Le­bens­un­ter­halts nach dem SGB II um "So­zi­al­hil­fe­leis­tun­gen" im Sin­ne des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG han­de­le und ein Leis­tungs­aus­schluss für Ar­beit­su­chen­de hier­nach möglich sei. Die Leis­tun­gen zur Si­che­rung des Le­bens­un­ter­halts hätten nicht den Zweck, den Ar­beits­mark­zu­gang zu er­leich­tern, son­dern dien­ten der Exis­tenz­si­che­rung. Zur Ein­glie­de­rung in den Ar­beits­markt se­he das SGB II für Ar­beit­su­chen­de in den §§ 16 ff SGB II wei­te­re Leis­tun­gen vor, die ge­son­dert er­bracht würden. § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II ver­s­toße nicht ge­gen die VO (EG) Nr 883/2004. Der Leis­tungs­aus­schluss ver­s­toße auch nicht ge­gen das EFA, weil der von der Bun­des­re­gie­rung erklärte Vor­be­halt wirk­sam sei. We­gen der feh­len­den Be­tei­li­gung meh­re­rer Völker­rechts­sub­jek­te könne der ein­sei­ti­ge Vor­be­halt der Bun­des­re­gie­rung nicht als Ver­trag im Sin­ne des Art 59 Abs 2 S 1 GG an­ge­se­hen wer­den und sei ver­fas­sungs­gemäß.

Der Be­klag­te be­an­tragt, das Ur­teil auf­zu­he­ben und die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Die Kläger be­an­tra­gen, die Re­vi­si­on zurück­zu­wei­sen.

III. Na­tio­na­ler Rechts­rah­men

1. An­spruchs­vor­aus­set­zun­gen für SGB II-Leis­tun­gen Die Ver­wal­tungs­ak­te, mit de­nen das be­klag­te Job­cen­ter den Klägern die Leis­tun­gen zur Si­che­rung des Le­bens­un­ter­halts nach dem SGB II für den Zeit­raum vom 1.12.2011 bis 31.5.2012 be­wil­lig­te, wa­ren bei ih­rem Er­lass rechtmäßig. Die Kläge­rin­nen zu 1) und 2) erfüll­ten im Be­wil­li­gungs­zeit­raum sämt­li­che An­spruchs­vor­aus­set­zun­gen des § 7 Abs 1 S 1 SGB II; hier­aus lei­te­ten sich die Ansprüche der min­derjähri­gen Kläger zu 3) und 4) ab. Der An­spruchs­aus­schluss nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II stand ih­rem An­spruch zunächst nicht ent­ge­gen, weil die­ser durch Art 1 des Eu­ropäischen Fürsor­ge­ab­kom­mens ver­drängt wur­de.

Nach der in­ner­staat­li­chen Re­ge­lung des § 19 Abs 1 SGB II er­hal­ten er­werbsfähi­ge Leis­tungs­be­rech­tig­te Alg II (Satz 1). Nichter­werbsfähi­ge min­derjähri­ge Leis­tungs­be­rech­tig­te, die mit er­werbsfähi­gen Leis­tungs­be­rech­tig­ten in ei­ner Be­darfs­ge­mein­schaft le­ben, er­hal­ten So­zi­al­geld (Satz 2). § 7 SGB II (idF der Be­kannt­ma­chung der Neu­fas­sung des Zwei­ten Bu­ches So­zi­al­ge­setz­buch vom 13.5.2011, BGBl I 850 ff) be­stimmt die Leis­tungs­be­rech­tig­ten wie folgt:

§ 7 Leis­tungs­be­rech­tig­te (1) Leis­tun­gen nach die­sem Buch er­hal­ten Per­so­nen, die 1. das 15. Le­bens­jahr voll­endet und die Al­ters­gren­ze nach § 7a noch nicht er­reicht ha­ben, 2. er­werbsfähig sind, 3. hil­fe­bedürf­tig sind und 4. ih­ren gewöhn­li­chen Auf­ent­halt in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ha­ben (er­werbsfähi­ge Leis­tungs­be­rech­tig­te). Aus­ge­nom­men sind 1. Auslände­rin­nen und Ausländer, die we­der in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land Ar­beit­neh­me­rin­nen, Ar­beit neh­mer oder Selbständi­ge noch auf­grund des § 2 Ab­satz 3 des Freizügig­keits­ge­set­zes/EU freizügig­keits be­rech­tigt sind, und ih­re Fa­mi­li­en­an­gehöri­gen für die ers­ten drei Mo­na­te ih­res Auf­ent­halts, 2. Auslände­rin­nen und Ausländer, de­ren Auf­ent­halts­recht sich al­lein aus dem Zweck der Ar­beit­su­che er­gibt, und ih­re Fa­mi­li­en­an­gehöri­gen, (2) Leis­tun­gen er­hal­ten auch Per­so­nen, die mit er­werbsfähi­gen Leis­tungs­be­rech­tig­ten in ei­ner Be­darfs ge­mein­schaft le­ben ... (3) Zur Be­darfs­ge­mein­schaft gehören 1. die er­werbsfähi­gen Leis­tungs­be­rech­tig­ten, 2. die im Haus­halt le­ben­den El­tern oder der im Haus­halt le­ben­de El­tern­teil ei­nes un­ver­hei­ra­te­ten er­werbs fähi­gen Kin­des, wel­ches das 25. Le­bens­jahr noch nicht voll­endet hat.

Da die min­derjähri­gen Kläger zu 3) und 4) die Al­ters­gren­ze des § 7 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB II noch nicht er­reicht hat­ten, er­gibt sich bei ih­nen ei­ne ab­ge­lei­te­te An­spruchs­be­rech­ti­gung auf Leis­tun­gen zur Si­che­rung des Le­bens­un­ter­halts nach dem SGB II in Ge­stalt des So­zi­al­gel­des (§ 7 Abs 2 und 3 SGB II). Bei den Kläge­rin­nen zu 1) und 2) la­gen im ge­sam­ten Be­wil­li­gungs­zeit­raum vom 1.12.2011 bis 31.5.2012 die An­spruchs­vor­aus­set­zun­gen des § 7 Abs 1 S 1 SGB II vor. Sie wa­ren hil­fe­bedürf­tig und er­werbsfähig. Nach § 7 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB II iVm § 8 Abs 1 SGB II ist er­werbsfähig, wer nicht we­gen Krank­heit oder Be­hin­de­rung auf (nicht) ab­seh­ba­re Zeit außer­stan­de ist, un­ter den übli­chen Be­din­gun­gen des all­ge­mei­nen Ar­beits­mark­tes min­des­tens drei St­un­den täglich er­werbstätig zu sein. Zur Er­werbsfähig­keit von Auslände­rin­nen und Ausländern be­stimmt § 8 Abs 2 SGB II, dass die­se im Sin­ne von § 8 Abs 1 SGB II nur er­werbstätig sein können, wenn ih­nen die Auf­nah­me ei­ner Beschäfti­gung er­laubt ist oder er­laubt wer­den könn­te (Satz 1). In­so­fern ist auf die abs­trakt-recht­li­che Möglich­keit der Er­tei­lung ei­ner Ar­beits­ge­neh­mi­gung ab­zu­stel­len (§ 8 Abs 2 S 2 SGB II; vgl BSG Ur­teil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 34 Rd­Nr 15). Als schwe­di­sche Staats­an­gehöri­ge benötig­ten die Kläge­rin­nen we­gen der ih­nen zu­ste­hen­den un­ein­ge­schränk­ten Ar­beit­neh­mer­freizügig­keit zur Beschäfti­gungs­auf­nah­me kei­ne Ar­beits­ge­neh­mi­gung.

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Sämt­li­che Kläger hat­ten auch ih­ren gewöhn­li­chen Auf­ent­halt in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land. Nach der Recht­spre­chung des Se­nats ist das Vor­lie­gen ei­nes "gewöhn­li­chen Auf­ent­halts" in ers­ter Li­nie nach den ob­jek­tiv ge­ge­be­nen tatsächli­chen ("fak­ti­schen") Verhält­nis­sen im strei­ti­gen Zeit­raum zu be­ur­tei­len. Ein in an­de­ren in­ner­staat­li­chen So­zi­al­ge­set­zen zu dem gewöhn­li­chen Auf­ent­halt hin­zu­tre­ten­des An­spruchs­merk­mal des In­ne­ha­bens ei­ner be­stimm­ten Freizügig­keits­be­rech­ti­gung nach dem FreizügG/EU bzw - für nicht EU-Bürger - ei­nes be­stimm­ten Auf­ent­halts­ti­tels nach dem Auf­ent­haltsG enthält § 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II aus­drück­lich nicht (vgl im Ein­zel­nen: BSG Ur­teil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 34 Rd­Nr 17 ff mwN). Den am 1.7.2010 er­teil­ten Freizügig­keits­be­schei­ni­gun­gen (§ 5 des Ge­set­zes über die all­ge­mei­ne Freizügig­keit von Uni­onsbürgern (Freizügig­keitsG/EU) vom 30.7.2004 (BGBl I 1950), zu­letzt geändert durch Ge­setz vom 26.2.2008 (BGBl I 215); ent­fal­len durch Art 1 des Ge­set­zes zur Ände­rung des Freizügig­keitsG/EU und wei­te­rer auf­ent­halts­recht­li­cher Vor­schrif­ten vom 21.1.2013 (BGBl I 86)) kommt nach in­ner­staat­li­cher Recht­spre­chung ei­ne nur de­kla­ra­to­ri­sche Be­deu­tung für das sich un­mit­tel­bar aus dem Ge­mein­schafts­recht er­ge­ben­de Freizügig­keits­recht zu (BT-Drucks 15/420 S 101; BSG Ur­teil vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 28 Rd­Nr 17; BVerwG Ur­teil vom 10.11.1999 - 6 C 30/98 - BVerw­GE 110, 40, 53).

2. Leis­tungs­aus­schluss bei ar­beit­su­chen­den Uni­onsbürgern und Eu­ropäisches Fürsor­ge­ab­kom­men.

Der An­spruch der Kläge­rin­nen zu 1 und 2 auf Alg II und da­mit auch der Kläger zu 3 und 4 auf So­zi­al­geld war - al­lein nach Maßga­be der Re­ge­lun­gen des SGB II - in der Zeit vom 1.12.2011 bis 31.5.2012 nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II aus­ge­schlos­sen, weil sich ihr Auf­ent­halts­recht im strei­ti­gen Zeit­raum al­lein aus dem Zweck der Ar­beit­su­che er­gab. Die An­wend­bar­keit die­ser Aus­schluss­re­ge­lung er­for­dert ei­ne "fik­ti­ve Prüfung" des Grun­des bzw der Gründe der Auf­ent­halts­be­rech­ti­gung nach dem FreizügG/EU. Das Vor­lie­gen der Vor­aus­set­zun­gen ei­nes Auf­ent­halts­rechts aus ei­nem an­de­ren Grund als dem Zweck der Ar­beit­su­che hin­dert die po­si­ti­ve Fest­stel­lung ei­nes Auf­ent­halts­rechts "al­lein aus dem Zweck der Ar­beit­su­che" iS von § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II (BSG Ur­teil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 34 Rd­Nr 22 ff). Aus der Ent­ste­hungs­ge­schich­te der Re­ge­lung er­gibt sich, dass der deut­sche Ge­setz­ge­ber zeit­gleich mit der Er­wei­te­rung der Freizügig­keit von Ar­beit­neh­mern zu ei­ner all­ge­mei­nen Freizügig­keit für al­le Uni­onsbürger mit der Aus­schluss­re­ge­lung des § 7 Abs 1 S 2 SGB II von der "Op­ti­on" des Art 24 Abs 2 iVm Art 14 Abs 4 der RL 2004/38/EG Ge­brauch ma­chen woll­te (BT-Drucks 16/5065 S 234; sie­he auch BT-Drucks 16/688 S 13).

Für die Prüfung der Fra­ge, wel­ches Auf­ent­halts­recht bei den Kläge­rin­nen zu 1 und 2 in der Zeit vom 1.12.2011 bis 31.5.2012 vor­lag, ist § 2 FreizügG/EU von Be­deu­tung:

§ 2 FreizügG/EU (Recht auf Ein­rei­se und Auf­ent­halt) (1) Freizügig­keits­be­rech­tig­te Uni­onsbürger und ih­re Fa­mi­li­en­an­gehöri­gen ha­ben das Recht auf Ein­rei­se und Auf­ent­halt nach Maßga­be die­ses Ge­set­zes. (2) Ge­mein­schafts­recht­lich freizügig­keits­be­rech­tigt sind: 1. Uni­onsbürger, die sich als Ar­beit­neh­mer, zur Ar­beits­su­che oder zur Be­rufs­aus­bil­dung auf­hal­ten wol len,. (3) Das Recht nach Ab­satz 1 bleibt für Ar­beit­neh­mer und selbständig Er­werbstäti­ge un­berührt bei 1. vorüber­ge­hen­der Er­werbs­min­de­rung in­fol­ge Krank­heit oder Un­fall, 2. un­frei­wil­li­ger durch die zuständi­ge Agen­tur für Ar­beit bestätig­ter Ar­beits­lo­sig­keit oder Ein­stel­lung ei­ner selbständi­gen Tätig­keit in­fol­ge von Umständen, auf die der Selbständi­ge kei­nen Ein­fluss hat­te, nach mehr als ei­nem Jahr Tätig­keit, 3. Auf­nah­me ei­ner Be­rufs­aus­bil­dung, wenn zwi­schen der Aus­bil­dung und der frühe­ren Er­werbstätig­keit ein Zu­sam­men­hang be­steht; der Zu­sam­men­hang ist nicht er­for­der­lich, wenn der Uni­onsbürger sei­nen Ar­beits platz un­frei­wil­lig ver­lo­ren hat. Bei un­frei­wil­li­ger durch die zuständi­ge Agen­tur für Ar­beit bestätig­ter Ar­beits­lo­sig­keit nach we­ni­ger als ei­nem Jahr Beschäfti­gung bleibt das Recht aus Ab­satz 1 während der Dau­er von sechs Mo­na­ten un­berührt.

Dem Ge­samt­zu­sam­men­hang der für das Re­vi­si­ons­ge­richt bin­den­den Fest­stel­lun­gen des SG (§ 163 SGG) ist zu ent­neh­men, dass sich die Kläge­rin­nen zu 1 und 2 nicht mehr auf ein (fort­wir­ken­des) Auf­ent­halts­recht als Ar­beit­neh­me­rin­nen nach § 2 FreizügG/EU be­ru­fen konn­ten. Sie wa­ren seit Ju­ni 2010 nur in kürze­ren Beschäfti­gun­gen bzw in Ar­beits­ge­le­gen­hei­ten von we­ni­ger als ei­nem Jahr tätig und seit Mai 2011 nicht mehr abhängig oder selbständig tätig. Der Se­nat geht da­her da­von aus, dass die Er­werbstäti­gen­ei­gen­schaft der Kläge­rin­nen nach § 2 Abs 3 S 2 FreizügG iVm Art 7 Abs 3 Buchst c) RL 2004/38/EG - zu­min­dest im strei­ti­gen Auf­he­bungs­zeit­raum Mai 2012, aber auch schon seit Be­ginn der SGB II-Be­wil­li­gung ab De­zem­ber 2011 - nicht auf­recht­er­hal­ten ge­blie­ben ist (vgl auch EuGH Ur­teil vom 4.6.2009, Rs C-22/08/C-23/08 (Vat­sou­ras) - Slg 2009, I-4585 = SozR 4-6035 Art 39 Nr 5 Rd­Nr 31).

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Nach den gleich­falls für den Se­nat bin­den­den Fest­stel­lun­gen des SG wa­ren die Kläge­rin­nen aber wei­ter­hin als Ar­beit­su­chen­de iS von § 2 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU an­zu­se­hen. Sie ha­ben im In­land kurz­zei­ti­ge Beschäfti­gun­gen aus­geübt bzw an Ar­beits­ge­le­gen­hei­ten teil­ge­nom­men, wes­halb ei­ne Aus­sichts­lo­sig­keit ih­rer Bemühun­gen um Er­werbstätig­kei­ten trotz Zeit­ab­laufs von sechs Mo­na­ten nicht an­zu­neh­men war (EuGH Ur­teil vom 26.2.1991, Rs C-292/89 (An­to­nis­sen), Slg 1991, I-745-780; EuGH Ur­teil vom 23.3.2004, Rs C-138/02 (Col­lins) - Slg 2004, I-2703; so auch Dienelt in Ren­ner, Ausländer­recht, 10. Aufl 2013, § 2 FreizügG/EU Rd­Nr 61 mwN; Baye­ri­scher VGH Be­schluss vom 16.1.2009 - 19 C 08.3271 - In­f­AuslR 2009, 144).

Der in­ner­staat­li­che An­spruchs­aus­schluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II fand da­her auf die ar­beit­su­chen­den Kläge­rin­nen zu 1 und 2 grundsätz­lich An­wen­dung. Sie hat­ten in dem Be­wil­li­gungs­zeit­raum ab 1.12.2011 den­noch zunächst ei­nen An­spruch auf Leis­tun­gen zur Si­che­rung des Le­bens­un­ter­halts nach dem SGB II, weil der An­spruchs­aus­schluss durch Art 1 des Eu­ropäischen Fürsor­ge­ab­kom­mens (Ge­setz zum Eu­ropäischen Fürsor­ge­ab­kom­men (EFA) vom 11.12.1953 vom 15.5.1956, BGBl II 563) ver­drängt wur­de. Dies be­ruh­te auf der Um­set­zung des Ur­teils des BSG vom 19.10.2010 (B 14 AS 23/10 R - BS­GE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21) durch die Job­cen­ter. Das BSG hat­te ent­schie­den, dass die Ver­pflich­tung aus Art 1 EFA, Staats­an­gehöri­gen an­de­rer ver­trags­sch­ließen­der Staa­ten, die sich im Staats­ge­biet er­laubt auf­hal­ten und nicht über aus­rei­chen­de Mit­tel verfügen, in glei­cher Wei­se wie Bun­desbürgern "Fürsor­ge­leis­tun­gen" zu leis­ten, auch die Er­brin­gung von Leis­tun­gen der Grund­si­che­rung nach den §§ 19 ff SGB II be­inhal­te.

3. Auf­he­bung der Leis­tungs­be­wil­li­gung

Im Hin­blick auf die­se Leis­tungs­be­wil­li­gung un­ter Zu­grun­de­le­gung von Art 1 EFA ist im Mai 2012 ei­ne Ände­rung ein­ge­tre­ten, die das be­klag­te Job­cen­ter nach § 40 Abs 1 SGB II iVm § 48 Abs 1 S 1 des Zehn­ten Bu­ches So­zi­al­ge­setz­buch - So­zi­al­ver­wal­tungs­ver­fah­ren und So­zi­al­da­ten­schutz - (SGB X) be­rech­tig­te, die anfäng­lich rechtmäßige lau­fen­de Be­wil­li­gung der SGB II-Leis­tun­gen auf­zu­he­ben. So­weit in den tatsächli­chen oder recht­li­chen Verhält­nis­sen, die beim Er­lass ei­nes Ver­wal­tungs­ak­tes mit Dau­er­wir­kung vor­ge­le­gen ha­ben, ei­ne we­sent­li­che Ände­rung in den tatsächli­chen oder recht­li­chen Verhält­nis­sen ein­tritt, ist der Ver­wal­tungs­akt nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X mit Wir­kung für die Zu­kunft auf­zu­he­ben.

Ei­ne sol­che Ände­rung in den recht­li­chen Verhält­nis­sen liegt hier dar­in, dass die Bun­des­re­gie­rung am 19.12.2011 ge­gen die An­wen­dung des SGB II im Rah­men des EFA ei­nen Vor­be­halt nach Art 16 Abs b EFA an­ge­bracht hat. Der Vor­be­halt (idF der Be­kannt­ma­chung vom 31.1.2012 in BGBl II 144, be­rich­tigt durch Be­kannt­ma­chung zum Eu­ropäischen Fürsor­ge­ab­kom­men vom 3.4.2012 in BGBl II 470) hat fol­gen­den In­halt: "Die Re­gie­rung der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land über­nimmt kei­ne Ver­pflich­tung, die im Zwei­ten Buch So­zi­al­ge­setz­buch - Grund­si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de - in der je­weils gel­ten­den Fas­sung vor­ge­se­he­nen Leis­tun­gen an Staats­an­gehöri­ge der übri­gen Ver­trags­staa­ten in glei­cher Wei­se und un­ter den glei­chen Be­din­gun­gen wie den ei­ge­nen Staats­an­gehöri­gen zu­zu­wen­den." Auf der Grund­la­ge von Art 16 Abs c EFA ist die­ser Vor­be­halt den Mit­glie­dern des Eu­ro­pa­ra­tes durch Veröffent­li­chung auf den ak­tu­el­len Sei­ten des Eu­ro­pa­ra­tes mit­ge­teilt wor­den. Der Se­nat geht nach sei­ner Vor­prüfung im Rah­men des Vor­la­ge­ver­fah­rens da­von aus, dass der Vor­be­halt wirk­sam ist. Die Er­brin­gung von So­zi­al­hil­fe­leis­tun­gen nach dem SGB XII als Fürsor­ge im Sin­ne von Art 1 EFA ist nicht aus­ge­schlos­sen. Das in­ner­staat­li­che Recht dürf­te ent­spre­chend aus­zu­le­gen sein.

B. Vor­la­ge­fra­gen und Ent­schei­dungs­er­heb­lich­keit

I. Uni­ons­recht­li­cher Rechts­rah­men

Es fin­den die Be­stim­mun­gen des Ver­trags über die Ar­beits­wei­se der Eu­ropäischen Uni­on (AEUV) in der Fas­sung des Ver­trags von Lis­sa­bon vom 13.12.2007 (BGBl II 2008, 1038) An­wen­dung. Wei­ter gilt für den vor­lie­gen­den Sach­ver­halt die VO (EG) 883/2004 zur Ko­or­di­nie­rung der Sys­te­me der so­zia­len Si­cher­heit, die mit Wir­kung zum 1.5.2010, dem Zeit­punkt des In­kraft­tre­tens der Durchführungs­ver­ord­nung VO (EG) 987/2009, die VO (EWG) Nr 1408/71 ab­gelöst hat (Art 91 VO(EG) 883/2004, Art 97 VO(EG) 987/2009). Sch­ließlich ist die Freizügig­keits­richt­li­nie 2004/38/EG über das Recht der Uni­onsbürger und ih­rer Fa­mi­li­en­an­gehöri­gen, sich im Ho­heits­ge­biet der Mit­glied­staa­ten frei zu be­we­gen und auf­zu­hal­ten, von Be­deu­tung.

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Der Se­nat setzt das Ver­fah­ren nach Art 267 Abs 1 und Abs 3 des Ver­trags über die Ar­beits­wei­se der Eu­ropäischen Uni­on (AEUV) aus, um ei­ne Vor­ab­ent­schei­dung des Ge­richts­hofs der Eu­ropäischen Uni­on (EuGH) zu den ein­gangs for­mu­lier­ten Vor­la­ge­fra­gen ein­zu­ho­len. Der Se­nat hat Zwei­fel an der Aus­le­gung des Uni­ons­rechts (Art 267 Abs 2 AEUV).

II. Ent­schei­dungs­er­heb­lich­keit für das Aus­gangs­ver­fah­ren

Die zur Vor­ab­ent­schei­dung vor­ge­leg­ten Fra­gen sind zur Über­zeu­gung des Se­nats für den Aus­gang des Rechts­streits ent­schei­dungs­er­heb­lich. Würde die vor­ge­leg­te Fra­ge 1 be­jaht und die Fra­ge 2 ver­neint, hätte die Re­vi­si­on des be­klag­ten Job­cen­ters vor­aus­sicht­lich kei­nen Er­folg und die po­si­ti­ve Ent­schei­dung des So­zi­al­ge­richts würde bestätigt. Würde die Fra­ge 1 ver­neint, aber die Fra­ge 3 be­jaht, wäre die Re­vi­si­on aus an­de­ren Gründen zurück­zu­wei­sen. Da­ge­gen wäre die Re­vi­si­on des be­klag­ten Job­cen­ters vor­aus­sicht­lich er­folg­reich, wenn die Fra­gen 1 und 3 ver­neint würden.

Der Aus­gang des Rechts­streits hängt da­von aus, ob die Aus­schluss­re­ge­lung des Art 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II mit eu­ropäischem Primär- und Se­kundärrecht ver­ein­bar ist. Nach­fol­gend wer­den die Zwei­fel des Se­nat an der Aus­le­gung von Vor­schrif­ten des Uni­ons­rechts (Art 267 Abs 2 AEUV), die für das Aus­gangs­ver­fah­ren ent­schei­dungs­er­heb­lich sind, an­hand der Vor­la­ge­fra­gen erläutert. In die­sem Zu­sam­men­hang möch­te das vor­le­gen­de Ge­richt dar­auf hin­wei­sen, dass die Aus­le­gungs­fra­gen Ge­gen­stand zahl­rei­cher und in der Aus­le­gung eu­ropäischen Rechts un­ter­schied­li­cher so­zi­al­ge­richt­li­cher Ent­schei­dun­gen, zu­meist in Ver­fah­ren des einst­wei­li­gen Rechts­schut­zes sind, die nach­fol­gend nur ex­em­pla­risch wie­der­ge­ge­ben wer­den können. Ein An­spruch der Kläger auf Leis­tun­gen zur Si­che­rung des Le­bens­un­ter­halts nach dem SGB II könn­te (wei­ter­hin) be­stan­den ha­ben, wenn die Aus­schluss­re­ge­lung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II auf die Kläge­rin­nen zu 1 und 2 schon we­gen Ver­s­toßes ge­gen das Gleich­be­hand­lungs­ge­bot des Art 4 VO (EG) 883/2004 un­an­wend­bar war. Als Rechts­fol­ge des Gleich­be­hand­lungs­ge­bots des Art 4 VO (EG) 883/2004 in ei­ner Si­tua­ti­on wie der des Aus­gangs­ver­fah­rens kommt in Be­tracht, dass den An­gehöri­gen der be­nach­tei­lig­ten Grup­pe, al­so hier den Kläge­rin­nen zu 1) und 2) als Uni­onsbürge­rin­nen an­de­rer Mit­glied­staa­ten, die SGB II-Leis­tun­gen un­ter den­sel­ben Be­din­gun­gen wie deut­schen Staats­an­gehöri­gen, al­so un­ter vollständi­gem Weg­fall der Aus­schluss­re­ge­lung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II, zu er­brin­gen sind, so­lan­ge kei­ne ge­eig­ne­te und nicht dis­kri­mi­nie­ren­de Maßnah­men zur Wie­der­her­stel­lung der Gleich­be­hand­lung er­las­sen wor­den sind (vgl EuGH Ur­teil vom 22.6.2011 - Rs C-399/09 (Land­tová), Slg 2011, I-5573 ff).

Die Kläge­rin zu 1) - und da­mit auch die Kläger zu 2) bis 4) als de­ren Fa­mi­li­en­an­gehöri­ge - un­ter­fal­len dem persönli­chen Gel­tungs­be­reich der VO (EG) 883/2004. Nach Art 2 Abs 1 VO (EG) 883/2004 gilt die­se Ver­ord­nung für Staats­an­gehöri­ge ei­nes Mit­glied­staats, für die die Rechts­vor­schrif­ten ei­nes oder meh­re­rer Mit­glied­staa­ten gel­ten oder gal­ten so­wie für ih­re Fa­mi­li­en­an­gehöri­gen. Un­ter "Rechts­vor­schrif­ten" sind nach Art 1 Buchst I VO(EG) 883/2004 für je­den Mit­glied­staat die Ge­set­ze, Ver­ord­nun­gen, Sat­zun­gen und al­le an­de­ren Durchführungs­vor­schrif­ten in Be­zug auf die in Art 3 Abs 1 VO (EG) 883/2004 ge­nann­ten Zwei­ge der so­zia­len Si­cher­heit zu ver­ste­hen. Da­mit wird ein Be­zug des Be­tref­fen­den zu ei­nem So­zi­al­ver­si­che­rungs- oder Fa­mi­li­en­leis­tungs­sys­tem in ei­nem der Mit­glied­staa­ten ge­for­dert. Wie das SG fest­ge­stellt hat, ist der persönli­che An­wen­dungs­be­reich be­reits des­halb eröff­net, weil die Kläge­rin zu 1) für die wei­te­ren Kläger Kin­der­geld, al­so ei­ne Fa­mi­li­en­leis­tung im Sin­ne von Art 3 Abs 1 Buchst j VO (EG) 883/2004 iVm Art 1 Buchst z VO(EG) 883/2004, be­zo­gen hat.

Die Leis­tun­gen zur Si­che­rung des Le­bens­un­ter­halts nach dem SGB II sind be­son­de­re bei­trags­un­abhängi­ge Geld­leis­tun­gen im Sin­ne von Art 70 VO (EG) 883/2004. Durch das Er­for­der­nis der Er­werbsfähig­keit (§ 7 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB II) als Vor­aus­set­zung für die Leis­tungs­be­rech­ti­gung ei­nes Mit­glieds der Be­darfs­ge­mein­schaft be­steht ein Be­zug zu den Leis­tun­gen bei Ar­beits­lo­sig­keit iS des Art 3 Abs 1 Buchst h VO (EG) 883/2004. An­ders als die bei­trags­be­zo­ge­ne Ver­si­che­rungs­leis­tung des Alg I nach dem Drit­ten Buch So­zi­al­ge­setz­buch - Ar­beitsförde­rung - (SGB III) wer­den Leis­tun­gen zur Si­che­rung des Le­bens­un­ter­halts nach dem SGB II, aber un­abhängig von Beschäfti­gungs-, Mit­glieds- oder Bei­trags­zei­ten gewährt und ha­ben kei­ne an den bis­he­ri­gen Ver­dienst an­knüpfen­de Ent­gel­ter­satz­funk­ti­on. Die Be­wil­li­gung von Leis­tun­gen zur Si­che­rung des Le­bens­un­ter­halts hängt al­lein vom Vor­lie­gen von Bedürf­tig­keit ab. Es er­folgt ei­ne bei­trags­un­abhängi­ge Fi­nan­zie­rung durch Steu­er­mit­tel (vgl hier­zu ausführ­lich: BSG Ur­teil vom 18.1.2011 - B 4 AS 14/10 R - BS­GE 107, 206 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 22, Rd­Nr 17 ff mwN; BSG Ur­teil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BS­GE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, Rd­Nr 29).

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Ob das Gleich­be­hand­lungs­ge­bot nach Art 4 VO (EG) 883/2004 nach sei­nem sach­li­chen An­wen­dungs­be­reich - mit Aus­nah­me des Ex­port­aus­schlus­ses des Art 70 Abs 4 VO (EG) 883/2004 - auch auf be­son­de­re bei­trags­un­abhängi­ge Geld­leis­tun­gen an­wend­bar ist, hängt da­von ab, wie der Be­griff der "Rechts­vor­schrif­ten" in Art 4 VO (EG) 883/2004 aus­zu­le­gen ist. Es sind ver­schie­de­ne Aus­le­gun­gen denk­bar. In­so­fern wird die­ser Be­griff in der so­zi­al­ge­richt­li­chen Recht­spre­chung da­hin ver­stan­den, dass nur die Rechts­vor­schrif­ten iS der Le­gal­de­fi­ni­ti­on des Art 1 lit I VO (EG) 883/2004 er­fasst sind und sich das Gleich­be­hand­lungs­ge­bot nur auf die im Ein­zel­nen auf­geführ­ten Zwei­ge der so­zia­len Si­cher­heit nach Art 3 Abs 1 VO (EG) 883/2004 be­zieht (vgl zB LSG Rhein­land-Pfalz Be­schluss vom 21.8.2012 - L 3 AS 250/12 B ER - NZS 2013, 34 ff, ju­ris Rd­Nr 21 ff). Für die­se An­sicht spricht, dass sich der Be­griff der Rechts­vor­schrif­ten in Art 1 Buchst j VO (EWG) 1408/71 nach der ab­wei­chen­den Sys­te­ma­tik der Re­ge­lun­gen zu den bei­trags­un­abhängi­gen Son­der­leis­tun­gen nach der frühe­ren VO (EWG) 1408/71 \226 ne­ben den in Art 4 Abs 1 und 2 die­ser Ver­ord­nung ge­nann­ten Zwei­ge und Sys­te­me der so­zia­len Si­cher­heit - aus­drück­lich auf die in Art 4 Abs 2a der VO (EWG) 1408/71 näher de­fi­nier­ten bei­trags­un­abhängi­gen Son­der­leis­tun­gen be­zog. Die nun­mehr in Art 3 Abs 3 VO (EG) 883/2004 ent­hal­te­ne Be­zug­nah­me auf Art 70 VO (EG) 883/2004 be­inhal­tet nach die­ser An­sicht, dass ei­ne So­zi­al­rechts­ko­or­di­nie­rung bei den be­son­de­ren bei­trags­un­abhängi­gen Geld­leis­tun­gen aus­sch­ließlich nach den Be­stim­mun­gen des Art 70 VO (EG) 883/2004 nur ein­ge­schränkt und oh­ne An­wend­bar­keit des Gleich­be­hand­lungs­ge­bots des Art 4 VO (EG) 883/2004 statt­fin­det.

Nach an­de­rer Auf­fas­sung un­ter­fal­len auch nach der VO (EG) 883/2004 - wie zu­vor nach der (EWG) 1408/71 - sämt­li­che bei­trags­un­abhängi­gen be­son­de­ren Geld­leis­tun­gen mit Aus­nah­me der in Art 70 Abs 3 VO (EG) 883/2004 di­rekt ge­nann­ten Aus­schlüsse un­ein­ge­schränkt dem sach­li­chen An­wen­dungs­be­reich der Ver­ord­nung, al­so auch des­sen Art 4 VO (EG) 883/2004 (vgl zB Bay­ri­sches LSG Ur­teil vom 19.6.2013 - L 16 AS 847/12 - ju­ris Rd­Nr 60 ff, anhängig BSG B 14 AS 51/13 R). Zu die­ser An­sicht neigt auch das vor­le­gen­de Ge­richt. Hierfür spricht, dass mit der Ein­be­zie­hung sämt­li­cher Uni­onsbürger durch die Neu­for­mu­lie­rung des persönli­chen An­wen­dungs­be­reichs der Ver­ord­nung nicht gleich­zei­tig hin­ter den Stand der Ko­or­di­nie­rung be­son­de­rer bei­trags­un­abhängi­ger Geld­leis­tun­gen nach der VO (EWG) 1408/71 zurück­ge­gan­gen wer­den soll­te. Hierfür spricht auch, dass Art 70 Abs 3 VO (EG) 883/2004 den Aus­schluss nur der "Rechts­vor­schrif­ten\224 des Ti­tels III be­inhal­tet. Der EuGH hat - in an­de­rem Zu­sam­men­hang - in ei­ner ak­tu­el­len Ent­schei­dung zu­dem aus­geführt, dass der in der VO (EWG) 1408/71 an ver­schie­de­nen Stel­len ver­wen­de­te Be­griff der "Rechts­vor­schrif­ten" nicht nur nach sei­nem Wort­laut, son­dern auch nach sei­nem Kon­text und den je­wei­li­gen Zie­len aus­zu­le­gen sei (EuGH Ur­teil vom 10.10.2013 - Rs C-321/12 (van der Hel­der/Far­ring­ton), ABl EU 2013, Nr C 344, 33 f).

III. zur Fra­ge 2

Wenn ei­ne An­wend­bar­keit des Gleich­be­hand­lungs­ge­bots des Art 4 VO (EG) 883/2004 auch auf bei­trags­un­abhängi­ge be­son­de­re Geld­leis­tun­gen zu be­ja­hen ist, ist die na­tio­na­le Re­ge­lung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II un­mit­tel­bar dis­kri­mi­nie­rend. Nach Art 4 VO (EG) ha­ben Per­so­nen, wie die Kläge­rin­nen, die in den An­wen­dungs­be­reich der VO fal­len, die glei­chen Rech­te und Pflich­ten auf­grund der Rechts­vor­schrif­ten ei­nes Mit­glied­staats wie die Staats­an­gehöri­gen die­ses Staa­tes vor­be­halt­lich ab­wei­chen­der Re­ge­lun­gen der VO. § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II knüpft für den An­spruchs­aus­schluss ar­beit­su­chen­der Uni­onsbürger un­mit­tel­bar an die Staats­an­gehörig­keit an. Während deut­sche Ar­beit­su­chen­de re­gelmäßig ei­nen An­spruch auf Leis­tun­gen zur Si­che­rung des Le­bens­un­ter­halts nach dem SGB II ha­ben, ist ein sol­cher An­spruch für an­de­re Uni­onsbürger für die Dau­er ih­res Auf­ent­halts­rechts zur Ar­beit­su­che aus­ge­schlos­sen. Das deut­sche Recht lässt kei­ne Aus­le­gung der­ge­stalt zu, dass ar­beit­su­chen­den Uni­onsbürgern, et­wa im vor­lie­gen­den Fall ei­ner weit­ge­hen­den so­zia­len In­te­gra­ti­on der ge­sam­ten Fa­mi­lie in Deutsch­land, den­noch SGB II-Leis­tun­gen er­bracht wer­den könn­ten. Vor die­sem Hin­ter­grund be­zieht sich die zwei­te Vor­la­ge­fra­ge auf die Trag­wei­te des Gleich­be­hand­lungs­ge­bots des Art 4 VO (EG) 883/2004, aber auch des Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bots des Art 18 AEUV, bei bei­trags­un­abhängi­gen be­son­de­ren Geld­leis­tun­gen.

Die Fra­ge­stel­lung be­zieht sich zunächst auf die Aus­le­gung der in Art 4 VO (EG) 883/2004 ent­hal­te­nen For­mu­lie­rung "so­fern in die­ser Ver­ord­nung nichts an­de­res be­stimmt ist". Mit Hin­weis auf de­ren Wort­laut wird die­se Ein­schränkung in der so­zi­al­ge­richt­li­chen Recht­spre­chung zT so ver­stan­den, dass sich Ab­wei­chun­gen vom Gleich­be­hand­lungs­ge­bot aus­sch­ließlich aus der Ver­ord­nung selbst er­ge­ben können, et­wai­ge Recht­fer­ti­gungs­gründe für ei­ne Un­gleich­be­hand­lung al­so aus­drück­lich in der VO (EG) 883/2004 selbst fest­ge­legt sein müssen (vgl zB Hes­si­sches LSG Be­schluss vom 30.9.2013 - L 6 AS 433/13 B ER - ju­ris Rd­Nr 33 mit wei­te­ren Recht­spre­chungs­nach­wei­sen). Nach die­ser An­sicht ist ei­ne Un­gleich­be­hand­lung in An­wen­dung des Art 70 Abs 4 VO (EG) 883/2004 nur in­so­fern möglich, als die be­son­de­ren bei­trags­un­abhängi­gen Geld­leis­tun­gen nicht ex­por­tier­bar sind.

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Es wird je­doch auch die Auf­fas­sung ver­tre­ten, dass bei bei­trags­un­abhängi­gen be­son­de­ren Geld­leis­tun­gen Ein­schränkun­gen des Gleich­be­hand­lungs­ge­bots des Art 4 VO (EG) 883/2004 in Um­set­zung der Re­ge­lung des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG möglich sind (LSG Nie­der­sach­sen-Bre­men Be­schluss vom 23.5.2012 - L 9 AS 347/12 B ER - ju­ris Rd­Nr 35 ff). In­so­fern wird die gleich­falls dem eu­ropäischen Se­kundärrecht zu­zu­ord­nen­de Re­ge­lung des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG von an­de­ren Ge­rich­ten der So­zi­al­ge­richts­bar­keit als "an­der­wei­ti­ge Be­stim­mung" iS des Art 4 VO (EG) 883/2004 an­ge­se­hen. Al­ter­na­tiv wird da­von aus­ge­gan­gen, dass die in Art 70 Abs 4 VO (EG) 883/2004 ent­hal­te­ne For­mu­lie­rung, nach wel­cher der Mit­glied­staat die bei­trags­un­abhängi­gen be­son­de­ren Geld­leis­tun­gen "nach des­sen Rechts­vor­schrif­ten gewährt", ei­ne "an­der­wei­ti­ge Be­stim­mung" iS des Art 4 VO (EG) 883/2004 und Ab­wei­chung vom strik­ten Gleich­be­hand­lungs­ge­bot ermöglicht. In­so­fern hält der Se­nat für klärungs­bedürf­tig, ob der in Art 70 Abs 4 VO (EG) 883/2004 ent­hal­te­ne Be­griff "nach des­sen Rechts­vor­schrif­ten" aus­sch­ließlich re­gelt, dass auch dann nur die Rechts­vor­schrif­ten des Wohn­mit­glied­staats An­wen­dung fin­den, wenn die be­tref­fen­de Per­son nach den Re­ge­lun­gen der Art 11 ff VO (EG) 883/2004 ei­gent­lich den Rechts­vor­schrif­ten ei­nes an­de­ren Mit­glied­staats un­ter­liegt (vgl Ot­ting in Hauck/Noftz, EU-So­zi­al­recht, Art 70 VO (EG) 883/2004 Rd­Nr 26, Stand 4/2012). Nach an­de­rer Aus­le­gung be­inhal­tet die For­mu­lie­rung des Art 70 Abs 4 VO (EG) 883/2004, wo­nach die be­son­de­ren bei­trags­un­abhängi­gen Leis­tun­gen "nach des­sen Rechts­vor­schrif­ten gewährt wer­den", gleich­zei­tig ei­ne Ab­wei­chungsmöglich­keit vom Gleich­be­hand­lungs­ge­bot des Art 4 VO (EG) 883/2004, al­so ei­ne "Öff­nungs­klau­sel" für ei­ne Leis­tungs­gewährung be­son­de­rer bei­trags­un­abhängi­ger Geld­leis­tun­gen nach na­tio­na­len Rechts­vor­schrif­ten.

Geht man da­von aus, dass Art 70 Abs 4 VO (EG) 883/2004 bei bei­trags­un­abhängi­gen be­son­de­ren Geld­leis­tun­gen ei­ne Ab­wei­chung vom Gleich­be­hand­lungs­ge­bot ermöglicht, so­weit die Ein­schränkung selbst im Ein­klang mit Ge­mein­schafts­recht steht (so wohl EuGH Ur­teil vom 19.9.2013, Rs C-140/12 (Brey), Abl EU 2013, C 344, 26), ist nach Auf­fas­sung des Se­nats wei­ter klärungs­bedürf­tig, ob ei­ne na­tio­na­le Re­ge­lung wie die des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II als zulässi­ge Um­set­zung des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG an­ge­se­hen wer­den kann.

Nach Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG ist der je­wei­li­ge Auf­nah­me­staat ab­wei­chend von dem Gleich­be­hand­lungs­ge­bot des Art 24 Abs 1 RL 2004/38/EG nicht ver­pflich­tet, an­de­ren Per­so­nen als Ar­beit­neh­mern oder Selbstständi­gen, Per­so­nen, de­nen die­ser Sta­tus er­hal­ten bleibt, und ih­ren Fa­mi­li­en­an­gehöri­gen während der ers­ten drei Mo­na­te des Auf­ent­halts oder ge­ge­be­nen­falls während des länge­ren Zeit­raums nach Art 14 Abs 4 Buchst b) RL 2004/38/EG ei­nen An­spruch auf So­zi­al­hil­fe oder vor Er­werb des Rechts auf Dau­er­auf­ent­halt Stu­di­en­bei­hil­fen, ein­sch­ließlich Bei­hil­fen zur Be­rufs­aus­bil­dung, in Form ei­nes Sti­pen­di­ums oder Stu­di­en­dar­le­hens, zu gewähren. In­so­fern geht der Se­nat un­ter Berück­sich­ti­gung der Ent­schei­dung des EuGH in der Rechts­sa­che Brey (EuGH Ur­teil vom 19.9.2013 - Rs C-140/12 (Brey) - ABl EU 2013, C 344, 26), die ei­nen wirt­schaft­lich nicht ak­ti­ven Uni­onsbürger be­traf, da­von aus, dass - we­gen der un­ter­schied­li­chen Ziel­set­zun­gen der VO (EG) 883/2004 und der RL 2004/38/EG - die Cha­rak­te­ri­sie­rung als be­son­de­re bei­trags­un­abhängi­ge Geld­leis­tung nach Art 70 VO (EG) 883/2004 ei­ner Ein­ord­nung als So­zi­al­hil­fe im Sin­ne von Art 24 Abs 2 der RL 2004/38/EG nicht ent­ge­gen­steht (vgl be­reits BVerwG Ur­teil vom 31.5.2012 - 10 C 8/12 - ju­ris Rd­Nr 25 mwN; zwei­felnd noch Ur­teil des Se­nats vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 34). Wei­ter sind die hier al­lein strei­ti­gen SGB II-Leis­tun­gen zur Si­che­rung des Le­bens­un­ter­halts nach ih­rer Aus­ge­stal­tung auch "So­zi­al­hil­fe­leis­tun­gen" im Sin­ne der RL 2004/38/EG. Die­ser Be­griff be­zieht sich nach der Ent­schei­dung des EuGH in Sa­chen Brey auf sämt­li­che von öffent­li­chen Stel­len ein­ge­rich­te­ten Hil­fe­sys­te­me, die auf na­tio­na­ler, re­gio­na­ler oder ört­li­cher Ebe­ne be­ste­hen und die ein Ein­zel­ner in An­spruch nimmt, der nicht über aus­rei­chen­de Exis­tenz­mit­tel zur Be­strei­tung sei­ner Grund­bedürf­nis­se und der­je­ni­gen sei­ner Fa­mi­lie verfügt und des­halb während sei­nes Auf­ent­halts mögli­cher­wei­se die öffent­li­chen Fi­nan­zen des Auf­nahm­e­mit­glied­staats be­las­ten muss, was Aus­wir­kun­gen auf das ge­sam­te Ni­veau der Bei­hil­fe ha­ben kann, die die­ser Staat gewähren kann. Wei­te­re Er­for­der­nis­se hat der EuGH in sei­ner Ent­schei­dung in Sa­chen Brey (EuGH Ur­teil vom 19.9.2013 - Rs C-140/12 (Brey) - ABl EU 2013, C 344, 26, Rd­Nr 61) nicht for­mu­liert.

Be­zo­gen auf die zwei­te Vor­la­ge­fra­ge hält es der Se­nat vor die­sem Hin­ter­grund für klärungs­bedürf­tig, ob ein aus­nahms­lo­ser Aus­schluss von So­zi­al­hil­fe­leis­tun­gen möglich ist, wenn sich ein Auf­ent­halts­recht des Uni­onsbürgers al­lein aus dem Zweck der Ar­beit­su­che er­gibt. Aus der Ent­ste­hungs­ge­schich­te des Art 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II er­gibt sich, dass der deut­sche Ge­setz­ge­ber von der Ermäch­ti­gung des Art 24 Abs 2 iVm Art 14 Abs 4 der RL 2004/38/EG auch im Be­reich des SGB II für die Leis­tun­gen zur Si­che­rung des Le­bens­un­ter­halts Ge­brauch ma­chen woll­te (sie­he BT-Drucks 16/688 S 13), um ei­ner un­an­ge­mes­se­nen In­an­spruch­nah­me der SGB II-Leis­tun­gen durch Ar­beit­su­chen­de aus an­de­ren Mit­glied­staa­ten ent­ge­gen­zu­wir­ken. Dies be­trifft Uni­onsbürger, die ih­ren gewöhn­li­chen Auf­ent­halt im Bun­des­ge­biet ha­ben und de­ren Auf­ent­halt nicht be­en­det wer­den kann bzw wird, die als Ar­beit­su­chen­de je­doch nicht (mehr) über aus­rei­chen­de Exis­tenz­mit­tel im Sin­ne des Art 7 Abs 1 Buchst b RL 2004/38/EG verfügen. Für die Möglich­keit ei­nes Aus­schlus­ses spricht, dass die exis­tenz­si­chern­den Leis­tun­gen nach dem SGB II für ei­nen zeit­lich be­grenz­ten Zeit­raum nur die­ses Auf­ent­halts­rechts nicht er­bracht wer­den. Auch können Ar­beits­lo­se, die sich in ei­nen an­de­ren Mit­glied­staat be­ge­ben, ih­ren An­spruch auf Leis­tun­gen bei Ar­beits­lo­sig­keit für ei­nen Zeit­raum von bis zu sechs Mo­na­ten in ei­nen an­de­ren Mit­glied­staat mit­neh­men (Art 64 VO (EG) 883/2004).

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Die in Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG ent­hal­te­ne For­mu­lie­rung "oder ggf für ei­nen länge­ren Zeit­raum" könn­te al­ler­dings auch so aus­zu­le­gen sein, dass na­tio­na­le Re­ge­lun­gen bei ei­nem Aus­schluss Ar­beit­su­chen­der von So­zi­al­hil­fe­leis­tun­gen für mehr als drei Mo­na­te ei­ne Ein­zel­fall­prüfung zu­las­sen müssen. In­so­fern er­scheint dem Se­nat un­abhängig von dem Kri­te­ri­um ei­ner schon be­ste­hen­den Ver­bin­dung zum deut­schen Ar­beits­markt (vgl hier­zu 3) klärungs­bedürf­tig, ob ei­ne verhält­nismäßige Aus­ge­stal­tung der Aus­schluss­re­ge­lung für Ar­beit­su­chen­de im Sin­ne des Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bots des Art 18 AEUV er­for­dert, dass be­son­de­re Umstände, et­wa - wie im vor­lie­gen­den Fall - die ge­sam­te Dau­er ei­nes (auch frühe­ren) Auf­ent­halts im an­de­ren Mit­glied­staat und ei­ne weit­ge­hen­de In­te­gra­ti­on auch bei ar­beit­su­chen­den Uni­onsbürgern zu berück­sich­ti­gen sind. Im vor­lie­gen­den Fall hängt die Ent­schei­dung des Rechts­streits auch von die­ser Fra­ge­stel­lung ab.

3. Un­abhängig von ei­nem mögli­chen Ver­s­toß ge­gen das Gleich­be­hand­lungs­ge­bot des Art 4 VO (EG) 883/2004 könn­ten - in der hier vor­lie­gen­den Fall­kon­stel­la­ti­on - die spe­zi­fi­schen Freizügig­keits­rech­te der Kläge­rin­nen zu 1) und 2) als im Mai 2012 Ar­beit­su­chen­de ih­rem Leis­tungs­aus­schluss nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II ent­ge­gen­ste­hen. In sei­nem Ur­teil vom 4.6.2009 (C-22/08, C-23/08 (Vat­sou­ras) - Slg 2009, I-4585 = SozR 4-6035 Art 39 Nr 5 Rd­Nr 31) hat der EuGH un­ter Be­zug­nah­me auf sei­ne bis­he­ri­ge Recht­spre­chung aus­geführt, dass es an­ge­sichts der Einführung der Uni­onsbürger­schaft und der Aus­le­gung, die das Recht der Uni­onsbürger auf Gleich­be­hand­lung in der Recht­spre­chung er­fah­ren ha­be, nicht mehr möglich sei, vom An­wen­dungs­be­reich des Art 39 Abs 2 EG (nun­mehr Art 45 Abs 2 AEUV) im Lich­te des Art 12 EG (nun­mehr Art 18 AEUV; vgl EuGH Ur­teil vom 25.10.2012 - Rs C-367/11 (Pre­te) -ABl EU 2012, C 399, 6 - zur Veröffent­li­chung in Slg 2012 vor­ge­se­hen, Rd­Nr 23) ei­ne fi­nan­zi­el­le Leis­tung aus­zu­neh­men, die den Zu­gang zum Ar­beits­markt ei­nes Mit­glied­staats er­leich­tern sol­le. Es sei je­doch le­gi­tim, dass ein Mit­glied­staat ei­ne sol­che Bei­hil­fe erst leis­te, nach­dem das Be­ste­hen ei­ner tatsächli­chen Ver­bin­dung des Ar­beit­su­chen­den mit dem Ar­beits­markt die­ses Staa­tes fest­ge­stellt wor­den sei (aaO mwN). In­so­fern hält der Se­nat für klärungs­bedürf­tig, ob die na­tio­na­le Re­ge­lung ge­gen eu­ropäisches Primärrecht verstößt, weil sie ei­ne sol­che Prüfung für die Dau­er ei­nes Auf­ent­halts­rechts als Ar­beit­su­chen­de nicht ermöglicht. Dies dürf­te da­von abhängen, ob bei ei­nem al­lei­ni­gen Auf­ent­halts­recht zur Ar­beit­su­che ge­ne­rell ei­ne aus­rei­chen­de Ver­bin­dung zum Ar­beits­markt des Mit­glied­staats ver­neint wer­den kann.

Die drit­te Vor­la­ge­fra­ge geht da­von aus, dass sich bei den Leis­tun­gen zur Si­che­rung des Le­bens­un­ter­halts nach dem SGB II - auch wenn die­se "So­zi­al­hil­fe­leis­tun­gen" im Sin­ne von Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG sind - nach der vom deut­schen Ge­setz­ge­ber fest­ge­leg­ten Aus­ge­stal­tung des Sys­tems exis­tenz­si­chern­der Leis­tun­gen aus Steu­er­mit­teln gleich­zei­tig auch um Leis­tun­gen han­delt, die den Zu­gang zum Ar­beits­markt er­leich­tern (vgl Schluss­anträge des Be­richt­er­stat­ters Co­lo­mer in der Rs C-22/08 (Vat­sou­ras) vom 12.3.2009, Slg 2009, I-4585, Rd­Nr 57; an­ders das vor der Ent­schei­dung Brey er­gan­ge­ne Ur­teil des EuGH vom 4.6.2009 in der Rs C-22/08, C 23/08 (Vat­sou­ras), Slg 2009, I-4585, Rd­Nr 45; aA Vor­la­ge­be­schluss des SG Leip­zig vom 3.6.2013 - S 17 AS 2198/12 - ju­ris Rd­Nr 64 ff). Da­bei ver­steht der Se­nat die bis­he­ri­ge Recht­spre­chung des EuGH so, dass die­se Leis­tun­gen nicht ei­gens oder aus­sch­ließlich auf die Ein­glie­de­rung des Empfängers in den Ar­beits­markt ge­rich­tet sein müssen. Aus­rei­chend dürf­te sein, dass die So­zi­al­leis­tung den Zu­gang zum Ar­beits­le­ben er­leich­tert (vgl EuGH Ur­teil vom 23.3.2004 in der Rs C-138/02 (Col­lins) - Slg 2004, I-2703, Rd­Nr 68; EuGH Ur­teil vom 25.10.2012 - Rs C-367/11 (Pre­te) ABl EU 2012, C 399, 6 - zur Veröffent­li­chung in Slg vor­ge­se­hen, Rd­Nr 25 mwN). Da­bei ist der na­tio­na­le Ge­setz­ge­ber bei der Aus­ge­stal­tung von So­zi­al­leis­tun­gen eu­ro­pa­recht­lich grundsätz­lich nicht auf ein be­stimm­tes so­zi­al­po­li­ti­sches Kon­zept fest­ge­legt (vgl EuGH Ur­teil vom 14.12.1995 - C-317/93 (Nol­te) - Slg 1995, I-4625 ff, Rd­Nr 33 = SozR 3-6083 Art 4 Nr 11; vgl auch den vier­ten Erwägungs­grund der VO (EG) 883/2004).

Mit der kom­plet­ten Neu­struk­tu­rie­rung der exis­tenz­si­chern­den Leis­tun­gen seit dem Jah­re 2005 hat sich der bun­des­deut­sche Ge­setz­ge­ber im Rah­men sei­ner Ge­stal­tungs­frei­heit bei exis­tenz­si­chern­den Leis­tun­gen, die aus Steu­er­mit­teln fi­nan­ziert wer­den, für ei­ne stärke­re Ak­ti­vie­rung er­werbsfähi­ger Per­so­nen im Sin­ne ei­ner Ar­beits­markt­in­te­gra­ti­on ent­schie­den. Für die An­spruchs­be­rech­ti­gung nach dem SGB II wird primär auf die Er­werbsfähig­keit der bedürf­ti­gen Per­so­nen ab­ge­stellt, die das maßgeb­li­che Ab­gren­zungs­kri­te­ri­um für ei­ne Zu­ord­nung zur Grund­si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de nach dem SGB II dar­stellt (BT-Drucks 17/1940 S 20 zu Nr 8). Da nach § 8 Abs 1 SGB II be­reits er­werbsfähig ist, wer nicht we­gen Krank­heit oder Be­hin­de­rung auf (nicht) ab­seh­ba­re Zeit außer­stan­de ist, un­ter den übli­chen Be­din­gun­gen des all­ge­mei­nen Ar­beits­mark­tes min­des­tens drei St­un­den täglich er­werbstätig zu sein, ist die weit­aus über­wie­gen­de Zahl der auf exis­tenz­si­chern­de Leis­tun­gen an­ge­wie­se­nen Per­so­nen dem SGB II zu­ge­ord­net. Leis­tun­gen nach dem So­zi­al­ge­setz­buch - So­zi­al­hil­fe - (SGB XII) er­hal­ten seit 2005 nur noch die­je­ni­gen, die nicht nach dem SGB II als Er­werbsfähi­ge oder als An­gehöri­ge dem Grun­de nach leis­tungs­be­rech­tigt sind (§ 21 SGB XII).

Für die Ein­ord­nung der Leis­tun­gen zur Si­che­rung des Le­bens­un­ter­halts nach dem SGB II als Leis­tun­gen, die den Zu­gang zum Ar­beits­markt er­leich­tern sol­len, spricht da­her zunächst die An­spruchs­vor­aus­set­zung der Er­werbsfähig­keit (vgl EuGH Ur­teil vom 4.6.2009, Rs C-22/08, C-23/08 (Vat­sou­ras) - Slg 2009 I-4585, Rd­Nr 43 f). Die Zu­ord­nung zu dem Leis­tungs­sys­tem des SGB II und die da­mit ver­bun­de­ne Zuständig­keit der mit der Ar­beits­mark­in­te­gra­ti­on er­fah­re­nen Job­cen­ter er­leich­tert den Zu­gang zum Ar­beits­markt. Wei­ter enthält das SGB II in 

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ei­nem ge­son­der­ten Ka­pi­tel die Leis­tun­gen zur Ein­glie­de­rung in Ar­beit, die spe­zi­el­le, für die Per­so­nen­grup­pe der er­werbsfähi­gen Leis­tungs­be­rech­tig­ten nach dem SGB II vor­ge­se­he­ne Leis­tun­gen ent­hal­ten (zB Ein­stiegs­geld nach § 16b SGB II "wenn dies zur Ein­glie­de­rung in den all­ge­mei­nen Ar­beits­markt er­for­der­lich ist"; Ar­beits­ge­le­gen­hei­ten nach § 16d SGB II "zur Er­lan­gung oder Wie­der­er­lan­gung ih­rer Beschäfti­gungsfähig­keit, die für ei­ne Ein­glie­de­rung in Ar­beit er­for­der­lich ist"; Förde­rung von Ar­beits­verhält­nis­sen durch Zuschüsse zum Ar­beits­ent­gelt an Ar­beit­ge­ber für die Beschäfti­gung zu­ge­wie­se­ner er­werbsfähi­ger Leis­tungs­be­rech­tig­ter nach § 16e SGB II).

Vor dem Hin­ter­grund ei­ner Ein­ord­nung der SGB II-Leis­tun­gen als sol­che So­zi­al­leis­tun­gen, die den Zu­gang zum Ar­beits­markt er­leich­tern, hält der Se­nat für klärungs­bedürf­tig, ob die Aus­schluss­klau­sel des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II mit eu­ropäischem Primärrecht kon­form ist. Ge­gen die Verhält­nismäßig­keit der Re­ge­lung könn­te in­so­fern spre­chen, dass ge­ra­de bei gu­ten Aus­sich­ten der Ar­beit­su­che und Ver­mitt­lung, al­so wei­ter­hin - über drei bzw sechs Mo­na­te hin­aus - be­ste­hen­dem Auf­ent­halts­recht zur Ar­beit­su­che, der Aus­schluss von den SGB II-Leis­tun­gen oh­ne ge­setz­lich fi­xier­te End­gren­ze fort­be­steht. Es ist frag­lich, ob ei­ne zulässi­ge Ty­pi­sie­rung vor­liegt, wenn die na­tio­na­le Re­ge­lung da­von aus­geht, dass für ei­ne nicht im vor­hin­ein ein­deu­tig fest­ge­leg­te Zeit re­gelmäßig kei­ne aus­rei­chen­de Ver­bin­dung zum in­ner­staat­li­chen Ar­beits­markt be­ste­hen kann. Für Uni­onsbürger mit ei­nem Auf­ent­halts­recht al­lein zur Ar­beit­su­che lässt die Aus­schluss­re­ge­lung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II kei­ne ein­zel­fall­be­zo­ge­ne Berück­sich­ti­gung ei­ner den­noch be­ste­hen­den Ver­bin­dung mit dem zum in­ner­staat­li­chen Ar­beits­markt bzw ei­ner sons­ti­gen tatsächli­chen Ver­bin­dung zum Auf­nahm­e­mit­glied­staat (EuGH Ur­teil vom 21.7.2011 - Rs C-503/09 (Ste­wart) - Slg 2011, I-6497, Rd­Nr 104) zu. Der Aus­gangs­sach­ver­halt ver­deut­licht dies. Die Kläge­rin­nen wa­ren be­reits früher im Bun­des­ge­biet wirt­schaft­lich ak­tiv, hat­ten ei­ne langjähri­ge Ver­bin­dung zu Deutsch­land und ha­ben un­mit­tel­bar nach Ab­lauf des hier strei­ti­gen Zeit­raums ei­ne be­ruf­li­che Tätig­keit auf­ge­nom­men. Es kann da­her da­von aus­ge­gan­gen wer­den, dass sie trotz ih­res auf­ent­halts­recht­li­chen Sta­tus als ar­beit­su­chen­de Uni­onsbürger durch­ge­hend be­reits ei­ne tatsächli­che Ver­bin­dung mit dem Ar­beits­markt in Deutsch­land hat­ten. Auch die drit­te Vor­la­ge­fra­ge ist da­her für den Rechts­streit ent­schei­dungs­er­heb­lich.

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