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BAG, Ur­teil vom 24.09.2014, 5 AZR 611/12

   
Schlagworte: Kopftuch, Kirchenarbeitsrecht, Diskriminierung: Religion
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 5 AZR 611/12
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 24.09.2014
   
Leitsätze: Das Tragen eines Kopftuchs als Symbol der Zugehörigkeit zum islamischen Glauben und damit als Kundgabe einer anderen Religionszugehörigkeit ist regelmäßig mit der arbeitsvertraglichen Verpflichtung einer in einer Einrichtung der Evangelischen Kirche tätigen Arbeitnehmerin zu einem zumindest neutralen Verhalten gegenüber der Evangelischen Kirche nicht in Einklang zu bringen.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Bochum, Urteil vom 31.3.2011 - 3 Ca 2843/10
Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 17.2.2012 - 18 Sa 867/11
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


5 AZR 611/12
18 Sa 867/11
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Hamm

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am
24. Sep­tem­ber 2014

UR­TEIL

Rad­t­ke, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläge­rin, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Be­klag­te, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Fünf­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 24. Sep­tem­ber 2014 durch den Vi­ze­präsi­den­ten des Bun­des­ar­beits­ge­richts Dr. Müller-Glöge, den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Biebl, die Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt We­ber so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Dittrich und Dr. Dom­brow­sky für Recht er­kannt:
 


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1. Auf die Re­vi­si­on der Kläge­rin wird das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Hamm vom 17. Fe­bru­ar 2012 - 18 Sa 867/11 - auf­ge­ho­ben.


2. Die Sa­che wird zur neu­en Ver­hand­lung und Ent­schei­dung - auch über die Kos­ten der Re­vi­si­on - an das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­ver­wie­sen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über Vergütung we­gen An­nah­me­ver­zugs.

Die Be­klag­te, ei­ne ge­meinnützi­ge Ge­sell­schaft mit be­schränk­ter Haf­tung, be­treibt ein Kran­ken­haus. Die 1978 ge­bo­re­ne Kläge­rin gehört dem is­la­mi­schen Glau­ben an. Sie wur­de von der Be­klag­ten, bei der sie zunächst seit 1996 ei­ne Aus­bil­dung ab­sol­viert hat­te, in ein Ar­beits­verhält­nis über­nom­men.


Im Ar­beits­ver­trag vom 22. De­zem­ber 2000 heißt es ua.: 


㤠1

Frau T ... wird mit Wir­kung vom 01.02.2001 als Kran­ken­schwes­ter wei­ter­beschäftigt.

§ 2

Ver­trags­in­halt sind


1. die Be­stim­mun­gen des Bun­des-An­ge­stell­ten­ta­rif­ver­tra­ges in der für die An­ge­stell­ten im Be­reich der Evan­ge­li­schen Kir­che von West­fa­len gel­ten­den Fas­sung (BAT-KF),


2. die sons­ti­gen für die Dienst­verhält­nis­se der An­ge-stell­ten im Be­reich der Evan­ge­li­schen Kir­che von West­fa­len be­schlos­se­nen ar­beits­recht­li­chen Be­stim­mun­gen,


wie sie auf­grund des Kir­chen­ge­set­zes über das Ver­fah­ren zur Re­ge­lung der Ar­beits­verhält­nis­se der Mit­ar­bei­ter im kirch­li­chen Dienst (Ar­beits­rechts­re­ge­lungs­ge­setz - ARRG) und sei­nen Ände­run­gen ge­re­gelt sind.“
 


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Die Präam­bel des Bun­des-An­ge­stell­ten­ta­rif­ver­trags in kirch­li­cher Fas­sung (im Fol­gen­den: BAT-KF) lau­tet:

„Präam­bel

Der kirch­li­che Dienst ist durch den Auf­trag der Verkündi­gung des Evan­ge­li­ums in Wort und Tat be­stimmt. Nach ih­ren Ga­ben, Auf­ga­ben und Ver­ant­wor­tungs­be­rei­chen tra­gen die kirch­li­chen Mit­ar­bei­ten­den, wie es in der ‚Richt­li­nie des Ra­tes der EKD nach § 9 Buch­sta­be b Grund­ord­nung über die An­for­de­run­gen der pri­vat­recht­li­chen be­ruf­li­chen Mit­ar­beit in der EKD und des Dia­ko­ni­schen Wer­kes der EKD‘ in der Fas­sung vom 1. Ju­li 2005 be­stimmt ist, zur Erfüllung die­ses Auf­trags bei. Ihr ge­sam­tes Ver­hal­ten im Dienst und außer­halb des Diens­tes muss der Ver­ant­wor­tung ent­spre­chen, die sie als Mit­ar­bei­ten­de im Dienst der Kir­che über­nom­men ha­ben. Es wird von ih­nen er­war­tet, dass sie die frei­heit­lich de­mo­kra­ti­sche Grund­ord­nung im Sin­ne des Grund­ge­set­zes be­ja­hen.“


In der „Richt­li­nie des Ra­tes der Evan­ge­li­schen Kir­che in Deutsch­land nach Art. 9 Buchst. b Grund­ord­nung über die An­for­de­run­gen der pri­vat­recht­li­chen be­ruf­li­chen Mit­ar­beit in der Evan­ge­li­schen Kir­che in Deutsch­land und des dia­ko­ni­schen Wer­kes der EKD“ (im Fol­gen­den: RL-EKD) heißt es aus­zugs­wei­se:


㤠2
Grund­la­gen des kirch­li­chen Diens­tes

(1) Der Dienst der Kir­che ist durch den Auf­trag be­stimmt, das Evan­ge­li­um in Wort und Tat zu be­zeu­gen. Al­le Frau­en und Männer, die in An­stel­lungs­verhält­nis­sen in Kir­che und Dia­ko­nie tätig sind, tra­gen in un­ter­schied­li­cher Wei­se da­zu bei, dass die­ser Auf­trag erfüllt wer­den kann. Die­ser Auf­trag ist Grund­la­ge der Rech­te und Pflich­ten von An­stel­lungs­trägern so­wie Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern.
...


§ 4
Be­ruf­li­che An­for­de­run­gen während des Ar­beits­verhält­nis­ses

(1) Je nach Auf­ga­ben­be­reich über­neh­men Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter Ver­ant­wor­tung für die glaubwürdi­ge Erfüllung kirch­li­cher und dia­ko­ni­scher Auf­ga­ben. Sie ha­ben sich da­her loy­al ge­genüber der evan­ge­li­schen Kir­che


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zu ver­hal­ten.


(2) Von evan­ge­li­schen Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern wird er­war­tet, dass sie Schrift und Be­kennt­nis an­er­ken­nen. So­fern sie in der Verkündi­gung, Seel­sor­ge, Un­ter­wei­sung oder Lei­tung tätig sind, wird ei­ne in­ner- und außer­dienst­li­che Le­bensführung er­war­tet, die der über­nom­me­nen Ver­ant­wor­tung ent­spricht.

(3) Von christ­li­chen Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern wird er­war­tet, dass sie Schrift und Be­kennt­nis ach­ten und für die christ­li­che Prägung ih­rer Ein­rich­tung ein­tre­ten.

(4) Nicht­christ­li­che Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter ha­ben den kirch­li­chen Auf­trag zu be­ach­ten und die ih­nen über­tra­ge­nen Auf­ga­ben im Sin­ne der Kir­che zu erfüllen.“


In ei­ner zwi­schen der Be­klag­ten und der Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung ge­schlos­se­nen „Dienst­ver­ein­ba­rung zur Per­so­nal­hy­gie­ne ...“ vom 24. Au­gust 2009 ist ua. ge­re­gelt:


„Vor­wort

Die A gGmbH stellt den Mit­ar­bei­tern un­ent­gelt­lich Be­rufs-und Schutz­klei­dung zur Verfügung, so­weit dies nach den ge­setz­li­chen oder an­er­kann­ten Re­geln der Kran­ken­haus­hy­gie­ne und des Ar­beits­schut­zes er­for­der­lich ist.

...

Die Be­reit­stel­lung der Dienst­klei­dung durch den Ar­beit­ge­ber hat zum Ziel, ein ein­heit­li­ches Er­schei­nungs­bild nach außen zu do­ku­men­tie­ren und da­mit die Ein­hal­tung der Un­fall­verhütungs­vor­schrif­ten (UVV) und Hy­gie­ne­vor­schrif­ten zu er­leich­tern.

...

Die Um­set­zung die­ser Dienst­an­wei­sung ist für al­le Mit­ar­bei­ter ver­bind­lich.

...

1. Be­rufs­klei­dung

...

l In den Ab­tei­lun­gen und Be­rei­chen des Kran­ken­hau­ses, in de­nen Be­rufs- und Schutz­klei­dung zu tra­gen ist, ist das Tra­gen von sons­ti­ger Pri­vat­klei­dung (z.B. Jeans, Pull­over, Hals­tuch, Kopf­tuch) un­ter­sagt. Bei Dienst­we­gen außer-

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halb des Kran­ken­hau­ses (Per­so­nal­ab­tei­lung) kann ei­ne Strick­ja­cke, Pull­over über der Be­rufs­klei­dung ge­tra­gen wer­den, eben­so bei Zei­ten außer­halb der di­rek­ten Pa­ti­en­ten­be­treu­ung kann ei­ne Strick­ja­cke, Pull­over über der Be­rufs­klei­dung ge­tra­gen wer­den.


- Die Be­rufs­klei­dung ist re­gelmäßig der Auf­be­rei­tung der Kran­ken­hauswäsche­rei zu­zuführen. Die Be­rufs­klei­dung darf auf kei­nen Fall zu Hau­se ge­wa­schen wer­den.

...

12. All­ge­mei­ne Hin­wei­se

- Vor Be­tre­ten der Ca­fe­te­ria ist der Dienst­kit­tel in der Gar­de­ro­be ab­zu­le­gen.

- Das Tra­gen von Kopftüchern ist während der Ar­beits­zeit nicht ge­stat­tet.

- Das Tra­gen von Ste­tho­sko­pen in der Ca­fe­te­ria ist un­ter­sagt.

...“

Die Kläge­rin be­fand sich vom 27. März 2006 bis zum 28. Ja­nu­ar 2009 in El­tern­zeit. An­sch­ließend war sie ar­beits­unfähig krank. Mit ge­werk­schaft­li­chem Schrei­ben vom 26. April 2010 wand­te sich die Kläge­rin we­gen ei­ner von ihr gewünsch­ten Wie­der­ein­glie­de­rung an die Be­klag­te und teil­te gleich­zei­tig mit, sie wol­le aus re­li­giösen Gründen während ih­rer Tätig­keit ein Kopf­tuch tra­gen. In ei­nem wei­te­ren Schrei­ben ih­rer da­ma­li­gen Be­vollmäch­tig­ten vom 18. Mai 2010 heißt es ua.:


„...

Frau T teil­te uns mit, dass Sie sich bei ihr noch nicht bezüglich der gewünsch­ten Wie­der­ein­glie­de­rung ge­mel­det ha­ben.

Wir bit­ten Sie, mit Frau T Kon­takt auf­zu­neh­men und Ihr Zeit und Ort für die Wie­der­auf­nah­me der Tätig­keit bis zum 21.05.2010 mit­zu­tei­len.

Mit die­sem Schrei­ben bie­ten wir of­fi­zi­ell die Ar­beits­kraft un­se­res Mit­glie­des an und wer­den, soll­te ei­ne Re­ak­ti­on Ih­rer­seits nicht er­fol­gen, ar­beits­recht­li­che Schrit­te zur Durch­set­zung des Beschäfti­gungs­an­spruchs ein­lei­ten.

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...“

Die Be­klag­te ant­wor­te­te hier­auf mit Schrei­ben ih­rer Be­vollmäch­tig­ten vom 25. Mai 2010, in dem ua. aus­geführt wird:

„...

Ih­re Man­dan­tin hat­te dar­um ge­be­ten, ein Wie­der­ein­glie­de­rungs­ver­fah­ren durch­zuführen. Wie Ih­nen be­kannt ist, be­steht auf die Durchführung ei­nes sol­chen Ver­fah­rens kein Rechts­an­spruch. Un­se­re Man­dan­tin hat­te sich gleich­wohl da­zu be­reit erklärt un­ter der Vor­aus­set­zung, dass die Klei­der­ord­nung ein­ge­hal­ten wird. Gem. Zif­fer 12 ist das Tra­gen von Kopftüchern während der Ar­beits­zeit nicht ge­stat­tet. Die Klei­der­ord­nung ist sei­ner­zeit ge­mein­sam mit der Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung be­schlos­sen wor­den.

Wie Sie in Ih­rem Schrei­ben vom 26.4.2010 mit­tei­len, trägt Frau T das Kopf­tuch auf­grund ih­rer re­li­giösen Aus­rich­tung. Bei un­se­rer Man­dan­tin han­delt es sich um ein kon­fes­sio­nel­les Kran­ken­haus. In kon­fes­sio­nel­len Kran­kenhäusern hat der Ar­beit­ge­ber ein Di­rek­ti­ons­recht da­hin­ge­hend, dass er das Tra­gen von Kopftüchern ver­bie­ten kann.

...

Un­se­re Man­dan­tin be­steht nach wie vor dar­auf, dass das Kopf­tuch­ver­bot ein­ge­hal­ten wird. So­bald die ent­spre­chen-de Zu­stim­mung Ih­rer Man­dan­tin vor­liegt, kann ein Wie­der­ein­glie­de­rungs­ver­fah­ren durch­geführt wer­den.

...“

Mit Schrei­ben ih­rer jet­zi­gen Be­vollmäch­tig­ten vom 25. Au­gust 2010 wand­te sich die Kläge­rin wie folgt er­neut an die Be­klag­te:

„...
Un­se­re Man­dan­tin be­fin­det sich seit Be­ginn ih­rer Aus­bil­dung im Ka­len­der­jahr 1996 bis heu­te bei Ih­nen in ei­nem Ar­beits­verhält­nis als Kran­ken­schwes­ter. Auf­grund ei­ner länge­ren Er­kran­kung nach Be­en­di­gung ih­rer El­tern­zeit im Ja­nu­ar 2009 soll­te sie ab dem 23.08.2010 ih­re Tätig­keit wie­der auf­neh­men. In Ab­spra­che mit Ih­nen und ih­rem Haus­arzt wur­de ein Wie­der­ein­glie­de­rungs­plan er­ar­bei­tet.

Als un­se­re Man­dan­tin Ih­nen am 23.08.2010 Ih­re Ar­beits­leis­tung an­bot, erklärten Sie un­se­rer Man­dan­tin, dass sie ihr Kopf­tuch während der Ar­beits­zeit ab­le­gen müsse. Mit

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ei­nem Kopf­tuch tra­gend brau­che sie nicht zu er­schei­nen. Sie droh­ten Ihr an, dass so­fern Sie dies nicht täte, ihr ge­genüber ei­ne Kündi­gung aus­ge­spro­chen wer­den würde. Un­se­re Man­dan­tin ist aus tief re­li­giösen Gründen nicht ge­neigt, ihr Kopf­tuch während der Ar­beits­zeit ab­zu­le­gen.

Hier­mit bie­ten wir Ih­nen na­mens und im Auf­tra­ge un­se­rer Man­dan­tin noch­mals ih­re

Ar­beits­leis­tung

an.

Un­se­re Man­dan­tin ist be­reit, un­verzüglich die Ar­beit in Ih­rem Hau­se auf­zu­neh­men.


Bit­te tei­len Sie uns mit, wann un­se­re Man­dan­tin zum Dienst er­schei­nen soll.

...“

Die Be­klag­te erklärte hier­auf mit Schrei­ben vom 30. Au­gust 2010 ua.: 


„...
Auf das in Ko­pie bei­gefügte Schrei­ben der Ge­werk­schaft ver.di vom 18.5.2010 ha­ben wir be­reits am 25.5.2010 ge­ant­wor­tet. Auch von die­sem Schrei­ben fügen wir ei­ne Ko­pie bei, auf das wir voll­in­halt­lich Be­zug neh­men. Da­her ist das ‚An­ge­bot‘ Ih­rer Man­dan­tin zur Ar­beits­auf­nah­me nicht ord­nungs­gemäß er­folgt.
...“


Mit ih­rer am 4. No­vem­ber 2010 ein­ge­reich­ten, mehr­fach er­wei­ter­ten Kla­ge hat die Kläge­rin Vergütungs­ansprüche für den Zeit­raum 23. Au­gust 2010 bis 31. Ja­nu­ar 2011 gel­tend ge­macht. Sie hat die An­sicht ver­tre­ten, die Be­klag­te sei mit der An­nah­me ih­rer Ar­beits­leis­tung in Ver­zug ge­ra­ten. Durch ein klei­nes, farb­lich an die Dienst­klei­dung an­ge­pass­tes, im Na­cken ge­bun­de­nes Kopf­tuch, wie sie es schon zwi­schen dem 19. Sep­tem­ber und En­de De­zem­ber 2005 ge­tra­gen ha­be, wer­de sie nicht dar­an ge­hin­dert, ih­re Ar­beits­leis­tung als Kran­ken­schwes­ter zu er­brin­gen. Der Be­triebs­ab­lauf wer­de hier­durch nicht be­ein­träch­tigt. Das Ver­bot, ein Kopf­tuch, das ih­re weib­li­chen Rei­ze ver­de­cke, oder ei­ne - wie von der Be­klag­ten in Gesprächen eben­falls un­ter­sagt - ver­gleich­ba­re Kopf­be­de­ckung zu tra­gen, schränke sie un­zulässig in ih­rer Glau­bens­frei­heit und
 


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in ih­rem all­ge­mei­nen Persönlich­keits­recht ein. Sie wer­de da­durch we­gen ih­rer Re­li­gi­on be­nach­tei­ligt. Im Ko­ran fänden sich Aus­sa­gen zur Be­de­ckungs­pflicht der Frau. Ihr gan­zer Körper, aus­ge­nom­men das Ge­sicht und die Hände, sei Au­ra. Die­se Aus­sa­gen würden zwar von den is­la­mi­schen Re­li­gi­ons­leh­rern nicht ein­heit­lich aus­ge­legt, es blei­be aber zu­min­dest die Auf­for­de­rung zu anständi­ger Be­klei­dung, Be­de­ckung der Haa­re oder Verhüllung be­stimm­ter Tei­le des Körpers aus Gründen der Scham. Das in der Dienst­ver­ein­ba­rung zur Per­so­nal­hy­gie­ne ge­re­gel­te Ver­bot sei nicht wirk­sam. Das Kopf­tuch wer­de als re­li­giöses Sym­bol ge­tra­gen und könne nicht wie ein nor­ma­les Klei­dungsstück be­han­delt wer­den. Die Re­ge­lun­gen in der Präam­bel des BAT-KF und der Richt­li­nie des Ra­tes der EKD sei­en un­be­stimmt. Aus dem Ge­bot ei­nes loya­len Ver­hal­tens könne al­len­falls ei­ne Neu­tra­litäts­pflicht ab­ge­lei­tet wer­den, die sie durch das Tra­gen ei­nes Kopf­tuchs nicht ver­let­ze. Das Sicht­bar­ma­chen der ei­ge­nen Re­li­gi­on stel­le kei­nen Loya­litäts­ver­s­toß iSv. § 4 RL-EKD dar. Das Kopf­tuch wer­de von der All­ge­mein­heit nicht mehr nur als Zei­chen is­la­mi­scher Re­li­gi­ons­zu­gehörig­keit, son­dern auch als mo­di­sches Ac­ces­soire ver­stan­den. Sie ge­nieße zu­dem Ver­trau­ens­schutz, weil die Be­klag­te sie in Kennt­nis ih­rer is­la­mi­schen Re­li­gi­ons­zu­gehörig­keit ein­ge­stellt und die Pfle­ge­dienst­lei­tung früher das Tra­gen ei­nes Kopf­tuchs nicht be­an­stan­det ha­be. Die Re­ak­tio­nen von Kol­le­gen und Pa­ti­en­ten, von de­nen vie­le zu­vor kei­nen Kon­takt zum Is­lam ge­habt hätten, sei­en da­mals po­si­tiv ge­we­sen.

Die Kläge­rin hat zu­letzt sinn­gemäß be­an­tragt, 


die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an sie 15.313,54 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen nach be­stimm­ter be­tragsmäßiger und zeit­li­cher Staf­fe­lung zu zah­len.


Die Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen und gel­tend ge­macht, die Kläge­rin ha­be ih­re Ar­beits­leis­tung nicht ord­nungs­gemäß an­ge­bo­ten. Die Be­rech­ti­gung es der Kläge­rin zu un­ter­sa­gen, während der Ar­beits­zeit ein Kopf­tuch zu tra­gen, er­ge­be sich aus der ar­beits­ver­trag­li­chen Be­zug­nah­me auf die Präam­bel des BAT-KF und die RL-EKD. Die Kläge­rin sei nach § 4 Abs. 1 und Abs. 4 RL-EKD ver­pflich­tet, sich ihr ge­genüber loy­al zu ver­hal­ten, den


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kirch­li­chen Auf­trag, wie er sich aus § 2 RL-EKD er­ge­be, zu be­ach­ten und ih­re Auf­ga­ben im Sin­ne der Kir­che zu erfüllen. Hier­aus re­sul­tie­re - auch oh­ne kon­kre­ti­sie­ren­de Wei­sung oder Dienst­ver­ein­ba­rung - ei­ne Neu­tra­litäts­pflicht. Die Kläge­rin müsse dem­zu­fol­ge al­les un­ter­las­sen, was als ge­gen die Evan­ge­li­sche Kir­che ge­rich­te­te Mei­nungs­be­kun­dung an­ge­se­hen wer­den könne und die Glaubwürdig­keit der Kir­che in Fra­ge stel­le. Es dürfe nicht der Ein­druck er­weckt wer­den, die Kir­che las­se ei­ne Re­la­ti­vie­rung ih­rer Glau­bensüber­zeu­gun­gen zu und hal­te ih­re Glau­bens­wahr­hei­ten für be­lie­big aus­tausch­bar. Die un­ter­schied­li­chen Re­li­gio­nen stünden sich als „Kon­kur­ren­ten“ ge­genüber, auch wenn sie sich ge­gen­sei­tig re­spek­tie­ren und an­er­ken­nen würden. Als kon­fes­sio­nel­les Kran­ken­haus könne sie sich auf das kirch­li­che Selbst­be­stim­mungs­recht nach Art. 140 GG iVm. Art. 137 WRV be­ru­fen. Die Glau­bens­frei­heit der Kläge­rin, der die kon­fes­sio­nel­le Bin­dung der Ein­rich­tung bei Ein­ge­hung des Ar­beits­verhält­nis­ses be­kannt ge­we­sen sei, müsse dem­ge­genüber zurück­tre­ten. Das Kopf­tuch­ver­bot ent­spre­che bil­li­gem Er­mes­sen. Außer­dem sei das Tra­gen von Pri­vat­klei­dung nach der be­ste­hen­den Klei­der­ord­nung un­ter­sagt.


Das Ar­beits­ge­richt hat der Kla­ge statt­ge­ge­ben. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge auf die Be­ru­fung der Be­klag­ten ab­ge­wie­sen. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt die Kläge­rin ihr Kla­ge­be­geh­ren wei­ter.


Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on der Kläge­rin ist be­gründet. Auf Grund­la­ge des bis­her fest­ge­stell­ten Sach­ver­halts kann der Se­nat nicht ent­schei­den, ob und ggf. in wel­chem Um­fang die Kla­ge be­gründet ist. Da­zu be­darf es wei­te­rer Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts. Das führt zur Auf­he­bung und Zurück­ver­wei­sung der Sa­che zur neu­en Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das Lan­des­ar­beits­ge­richt, § 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
 


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A. Die Kläge­rin hat ei­nen An­spruch auf An­nah­me­ver­zugs­lohn aus § 611 Abs. 1, § 615 Satz 1 BGB bis­her nicht dar­ge­legt. Die Kla­ge ist un­schlüssig, auch wenn zu­guns­ten der Kläge­rin un­ter­stellt wird, sie sei nicht ver­pflich­tet ge­we­sen, ihr Kopf­tuch während der Ar­beits­zeit ab­zu­le­gen. Aus dem Vor­brin­gen der Kläge­rin selbst er­ge­ben sich ge­wich­ti­ge In­di­zi­en, die dafür spre­chen, dass sie im streit­ge­genständ­li­chen Zeit­raum nicht leis­tungsfähig war, § 297 BGB.


I. Un­be­scha­det der sons­ti­gen An­spruchs­vor­aus­set­zun­gen kommt der Ar­beit­ge­ber nicht in An­nah­me­ver­zug, wenn der Ar­beit­neh­mer außer Stan­de ist, die Leis­tung zu be­wir­ken, § 297 BGB. Die ob­jek­ti­ve Leis­tungsfähig­keit ist ei­ne vom Leis­tungs­an­ge­bot und des­sen Ent­behr­lich­keit un­abhängi­ge Vor­aus­set­zung, die während des ge­sam­ten An­nah­me­ver­zugs­zeit­raums vor­lie­gen muss. Grundsätz­lich hat bei Streit über die Leis­tungsfähig­keit der Ar­beit­ge­ber dar­zu­le­gen und zu be­wei­sen, dass der Ar­beit­neh­mer zur Leis­tung ob­jek­tiv außer Stan­de war. Er muss hierfür In­di­zi­en vor­tra­gen, aus de­nen dar­auf ge­schlos­sen wer­den kann (BAG 22. Fe­bru­ar 2012 - 5 AZR 249/11 - Rn. 16 f. mwN, BA­GE 141, 34). Da­von zu un­ter­schei­den ist der Fall, dass sich be­reits aus dem Sach­vor­trag des Ar­beit­neh­mers selbst In­di­zi­en er­ge­ben, aus de­nen auf ei­ne feh­len­de Leis­tungsfähig­keit in dem Zeit­raum, für den Vergütung we­gen An­nah­me­ver­zugs be­gehrt wird, ge­schlos­sen wer­den kann. In ei­nem sol­chen Fal­le ist die Kla­ge un­schlüssig, wenn der Ar­beit­neh­mer die selbst ge­schaf­fe­ne In­dizwir­kung nicht ausräumt und sub­stan­ti­iert sei­ne Ar­beitsfähig­keit dar­legt (BAG 15. Mai 2013 - 5 AZR 130/12 - Rn. 27).


II. Die von der Kläge­rin zur Be­gründung ih­res An­spruchs vor­ge­leg­ten Schrei­ben vom 18. Mai und 25. Au­gust 2010 be­zie­hen sich auf ei­ne Ar­beits­auf­nah­me im Rah­men ei­nes Wie­der­ein­glie­de­rungs­verhält­nis­ses. Nach § 74 SGB V kommt ei­ne stu­fen­wei­se Wie­der­ein­glie­de­rung in Be­tracht, wenn ar­beits­unfähi­ge Ver­si­cher­te nach ärzt­li­cher Fest­stel­lung ih­re bis­he­ri­ge Tätig­keit teil­wei­se ver­rich­ten können und sie durch ei­ne stu­fen­wei­se Wie­der­auf­nah­me ih­rer Tätig­keit vor­aus­sicht­lich wie­der bes­ser in das Er­werbs­le­ben ein­ge­glie­dert wer­den können. Die Er­stel­lung ei­nes Wie­der­ein­glie­de­rungs­plans mit ei­nem zum 23. Au­gust 2010 vor­ge­se­he­nen Be­ginn der Wie­der­ein­glie­de­rung ist ein ge­wich­ti­ges In­diz
 


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dafür, dass der be­han­deln­de Arzt von ei­ner über den 23. Au­gust 2010 hin­aus fort­be­ste­hen­den Ar­beits­unfähig­keit der Kläge­rin aus­ging. Die Kläge­rin hätte vor die­sem Hin­ter­grund erläutern müssen, auf­grund wel­cher Tat­sa­chen sie den­noch für die ver­trag­lich ge­schul­de­te Tätig­keit ar­beitsfähig ge­we­sen oder im streit­ge­genständ­li­chen Zeit­raum ar­beitsfähig ge­wor­den sei und dies der Be­klag­ten - ver­bun­den mit ei­nem An­ge­bot der Ar­beits­leis­tung - mit­ge­teilt hätte. Dies ist nicht ge­sche­hen.


B. Nach­dem die Vor­in­stan­zen die Kläge­rin im Hin­blick auf die im Schrift­wech­sel der Par­tei­en in Re­de ste­hen­de Wie­der­ein­glie­de­rung nicht auf die feh­len­de Schlüssig­keit der Kla­ge hin­ge­wie­sen ha­ben, ist ihr Ge­le­gen­heit zu ge­ben, ih­ren Vor­trag zu ergänzen.

I. Der Kläge­rin ob­liegt es, die In­dizwir­kung des vom be­han­deln­den Arzt er­stell­ten Wie­der­ein­glie­de­rungs­plans zu erschüttern und ih­re Leis­tungsfähig­keit im streit­ge­genständ­li­chen Zeit­raum dar­zu­le­gen.


II. Sie hat darüber hin­aus - un­abhängig da­von, ob sie ver­pflich­tet ge­we­sen wäre, ihr Kopf­tuch während der Ar­beits­zeit ab­zu­le­gen - dar­zu­le­gen, dass sie der Be­klag­ten die Er­brin­gung der ver­trag­lich ge­schul­de­ten Ar­beits­leis­tung und nicht ei­ne Tätig­keit im Rah­men ei­nes Wie­der­ein­glie­de­rungs­verhält­nis­ses an­ge­bo­ten hat. Dies ist den bis­he­ri­gen tatsächli­chen Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts nicht zu ent­neh­men.


1. Gemäß § 293 BGB kommt der Gläubi­ger in Ver­zug, wenn er die ihm an­ge­bo­te­ne Leis­tung nicht an­nimmt. Im un­strei­tig be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis muss der Ar­beit­neh­mer die Ar­beits­leis­tung tatsächlich an­bie­ten, § 294 BGB. Ein wört­li­ches An­ge­bot des Schuld­ners genügt, wenn der Gläubi­ger ihm erklärt hat, er wer­de die Leis­tung nicht an­neh­men, § 295 BGB. Le­dig­lich für den Fall ei­ner un­wirk­sa­men Ar­beit­ge­berkündi­gung geht die Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts da­von aus, ein An­ge­bot der Ar­beits­leis­tung sei re­gelmäßig nach § 296 BGB ent­behr­lich (zu­letzt BAG 22. Fe­bru­ar 2012 - 5 AZR 249/11 - Rn. 14, BA­GE 141, 34; 19. Sep­tem­ber 2012 - 5 AZR 627/11 - Rn. 28, BA­GE 143, 119; 15. Mai 2013 - 5 AZR 130/12 - Rn. 22). Ein An­ge­bot der Ar-
 


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beits­leis­tung kann aus­nahms­wei­se auch dann ent­behr­lich sein, wenn of­fen­kun­dig ist, dass der Gläubi­ger auf sei­ner Wei­ge­rung, die ge­schul­de­te Leis­tung an­zu­neh­men, be­harrt (BAG 16. April 2013 - 9 AZR 554/11 - Rn. 17; BGH 9. Ok­to­ber 2000 - II ZR 75/99 - zu 1 der Gründe).

2. Ob die Kläge­rin ei­ne Ar­beits­leis­tung iSv. § 611 BGB an­ge­bo­ten hat, kann der Se­nat nicht ent­schei­den.

a) Ein tatsächli­ches An­ge­bot iSv. § 294 BGB hat die Kläge­rin nicht dar­ge­legt. Ihr von der Be­klag­ten be­strit­te­ner Vor­trag ist - wie be­reits vom Ar­beits­ge­richt zu­tref­fend fest­ge­stellt - un­sub­stan­ti­iert. Wann und wem ge­genüber sie ih­re Leis­tung tatsächlich an­ge­bo­ten ha­ben will, hat die Kläge­rin nicht an­ge­ge­ben.


b) Ob ein tatsächli­ches An­ge­bot ent­behr­lich war und die Kläge­rin die Ar­beits­leis­tung iSv. § 295 BGB wört­lich an­ge­bo­ten hat, ist durch Aus­le­gung des Schrift­wech­sels der Par­tei­en zu er­mit­teln.


aa) Ein tatsächli­ches An­ge­bot wäre nach § 295 BGB ent­behr­lich ge­we­sen, wenn die an die Be­klag­te ge­rich­te­ten Schrei­ben vom 18. Mai und 25. Au­gust 2010 - ei­ne Be­rech­ti­gung der Kläge­rin un­ter­stellt, die Ar­beit kopf­tuch­t­ra­gend zu ver­rich­ten - als An­ge­bot der ge­schul­de­ten Ar­beits­leis­tung und das Ant­wort-schrei­ben der Be­klag­ten vom 25. Mai 2010 oder je­den­falls das vom 30. Au­gust 2010 als ernst­haf­te und endgülti­ge Wei­ge­rung, die­se wie an­ge­bo­ten an­zu­neh­men, zu ver­ste­hen wären.


bb) Die Schrei­ben der Par­tei­en ent­hal­ten nicht­ty­pi­sche Erklärun­gen. Die Aus­le­gung aty­pi­scher Verträge und Wil­lens­erklärun­gen ist grundsätz­lich den Tat­sa­chen­ge­rich­ten vor­be­hal­ten. Sie kann in der Re­vi­si­on nur dar­auf über­prüft wer­den, ob das Be­ru­fungs­ge­richt Aus­le­gungs­re­geln ver­letzt hat oder ge­gen Denk- und Er­fah­rungssätze ver­s­toßen, we­sent­li­che Tat­sa­chen un­berück­sich­tigt ge­las­sen oder ei­ne ge­bo­te­ne Aus­le­gung un­ter­las­sen hat (st. Rspr., vgl. BAG 25. April 2013 - 8 AZR 453/12 - Rn. 23; 15. April 2014 - 3 AZR 435/12 - Rn. 18).
 


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(1) Verträge und Wil­lens­erklärun­gen sind nach dem Empfänger­ho­ri­zont aus­zu­le­gen (§§ 133, 157 BGB). Aus­le­gungs­ziel ist bei emp­fangs­bedürf­ti­gen Wil­lens­erklärun­gen nicht der in­ne­re Wil­le des Erklären­den, son­dern das, was der Adres­sat nach sei­nem Empfänger­ho­ri­zont als Wil­len des Erklären­den ver­ste­hen konn­te (BAG 11. Ju­li 2007 - 7 AZR 501/06 - Rn. 36). Zu würdi­gen sind ne­ben dem Wort­laut der Erklärung auch al­le Be­gleit­umstände, die dem Erklärungs­empfänger be­kannt wa­ren und die für die Fra­ge er­heb­lich sein können, wel­chen Wil­len der Erklären­de bei Ab­ga­be der Erklärung hat­te (BAG 20. Ju­ni 2013 - 6 AZR 805/11 - Rn. 14, BA­GE 145, 249).


(2) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt ist von ei­nem „An­ge­bot“ der Kläge­rin und ei­ner „Ab­leh­nung“ durch die Be­klag­te aus­ge­gan­gen, oh­ne den Be­deu­tungs­ge­halt der von den Par­tei­en un­strei­tig ab­ge­ge­be­nen Erklärun­gen durch Aus­le­gung ih­res Schrift­wech­sels zu er­mit­teln. Doch spricht der Wort­laut des zwi­schen den Par­tei­en geführ­ten Schrift­wech­sels ge­gen die An­nah­me, die Kläge­rin ha­be die ver­trag­lich ge­schul­de­te Ar­beits­leis­tung wört­lich an­ge­bo­ten. Ih­re Schrei­ben be­zie­hen sich auf ei­ne Auf­nah­me der Tätig­keit im Rah­men ei­ner Wie­der­ein­glie­de­rung, auch wenn die Kläge­rin dar­in ab­sch­ließend erklärte, sie böte ih­re „Ar­beits­kraft“ bzw. „Ar­beits­leis­tung“ an. Dass die Be­klag­te in ih­rem Ant­wort­schrei­ben vom 25. Mai 2010 aus­drück­lich auf ein von der Kläge­rin gewünsch­tes Wie­der­ein­glie­de­rungs­ver­fah­ren ab­stellt, spricht für ein Verständ­nis in die­sem Sin­ne. Die Kläge­rin hat ei­ner der­ar­ti­gen Aus­le­gung nicht wi­der­spro­chen, son­dern die­se bestätigt, in­dem sie mit Schrei­ben ih­rer Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten vom 25. Au­gust 2010 auf ei­nen in Ab­spra­che mit ih­rem Haus­arzt und der Be­klag­ten er­ar­bei­te­ten Wie­der­ein­glie­de­rungs­plan Be­zug nimmt. Et­was an­de­res er­gibt sich auch nicht aus dem Schrei­ben der Be­klag­ten vom 30. Au­gust 2010. Dar­in weist die Be­klag­te le­dig­lich auf die zu­vor ge­wech­sel­ten Schrei­ben hin.


c) Das Re­vi­si­ons­ge­richt darf bei ei­ner un­ter­las­se­nen oder feh­ler­haf­ten Aus­le­gung aty­pi­scher Verträge und Wil­lens­erklärun­gen nur dann selbst aus­le­gen, wenn das Lan­des­ar­beits­ge­richt den er­for­der­li­chen Sach­ver­halt vollständig fest­ge­stellt und kein wei­te­res tatsächli­ches Vor­brin­gen der Par­tei­en zu er­war­ten ist (st. Rspr. BAG 1. Sep­tem­ber 2010 - 5 AZR 700/09 - Rn. 24, BA­GE 135, 255;

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14. Mai 2013 - 9 AZR 844/11 - Rn. 11, BA­GE 145, 107). Da­nach kann der Se­nat die ge­bo­te­ne Aus­le­gung nicht selbst vor­neh­men. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat kei­ne Fest­stel­lun­gen zu den Be­gleit­umständen des Schrift­wech­sels der Par­tei­en und zum In­halt des vom be­han­deln­den Arzt er­stell­ten Wie­der­ein­glie­de­rungs­plans ge­trof­fen.


III. Ein An­spruch der Kläge­rin auf Zah­lung der ar­beits­ver­trag­lich ver­ein­bar­ten Vergütung we­gen An­nah­me­ver­zugs nach §§ 611, 615 BGB käme nicht in Be­tracht, wenn die Kläge­rin le­dig­lich ei­ne Tätig­keit im Rah­men ei­nes Wie­der­ein­glie­de­rungs­verhält­nis­ses an­ge­bo­ten hätte.


1. Ein Wie­der­ein­glie­de­rungs­verhält­nis ist nicht als Teil des Ar­beits­verhält­nis­ses zu wer­ten, son­dern stellt ne­ben die­sem ein Ver­trags­verhält­nis ei­ge­ner Art (sui ge­ne­ris) dar (st. Rspr. BAG 29. Ja­nu­ar 1992 - 5 AZR 37/91 - zu II 3 der Gründe, BA­GE 69, 272; 28. Ju­li 1999 - 4 AZR 192/98 - BA­GE 92, 140). An­ders als das Ar­beits­verhält­nis ist das Wie­der­ein­glie­de­rungs­verhält­nis nicht durch den Aus­tausch von Leis­tung und Ge­gen­leis­tung ge­kenn­zeich­net, son­dern durch den Re­ha­bi­li­ta­ti­ons­zweck. Die Tätig­keit des Ar­beit­neh­mers ist auf die Wie­der­er­lan­gung der Ar­beitsfähig­keit und nicht auf die Erfüllung der ver­trag­lich ge­schul­de­ten Ar­beits­leis­tung ge­rich­tet (BAG 28. Ju­li 1999 - 4 AZR 192/98 - zu 1 a aa der Gründe, aaO; Schmidt NZA 2007, 893). Zur Be­gründung des Wie­der­ein­glie­de­rungs­verhält­nis­ses be­darf es ei­ner Ver­ein­ba­rung zwi­schen Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer. Es gilt für bei­de Sei­ten das Prin­zip der Frei­wil­lig­keit (BAG 13. Ju­ni 2006 - 9 AZR 229/05 - Rn. 23, 33, BA­GE 118, 252). Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer sind, weil die Ar­beits­unfähig­keit des Ar­beit­neh­mers an­dau­ert, während des Wie­der­ein­glie­de­rungs­verhält­nis­ses wei­ter­hin von den Haupt­leis­tungs­pflich­ten des Ar­beits­verhält­nis­ses gemäß § 275 Abs. 1, § 326 Abs. 1 BGB be­freit (BAG 28. Ju­li 1999 - 4 AZR 192/98 - zu 1 a bb der Gründe, aaO). Der Ar­beit­neh­mer er­bringt nicht die ge­schul­de­te Ar­beits­leis­tung. Es be­steht des­halb kein An­spruch auf die ar­beits­ver­trag­lich ver­ein­bar­te Vergütung, es sei denn, der Ar­beit­ge­ber hat sich bei Ab­schluss der Wie­der­ein­glie­de­rungs­ver­ein­ba­rung aus­drück­lich oder still­schwei­gend zu ei­ner Zah­lung ver­pflich­tet. Auch ein ge­setz­li-



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cher An­spruch des Ar­beit­neh­mers auf Zah­lung ei­ner an­ge­mes­se­nen Vergütung nach § 612 Abs. 1 BGB be­steht nicht.


2. Ergäbe die Aus­le­gung des Schrift­wech­sels der Par­tei­en, die Kläge­rin ha­be le­dig­lich ei­ne Tätig­keit im Rah­men ei­ner Wie­der­ein­glie­de­rung an­ge­bo­ten, würde ein An­nah­me­ver­zugs­an­spruch - un­abhängig von der Fra­ge, ob sie be­rech­tigt ge­we­sen wäre, hier­bei ein Kopf­tuch zu tra­gen - aus­schei­den.


C. Die Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts er­weist sich nicht aus an­de­ren Gründen als rich­tig.


I. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat an­ge­nom­men, es könne of­fen­blei­ben, ob ein Ver­bot, während der Ar­beit ein re­li­giös mo­ti­vier­tes Kopf­tuch zu tra­gen, be­reits aus der Dienst­ver­ein­ba­rung vom 24. Au­gust 2009 fol­ge. Es sei je­den­falls vom Wei­sungs­recht der Be­klag­ten ge­deckt. Ei­ne - un­ter­stell­te - Wei­sung ha­be bil­li­gem Er­mes­sen nach § 106 Satz 1 Ge­wO ent­spro­chen. Die Be­klag­te ha­be sich auf das kirch­li­che Selbst­be­stim­mungs­recht nach Art. 140 GG, Art. 137 WRV be­ru­fen können. Das In­ter­es­se der Be­klag­ten, ihr Selbst­be­stim­mungs­recht zu wah­ren, über­wie­ge die durch Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG geschütz­te Glau­bens­frei­heit der Kläge­rin. Die Kläge­rin ha­be ih­re Ar­beits­leis­tung nicht in der rech­ten Wei­se an­ge­bo­ten, in­dem sie es ab­ge­lehnt ha­be, ih­re Ar­beit oh­ne Kopf­tuch zu ver­rich­ten.


II. Dies hält ei­ner recht­li­chen Über­prüfung nicht stand. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat nicht ge­prüft, ob die Ein­rich­tung der Be­klag­ten - wie es de­ren Be­ru­fung auf Art. 140 GG, Art. 137 WRV vor­aus­setz­te - der Evan­ge­li­schen Kir­che in­sti­tu­tio­nell zu­ge­ord­net ist. Die Leis­tungsfähig­keit der Kläge­rin und ein An¬ge­bot der Ar­beits­leis­tung un­ter­stellt, hätte die Kläge­rin nur in die­sem Fall die Leis­tung ent­ge­gen §§ 294, 295 BGB nicht so an­ge­bo­ten, wie sie zu be­wir­ken war. Sie wäre ar­beits­ver­trag­lich ver­pflich­tet ge­we­sen, das Tra­gen ei­nes is­la­mi­schen Kopf­tuchs oder ei­ner ver­gleich­ba­ren, ih­rem Verständ­nis der Glau­bens­ge­bo­te des Is­lam ent­spre­chen­den Kopf­be­de­ckung während der Ar­beits­zeit zu un­ter­las­sen. In Abwägung der wi­der­strei­ten­den Grund­rechts­po­si­tio­nen der Par­tei­en und un­ter Berück­sich­ti­gung der Umstände des vor­lie­gen­den Ein­zel­falls


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müss­te die durch Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG geschütz­te Glau­bens- und Be­kennt­nis­frei­heit der Kläge­rin ge­genüber dem kirch­li­chen Selbst­be­stim­mungs­recht zurück­tre­ten. Könn­te sich die Be­klag­te nicht auf Art. 140 GG, Art. 137 WRV be­ru­fen, wäre der Glau­bens­frei­heit der Kläge­rin ge­genüber den In­ter­es­sen der Be­klag­ten der Vor­rang ein­zuräum­en.

1. An­nah­me­ver­zug setzt vor­aus, dass der Gläubi­ger die ihm an­ge­bo­te­ne Leis­tung nicht an­nimmt, § 293 BGB. Die Leis­tung muss ihm - nach § 294 BGB tatsächlich oder un­ter den Vor­aus­set­zun­gen von § 295 BGB wört­lich - so an­ge­bo­ten wer­den, wie sie zu be­wir­ken ist, dh. am rech­ten Ort, zur rech­ten Zeit und in der rech­ten Art und Wei­se ent­spre­chend dem In­halt des Schuld­verhält­nis­ses (MüKoBGB/Ernst 6. Aufl. § 294 Rn. 4).


a) Das Tra­gen ei­ner be­stimm­ten Klei­dung kann zur ver­trags­gemäßen Erfüllung der Ar­beits­leis­tung ge­bo­ten sein (BAG 13. Fe­bru­ar 2007 - 1 ABR 18/06 - Rn. 9 und 11, BA­GE 121, 147). Eben­so kann es hier­zu ge­bo­ten sein, es zu un­ter­las­sen, sich in ei­ner be­stimm­ten Art zu klei­den. Ei­ne be­stimm­te Be­klei­dung kann - oh­ne be­son­de­re ver­trag­li­che Ver­ein­ba­rung - ei­ne ar­beits­leis­tungs­be­zo­ge­ne Ne­ben­pflicht des Ar­beit­neh­mers dar­stel­len, die der Ar­beits­pflicht na­he­kommt. Be­klei­dungs­ob­lie­gen­hei­ten können sich auch aus der Tätig­keits­be­schrei­bung im Ar­beits­ver­trag er­ge­ben. In die­sem Fall sind sie Teil der ar­beits­ver­trag­li­chen Haupt­leis­tungs­pflicht (vgl. Bro­se/Grei­ner/Preis NZA 2011, 369, 371 ff.). Bei der Be­stim­mung sich aus dem Ar­beits­ver­trag er­ge­ben­der Hand­lungs- bzw. Un­ter­las­sungs­pflich­ten in Be­zug auf die Klei­dung während der Ar­beits­zeit ge­bie­tet der Schutz des Ar­beit­neh­mers vor Über­for­de­rung ei­ne Abwägung der In­ter­es­sen bei­der Ver­trags­par­tei­en un­ter Berück­sich­ti­gung der wi­der­strei­ten­den Grund­rechts­po­si­tio­nen und der Be­son­der­hei­ten des je­wei­li­gen Ein­zel­falls.


b) Die Kläge­rin wäre - die Zu­ord­nung der Be­klag­ten zur Evan­ge­li­schen Kir­che un­ter­stellt - ge­hal­ten ge­we­sen, während der Ar­beits­zeit das Tra­gen ei­nes Kopf­tuchs zu un­ter­las­sen. Dies er­gibt sich un­mit­tel­bar, oh­ne dass es ei­ner kon­kre­ti­sie­ren­den Wei­sung oder Dienst­ver­ein­ba­rung be­durft hätte, aus dem
 


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zwi­schen den Par­tei­en ge­schlos­se­nen Ar­beits­ver­trag. Da­bei kann of­fen­blei­ben, ob als Be­stand­teil der ar­beits­ver­trag­li­chen Haupt­leis­tungs­pflicht oder als ar­beits­leis­tungs­be­zo­ge­ne Ne­ben­pflicht.


aa) Die von der Kläge­rin zu be­wir­ken­de Leis­tung wird nach dem Ar­beits­ver­trag der Par­tei­en nicht al­lein durch die in § 1 Ar­beits­ver­trag ver­ein­bar­te Tätig­keit ei­ner Kran­ken­schwes­ter be­stimmt, son­dern auch durch die Ei­gen­art des kirch­li­chen Diens­tes. Dies re­sul­tiert aus § 2 Nr. 1 Ar­beits­ver­trag iVm. der Präam­bel des BAT-KF und den dar­in in Be­zug ge­nom­me­nen Be­stim­mun­gen der RL-EKD.


bb) Die Kläge­rin hat sich im Ar­beits­ver­trag nicht nur ver­pflich­tet, sich ge­genüber der Evan­ge­li­schen Kir­che loy­al zu ver­hal­ten (§ 4 Abs. 1 RL-EKD), son­dern darüber hin­aus den kirch­li­chen Auf­trag zu be­ach­ten und die ihr über­tra­ge­nen Auf­ga­ben im Sin­ne der Kir­che zu erfüllen (§ 4 Abs. 4 RL-EKD). Aus die­sen Re­ge­lun­gen er­gibt sich un­mit­tel­bar - als Min­dest­an­for­de­rung an die Auf­ga­ben­erfüllung im kirch­li­chen Dienst - ei­ne Ver­pflich­tung nicht­christ­li­cher Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter zu ei­nem neu­tra­len Ver­hal­ten ge­genüber der Evan­ge­li­schen Kir­che.


(1) Die den Mit­ar­bei­tern und Mit­ar­bei­te­rin­nen im kirch­li­chen Dienst in § 4 Abs. 1 Satz 2 RL-EKD auf­er­leg­te Pflicht, sich ge­genüber der Evan­ge­li­schen Kir­che loy­al zu ver­hal­ten, ist zunächst Aus­druck sich be­reits aus § 241 Abs. 2 BGB er­ge­ben­der all­ge­mei­ner ver­trag­li­cher Rück­sicht­nah­me­pflich­ten. Nach § 241 Abs. 2 BGB erwächst ei­ner Ver­trags­par­tei aus ei­nem Schuld­verhält­nis auch die Pflicht zur Rück­sicht­nah­me auf die Rech­te, Rechtsgüter und In­ter­es­sen des an­de­ren Ver­trags­teils. Dies dient dem Schutz und der Förde­rung des Ver­trags­zwecks. Die Ar­beits­ver­trags­par­tei­en sind da­nach ver­pflich­tet, den Ver­trag so zu erfüllen, ih­re Rech­te so aus­zuüben und die im Zu­sam­men­hang mit dem Ar­beits­verhält­nis ste­hen­den In­ter­es­sen des Ver­trags­part­ners so zu wah­ren, wie dies un­ter Berück­sich­ti­gung der wech­sel­sei­ti­gen Be­lan­ge ver­langt wer­den kann. Wel­che kon­kre­ten Fol­gen sich aus der Rück­sicht­nah­me­pflicht er­ge­ben, hängt von der Art des Schuld­verhält­nis­ses und den Umständen des Ein-
 


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zel­falls ab (BAG 16. Fe­bru­ar 2012 - 6 AZR 553/10 - Rn. 11, 12 mwN, BA­GE 141, 1).

(2) § 4 Abs. 1 Satz 2 RL-EKD lei­tet die ver­trag­li­che Loya­litäts­pflicht, wie der durch das Wort „da­her“ ver­mit­tel­ten Be­zug­nah­me auf § 4 Abs. 1 Satz 1 RL-EKD zu ent­neh­men ist, aus der je nach Auf­ga­ben­be­reich von den Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern über­nom­me­nen Ver­ant­wor­tung für die glaubwürdi­ge Erfüllung kirch­li­cher und dia­ko­ni­scher Auf­ga­ben ab. Die RL-EKD be­schränkt sich da­mit schon in § 4 Abs. 1 nicht nur auf die Wie­der­ga­be all­ge­mei­ner Loya­litäts-pflich­ten als ver­trag­li­che Ne­ben­pflich­ten aus dem Ar­beits­verhält­nis iSv. § 241 Abs. 2 BGB, son­dern ver­knüpft die Loya­litäts­pflich­ten in be­son­de­rer Wei­se mit der Wahr­neh­mung der ver­trag­li­chen Auf­ga­ben selbst.


(3) Die­se Ver­knüpfung wird durch § 4 Abs. 4 RL-EKD verstärkt, wo­nach - als Be­stand­teil ab­ge­stuf­ter Loya­litäts­pflich­ten kirch­li­cher Ar­beit­neh­mer - auch die nicht­christ­li­chen Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter den kirch­li­chen Auf­trag zu be­ach­ten und die ih­nen über­tra­ge­nen Auf­ga­ben im Sin­ne der Kir­che zu erfüllen ha­ben. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 RL-EKD ist der Dienst der Kir­che durch den Auf­trag be­stimmt, das Evan­ge­li­um in Wort und Tat zu be­zeu­gen. Dies ent­spricht dem Leit­bild ei­ner christ­li­chen Dienst­ge­mein­schaft, die al­le am kirch­li­chen Auf­trag Teil­neh­men­den ver­bin­det, un­abhängig da­von, auf wel­cher ver­trag­li­chen Grund­la­ge und in wel­cher Ein­rich­tung sie tätig sind (Jous­sen RdA 2007, 328, 333). Nach die­sem theo­lo­gisch ge­prägten Selbst­verständ­nis ver­wirk­licht die Ar­beits­leis­tung in der Kir­che und den ihr zu­ge­ord­ne­ten Ein­rich­tun­gen ein Stück kirch­li­chen Auf­trags in der Welt (BAG 20. No­vem­ber 2012 - 1 AZR 179/11 - Rn. 98 mwN, BA­GE 143, 354). Hier­an wir­ken al­le Beschäftig­ten durch ih­re Tätig­keit und un­ge­ach­tet ih­res in­di­vi­du­el­len Glau­bens oder ih­rer welt­an­schau­li­chen Über­zeu­gun­gen mit (BAG 20. No­vem­ber 2012 - 1 AZR 179/11 - Rn. 99 mwN, aaO). Die in ei­nem An­stel­lungs­verhält­nis in Kir­che und Dia­ko­nie ste­hen­den Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter tra­gen nach § 2 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 RL-EKD in un­ter­schied­li­cher Wei­se zur Erfüllung die­ses Auf­trags bei. Er ist die Grund­la­ge der Rech­te und Pflich­ten von kirch­li­chen An­stel­lungs­trägern so­wie Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern.
 


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2. Bei der Er­mitt­lung der Reich­wei­te der sich aus der Be­zug­nah­me auf die RL-EKD er­ge­ben­den Pflich­ten bei der Erfüllung der ar­beits­ver­trag­li­chen Auf­ga­ben - als Vor­aus­set­zung für die Be­stim­mung der nach §§ 294, 295 BGB zu be­wir­ken­den Leis­tung - sind un­ter Berück­sich­ti­gung der Be­son­der­hei­ten des Ein­zel­falls die Grund­rech­te der kirch­li­chen Ar­beit­ge­be­rin und die der Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter, ins­be­son­de­re mit Blick auf de­ren Tätig­keit und Stel­lung in der kirch­li­chen Ein­rich­tung, ge­gen­ein­an­der ab­zuwägen.


a) Die Ge­rich­te für Ar­beits­sa­chen sind we­gen ih­rer durch Art. 1 Abs. 3 GG an­ge­ord­ne­ten Grund­rechts­bin­dung ge­hin­dert, bei der Aus­le­gung und An­wen­dung zi­vil­recht­li­cher Nor­men das völli­ge Zurück­wei­chen ei­nes Grund­rechts zu­guns­ten ei­nes an­de­ren hin­zu­neh­men. Sie sind ge­hal­ten, im We­ge ei­ner Güter­abwägung nach dem Grund­satz der prak­ti­schen Kon­kor­danz ei­nen Aus­gleich der je­weils wi­der­strei­ten­den grund­recht­li­chen Gewähr­leis­tun­gen her­bei­zuführen (vgl. BVerfG 24. No­vem­ber 2010 - 1 BvF 2/05 - Rn. 147, BVerfGE 128, 1; BAG 20. No­vem­ber 2012 - 1 AZR 179/11 - Rn. 113 mwN, BA­GE 143, 354). Die­se Pflicht entfällt nicht schon des­we­gen, weil es sich bei Art. 4 GG um ein vor­be­halt­los gewähr­leis­te­tes Grund­recht han­delt. Das hin­dert ein Zurück­wei­chen ei­ner grund­recht­li­chen Gewähr­leis­tung zum Schutz ei­ner an­de­ren - wie des hier frag­li­chen kirch­li­chen Selbst­be­stim­mungs­rechts - nicht. Auch vor­be­halt­los gewähr­te Grund­rech­te können zum Schutz an­de­rer Grund­rech­te oder grund­recht­li­cher Gewähr­leis­tun­gen ein­ge­schränkt wer­den (vgl. BVerfG 24. No­vem­ber 2010 - 1 BvF 2/05 - Rn. 147, aaO; BAG 20. No­vem­ber 2012 - 1 AZR 179/11 - Rn. 113 mwN, aaO).


Die durch die Rück­sicht­nah­me auf kol­li­die­ren­de Ver­fas­sungs­wer­te not­wen­dig wer­den­de Annäherung kann nicht ge­ne­rell, son­dern nur im Ein­zel­fall durch Güter­abwägung vor­ge­nom­men wer­den. Ei­ne da­mit ein­her­ge­hen­de Be­gren­zung ver­fas­sungs­recht­lich geschütz­ter In­ter­es­sen darf da­bei nicht wei­ter ge­hen, als es not­wen­dig ist, um die Kon­kor­danz wi­der­strei­ten­der Rechtsgüter her­zu­stel­len. Das Zurück­wei­chen ei­ner grund­recht­li­chen Gewähr­leis­tung muss zum Schutz der an­de­ren ge­bo­ten sein. Für die er­for­der­li­che Abwägung gibt die Ver­fas­sung kein be­stimm­tes Er­geb­nis vor. Die hier­nach vor­zu­neh­men­de Güter-
 


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abwägung be­trifft nicht den ge­sam­ten Be­reich der je­wei­li­gen ver­fas­sungs­recht­li­chen Gewähr­leis­tun­gen, son­dern ist auf den Aus­gleich der kon­kre­ten Kol­li­si­ons­la­ge be­schränkt (BAG 20. No­vem­ber 2012 - 1 AZR 179/11 - Rn. 114, 115 mwN, BA­GE 143, 354).

b) Die In­ter­es­sen der Be­klag­ten könn­ten da­nach nur dann vor­ran­gig sein, wenn sich die­se als Ein­rich­tung der Evan­ge­li­schen Kir­che auf das durch Art. 140 GG iVm. Art. 137 WRV ga­ran­tier­te kirch­li­che Selbst­be­stim­mungs­recht als Kon­kre­ti­sie­rung kol­lek­ti­ver Glau­bens­frei­heit (vgl. ErfK/Schmidt 14. Aufl. Art. 4 GG Rn. 28 mwN) be­ru­fen könn­te. In die­sem Fall wäre das Tra­gen ei­nes Kopf­tuchs oder ei­ner ent­spre­chen­den an­de­ren Kopf­be­de­ckung als nach außen hin sicht­ba­rem Sym­bol der Zu­gehörig­keit zum is­la­mi­schen Glau­ben und da­mit als Kund­ga­be ei­ner an­de­ren Re­li­gi­ons­zu­gehörig­keit, an­ge­sichts der von der Kläge­rin aus­geübten Tätig­keit ei­ner Kran­ken­schwes­ter, mit der Ver­pflich­tung zu neu­tra­lem Ver­hal­ten ge­genüber der Evan­ge­li­schen Kir­che nicht in Ein­klang zu brin­gen. Die Kläge­rin hätte auch un­ter Berück­sich­ti­gung ih­rer Glau­bens­frei­heit die Ar­beits­leis­tung nicht so an­ge­bo­ten, wie sie zu be­wir­ken ist (§§ 294, 295 BGB), weil sie nicht be­reit war, auf das Tra­gen ei­nes Kopf­tuchs oder ei­ner ver­gleich­ba­ren Kopf­be­de­ckung zu ver­zich­ten.


aa) Die Kläge­rin be­trach­tet nach den in der Re­vi­si­on nicht an­ge­grif­fe­nen tatsächli­chen Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts das Tra­gen ei­nes Kopf­tuchs als für sich ver­bind­lich von den Re­geln ih­rer Re­li­gi­on vor­ge­ge­ben. Das Be­fol­gen die­ser Be­klei­dungs­re­gel ist für sie Aus­druck ih­res re­li­giösen Be­kennt­nis­ses. Die der Kläge­rin auf­er­leg­te Pflicht, das Be­kennt­nis zu ih­rem Glau­ben nicht durch das Be­fol­gen von re­li­giös be­gründe­ten Be­klei­dungs­re­geln sicht­bar wer­den zu las­sen, greift in ih­re durch Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG verbürg­te in­di­vi­du­el­le Glau­bens­frei­heit ein (vgl. BVerfG 24. Sep­tem­ber 2003 - 2 BvR 1436/02 - zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 108, 282). Art. 4 GG ga­ran­tiert in Abs. 1 die Frei­heit des Glau­bens, des Ge­wis­sens und des re­li­giösen und welt­an­schau­li­chen Be­kennt­nis­ses, in Abs. 2 das Recht der un­gestörten Re­li­gi­ons­ausübung. Bei­de Absätze des Art. 4 GG ent­hal­ten ein um­fas­send zu ver­ste­hen­des ein­heit­li­ches Grund­recht. Es er­streckt sich nicht nur auf die in­ne­re Frei-
 


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heit, zu glau­ben oder nicht zu glau­ben, son­dern auch auf die äußere Frei­heit, den Glau­ben zu be­kun­den und zu ver­brei­ten. Da­zu gehört auch das Recht des Ein­zel­nen, sein ge­sam­tes Ver­hal­ten an den Leh­ren sei­nes Glau­bens aus­zu­rich­ten und sei­ner in­ne­ren Glau­bensüber­zeu­gung gemäß zu han­deln (BVerfG 24. Sep­tem­ber 2003 - 2 BvR 1436/02 - zu B II 2 der Gründe, aaO). Ei­ne Ver­pflich­tung, während der Ar­beits­zeit auf das Tra­gen ei­nes Kopf­tuchs oder ei­ner die­sem ent­spre­chen­den Kopf­be­de­ckung zu ver­zich­ten, führt für die Kläge­rin zu ei­nem ernst­haf­ten Glau­bens­kon­flikt, in­dem sie die Kläge­rin vor die Wahl stellt, ent­we­der ih­re Tätig­keit bei der Be­klag­ten aus­zuüben oder dem von ihr als ver­bind­lich an­ge­se­he­nen re­li­giösen Be­klei­dungs­ge­bot Fol­ge zu leis­ten.


bb) Ei­ne Ob­lie­gen­heit, das Tra­gen der von der Kläge­rin gewünsch­ten Kopf­be­de­ckung zu to­le­rie­ren, schränk­te die Be­klag­te - vor­aus­ge­setzt, es han­del­te sich bei ihr um ei­ne kirch­li­che Ein­rich­tung - in ih­rem durch Art. 140 GG, Art. 137 WRV ga­ran­tier­ten kirch­li­chen Selbst­be­stim­mungs­recht ein, in­dem aus der Ei­gen­art des kirch­li­chen Diens­tes re­sul­tie­ren­de, ver­trag­lich ver­ein­bar­te An­for­de­run­gen an die Auf­ga­ben­erfüllung durch die Kläge­rin ge­genüber de­ren Glau­bens­frei­heit zurück­tre­ten müss­ten. Wer­den - wie hier - Loya­litätsan­for­de­run­gen in ei­nem Ar­beits­ver­trag fest­ge­legt, nimmt der kirch­li­che Ar­beit­ge­ber nicht nur die all­ge­mei­ne Ver­trags­frei­heit für sich in An­spruch, er macht zu­gleich von sei­nem ver­fas­sungs­recht­li­chen Selbst­be­stim­mungs­recht Ge­brauch (vgl. BVerfG 4. Ju­ni 1985 - 2 BvR 1703/83 ua. - BVerfGE 70, 138; BAG 8. Sep­tem­ber 2011 - 2 AZR 543/10 - Rn. 23, BA­GE 139, 144; 25. April 2013 - 2 AZR 579/12 - Rn. 25, BA­GE 145, 90).


(1) Der Schutz­be­reich des kirch­li­chen Selbst­be­stim­mungs­rechts er­fasst die in­di­vi­du­al­recht­li­che wie die kol­lek­tiv­recht­li­che Aus­ge­stal­tung der Ar­beits­be­din­gun­gen der in kirch­li­chen Ein­rich­tun­gen beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer. Nach Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV ord­net und ver­wal­tet je­de Re­li­gi­ons­ge­sell­schaft ih­re An­ge­le­gen­hei­ten in­ner­halb der Schran­ken der für al­le gel­ten­den Ge­set­ze. Hier­zu gehören al­le Maßnah­men, die in Ver­fol­gung der vom kirch­li­chen Grund­auf­trag her be­stimm­ten Auf­ga­ben un­ter Berück­sich­ti­gung des kirch­li­chen Selbst­verständ­nis­ses zu tref­fen sind (BAG 20. No­vem­ber 2012
 


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- 1 AZR 179/11 - Rn. 94, 95 mwN, BA­GE 143, 354). Zu den ei­ge­nen An­ge­le­gen­hei­ten der Re­li­gi­ons­ge­sell­schaf­ten gehört, dass die­se der Ge­stal­tung des kirch­li­chen Diens­tes auch dann, wenn sie ihn auf der Grund­la­ge von Ar­beits­verträgen re­geln, das Leit­bild ei­ner christ­li­chen Dienst­ge­mein­schaft ih­rer Mit­ar­bei­ter zu­grun­de le­gen können (BVerfG 4. Ju­ni 1985 - 2 BvR 1703/83 ua. - zu B II 1 d der Gründe, BVerfGE 70, 138). Die Ein­be­zie­hung der kirch­li­chen Ar­beits­verhält­nis­se in das staat­li­che Ar­beits­recht hebt de­ren Zu­gehörig­keit zu den „ei­ge­nen An­ge­le­gen­hei­ten“ der Kir­che nicht auf. Sie darf des­halb die ver­fas­sungs­recht­lich geschütz­te Ei­gen­art des kirch­li­chen Diens­tes nicht in Fra­ge stel¬len. Die Ver­fas­sungs­ga­ran­tie des Selbst­be­stim­mungs­rechts bleibt da­her für die Ge­stal­tung die­ser Ar­beits­verhält­nis­se we­sent­lich (BAG 20. No­vem­ber 2012 - 1 AZR 179/11 - Rn. 94, 95 mwN, BA­GE 143, 354).


(2) Im Streit­fall ha­ben die Ge­rich­te für Ar­beits­sa­chen die vor­ge­ge­be­nen kirch­li­chen Maßstäbe für die Be­wer­tung ver­trag­li­cher Loya­litäts­pflich­ten zu­grun­de zu le­gen, so­weit die Ver­fas­sung das Recht der Kir­chen an­er­kennt, hierüber selbst zu be­fin­den.

(a) Es kommt we­der auf die Auf­fas­sung der ein­zel­nen be­trof­fe­nen kirch­li­chen Ein­rich­tun­gen, bei de­nen die Mei­nungs­bil­dung von ver­schie­dens­ten Mo­ti­ven be­ein­flusst sein kann, noch auf die­je­ni­ge brei­ter Krei­se un­ter den Kir­chen­glie­dern oder et­wa ein­zel­ner be­stimm­ten Ten­den­zen ver­bun­de­ner Mit­ar­bei­ter an (BVerfG 4. Ju­ni 1985 - 2 BvR 1703/83 ua. - zu B II 1 d der Gründe, BVerfGE 70, 138).


(b) Es bleibt grundsätz­lich den ver­fass­ten Kir­chen über­las­sen, ver­bind­lich zu be­stim­men, was „die Glaubwürdig­keit der Kir­che und ih­rer Verkündi­gung er­for­dert“, was „spe­zi­fisch kirch­li­che Auf­ga­ben“ sind, was „Nähe“ zu ih­nen be­deu­tet, wel­ches die „we­sent­li­chen Grundsätze der Glau­bens- und Sit­ten­leh­re“ sind und was als Ver­s­toß ge­gen die­se an­zu­se­hen ist. Auch die Ent­schei­dung darüber, ob und wie in­ner­halb der im kirch­li­chen Dienst täti­gen Mit­ar­bei­ter ei­ne „Ab­stu­fung“ der Loya­litäts­pflich­ten ein­grei­fen soll, ist grundsätz­lich ei­ne dem kirch­li­chen Selbst­be­stim­mungs­recht un­ter­lie­gen­de An­ge­le­gen­heit (BVerfG



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4. Ju­ni 1985 - 2 BvR 1703/83 ua. - zu B II 2 a der Gründe, BVerfGE 70, 138). Die staat­li­chen Ge­rich­te sind an die kirch­li­che Einschätzung ar­beits­ver­trag­li­cher Loya­litäts­pflich­ten ge­bun­den, es sei denn, sie begäben sich da­durch in Wi­der­spruch zu Grund­prin­zi­pi­en der Rechts­ord­nung, wie sie im all­ge­mei­nen Willkürver­bot (Art. 3 Abs. 1 GG), im Be­griff der „gu­ten Sit­ten“ (§ 138 Abs. 1 BGB) und im ord­re pu­blic (Art. 30 EGBGB) ih­ren Nie­der­schlag ge­fun­den ha­ben. Die Ge­rich­te ha­ben je­doch si­cher­zu­stel­len, dass die kirch­li­chen Ein­rich­tun­gen nicht in Ein­z­elfällen un­an­nehm­ba­re An­for­de­run­gen an die Loya­lität ih­rer Ar­beit­neh­mer stel­len (BVerfG 4. Ju­ni 1985 - 2 BvR 1703/83 ua. - zu B II 2 a der Gründe, BVerfGE 70, 138; BAG 25. April 2013 - 2 AZR 579/12 - Rn. 25, BA­GE 145, 90).


(3) Die Be­klag­te hat sich an den nach den Maßstäben der ver­fass­ten Kir­che den nicht­christ­li­chen Mit­ar­bei­tern im Rah­men ih­rer Auf­ga­ben­erfüllung auf­er­leg­ten Neu­tra­litäts- und Loya­litäts­pflich­ten ori­en­tiert. Sie lei­tet die Be­rech­ti­gung, die von der Kläge­rin un­ter dem Vor­be­halt des Tra­gens ei­nes Kopf­tuchs an­ge­bo­te­ne Leis­tung ab­leh­nen zu dürfen, aus dem für nicht­christ­li­che Mit­ar­bei­ter nach § 4 Abs. 1 und Abs. 4 RL-EKD iVm. § 2 Abs. 1 RL-EKD gel­ten­den Neu­tra­litäts­ge­bot ab.


cc) Un­ter Berück­sich­ti­gung der Umstände des vor­lie­gen­den Ein­zel­falls wäre den In­ter­es­sen der Be­klag­ten - han­del­te es sich um ei­ne kirch­li­che Ein­rich­tung - ge­genüber de­nen der Kläge­rin Vor­rang ein­zuräum­en. Der Se­nat folgt in­so­weit der zu­tref­fen­den Be­gründung des Lan­des­ar­beits­ge­richts:


(1) Bei der Abwägung der Grund­rech­te der Kläge­rin mit dem kirch­li­chen Selbst­be­stim­mungs­recht der Be­klag­ten - un­ter­stellt es han­delt sich bei ihr um ei­ne der Evan­ge­li­schen Kir­che zu­ge­ord­ne­te Ein­rich­tung - ist zu berück­sich­ti­gen, dass die Kläge­rin in die Ob­lie­gen­heit, die an sie ge­stell­ten Loya­litätser­war­tun­gen im Rah­men ih­rer Auf­ga­ben­wahr­neh­mung zu erfüllen, bei Be­gründung des Ar­beits­verhält­nis­ses mit der Be­klag­ten ein­ge­wil­ligt hat (vgl. da­zu EGMR 23. Sep­tem­ber 2010 - 1620/03 - [Schüth] Rn. 71; 3. Fe­bru­ar 2011 - 18136/02 - [Sie­ben­haar] Rn. 46; BAG 25. April 2013 - 2 AZR 579/12 - Rn. 32, BA­GE 145, 90). Sie hat die­sen Er­war­tun­gen bei Ver­trags­schluss zu­ge­stimmt und sich ih­nen


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in die­sem Sin­ne frei­wil­lig un­ter­wor­fen. Zwar liegt dar­in kein Ver­zicht auf ei­ne zukünf­tig an­de­re Ausübung ih­rer Glau­bens­frei­heit. Re­li­giöse Über­zeu­gun­gen und Ge­wis­sens­ein­stel­lun­gen können sich ändern. Auch dies ist von der ver­fas­sungs­recht­lich gewähr­leis­te­ten Glau­bens­frei­heit um­fasst. Die ar­beits­ver­trag­li­che An­er­ken­nung der Loya­litäts- und Neu­tra­litätser­war­tun­gen der Be­klag­ten durch die Kläge­rin, führt aber da­zu, dass der nun­mehr an­de­ren Ausübung ih­rer Glau­bens­frei­heit in Ge­stalt des jetzt - an­ders als zu Be­ginn des Ar­beits­verhält­nis­ses - von ihr als ver­bind­lich an­ge­se­he­nen re­li­giösen Ge­bots, ein Kopf­tuch zu tra­gen, zu­min­dest kein höhe­res Ge­wicht als dem kirch­li­chen Selbst­be­stim­mungs­recht zu­kommt (vgl. BAG 25. April 2013 - 2 AZR 579/12 - Rn. 32, BA­GE 145, 90). Während die Loya­litätser­war­tun­gen der Be­klag­ten un­verändert ge­blie­ben sind, hat sich die Be­reit­schaft der Kläge­rin, ih­nen zu ent­spre­chen, ge­wan­delt. Der Kon­flikt zwi­schen den ver­fas­sungs­recht­li­chen Gewähr­leis­tun­gen ist des­halb in ih­rer Sphäre be­gründet.


(2) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat zu Recht zu­guns­ten der Kläge­rin berück­sich­tigt, dass sie durch den ihr ab­ver­lang­ten Ver­zicht auf ei­ne ih­ren Glau­bens-re­geln ent­spre­chen­de Kopf­be­de­ckung in ei­nen erns­ten Glau­bens­kon­flikt ge­bracht wird. An­de­rer­seits ist zu be­ach­ten, wird der Kern­be­reich der Glau­bens­frei­heit der Kläge­rin hier­durch nicht be­trof­fen: Ih­re Glau­bens­frei­heit ist nur funk­tio­nal, zeit­lich und räum­lich, nämlich bei der Ausübung ih­rer be­ruf­li­chen Auf­ga­ben ein­ge­schränkt. Die Kläge­rin wird während ih­rer Ar­beits­zeit als ei­ne Mus­li­ma, die kein Kopf­tuch trägt, nur von ei­nem ein­ge­schränk­ten Per­so­nen­kreis wahr­ge­nom­men. Sie ver­rich­tet ih­re Tätig­keit als Kran­ken­schwes­ter nicht vor den Au­gen ei­ner brei­ten Öffent­lich­keit und muss sich oh­ne Kopf­tuch nur den Ar­beits­kol­le­gen und Pa­ti­en­ten und ggf. auch Be­su­chern zei­gen. Sie kann außer­halb der Ar­beits­zeit in ih­rem pri­va­ten Um­feld und auch auf dem Hin- und Rück­weg zur Ar­beits­stel­le un­ein­ge­schränkt den Be­klei­dungs­ge­bo­ten ih­res Glau­bens fol­gen und ein Kopf­tuch tra­gen. In­dem ihr dies nur während der Ar­beits­zeit un­ter­sagt ist, wer­den ihr kei­ne un­an­nehm­ba­ren Loya­litäts­pflich­ten auf­er­legt.
 


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(3) Un­ter­stellt, das von der Be­klag­ten be­trie­be­ne Kran­ken­haus sei der Evan­ge­li­schen Kir­che zu­ge­ord­net, ist zu­guns­ten der Be­klag­ten zu berück­sich­ti­gen, dass sie, dürf­te die Kläge­rin bei der Ar­beit ei­ne re­li­giös mo­ti­vier­te Kopf­be­de­ckung tra­gen, in­ner­halb ih­rer Ein­rich­tung Glau­bensäußerun­gen zu­guns­ten ei­ner an­de­rer Re­li­gi­on hin­neh­men müss­te. Zu­gleich hätte sie ei­ne Ver­let­zung der Pflicht zu ei­nem neu­tra­len Ver­hal­ten ge­genüber der Evan­ge­li­schen Kir­che, als sich aus § 4 Abs. 1 und Abs. 4 RL-EKD er­ge­ben­der Min­dest­an­for­de­rung an die Auf­ga­ben­erfüllung durch nicht­christ­li­che Ar­beit­neh­mer im kirch­li­chen Dienst, zu ak­zep­tie­ren.


(a) Da­bei fie­le be­son­ders ins Ge­wicht, dass die Kläge­rin in ih­rer Funk­ti­on als Kran­ken­schwes­ter in di­rek­tem und ständi­gem Kon­takt zu den in der Ein­rich­tung der Be­klag­ten be­han­del­ten Pa­ti­en­ten und zu an­de­ren Ar­beit­neh­mern steht. Die Glau­bens­be­kun­dung der Kläge­rin für den Is­lam würde von die­sen un­mit­tel­bar als sol­che wahr­ge­nom­men.


(b) Die Be­klag­te müss­te, würde sie Glau­bens­be­kun­dun­gen der Kläge­rin to­le­rie­ren, zu­dem da­mit rech­nen, dass an­de­re nicht­christ­li­che Mit­ar­bei­ter eben­so während der Ar­beits­zeit Glau­bens­be­kun­dun­gen zu­guns­ten der Re­li­gi­ons­ge­mein­schaft, der sie je­weils an­gehören, täti­gen würden. Zu Recht hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt an­ge­nom­men, der Verkündi­gungs­auf­trag der Kir­che und de­ren Glaubwürdig­keit könn­ten hier­durch ernst­haft gefähr­det wer­den. Außen­ste­hen­de könn­ten den Ein­druck ge­win­nen, die Kir­che hal­te Glau­bens­wahr­hei­ten für be­lie­big aus­tausch­bar. Zwänge man der Be­klag­ten auf, dies in­ner­halb ih­rer Ein­rich­tung hin­zu­neh­men, wäre das kirch­li­che Selbst­be­stim­mungs­recht im Kern­be­reich be­ein­träch­tigt.

(c) Die Be­klag­te muss sich nicht ent­ge­gen­hal­ten las­sen, ein kirch­li­cher Ar­beit­ge­ber ha­be sich mit der Ent­schei­dung, auch nicht­christ­li­che Mit­ar­bei­ter ein-zu­stel­len, be­reits für ei­ne Form von re­li­giösem Plu­ra­lis­mus geöff­net. Durch die ar­beits­ver­trag­li­che Be­zug­nah­me auf die Präam­bel des BAT-KF und die RL-EKD hat die Be­klag­te viel­mehr deut­lich zum Aus­druck ge­bracht, dass auch von nicht­christ­li­chen Mit­ar­bei­tern er­war­tet wer­de, den kirch­li­chen Auf­trag zu beach-
 


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ten und die ih­nen über­tra­ge­nen Auf­ga­ben im Sin­ne der Kir­che zu erfüllen, wie es § 4 Abs. 1 und Abs. 4 RL-EKD ent­spricht.


(d) Zu ei­ner an­de­ren Be­ur­tei­lung führt nicht, dass die Kläge­rin an sich in der La­ge wäre, die dem all­ge­mei­nen Be­rufs­bild ei­ner Kran­ken­schwes­ter ent­spre­chen­den Tätig­kei­ten oh­ne Be­ein­träch­ti­gun­gen des Ar­beits­ab­laufs auch kopf­tuch­t­ra­gend zu ver­rich­ten. Bei der vor­zu­neh­men­den In­ter­es­sen­abwägung kann die Ei­gen­art der Auf­ga­ben­erfüllung durch nicht­christ­li­che Mit­ar­bei­ter im kirch­li­chen Dienst, nach dem in § 2 Abs. 1 Satz 1 RL-EKD zum Aus­druck kom­men­den theo­lo­gi­schen Selbst­verständ­nis, mit der Ar­beits­leis­tung wer­de ein Stück kirch­li­chen Auf­trags in der Welt ver­wirk­licht, nicht außer Acht ge­las­sen wer­den.


(e) Für das Er­geb­nis der In­ter­es­sen­abwägung kommt es nicht dar­auf an, ob die Kläge­rin En­de 2005, während ei­nes kur­zen Zeit­raums vor ih­rem Er­zie­hungs­ur­laub, die Ar­beit kopf­tuch­t­ra­gend ver­rich­tet hat. Selbst wenn dies von der Pfle­ge­dienst­lei­tung der Be­klag­ten hin­ge­nom­men wor­den sein soll­te, könn­te hier­aus nicht ge­schlos­sen wer­den, die Be­klag­te bzw. in­so­weit ver­tre­tungs­be­rech­tig­te Per­so­nen hätten dau­er­haft auf die Ein­hal­tung des Neu­tra­litäts­ge­bots ver­zich­tet.


(4) Die der Kläge­rin auf­er­leg­te Pflicht, das Tra­gen ei­nes Kopf­tuchs oder ei­ner ver­gleich­ba­ren, ih­ren Glau­bens­ge­bo­ten ent­spre­chen­den Kopf­be­de­ckung während der Ar­beits­zeit zu un­ter­las­sen, wäre nicht un­verhält­nismäßig. Die Un­ter­las­sungs­pflicht wäre zur Gewähr­leis­tung des aus dem kirch­li­chen Selbst­be­stim­mungs­recht re­sul­tie­ren­den Neu­tra­litäts­ge­bots ge­eig­net, er­for­der­lich und an­ge­mes­sen. Die Kläge­rin hat nicht dar­ge­legt, wie sie dem Neu­tra­litäts­ge­bot in ei­ner an­de­ren, sie we­ni­ger be­las­ten­den Art und Wei­se ent­spre­chen könn­te.

3. Dem Abwägungs­er­geb­nis stünden die Vor­schrif­ten des AGG (§ 7 Abs. 1, §§ 1, 3 Abs. 1 und Abs. 2) nicht ent­ge­gen.
 

Nach § 7 Abs. 2 AGG führt ein Ver­s­toß von Be­stim­mun­gen in Ver­ein­ba­run­gen, die ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot des § 7 Abs. 1 iVm. § 1 AGG
 


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ver­s­toßen, zur Un­wirk­sam­keit der be­tref­fen­den Re­ge­lung. Die Kläge­rin hat be­reits nicht dar­ge­legt, dass es an­de­ren Ar­beit­neh­mern der Be­klag­ten ge­stat­tet sei, Kopf­be­de­ckun­gen während der Ar­beits­zeit zu tra­gen, so­weit dies nicht in be­son­de­ren Be­rei­chen aus Gründen des Ar­beits­schut­zes und der Kran­ken­haus­hy­gie­ne ge­bo­ten ist. Es kann je­doch da­hin­ge­stellt blei­ben, ob die Kläge­rin durch die aus dem Ar­beits­ver­trag der Par­tei­en re­sul­tie­ren­de Ver­pflich­tung, das Kopf­tuch während der Ar­beits­zeit ab­zu­le­gen und auch kei­ne ent­spre­chen­de an­de­re Kopf­be­de­ckung zu tra­gen, we­gen ih­rer Re­li­gi­on be­nach­tei­ligt würde, denn ein Ver­s­toß ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot schie­de nach § 9 Abs. 2 AGG aus. Nach die­ser Vor­schrift berührt das Ver­bot un­ter­schied­li­cher Be­hand­lung we­gen der Re­li­gi­on nicht das Recht der Re­li­gi­ons­ge­mein­schaf­ten, von ih­ren Beschäftig­ten ein loya­les Ver­hal­ten im Sin­ne ih­res je­wei­li­gen Selbst­verständ­nis­ses ver­lan­gen zu können. Wei­ter­ge­hen­de Ver­pflich­tun­gen wer­den der Kläge­rin mit dem aus § 4 Abs. 1 und Abs. 4 RL-EKD re­sul­tie­ren­den Neu­tra­litäts­ge­bot nicht auf­er­legt.


4. Auch das Grund­recht der Kläge­rin auf Re­li­gi­ons­frei­heit nach Art. 9 Abs. 1 EM­RK wäre nicht ver­letzt.


a) Art. 9 EM­RK gewähr­leis­tet die Re­li­gi­ons­frei­heit nicht schran­ken­los, viel­mehr sind aus­drück­lich Ein­schränkun­gen in Abs. 2 der Vor­schrift vor­ge­se­hen. Ei­ne Ein­schränkung der Re­li­gi­ons­frei­heit kommt ins­be­son­de­re im Hin­blick auf die Rech­te und Frei­hei­ten an­de­rer in Be­tracht (EGMR 3. Fe­bru­ar 2011 - 18136/02 - [Sie­ben­haar] Rn. 38 f.). In­so­weit hat ei­ne Abwägung zwi­schen den Rech­ten des Ar­beit­neh­mers und de­nen des kirch­li­chen Ar­beit­ge­bers un­ter Berück­sich­ti­gung des kirch­li­chen Selbst­be­stim­mungs­rechts statt­zu­fin­den (EGMR 23. Sep­tem­ber 2010 - 425/03 - [Obst] Rn. 43). Nach der Recht­spre­chung des EGMR, de­ren Be­ach­tung ver­fas­sungs­recht­lich ge­bo­ten ist, so­weit dies me­tho­disch ver­tret­bar und mit den Vor­ga­ben des Grund­ge­set­zes ver­ein­bar ist (BVerfG 14. Ok­to­ber 2004 - 2 BvR 1481/04 - BVerfGE 111, 307; 4. Mai 2011 - 2 BvR 2333/08 ua. - Rn. 93 f. mwN, BVerfGE 128, 326; BAG 25. April 2013 - 2 AZR 579/12 - Rn. 27, BA­GE 145, 90), ist zu berück­sich­ti­gen, dass die Re­li­gi­ons­ge­mein­schaf­ten tra­di­tio­nell und welt­weit in Form or­ga­ni­sier­ter Struk­tu­ren
 


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exis­tie­ren (EGMR 23. Sep­tem­ber 2010 - 425/03 - [Obst] Rn. 44 und - 1620/03 - [Schüth] Rn. 58; 3. Fe­bru­ar 2011 - 18136/02 - [Sie­ben­haar] Rn. 41). Vor die­sem Hin­ter­grund ist, wenn die Or­ga­ni­sa­ti­on ei­ner sol­chen Ge­mein­schaft in Re­de steht, Art. 9 EM­RK im Lich­te von Art. 11 EM­RK aus­zu­le­gen, der die Ver­ei­ni­gungs­frei­heit vor jeg­li­chem un­ge­recht­fer­tig­ten staat­li­chen Ein­griff schützt. Ih­re für den Plu­ra­lis­mus in ei­ner de­mo­kra­ti­schen Ge­sell­schaft un­ver­zicht­ba­re Au­to­no­mie gehört zum Kern­be­stand des Schut­zes, den Art. 9 EM­RK ver­mit­telt. Das Recht auf Re­li­gi­ons­frei­heit im Sin­ne der Kon­ven­ti­on ist - außer in ex­tre­men Aus­nah­mefällen - jeg­li­cher Be­ur­tei­lung sei­tens des Staa­tes im Hin­blick auf die Rechtmäßig­keit des re­li­giösen Be­kennt­nis­ses oder der Art und Wei­se, in der es zum Aus­druck ge­bracht wird, ent­zo­gen (EGMR 3. Fe­bru­ar 2011 - 18136/02 - [Sie­ben­haar] Rn. 41). Nach der Recht­spre­chung des EGMR ist es nicht zu be­an­stan­den, wenn der Kir­che das Recht zu­er­kannt wird, ih­ren Beschäfti­gen Loya­litäts­pflich­ten auf­zu­er­le­gen, so­fern die­se nicht un­an­nehm­bar sind (EGMR 23. Sep­tem­ber 2010 - 425/03 - [Obst] Rn. 49; 23. Sep­tem­ber 2010 - 1620/03 - [Schüth] Rn. 69).


b) Hier­von aus­ge­hend wären - un­ter­stellt, es han­del­te sich bei der Be­klag­ten um ei­ne kirch­li­che Ein­rich­tung - das ar­beits­ver­trag­li­che Neu­tra­litäts­ge­bot und hier­aus re­sul­tie­rend, das Ver­bot während der Ar­beits­zeit ein is­la­mi­sches Kopf­tuch oder ei­ne ver­gleich­ba­re Kopf­be­de­ckung zu tra­gen, mit Art. 9 Abs. 1 EM­RK ver­ein­bar. Der Kläge­rin wer­den hier­durch kei­ne un­an­nehm­ba­ren Loya­litäts­pflich­ten auf­er­legt. Das Ver­bot ist nicht un­verhält­nismäßig. Un­ter Berück­sich­ti­gung der Tätig­keit der Kläge­rin könn­te auf an­de­re Wei­se das kirch­li­che Selbst­be­stim­mungs­recht, von dem der kirch­li­che Ar­beit­ge­ber mit der Fest­le­gung von Loya­litäts­pflich­ten im Ar­beits­verhält­nis Ge­brauch macht (vgl. BVerfG 4. Ju­ni 1985 - 2 BvR 1703/83 ua. - BVerfGE 70, 138; BAG 8. Sep­tem­ber 2011 - 2 AZR 543/10 - Rn. 23, BA­GE 139, 144; 25. April 2013 - 2 AZR 579/12 - Rn. 25, BA­GE 145, 90), nicht ge­wahrt wer­den.


5. Et­was an­de­res würde gel­ten, gelänge es der Be­klag­ten nicht, nach­zu­wei­sen, dass sie dem Schutz­be­reich von Art. 140 GG, Art. 137 WRV un­terfällt. In die­sem Fall würden die In­ter­es­sen der Kläge­rin über­wie­gen. Die Be­klag­te


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könn­te sich dann ge­genüber der durch Art. 4 GG gewähr­leis­te­ten Glau­bens­frei­heit der Kläge­rin, trotz der Ver­wei­sung auf die RL-EKD im Ar­beits­ver­trag, nur auf Art. 12 GG stützen (vgl. BAG 10. Ok­to­ber 2002 - 2 AZR 472/01 - BA­GE 103, 111; 24. Fe­bru­ar 2011 - 2 AZR 636/09 - BA­GE 137, 164; vgl. hier­zu auch den Nicht­an­nah­me­be­schluss des BVerfG vom 30. Ju­li 2003 - 1 BvR 792/03 - Rn. 17, 18, 24). Das Tra­gen ei­nes Kopf­tuchs wäre in die­sem Fall von der Be­klag­ten hin­zu­neh­men, denn sie hat nicht dar­ge­legt, dass ein Ver­zicht auf ei­ne Kopf­be­de­ckung, wie sie von der Kläge­rin gewünscht wird, aus be­trieb­li­chen - zB hy­gie­ni­schen - Gründen ge­bo­ten wäre und an­dern­falls be­trieb­li­che Störun­gen zu befürch­ten sei­en. Die Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne wirk­sa­me Dienst­ver­ein­ba­rung lägen nicht vor, han­del­te es sich bei der Be­klag­ten nicht um ei­ne kirch­li­che Ein­rich­tung. Es kann des­halb da­hin­ge­stellt blei­ben, ob mit der Dienst­ver­ein­ba­rung, so­weit sie das Tra­gen ei­nes Kopf­tuchs un­ter­sagt, Ar­beits­ver­hal­ten oder Ord­nungs­ver­hal­ten der Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter iSv. § 40k MVG.EKD ge­re­gelt wird (zur Ab­gren­zung im Be­reich des Be­trVG, vgl. BAG 13. Fe­bru­ar 2007 - 1 ABR 18/06 - Rn. 9, 11, BA­GE 121, 147; 17. Ja­nu­ar 2012 - 1 ABR 45/10 - Rn. 22, BA­GE 140, 223) und, ob die Dienst­ver­ein­ba­rung über­haupt ge­genüber der Kläge­rin zwin­gen­de Wir­kung ent­fal­ten kann (vgl. hier¬zu BAG 29. Sep­tem­ber 2011 - 2 AZR 523/10 - Rn. 19; Schaub/Linck Ar­beits­rechts­hand­buch 15. Aufl. § 185 Rn. 17).


6. Ob die Ein­rich­tung der Be­klag­ten der Evan­ge­li­schen Kir­che in­sti­tu­tio­nell zu­ge­ord­net ist, ver­mag der Se­nat auf Grund­la­ge der bis­he­ri­gen Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts nicht zu ent­schei­den.


a) Un­mit­tel­ba­re Träger des kirch­li­chen Selbst­be­stim­mungs­rechts sind die Re­li­gi­ons­ge­mein­schaf­ten iSd. Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 WRV. Die die­sen zu­ge­ord­ne­ten Ein­rich­tun­gen lei­ten die­ses Recht von ih­nen ab, sie sind selbst Teil der Kir­che (BAG 5. De­zem­ber 2007 - 7 ABR 72/06 - Rn. 22 mwN, BA­GE 125, 100; 20. No­vem­ber 2012 - 1 AZR 179/11 - Rn. 57, BA­GE 143, 354).

aa) Der An­wen­dungs­be­reich von Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 WRV er­streckt sich auf al­le der Kir­che in be­stimm­ter Wei­se zu­ge­ord­ne­ten Ein­rich­tun-
 


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gen oh­ne Rück­sicht auf ih­re Rechts­form, wenn die Ein­rich­tung nach kirch­li­chem Selbst­verständ­nis ih­rem Zweck oder ih­ren Auf­ga­ben ent­spre­chend be­ru­fen ist, ein Stück des Auf­trags der Kir­che wahr­zu­neh­men und zu erfüllen. Die ver­fas­sungs­recht­lich ga­ran­tier­te Frei­heit der Kir­che im Staat er­laubt es ihr, sich zur Erfüllung ih­res Auf­trags auch der Or­ga­ni­sa­ti­ons­for­men des staat­li­chen Rechts zu be­die­nen. Die Zu­gehörig­keit der auf die­ser Rechts­grund­la­ge be­gründe­ten Ein­rich­tun­gen zur Kir­che wird hier­durch nicht auf­ge­ho­ben (BAG 5. De­zem­ber 2007 - 7 ABR 72/06 - Rn. 30, BA­GE 125, 100).


(1) Für die Zu­ord­nung ei­ner recht­lich selbständi­gen Ein­rich­tung zur Kir­che ist es al­ler­dings nicht aus­rei­chend, wenn die Ein­rich­tung ih­rem Zweck nach auf die Ver­wirk­li­chung ei­nes kirch­li­chen Auf­trags ge­rich­tet ist. Sie setzt ei­ne in­sti­tu­tio­nel­le Ver­bin­dung zwi­schen der Kir­che und der Ein­rich­tung vor­aus, auf­grund de­rer die Kir­che über ein Min­dest­maß an Ein­flussmöglich­kei­ten verfügt, um auf Dau­er ei­ne Übe­rein­stim­mung der re­li­giösen Betäti­gung der Ein­rich­tung mit kirch­li­chen Vor­stel­lun­gen gewähr­leis­ten zu können. Da­bei be­darf der ord­nen­de Ein­fluss der Kir­che zwar kei­ner sat­zungsmäßigen Ab­si­che­rung. Die Kir­che muss aber in der La­ge sein, ei­nen et­wai­gen Dis­sens in re­li­giösen An­ge­le­gen­hei­ten zwi­schen ihr und der Ein­rich­tung zu un­ter­bin­den (BAG 5. De­zem­ber 2007 - 7 ABR 72/06 - Rn. 31 f., BA­GE 125, 100; 20. No­vem­ber 2012 - 1 AZR 179/11 - Rn. 48, BA­GE 143, 354).


(2) Die den Re­li­gi­ons­ge­mein­schaf­ten durch Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 WRV ver­lie­he­ne Selbst­ord­nungs- und Selbst­ver­wal­tungs­ga­ran­tie hat nicht zur Fol­ge, dass die Zu­ord­nung ei­ner Ein­rich­tung zu ei­ner Re­li­gi­ons­ge­mein­schaft ei­ner Kon­trol­le durch die Ge­rich­te für Ar­beits­sa­chen ent­zo­gen ist. Die­se ha­ben in ei­ner zwei­stu­fi­gen Prüfung darüber zu be­fin­den, ob über­haupt ei­ne ver­wal­tungsmäßige Ver­flech­tung zwi­schen der Kir­che und der Ein­rich­tung be­steht und ob die Kir­che auf­grund die­ser Ver­bin­dung über ein Min­dest­maß an Ein­flussmöglich­kei­ten verfügt, um auf Dau­er ei­ne Übe­rein­stim­mung der re­li­giösen Betäti­gung der Ein­rich­tung mit ih­ren Vor­stel­lun­gen gewähr­leis­ten zu können. Grund­la­ge für die Be­ur­tei­lung der Zu­ord­nung ist die in den Sta­tu­ten fest-
 


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ge­schrie­be­ne Zweck­be­stim­mung und die Struk­tur der Ein­rich­tung (vgl. BAG 5. De­zem­ber 2007 - 7 ABR 72/06 - Rn. 33 f., BA­GE 125, 100).

b) Die vom Lan­des­ar­beits­ge­richt ge­trof­fe­nen Fest­stel­lun­gen ermögli­chen es nicht, an­hand der ge­nann­ten Kri­te­ri­en zu be­ur­tei­len, ob die Be­klag­te ei­ne kirch­li­che Ein­rich­tung ist. Dem Tat­be­stand der Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts ist le­dig­lich zu ent­neh­men, bei der Be­klag­ten han­de­le es sich um ei­ne Kran­ken­an­stalt un­ter kon­fes­sio­nel­ler Träger­schaft der Evan­ge­li­schen Kir­che. Nach dem Vor­trag der Par­tei­en ist „Träge­rin“ der Be­klag­ten die „Evan­ge­li­sche Stif­tung A“. Tat­sa­chen, die es ermöglich­ten zu be­ur­tei­len, ob zwi­schen der Kir­che und der Be­klag­ten - un­mit­tel­bar oder ver­mit­telt durch die Stif­tung - ei­ne in­sti­tu­tio­nel­le Ver­bin­dung im oben ge­nann­ten Sin­ne be­steht, sind nicht fest­ge­stellt und können dem un­strei­ti­gen Par­tei­vor­brin­gen nicht ent­nom­men wer­den. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat kei­ne Fest­stel­lun­gen über den In­halt des Ge­sell­schafts­ver­trags der Be­klag­ten, die Be­stel­lung, Ab­be­ru­fung und Ent­las­tung ih­rer Geschäftsführung so­wie ggf. de­ren Über­wa­chung durch die Evan­ge­li­sche Stif­tung A als (wohl) ein­zi­ger Ge­sell­schaf­te­rin ge­trof­fen und - ge­mes­sen an den oben dar­ge­leg­ten Kri­te­ri­en - zur Zu­ord­nung der Stif­tung zur Evan­ge­li­schen Kir­che. Als der Par­tei, die sich zu ih­ren Guns­ten auf das kirch­li­che Selbst­be­stim­mungs­recht be­ruft, ob­liegt es der Be­klag­ten, dies dar­zu­le­gen und ggf. zu be­wei­sen.


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