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Kopftuchverbot und Diskriminierung
10.06.2016. Dürfen muslimische Arbeitnehmerinnen unter Berufung auf den Schutz vor religionsbedingter Diskriminierung in privaten Betrieben ein Kopftuch tragen oder kann der Arbeitgeber ihnen das verbieten?
Um diese Frage geht es in einem aktuellen Fall, über den am 31.05.2016 vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verhandelt wurde.
Nach Ansicht der Generalanwältin beim EuGH Juliane Kokott kann ein Kopftuchverbot in Privatunternehmen unter bestimmten Umständen europarechtlich zulässig sein, wenn im Betrieb ein allgemeines Verbot religiöser und politischer Bekundungen gilt: Generalanwältin Kokott, Schlussanträge vom 31.05.2015, C-157/15 (Samira Achbita).
- Kopftuch am Arbeitsplatz oder Pflicht zur religiösen und weltanschaulichen Neutralität?
- Der belgische Streitfall: Muslimische Angestellte eines Sicherheits- und Rezeptionsdienstleisters möchte nur noch mit Kopftuch arbeiten und wird daraufhin gekündigt
- Generalanwältin Kokott: Ein Kopftuchverbot kann in Privatunternehmen unter bestimmten Umständen europarechtlich zulässig sein, wenn im Betrieb ein allgemeines Verbot religiöser und politischer Bekundungen gilt
Kopftuch am Arbeitsplatz oder Pflicht zur religiösen und weltanschaulichen Neutralität?
Nach deutschem Recht dürfen Musliminnen im Allgemeinen unter Berufung auf ihre Religionsfreiheit bzw. auf Art.4 Abs.1 Grundgesetz (GG) bei der Arbeit ein Kopftuch tragen.
Eine Ausnahme gilt unter anderem dann, wenn der Arbeitgeber anderweitig religiös gebunden ist, z.B. als christliches Krankenhaus. Dann kann Musliminnen ein Kopftuch bei der Arbeit untersagt werden, so das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Urteil vom 24.09.2014, 5 AZR 611/12 (wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 14/326 Kopftuch am Arbeitsplatz).
Ein Kopftuchverbot kann auch im Staatsdienst rechtens sein, wenn ein Gesetz allen Arbeitnehmern während des Dienstes religiöse Neutralität abverlangt, so das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Urteil vom 24.09.2003, 2 BvR 1436/02. Macht ein solches Gesetz allerdings eine Ausnahme zugunsten "christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen" wie § 57 Abs.4 Satz 3 Schulgesetz Nordrhein-Westfalen a.F., ist auf einer solchen gesetzlichen Grundlage ein Kopftuchverbot nicht zulässig (BVerfG, Beschluss vom 27.01.2015, 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10, wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 15/068 Karlsruhe kippt Kopftuchverbot an Schulen).
Fraglich ist, ob auch private Unternehmen ihre Arbeitnehmer auf religiöse und politische Neutralität verpflichten können und daher Musliminnen das Tragen eines Kopftuchs untersagen können oder ob hier die Religionsfreiheit und der Schutz vor religionsbedingter Diskriminierung Vorrang hat.
Diese Frage ist von deutschen Gerichten bislang noch nicht eindeutig geklärt worden, liegt aber derzeit dem EuGH vor. Entscheidungsgrundlage ist hier die Richtlinie 2000/78/EG, die die EU-Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet, Diskriminierungen wegen der Religion im Arbeitsleben zu unterbinden.
Nach dieser Richtlinie ist nicht jede Ungleichbehandlung, die unmittelbar auf der Religion eines Arbeitnehmers beruht oder mittelbar mit ihr zusammenhängt, strikt verboten, sondern die Richtlinie lässt Ungleichbehandlungen im Ausnahmefall zu, wenn sie sachlich gerechtfertigt sind.
Konkret können die Mitgliedstaaten gemäß Art.4 Abs.1 der Richtlinie 2000/78/EG vorsehen, dass eine Ungleichbehandlung wegen eines Merkmals, das im Zusammenhang mit der Religion steht, zulässig ist bzw. keine Diskriminierung darstellt, wenn das Merkmal (also z.B. eine religiös neutrale Kleiderordnung)
"aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt“.
Wenn dieser Rechtfertigungsgrund religiös neutrale Kleiderordnungen abdeckt, könnten Kopftuchverbote in vielen Privatunternehmen europarechtlich zulässig sein.
Der belgische Streitfall: Muslimische Angestellte eines Sicherheits- und Rezeptionsdienstleisters möchte nur noch mit Kopftuch arbeiten und wird daraufhin gekündigt
In dem belgischen Vorlagefall hatte eine muslimische Arbeitnehmerin, Frau Samira Achbita, ihren Arbeitgeber, die Firma G4S Secure Solutions, auf Diskriminierungsentschädigung verklagt. G4S erbringt Bewachungs-, Sicherheits- und Rezeptionsdienstleistungen. Frau Achbita wurde als Rezeptionistin eingesetzt.
Nachdem sie zunächst drei Jahre lang ohne Kopftuch ihre Arbeit verrichtet hatte, verlangte sie von ihrem Arbeitgeber, künftig mit einem islamischen Kopftuch zur Arbeit erscheinen zu dürfen. G4S sprach daraufhin eine Kündigung aus und berief sich auf eine mit dem Betriebsrat vereinbarte generelle betriebliche Regelung, der zufolge allen Arbeitnehmern im Dienst das Tragen sichtbarer religiöser, politischer und philosophischer Zeichen verboten ist.
Nachdem die Klage in den ersten beiden Instanzen keinen Erfolg hatte, lag der Fall beim belgischen Kassationshof. Dieser fragte den EuGH, ob in Fällen von der Art des hier zu entscheidenden Rechtsstreits eine unmittelbare Diskriminierung im Sinne von Art.2 Abs.2 Buchstabe a) der Richtlinie 2000/78/EG vorliegt.
Generalanwältin Kokott: Ein Kopftuchverbot kann in Privatunternehmen unter bestimmten Umständen europarechtlich zulässig sein, wenn im Betrieb ein allgemeines Verbot religiöser und politischer Bekundungen gilt
In ihren Schlussanträgen begründet die Generalanwältin zunächst, dass hier im Streitfall keine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion vorliegt, sondern nur eine mittelbare und damit eher zu rechtfertigende Diskriminierung. Denn da das streitige Bekleidungsverbot bei der Firma G4S nicht nur Musliminnen, sondern auch Angehörige anderer Religionen und auch politisch engagierte Mitarbeiter in ihrer Kleiderwahl einschränkte, war die Klägerin nicht unmittelbar als Muslimin, d.h. wegen ihres moslemischen Glaubens in ihrer Freiheit beschränkt, so die Generalanwältin.
Darüber hinaus war das umstrittene Kopftuchverbot der Firma G4S nach Ansicht Frau Kokotts durch Art.4 Abs.1 der Richtlinie 2000/78/EG gerechtfertigt, wobei es keine Rolle spielte, ob diese Beschränkung nun als mittelbare oder als unmittelbare Diskriminierung anzusehen ist.
Denn das generelle betriebliche Verbot der weltanschaulichen, politischen oder religiösen Bekundungen am Arbeitsplatz war hier eine "wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung" für die Arbeit als Rezeptionistin eines Dienstleistungsunternehmens mit dem Leistungsangebot der Firma G4S (Bewachung, Sicherheit, Rezeption), so Frau Kokott. Für solche Dienstleistungsunternehmen liegt eine "Neutralitätspolitik" nahe und bewegt sich daher in den "Grenzen des unternehmerischen Beurteilungsspielraums" (Schlussanträge, Rn.93).
Schließlich deutet die Generalanwältin an, dass sie das hier umstrittene Kopftuchverbot auch als verhältnismäßig ansieht. Denn:
"Anders als beim Geschlecht, der Hautfarbe, der ethnischen Herkunft, der sexuellen Ausrichtung, dem Alter und der Behinderung einer Person handelt es sich aber bei der Religionsausübung weniger um eine unabänderliche Gegebenheit als vielmehr um einen Aspekt der privaten Lebensführung, auf den die betroffenen Arbeitnehmer zudem willentlich Einfluss nehmen können. Während ein Arbeitnehmer sein Geschlecht, seine Hautfarbe, seine ethnische Herkunft, seine sexuelle Ausrichtung, sein Alter oder seine Behinderung nicht >an der Garderobe abgeben< kann, sobald er die Räumlichkeiten seines Arbeitgebers betritt, kann ihm bezüglich seiner Religionsausübung am Arbeitsplatz eine gewisse Zurückhaltung zugemutet werden, sei es hinsichtlich religiöser Praktiken, religiös motivierter Verhaltensweisen oder - wie hier - hinsichtlich seiner Bekleidung." (Schlussanträge, Rn.116)
Fazit: In den meisten Fällen folgt der EuGH den Entscheidungsvorschlägen seiner Generalanwälte. Ob auch hier, ist allerdings offen, da "die Kopftuchfrage" politisch extrem umstritten ist.
Sollte sich der Gerichtshof dem Entscheidungsvorschlag der Generalanwältin Kokott anschließen und eine Diskriminierung verneinen, hätte das auch Auswirkungen auf das deutsche Arbeitsrecht, da die Diskriminierungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) die Vorgaben der Richtlinie 2000/78/EG im Wesentlichen eins zu eins umgesetzt haben. Daher hätten Arbeitgeber künftig einen tendenziell größeren Spielraum bei der Ausgestaltung betrieblicher Kleiderordnungen.
Allerdings ist der hier vom EuGH zu beurteilende Streitfall ziemlich speziell, so dass die Argumentation der Generalanwältin "pro Kopftuchverbot" keineswegs auf alle Unternehmen oder gar auf alle (muslimischen) Arbeitnehmerinnen übertragbar ist. Hier ging es nämlich um eine Security-Firma und um eine Mitarbeiterin im "Außendienst", die ihren Arbeitgeber gegenüber Kunden repräsentieren musste. Außerdem war das streitige Kopftuchverbot Teil einer generellen Neutralitäts-Vorgabe, die anscheinend nicht nur vorgeschoben bzw. in Wahrheit gegen Musliminnen gerichtet war, und obendrein hatte der Betriebsrat diese Regelung abgesegnet. Nur wenn diese Faktoren zusammenkommen, kann ein Kopftuchverbot in Privatunternehmen europarechtlich gerechtfertigt sein.
Nähere Informationen finden Sie hier:
- EuGH-Generalanwältin Juliane Kokott, Schlussanträge vom 31.05.2016, Rs. C-157/15 (Samira Achbita)
- Europäischer Gerichtshof, Pressemitteilung Nr.54/16 vom 31.05.2016: Nach Ansicht von Generalanwältin Kokott kann ein Kopftuchverbot in Unternehmen zulässig sein
- Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 27.01.2015, 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10
- Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 24.09.2003, 2 BvR 1436/02
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.09.2014, 5 AZR 611/12 (Kopftuchverbot in evangelischem Krankenhaus)
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.08.2009, 2 AZR 499/08 (Abmahnung wegen islamischer Baskenmütze - Schule)
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10.12.2009, 2 AZR 55/09 (Kündigung wegen islamischen Kopftuchs - Schule)
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10.10.2002, 2 AZR 472/01 (Kündigung wegen islamischen Kopftuchs - Kaufhaus)
- Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 14.04.2016, 58 Ca 13376/15
- Handbuch Arbeitsrecht: Diskriminierungsverbote - Geschlecht
- Handbuch Arbeitsrecht: Diskriminierungsverbote - Religion oder Weltanschauung
- Handbuch Arbeitsrecht: Gleichbehandlungsgrundsatz
- Handbuch Arbeitsrecht: Weisungsrecht
- Arbeitsrecht aktuell: 19/031 Kopftuchverbot 2019 erneut vor dem EuGH
- Arbeitsrecht aktuell: 18/096 Konfession als Voraussetzung der Einstellung?
- Arbeitsrecht aktuell: 17/076 Kopftuchverbot am Arbeitsplatz kann rechtens sein
- Arbeitsrecht aktuell: 17/045 Kopftuchverbot an Berliner Schulen
- Arbeitsrecht aktuell: 16/125 Diskriminierung wegen Kopftuchs in Berlin?
- Arbeitsrecht aktuell: 16/094 Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche bei der Bewerbung
- Arbeitsrecht aktuell: 15/068 Karlsruhe kippt Kopftuchverbot an Schulen
- Arbeitsrecht aktuell: 14/338 Gleichbehandlung bei der Dienstkleidung
- Arbeitsrecht aktuell: 14/326 Kopftuch am Arbeitsplatz
- Arbeitsrecht aktuell: 11/162 Kleiderordnung und Outfit-Vorgaben per Betriebsvereinbarung
- Arbeitsrecht aktuell: 11/115 Kündigung wegen Arbeitsverweigerung aus Glaubensgründen
- Arbeitsrecht aktuell: 11/084 Fristlose Kündigung eines Call-Center-Agents wegen Grußformel "Jesus hat Sie lieb"
- Arbeitsrecht aktuell: 11/055 Abmahnung: Die Ausübung ihrer Religion am Arbeitsplatz ist Erziehern untersagt
- Arbeitsrecht aktuell: 10/119 Religiöse Überzeugung vs. Weisungsrecht
- Arbeitsrecht aktuell: 09/151 Abmahnung wegen islamischer Baskenmütze in der Schule rechtens
- Arbeitsrecht aktuell: 09/072 Verweigerung des Transports von Alkohol aus religiösen Gründen
- Arbeitsrecht aktuell: 08/080 Kopftuchverbot bei den Cellitinnen zur Heiligen Maria
- Arbeitsrecht aktuell: 08/066 Abmahnung wegen Tragens einer „islamischen Baskenmütze“
- Arbeitsrecht aktuell: 02/05 Kopftuch ist kein Kündigungsgrund
Letzte Überarbeitung: 7. Februar 2019
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