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HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

BAG, Ur­teil vom 10.12.2009, 2 AZR 55/09

   
Schlagworte: Kündigung, Abmahnung, Religion
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 2 AZR 55/09
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 10.12.2009
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Landesarbeitsgerichts Hamm, Urteile vom 16. Oktober 2008 - 11 Sa 572/08 - und - 11 Sa 280/08
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT Ur­teil vom 10.12.2009, 2 AZR 55/09

Te­nor

Die Re­vi­sio­nen der Kläge­rin ge­gen die Ur­tei­le des Lan­des­ar­beits­ge­richts Hamm vom 16. Ok­to­ber 2008 - 11 Sa 572/08 - und - 11 Sa 280/08 - wer­den auf ih­re Kos­ten zurück­ge­wie­sen.

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über die Wirk­sam­keit ei­ner Ab­mah­nung und ei­ner or­dent­li­chen Kündi­gung und da­bei um die Fra­ge, ob die Kläge­rin in der Schu­le ein Kopf­tuch nach is­la­mi­schem Re­li­gi­ons­brauch tra­gen darf.

Die im Jahr 1977 ge­bo­re­ne Kläge­rin trat 2001 als Leh­re­rin in die Diens­te des be­klag­ten Lan­des. Sie ist türki­scher Ab­stam­mung und be­kennt sich zum is­la­mi­schen Glau­ben. Sie er­teil­te mut­ter­sprach­li­chen Un­ter­richt in türki­scher Spra­che. Da­bei han­delt es sich um ein frei­wil­li­ges Zu­satz­an­ge­bot der Schu­len. Am Un­ter­richt nah­men aus­sch­ließlich mus­li­mi­sche Schüler teil.

Bei ih­rer Be­wer­bung hat­te die Kläge­rin ein Licht­bild ein­ge­reicht, das sie mit Kopf­tuch zeig­te. In der dar­auf fol­gen­den Zeit ver­rich­te­te sie ih­ren Dienst stets mit Kopf­tuch.

Seit dem 1. Au­gust 2006 heißt es in § 57 Abs. 4 SchulG NRW:

„Leh­re­rin­nen und Leh­rer dürfen in der Schu­le kei­ne po­li­ti­schen, re­li­giösen, welt­an­schau­li­chen oder ähn­li­che äußere Be­kun­dun­gen ab­ge­ben, die ge­eig­net sind, die Neu­tra­lität des Lan­des ge­genüber Schüle­rin­nen und Schülern so­wie El­tern oder den po­li­ti­schen, re­li­giösen oder welt­an­schau­li­chen Schul­frie­den zu gefähr­den oder zu stören. Ins­be­son­de­re ist ein äußeres Ver­hal­ten un­zulässig, wel­ches bei Schüle­rin­nen und Schülern oder den El­tern den Ein­druck her­vor­ru­fen kann, dass ei­ne Leh­re­rin oder ein Leh­rer ge­gen die Men­schenwürde, die Gleich­be­rech­ti­gung nach Ar­ti­kel 3 des Grund­ge­set­zes, die Frei­heits­grund­rech­te oder die frei­heit­lich-de­mo­kra­ti­sche Grund­ord­nung auf­tritt. Die Wahr­neh­mung des Er­zie­hungs­auf­trags nach Ar­ti­kel 7 und 12 Abs. 6 der Ver­fas­sung des Lan­des Nord­rhein-West­fa­len und die ent­spre­chen­de Dar­stel­lung christ­li­cher und abendländi­scher Bil­dungs- und Kul­tur­wer­te oder Tra­di­tio­nen wi­der­spricht nicht dem Ver­hal­tens­ge­bot nach Satz 1. Das Neu­tra­litäts­ge­bot des Sat­zes 1 gilt nicht im Re­li­gi­ons­un­ter­richt und in den Be­kennt­nis- und Welt­an­schau­ungs­schu­len.“

Im Au­gust 2006 wur­de die Kläge­rin von ih­rem Schul­lei­ter da­von in Kennt­nis ge­setzt, dass das Tra­gen ei­nes Kopf­tuchs nach is­la­mi­schem Re­li­gi­ons­brauch mit der Neu­fas­sung des SchulG NRW nicht mehr ver­ein­bar sei. Die Kläge­rin führ­te dar­auf­hin in ei­ner schrift­li­chen Stel­lung­nah­me aus, sie tra­ge das Kopf­tuch seit ih­rem 12. Le­bens­jahr, und zwar aus ei­ge­nem Wunsch und aus re­li­giöser Über­zeu­gung

Nach ei­ner er­neu­ten Anhörung der Kläge­rin sprach das be­klag­te Land mit Schrei­ben vom 21. No­vem­ber 2006 ei­ne Ab­mah­nung aus. Dar­in hielt es der Kläge­rin das Tra­gen des Kopf­tuchs als Pflich­ten­ver­s­toß vor und kündig­te ar­beits­recht­li­che Maßnah­men bis hin zur Kündi­gung an, falls sie nicht spätes­tens ab dem 27. No­vem­ber 2006 dau­er­haft oh­ne Kopf­tuch in der Schu­le er­schei­nen soll­te. Die Kläge­rin kam der Auf­for­de­rung nicht nach. Nach Zu­stim­mung des Per­so­nal­rats erklärte das be­klag­te Land dar­auf­hin mit Schrei­ben vom 22. Fe­bru­ar 2007 die Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses zum 30. Ju­ni 2007.

Die Kläge­rin hält die Kündi­gung für un­wirk­sam und er­strebt die Her­aus­nah­me der Ab­mah­nung aus der Per­so­nal­ak­te. Das Tra­gen ei­nes Kopf­tuchs stel­le we­der ei­ne po­li­ti­sche noch ei­ne welt­an­schau­li­che oder ei­ne re­li­giöse Be­kun­dung iSv. § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW dar. Darüber hin­aus sei al­lein die Ver­wen­dung ei­nes Kopf­tuchs oh­ne das Hin­zu­tre­ten wei­te­rer Gründe nicht ge­eig­net, die Neu­tra­lität des Lan­des oder den re­li­giösen, po­li­ti­schen oder welt­an­schau­li­chen Schul­frie­den iSv. § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW zu gefähr­den oder zu stören. Im Übri­gen sei die Re­ge­lung in § 57 Abs. 4 SchulG NRW ver­fas­sungs- und eu­ro­pa­rechts­wid­rig und ver­s­toße ge­gen Art. 9 EM­RK. Es lie­ge ei­ne un­ge­recht­fer­tig­te Un­gleich­be­hand­lung der Glau­bens­rich­tun­gen vor, weil die Dar­stel­lung von christ­li­chen und abendländi­schen Bil­dungs- und Kul­tur­wer­ten oder Tra­di­tio­nen gem. § 57 Abs. 4 Satz 4 SchulG NRW aus­drück­lich zu­ge­las­sen wer­de. Darüber hin­aus sei ein Voll­zugs­de­fi­zit ge­ge­ben, da an der W Schu­le für Blin­de und Seh­be­hin­der­te in P ei­ne Schwes­ter in Or­dens­tracht un­ter­rich­te. Die Be­stim­mung führe zu­dem zu ei­ner mit­tel­ba­ren Frau­en­dis­kri­mi­nie­rung. Im Übri­gen ge­nieße sie - die Kläge­rin - Ver­trau­ens­schutz, da sie be­reits vor In­kraft­tre­ten des neu­en Schul­ge­set­zes bei dem be­klag­ten Land ein­ge­stellt wor­den sei und seit­dem durch­ge­hend ein Kopf­tuch ge­tra­gen ha­be.

Die Kläge­rin hat be­an­tragt,

1. fest­zu­stel­len, dass das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis nicht durch die Kündi­gung des be­klag­ten Lan­des vom 22. Fe­bru­ar 2007 auf­gelöst wor­den ist;

2. für den Fall des Ob­sie­gens mit dem An­trag zu 1. das be­klag­te Land zu ver­ur­tei­len, sie zu den bis­he­ri­gen Ar­beits­be­din­gun­gen wei­ter­zu­beschäfti­gen;

3. die im Schrei­ben des be­klag­ten Lan­des vom 21. No­vem­ber 2006 ent­hal­te­ne Ab­mah­nung auf­zu­he­ben und die­ses zu ver­ur­tei­len, die Ab­mah­nung aus ih­rer Per­so­nal­ak­te zu ent­fer­nen.

Das be­klag­te Land hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen. Es hat aus­geführt, das Tra­gen ei­nes Kopf­tuchs sei hier ei­ne re­li­giöse Be­kun­dung im Sin­ne des Ge­set­zes. Ei­ne kon­kre­te Gefähr­dung des staat­li­chen Neu­tra­litäts­ge­bots oder des Schul­frie­dens sei nicht er­for­der­lich, da das Ge­setz al­lein auf das abs­trak­te Gefähr­dungs­po­ten­ti­al ab­stel­le. Das Neu­tra­litäts­ge­bot bzw. Be­kun­dungs­ver­bot iSv. § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW sei mit höher­ran­gi­gem Recht ver­ein­bar. Ei­ne nicht ge­recht­fer­tig­te Un­gleich­be­hand­lung der Glau­bens­rich­tun­gen und ei­ne mit­tel­ba­re Frau­en­dis­kri­mi­nie­rung lägen nicht vor. Die Kläge­rin könne sich auch nicht auf ein et­wai­ges Voll­zugs­de­fi­zit be­ru­fen. Die an der W Schu­le für Blin­de und Seh­be­hin­der­te in P beschäftig­te Schwes­ter in Or­dens­tracht wer­de nicht im Rah­men ei­nes An­ge­stell­ten- oder ei­nes Be­am­ten­verhält­nis­ses, son­dern auf­grund his­to­ri­scher Be­son­der­hei­ten im Rah­men ei­nes Ge­stel­lungs­ver­trags beschäftigt.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­ru­fung der Kläge­rin zurück­ge­wie­sen. Mit der Re­vi­si­on ver­folgt die Kläge­rin ih­re Be­geh­ren wei­ter.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on ist un­be­gründet. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt ist rechts­feh­ler­frei zu dem Er­geb­nis ge­kom­men, dass die Kündi­gung aus Gründen im Ver­hal­ten der Kläge­rin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG so­zi­al ge­recht­fer­tigt ist. Die Kläge­rin hat ih­re Pflicht zur Be­ach­tung des ge­setz­li­chen Ver­bots der re­li­giösen Be­kun­dung ver­letzt. Das Be­kun­dungs­ver­bot verstößt nicht ge­gen höher­ran­gi­ges Recht (I). Der auf die Ent­fer­nung der Ab­mah­nung ge­rich­te­te An­trag ist eben­falls un­be­gründet (III).

I. Die Kündi­gung ist aus ver­hal­tens­be­ding­ten Gründen iSv. § 1 Abs. 2 KSchG so­zi­al ge­recht­fer­tigt.

1. Ei­ne Kündi­gung ist durch Gründe im Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers be­dingt, wenn der Ar­beit­neh­mer mit dem ihm vor­ge­wor­fe­nen Ver­hal­ten ei­ne Ver­trags­pflicht - in der Re­gel schuld­haft - er­heb­lich ver­letzt hat, das Ar­beits­verhält­nis da­durch kon­kret be­ein­träch­tigt wird, ei­ne zu­mut­ba­re Möglich­keit ei­ner an­de­ren Beschäfti­gung nicht be­steht und die Lösung des Ar­beits­verhält­nis­ses in Abwägung der In­ter­es­sen bei­der Ver­trags­tei­le bil­li­gens­wert und an­ge­mes­sen er­scheint (Se­nat 31. Mai 2007 - 2 AZR 200/06 - Rn. 14, AP KSchG 1969 § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 57 = EzA KSchG § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 71). Die­se Vor­aus­set­zun­gen sind un­ter Berück­sich­ti­gung der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt ge­trof­fe­nen Fest­stel­lun­gen ge­ge­ben. Die Ein­wen­dun­gen der Re­vi­si­on grei­fen nicht durch.

2. Das be­klag­te Land hat das Ver­hal­ten der Kläge­rin zu Recht als Pflicht­ver­let­zung ge­wer­tet. Die Kläge­rin hat ge­gen das Neu­tra­litäts­ge­bot des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW ver­s­toßen.

a) Nach die­ser Be­stim­mung dürfen Leh­re­rin­nen und Leh­rer in der Schu­le kei­ne re­li­giösen Be­kun­dun­gen ab­ge­ben, die ge­eig­net sind, die Neu­tra­lität des Lan­des ge­genüber Schülern und El­tern oder den re­li­giösen Schul­frie­den zu gefähr­den oder zu stören.

b) Die Kläge­rin hat die­ses Neu­tra­litäts­ge­bot ver­letzt. Sie ist als Leh­re­rin iSd. § 57 Abs. 4 SchulG NRW beschäftigt. Die be­wuss­te Wahl ei­ner re­li­giös be­stimm­ten Klei­dung fällt un­ter das Ver­bot des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW. Ei­ne re­li­giöse Be­kun­dung iSv. § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW ist die be­wuss­te, an die Außen­welt ge­rich­te­te Kund­ga­be ei­ner re­li­giösen Über­zeu­gung (BVerwG 16. De­zem­ber 2008 - 2 B 46.08 - zu 1 a der Gründe, ZTR 2009, 167; 24. Ju­ni 2004 - 2 C 45.03 - zu 2 a der Gründe, BVerw­GE 121, 140). Im Streit­fall be­steht - auch nach den ei­ge­nen Erklärun­gen der Kläge­rin - kein Zwei­fel, dass sie das Kopf­tuch trägt, weil sie dem von ihr als maßgeb­lich an­ge­se­he­nen Re­li­gi­ons­brauch fol­gen will. In eben die­sem Sinn fasst auch der un­be­fan­ge­ne Be­ob­ach­ter das Tra­gen des Kopf­tuchs auf.

c) Das Ver­hal­ten der Kläge­rin ist ge­eig­net, die Neu­tra­lität des Lan­des ge­genüber Schülern und El­tern und den re­li­giösen Schul­frie­den zu gefähr­den.

aa) Das Ver­bot in § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW knüpft an ei­nen abs­trak­ten Gefähr­dungs­tat­be­stand an. Es er­fasst nicht erst Be­kun­dun­gen, die die Neu­tra­lität des Lan­des oder den re­li­giösen Schul­frie­den kon­kret gefähr­den oder gar stören. Das Ver­bot soll schon ei­ner abs­trak­ten Ge­fahr vor­beu­gen, um kon­kre­te Gefähr­dun­gen gar nicht erst auf­kom­men zu las­sen. Im Ge­set­zes­wort­laut kommt dies dar­in zum Aus­druck, dass re­li­giöse Be­kun­dun­gen be­reits dann ver­bo­ten sind, wenn sie „ge­eig­net“ sind, die ge­nann­ten Schutzgüter zu gefähr­den (Se­nat 20. Au­gust 2009 - 2 AZR 499/08 - Rn. 18, NZA 2010, 227; für die in­so­weit in­halts­glei­che Vor­schrift des § 59b Abs. 4 Bre­mSchulG BVerfG 22. Fe­bru­ar 2006 - 2 BvR 1657/05 - zu III 2 b der Gründe mwN, BVerfGK 7, 320; zur gleich­lau­ten­den Vor­schrift des § 38 Abs. 2 SchulG BW BVerwG 24. Ju­ni 2004 - 2 C 45.03 - zu 2 b der Gründe, BVerw­GE 121, 140). Der Lan­des­ge­setz­ge­ber woll­te er­sicht­lich dar­auf Be­dacht neh­men, dass die Schu­le ein Ort ist, an dem un­ter­schied­li­che po­li­ti­sche und re­li­giöse Auf­fas­sun­gen un­aus­weich­lich auf­ein­an­der­tref­fen, de­ren fried­li­ches Ne­ben­ein­an­der der Staat zu ga­ran­tie­ren hat. Die re­li­giöse Viel­falt in der Ge­sell­schaft hat zu ei­nem ver­mehr­ten Po­ten­zi­al von Kon­flik­ten auch in der Schu­le geführt. In die­ser La­ge ist der re­li­giöse Schul­frie­den schon durch die be­rech­tig­te Sor­ge der El­tern vor ei­ner un­ge­woll­ten re­li­giösen Be­ein­flus­sung ih­rer Kin­der gefähr­det. Da­zu kann das re­li­giös be­deu­tungs­vol­le Er­schei­nungs­bild des pädago­gi­schen Per­so­nals An­lass ge­ben (Se­nat 20. Au­gust 2009 - 2 AZR 499/08 - aaO; BVerwG 24. Ju­ni 2004 - 2 C 45.03 - aaO).

bb) Dass die Kläge­rin aus­sch­ließlich mus­li­mi­sche Schüler un­ter­rich­te­te und die­se frei­wil­lig teil­nah­men, führt zu kei­ner an­de­ren Be­wer­tung. Viel­mehr ge­winnt die re­li­giöse Neu­tra­lität ge­ra­de dort Be­deu­tung, wo ih­re Ver­let­zung als re­li­giöse Par­tei­nah­me ge­wer­tet wer­den kann. Das ist bei ei­nem von den Anhängern ei­nes Glau­bens nicht ein­hel­lig be­folg­ten re­li­giös be­stimm­ten Brauch wie dem Tra­gen ei­nes Kopf­tuchs in be­son­de­rem Maße der Fall, weil der Ein­druck ent­ste­hen kann, durch die Dul­dung des Brauchs wer­de er ge­wis­ser­maßen of­fi­zi­ell als ver­bind­lich und so­gar vor­bild­lich an­er­kannt. Eben die­se Par­tei­nah­me soll durch das Ge­setz ver­mie­den wer­den.

d) Die Re­ge­lung des § 57 Abs. 4 SchulG NRW verstößt nicht ge­gen höher­ran­gi­ges Recht.

aa) Das Be­kun­dungs­ver­bot des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW ist nicht ver­fas­sungs­wid­rig. Der Lan­des­ge­setz­ge­ber durf­te die Pflich­ten der bei ihm beschäftig­ten Lehr­kräfte kon­kre­ti­sie­ren und ih­nen ua. das Tra­gen von sol­cher Klei­dung oder Zei­chen in der Schu­le un­ter­sa­gen, die ih­re Zu­gehörig­keit zu ei­ner be­stimm­ten Re­li­gi­ons­ge­mein­schaft er­ken­nen las­sen (Se­nat 20. Au­gust 2009 - 2 AZR 499/08 - Rn. 21, NZA 2010, 227).

(1) Der Lan­des­ge­setz­ge­ber war zuständig und be­rech­tigt, ein Ge­setz zu er­las­sen, das ei­nen Aus­gleich der wi­der­strei­ten­den In­ter­es­sen und Grund­rech­te von Lehr­kräften, pädago­gi­schem Per­so­nal, Schülern und El­tern so­wie des Staa­tes als des Trägers des all­ge­mei­nen Er­zie­hungs­auf­trags re­gelt (BVerfG 24. Sep­tem­ber 2003 - 2 BvR 1436/02 - zu B II 6 der Gründe, BVerfGE 108, 282; BVerwG 24. Ju­ni 2004 - 2 C 45.03 - zu 4 b der Gründe, BVerw­GE 121, 140).

(2) Die Lösung des ver­fas­sungs­recht­li­chen Span­nungs­verhält­nis­ses durch § 57 Abs. 4 SchulG NRW ver­letzt nicht die Grundsätze der prak­ti­schen Kon­kor­danz der be­trof­fe­nen Grund­rechts­po­si­tio­nen. Die Re­ge­lung liegt im Rah­men der Ge­stal­tungs­frei­heit des Lan­des­ge­setz­ge­bers. Die­ser durf­te die po­si­ti­ve Glau­bens­frei­heit und die Be­rufs­ausübungs­frei­heit ei­nes pädago­gi­schen Mit­ar­bei­ters hin­ter die staat­li­che Pflicht zur welt­an­schau­li­chen Neu­tra­lität, das Er­zie­hungs­recht der El­tern und die ne­ga­ti­ve Glau­bens­frei­heit der Schüler zurück­tre­ten las­sen, um die Neu­tra­lität der Schu­le und den Schul­frie­den zu si­chern. Die Ver­mei­dung re­li­giös-welt­an­schau­li­cher Kon­flik­te in öffent­li­chen Schu­len stellt ein ge­wich­ti­ges Ge­mein­gut dar (BVerfG 24. Sep­tem­ber 2003 - 2 BvR 1436/02 - zu B II 6 der Gründe, BVerfGE 108, 282; BVerwG 26. Ju­ni 2008 - 2 C 22.07 - BVerw­GE 131, 242). Zu die­sem Zweck sind ge­setz­li­che Ein­schränkun­gen der Glau­bens­frei­heit recht­lich zulässig (BVerwG 16. De­zem­ber 2008 - 2 B 46.08 - zu 1 a der Gründe, ZTR 2009, 167; 24. Ju­ni 2004 - 2 C 45.03 - zu 4 c der Gründe, BVerw­GE 121, 140). Da­bei ist es ver­fas­sungs­recht­lich nicht zu be­an­stan­den, wenn die lan­des­ge­setz­li­che Re­ge­lung re­li­giöse Be­kun­dun­gen von Leh­rern in öffent­li­chen Schu­len oh­ne Rück­sicht auf die Umstände des Ein­zel­falls un­ter­sagt. Der Ge­setz­ge­ber darf Gefähr­dun­gen des Schul­frie­dens auch da­durch vor­beu­gen, dass er Leh­rern be­reits das Tra­gen re­li­giös be­deut­sa­mer Klei­dungsstücke oder Sym­bo­le ver­bie­tet und muss kon­flikt­ver­mei­den­de Re­ge­lun­gen nicht an die kon­kre­te Ge­fahr ei­ner dro­hen­den Aus­ein­an­der­set­zung knüpfen (Se­nat 20. Au­gust 2009 - 2 AZR 499/08 - Rn. 22, NZA 2010, 227; BVerwG 16. De­zem­ber 2008 - 2 B 46.08 - aaO; 26. Ju­ni 2008 - 2 C 22.07 - aaO).

(3) Das Neu­tra­litäts­ge­bot des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW verstößt nicht ge­gen den Gleich­heits­satz des Art. 3 Abs. 1 GG. Es be­han­delt die ver­schie­de­nen Re­li­gio­nen nicht un­ter­schied­lich. Die ge­setz­li­che Re­ge­lung er­fasst je­de Art re­li­giöser Be­kun­dung un­abhängig von de­ren In­halt (Se­nat 20. Au­gust 2009 - 2 AZR 499/08 - Rn. 23, NZA 2010, 227; zu § 38 Abs. 2 SchulG BW BVerwG 24. Ju­ni 2004 - 2 C 45.03 - zu 4 c cc der Gründe, BVerw­GE 121, 140). Christ­li­che Glau­bens­be­kun­dun­gen wer­den nicht be­vor­zugt. Dies gilt auch mit Blick auf § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NRW. Nach die­ser Be­stim­mung wi­der­spricht die Wahr­neh­mung des Er­zie­hungs­auf­trags nach Art. 7 und Art. 12 Abs. 6 Lan­des­ver­fas­sung Nord­rhein-West­fa­len und die ent­spre­chen­de Dar­stel­lung christ­li­cher und abendländi­scher Bil­dungs- und Kul­tur­wer­te oder Tra­di­tio­nen nicht dem Ver­hal­tens­ge­bot nach § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW. Ge­gen­stand der Re­ge­lung in Satz 3 der Vor­schrift ist die Dar­stel­lung, nicht die Be­kun­dung christ­li­cher Wer­te. Be­stimm­te Wer­te dar­zu­stel­len heißt, sie zu erörtern und zum Ge­gen­stand ei­ner Dis­kus­si­on zu ma­chen. Das schließt die Möglich­keit der Rück­fra­ge und Kri­tik ein. Die Dar­stel­lung christ­li­cher und abendländi­scher Bil­dungs- und Kul­tur­wer­te ist nicht gleich­zu­set­zen mit der Be­kun­dung ei­nes in­di­vi­du­el­len Be­kennt­nis­ses. Bei ihr geht es nicht um die Kund­ga­be in­ne­rer Ver­bind­lich­kei­ten, die der Dar­stel­len­de für sich an­er­kannt hätte (zu § 38 Abs. 2 Satz 3 SchulG BW VGH Ba­den-Würt­tem­berg 14. März 2008 - 4 S 516/07 -). Außer­dem be­zeich­net der Be­griff des „Christ­li­chen“ - un­ge­ach­tet sei­ner Her­kunft aus dem re­li­giösen Be­reich - ei­ne von Glau­bens­in­hal­ten los­gelöste, aus der Tra­di­ti­on der christ­lich-abendländi­schen Kul­tur her­vor­ge­gan­ge­ne Wer­te­welt, die er­kenn­bar auch dem Grund­ge­setz zu­grun­de liegt und un­abhängig von ih­rer re­li­giösen Fun­die­rung Gel­tung be­an­sprucht. Der Auf­trag zur Wei­ter­ga­be christ­li­cher Bil­dungs- und Kul­tur­wer­te ver­pflich­tet und be­rech­tigt die Schu­le des­halb nicht zur Ver­mitt­lung be­stimm­ter Glau­bens­in­hal­te, son­dern be­trifft Wer­te, de­nen je­der Beschäftig­te des öffent­li­chen Diens­tes un­abhängig von sei­ner re­li­giösen Über­zeu­gung vor­be­halt­los zu­stim­men kann (so BVerwG 16. De­zem­ber 2008 - 2 B 46.08 - zu 1 a der Gründe, ZTR 2009, 167; 24. Ju­ni 2004 - 2 C 45.03 - aaO).

Die Re­ge­lung des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW be­han­delt die Kläge­rin auch nicht we­gen ih­res Ge­schlechts un­gleich. Die Vor­schrift ver­bie­tet re­li­giöse Be­kun­dun­gen un­abhängig vom Ge­schlecht. Sie rich­tet sich nicht et­wa spe­zi­ell ge­gen das von Frau­en ge­tra­ge­ne is­la­mi­sche Kopf­tuch oder ent­spre­chen­de Kopf­be­de­ckun­gen (Se­nat 20. Au­gust 2009 - 2 AZR 499/08 - Rn. 24, NZA 2010, 227;

bb) Das Neu­tra­litäts­ge­bot des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW verstößt nicht ge­gen Art. 9 EM­RK. Der Eu­ropäische Ge­richts­hof für Men­schen­rech­te hat ent­schie­den, dass ein Ver­bot, während des Un­ter­richts an öffent­li­chen Schu­len re­li­giöse Sym­bo­le zu tra­gen, ei­ne gem. Art. 9 Abs. 2 EM­RK not­wen­di­ge Ein­schränkung der nach Abs. 1 der Be­stim­mung gewähr­leis­te­ten Re­li­gi­ons­frei­heit ei­nes Leh­rers ist, wel­ches we­gen der mögli­chen Be­ein­träch­ti­gung der Grund­rech­te der Schüler und El­tern aus­ge­spro­chen wird, um die Neu­tra­lität des Un­ter­richts zu gewähr­leis­ten. Da­bei ist den Kon­ven­ti­ons­staa­ten ein Be­ur­tei­lungs­spiel­raum ein­geräumt. Die Re­ge­lun­gen können ent­spre­chend den je­wei­li­gen Tra­di­tio­nen und den Er­for­der­nis­sen zum Schutz der Rech­te an­de­rer und zur Auf­recht­er­hal­tung der öffent­li­chen Ord­nung von Staat zu Staat ver­schie­den sein. Auf die­ser Grund­la­ge hat der Ge­richts­hof das Ver­bot für ei­ne Leh­re­rin in ei­ner Schwei­zer Grund­schu­le, während des Un­ter­richts ein is­la­mi­sches Kopf­tuch zu tra­gen, eben­so als mit der Re­li­gi­ons­frei­heit des Art. 9 Abs. 1 EM­RK ver­ein­bar an­ge­se­hen wie das ge­ne­rel­le, nicht nur für Do­zen­tin­nen, son­dern auch für Stu­den­tin­nen gel­ten­de Ver­bot, ein sol­ches Kopf­tuch an türki­schen Hoch­schu­len zu tra­gen. Dar­in liegt kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung von Frau­en, wenn auch Ver­bots­maßnah­men ge­gen Männer vor­ge­se­hen sind, falls die­se ih­re re­li­giöse Über­zeu­gung un­ter den glei­chen Umständen durch das Tra­gen von Klei­dungsstücken be­kun­den (EGMR 10. No­vem­ber 2005 - 44774/98 - NVwZ 2006, 1389;

cc) § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW ver­letzt als lan­des­recht­li­che Vor­schrift nicht das bun­des­ge­setz­li­che Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bot des § 7 Abs. 1 AGG. Zwar kann das Be­kun­dungs­ver­bot zu ei­ner un­mit­tel­ba­ren Be­nach­tei­li­gung der Lehr­kraft aus Gründen der Re­li­gi­on iSv. § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 Abs. 1 AGG führen. Ei­ne un­ter­schied­li­che Be­hand­lung aus re­li­giösen Gründen zur Erfüllung ei­ner we­sent­li­chen be­ruf­li­chen An­for­de­rung ist gem. § 8 Abs. 1 AGG aber zulässig, wenn der Zweck rechtmäßig und die An­for­de­rung an­ge­mes­sen ist. Dies ist hier ge­ge­ben. Im Streit­fall ist zwar nicht ei­ne be­stimm­te Re­li­gi­ons­zu­gehörig­keit oder ge­ra­de de­ren Feh­len als ein in § 1 AGG ge­nann­ter Grund Vor­aus­set­zung für die Ausübung der frag­li­chen Tätig­keit. Gleich­wohl liegt ein An­wen­dungs­fall von § 8 Abs. 1 AGG vor. Der Kläge­rin ge­reicht ei­ne be­stimm­te Form ih­rer Re­li­gi­ons­ausübung zum Nach­teil. De­ren Un­ter­las­sung wie­der­um ist we­gen der Be­din­gun­gen der Ausübung ih­rer Tätig­keit ei­ne we­sent­li­che und ent­schei­den­de be­ruf­li­che An­for­de­rung. Der da­mit ver­folg­te Zweck ist rechtmäßig und die An­for­de­rung an­ge­mes­sen.

(1) Der von § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW ver­folg­te Zweck, die Neu­tra­lität des Lan­des und den re­li­giösen Schul­frie­den zu ga­ran­tie­ren, ist rechtmäßig.

(2) Die ge­setz­li­che An­for­de­rung, re­li­giöse Be­kun­dun­gen in der Schu­le zu un­ter­las­sen, ist an­ge­mes­sen. Sie un­ter­sagt ei­ne äußere Kund­ga­be der ei­ge­nen re­li­giösen Über­zeu­gung le­dig­lich während des Auf­ent­halts im Be­reich der Schu­le und be­steht aus­sch­ließlich um der - ne­ga­ti­ven - Re­li­gi­ons­frei­heit An­de­rer wil­len. Der Be­griff der An­ge­mes­sen­heit er­for­dert es nicht, das Tra­gen re­li­giös be­deu­tungs­vol­ler Klei­dungsstücke nur mit Blick auf die kon­kre­ten Umstände und Verhält­nis­se der je­wei­li­gen Schu­le zu un­ter­sa­gen (BVerwG 16. De­zem­ber 2008 - 2 B 46.08 - zu 1 c der Gründe, ZTR 2009, 167; aA Wal­ter/von Un­gern-Stern­berg DVBl. 2008, 880). Ei­ne lan­des­ge­setz­li­che Be­stim­mung, die sich als ver­fas­sungs­gemäßer Aus­gleich wi­der­strei­ten­der Grund­rechts­po­si­tio­nen er­weist, ist zu­gleich an­ge­mes­sen im Sin­ne der bun­des­ge­setz­li­chen Re­ge­lung des § 8 Abs. 1 AGG (Se­nat 20. Au­gust 2009 - 2 AZR 499/08 - Rn. 28, NZA 2010, 227).

dd) Die Kläge­rin hat auch un­ter dem von ihr gel­tend ge­mach­ten Ge­sichts­punkt des Voll­zugs­de­fi­zits kei­nen An­spruch dar­auf, während des Un­ter­richts ein Kopf­tuch zu tra­gen. We­der er­gibt sich aus der von ihr bemängel­ten Ver­wal­tungs­pra­xis ein An­halts­punkt dafür, dass im Ge­setz be­reits ei­ne Un­gleich­be­hand­lung an­ge­legt wäre, noch ist die­se Ver­wal­tungs­pra­xis zu be­an­stan­den. Der Um­stand, dass an der W Schu­le für Blin­de und Seh­be­hin­der­te in P ei­ne Schwes­ter in Or­dens­tracht un­ter­rich­tet, reicht nicht aus, um auf ei­ne ein­sei­tig ge­gen is­la­mi­sche Be­kun­dun­gen ge­rich­te­te, christ­li­che Be­kun­dun­gen ver­scho­nen­de Ver­wal­tungs­pra­xis des be­klag­ten Lan­des zu schließen. Viel­mehr han­delt es sich in­so­weit um ei­ne his­to­risch be­ding­te Son­der­si­tua­ti­on. Zum ei­nen wur­de der Or­den (Die Kon­gre­ga­ti­on der Schwes­tern der Christ­li­chen Lie­be) im Zu­sam­men­hang mit der Überg­a­be der ursprüng­lich als Pri­vat­in­sti­tut be­trie­be­nen Ein­rich­tung (Schu­le für Blin­de und Seh­be­hin­der­te) an das be­klag­te Land (bzw. die Pro­vin­zi­al­ver­wal­tung W) ge­gründet. Zum an­de­ren ist die Or­den­schwes­ter le­dig­lich im Rah­men ei­nes Ge­stel­lungs­ver­trags für das be­klag­te Land tätig. Bei­des spricht ge­gen das Vor­lie­gen ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on. Dass bei dem be­klag­ten Land noch wei­te­re Leh­rer beschäftigt wer­den, die im Un­ter­richt re­li­giösen Klei­dungs­bräuchen fol­gen, ist nicht er­sicht­lich.

ee) Oh­ne Er­folg macht die Kläge­rin Ver­trau­ens­schutz für sich gel­tend. Ver­trau­ens­schutz ge­gen Ge­set­ze kann nur in­so­weit be­ste­hen, als die Ge­set­ze sich - sog. ech­te oder un­ech­te - Rück­wir­kung bei­mes­sen. Dar­an fehlt es hier.

(1) Das Rechts­staats­prin­zip und die Grund­rech­te be­gren­zen die Be­fug­nis des Ge­setz­ge­bers, Rechtsände­run­gen vor­zu­neh­men, die an Sach­ver­hal­te in der Ver­gan­gen­heit an­knüpfen. Es be­darf des­halb ei­ner be­son­de­ren Recht­fer­ti­gung, wenn der Ge­setz­ge­ber die Rechts­fol­gen ei­nes der Ver­gan­gen­heit zu­gehöri­gen Ver­hal­tens nachträglich be­las­tend ändert. Ei­ne Rechts­norm ent­fal­tet dann (ech­te) Rück­wir­kung, wenn der Be­ginn ih­rer zeit­li­chen An­wen­dung auf ei­nen Zeit­punkt fest­ge­legt ist, der vor dem Zeit­punkt liegt, zu dem die Norm recht­lich exis­tent, das heißt gültig ge­wor­den ist. Dem­ge­genüber be­trifft die tat­be­stand­li­che Rück­an­knüpfung („un­ech­te“ Rück­wir­kung) nicht den zeit­li­chen, son­dern den sach­li­chen An­wen­dungs­be­reich ei­ner Norm. Die Rechts­fol­gen ei­nes Ge­set­zes tre­ten erst nach Verkündung der Norm ein, ihr Tat­be­stand er­fasst aber Sach­ver­hal­te, die be­reits vor der Verkündung „ins Werk ge­setzt“ wor­den sind (BVerfG 5. Fe­bru­ar 2004 - 2 BvR 2029/01 - zu C IV 1 a der Gründe, BVerfGE 109, 133).

(2) Im Streit­fall liegt we­der ei­ne ech­te noch ei­ne un­ech­te Rück­wir­kung vor. Die zeit­li­che An­wen­dung des Ge­set­zes be­gann nicht vor sei­nem In­kraft­tre­ten am 1. Au­gust 2006. Die­ses knüpft auch nicht an re­li­giöse Be­kun­dun­gen vor dem 1. Au­gust 2006 an. Dass die Kläge­rin Dis­po­si­tio­nen in der Er­war­tung ge­trof­fen hat, die Rechts­la­ge wer­de sich nicht ändern, führt nicht zu ei­ner ihr güns­ti­ge­ren Be­wer­tung. Die bloße An­nah­me, recht­lich wer­de al­les blei­ben wie es ist, ge­nießt kei­nen recht­li­chen Schutz.

e) Die Kläge­rin ist trotz der - nach Maßga­be der vor­ste­hen­den Ausführun­gen be­rech­tig­ten - Ab­mah­nung nicht be­reit ge­we­sen, bei der Ar­beit das Kopf­tuch ab­zu­le­gen. Mit ei­ner Ände­rung ih­res Ver­hal­tens ist nicht zu rech­nen.

f) Die gem. § 1 Abs. 2 KSchG er­for­der­li­che um­fas­sen­de In­ter­es­sen­abwägung führt nicht zur So­zi­al­wid­rig­keit der Kündi­gung. Da­nach ist ei­ne ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung nur dann so­zi­al ge­recht­fer­tigt, wenn sie bei vollständi­ger Würdi­gung und Abwägung der In­ter­es­sen bei­der Ver­trags­par­tei­en bil­li­gens­wert und an­ge­mes­sen er­scheint (vgl. Se­nat 24. Ju­ni 2004 - 2 AZR 63/03 - zu B II 1 und B III 1 der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 49 = EzA KSchG § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 65; APS/Dörner 3. Aufl. § 1 KSchG Rn. 274). Von die­sen Grundsätzen ist das Lan­des­ar­beits­ge­richt aus­ge­gan­gen und hat sie zu­tref­fend an­ge­wandt. Da­bei hat es zu­guns­ten der Kläge­rin die Dau­er der be­an­stan­dungs­frei­en Be­triebs­zu­gehörig­keit und die so­zia­le Si­tua­ti­on (Un­ter­halts­pflich­ten) in An­satz ge­bracht, ist so­dann aber - was re­vi­si­ons­recht­lich nicht zu be­an­stan­den ist - zu dem Schluss ge­kom­men, dass dem be­klag­ten Land ei­ne dau­er­haf­te Miss­ach­tung der ge­setz­lich an­ge­ord­ne­ten Ver­hal­tens­re­ge­lun­gen iSv. § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW gleich­wohl nicht zu­ge­mu­tet wer­den könne.

II. Der An­trag auf Wei­ter­beschäfti­gung ist nicht zur Ent­schei­dung an­ge­fal­len. Sei­ne auflösend be­ding­te Rechtshängig­keit ist mit der rechts­kräfti­gen Ab­wei­sung des Fest­stel­lungs­an­trags ent­fal­len.

III. Die Kläge­rin hat kei­nen An­spruch auf die Ent­fer­nung der Ab­mah­nung aus der Per­so­nal­ak­te. Auch in­so­fern ist die kla­ge­ab­wei­sen­de Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts nicht zu be­an­stan­den. Ent­spre­chend den vor­he­ri­gen Ausführun­gen hat die Kläge­rin durch das Tra­gen des Kopf­tuchs während des Un­ter­richts ge­gen das Neu­tra­litäts­ge­bot bzw. das Be­kun­dungs­ver­bot iSv. § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW ver­s­toßen. An­de­re Ge­sichts­punk­te, un­ter de­nen die Ab­mah­nung un­wirk­sam sein könn­te, sind nicht er­kenn­bar.

IV. Die Kos­ten der Re­vi­si­on fal­len der Kläge­rin nach § 97 Abs. 1 ZPO zur Last.

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