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ARBEITSRECHT AKTUELL // 11/055

Ab­mah­nung: Die Aus­übung ih­rer Re­li­gi­on am Ar­beits­platz ist Er­zie­hern un­ter­sagt

Er­zie­hern und Leh­rern ist es un­ter­sagt, ih­re Re­li­gi­on am Ar­beits­platz aus­zu­üben ("Kopf­tuch"-Fall): Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 12.08.2010, 2 AZR 593/09
Hand mit gelber Karte Gel­be Kar­te für Leh­rer und Er­zie­her bei Re­li­gi­ons­aus­übung am Ar­beits­platz

18.03.2011. Kön­nen Ar­beit­ge­ber ih­ren Ar­beit­neh­mer re­li­giö­se Be­kun­dun­gen wie das Tra­gen ei­nes christ­li­chen Kreu­zes oder ei­nes is­la­mi­schen Kopf­bu­ches un­ter­sa­gen und wenn ja, un­ter wel­chen Um­stän­den?

Die­se Fra­ge sorgt im­mer wie­der vor den Ar­beits­ge­rich­ten für Streit.

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) ent­schied im Jahr 2002, dass der Ar­beit­ge­ber zwar kraft sei­nes Wei­sungs­rechts be­fugt ist, ei­ne be­trieb­li­che Klei­der­ord­nung auf­zu­stel­len, da­bei aber die Glau­bens­frei­heit sei­ner Ar­beit­neh­mer aus­rei­chend be­rück­sich­ti­gen muss (BAG, Ur­teil vom 10.10.2002, 2 AZR 472/01).

Die Glau­bens­frei­heit wird durch Art. 4 Grund­ge­setz (GG) ge­schützt, der die Re­li­gi­ons­wahl- und Re­li­gi­ons­aus­übungs­frei­heit je­des Ein­zel­nen ge­währ­leis­tet. Da­zu ge­hört ei­ner­seits das Recht, sein ge­sam­tes Ver­hal­ten an den Leh­ren ei­nes Glau­bens aus­zu­rich­ten ("po­si­ti­ve Re­li­gi­ons­frei­heit"), an­de­rer­seits aber auch das Recht, sich nicht ge­gen sei­nen Wil­len mit Re­li­gi­on aus­ein­an­der­set­zen zu müs­sen ("ne­ga­ti­ve Re­li­gi­ons­frei­heit").

Ar­beit­ge­ber sind da­her in der Pflicht, die im Ein­zel­fall durch­aus ge­gen­läu­fi­gen In­ter­es­sen sei­ner ver­schie­de­nen Ar­beit­neh­mer und sei­ne ei­ge­nen Grund­rech­te, insb. sei­ne Be­rufs­frei­heit (Art.12 GG), "un­ter ei­nen Hut zu brin­gen".

Da­bei ver­stößt ei­ne un­ver­hält­nis­mä­ßi­ge Wei­sung, am Ar­beits­platz kei­ne re­li­giö­sen Sym­bo­le wie z.B. ein Kopf­tuch zu tra­gen, nicht nur ge­gen die Gren­zen des Wei­sungs­rechts, son­dern stellt auch ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung we­gen der Re­li­gi­on im Sin­ne der §§ 2 Abs.1, 3 Abs. 2 All­ge­mei­nes Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG) dar. Ei­ne sol­che Schlech­ter­stel­lung mos­le­mi­scher Ar­beit­neh­me­rin­nen ist im All­ge­mei­nen als Dis­kri­mi­nie­rung ver­bo­ten (§ 7 AGG), wenn sie nicht aus­nahms­wei­se sach­lich ge­recht­fer­tigt ist.

Die mög­li­chen Recht­fer­ti­gungs­grün­de sind in den §§ 8 ff. AGG ge­re­gelt. Da­zu ge­hört z.B. , dass die Be­nach­tei­li­gung bzw. un­ter­schied­li­che Be­hand­lung we­gen der Re­li­gi­on "we­gen der Art der aus­zu­üben­den Tä­tig­keit oder der Be­din­gun­gen ih­rer Aus­übung ei­ne we­sent­li­che und ent­schei­den­de be­ruf­li­che An­for­de­rung dar­stellt" (§ 8 Abs.1 AGG). Ist die Wei­sung ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung, kann der Ar­beit­neh­mer un­ter den Vor­aus­set­zun­gen des § 15 AGG ei­ne Gel­dent­schä­di­gung ver­lan­gen.

Et­was leich­ter als der pri­va­te Ar­beit­ge­ber hat es da der öf­fent­lich-recht­li­che Ar­beit­ge­ber. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) ur­teil­te 2003 für die Be­reich des öf­fent­li­chen Diens­tes, dass ein staat­li­chen Ver­bot re­li­giö­ser Be­kun­dun­gen in Schu­len bei ent­spre­chen­der ge­setz­li­cher Grund­la­ge mög­lich ist.

Das staat­li­che Neu­tra­li­täts­ge­bot und die Grund­rech­te der El­tern und Kin­der (Re­li­gi­ons­frei­heit, Er­zie­hungs­recht) wie­gen bei zwangs­wei­se zu be­su­chen­den öf­fent­li­chen Ein­rich­tun­gen näm­lich schwe­rer als die Re­li­gi­ons­frei­heit des Per­so­nals der Ein­rich­tung. In den Län­dern wur­den auf die­ser Grund­la­ge ent­spre­chen­de Neu­tra­li­täts­ge­bo­te für den Er­zie­hungs­be­reich ge­setz­lich ge­re­gelt.

Ver­stö­ße ge­gen das Neu­tra­li­täts­ge­bot oder - all­ge­mei­ner ge­sagt - ei­ne ent­spre­chen­de recht­mä­ßi­ge Wei­sung des Ar­beit­ge­bers sind ein ar­beits­ver­trags­wid­ri­ges Ver­hal­ten, auf das der Ar­beit­ge­ber mit ei­ner Ab­mah­nung oder ei­ner ver­hal­tens­be­ding­ten Kün­di­gung re­agie­ren kann. Für den Schul­be­reich ist das mitt­ler­wei­le ge­klärt (wir be­rich­te­ten zu­letzt in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 09/151 Ab­mah­nung we­gen is­la­mi­scher Bast­müt­ze in der Schu­le rech­tens).

Vor kur­zem hat das BAG ent­schie­den, dass die­se Grund­sät­ze auch für die Er­zie­he­rin­nen öf­fent­li­cher Kin­der­ta­ges­stät­ten gel­ten (BAG, Ur­teil vom 12.08.2010, 2 AZR 593/09). In die­sem Streit­fall hat­te ein Ar­beit­ge­ber ei­ner Mit­ar­bei­te­rin ei­ne Ab­mah­nung er­teilt, nach­dem die­se trotz wie­der­hol­ter Hin­wei­se wäh­rend der Ar­beits­zeit ein is­la­mi­sches Kopf­tuch ge­tra­gen hat­te. Die Be­trof­fe­ne klag­te über drei In­stan­zen er­folg­los auf die Ent­fer­nung der Ab­mah­nung aus Ih­rer Per­so­nal­ak­te (Vor­in­stan­zen: Lan­des­ar­beits­ge­richt Ba­den-Würt­tem­berg, Ur­teil vom 19.06.2009, 7 Sa 84/08; Ar­beits­ge­richt Stutt­gart, Ur­teil vom 15.10.2008,14 Ca 7300/07).

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hielt das ba­den-würt­tem­ber­gi­sche Neu­tra­li­täts­ge­bot für ver­fas­sungs- und eu­ro­pa­recht­lich un­be­denk­lich so­wie für AGG-kon­form und da­mit die hier­auf ge­stütz­te Ab­mah­nung für wirk­sam. Das Neu­tra­li­täts­ge­bot un­ter­sagt näm­lich all­ge­mein je­de re­li­giö­se Be­kun­dung (auch christ­li­che) und dient da­mit der Ver­mei­dung re­li­giö­ser Kon­flik­te.

Da es kei­ne der Schul­pflicht ent­spre­chen­de Kin­der­gar­ten­pflicht gibt, ist die Zwangs­la­ge der El­tern und Kin­der zwar nicht ganz so schwer­wie­gend wie im Schul­be­reich. Al­ler­dings ha­ben Sie das Recht auf ei­nen Kin­der­gar­ten­platz (§ 24 Abs. 1 Satz 1 So­zi­al­ge­setz­buch Ach­tes Buch - SGB VIII). Da­mit wä­re es schwer ver­ein­bar, wenn die Be­trof­fe­nen sich auf an­de­re, mög­li­cher­wei­se gar nicht in ak­zep­ta­bler Reich­wei­te vor­han­de­ne Ta­ges­ein­rich­tun­gen ver­wei­sen las­sen müss­ten, so das Ge­richt.

Fa­zit: Öf­fent­lich-recht­li­che Ar­beit­ge­ber ha­ben bei ent­spre­chen­der ge­setz­li­cher Grund­la­ge das Recht, ih­ren Ar­beit­neh­mern re­li­giö­se Be­kun­dun­gen am Ar­beits­platz zu un­ter­sa­gen.

Das ist zwar im Prin­zip auch oh­ne of­fi­zi­el­les Neu­tra­li­täts­ge­bot mög­lich, doch muss der Ar­beit­ge­ber dann sei­ne Wei­sung sorg­fäl­tig un­ter Be­rück­sich­ti­gung der In­ter­es­sen sämt­li­cher Be­tei­lig­ter (Ar­beit­ge­ber, Ar­beit­neh­mer, Ver­trags­part­ner, Kun­den) über­den­ken. Tut er dies nicht aus­rei­chend, kann die Wei­sung nicht nur als Dis­kri­mi­nie­rung we­gen der Re­li­gi­on un­wirk­sam sein, son­dern es dro­hen auch hier­aus re­sul­tie­ren­de Scha­dens­er­satz­an­sprü­che.

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Letzte Überarbeitung: 7. Februar 2019

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