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LAG Schles­wig-Hol­stein, Ur­teil vom 05.10.2010, 2 Sa 136/10

   
Schlagworte: Aufhebungsvertrag
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Aktenzeichen: 2 Sa 136/10
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 05.10.2010
   
Leitsätze:

1. Schließen die Parteien bei einem auf Vermittlung der alten Arbeitgeberin zu Stande gekommenen Arbeitsvertrag mit einem neuen Arbeitgeber ausdrücklich keinen schriftlichen Aufhebungsvertrag, besteht der alte Arbeitsvertrag in der Regel ruhend fort.

2. Ein Arbeitnehmer handelt - ohne Hinzutreten weiterer Umstände - regelmäßig nicht treuwidrig, wenn er sich auch nach einem längeren Zeitraum auf das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses beruft."

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Flensburg, Urteil vom 15.01.2010, 1 Ca 1212/08
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt Schles­wig-Hol­stein

Ak­ten­zei­chen: 2 Sa 136/10 1 Ca 1212/08 ArbG Flens­burg (Bit­te bei al­len Schrei­ben an­ge­ben!)

 

Verkündet am 05.10.2010

als Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

 

Ur­teil

Im Na­men des Vol­kes

In dem Rechts­streit

pp. 

hat die 2. Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Schles­wig-Hol­stein auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 05.10.2010 durch die Präsi­den­tin des Lan­des­ar­beits­ge­richts ... als Vor­sit­zen­de und den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter ... als Bei­sit­zer und die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin ... als Bei­sit­ze­rin

 

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für Recht er­kannt:

Die Be­ru­fung der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Flens­burg vom 15.01.2010 – 1 Ca 1212/08 – wird auf ih­re Kos­ten zurück­ge­wie­sen.

Die Re­vi­si­on wird nicht zu­ge­las­sen.

Rechts­mit­tel­be­leh­rung

Ge­gen die­ses Ur­teil ist ein Rechts­mit­tel nicht ge­ge­ben; im übri­gen wird auf § 72 a ArbGG ver­wie­sen.

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten darüber, ob zwi­schen ih­nen noch ein Ar­beits­verhält­nis be­steht.

Der Kläger war seit 1975 bei der Be­klag­ten bzw. de­ren Rechts­vorgänge­rin als Fern­mel­de­hand­wer­ker tätig. Er ver­rich­te­te sei­ne Ar­beit in Flens­burg. Auf das Ar­beits­verhält­nis fin­den die für die Be­klag­te gel­ten­den Ta­rif­verträge An­wen­dung. Hier­zu gehört auch der Ta­rif­ver­trag Ra­tio­na­li­sie­rungs­schutz und Beschäfti­gungs­si­che­rung (TV Ra­tio) mit sei­nen An­la­gen.

Der Kläger ist seit 01.01.2005 bei der N. S. N. S. D. GmbH & Co. KG, ehe­mals VTS GmbH & Co. KG (VTS) tätig.

Im Jahr 2005 schloss der Kläger mit der VTS ei­nen Ar­beits­ver­trag und hat auf die­sem hand­schrift­lich auf der letz­ten Sei­te fol­gen­des hin­zu­gefügt:

 

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„Ich schließe die­sen Ar­beits­ver­trag un­ter dem Vor­be­halt, dass
• es sich um ein zu­mut­ba­res An­ge­bot nach TV-Ra­tio der DTAG han­delt,
• mei­ne ta­rif­ver­trag­li­chen Ansprüche aus dem bis­he­ri­gen Ar­beits­verhält­nis mit der DTAG kor­rekt gewährt wer­den.
• Die Re­ge­lun­gen aus dem Ta­rif­ver­trag Beschäfti­gungsbünd­nis bei der DTAG ein­ge­hal­ten wer­den;
• der Ar­beits­ver­trag rechtsmäßig ist.“

Mit Wir­kung zum 01.01.2008 ist das Ar­beits­verhält­nis durch Be­triebsüber­gang auf die N. S. N. S. D. GmbH & Co. KG über­ge­gan­gen.
Zwi­schen die­ser und dem dor­ti­gen Be­triebs­rat ist we­gen ei­ner re­gio­na­len Un­ter­aus­las­tung ei­ne Be­triebs­ver­ein­ba­rung ab­ge­schlos­sen wor­den.
Die Be­klag­te hat­te dem Kläger zum 01.01.2005 ein Ver­trags­an­ge­bot für ei­nen drei­sei­ti­gen Ver­trag zwi­schen ihm, der VTS und der DT AG, V. an­ge­bo­ten. Dort war im § 10 fol­gen­de Re­ge­lung vor­ge­se­hen:

„Der bis­he­ri­ge Ar­beit­ge­ber und der Ar­beit­neh­mer sind sich darüber ei­nig, dass das Ar­beits­verhält­nis zur DT AG mit Ab­lauf des ... ein­ver­nehm­lich be­en­det wird. Die Auflösung des bis­he­ri­gen Ar­beits­verhält­nis­ses er­folgt in An­wen­dung der Reg­lun­gen der An­la­ge 8 des TV Ra­tio in der zum Zeit­punkt des Ab­schlus­ses die­ses Ver­tra­ges gülti­gen Fas­sung.“

Der Kläger war mit dem Ab­schluss die­ses Ver­tra­ges nicht ein­ver­stan­den und hat die­sen nicht un­ter­zeich­net. Es wur­de dann in der Fol­ge das Ar­beits­verhält­nis mit der VTS be­gründet.

Mit Schrei­ben vom 06.05.2005 hat die Be­klag­te dem Kläger fol­gen­des mit­ge­teilt:

„Sehr ge­ehr­ter Herr P.,
gemäß den ta­rif­ver­trag­li­chen Be­stim­mun­gen der An­la­ge 8 des TV Ra­tio sind Sie in­so­weit Ih­rer Ver­pflich­tung nach­ge­kom­men, ein Ar­beits­verhält­nis bei der VTS GmbH & Co. KG GmbH & Co. KG (VTS) auf­zu­neh­men. Wir be­dan­ken uns an die­ser Stel­le für Ih­re bis­he­ri­ge Tätig­keit für die DT AG, die mit An­nah­me des Ver­trags­an­ge­bo­tes im Geschäfts­mo­dell zum 01.01.2005 ihr En­de ge­fun­den hat. Für die Zu­kunft wünschen wir Ih­nen al­les Gu­te und viel Er­folg bei Ih­rer neu­en Tätig­keit.“

 

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Mit sei­ner am 18.09.2008 er­ho­be­nen Kla­ge er­strebt der Kläger Fest­stel­lung, dass das Ar­beits­verhält­nis mit der Be­klag­ten fort­be­steht. Er hat vor­ge­tra­gen, für die Kla­ge be­ste­he ein Rechts­schutz­bedürf­nis. Die­ses fol­ge be­reits aus der Tat­sa­che, dass die Be­klag­te das Be­ste­hen ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses be­strei­tet. Das Ar­beits­verhält­nis bei der N. S. N. S. D. GmbH & Co. KG sei we­gen der ge­schil­der­ten Un­ter­aus­las­tung gefähr­det. Sein An­spruch sei nicht ver­wirkt, da das ne­ben dem Zeit­mo­ment er­for­der­li­che Um­stands­mo­ment nicht erfüllt sei. Er ha­be we­der durch Wort noch Tat ver­laut­ba­ren oder er­ken­nen las­sen, dass er an dem Fort­be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht mehr fest­hal­ten wol­le. Die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en könn­ten we­der be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis­se auf­he­ben noch sus­pen­die­ren, ab­ge­se­hen da­von, dass ei­ne ent­spre­chen­de ta­rif­li­che Re­ge­lun­gen nicht be­ste­he.

Der Kläger hat be­an­tragt,

fest­zu­stel­len, dass zwi­schen den Par­tei­en ein Ar­beits­verhält­nis be­steht.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Sie hat vor­ge­tra­gen, die Kla­ge sei un­zulässig. Ein Fest­stel­lungs­in­ter­es­se be­ste­he nicht. Der Kläger ver­lan­ge le­dig­lich ei­ne rechts­gut­acht­li­che Klärung des Streit­verhält­nis­ses. Ei­ne ir­gend­wie ge­ar­te­te Beschäfti­gung bei der Be­klag­ten sei der­zeit nicht Ge­gen­stand. Zu­dem sei­en bei ihr kei­ne Ar­beitsplätze für Mon­teu­re vor­han­den. Al­le ent­spre­chen­den Auf­ga­ben sei­en be­reits im Jahr 2007 durch ver­schie­de­ne Be­triebsübergänge in drei ei­genständi­ge neu ge­gründe­te Ser­vice­ge­sell­schaf­ten überführt wor­den.

Das Ar­beits­verhält­nis mit ihr, der Be­klag­ten, sei nach Sinn und Zweck des TV Ra­tio be­en­det. Zur so­zi­al­verträgli­chen Ge­stal­tung der Ra­tio­na­li­sie­rungs­maßnah­men hätten sich die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en im TV Ra­tio da­hin­ge­hend ge­ei­nigt, dass nicht be­triebs­be­dingt gekündigt wird, son­dern die Beschäfti­gungs­verhält­nis­se im neu­en Be­trieb V. der Be­klag­ten fort­ge­setzt wer­den. Der Geschäfts­auf­trag des Be­trie­bes V. ha­be dar­in be­stan­den, Ar­beit­neh­mern schnellstmöglich ei­nen Dau­er­ar­beits­platz zu ver­mit­teln. Die Be­din­gun­gen des Ta­rif­ver­tra­ges TV Ra­tio sei­en da­her stark vom Ziel ei­ner er­folg­rei­chen Ver­mitt­lung ge­prägt. So sei die Ver­mitt­lung von Dau­er­ar­beitsplätzen in so­ge-

 

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nann­te Geschäfts­mo­del­le vor­ge­se­hen. Dies sei u. a. die VTS mit ent­spre­chen­den kon­zern­in­ter­nen Ar­beitsplätzen ge­we­sen. Da der Kläger in An­wen­dung der An­la­ge 8 des TV Ra­tio auf ei­nen Dau­er­ar­beits­platz in die VTS GmbH & Co. KG ver­mit­telt wor­den sei, set­ze dies den­knot­we­nig und rechts­kon­sti­tu­tiv ei­nen Ver­trags­wech­sel in dem Sin­ne vor­aus, dass das Ar­beits­verhält­nis mit der Be­klag­ten en­de­te und ein neu­es Ar­beits­verhält­nis mit dem neu­en Ar­beit­ge­ber be­gründet wur­de. Ein Fort­be­stand des Dau­er­ar­beits­plat­zes beim neu­en Ar­beit­ge­ber führe zu ei­ner Dop­pe­lung der Ar­beits­verhält­nis­se.
Das Schrift­for­mer­for­der­nis des § 623 BGB ste­he der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses bei ihr nicht ent­ge­gen, da die­se ta­rif­kon­sti­tu­tiv mit Ab­schluss des ent­spre­chen­den Ar­beits­ver­tra­ges mit der VTS GmbH & Co. KG er­folgt sei.
Hin­zu kom­me, dass ein An­spruch des Klägers ver­wirkt sei. Es lägen so­wohl das Zeit­mo­ment als auch das Um­stands­mo­ment vor. Dies folg­te dar­aus, dass der Kläger den An­spruch erst et­wa vier Jah­re nach Be­en­di­gung sei­ner Beschäfti­gung bei der Be­klag­ten gel­tend ge­macht hat. Das Schrei­ben der Be­klag­ten vom 06.05.2005 ha­be er er­hal­ten und un­wi­der­spro­chen hin­ge­nom­men.

Das Ar­beits­ge­richt hat mit dem an­ge­foch­te­nen Ur­teil vom 15.01.2010 fest­ge­stellt, dass das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en fort­be­steht. Ge­gen die­ses am 10.03.2010 zu­ge­stellt Ur­teil hat die Be­klag­te am 29.09.2010 Be­ru­fung ein­ge­legt und die­se nach Verlänge­rung der Be­gründungs­frist am 09.06.2010 be­gründet.

Die Be­klag­te wie­der­holt und ver­tieft ihr erst­in­stanz­li­ches Vor­brin­gen. Wei­ter trägt sie vor, ein Fest­stel­lungs­in­ter­es­se für die Fest­stel­lungs­kla­ge sei nicht ge­ge­ben. Der Kläger er­stre­be le­dig­lich ei­ne Klärung des Streit­verhält­nis­ses durch Rechts­gut­ach­ten. Das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en sei be­en­det wor­den. Dies sei durch Ab­schluss des Ar­beits­ver­tra­ges mit der VTS ge­sche­hen, auch wenn ein schrift­li­cher Auflösungs­ver­trag nicht zu­stan­de ge­kom­men sei. Aus der Ge­samt­sys­te­ma­tik des TV Ra­tio fol­ge, dass das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen der Be­klag­ten und den von der Ra­tio­na­li­sie­rung be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mern durch den Ab­schluss des sich auf den TV Ra­tio be­zie­hen­den Ar­beits­ver­tra­ges be­en­det wor­den sei. Das sei „ta­rif­kon­sti­tu­tiv“.

Zu­dem ha­be die Be­klag­te mit Schrei­ben vom 06.05.2005 zum Aus­druck ge­bracht, dass das Ar­beits­verhält­nis mit dem 31.12.2004 ge­en­det ha­be. Der Kläger ha­be hier-

 

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auf nicht re­agiert, was er hätte tun müssen, wenn er von ei­nem Fort­be­ste­hen des Ar­beits­verhält­nis­ses aus­ge­gan­gen wäre.

Dass der Kläger sich auf das Fort­be­ste­hen des Ar­beits­verhält­nis­ses be­ru­fe, ver­s­toße ge­gen Treu und Glau­ben. Er ha­be sich nicht ge­gen den Be­triebsüber­gang auf die NSN ge­wandt, son­dern ha­be wi­der­spruchs­los in ei­nem an­de­ren Ar­beits­verhält­nis ge­ar­bei­tet.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

auf die Be­ru­fung der Be­klag­ten das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Flens­burg vom 15.01.2010 – 1 Ca 1212/08 – ab­zuändern und die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Der Kläger be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Er ver­tei­digt das an­ge­foch­te­ne Ur­teil un­ter Wie­der­ho­lung und Ver­tie­fung sei­nes erst­in­stanz­li­chen Vor­brin­gens. Ein Rechts­schutz­in­ter­es­se für die Fest­stel­lungs­kla­ge lie­ge vor. Das Ar­beits­verhält­nis sei nicht be­en­det wor­den. Treu­wid­rig­keit könne ihm nicht ent­ge­gen­ge­hal­ten wer­den.

Ergänzend wird auf den In­halt der Ak­ten, ins­be­son­de­re die wech­sel­sei­ti­gen Schriftsätze mit An­la­gen und Erklärun­gen zu Pro­to­koll, Be­zug ge­nom­men.

Ent­schei­dungs­gründe

Die zulässi­ge Be­ru­fung der Be­klag­ten hat nicht Er­folg. In­so­weit wird zur Ver­mei­dung von Wie­der­ho­lun­gen auf die ausführ­li­che Be­gründung des Ar­beits­ge­richts Be­zug ge­nom­men, der sich die Kam­mer an­sch­ließt.

Le­dig­lich ergänzend ist aus­zuführen:

1. Der Fest­stel­lungs­an­trag ist zulässig.
1.1. Das er­for­der­li­che Fest­stel­lungs­in­ter­es­se liegt vor, § 256 Abs. 1 ZPO. Kla­ge auf Fest­stel­lung des Be­ste­hens oder Nicht­be­ste­hens ei­nes Rechts­verhält­nis­ses kann

 

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er­ho­ben wer­den, wenn der Kläger ein recht­li­ches In­ter­es­se dar­an hat, dass das Rechts­verhält­nis durch rich­ter­li­che Ent­schei­dung als­bald fest­ge­stellt wer­de. Zwar darf die Be­ant­wor­tung der Fra­ge nicht auf die Er­stel­lung ei­nes Rechts­gut­ach­tens hin­aus­lau­fen. Viel­mehr ist ein kon­kre­tes Rechts­verhält­nis fest­zu­stel­len (BAG Ur­teil vom 11.11.2009 - 7 AZR 387/08 - NZA 2010,671).

Dies ist vor­lie­gend der Fall. Streit­ge­gen­stand ist hier der Fort­be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses, wie es das Ar­beits­ge­richt im Te­nor des an­ge­foch­te­nen Ur­teils – vom erst­in­stanz­li­chen Klag­an­trag ab­wei­chend und in­so­weit aus­le­gend – fest­ge­stellt hat. Die Be­klag­te meint, das Ar­beits­verhält­nis ha­be mit Ab­lauf des 31.12.2004 ge­en­det. Dies hat sie nicht nur mit Schrei­ben vom 06.05.2005 be­haup­tet, son­dern in die­sem Rechts­streit wie­der­holt. Wenn der Kläger hier­ge­gen Fest­stel­lung ver­langt, dass die­se Auf­fas­sung un­zu­tref­fend ist, be­gehrt er die Fest­stel­lung des fort­be­ste­hen­den Rechts­verhält­nis­ses, nämlich des Ar­beits­verhält­nis­ses. Die Fest­stel­lung des fort­be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis­ses stellt nicht ei­ne le­dig­lich abs­trak­te Rechts­fra­ge dar, son­dern ist Ba­sis der wei­te­ren Ent­wick­lung der Ver­trags­be­zie­hun­gen der Par­tei­en. Mit der Fest­stel­lung steht fest, dass bei­de Sei­ten aus dem – der­zeit ru­hen­den – Ar­beits­verhält­nis Rech­te und Pflich­ten tra­gen. Ei­ne evtl. in Be­tracht kom­men­de Wie­der­auf­nah­me der Beschäfti­gung durch die Be­klag­te kann da­zu gehören. Durch die ge­richt­li­che Ent­schei­dung wird Rechts­si­cher­heit und Rechts­frie­den zwi­schen den Par­tei­en ge­schaf­fen.

Ak­tu­ell er­gibt sich das Fest­stel­lungs­in­ter­es­se auch dar­aus, dass bei der Rechts­nach­fol­ge­rin der VTS; der NSN, der­zeit Kurz­ar­beit ge­leis­tet wird, von der der Kläger be­trof­fen ist, we­gen der re­gio­na­len Un­ter­aus­las­tung ein Per­so­nal­an­pas­sungs­be­darf be­steht und ein In­ter­es­sen­aus­gleich und So­zi­al­plan ge­schlos­sen wor­den ist. Wie in der Be­ru­fungs­ver­hand­lung deut­lich wur­de, ist das Wei­ter­be­ste­hen des Be­triebs in Flens­burg un­ge­wiss. Der Kläger ist al­so auf Klärung sei­nes Rechts­verhält­nis­ses mit der Be­klag­ten drin­gend an­ge­wie­sen. Ei­ne an­de­re ge­eig­ne­te Möglich­keit, Klar­heit über das Rechts­verhält­nis zu er­rei­chen, be­steht nicht.

1.2 Hin­rei­chen­de Be­stimmt­heit des Klag­an­trags ist eben­falls ge­ge­ben, § 253 Abs. 2 Zif­fer 2 ZPO. Der In­halt des fort­zu­set­zen­den Ar­beits­ver­tra­ges ist dem Kla­ge­an­trag

 

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hin­rei­chend zu ent­neh­men. Der Ver­trag soll hin­sicht­lich der Ar­beits­vergütung und der zurück­ge­leg­ten Beschäfti­gungs­zeit un­ter Wah­rung der vom Kläger im Ar­beits­verhält­nis er­wor­be­nen Be­sitzstände fort­be­ste­hen.

1.3 Sub­si­dia­rität der Fest­stel­lungs- ge­genüber der Leis­tungs­kla­ge kann dem Kläger nicht ent­ge­gen ge­hal­ten wer­den. Ei­ne Leis­tungs­kla­ge ist der­zeit an­ge­sichts des noch be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis­ses mit der NSN nicht an­ge­bracht.

2. Die Be­ru­fung der Be­klag­ten ist un­be­gründet. Das Ar­beits­ge­richt hat zu­tref­fend fest­ge­stellt, dass das Ar­beits­verhält­nis des Klägers zur Be­kla­gen fort­be­steht, ob­wohl er zum 01.01.2005 ein Ar­beits­verhält­nis mit der VTS ge­schlos­sen hat und die­ses am 01.01.2008 auf die NSN über­ge­gan­gen ist.

Durch den Ab­schluss des Ver­tra­ges mit der VTS ist das Ar­beits­verhält­nis mit der Be­klag­ten nicht be­en­det wor­den. Ein Be­en­di­gungs­tat­be­stand ist nicht er­sicht­lich.

2.1 Ein Ar­beit­ge­ber­wech­sel kraft Ge­set­zes gemäß § 613 a BGB schei­det aus. Die VTS hat nicht den Be­trieb der Be­klag­ten über­nom­men. Der Be­triebsüber­gang von der VTS auf die NSN berührt aber nicht das Ver­trags­verhält­nis der Par­tei­en. Die NSN ist le­dig­lich in die Rech­te und Pflich­ten aus dem mit der VTS be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis ein­ge­tre­ten.

2.2 Das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en ist auch nicht durch ein­zel­ver­trag­li­che Ver­ein­ba­rung der Par­tei­en be­en­det wor­den.

2.2.1 Der Kläger hat den Ab­schluss des drei­sei­ti­gen Ver­tra­ges, in dem die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses mit der Be­klag­ten vor­ge­se­hen war, nicht an­ge­nom­men. Das ist ein ein­deu­ti­ges Si­gnal.

2.2.2 Es liegt auch nicht ein münd­li­ches oder still­schwei­gen­des Drei­ecks­geschäft vor, das ei­ne Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses mit der Be­klag­ten hätte her­beiführen können. Dem steht be­reits die zwin­gen­de Form­vor­schrift des § 623 BGB ent­ge­gen.

 

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2.2.3 Die Be­en­di­gung ist auch nicht „ta­rif­kon­sti­tu­tiv“ er­folgt, wie die Be­klag­te meint. Zwar sieht § 1 TVG vor, dass die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en in den Ta­rif­verträgen den In­halt, den Ab­schluss und die Be­en­di­gung von Ar­beits­verhält­nis­sen re­geln können. Ob dies auch in ei­nem Fall der vor­lie­gen­den Kon­stel­la­ti­on über­haupt in Be­tracht kommt, be­geg­net er­heb­li­chen Be­den­ken, kann hier je­doch da­hin­ge­stellt blei­ben. Denn der TV Ra­tio enthält nicht ei­ne ent­spre­chen­de ein­deu­ti­ge Re­ge­lung, dass bei Ver­mitt­lung auf ei­nen an­de­ren Ar­beits­platz das Ar­beits­verhält­nis zur Be­klag­ten en­det.

Der TV Ra­tio re­gelt nicht, dass ein Ar­beits­verhält­nis mit er­folg­rei­cher Ver­mitt­lung in ein Geschäfts­mo­dell oder sons­ti­ger ex­ter­ner Ver­mitt­lung durch Ar­beits­an­tritt beim neu­en Ar­beit­ge­ber au­to­ma­tisch en­det. § 7, ins­be­son­de­re § 7 Abs. 3 TV Ra­tio i. V. m. sei­ner An­la­ge 8 enthält zwar de­tail­lier­te Re­ge­lun­gen zum Ver­fah­ren bei in­ter­ner und ex­ter­ner Ver­mitt­lung des be­trof­fe­nen Ar­beit­ge­bers in Geschäfts­mo­del­le. Ei­ne au­to­ma­ti­sche, nicht schrift­lich wech­sel­sei­tig do­ku­men­tier­te Auflösung fin­det sich dort nicht. § 7 Abs. 8 TV Ra­tio enthält zwar die Ver­pflich­tung des Ar­beit­neh­mers, ei­nen ihm an­ge­bo­te­nen zu­mut­ba­ren an­de­ren Ar­beits­platz an­zu­neh­men und sich ggf. ei­ner Qua­li­fi­zie­rungs­maßnah­me zu un­ter­zie­hen. Bei ei­nem Ver­s­toß ist der Ver­lust der Ansprüche aus dem Ta­rif­ver­trag vor­ge­se­hen. Erst nach mehr­fa­cher Ab­leh­nung kann ei­ne Kündi­gung in Be­tracht kom­men. Das greift vor­lie­gend aber nicht, da der Kläger sich hat ver­mit­teln las­sen.

Wei­ter sieht § 10 TV Ra­tio Ab­fin­dun­gen im Fall ei­ner ein­ver­nehm­li­chen schrift­li­chen Auflösung vor. Die Be­klag­te be­haup­tet aber nicht, dass ein sol­cher Fall vor­liegt. Ge­ra­de die­se Re­ge­lung im Ta­rif­ver­trag lässt aber deut­lich wer­den, dass die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en die Form­vor­schrift des § 623 BGB ge­se­hen ha­ben und ihr Rech­nung tra­gen woll­ten. Hin­zu kommt, dass § 623 BGB nicht ta­rif­dis­po­si­tiv ist.

2.2.4 Ei­ne Be­en­di­gung ist auch nicht durch das Schrei­ben der Be­klag­ten vom 06.05.2005 ein­ge­tre­ten.

Dass es sich da­bei um ei­ne – rück­wir­ken­de (!) – Kündi­gung han­deln soll­te, be­haup­tet die Be­klag­te nicht. Die Be­klag­te be­dankt sich für die bis­he­ri­ge Tätig­keit des Klägers bei ihr und wünscht ihm al­les Gu­te. Das Wort „Kündi­gung“ wird nicht ge­braucht.

 

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Zu­dem wird dar­in nicht zum Aus­druck ge­bracht, dass das „Ar­beits­verhält­nis“ be­en­det sei, son­dern dass die „Tätig­keit“ des Klägers bei der Be­klag­ten ihr En­de ge­fun­den ha­be. Das trifft auch zu, da der Kläger seit­her für die VTS bzw. später die NSN tätig ge­wor­den ist.

Der Kläger muss­te hier­auf nicht re­agie­ren. Dem Schrei­ben lässt sich nicht ent­neh­men, dass die Be­klag­te ei­ne Ant­wort er­war­te­te. Zu­dem stellt Schwei­gen im Rechts­ver­kehr grundsätz­lich kei­ne Wil­lens­erklärung dar. Der Satz aus dem ka­no­ni­schen Recht „Qui ta­cet con­sen­ti­re vi­de­tur“ gilt, ab­ge­se­hen von den Fällen, wo das Ge­setz aus­drück­lich pas­si­ves Ver­hal­ten als still­schwei­gen­de An­nah­me fin­giert, nur dann als le­dig­lich dann als Zu­stim­mung zu ei­ner Of­fer­te, wenn es im kon­kre­ten Fall, nach den kon­kre­ten Umständen, vom Erklärungs­empfänger nach Treu und Glau­ben nur als Ak­zept ver­stan­den wer­den konn­te, wenn der Schwei­gen­de al­so hätte re­den müssen (Ob­lie­gen­heit), um ei­ne sol­che Deu­tung zu ver­mei­den (MüKo-Kra­mer, Rn. 25 Vor­bem. Zu § 116 BGB). Das ist hier nicht der Fall.

2.2.5 Dem Kläger kann auch nicht Treu­wid­rig­keit, § 242 BGB, ent­ge­gen­ge­hal­ten wer­den, weil er sich auf die Nicht­ein­hal­tung der Schrift­form be­ruft.

Bei der Ver­wir­kung han­delt es sich um ei­nen Son­der­fall der un­zulässi­gen Rechts­ausübung. Sie dient dem Ver­trau­ens­schutz. Nicht wird da­mit der Zweck ver­folgt, den Schuld­ner von sei­ner Ver­pflich­tung zu be­frei­en, wenn des­sen Gläubi­ger länge­re Zeit sei­ne Rech­te nicht gel­tend ge­macht hat (Zeit­mo­ment). Es muss viel­mehr noch das Um­stands­mo­ment hin­zu­tre­ten. Der Be­rech­tig­te muss viel­mehr un­ter Umständen untätig ge­blie­ben sein, die den Ein­druck er­weckt ha­ben, dass er sein Recht nicht mehr gel­tend ma­chen wol­le, so dass der Ver­pflich­te­te sich dar­auf ein­stel­len durf­te, nicht mehr in An­spruch ge­nom­men zu wer­den. Das Er­for­der­nis des Ver­trau­ens­schut­zes auf Sei­ten des Ver­pflich­te­ten muss das In­ter­es­se des Be­rech­tig­ten der­art über­wie­gen, dass ihm die Erfüllung des An­spruchs nicht mehr zu­zu­mu­ten ist (st. Rspr., u.a. BAG vom 18.12.2003 - 8 AZR 621/02 - BB 2004,1634 = NZA 2004,791 = DB 2004,2110; BAG vom 12.12.2006 - 9 AZR 747/06 - NZA 2007,396).

 

- 11 -

Die­ses Um­stands­mo­ment fehlt hier. Der Kläger hat­te den Ab­schluss des drei­sei­ti­gen Auf­he­bungs­ver­trags ab­ge­lehnt. Er hat kei­ner­lei Tat­bestände ge­setzt, die bei der Be­klag­ten das Ver­trau­en da­hin­ge­hend hätten er­we­cken können, er hal­te an dem Ar­beits­verhält­nis zur Be­klag­ten nicht mehr fest. Die Be­klag­te konn­te an­ge­sichts der von ihr ab­ge­schlos­se­nen Ta­rif­verträge und ih­rer ei­ge­nen Pra­xis wie dem An­ge­bot des drei­sei­ti­gen Ver­tra­ges auch nicht da­von aus­ge­hen, dass ein Mit­ar­bei­ter auf die Be­ach­tung die­ser For­ma­li­en ver­zich­te­te. Das gilt je­den­falls für den Kläger.

Der Kläger hat auch nicht durch die Hin­nah­me des Be­triebsüber­gangs auf die NSN ei­nen Ver­trau­en­stat­be­stand ge­schaf­fen. Das Ar­beits­verhält­nis mit der Be­klag­ten ruht. Ei­ne Ver­pflich­tung des Klägers, von sich aus an die Be­klag­te her­an­zu­tre­ten und mit­zu­tei­len, wie sein Ar­beits­verhält­nis zur VTS bzw. NSN ge­stal­tet ist, be­steht nicht.

3. Die Be­ru­fung ist da­her mit der Kos­ten­fol­ge aus § 97 ZPO zurück­zu­wei­sen.

Gründe für die Zu­las­sung der Re­vi­si­on lie­gen nicht vor. Es han­delt sich um die Ent­schei­dung ei­nes Ein­zel­fal­les.

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