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HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

Hes­si­sches LAG, Ur­teil vom 07.11.2012, 12 Sa 654/11

   
Schlagworte: Fragerecht, Gewerkschaft, Tarifpluralität
   
Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 12 Sa 654/11
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 07.11.2012
   
Leitsätze: Eine Gewerkschaft kann aus eigenem Recht die Unzulässigkeit einer Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit im Arbeitsverhältnis geltend machen.
Die Klägerin (Gewerkschaft) hat auch im tarifpluralen Betrieb gemäß § 9 abs. 3 GG einen Anspruch auf Unterlassung der Frage der Beklagten an ihre Mitarbeiter/innen, ob sie Mitglieder der Klägerin sind, es sei denn, dass die Frage zur Klärung der Anwendung von Arbeitsbedingungen aus einem mit der Klägerin abgeschlossenen Tarifvertrag erforderlich ist.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 15.02.2011, 10 Ca 6462/10
   

Te­nor:

Auf die Be­ru­fung der Be­klag­ten wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Frank­furt am Main vom 15. Fe­bru­ar 2011 – 10 Ca 6462/10 – un­ter Zurück­wei­sung der Be­ru­fung im Übri­gen teil­wei­se ab­geändert:

Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt es zu un­ter­las­sen, die in ih­rem Un­ter­neh­men beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer schrift­lich auf­zu­for­dern, schrift­lich zu erklären, ob sie Mit­glied der Ge­werk­schaft Deut­scher Lo­ko­mo­tivführer – GDL – sind oder nicht, es sei denn, dass die Fra­ge zur Klärung der An­wen­dung von Ar­beits­be­din­gun­gen aus ei­nem mit der Kläge­rin ab­ge­schlos­se­nen Ta­rif­ver­trag er­for­der­lich ist.

Im Übri­gen wird die Kla­ge ab­ge­wie­sen.

Die Kos­ten des Rechts­streits ha­ben die Par­tei­en je­weils zur Hälf­te zu tra­gen.

Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.

Tat­be­stand:

Die Par­tei­en strei­ten um den An­spruch der Kläge­rin auf Un­ter­las­sung der Fra­ge der Be­klag­ten an ih­re Mit­ar­bei­ter nach der Ge­werk­schafts­zu­gehörig­keit zur Kläge­rin.

Die Kläge­rin ist ei­ne ta­riffähi­ge Ge­werk­schaft, die u.a. das Fahr­per­so­nal von Nah­ver­kehrs­un­ter­neh­men, auch im Frei­staat A, or­ga­ni­siert. Sie hat ih­ren Sitz in B und ist Ver­bands­mit­glied der C. Die Be­klag­te ist ein re­gio­nal täti­ges Un­ter­neh­men mit Sitz in D, das auch im Per­so­nen­nah­ver­kehr tätig ist. Sie gehört dem kom­mu­na­len Ar­beit­ge­ber­ver­band A (KAV) an. Die Ar­beits­verträge ih­rer Mit­ar­bei­ter ent­hal­ten sämt­lich ei­nen Ver­weis auf den Ta­rif­ver­trag Nah­ver­kehrs­be­trie­be A (TV-N A). Seit dem 18.08.2006 gab es zwei TV-N A mit in­halts­glei­chen Re­ge­lun­gen, ei­nen mit der C und ei­nen mit der Ge­werk­schaft E.

Im Jah­re 2010 kündig­ten bei­de Ar­beit­neh­mer­or­ga­ni­sa­tio­nen den Ta­rif­ver­trag und führ­ten über den Ab­lauf der Frie­dens­pflicht am 30.06.2010 hin­aus ge­mein­sa­me Ver­hand­lun­gen mit der KAV A über ei­nen neu­en Ta­rif­ab­schluss. Am 20.08.2010 ver­ließ die C die ge­mein­sa­men Ver­hand­lun­gen und erklärte mit Schrei­ben vom 25.08.2010 (Bl. 12 d.A.) die Ver­hand­lun­gen auch for­mal für ge­schei­tert. Am sel­ben Tag rief sie ih­re Mit­glie­der zur Ur­ab­stim­mung über Streik­maßnah­men auf. Die Ge­werk­schaft E und die KAV A hin­ge­gen er­ziel­ten noch am 20.08. 2010 ei­ne Ei­ni­gung, wo­nach ab dem 01.09.2010 die Ent­gel­te erhöht und im Sep­tem­ber zu­dem ei­ne Ein­mal­zah­lung er­fol­gen soll­te.

Die Be­klag­te in­for­mier­te mit Schrei­ben vom 25.0.8.2010 (Bl. 62-64 d.A.) ih­re Mit­ar­bei­ter über Ver­lauf und Er­geb­nis der Ta­rif­ver­hand­lun­gen. Sie wies dar­auf hin, dass Mit­glie­der der Kläge­rin Ansprüche aus der Ei­ni­gung mit E nicht gel­tend ma­chen könn­ten und for­der­te al­le Mit­ar­bei­ter auf, ihr un­ter Ver­wen­dung des mitüber­sand­ten Ant­wort­for­mu­lars bis spätes­tens 10.09.2010 mit­zu­tei­len, ob sie Mit­glie­der der Kläge­rin sei­en. Wei­ter wies sie dar­auf hin, dass die Ta­rif­ei­ni­gung erst nach er­folg­ter Rück­mel­dung in der Ent­gel­tab­rech­nung um­ge­setzt wer­de könne und ver­si­cher­te, die Ant­wort wer­de aus­sch­ließlich für die Prüfung ei­nes An­spruchs auf die Ta­rif­ei­ni­gung mit der Ge­werk­schaft E ver­wen­det. Die C for­der­te die Be­klag­te mit Schrei­ben vom 30.08.2010 (Bl. 13 d.A.) zur Un­ter­las­sung der aus ih­rer Sicht rechts­wid­ri­gen Fra­ge auf. Die Be­klag­te hin­ge­gen sah sich zur Fest­stel­lung des Mit­ar­bei­ter­krei­ses, der Ansprüche auf die Ta­rif­ei­ni­gung mit E gel­tend ma­chen könne, zur Fra­ge­stel­lung be­rech­tigt.

We­gen des wei­te­ren erst­in­stanz­li­chen Vor­brin­gens, der Rechts­an­sich­ten der Par­tei­en und der vor dem Ar­beits­ge­richt ge­stell­ten Anträge wird auf Tat­be­stand und Ent­schei­dungs­gründe der an­ge­foch­te­nen Ent­schei­dung Be­zug ge­nom­men (Bl. 81 – 84 d. A.).

Das Ar­beits­ge­richt Frank­furt am Main hat mit Ur­teil vom 15.02.2011 (Az.: 10 Ca 6462/10) dem Haupt­an­trag statt­ge­ge­ben, weil die Fra­ge nach der Ge­werk­schafts­zu­gehörig­keit zur Kläge­rin un­ter je­der denk­ba­ren Kon­stel­la­ti­on das Ko­ali­ti­ons­recht der Kläge­rin ver­let­ze. Für die Ein­zel­hei­ten der Be­gründung wird auf die Ent­schei­dungs­gründe des an­ge­foch­te­nen Ur­teils Be­zug ge­nom­men (Bl. 175 – 181 d.A.).

Die Be­klag­te hat ge­gen das ihr am 08.04.2011 zu­ge­stell­te Ur­teil am 04.05.2011 Be­ru­fung ein­ge­legt und die­se – nach Verlänge­rung der Be­ru­fungs­be­gründungs­frist bis zum 20.07.2011 - am 20.07.2011 be­gründet.

Die Be­klag­te ver­tritt wei­ter­hin die Auf­fas­sung, dass die An­er­ken­nung der Ta­rifp­lu­ra­lität durch die höchst­rich­ter­li­che Recht­spre­chung die An­er­ken­nung ei­nes Fra­ge­rechts des Ar­beit­ge­bers nach der Ge­werk­schafts­zu­gehörig­keit er­for­der­lich ma­che; denn nur auf die­sem We­ge könne der Ar­beit­ge­ber Kennt­nis da­von er­lan­gen, wel­cher der plu­ra­len Ta­rif­verträge für den je­wei­li­gen Ar­beit­neh­mer un­mit­tel­bar und zwin­gend gel­te. Die Ta­rifp­lu­ra­lität set­ze den­knot­wen­dig ein Fra­ge­recht des Ar­beit­ge­bers vor­aus. Der Fra­ge kom­me auch kein dis­kri­mi­nie­ren­der Cha­rak­ter zu, wenn sie zur Um­set­zung ei­ner ta­rif­li­chen Re­ge­lung durch den Ar­beit­ge­ber, ins­be­son­de­re zur rich­ti­gen ta­rif­li­chen Ent­loh­nung, ob­jek­tiv er­for­der­lich sei. Dem Ar­beit­ge­ber droh­ten bei nicht rich­ti­ger An­wen­dung der Ta­rif­verträge auch re­le­van­te Rechts­nach­tei­le, sei es ge­genüber der Fi­nanz­ver­al­tung, den So­zi­al­ver­si­che­rungs­trägern oder bei der not­wen­di­gen Rück­ab­wick­lung von Über­zah­lun­gen. Das In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers an der Fra­ge nach der Ge­werk­schafts­zu­gehörig­keit im lau­fen­den Ar­beits­verhält­nis sei dann höher an­zu­set­zen als das­je­ni­ge des Ar­beit­neh­mers an der Ge­heim­hal­tung der Mit­glied­schaft. Ein Fra­ge­recht sei dem Ar­beit­ge­ber auch in wei­te­ren Kon­stel­la­tio­nen zu­zu­ge­ste­hen, so im Hin­blick auf die Ar­beits­kampfp­lu­ra­lität zur Durchführung ei­ner se­lek­ti­ven Aus­sper­rung oder zur Auflösung der bei der Be­klag­ten in den Ar­beits­verträgen von 1980-2000 gebräuch­li­chen Be­zug­nah­me­klau­seln.

Zur Ergänzung des Be­ru­fungs­vor­brin­gens der Be­klag­ten wird auf die Be­ru­fungs­be­gründung vom 20.07.201 so­wie den Schrift­satz vom 24.02.2012 (Bl. 125-136, 160-163 d.A.) Be­zug ge­nom­men.

Die Be­klag­te be­an­tragt

Das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Frank­furt am Main vom 15.02.2011, Az.: 10 Ca 6462/10 ab­zuändern und die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Die Kläge­rin be­an­tragt, nach Rück­nah­me der in ers­ter In­stanz ge­stell­ten Hilfs­anträge, die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen, hilfs­wei­se, die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, es zu un­ter­las­sen, die in ih­rem Un­ter­neh­men beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer schrift­lich auf­zu­for­dern, schrift­lich zu erklären, ob sie Mit­glied der Ge­werk­schaft F (G F) sind oder nicht; es sei denn, dass die Fra­ge zur Klärung der An­wen­dung von Ar­beits­be­din­gun­gen aus ei­nem mit der Kläge­rin ab­ge­schlos­se­nen Ta­rif­ver­trag er­for­der­lich ist.

Die Kläge­rin ver­tei­digt un­ter weit­ge­hen­der Wie­der­ho­lung ih­res erst­in­stanz­li­chen Vor­trags das ar­beits­ge­richt­li­che Ur­teil. Sie ist mit dem Ar­beits­ge­richt der An­sicht, dass die Fra­ge nach der Ge­werk­schafts­zu­gehörig­keit die Kläge­rin in ih­rem Ko­ali­ti­ons­recht ver­let­ze, und zwar in je­der denk­ba­ren Kon­stel­la­ti­on. Ein Fra­ge­recht des Ar­beit­ge­bers sei aus kei­ner Norm, auch nicht § 4 TVG , ab­zu­lei­ten. Wenn der Ar­beit­neh­mer Rech­te aus ei­nem Ta­rif­ver­trag gel­tend ma­chen wol­le, lie­ge es an ihm, die­se für ihn güns­ti­ge an­spruchs­be­gründen­de Vor­aus­set­zung dem Ar­beit­ge­ber mit­zu­tei­len. Es ge­be auch kei­ne Ver­an­las­sung, von die­sem Grund­satz ei­ne Aus­nah­me zu ma­chen; denn der Ar­beit­ge­ber er­lei­de durch die Nicht­kennt­nis kei­ne re­le­van­ten Rechts­nach­tei­le. An­de­rer­seits könne die Mit­tei­lung der Ge­werk­schafts­zu­gehörig­keit sich – zu­min­dest abs­trakt – für den Ar­beit­neh­mer auch im lau­fen­den Ar­beits­verhält­nis be­nach­tei­li­gend aus­wir­ken, so bei der be­ruf­li­chen Wei­ter­ent­wick­lung, in ei­nem zulässi­ger­wei­se be­fris­te­ten Ar­beits­verhält­nis oder während der War­te­zeit des § 1 KSchG.

Aus die­sen Über­le­gun­gen sei auch ein Fra­ge­recht der Be­klag­ten auf­grund der be­ste­hen­den Be­zug­nah­me­klau­seln in den Ar­beits­verträgen und bei se­lek­ti­ver Aus­sper­rung ab­zu­leh­nen. Der Ar­beit­ge­ber könn­te bei letz­te­rer statt­des­sen die Beschäftig­ten fra­gen, ob für sie die Frie­dens­pflicht gel­te. Letzt­end­lich weist die Kläge­rin dar­auf hin, dass die Fra­ge nach der Ge­werk­schafts­zu­gehörig­keit bei der Kläge­rin am 25.08.2010 nicht ge­eig­net war, den be­haup­te­ten Zweck zu er­rei­chen.

Zur Ergänzung des Be­ru­fungs­vor­brin­gens der Kläge­rin wird auf die Be­ru­fungs­er­wi­de­rung vom 19.08.2011 (Bl. 140 – 152 d.A.) Be­zug ge­nom­men.

Ent­schei­dungs­gründe:

Die Be­ru­fung ist nach §§ 8 Abs.2 , 64 Abs. 1 , 2 c ArbGG statt­haft. Sie ist auch im Übri­gen zulässig, ins­be­son­de­re ist sie form- und frist­ge­recht ein­ge­legt und be­gründet wor­den ( §§ 66 Abs. 1 ArbGG , 517 , 519 , 520 Abs. 1 , 3 ZPO ).

Die Be­ru­fung hat in der Sa­che teil­wei­se Er­folg; denn der Haupt­an­trag der Kläge­rin auf aus­nahms­lo­se Un­ter­las­sung (Glo­balan­trag) der Fra­ge nach der Zu­gehörig­keit zur G F war ab­zu­wei­sen. Auf den Hilfs­an­trag der Kläge­rin je­doch war die Be­klag­te zur Un­ter­las­sung der Fra­ge nach der Zu­gehörig­keit zur G F außer für den Fall, dass sie zur Klärung der An­wen­dung von Ar­beits­be­din­gun­gen aus ei­nem von der Kläge­rin ab­ge­schlos­se­nen Ta­rif­ver­trag er­for­der­lich ist, zu ver­ur­tei­len.

Der Klägern steht ein An­spruch auf Un­ter­las­sung der Fra­ge nach der Zu­gehörig­keit der Mit­ar­bei­ter der Be­klag­ten zur G F gemäß §§1004 , 823 BGB iVm Art. 9 Abs. 3 GG le­dig­lich im Um­fang des Hilfs­an­trags zu.

Der Haupt­an­trag, der ei­ne aus­nahms­lo­se Un­ter­las­sung der Fra­ge zum Ziel hat­te (Glo­balan­trag), war ab­zu­wei­sen, weil für den Fall, dass die Fra­ge zur Klärung der An­wen­dung von Ar­beits­be­din­gun­gen aus ei­nem mit der Kläge­rin ab­ge­schlos­se­nen Ta­rif­ver­trag in ei­nem ta­rifp­lu­ra­len Be­trieb er­for­der­lich ist, ein Fra­ge­recht der Be­klag­ten be­steht. Zu die­sem Er­geb­nis ist die Kam­mer auf­grund fol­gen­der Erwägun­gen ge­langt:

Dem Ar­beit­ge­ber wird im lau­fen­den Ar­beits­verhält­nis ge­ne­rell ein – al­ler­dings nicht un­ein­ge­schränk­tes - Fra­ge­recht zu­ge­stan­den. Nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts ( BAG 18.10.2000 – 2 AZR 380/99 ; BAG 16.12.2004 – AP 64 zu § 123 BGB ; BAG 7.9.1998 – AP AP zu § 242 BGB Aus­kunfts­pflicht; vgl. zu­sam­men­fas­send KR/Preis § 611 BGB Rz. 330-333) gilt für das Fra­ge­recht all­ge­mein, dass der Ar­beit­ge­ber ein be­rech­tig­tes, bil­li­gens­wer­tes und schützwürdi­ges – al­so sach­li­ches - In­ter­es­se an der Kennt­nis der je­wei­li­gen In­for­ma­ti­on im Hin­blick auf das Ar­beits­verhält­nis ha­ben muss, auf­grund des­sen die Be­lan­ge des Ar­beit­neh­mers zurück­tre­ten müssen. Das lässt sich mit der mit­tel­ba­ren Dritt­wir­kung des Rechts auf in­for­ma­tio­nel­le Selbst­be­stim­mung nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG des Ar­beit­neh­mers be­gründen bzw. hin­sicht­lich der Ge­werk­schafts­zu­gehörig­keit auch mit Art. 9 Abs. 3 GG . Da­nach ist das Fra­ge­recht be­grenzt durch das be­trieb­li­che In­ter­es­se und das Persönlich­keits­recht des Ar­beit­neh­mers, die es ge­gen­ein­an­der ab­zuwägen gilt. Die Abwägung der bei­der­sei­ti­gen In­ter­es­sen er­gibt hier, dass im ta­rifp­lu­ra­len Be­trieb das In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers für den Fall, dass die Fra­ge der Klärung der An­wen­dung von Ar­beits­be­din­gun­gen aus ei­nem mit ei­ner be­stimm­ten Ge­werk­schaft ge­schlos­se­nen Ta­rif­ver­trag er­for­der­lich ist, die Be­lan­ge der von der Ge­werk­schaft ver­tre­te­nen Ar­beit­neh­mer und da­mit auch die der Ge­werk­schaft über­wiegt.

Ein sach­li­ches In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers an der Fra­ge nach der Ge­werk­schafts­zu­gehörig­keit im ta­rifp­lu­ra­len Be­trieb er­gibt sich vor al­lem auf ar­beits­ver­trag­li­cher und so­zi­al­ver­si­che­rungs­recht­li­cher Ebe­ne. Ar­beits­ver­trag­lich be­darf der Ar­beit­ge­ber der Kennt­nis, um fest­stel­len zu können, wel­cher von meh­re­ren im Be­trieb ent­we­der ge­ne­rell oder spe­zi­ell für die Be­rufs­grup­pe des Ar­beit­neh­mers gel­ten­den Ta­rif­verträge un­mit­tel­bar und zwin­gend im Ar­beits­verhält­nis zur An­wen­dung ge­langt. Es geht da­bei um die Kennt­nis des­sen, was zwi­schen den Ar­beits­ver­trags­par­tei­en gel­ten­des Recht ist. Be­trof­fen sind in der Re­gel sämt­li­che Es­sen­ti­alia des Ar­beits­ver­tra­ges, ins­be­son­de­re die Vergütung. So­zi­al­ver­si­che­rungs­recht­lich muss der Ar­beit­ge­ber die Ge­werk­schafts­zu­gehörig­keit er­fah­ren, weil die Höhe der So­zi­al­ab­ga­ben sich nach dem ge­schul­de­ten Lohn rich­tet, der sich sei­ner­seits nach dem Ta­rif­ver­trag be­misst. Oh­ne des­sen Kennt­nis kann er die So­zi­al­ab­ga­ben nicht rich­tig be­rech­nen und läuft Ge­fahr, ent­we­der zu ho­he Ab­ga­ben zu leis­ten oder Säum­nis­zu­schläge nach §§ 24 , 28e Abs. 4 SGB IV ent­rich­ten zu müssen (zu­sam­men­fas­send G. Forst: Ta­rifp­lu­ra­lität und die Fra­ge nach der Ge­werk­schafts­zu­gehörig­keit – ZTR 2011, 587-593).

Dem steht der in Art. 9 Abs. 3 GG ver­an­ker­te Schutz des Be­stan­des ei­ner Ko­ali­ti­on ge­genüber, von dem auch die Fra­ge nach der Ge­werk­schafts­zu­gehörig­keit er­fasst ist. Zur tra­di­tio­nell an­er­kann­ten ne­ga­ti­ven Kon­no­ta­ti­on der Fra­ge und zur Reich­wei­te des Schut­zes vor mögli­chen Aus­wir­kun­gen nicht nur auf die Ar­beits­verhält­nis­se, son­dern auch auf den Be­stand der Ko­ali­ti­on wird auf die de­tail­lier­ten Ausführun­gen auf Sei­ten 6-8 der Ent­schei­dungs­gründe des ar­beits­ge­richt­li­chen Ur­teils ver­wie­sen, die das Lan­des­ar­beits­ge­richt teilt und de­nen es sich an­sch­ließt.

Al­lein aus der Not­wen­dig­keit ei­nes sach­li­chen Er­for­der­nis­ses und dem Schutz, den Art. 9 Abs. 3 GG ga­ran­tiert, folgt zunächst, dass es auch im be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis kein ge­ne­rel­les Recht des Ar­beit­ge­bers zur Fra­ge nach der Ge­werk­schafts­zu­gehörig­keit ge­ben kann. Wei­ter folgt dar­aus, dass die kon­kre­te Be­fra­gung vom 25.08.2010 rechts­wid­rig war, weil die Fra­ge nach der Zu­gehörig­keit zur GDL, ver­bun­den mit der Auf­for­de­rung, in­ner­halb von vier­zehn Ta­gen dar­auf zu ant­wor­ten, nicht er­for­der­lich war, um her­aus­zu­fin­den, ob auf ein kon­kre­tes Ar­beits­verhält­nis die mit der Ge­werk­schaft E her­bei­geführ­te Ta­rif­ei­ni­gung zum 01.09.2010 An­wen­dung fin­det. Zur Er­rei­chung des be­haup­te­ten Zwecks der Be­fra­gung, nämlich her­aus­zu­fin­den, wel­chen Mit­ar­bei­tern die Seg­nun­gen nach der neu­en Ta­rif­ei­ni­gung zu­ste­hen, hätte die Be­klag­te den Empfänger­kreis di­rekt ab­fra­gen müssen, statt den Weg zu wählen, mit der Fra­ge die Mit­glie­der der G F von den Leis­tun­gen ne­ga­tiv
aus­zu­gren­zen. Da die Be­klag­te nicht mit ei­ner ein­hun­dert­pro­zen­ti­gen Be­ant­wor­tungs­quo­te rech­nen konn­te, kannn die­sem Stand­punkt nicht ent­ge­gen­hal­ten wer­den, auch als Er­geb­nis ei­ner sol­chen Fra­ge­stel­lung wären die Mit­glie­der der G F er­kenn­bar ge­wor­den. Da­ne­ben stellt sich nach den Ausführun­gen des Bun­des­ar­beits­ge­richts in sei­ner Ent­schei­dung zur Rechtsände­rung bei Ta­rifp­lu­ra­lität ( BAG 07.07.2010 – 4 AZR 549/08 Rz. 76) auch die Fra­ge, ob an­ge­sichts der Be­zug­nah­me auf den TV-N in den Ar­beits­verträgen al­ler Mit­ar­bei­ter die Mit­glie­der der G F von der Loh­nerhöhung aus­ge­schlos­sen wer­den konn­ten oder sie über das ta­rif­recht­li­che Güns­tig­keits­prin­zip ( § 4 Abs. 3 TVG ) auf­grund ein­zel­ver­trag­li­cher Re­ge­lung dar­an teil­neh­men.

So­weit es um das Un­ter­las­sen bzw. Durchführen von Be­fra­gun­gen nach der Ge­werk­schafts­zu­gehörig­keit in der Zu­kunft geht und die­se zur Fest­stel­lung der An­wend­bar­keit von Ar­beits­be­din­gun­gen aus ei­nem mit der G F ge­schlos­se­nen Ta­rif­ver­trag er­for­der­lich sind, ist der Be­klag­ten je­doch die Möglich­keit der Be­fra­gung im ta­rifp­lu­ra­len Be­trieb ein­zuräum­en; denn um die Her­aus­for­de­run­gen der Ta­rifp­lu­ra­lität zu meis­tern, muss ei­ne Per­so­nal­ver­wal­tung wis­sen, wel­cher Ta­rif­ver­trag an­zu­wen­den ist. Dann über­wie­gen die oben dar­ge­stell­ten In­ter­es­sen des Ar­beit­ge­bers, während der Ar­beit­neh­mer durch § 612a BGB hin­rei­chend geschützt ist (vgl. ErfK/Preis 11. Aufl. § 611 BGB Rz. 278; HWK/Thüsing 4.Aufl. § 123 BGBRn.14; Stau­din­ger/Ri­char­di/Fi­schin­ger BGB Be­arb. 2011 § 611 Rn. 208; Forst a.a.O. mit wei­te­ren Nach­wei­sen aus der Li­te­ra­tur in Fußno­ten 25, 41).

Den Ar­beit­ge­ber dar­auf zu ver­wei­sen, es sei Sa­che des Ar­beit­neh­mers, sei­ne Ge­werk­schafts­zu­gehörig­keit zu of­fen­ba­ren, wenn er an den Be­din­gun­gen des Ta­rif­ver­trags sei­ner Ge­werk­schaft teil­ha­ben will, bie­tet kei­ne hin­rei­chen­de Al­ter­na­ti­ve zum Fra­ge­recht. Sie zwingt den Ar­beit­ge­ber, sich un­ter Umständen in zahl­rei­chen Ein­zel­kon­fliktfällen mit Nach­for­de­run­gen und Rück­for­de­run­gen von Ar­beit­neh­mern und So­zi­al­ver­si­che­rungs­trägern aus­ein­an­der­set­zen zu müssen und dafür größere Res­sour­cen zu bin­den. Das wäre nur ge­recht­fer­tigt, wenn gleich­zei­tig für die Ar­beit­neh­mer und die Ge­werk­schaft ge­wich­ti­ge Nach­tei­le zu befürch­ten und ein großes In­ter­es­se an der Ge­heim­hal­tung der Ge­werk­schafts­zu­gehörig­keit zu er­ken­nen wären. Da­von kann je­doch nicht aus­ge­gan­gen wer­den. Es darf viel­mehr an­ge­nom­men wer­den, dass ein Ar­beit­neh­mer, der den be­son­de­ren Schritt tut, sich ei­ner Ge­werk­schaft für ei­ne spe­zi­el­le Ar­beit­neh­mer­grup­pe an­zu­sch­ließen, re­gelmäßig an den von ihr erkämpf­ten Er­geb­nis­sen auch teil­ha­ben will; denn er schließt sich die­ser Ge­werk­schaft in der Re­gel des­halb an, weil er der An­sicht ist, dass die be­son­de­ren In­ter­es­sen sei­ner Be­rufs­grup­pe dort bes­ser ver­tre­ten sind und ih­nen mehr Nach­druck ver­lie­hen wer­den kann. Da die Teil­nah­me an den erkämpf­ten Er­geb­nis­sen die Of­fen­ba­rung der Mit­glied­schaft er­for­der­lich macht, wird sein In­ter­es­se ge­ra­de da­hin ge­hen, die Mit­glied­schaft mit­zu­tei­len. Das re­du­ziert gleich­zei­tig das Schutz­bedürf­nis für die Ko­ali­ti­on als Gan­zes er­heb­lich. Die Zulässig­keit der Fra­ge nach der Zu­gehörig­keit zu ei­ner be­stimm­ten Ge­werk­schaft zu dem hier zu­ge­stan­de­nen Zweck ist ge­ra­de­zu Fol­ge der von den Spar­ten­ge­werk­schaf­ten erkämpf­ten Ta­rifp­lu­ra­lität.

Die Kos­ten des Rechts­streits ha­ben die Par­tei­en je zur Hälf­te zu tra­gen, da sie je­weils teils ob­siegt ha­ben und teils un­ter­le­gen sind.

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Nina Wesemann
Rechtsanwältin
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