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ArbG Ham­burg, Ur­teil vom 01.09.2006, 27 Ca 136/06

   
Schlagworte: Arbeitsfähigkeit, Drogen
   
Gericht: Arbeitsgericht Hamburg
Aktenzeichen: 27 Ca 136/06
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 01.09.2006
   
Leitsätze:
Vorinstanzen:
   

A r b e i t s g e r i c h t H a m b u r g


Ur­teil

Im Na­men des Vol­kes

Geschäfts­zei­chen:
27 Ca 136/06

 

 


Verkündet am

1. Sep­tem­ber 2006

 

 

 


In dem Rechts­streit

 

 

 

- Kläger -


Pro­zess­be­vollmäch­tig­te:

 

 


ge­gen

 

 

 

 


- Be­klag­te -


Pro­zess­be­vollmäch­tig­te:

 

 


er­kennt das Ar­beits­ge­richt Ham­burg, Kam­mer 27,

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auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 1. Sep­tem­ber 2006

durch den Rich­ter Dr. Horn

als Vor­sit­zen­den

 

den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Eh­lers

die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Stol­berg

 

für Recht:

1. Die Kla­ge wird ab­ge­wie­sen.
2. Der Kläger trägt die Kos­ten des Rechts­streits.
3. Der Wert des Streit­ge­gen­stan­des wird auf 5.100 € fest­ge­setzt.
4. Die Be­ru­fung wird ge­son­dert zu­ge­las­sen.

 

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Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über die Rechtmäßig­keit von ver­dachts­un­abhängi­gen Sucht­mit­tel­kon­trol­len auf­grund ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung.
Der Kläger ist seit dem 1. April 2000 bei der Be­klag­ten zu ei­nem Brut­to­mo­nats­ge­halt i.H.v. 5.100 € als Van Car­ri­er-Fah­rer beschäftigt. Bei der Be­klag­ten han­delt es sich um ein Un­ter­neh­men, wel­ches sich mit dem Con­tai­ner­um­schlag im H. Ha­fen beschäftigt. Der Con­tai­ner­um­schlag er­folgt an­hand von Con­tai­ner­brücken so­wie durch Van Car­ri­er. Al­le Ha­fen­ar­bei­ter, al­so auch der Kläger, wer­den fes­ten Teams zu­ge­teilt.
Am Ar­beits­platz des Klägers herrscht ein ab­so­lu­tes Sucht­mit­tel­ver­bot. Die­ses Ver­bot be­zieht sich auf al­ko­ho­li­sche Ge­tränke, so­wie auf Dro­gen jeg­li­cher Art. Mit­ar­bei­ter, die un­ter ei­nem Sucht­mit­tel­ein­fluss ste­hen, dürfen nicht beschäftigt wer­den.
Im Fe­bru­ar des Jah­res 2005 er­hiel­ten die Geschäftsführung und die Per­so­nal­ab­tei­lung der Be­klag­ten ei­nen an­ony­men Brief, in wel­chem be­haup­tet wur­de, dass vie­le Mit­ar­bei­ter des Ter­mi­nals während der Ar­beits­zeit un­ter Sucht­mit­tel­ein­fluss ste­hen würden. Ex­pli­zit wur­de im Rah­men die­ses Schrei­bens auf ein Team hin­ge­wie­sen. Es wur­de wei­ter be­haup­tet, dass aus je­nem Team Mit­ar­bei­ter auf dem Gelände Dro­gen kon­su­mie­ren würden. Auf Grund die­ser Ver­dachts­mo­men­te wur­de das ge­sam­te ge­nann­te Team ge­be­ten, beim Be­triebs­arzt ei­ne Urin­pro­be ab­zu­ge­ben, wel­che auf Dro­gen un­ter­sucht wer­den soll­te. Bei meh­re­ren Mit­ar­bei­tern die­ses Teams war das Er­geb­nis des Dro­gen­tests po­si­tiv.
Auf­grund je­ner Test­ergeb­nis­se sa­hen sich die Geschäftsführung wie auch der Be­triebs­arzt der Be­klag­ten da­zu ver­an­lasst ein Ver­fah­ren zu schaf­fen, wel­ches si­cher­stellt, dass kei­ne Mit­ar­bei­ter un­ter Sucht­mit­tel­ein­fluss Großgeräte bei der Be­klag­ten wie Con­tai­ner­brücken oder Van Car­ri­er be­die­nen.

Vor die­sem Hin­ter­grund schlos­sen die Be­triebs­par­tei­en der Be­klag­ten ei­ne Be­triebs­ver­ein­ba­rung vom 13. Ju­li 2005. Dort heißt es:

„4.
a) Bei be­gründe­ten Ver­dacht ei­ner Ein­schränkung der Ar­beitsfähig­keit auf Grund von Sucht­mit­teln hat der be­trof­fe­ne Mit­ar­bei­ter / die be­trof­fe­ne Mit­ar­bei­te­rin die Pflicht, sei­ner­seits / ih­rer­seits die Umstände der Ar­beitsfähig­keit bzw. Ar­beits­unfähig­keit klären zu hel­fen.
b) Un­ter Ver­dacht ste­hen­de Mit­ar­bei­ter / Mit­ar­bei­te­rin­nen können da­her auf­ge­for­dert wer­den, sich ei­nes Atem-, Blut- und / oder ei­nes Urin­tests durch den Be­triebs­arzt zu un­ter­zie­hen. Die zur Ent­schei­dung er­for­der­li­chen La­bor­wer­te können auch in­ner­halb ei­ner von dem Be­triebs­arzt be­stimm­ten Frist durch den be­han­deln­den Arzt des Mit­ar­bei­ters / der Mit­ar­bei­te­rin bei­ge­bracht wer­den.
c) Auf Grund der ge­ne­rell be­ste­hen­den Ge­fah­ren­ge­neigt­heit der Tätig­kei­ten auf dem Con­tai­ner Ter­mi­nal bzw. in der Tech­nik können Mit­ar­bei­ter /

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Mit­ar­bei­te­rin­nen auch oh­ne be­ste­hen­den be­gründe­ten Ver­dacht und un­abhängig von den durch­zuführen­den Rou­ti­ne­un­ter­su­chun­gen zur Über­prüfung ih­rer un­ein­ge­schränk­ten Ar­beitsfähig­keit zu Atem- und / oder zu Urin­tests auf­ge­for­dert wer­den. Die Kon­trol­len er­fol­gen nach dem Zu­falls­prin­zip team­grup­pen­be­zo­gen oder - wo die­se Or­ga­ni­sa­ti­ons­form nicht be­steht - ein­zel­fall­be­zo­gen. Wel­ches Team zur Durchführung der Tests auf­ge­for­dert wird, ent­schei­det sich wie folgt:“

In Um­set­zung der Re­ge­lun­gen die­ser Be­triebs­ver­ein­ba­rung wur­de am 29. Sep­tem­ber 2005 das Team des Klägers aus­ge­lost. Das so­dann durch­geführ­te Scree­ning auf ak­tu­el­len Ein­fluss von Sucht­mit­teln er­gab bei dem Kläger ein po­si­ti­ves Er­geb­nis in Be­zug auf THC. Dar­auf­hin wur­de der Kläger un­ter An­rech­nung auf be­ste­hen­de Ur­laubs- so­wie Frei­zeit­aus­gleichs­ansprüche frei­ge­stellt. Gleich­falls wur­de dem Kläger na­he ge­legt, am 6. Ok­to­ber 2005 an ei­nem er­neu­ten Scree­ning teil­zu­neh­men. Auch die­ses er­gab für den Kläger ein po­si­ti­ves Test­ergeb­nis im Hin­blick auf THC. Auch ein wei­te­rer Test am 27. Ok­to­ber 2005 er­gab ei­nen po­si­ti­ven THC-Wert.
Am 11. No­vem­ber 2005 leg­te der Kläger dem Be­triebs­arzt der Be­klag­ten ei­ne Be­schei­ni­gung des Uni­ver­sitäts­kran­ken­haus E. vor, wel­che ein ne­ga­ti­ves Er­geb­nis im Hin­blick auf Sucht­mit­tel­ein­fluss be­schei­nig­te. So­dann nahm der Kläger sei­ne Ar­beit wie­der auf.
Im Rah­men der wei­te­ren Um­set­zung der Be­triebs­ver­ein­ba­rung wur­de er­neut das Team des Klägers aus­ge­lost. Das ent­spre­chen­de Scree­ning soll­te am 15. März 2006 zum En­de der ers­ten Schicht er­fol­gen. Der Kläger wei­ger­te sich, den ent­spre­chen­den Test durchführen zu las­sen. Nach­fol­gend wur­de dem Kläger durch die Per­so­nal­re­fe­ren­tin in An­we­sen­heit des stell­ver­tre­ten­den Be­triebs­rats­vor­sit­zen­den erklärt, dass ihn nie­mand zur Ab­ga­be ei­ner Urin­pro­be zwin­gen könne. In An­be­tracht sei­ner Ver­wei­ge­rungs­hal­tung bestünde je­doch ein be­gründe­ter Ver­dacht, dass er der­zeit un­ter Sucht­mit­tel­ein­fluss ste­hen würde. Folg­lich könne er nicht wei­ter ein­ge­setzt wer­den. Dem Kläger wur­de gemäß der Be­triebs­ver­ein­ba­rung an­ge­bo­ten, ei­nen ent­spre­chen­den Test bei sei­nem Arzt durchführen zu las­sen und dem Be­triebs­arzt so­dann das Er­geb­nis vor­zu­le­gen. Der Kläger ant­wor­te­te hier­auf, den Test nicht beim Be­triebs­arzt durchführen las­sen zu wol­len, sag­te aber zu, den Test im Uni­ver­sitäts­kran­ken­haus E. durchführen zu las­sen. Später mel­de­te sich der Kläger te­le­fo­nisch bei der Per­so­nal­re­fe­ren­tin und teil­te mit, dass der ent­spre­chen­de Dro­gen­test im Uni­ver­sitäts­kran­ken­haus ne­ga­tiv ver­lau­fen sei. Er ha­be je­doch noch kei­ne schrift­li­chen Er­geb­nis­se vor­lie­gen. Nach­dem am 16. März 2006 ei­ne ent­spre­chen­de Be­schei­ni­gung vor­lag, wur­de der Kläger am Fol­ge­ta­ge wie­der ein­ge­setzt.

Der Kläger ver­tritt die Auf­fas­sung, dass die Re­ge­lung der Be­triebs­ver­ein­ba­rung, Rou­ti­ne­un­ter­su­chun­gen auch oh­ne Ver­dachts­mo­men­te vor­neh­men zu können, ge­gen die Grundsätze des § 75 Abs. 2 Be­trVG ver­s­toße. Der Kläger sei be­reit, an Un­ter­su­chun­gen auf­grund ei­nes Ver­dach­tes teil­zu­neh­men, weil die­se den Ge­sund­heits­zu­stand des Klägers un­mit­tel­bar am Ar­beits­platz beträfen. Un­ter­su­chun­gen oh­ne Ver­dachts­mo­men­te mit­tels Urin­tests ziel­ten aber nicht auf ei­nen ak­tu­el­len Rausch­zu­stand bzw. auf ei­nen be­stimm­ten Al­ko­ho­li­sie­rungs­grad ab, son­dern

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dien­ten le­dig­lich der all­ge­mei­nen Kon­trol­le des Al­ko­hol- und Dro­gen­kon­sums über ei­nen Zeit­raum von Wo­chen oder Mo­na­ten. Die Test­ergeb­nis­se ergäben so­mit auch kei­ne Rück­schlüsse auf ei­nen Ver­s­toß ge­gen das Ge­bot der Rausch­mit­tel­frei­heit während der Dien­stausübung. Die Be­klag­te er­he­be mit der Durchführung die­ser Rou­ti­ne­tests per­so­nen­be­zo­ge­ne Da­ten, die Auf­schluss über die all­ge­mei­ne Ge­sund­heit ih­rer Ar­beit­neh­mer und auch ihr pri­va­tes Ver­hal­ten ergäben. Da­durch wer­de das all­ge­mei­ne Persönlich­keits­recht der Mit­ar­bei­ter ver­letzt.


Da­her be­an­tragt der Kläger,

fest­zu­stel­len, dass die An­wei­sung der Be­klag­ten vom 15. März 2006 an den Kläger, an ei­nem Urin­test teil­zu­neh­men, un­wirk­sam ge­we­sen ist.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.


Die Be­klag­te ver­tritt die Auf­fas­sung, dass die Re­ge­lun­gen der Be­triebs­ver­ein­ba­rung zur Über­prüfung der Ein­hal­tung des be­ste­hen­den Sucht­mit­tel­ver­bo­tes rechts­wirk­sam sei­en. Sie ver­stießen ins­be­son­de­re nicht ge­gen höher­ran­gi­ges Recht. Die Be­klag­te ver­su­che nur die Ver­pflich­tung, die zwin­gen­de ge­setz­li­che Re­ge­lung des § 38 VBG 1 ein­zu­hal­ten, wo­nach Mit­ar­bei­ter, die in­fol­ge des Al­ko­hol­kon­sums nicht mehr in der La­ge sind, ih­re Ar­beit oh­ne Ge­fahr für sich oder an­de­re aus­zuführen, nicht mehr beschäftigt wer­den dürfen, ein­zu­hal­ten. Die Be­klag­te ha­be aber kei­ne an­de­re Möglich­keit, die Ein­hal­tung je­nes Ge­bo­tes zu über­prüfen als durch Stich­pro­ben. Die Ein­schränkun­gen des all­ge­mei­nen Persönlich­keits­rechts ha­be der Kläger auf Grund der Verhält­nismäßig­keit der Be­triebs­ver­ein­ba­rung hin­zu­neh­men.

 

Ent­schei­dungs­gründe

I. Die Kla­ge ist zulässig.

Die Vor­aus­set­zun­gen des § 256 Abs. 1 ZPO sind erfüllt. Zwi­schen dem Kläger und der Be­klag­ten ist ein Rechts­verhält­nis strei­tig. Un­ter ei­nem Rechts­verhält­nis ist die recht­li­che Be­zie­hung ei­ner Per­son zu ei­ner an­de­ren Per­son oder Sa­che zu ver­ste­hen. Ge­gen­stand der Fest­stel­lungs­kla­ge können da­bei auch ein­zel­ne Rech­te, Pflich­ten oder Fol­gen ei­nes Rechts­verhält­nis­ses sein (Zöller/Gre­ger ZPO, 25. Aufl., 2005 § 256 Rd­nr. 3). Ein Rechts­verhält­nis in die­sem Sin­ne stellt das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en dar.

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Vor­lie­gend geht es dar­um, ob der Kläger auf­grund der Be­triebs­ver­ein­ba­rung ver­pflich­tet ist, an Urin­tests teil­zu­neh­men. Da­mit strei­ten die Par­tei­en un­mit­tel­bar um den In­halt ar­beits­ver­trag­li­cher Ne­ben­pflich­ten. Das nach § 256 Abs. 1 ZPO er­for­der­li­che Fest­stel­lungs­in­ter­es­se ist ge­ge­ben. Die­ses er­gibt sich dar­aus, dass dem Kläger nicht zu­ge­mu­tet wer­den kann, zunächst ei­nen Pflich­ten­ver­s­toß zu be­ge­hen, um dann im Rah­men ei­ner ge­richt­li­chen Über­prüfung et­wai­ger Ar­beit­ge­ber­sank­tio­nen den In­halt des Ar­beits­verhält­nis­ses klären zu las­sen.


II. Die Kla­ge ist aber un­be­gründet. Die Wei­sung ge­genüber dem Kläger, sich auch oh­ne kon­kre­ten Ver­dacht an ei­nem Urin­test zu be­tei­li­gen, war wirk­sam.
Da­bei kann of­fen blei­ben, ob sich ei­ne sol­che Ver­pflich­tung auch aus der all­ge­mei­nen Treue­pflicht des Ar­beit­neh­mers er­gibt. Je­den­falls sta­tu­iert Nr. 4 lit. c) der Be­triebs­ver­ein­ba­rung ei­ne sol­che Mit­wir­kungs­pflicht.
1. Die Re­ge­lung verstößt auch nicht ge­gen § 75 Abs. 2 Satz 1 Be­trVG. Re­ge­lun­gen der Be­triebs­par­tei­en oder der Ei­ni­gungs­stel­le über ei­ne Teil­nah­me an Urin­tests im Be­trieb ha­ben - wie je­de Be­triebs­ver­ein­ba­rung - höher­ran­gi­ges Recht zu be­ach­ten. Die Be­triebs­par­tei­en ha­ben nach § 75 Abs. 2 Satz 1 Be­trVG ins­be­son­de­re die Pflicht, die freie Ent­fal­tung der Persönlich­keit der im Be­trieb beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer zu schützen und zu fördern. Die­se Pflicht be­grenzt ih­re Re­ge­lungs­be­fug­nis und den zulässi­gen In­halt der von ih­nen ge­trof­fe­nen Re­ge­lun­gen (BAG 29. Ju­ni 2004 - 1 ABR 21/03 - aaO, zu B I 2 der Gründe mwN) . Die Be­triebs­par­tei­en ha­ben des­halb auch das nach Art. 2 Abs. 1 in Verb. mit Art. 1 Abs. 1 GG gewähr­leis­te­te all­ge­mei­ne Persönlich­keits­recht der Mit­ar­bei­ter zu be­ach­ten.


2. Das all­ge­mei­ne Persönlich­keits­recht des Klägers ist be­trof­fen, aber nicht ver­letzt. Das all­ge­mei­ne Persönlich­keits­recht um­fasst auch das Recht, an­de­ren Per­so­nen körper­be­zo­ge­ne Da­ten nicht mit­zu­tei­len, wie sie durch ei­nen Urin­test ge­won­nen wer­den können.
a) Außer­halb des ab­so­lu­ten Kern­be­reichs pri­va­ter Le­bens­ge­stal­tung (vgl. da­zu BVerfG 3. März 2004 - 1 BvR 2378/98, 1 BvR 1084/99 - BVerfGE 109, 279 , 311 ff.) wird das all­ge­mei­ne Persönlich­keits­recht al­ler­dings nur in den Schran­ken der ver­fas­sungs­gemäßen Ord­nung ga­ran­tiert. Die­se be­steht aus der Ge­samt­heit der Nor­men, die for­mell und ma­te­ri­ell der Ver­fas­sung gemäß sind (BVerfG 9. Ok­to­ber 2002 - 1 BvR 1611/96 , 1 BvR 805/98 - BVerfGE 106, 28 , 39 ff.). In das all­ge­mei­ne Persönlich­keits­recht kann des­halb ins­be­son­de­re durch ver­fas­sungs­gemäße Ge­set­ze ein­ge­grif­fen wer­den. Auch Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen, die von den Be­triebs­par­tei­en im Rah­men ih­rer Re­ge­lungs­kom­pe­tenz ge­schlos­sen wur­den, können Ein­schränkun­gen des all­ge­mei­nen

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Persönlich­keits­rechts recht­fer­ti­gen (BAG 29. Ju­ni 2004 - 1 ABR 21/03 - AP Be­trVG 1972 § 87 Über­wa­chung Nr. 41 = NZA 2004, 1278 , zVv., zu B I 2 c der Gründe mwN) . Der Ein­griff in das all­ge­mei­ne Persönlich­keits­recht der Ar­beit­neh­mer durch Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen muss durch schutzwürdi­ge Be­lan­ge an­de­rer Grund­recht­sträger, et­wa des Ar­beit­ge­bers, ge­recht­fer­tigt sein. Dafür ist ei­ne Güter­abwägung un­ter Berück­sich­ti­gung der Umstände des Ein­zel­falls er­for­der­lich (vgl. BAG 27. März 2003 - 2 AZR 51/02 - BA­GE 105, 356, zu B I 3 b bb der Gründe mwN).
Das zulässi­ge Maß ei­ner Be­schränkung des all­ge­mei­nen Persönlich­keits­rechts be­stimmt sich nach dem Grund­satz der Verhält­nismäßig­keit, der auch die den Be­triebs­par­tei­en nach § 75 Abs. 2 Be­trVG auf­er­leg­te Ver­pflich­tung kon­kre­ti­siert (BAG 19. Ja­nu­ar 1999 - 1 AZR 499/98 - BA­GE 90, 316, zu A II 3 der Gründe). Die von ih­nen ge­trof­fe­ne Re­ge­lung muss ge­eig­net, er­for­der­lich und un­ter Berück­sich­ti­gung der gewähr­leis­te­ten Frei­heits­rech­te an­ge­mes­sen sein, um den er­streb­ten Zweck zu er­rei­chen. Ge­eig­net ist die Re­ge­lung dann, wenn mit ih­rer Hil­fe der er­streb­te Er­folg gefördert wer­den kann. Er­for­der­lich ist sie, wenn kein an­de­res, gleich wirk­sa­mes und das Persönlich­keits­recht we­ni­ger ein­schränken­des Mit­tel zur Verfügung steht. An­ge­mes­sen ist die Re­ge­lung, wenn sie auch im en­ge­ren Sin­ne verhält­nismäßig er­scheint. Um dies fest­zu­stel­len, be­darf es ei­ner Ge­samt­abwägung der In­ten­sität des Ein­griffs ge­gen das Ge­wicht der ihn recht­fer­ti­gen­den Gründe, bei der die Gren­ze der Zu­mut­bar­keit nicht über­schrit­ten wer­den darf (BAG 29. Ju­ni 2004 - 1 ABR 21/03 - aaO, zu B I 2 d mwN) .
Die er­for­der­li­che Abwägung kann nicht abs­trakt vor­ge­nom­men wer­den. So geht et­wa we­der das Ei­gen­tum (Art. 14 GG) oder das Brief­ge­heim­nis (Art. 10 GG) stets dem all­ge­mei­nen Persönlich­keits­recht vor noch ge­nießt die­ses je­der­zeit Vor­rang. Maßgeb­lich sind viel­mehr die Ge­samt­umstände. Von Be­deu­tung ist da­bei die Ein­griff­s­in­ten­sität, al­so die Fra­ge, wie vie­le Per­so­nen wie in­ten­si­ven Be­ein­träch­ti­gun­gen aus­ge­setzt sind, oh­ne dass sie hierfür ei­nen An­lass ge­ge­ben hätten (BVerfG 3. März 2004 - 1 BvR 2378/98, 1 BvR 1084/99 - BVerfGE 109, 279 , zu C II 3 b ee (3) (a) der Gründe).

b) Ei­ne ärzt­li­che Un­ter­su­chung des Ar­beit­neh­mers mit dar­an an­sch­ließen­der Of­fen­ba­rung per­so­nen­be­zo­ge­ner Da­ten durch den Arzt an den Ar­beit­ge­ber führt re­gelmäßig zu ei­nem Ein­griff in die In­tim­sphäre des Ar­beit­neh­mers. Die­se ist je­doch durch Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ver­fas­sungs­recht­lich geschützt. Das all­ge­mei­ne Persönlich­keits­recht schützt grundsätz­lich vor der Er­he­bung und Wei­ter­ga­be von Be­fun­den über den Ge­sund­heits­zu­stand, die see­li­sche Ver­fas­sung und den Cha­rak­ter des Ar­beit­neh­mers. Der Schutz ist um

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so in­ten­si­ver, je näher die Da­ten der In­tim­sphäre des Be­trof­fe­nen ste­hen (BVerfGE 89, 69 , 82 f., m.w.N.).

c) Die­ser Ein­griff ist aber verhält­nismäßig.
i. Die Teil­nah­me bzw. die Auf­for­de­rung zur Ab­ga­be ei­nes Urin­tests ist in ge­eig­net, fest­zu­stel­len, ob ein Ar­beit­neh­mer un­ein­ge­schränkt ar­beitsfähig ist, oder nicht.
ii. Die Maßnah­me ist auch er­for­der­lich. Denn es ist kein mil­de­res Mit­tel er­sicht­lich, wel­che es der Be­klag­ten ermöglicht mit ei­nem ge­rin­ge­ren Ein­griff in die Rech­te des Klägers glei­che Ge­wiss­heit zu er­hal­ten. Ge­ra­de im Fal­le von Dro­gen­kon­sum ist es re­gelmäßig von vorn­her­ein nicht möglich die Ein­schränkung der Ar­beitsfähig­keit zu er­ken­nen, auch wenn die­se vor­liegt. Da­bei ist im vor­lie­gen­den Fall ins­be­son­de­re zu berück­sich­ti­gen, dass auf­grund der Größe der zu be­we­gen­den Ma­schi­nen be­reits kleins­te Un­acht­sam­kei­ten oder feh­len­de Präzi­si­on zu er­heb­li­chen Schäden führen können.
iii. Die Maßnah­me ist auch an­ge­mes­sen. Dem Kläger ob­liegt es, mit de­ren Be­klag­ten durch den Be­triebs­arzt oder aber durch ei­nen frei zu wählen­den Arzt mit­zu­tei­len, ob er auf­grund von Sucht­mit­teln ein­ge­schränkt ar­beitsfähig ist. Zu berück­sich­ti­gen ist in die­sem Zu­sam­men­hang, dass auch die Ein­griff­s­in­ten­sität verhält­nismäßig ge­ring, nämlich nicht mit ei­ner di­rek­ten Ver­let­zung des Körpers wie bei­spiels­wei­se bei Blut­tests ver­bun­den ist. Es han­delt sich viel­mehr um ei­nen natürli­chen Vor­gang, bei wel­chem oh­ne­hin ab­zu­son­dern­der Urin auf sei­ne Zu­sam­men­set­zung über­prüft wird. So­weit der Kläger meint, dass auf Grund der durch­zuführen­den Tests die Be­klag­te auch länger zurück­lie­gen­den Kon­sum von Rausch­mit­teln nach­wei­sen könne, mag dies da­hin­ste­hen. Der Kläger wur­de am 15. März 2006 auf­ge­for­dert, an ei­nem Urin­test teil­zu­neh­men. Da­bei trägt der Kläger selbst vor, dass er nicht da­zu ver­pflich­tet war, den Urin­test beim Be­triebs­arzt durchführen zu las­sen, son­dern sich auch bei sei­nem Haus­arzt oder aber im Uni­ver­sitäts­kran­ken­haus E. auf Dro­gen­kon­sum un­ter­su­chen las­sen konn­te. So­fern der Kläger die Auf­fas­sung ver­tritt, dass er ver­pflich­tet ge­we­sen wäre die Test­ergeb­nis­se der Be­klag­ten zu über­mit­teln, er­gibt sich ei­ne sol­che Ver­pflich­tung aus der der An­ord­nung zu Grun­de lie­gen­den Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen nicht. Dort re­gelt Ziff. 4 c) le­dig­lich, dass ein Mit­ar­bei­ter oh­ne be­ste­hen­den be­gründe­ten Ver­dacht zur Über­prüfung sei­ner un­ein­ge­schränk­ten Ar­beitsfähig­keit zu Urin­tests auf­ge­for­dert wer­den kann. Dem­gemäß ist der Kläger le­dig­lich ver­pflich­tet, an Urin­tests zur Über­prüfung der Ar­beitsfähig­keit teil­zu­neh­men. Dar­aus re­sul­tiert ei­ne Ver­pflich­tung ge­genüber dem Ar­beit­ge­ber, die­sen über ei­ne Ar­beitsfähig­keit zu

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un­ter­rich­ten. Die de­tail­lier­ten Un­ter­su­chungs­er­geb­nis­se sind dem Ar­beit­ge­ber in­des­sen nicht mit­zu­tei­len. Ein Mit­ar­bei­ter trifft auf Grund der Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen oh­ne be­gründe­ten Ver­dacht al­so le­dig­lich die Pflicht, durch ei­nen Arzt die un­ein­ge­schränk­te Ar­beitsfähig­keit fest­stel­len zu las­sen. Die­se Fra­ge kann der Arzt, wel­chen sich je­der Mit­ar­bei­ter selbst aus­su­chen kann, mit ei­nem ein­fa­chen "ja" oder "nein" be­ant­wor­ten, oh­ne dass hier­zu die Wei­ter­ga­be ein­zel­ner Er­geb­nis­se not­wen­dig wäre. Soll­te dem­nach die Un­ter­su­chung er­ge­ben, dass zwar ein Al­ko­hol- oder Dro­gen­kon­sum vor­lag, je­ner aber be­reits die Ar­beitsfähig­keit nicht mehr tan­giert, so müss­te der un­ter­su­chen­de Arzt trotz po­si­ti­vem Test­ergeb­nis­ses die Ar­beitsfähig­keit fest­stel­len.
So­weit der Kläger vorträgt, dass Rou­ti­ne­un­ter­su­chun­gen im lau­fen­den Ar­beits­verhält­nis re­gelmäßig un­zulässig sind, und dies auch durch das Bun­des­ar­beits­ge­rich­tes so ge­se­hen wird, verkürzt er nach Auf­fas­sung der Kam­mer die Ent­schei­dung des 2. Se­nats vom 12. Au­gust 1999 (2 AZR 55/99) um we­sent­li­che Ge­sichts­punk­te. Zum ei­nen hiel­ten das Bun­des­ar­beits­ge­richt Rou­ti­ne­un­ter­su­chun­gen nur für den Fall für un­zulässig, so­weit sie vor­beu­gend klären soll­ten, ob ein Ar­beit­neh­mer al­ko­hol- bzw. dro­genabhängig ist. Um ei­ne Abhängig­keit geht es in­des­sen bei der Re­ge­lung der vor­lie­gen­den Be­triebs­ver­ein­ba­rung nicht. Nach dem Wort­laut soll le­dig­lich die Ar­beitsfähig­keit über­prüft wer­den, al­so die körper­li­che Möglich­keit des Ar­beit­neh­mers, sei­nen ar­beits­ver­trag­li­chen Pflich­ten so­wie Ne­ben- und Schutz­pflich­ten nach­kom­men zu können. Die Er­fas­sung von Da­ten jen­seits de­rer zur Fest­stel­lung der tägli­chen Ar­beitsfähig­keit soll ge­ra­de nicht ermöglicht wer­den. Dass ei­ne Aus­wer­tung be­stimm­ter Körper­da­ten dem Ar­beit­ge­ber zu­zu­ge­ste­hen ist, sieht nach Auf­fas­sung der Kam­mer auch das Bun­des­ar­beits­ge­richt nicht an­ders. So heißt es in der ge­nann­ten Ent­schei­dung:


„3. Ist der Ar­beit­neh­mer auf­grund ei­ner ta­rif­ver­trag­li­chen oder ar­beits­ver­trag­li­chen Re­ge­lung oder der ihm ob­lie­gen­den Treue­pflicht grundsätz­lich ver­pflich­tet, sich - wie hier der Kläger - in ge­wis­sen Abständen ei­ner Ge­sund­heits­un­ter­su­chung zu un­ter­zie­hen, so be­deu­tet dies noch nicht, daß der Arzt oh­ne je­de Ein­schränkung al­le Un­ter­su­chun­gen vor­neh­men darf, die er oder der Ar­beit­ge­ber für sach­dien­lich hal­ten.“

Der Ar­beit­ge­ber darf dem­nach Da­ten er­fas­sen, aber nur, so­weit sein In­ter­es­se an ih­nen ge­genüber der In­tim­sphäre so­wie der körper­li­chen Un­ver­sehrt­heit des Ar­beit­neh­mers über­wiegt. Dies ist im Rah­men ei­nes Urin­tests je­den­falls dann der Fall, wenn durch ihn nur die tägli­che Ar­beitsfähig­keit fest­ge­stellt wer­den soll.

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3. Die Kos­ten­ent­schei­dung be­ruht auf § 91 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 ArbGG. Der gemäß § 61 ArbGG fest­zu­set­zen­de Streit­wert beträgt nach dem im maßge­ben­den Zeit­punkt des Schlus­ses der münd­li­chen Ver­hand­lung (§ 46 Abs. 2 ArbGG, § 4 Abs. 1 ZPO) ge­stell­ten An­trag 5.100 € was ei­nem Brut­to­mo­nats­ge­halt ent­spricht (§ 3 ZPO).
Die Be­ru­fung war gemäß § 64 Abs. 2 lit. a) ArbGG ge­son­dert zu­zu­las­sen, weil ei­ne grundsätz­li­che Be­deu­tung der Rechts­sa­che vor­lag (§ 64 Abs. 3 Nr. 1 ArbGG). Mit der grundsätz­li­chen Be­deu­tung der Rechts­sa­che wird das In­ter­es­se der All­ge­mein­heit an der Ent­schei­dung des Rechts­streits ge­for­dert. Ei­ne grundsätz­li­che Be­deu­tung der Rechts­sa­che ist nur dann zu be­ja­hen, wenn die Ent­schei­dung des Rechts­streits von ei­ner klärungsfähi­gen und klärungs­bedürf­ti­gen Rechts­fra­ge abhängt und die­se Klärung ent­we­der von all­ge­mei­ner Be­deu­tung für die Rechts­ord­nung ist oder we­gen ih­rer tatsächli­chen Aus­wir­kun­gen die In­ter­es­sen der All­ge­mein­heit oder ei­nes größeren Teils der All­ge­mein­heit eng berührt (BAG, Be­schluss vom 05. De­zem­ber 1979, Az: 4 AZN 41/79).
Nicht nur im Ha­fen­be­reich son­dern bei sämt­li­chen Ar­beitsplätzen im Großma­schi­nen­be­reich wer­den häufig Kon­troll­me­cha­nis­men eta­bliert, um Ein­schränkun­gen auf­grund dro­gen­be­ding­ter Verzöge­run­gen zu ver­hin­dern. Da­bei steht den Par­tei­en meist nur die Möglich­keit ärzt­li­cher Un­ter­su­chun­gen und Scree­nings zur Verfügung. Un­ter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen und in wel­chem Um­fang sol­che Un­ter­su­chun­gen zulässig sind, be­darf da­her ober­ge­richt­li­cher Klärung, da, ab­ge­se­hen von der bun­des­ar­beits­ge­richt­li­chen Ent­schei­dung vom 12. Au­gust 1999, und dort auch nur zu ei­nem Spe­zi­al­fall kei­ne ober­ge­richt­li­che Recht­spre­chung vor­liegt. 

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